Drs. 21/3221

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Drs. 21/3221
BÜRGERSCHAFT
DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG
Drucksache
21. Wahlperiode
21/3221
19.02.16
Schriftliche Kleine Anfrage
der Abgeordneten Karin Prien und Birgit Stöver (CDU) vom 11.02.16
und
Betr.:
Antwort des Senats
Tod eines Säuglings in der Zentralen Erstaufnahme am Rugenbarg
Rana, ein kleines syrisches Mädchen, das seit Ende Oktober 2015 mit ihren
Eltern und Geschwistern in der Zentralen Erstaufnahme (ZEA) am Rugenbarg gelebt hat, ist am 3. Februar im Alter von zehn Monaten im UKE verstorben. Es besteht der Verdacht, dass eine unzureichende ärztliche Versorgung in der ZEA und eine verspätete Einlieferung in ein Krankenhaus den
Tod des Mädchens verursacht haben. Die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Neben der strafrechtlichen Aufklärung des Todesfalles stellt sich auch die Frage, inwieweit organisatorische Abläufe in der
Erstaufnahmeeinrichtung und das durch den Senat implementierte System
der Gesundheitsversorgung in der Erstaufnahme im Zusammenhang mit dem
Todesfall stehen.
Dies vorausgeschickt fragen wir den Senat:
Der Senat beantwortet die Fragen unter anderem auf Grundlage von Auskünften des
Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) wie folgt:
1.
Seit wann war der verstorbene Säugling genau in der ZEA am Rugenbarg untergebracht?
Seit dem 24. Oktober 2015.
2.
Wann wurde der Säugling erstuntersucht und wann wurde er im weiteren
Verlauf des Aufenthalts in der ZEA in einer kinderärztlichen Sprechstunde und wann in einer allgemeinmedizinischen Sprechstunde vorgeführt
und untersucht?
Die Erstuntersuchung wurde am 24. Oktober 2015 durchgeführt.
In der Zeit zwischen dem 13. November 2015 und dem 31. Dezember 2015 wurde der
Säugling in der allgemeinmedizinischen Sprechstunde in der ZEA Rugenbarg insgesamt sechsmal vorgestellt. Hinzu kamen insgesamt drei sowohl kinder- als auch allgemeinärztliche Vorstellungen im Jahr 2016. Im Übrigen siehe Antwort zu 7.
3.
Wann findet in der Erstaufnahme am Rugenbarg eine kinderärztliche
Sprechstunde statt, wann findet eine allgemeinmedizinische Sprechstunde statt?
Eine kinderärztliche Sprechstunde in der ZEA Rugenbarg wird jeweils montags ab 15
Uhr angeboten. Diese Sprechstunde wird erst beendet, wenn alle Patientinnen und
Patienten gesehen wurden. Eine allgemeinmedizinische Sprechstunde findet montags
bis freitags regelhaft von 9 bis 17 Uhr statt. Je nach Behandlungsnotwendigkeiten,
Patientenaufkommen und damit einhergehender ärztlicher Einschätzung können die
Einsatzzeiten von der Regeleinsatzzeit abweichen. Die allgemeinmedizinischen
Sprechstunden enden zumeist zwischen 18 und 19 Uhr.
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4.
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Wer ist verantwortlich für die Organisation und Durchführung der ärztlichen Versorgung in der ZEA Rugenbarg und auf welcher vertraglichen
Grundlage?
Verantwortlich für die Organisation und Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in
der ZEA Rugenbarg ist grundsätzlich die Behörde für Inneres und Sport, die ihrerseits
das Bezirksamt Hamburg Altona mit der Durchführung beauftragt hat. Das UKE und
die Ambulanzzentrum des UKE GmbH (Ambulanzzentrum) unterstützen das Bezirksamt Hamburg Altona aufgrund vertraglicher Vereinbarung vom 22. Oktober 2015 seit
dem 01. November 2015 durch Einrichtung und Betrieb allgemeinmedizinischer
Sprechstunden in der ZEA Rugenbarg, um zur Entlastung des regulären Versorgungssystems eine „first-line Versorgung“ für Flüchtlinge anzubieten.
