Auf Bilder mit Bildern reagieren – Wie sich Kinder ihre Vorstellungen

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Auf Bilder mit Bildern reagieren – Wie sich Kinder ihre Vorstellungen
Tilman Rhode-Jüchtern
Auf Bilder mit Bildern reagieren –
Wie sich Kinder ihre Vorstellungen ‚bilden‘“
Ein kleiner Bericht aus dem pädagogischen Mustopf
Beginnen wir unser Thema mit einer Dada-Vorstellung: „Ein Zweijähriger sieht Deutschland“.
Wären dies Bilder aus der Kinder-Psychiatrie, könnte man themenzentriert darüber
spekulieren: Missbrauchs- oder Hungererfahrungen, Lust auf den neuen Buntstiftkasten,
Stolz der Eltern etc.
„Das hast Du aber schön gemalt! – Was soll das denn sein?“ – man kennt diese
interpretatorischen Inversionen auch aus dem Kindergarten.
Da wir heute an geographiedidaktischen Abgründen stehen, ist nach unserem Präkonzept
klar, was die Bilder darstellen („sind“): „Harz, Schwarzwald, Hunsrück & Co“. Es könnte so
gesehen auch etwas mit „Glazialer Serie“ sein, schon damals in der Grundschule, jedenfalls
für mich, nur ein Schulwort.
Bilder aus Absurdistan. Oder in der Dada-Version: „Ceci n’est pas une pipe!“ lautet die
Unterschrift unter dem bekannten Bild von Renè Magritte.
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Selbstgemalte Bilder von Kindern können trotzdem ein Medium zu sein, in dem sie selbst mit
Erwachsenen in eine Kommunikation treten können, die valider ist als die verbale Sprache
und das, was ihr im Kopf vorausgeht. Die Wohlgeformtheitsansprüche an Sprache sind
jedenfalls rigider als die an eigene Bilder; Erwachsene können meist elaborierter sprechen
als malen. Insofern könnten Bilder für Kinder und Erwachsene ein tertium unter den
Kommunikations-Medien sein. Bilder können aber auch ein Einfallstor in den Kopf der Kinder
sein, weil Erwachsene hier Dinge zu sehen kriegen, die sie über Sprache nicht erfahren
würden oder die sie völlig eigenmächtig (um)deuten können.
Wenn man z.B. ein Kind fragen würde: „Wie hast Du Fukushima erlebt?“ würde man
vermutlich komplett am Schweigen oder Stammeln scheitern. Lässt man Kinder dagegen frei
malen, hat man jede Menge Material für ein Forschungsprojekt, z.B. „Wie Kinder die
Ereignisse in Japan wahrnehmen“
(www.br-online.de/jugend/izi/deutsch/forschung/ereignisse_dr.htm)
Der Piper-Verlag dreht in einem neuen Buch den Spieß sogar noch um: Kinder fragen ihre
Eltern zum zehnjährigen Erinnerungstag: „ ‚Wo warst Du?‘ Ein Septembertag in New York“
(2011). So können auch Kinder eine Kommunikation beginnen und dazu ihre bildliche
Version beisteuern.
Diese Bilder erklären sich eigentlich selbst und müssen nicht unbedingt verglichen werden
mit einer „wahren“ ikonographisch-fotographischen Vorlage. Sie geben einen Aspekt der
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Sache wieder und eine subjektive Perspektive. Es könnte aber auch sein, dass die Kinder
durch die Dauerschleife der Film- und Foto-Bilder nicht mehr zu einer eigenen Perspektive in
der Lage sind, sie sind ihrerseits präformiert für eine bestimmte Lesart. Es wäre ja denkbar,
dass die Kinder nicht nur den Presseblick und –klick übernehmen, sondern die Menschen in
den Flugzeugen oder beim Sprung aus dem Fenster als Albtraum fokussieren oder etwas
ganz anderes. In der Gleichzeitigkeit von Zeichnung und Foto ist der Henne-Ei-Zirkel
jedenfalls nicht mehr aufzulösen und Alternativen werden gar nicht mehr gesucht.
