einar schleef
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einar schleef
Einar Schleef BLACK SABBATH Daß eine Deutung von GETHSEMANE in der deutschen Opernliteratur nur zu einer WOLFSSCHLUCHT werden kann, erkannte Weber und komponierte damit die deutscheste Opernszene, zugleich die modernste, man vergleiche das Mißverhältnis dieser Szene zum Gesamtgefüge. Daß sie zeremoniell aufgebaut ist, daß die Zeremonie selbst Höhepunkt ist, daß »ein messeartiger Aufbau durch die Bäume stürmt«, konnte Wagner nicht überbieten, konsequent setzt er Heiligen Wald und ÖkoKüche dagegen, die sich im Burginnern als Blutküche entpuppt. Black Sabbath. Webers FREISCHÜTZ ist eine Ausnahmeerscheinung, da er die Existenz der Gegenwelt behauptet, weder Ironisierung noch Distanz zuläßt, sondern sie als dauernd anwesend und wirksam begreift. Der WOLFSSCHLUCHT wie dem 2. Teil des OSTERSPAZIERGANGMonologs ist gemeinsam, daß sie wenig geliebt werden, doch ihre Existenz bestätigt, daß es Autoren vermochten, gegen den Theatertrott anzurennen, wenn auch nur auf dem Papier. Ihren Interpreten kann es Aufgabe sein, die Stafette dieses Anrennens aufzunehmen, oft in »durchaus verwandelter Gestalt«, oft mit konträrer Ausrichtung, um die Furcht vor der Gegenwelt zu bewältigen, um nicht in ihr zu versacken. Ein Versacken in unterminierten, verkommenden Äckern, wie in VOR SONNENAUFGANG. Mit der WOLFSSCHLUCHT komponierte Weber die Gegenwelt, die schwarze Seite der Deutschen. Er mildert nicht die Folgen des Krieges, sondern macht ihn für die Übermacht des Bösen verantwortlich, geht in seiner Beschwörung noch einen Schritt weiter, alarmiert die Natur, ruft sie sich zu Hilfe, übernimmt damit eine Position der Kriegsführung, so wie Kutusow mehr auf den »Russischen Winter« als auf seine Soldaten schwor, um Rußland von Napoleon zu befreien. Die Natur bleibt im FREISCHÜTZ dämonisch, will nicht gefügig zur Fototapete werden. Düster und grausam lockt sie Männer in ihre Idyllen, die in ihnen das erleben, was Mephisto und Faust als Eingang in die WALPURGISNACHT bevorsteht. Wagner verteidigt Webers nationale Position, wird sein Propagandist, ähnlich wie Heine, der Berlin in einem FREISCHÜTZ-Fieber erlebt. Noch in seinem FAUST-Ballett läßt sich die Erschütterung nachweisen, die bis heute vom FREISCHÜTZ ausgeht, nur, daß heutige Interpreten die WOLFSSCHLUCHT als historisch überholt, als folkloristisches Relikt abwerten. Eine Fehleinschätzung, die bewußt die Zeit der Entstehung, die Nachwirkungen der Befreiungskriege ignoriert, nur den Komponisten des JUNGFERNKRANZES akzeptiert. Daß Wagner Weber und die Wirkung seiner Oper in nachnapoleonischer Zeit als deutschen Behauptungswillen, als Widerstand, als nationale Tat feiert, mindert nicht die Bedrohung, die von der WOLFSSCHLUCHT ausgeht, sondern läßt sie in einem zwiespältigen Licht erscheinen. Diese Beunruhigung nutzt Wagner geschickt, seine politische Propaganda dient mehr seiner eigenen Durchsetzung, seinen antisemitischen Angriffen. Wagner reklamiert Beethoven und Weber als seine Ahnherren und feiert am Sarg Webers ein Totenfest. Wagner initiiert die Überführung des im Ausland gestorbenen Weber und dessen Beisetzung in heimischer Erde. Daß Weber ein »Teufelskerl« war, erkannte angeblich schon Beethoven, daß aber die WOLFSSCHLUCHT Teil des deutschen Wesens ist, erkannte erst Wagner. Weber kriegt nach FREISCHÜTZ keine Oper mehr hin, komponiert weiter, trotzdem kann er den erreichten Standard nicht halten. In der ungeminderten Behauptung des Bösen aber ist Weber unerreicht. Goethe, Webers Vorbild, hat bis zuletzt seine WALPURGISNACHT abgemildert, die Gesamtwirkung von Himmel und Hölle geschwächt. Die Diskrepanz zwischen den humanistischen Ideen, die Weber mit Eremit und gutem Fürsten behauptet haben soll, und der Welt der WOLFSSCHLUCHT ist brutal. Das, was allgemein aus dieser Oper bekannt ist, sind ihre Schnulzen, ihre