Freizeitpark Deutschland: Höher, schneller, weiter

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06.Juli 2004, 17:05 Uhr
Freizeitpark Deutschland
Höher, schneller, weiter
© Samuel Zuder
Immer mehr Deutsche bleiben im Urlaub daheim und entdecken den Spaß
vor der Haustür. Die Macher der Freizeitparks bieten wilde Tiere, FreifallTürme, Flugsimulatoren und Achterbahnen mit Looping.
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Wer im "Phantasialand" ins Raumschiff steigt, sollte dies mit leerem Magen tun.
Keine Gulaschsuppe vor der "Galaxy", einem Flugsimulator und
Magenverdreher. Man sitzt in einer dunklen Kapsel und saust mit einem
Affenzahn durchs Universum. Der Boden bebt, Schlüssel fallen aus der
Hosentasche, Adrenalin schießt durch den Körper. Das dreidimensionale
Spektakel dauert wenige Minuten, ehe man zitternd aus der Kabine wankt.
Kaum festen Boden unter den Füßen, fordern die Kinder neuen Nervenkitzel.
"Papa, und jetzt auf die Achterbahn."
Die höchste aus Holz steht in der Lüneburger Heide. Die größte an der
französischen Grenze. Die beste mit Looping in Bottrop. Willkommen im
Freizeitpark Deutschland, über 200 Anlagen haben im Angebot: Schussfahrten
und Schräglagen, Sinnestäuschung, Aufhebung der Schwerkraft, Überwindung
von Zeit und Raum. Bei Bautzen baute ein gelernter Dekorationsmaler Saurier
aus Stahl und Beton, ein italienischer Selfmade-Millionär stellte zwischen
Hamburg und Hannover Giraffen in die Heide-Landschaft. Die nennt sich nun
Serengeti und bietet fast tausend Tieren eine neue Heimat. Wem Afrika zu weit
ist, der kann hinterm Autobahndreieck Walsrode auf Foto-Safari gehen. Löwen
stellen Tauben nach, neugierige Paviane hüpfen auf dem Autodach.
"Das kickt richtig"Die Freizeitparks hatten im vergangenen Jahr 22 Millionen
Besucher - Spanien, Italien und Griechenland hatten weniger deutsche Touristen.
Warum auch in die Ferne schweifen, wenn das Ausland auf ein paar Hektar
passt? Westernstädte und Chinatowns, Canyons und wilde Wasser, das alte
Rom und Mexiko. Im "Europa-Park" Rust saust eine Achterbahn durch die
Akropolis. Auf diese Idee sind die Griechen nie gekommen. Und wo kann man
ohne Blessuren 65 Meter in die Tiefe stürzen? "Gute körperliche Verfassung,
keine Höhenangst sowie Nervenstärke sind für diese Attraktion Voraussetzung",
mahnt ein Schild vor dem "Mystery Castle" im "Phantasialand" Brühl. Für den
freien Fall im Geisterschloss stehen Kinder 90 Minuten Schlange. "Es lohnt sich",
sagt Heike, 9, aus Aschaffenburg. "Das kickt richtig."
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Wie das deutsche Kernkraftwerk, das nach Milliardeninvestitionen ausgemustert
wurde und nun als Funpark Karriere macht. Ein Holländer kaufte den "Schnellen
Brüter" bei Kalkar und taufte ihn "Kernwasser Wunderland". Heute kraxeln
Bergsteiger den Kühlturm hoch. Die Anlage ist Deutschlands einziger
festungsähnlich angelegter Freizeitpark. Im Wassergraben schwimmen Enten.