Wenn man sich Jean Piaget als einem Klassiker der Pädagogischen Psychologie anvertraut,
stößt man unweigerlich auf das Stufenkonzept von Denkschritten und Mustern in der
kognitiven Entwicklung (übrigens einigermaßen unabhängig vom biologischen Alter) (Jean
Piaget: Das Weltbild des Kindes. München 1978). Der Mensch reagiert auf Einflüsse der
Umwelt, er passt sich an und nimmt Einfluss. Die Denkstrukturen und Gefühle sind aber für
andere Menschen nicht unmittelbar zu erkennen.
Ich möchte die bekannten 5 Stufen von Piagets Entwicklungsmodell für unsere Zwecke
erinnern: In Stufe 1 (Sensomotorisches Stadium, 0-2 Jahre) überwinden die Kinder langsam
den unmittelbaren Egozentrismus und können sich in die Perspektive anderer versetzen. Sie
akzeptieren dabei die Richtigkeit der Sichtweise der Erwachsenen; sie akzeptieren diese als
Erfahrung von Macht, nicht von moralischer Einsicht; sie ist kontrollgesteuert. In Stufe 2
(Präoperationales Stadium, 2-7 Jahre) wird das Elternregiment überwunden. Es entsteht ein
Gefühl von Gleichheit, Austausch, Vergeltung, Gerechtigkeit. Übergreifende Interessen wie
Gemeinschaft und Verhandlung stehen dabei aber noch nicht zur Debatte. In Stufe 3
(Konkretoperationales Stadium, 7-12 Jahre) wird an gemeinsame Interessen, an
Beziehungen, an soziale Anerkennung gedacht. Es entwickelt sich das Bewusstsein von
Tugenden und Konventionen und moralischen Urteilen. Hier entstehen demnach auch erste
Polyvalenzen, z.B. bei Entscheidungen zwischen Strafe und Hilfe. In Stufe 4
(Formaloperationales Stadium, 12 Jahre) beginnt die Erkenntnis und Bewertung auch
einer gesellschaftlichen Perspektive. In Stufe 5 (Methodenkritik) beginnt die kritische
Reflexion des eigenen Denkens und Tuns; Maßstab ist das Zusammenspiel von individuellen
und gesellschaftlichen Interessen.
Man kann nun als Erwachsener, als Lehrer Kindern Bilder zeigen oder abverlangen, um sie zu
einer bestimmten Einsicht zu bringe, etwa um ihre kognitive Entwicklung zu fördern. Wenn
ich z.B. ein Bild von einem hungernden Kind in Somalia zeige, stecken darin mögliche
Impulse für alle fünf Stufen.
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Das Bild an sich hilft mir als Erwachsenem und dem welt-lernenden Kind nicht zu einer
bestimmten Einsicht oder bestimmten kognitiven Entwicklung. Es muss also etwas dazu
kommen, um als Impuls für etwas zu wirken. Das Wahrscheinlichste oder Übliche ist, dass
der Erwachsene/ der Lehrer doch eine bestimmte Absicht hat und diese im Verborgenen
verfolgt.
Was könnte das sein bei dem Bild vom hungernden Kind?
 Dass es schlimme Schicksale gibt?
 Dass man spenden soll?
 Dass die Katastrophe menschen-/politikgemacht ist?
 Dass die Spenden versickern und in der Schweiz landen?
 Dass man in Afrika gar nichts machen kann?
 Dass die Hilfswerke einen Markt bedienen: „Dealing with the desaster of others“?
 Dass das Bild eine Inszenierung ist, zur „Somalisierung“ des Hungers, so wie vor
zwanzig Jahren die „Äthiopisierung“ des Hungers?
 Und so weiterweiterweiter.
Impuls
Ich möchte im Folgenden einladen in den pädagogischen Mustopf einer Projektwoche mit
10-jährigen Gymnasialschülern in diesem Sommer in Wien. Ich zeige einige dieser Schüler
mit ihrem Namensschild; diese Schilder enthielten, wie man sieht, nicht nur den Namen.