Die Durchführung der allgemeinmedizinischen Sprechstunden liegt in der Verantwortung des Direktors des Instituts für Allgemeinmedizin des UKE, zugleich Leiter des
Fachbereichs Allgemeinmedizin im Ambulanzzentrum.
5.
Wie viele Ärzte sind in der kinderärztlichen Sprechstunde, wie viele in
der allgemeinmedizinischen Sprechstunde beschäftigt? Über welche
Berufserfahrung verfügen jeweils die einzelnen in der pädiatrischen und
der allgemeinmedizinischen Sprechstunde beschäftigen Ärzte? Wie viele
Stunden arbeiten die Ärzte dort jeweils? Wie ist die Kontinuität der ärztlichen Versorgung gewährleistet?
Die montags halbtägig stattfindende kinderärztliche Sprechstunde wird durch einen
habilitierten Facharzt für Kinderheilkunde durchgeführt, der in das vom UKE und dem
Ambulanzzentrum entsandte Team der allgemeinmedizinischen Sprechstunde integriert ist. Die montags bis freitags täglich stattfindenden allgemeinmedizinischen
Sprechstunden werden jeweils durch einen Facharzt für Allgemeinmedizin durchgeführt, der durch jeweils einen Rettungsassistenten unterstützt wird. Die Behandlung
wird per EDV dokumentiert, es finden regelmäßige Besprechungen statt. Am Standort
Rugenbarg wird nach der medizinischen Sprechstunde ein Rettungswagen vorgehalten (montags bis freitags 16 bis 0 Uhr und samstags und sonntags 12 bis 0 Uhr), der
einen Sanitäts- und Rettungsdienst direkt vor Ort sicherstellt und in Notfällen die
Betroffenen auch direkt ins Krankenhaus fahren kann.
Im Übrigen siehe Antwort zu 3.
6.
Durch wen und wie werden vor Ort die kinderärztliche und die allgemeinmedizinische Versorgung in der Erstaufnahme am Rugenbarg verantwortlich organisiert? Gibt es ein Nummernsystem, das die Reihenfolge der Behandlung bestimmt? Wer gibt die Nummern aus? Wie wird
sichergestellt, dass schwer erkrankte Kinder und Erwachsene vorrangig
behandelt werden? Wer entscheidet darüber?
Es gibt kein „Nummernsystem“, vielmehr tragen sich die Patientinnen und Patienten
beziehungsweise Eltern in eine Liste ein. Es erfolgt wie in einer Praxis oder Notaufnahme eines Krankenhauses eine Dringlichkeitseinstufung, hier durch den Rettungsassistenten und den Facharzt. Notfallpatientinnen und -patienten sowie Kinder werden
grundsätzlich bevorzugt behandelt. Zusätzlich erfolgen tägliche Begehungen und
Behandlungen („Hausbesuche“) in der ZEA.
Im Übrigen siehe Antworten zu 3. und zu 4.
7.
Wann genau wurde das kleine Mädchen in den letzten zwei Wochen vor
seiner Einlieferung in eine Klinik kinderärztlich im Rahmen der pädiatrischen Sprechstunde und allgemeinmedizinisch untersucht? Wie viele
verschiedene Ärzte haben das Kind untersucht? Wie waren die jeweiligen Befunde? Welche Therapie wurde jeweils empfohlen?
In den letzten zwei Wochen vor der Einlieferung des Kindes ins Krankenhaus fanden
Untersuchungen im Rahmen der kinderärztlichen und der allgemeinmedizinischen
Sprechstunde in der ZEA Rugenbarg an drei Tagen statt, davon einmal durch einen
Facharzt für Kinderheilkunde sowie zweimal durch Fachärzte für Allgemeinmedizin.
Von der Übermittlung weiterer Details des Behandlungsgeschehens sieht der Senat
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aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht, aber auch angesichts des laufenden staatsanwaltschaftlichen Todesermittlungsverfahrens ab.
8.