Wer einmal Atomkraftgegner war oder wieder ist, kommt am linken Niederrhein
auf seine Kosten. Fünf Euro für ein ErinnerungsfotoDas Geschäft boomt: Die
Deutschen gaben im vergangenen Jahr über 600 Millionen Euro in den Parks
aus. Eine Familie mit zwei Kindern zahlt im Schnitt fast 100 Euro Eintritt inklusive
Parkplatzgebühr; noch einmal 50 Euro kommen für Cola und Currywurst,
Zuckerwatte und Andenken obendrauf. Und doch lohnt sich die Ausgabe
offenbar. "Auf der Kirmes ist es doch teurer", sagt Paul, 12. Der Sechstklässler
aus Frankfurt fährt am liebsten Achterbahn. "Sieben Fahrten, und ich hab das
Geld wieder drin." Seine Eltern müssen allerdings aufpassen, dass er nicht von
jedem Ritt Erinnerungsfotos mitbringt, fünf Euro das Stück. Oder dass er nicht
sein Geld für Nippes in den zahlreichen Souvenirläden verprasst.
Verlangen nach immer mehr Sensationen"Ein Drittel der Deutschen sind
Freizeitparkfans, ein Drittel hasst sie, und ein Drittel meint, das kann man ja mal
ausprobieren", sagt Hermann-Josef Kiel, Professor für Kultur- und
Freizeitmanagement an der Fachhochschule Heilbronn. "Entscheidend für einen
dauerhaften Erfolg ist, immer neue Besuchergruppen zu erschließen und die Zahl
der Stammkunden zu erweitern."Über die Hälfte der Besucher sind zwischen
zehn und 39 Jahre alt. Sie bringen das meiste Geld und verlangen nach immer
neuen Sensationen. Die Parkmacher bemühen sich, auch jung gebliebene Alte
als Laufkundschaft zu gewinnen, Senioren mit Enkeln. Ihnen sind die zum Teil
aufwendigen Shows gewidmet - und die Kaffee- und Kuchen-Ecken abseits des
Rummels. In die großen Parks kommen acht von zehn Gästen ein zweites Mal.
"Es geht darum, das Gefühl zu erzeugen, alle Attraktionen nicht an einem Tag zu
schaffen", sagt Kiel. Das Qualitätsgefälle ist groß, wie der stern und
Freizeitforscher Dr. Ulrich Reinhardt bei einer Testreise durch die Parks
feststellten (siehe "Freizeitparks - der große stern-Test").Übernachtungen
möglichBlieben die Gäste vor zehn Jahren noch durchschnittlich vier Stunden,
vergnügen sie sich heute sechs Stunden lang. Und wo Hotels entstehen wie im
"Europa-Park" oder im "Phantasialand", wird der Parkbesuch zum Kurzurlaub:
Eine vierköpfige Familie zahlt für den Ausflug über Nacht etwa 200 Euro.
Die Parks sind voll mit sprechenden Papageien, patschnassen Seelöwen,
tollkühnen Delfinen. Ein Wunder, dass man noch nirgends auf Elefanten reiten
kann. Weniger gut läuft Weltraum, was derzeit in Bremen zu besichtigen ist. Für
über 600 Millionen Euro wurde an der Weser der "Space-Park" aus dem Boden
gestampft. Science-Fiction und Krieg der Sterne, wo früher eine Werft war. Das
ehrgeizige Projekt legt gerade eine Bruchlandung hin: In die riesigen, mit
neonfarbenen Leuchtstreifen illuminierten Hallen verirrt sich kaum Publikum. Von
der "Destination Moon, powered by Langnese" wollen wenige etwas wissen. Die
einzige Attraktion, ein "Space Shot", der Waghalsige in drei Sekunden und mit
vierfacher Erdbeschleunigung in die Höhe katapultiert, muss oft aus
Sicherheitsgründen geschlossen werden: immer dann, wenn mal wieder zu viel
Wind bläst im Norden. Knapp ein Jahr nach der Eröffnung steht das Projekt, in
dem 140 Millionen Euro Steuer-gelder stecken, vor der Pleite.Wirbelsturm auf
KnopfdruckWie gut, dass Bremen mit dem "Universum Science Center"
Besseres zu bieten hat: Wissenschaft als Erlebnis im Bauch eines Wals. So
sieht der Bau von außen aus. Hier werden auf Knopfdruck Erdbeben simuliert
und Wirbelstürme erzeugt. Die Wunder des Lebens sind an über 200 Exponaten
und Experimentierstationen mit Händen zu greifen. Eine Digitalanzeige verfolgt
auf bis zu sechs Stellen hinter dem Komma die Verschiebung der
Kontinentalplatten zwischen Bremen und New York (drei Zentimeter pro Jahr).