Bogdan z.B. stellt sich vor in einem kleinen Höllenfeuer. Mehr weiß man als Außenstehender
erst einmal nicht von den Kindern, aber immerhin. Bogdan, „der Serbe“!?
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Projekte haben ja bestimmte Merkmale, z.B. soll fachübergreifend, problemorientiert,
selbstgesteuert gearbeitet werden. Der Lehrer gibt nur einen thematischen Rahmen und
einen Impuls, damit ein kooperativer Arbeitsprozess in Gang kommt; er verändert teilweise
seine Rolle in die des Beraters oder Partners. Ich bin noch vorsichtiger vorgegangen und
habe als Impuls nur eine Irritation gesetzt: Bilder aus der Schock-Plakatserie von United
Colours of Benetton – Werbung mit Katastrophen.
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Die Schüler haben ein Dutzend dieser Bilder angesehen, nacheinander jeweils nur einige
Sekunden lang. In einem zweiten Durchgang sollten sie eine kleine Skizze zur Erinnerung
machen und den Bildern jeweils einen Namen/ ein Thema geben. Diese Aufgabe sollte nur
die Aufmerksamkeit schärfen und den nächsten Schritt einleiten: Darf man mit Katastrophen
und Leid von Mensch und Tier Werbung und Geschäfte machen? Als Katastrophen und Leid
würde/ sollte vermutlich herauskommen: Flüchtlinge, Gefangene, Aids etc.
Irritation
Mit der Skizze und der Namensgebung haben die Kinder aber Überraschendes produziert.
Ein Schüler schrieb z.B. unter das Bild mit den Handschellen „Wir werden niemals
auseinander gehn!“. Der gestempelte Po des Aidskranken erschien einer Schülerin (!) als
Busen. Und Ceyran aus türkischem Elternhaus hatte als Skizze zu dem Flüchtlingslastwagen
ein einzelnes Strichmännchen gezeichnet.
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Das Strichmännchen von Ceyran war mir aufgefallen, weil ich derweil neben ihr gesessen
habe, in der letzten Reihe, da, wo ein Lehrer im normalen Unterricht nicht hinkommt. Ihre
Nachbarin war krank und so war ein Stuhl frei. Zunächst einmal ungläubiges Erstaunen: Ein
Strichmännchen für einen Lastwagen voller Flüchtlinge? Ich entschließe mich zu einer
Nachfrage: Ist auf dem Plakat nur ein Mensch? Keine Antwort, aber eine Aktion: Ceyran malt
ein zweites Strichmännchen dazu. Erneute vorsichtige Nachfrage: Kannst Du auch einen
Lastwagen erkennen? Keine Antwort, jetzt aber noch zwei Kreise unter die zwei Männchen.
Meine Nachfragen haben die erste Skizze von Ceyran empirisch „verschmutzt“; sie hat
gezeichnet, was sie gezeichnet hat. Meine Aufgabe als Lehrer wäre zunächst einmal eine
Diagnose. Aber wie soll ich die herstellen, wenn ich nichts über den Innenkopf von Ceyran
weiß. Kann sie nicht malen? Hat sie die Aufgabe gar nicht verstanden? Hat sie die Aufgabe
durch die Nachfrage dann besser verstanden oder genauso eigen oder wenig wie zuvor (das
zweite Strichmännchen macht die Abbildung des Fotos ja nicht grundsätzlich reichhaltiger)?
Habe ich sie bei der zweiten Nachfrage nicht zum gewünschten Ergebnis getrieben:
„Lastwagen!“ Ist Ceyran vielleicht sogar durch eine eigene Flucht traumatisiert? Sieht sie nur
sich als Flüchtling, noch auf der egozentrischen auf der Vorstufe von Stufe 1 von Piaget?