folkloristischen Volksduseleien. Daß der Kern dieses Werkes tragischer Natur ist und bis zum Schluß durchgehalten wird, findet man auf der Bühne nicht mehr. Daß sich rein musikalische Interpretationen nicht zur Schwärze bekennen, gehört zu den Zugeständnissen, die der Musikindustrie gemacht werden. Man will keinen Zuhörer erschrecken, genauso wenig wie einen FIDELIO-Zuschauer. Scharen würden das Opernhaus verlassen, das Fidelio in einem Gefängnis zeigt, nicht in einer Pappdekoration, sondern in einer künstlerischen Definition. WOLFSSCHLUCHT. Der ehemalige Söldner Kaspar ist zurück, doch Agathe hat inzwischen Max. Der Konflikt ist da, unlöslich. Kaspar, noch vom Krieg besetzt, transportiert ihn, führt ihn zu Hause weiter, wird von ihm verfolgt. Max, der unmännliche, dressierte Mann, ist von ihm angezogen, neidisch und kleinmütig. Der animalische Kaspar ist verfallen, Samiel, der ihm auch im Krieg beigestanden hat, ein Gotteufel der Natur und des Krieges, besitzt seine Seele. Aber Kaspars Lebensfrist ist abgelaufen. Um nicht sterben zu müssen, bringt er Samiel Max als Opfer: Furchtbare Waldschlucht, größtenteils mit Schwarzholz bewachsen, von hohen Gebirgen rings umgeben. Von einem derselben stürzt ein Wasserfall. Der Vollmond scheint bleich. Zwei Gewitter von entgegengesetzter Richtung sind im Anzug. Weiter vorwärts ein vom Blitz zerschmetterter, ganz verdorrter Baum, inwendig faul, so daß er zu glimmen scheint. Auf der anderen Seite, auf einem knorrigen Ast, eine große Eule mit feurig rädernden Augen. Auf anderen Bäumen Raben und anderes Waldgevögel Unsichtbare Geister von verschiedenen Seiten. Kaspar ohne Hut und Oberkleid, doch mit Jagdtasche und Hirschfänger, ist beschäftigt, mit schwarzen Feldsteinen einen Kreis zu legen, in dessen Mitte ein Totenkopf liegt, einige Schritte davon der abgehauene Adlerflügel, Gießkelle und Kugelform Samiel erscheint. Die Uhr schlägt ganz in der Ferne Zwölf. Der Kreis von Steinen ist beendet; Kaspar wirft sich vor Samiel nieder. Samiel ist beruhigt, verlängert Kaspar die Lebensfrist. Schon klettert das Opfer Max in die Schlucht, umringt von Warnerscheinungen. Zuerst seine Mutter im Sarg, die ihm zuwinkt, wie Titurel sich segnend aus dem Sarg erhebt, doch die Mutter verwandelt sich in Agathe, die, wie eine Ophelia im Wahnsinn zugerichtet, in den Wasserfall springt. Dann verfinstert sich der Mond. Max, zu feige der Erscheinung zu folgen, wird Kaspars Gehilfe. Sie gießen die 7 Freikugeln, deren letzte Agathe töten soll: Die Masse in der Gießkelle fängt an zu gären und zu zischen und gibt einen grünlichweißen Schein. Eine Wolke läuft über den Mondstreif, daß die ganze Gegend nur noch von dem Herdfeuer, den Augen der Eule und dem faulen Holz des Baumes beleuchtet ist. Waldvögel kommen herunter, setzen sich um den Kreis, hüpfen und flattern: Ein schwarzer Eber raschelt durchs Gebüsch und jagt wild vorüber. Ein Sturm erhebt sich, beugt und bricht Wipfel der Bäume, jagt Funken vom Feuer ... Hundegebell und Wiehern in der Luft, Nebelgestalten von Jägern zu Fuß und zu Roß, von Hirschen und Hunden ziehen auf der Höhe vorüber Der ganze Himmel wird schwarze Nacht, die vorher miteinander kämpfenden Gewitter treffen zusammen und entladen sich mit furchtbaren Blitzen und Donnern, Platzregen fällt, dunkelblaue Flammen schlagen aus der Erde, Irrlichter zeigen sich auf den Bergen, Bäume werden prasselnd aus den Wurzeln gerissen, der Wasserfall schäumt und tobt, Felsstücke stürzen herab, von allen Seiten Wettergeläut, die Erde scheint zu wanken. Kaspar zuckend und schreiend: Samiel! Samiel! Er wird zu Boden geworfen, Hilf! Sieben! Max gleichfalls vom Sturm hin und her geschleudert, springt aus dem Kreis, faßt einen Ast des verdorrten Baumes und schreit: Samiel! In demselben Augenblicke fängt das Ungewitter an, sich zu beruhigen, an der Stelle des verdorrten Baumes steht der Schwarze Jäger, nach Maxens Hand fassend. Samiel