Hören, Tasten, Riechen, Sehen: Die Welt der Sinne begeisterte in nur zwei
Jahren seit der Eröffnung eine Million Menschen. Erwachsene zahlen zehn,
Kinder (ab sechs) sechs Euro Eintritt; ein Familienticket kostet 26 Euro.
Kinder sind unempfindlicherAber auch "schneller, höher, weiter" funktioniert
immer noch. Die jüngste Attraktion bietet das "Legoland" im bayerischen
Günzburg: Industrie-Roboter wirbeln Menschen in Metallkörben durch die Luft.
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Besucher können zwischen verschiedenen Einstellungen wählen und per
Knopfdruck selbst bestimmen, wann es ihnen schlecht wird. Auf den Kopf
gestellt, in die Waagrechte befördert, im Kreis gedreht, will man nach wenigen
Sekunden nur noch raus, kann aber nicht. Also einmal und dann nie
wieder.Kinder sind unempfindlicher auf diesem "Bionicle Power Builder".
"Bionicle" ist ein Fantasy-Held mit drehbaren Armen, ein Verkaufsschlager unter
Kindern ab vier. Im "Legoland" gibt es die Figur an jeder Ecke für (zu) viel Geld,
der Park ist eine Art Dauerverkaufsausstellung. Kundenbindung von klein auf,
davon kann die klassische Werbung nur träumen. Den Günzburgern brachte
"Lego" 130 neue Arbeitsplätze. "Europa-Park" war MärchenwaldDer weltweit
erste kommerzielle Freizeitpark wurde im 17. Jahrhundert in London eröffnet. In
den "Vauxhall Pleasure Gardens" ergötzten sich reiche Engländer am Anblick
von Zwergen und siamesischen Zwillingen. Ludwig II., Bayerns Märchenkönig,
ließ auf dem Dach seiner Münchner Residenz vor einer Himalaja-Kulisse einen
See anlegen, in Sachsen machte August der Starke Dresden zu seiner
Spielwiese. Zwischen den Elbschlössern schaukelten Gondeln, im
Wassergraben vorm Moritzburger Jagdschloss wurden Seeschlachten
nachgestellt. In Hamburg präsentierte Zoogründer Karl Hagenbeck Ende des 19.
Jahrhunderts Tier- und Menschenshows. Nach dem Zweiten Weltkrieg
entstanden viele Märchenparks.
Der "Europa-Park", Marktführer im Erlebnisgeschäft, war auch einmal ein
Märchenwald. Im badischen Städtchen Rust präsentiert die 200 Jahre alte
Karussellbau-Firma Mack in achter Generation ihren Fuhrpark. 3,6 Millionen
Menschen kommen jedes Jahr, mehr Besucher hat in Deutschland nur der Kölner
Dom. Die Macks machen ein Drittel des Gesamtumsatzes aller deutschen
Freizeitparks. 3000 Menschen arbeiten hier, darunter 160 Artisten. Der Park hat
eine eigene Autobahnausfahrt, und alle Welt war schon da: Präsidenten und
Kanzler und Minister des Äußeren, Promis aus Funk und Fernsehen. Global
Players laden ihre Manager zu Seminaren, in den Pausen geht's auf
Wildwasserfahrt. Fünf Stunden für alle ShowsRoland Mack, 54, lässt in seinem
Theater Shakespeare spielen und in einer Arena Gladiatoren auflaufen. Er
spricht von "großer Erlebnisdichte in kompakten Zeitabschnitten". Wer alle
Shows mitbekommen möchte, braucht fünf Stunden. Gartenfreunde staunen
über Bananenstauden, Korkeichen und Olivenbäume - sie stehen im Humus mit
Fußbodenheizung. "Wir konkurrieren mit Mallorca", sagt Mack. Als Kind war er
Testfahrer auf Papas Fahrgeschäften, heute träumt der Ingenieur "von einer
Achterbahn, die man selbst steuern kann". Die Macks beliefern sogar
"Disneyland" mit ihren Schleudermaschinen. Ihr "Silver Star" gilt als Europas
schnellste Achterbahn. Sie beschleunigt in fünf Sekunden auf 130
Stundenkilometer. Und garantiert 35 Sekunden Airtime. Airtime? Na ja, die Zeit,
in der sich das Gefühl der Schwerelosigkeit einstellt, wenn man sich nicht vorher
in die Hose macht.