Kann man überhaupt eine Stufe bestimmen, wenn ein Mensch gar nicht spricht – jedenfalls
nicht mit mir oder nicht in der Schule? Alles Spekulation, alles ohne Worte seitens der
Schülerin, keine Diagnose möglich. Außerdem: Einen solchen Einblick in das Tun einer
Schülerin bekommt ein Lehrer ja sowieso nur dann, wenn er den Prozess ganz von Nahem
begleitet. Niemand sitzt als Lehrer normalerweise neben Ceyran.
Und außerdem sind da noch eine Reihe weiterer ungewöhnlicher Deutungen des Bildes
durch das eigene Bild (vgl. Aids, Handschellen) bei anderen Schülern.
Das nenne ich „pädagogischen Mustopf“, weil hier alles mögliche eingekocht worden ist,
dunkel, zäh, ohne erkennbare Struktur. Wir fischen im Trüben, wenn wir überhaupt
anfangen, hier zu fischen. Leichter wäre es, wenn man nicht bei allen 25 Schülern hinsehen
und sich mit der erstbesten „richtigen“ Antwort zufrieden geben würde und dies ins
Schülerheft eintragen ließe:
„Die Katastrophen der Gegenwart: Flüchtlinge, Gefangene, Aids“
Gegenbilder
Die erste Impulsrunde war zwar für die Schüler (und Lehrer) anregend, irritierend,
widersprüchlich. Aber das führte nicht wirklich weiter. Die moralische Frage nach dem „Darf
man mit Elend werben?“ setzte ja eigentlich die 4. und 5. Stufe der kognitiven und
moralischen Entwicklung von Piaget voraus.
Plangemäß folgte dann eine zweite Runde, in der es nicht nur darum ging, ein Bild überhaupt
zu erkennen nach Inhalt und Abstraktion im Thema. Es ging bei der Posterserie von Diesel
darum, das „Global Warming Ready“ in der verfremdeten Form zu entdecken: Bekannte
Stadtzeichen im Meeresspiegel rund um den Globus und mitten darin schöne und junge
Menschen in Dieseljeans, alles klar!?
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Hier wurden die Kinder direkt aufgefordert, auf der Rückseite ihrer Farbkopie ein Gegenbild
zum selben Thema und Ort zu zeichnen. Damit dieses Gegenbild seine Deutung durch die
Schüler erhielt, sollten sie dazu eine SMS von 150 Zeichen formulieren. Und damit dies auch
„geographisch“ gedacht wurde, wurden im Internet diese Orte und dem Aspekt des
Klimawandels untersucht bzw. prognostiziert.
Die Folgen für Venedig wären dann nicht nur, dass anstelle der Tauben nun Papageien auf
dem Markusplatz herumliefen, sondern dass diese auch tropische Krankheiten
transportieren könnten. Die Folgen wurden widerständig sichtbar und wurden durch ein fact
finding konkretisiert, als ein phantasiertes und faktengestütztes Szenario. Dies gelang als
Übung, wohl auch deshalb, weil hier in Kleingruppen gearbeitet wurde. Sonst wären einzelne
Kinder wieder überfordert und auf den Rat des Lehrers angewiesen gewesen. Ceyran hatte
ihre Freundin wieder, ihre Sprachlosigkeit war unsichtbar geworden. Ob sie verstanden hat,
was sie machen sollte, weiß ich nicht. Auch die gebrochene Form des Bildes und des SMS8
Textes hielt dies im Verborgenen. Das heißt nicht, dass Ceyran kein Weltbild hätte, wir
wissen nur auf keine Weise, welches dies wäre und warum.
Drei Imaginationen
Nach den zwei Vorübungen ging es nun an ein abgeleitetes Thema. Nicht mehr die Frage, ob
man mit Katastrophen Werbung machen darf (incl. der Kategorie der Ironie und des
Zynismus), sondern die Erkenntnis, dass man alle Dinge von zwei Seiten sehen kann, war nun
in Sicht. Das ist zwar einerseits banal, aber andererseits von höchster Bedeutung.