mit furchtbarer Stimme: Hier bin ich! Max schlägt ein Kreuz. Plötzliche Stille. Es schlägt Eins. Samiel ist verschwunden. Kaspar liegt noch mit dem Gesicht zu Boden. Max richtet sich konvulsivisch auf. In der WOLFSSCHLUCHT ist Kaspar Gurnemanz, Max Parsifal, dem der Opfer-Altar gebaut wird, vor dem dann der Opfernde in Heilserwartung in die Knie bricht. Max und Parsifal macht ein großer Vogel zu schaffen, Max erledigt einen Adler, Parsifal einen Schwan. Max: Ich schoß den Adler aus hoher Luft, ich kann nicht rückwärts - mein Schicksal ruft! Parsifal: Gewiß! Im Fluge treff ich, was fliegt. Parsifal ist unbeirrter als Max, die Blumenmädchen sind entschiedener als die Brautjungfern, die vor dem sich ankündigenden Tod zurückschrecken. Grell heulen die Blumenmädchen aus ihren Betten, mit zart verhüllenden Schleiern und dem Gedankenmatsch behangen, dem sich in ihren Nestern sich wälzende Weiber hingeben, wenn der Mann früh auf Arbeit, hier zur Schlachtbank geführt wird. Ein unheilbarer Konflikt zwischen Mann und Frau tut sich auf, eine Erdspalte, deren Tiefe man ahnt, vor der man sich aber schnell zurückzieht, als töte schon der Pestgestank, der aus der Spalte ausbricht. Die im Finale nicht vollzogene Hochzeit, das Aufschieben der Heirat von Max und Agathe nach dem fehlgeschlagenen Probeschuß läßt nur befürchten, daß es nie zu einer Heirat kommen wird, nie zu einer Entjungferung. Daß der Eintritt in den Kreis der SamielAnrufung mit der Aufgabe der geschlechtlichen Zuneigung zu einer Frau verbunden ist, daß das Geheimnis der drei Männer wie ein tiefgreifendes sexuelles Erlebnis wirkt. Durch die inneren Veränderungen bedingt, bewegt sich Max im Finale wie unter Droge, scheint einer der Untoten geworden zu sein, eine der Erscheinungen. Der brave, nette, junge Mann ist ein Zerrbild, die Verkörperung des Todes. Max und der apathische Parsifal sind hier identisch. Auch das plötzliche Auftreten von Samiel scheint von Wagner mit dem Einsatz des Codeworts: Die Zeit ist da! bedacht worden zu sein. Wagner verwendet das Codewort* zweimal text und notenidentisch, einmal in einer Variation. Trennt man sich vom fixierten Handlungsverlauf und setzt die jeweiligen Szenen neu am Codewort zusammen, so ergibt sich ein anderer Handlungsverlauf, das plötzliche Eindringen Klingsors in die Gralswelt, so wie Kundry nach einem der Wesendonk-Briefe aus der Gralswelt in die Klingsorwelt stürzt. Im FREISCHÜTZ beendet der Eremit das »unchristliche« Probeschießen, das sich danach nicht wiederholen wird. Der Fürst, der Recht und Ordnung wieder einsetzen will, sieht im Eremit Unterstützung und stimmt deshalb zu, obwohl damit seine eigenen Rechte beschnitten werden. So einstimmig wie hier Kirche und Staat agieren, so einstimmig fällt das Volk in den Lobpreis Gottes ein, macht aus einer »romantisch schönen Gegend« ein Bethaus und erfüllt jeden Deutschen mit Freude. Selbst ein Atheist ist in Bann geschlagen, steht er mit Caspar David Friedrich auf dem Felsen und sieht nicht unter dem nebelverhüllten Gebirge die Braune Suppe kochen. Was macht Gurnemanz im Wald? Zweimal beginnt ein Aufzug mit Gurnemanz im Wald, im »Tal mit See«, im »Tal mit Hütte und Quelle«. Wie groß Webers musikalischer Anteil an diesen Szenen ist, ergibt eine Partituranalyse, daß sich aber die Personen der WOLFSSCHLUCHT und die im Gralswald in ähnlicher Situation befinden, muß nicht vermutet werden, das sagt der Text. Der stöhnend hereingetragene, kranke König, sein schuldiger alter Knecht, der fröhliche Meisterschütze, das getötete heilige Tier, die Glocken. Die Versuchung, die hinter jedem Baum lauert. Die Grenze. die Bedrohung: Lebensgefahr. Der Heilige Bezirk, in dem man eingesperrt ist. Die Burg, die Zutritt nur den finden läßt, der unschuldig und rein ist. Weder König noch Knechte sind rein. Der Wald, die ganze Burg stinkt vom Blut. Die Wunde pestet. Der König, ein Jesus, fault lebendig.