Die Mauern sind aus SteinWer gern das grosse Rad dreht, entdeckt an der
französischen Grenze ein Eldorado. Die Macks hatten sich vor 30 Jahren
entschieden, die Unterhaltung europathematisch aufzubereiten: Die Niederlande
sind dabei mit großen Kaffeetassen, die sich um die eigene Achse drehen. Die
Schweiz mit Bobbahn und Almhütte. Russland tritt mit Ikonenmalern an. Spanien
lädt ins Burghotel "Castillo Alcazar" mit prachtvollen Springbrunnen und
Monumentalkronleuchtern. Deutsche Heimwerker klopfen anerkennend die
Wände ab; die Mauern sind aus Stein und nicht aus Pappmaschee wie vielleicht
in Amerika. Rudolf Mack sagt, sein Europa solle so echt wie möglich sein. Die
neueste Erfindung ist ein römischer Palast mit toskanischem Marktplatz à la
Siena und Blick auf die Reste des Colosseums. An guten Tagen wollen 22.000
Menschen in Macks Manege. Viele stehen länger in der Warteschleife als vorher
im Stau an der Autobahnausfahrt. An solchen Tagen lohnt es sich, auf andere
Parks auszuweichen. Der "Holiday Park" in Hassloch zum Beispiel, Richtung
Speyer, hat auch eine erstklassige Achterbahn. Hier muss man sich für zwei
Minuten Spaß nicht eine Stunde gedulden und kann seinen Körper trotzdem
immer wieder vierfacher Erdbeschleunigung aussetzen. Um sich anschließend im
historischen Pferdekarussell aus dem Jahr 1879 zu erholen. Knallharte
KonkurrenzIn Hassloch und Rust haben noch alte Schausteller-Familien das
Sagen. Doch die Aufrüstung der vergangenen Jahre treibt viele Parkbesitzer an
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den Rand ihrer Möglichkeiten. Sie müssen jedes Jahr Millionen Euro investieren,
damit sie nicht den Anschluss verlieren. Ein so genannter Freifallturm kostet 7,5
Millionen Euro, eine gute Achterbahn leicht das Doppelte. Konzerne drängen ins
Geschäft. "Fort Fun" im Sauerland gehört jetzt einer französischen Gruppe, den
"Heide-Park" in Soltau haben die Tussauds übernommen, bekannt geworden mit
Wachsfiguren in London. "Warner Brothers" kauften sich im Ruhrpott ein.
Autokonzerne entwerfen Anlagen rund um die eigene Marke, Volkswagen in
Wolfsburg, BMW bald in München. In Krefeld plante das US-Filmstudio Universal
gemeinsam mit Thyssen Krupp ein "International Entertainment Center" für 850
Millionen Euro. Was einst als harmloser Spaß begonnen hat, ist knallhartes
Geschäft geworden. Reisen in die gute alte ZeitWer nicht den ganzen Tag im
Kreis gedreht oder auf den Kopf gestellt werden will, kann es in einer fast
vergessenen Welt ruhiger angehen lassen. Die deutschen Freilichtmuseen bieten
in fast jeder Region der Republik Reisen in die manchmal sogar gute alte Zeit
an. Eines der schönsten Museen findet sich in Molfsee bei Kiel. Hier entstand ein
Bullerbü mit alten Bauernhöfen aus ganz Schleswig-Holstein. Mütter können
Butter stampfen, Väter bauen mit Lehm. Und die Kinder spielen mit Holzstücken
und Astgabeln.Am beliebtesten ist der historische Jahrmarkt mit Holzpferdchen
und - Kettenflieger.
Ulrich Hauser
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