Ich habe deshalb als Lehrer einen dritten Impuls gesetzt: Die Geschichte von der Maus und
der Falle. „Wie sieht eine Maus die Falle?“. Die Schüler korrigierten, dass die Maus die Falle
wohl nicht sieht, sondern riecht; aber klar war dann auch, dass sie nicht die Falle riecht,
sondern den Käse. Und wenn sie nur den Käse riecht und nicht die Falle dahinter, endet das
für sie grausam tödlich. Das haben die Kinder verstanden. Das war schon fast Hegel.
Ich dachte, mit dem imaginierten Bild von Maus/ Käse/ Falle hätten die Kinder etwas
Wesentliches verstanden: Alles hat zwei Seiten und man sollte beide Seiten beachten.
Ich wagte deshalb eine weiterführende Imagination: ich hielt einen Apfel hoch, er sah schön
aus. Dann aß ich ihn auf, da sah er nicht mehr wie ein Apfel aus. So kann man den Apfel
sehen: schön und schon so gut wie weg. Aber es gibt noch einen dritten Blick: Aus dem
Kerngehäuse kann wieder ein ganzer Baum entstehen. Man kann etwas so sehen, oder ganz
anders und noch einmal ganz anders. Das war eine einfache Erkenntnisschulung. Die Maus
und den Apfel werden die Kinder nicht mehr vergessen.
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Dann wurde ich übermütig und wollte die Probe aufs Exempel machen. Gleich nach dem
Apfel kam die Geschichte mit dem Fahrrad. Die ganze Zeit schon hatten sie über mein
Klapprad getuschelt, zumal ich es überall mit hinnahm. Die Geschichte geht so: „Heute stand
in der Zeitung, dass Forscher die Kosten fürs Autofahren und fürs Fahrradfahren verglichen
haben. Ergebnis: Das Fahrrad ist teurer. Wie kann das sein?“ Also: Wie kann man errechnen,
dass eine Fahrradfahrt teurer ist? Indem man die jeweils verbrauchte Zeit mitrechnet, 38 €
für die Stunde. Mal ist ein Rad schneller als ein Auto, meistens aber nicht. Also ist es teurer.
Die Kinder kamen nicht drauf, wie hier eine Wirklichkeit konstruiert wird, nach dem alten
Motto von Statistikern: „Was soll den rauskommen?“. Ich habe es ihnen erklärt und dann
gefragt, wie man diese Rechnung auch widerlegen könnte. Antwort könnte sein: „Dafür
spare ich aber Zeit und Eintritt fürs Fitness-Studio, also ist das Fahrrad billiger.“ Dies
Imagination, diesen Transfer und diese Manipulation an den Parametern haben die 10Jährigen nicht alle verstanden. Ich beließ es also bei der Maus.
Erkenntnis: Das Dritte Auge
Dass die Kinder die Imagination vom Apfel verstanden hatten, konnte ich zwar nicht direkt
nachfragen, aber dann doch nachzählen. Für die geplante Ausstellung wurde nämlich ein
Titel gesucht; aus zwanzig Vorschlägen wurde einer mit großer Mehrheit gewählt: „Das
Dritte Auge“. Man könnte meinen, ich hätte hiermit eine Hommage an Antje Schneider
veranstalten wollen, aber die Idee und die Entscheidung kam allein von den Kindern – naja,
nicht ganz allein: ich hatte ja zuvor die drei Apfel-Aspekte erzählt und sie waren offenbar in
der Vorstellung angekommen.
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Das Projekt
„Dark & Light – Das Dritte Auge“
Eine Maus sieht nur den Käse, aber nicht die Falle.
Wir müssen lernen, den Käse zu sehen und die Falle.
Wir müssen immer fragen: „Was steckt dahinter?“
Alles hat zwei Seiten, manchmal auch drei:
Licht und Schatten und Folgen.
Nach der Lust auf den Käse
kann die Katastrophe kommen.
Wir haben Gegenstände ausgewählt und zeigen ihre
zwei (oder drei) Seiten. Wir betrachten sie mal mit
der sonnigen und mal mit der finsteren Brille.
Wir haben verschiedene Orte auf der Welt ausgewählt,
einmal mit Glitzer und einmal mit Gefahr.
Wir haben sie an ein Mobile gehängt.
Die Orte drehen sich von selbst zwischen Licht und
Schatten, und sie sind alle verschieden.
Das ist alles. Aber das ist schon sehr viel.
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Die Präsentation
Die Kinder waren jetzt voll an- und aufgeregt; und sie sollten ihre Energie kreativ und
weiterführend einsetzen. Deshalb habe ich das Format vorgegeben und erläutert: Wir
machen eine Ausstellung mit mehreren Abteilungen. Die erste Abteilung ist ein Mobile,
daran hängen die Städtebilder vom Klimawandel und auf deren Rückseite die Gegenbilder
der Kinder mit ihren SMS-Botschaften. Darunter gibt es eine Abteilung mit Gegenständen,
die in ihren zwei Seiten vorgestellt werden. Die Kinder gingen mit Feuereifer auf die Suche,
was man denn wie in zwei Seiten darstellen könnte.
Eine Kleingruppe kam sofort angerannt, ob man auch ein Tempotaschentuch nehmen könne.
Ich habe das natürlich erlaubt und in kürzester Zeit war ein Papiertaschentuch mit drei
Farben vollgemalt: Gelb, Grün und Rot. Ein Schüler sagte dazu: „So sieht das bei mir auch
immer aus, mit Blut.“ Das ist mehr als Klamauk; in der interkulturellen Erziehung kann man
lernen, dass ein Chinese zwar gerne auf den Boden rotzt, aber niemals diesen Rotz zurück in
die Hosentasche stecken würde. Wir halten uns also gegenseitig für Ferkel, mit den gleichen
zwei Bildern, aber einer inversen Bedeutungszuweisung.
Die Dosen
Die Erde ist ein wichtiger Planet für uns –
weil wir auf der Erde leben.
Die Welt wurde nicht erschaffen,
dass wir sie wie eine Müllkippe behandeln.
Wie können wir das verhindern?
Auf der linken Seite ist eine Red-Bull-Dose im Müll.
Auf der rechten Seite ist eine Red-Bull-Dose neben den Müll geschmissen.
Welche ist besser?
Eigentlich brauchen wir sie nicht.
Wir können auch aus Flaschen trinken.
Also verbrauchen wir keine Dosen.
Danke.
Ömer, Arkan, Jan und Bogdan
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So ging das dann weiter: Ein vertrockneter Blumentopf schaffte es auf die Titelseite, als Müll
und als Land-Art; eine RedBull-Dose vorher –nachher wurde interpretiert; ein trockener
Lavendelzweig enthielt entsprechend dem Text eine verborgene Eigenschaft: „Riechen Sie
mal!“
Die große Probe aufs Exempel, wie Kinder über das Herstellen von Gegenbildern die Welt
aneignen können, war dann der Besuch der Eltern und einer Abiturklasse zur Ausstellung.
Jeder Gegenstand wurde von zwei Schülern betreut und erläutert, wenn danach gefragt
wurde. Die Geschichte von der Maus war Titelgeschichte geworden, jeder Zuschauer musste
also „nur“ den Transfer nachvollziehen.
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Die Präsentation dauerte eine ¾ Stunde, fand also offenbar großes Interesse und erzeugte
Gespräche, sonst wäre man ja nach zwei Minuten durch gewesen. Und die ‚Städtebilder mit
dem Klimawandelt drehten sich die ganze Zeit von selbst im Wind, „vorne“ und „hinten“ gab
es nicht mehr und alle Bilder drehten sich miteinander und in einem eigenen Tempo.
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Nur ob Ceyran bei der Präsentation zu ihrem Gegenstand ein Wort gesagt hat, weiß ich
nicht. Es waren so viele Menschen im Raum. Ich weiß nicht, ob sie etwas verstanden hat, ich
habe sie wieder aus den Augen verloren, im pädagogischen Mustopf.
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