Wann wurde das Kind in welche Klinik eingeliefert? Wurde das Kind in
die Kinderklinik in Altona gebracht? Wann wurde es in das UKE auf die
Intensivstation verlegt?
Das Kind wurde im November 2015 stationär im Altonaer Kinderkrankenhaus (AKK)
versorgt. In der Nacht vom 22. auf den 23. Januar 2016 wurde es erneut in das AKK
eingeliefert. In der Nacht vom 23. auf den 24. Januar 2016 wurde das Kind aus dem
AKK in das UKE verlegt und dort auf der pädiatrischen Intensivstation aufgenommen.
9.
Haben die Eltern gegenüber der Einrichtungsleitung, einem Sozialarbeiter oder dem Wachdienst oder einem der allgemeinmedizinischen Ärzte
die Untersuchung des Kindes durch einen Kinderarzt oder die Einlieferung in ein Krankenhaus gefordert?
Wenn ja, wann jeweils und wurde diesem Begehren der Eltern unverzüglich nachgekommen?
Wenn nein, warum nicht? Wie lange hat es gedauert, bis dem Wunsch
der Eltern nach Einlieferung des Kindes in ein Krankenhaus wegen der
mutmaßlich zum Tode führenden Krankheit dann tatsächlich nachgekommen wurde?
Am frühen Nachmittag des 22. Januar 2016 wurde zwischen den Eltern des Kindes
und der in der allgemeinmedizinischen Sprechstunde in der ZEA Rugenbarg diensthabenden Fachärztin für Allgemeinmedizin die Frage einer Einweisung des Kindes in
ein Krankenhaus besprochen. Zu dieser Zeit lagen nach Einschätzung der Ärztin Kriterien für eine Krankenhauseinweisung nicht vor. Eine Forderung der Eltern nach
Einweisung wurde nicht erhoben. Auch dem Betreiber der Unterkunft wurden keine
derartigen Forderungen gegenüber dem Betreiberpersonal bekannt.
Die Einlieferung des Kindes spät in der Nacht vom 22. auf den 23. Januar 2016 in das
AKK erfolgte aufgrund der sich im Nachhinein entwickelnden Verschlechterung des
Gesundheitszustandes des Kindes nach dem Ende der allgemeinmedizinischen
Sprechstunde durch die Besatzung des auf dem Gelände der ZEA Rugenbarg stationierten Rettungswagens.
10. Hätte nach Einschätzung des Betreibers und der Gesundheitsbehörde
der Tod des Kindes durch eine schnellere Einlieferung in ein Krankenhaus verhindert werden können?
Diese Frage ist Gegenstand eines noch laufenden Todesermittlungsverfahrens. Vor
dem Hintergrund ist eine Beantwortung derzeit nicht möglich.
11. Wie ist die gesundheitliche Versorgung von Kindern in der Erstaufnahmeeinrichtung am Rugenbarg und in den übrigen Zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen grundsätzlich organisiert? Wie können Eltern am
Rugenbarg und in den jeweiligen anderen Erstaufnahmeeinrichtungen
erreichen, dass ihr Kind von einem Kinderarzt in der Einrichtung oder,
soweit dort entweder grundsätzlich oder an dem betreffenden Tag keine
kinderärztliche Sprechstunde stattfindet, außerhalb der Einrichtung
untersucht wird?
Außerhalb der Zeiten der kinderärztlichen Sprechstunde treffen die in der allgemeinmedizinischen Sprechstunde eingesetzten Ärztinnen und Ärzte aufgrund ihrer fachärztlichen Kompetenz gemeinsam mit den Eltern beziehungsweise Sorgeberechtigten
eine Entscheidung über die weitere Behandlung. Sollte dies umgehend erforderlich
sein, erfolgt eine Überweisung zur/m Pädiater/in in eine Praxis oder, falls erforderlich,
in ein Krankenhaus. Im Übrigen siehe Antwort zu 12.
Im Übrigen gehört Kinderheilkunde zum Bestandteil der Medizinerausbildung. Insbesondere Allgemeinmediziner werden laut Weiterbildungsordnung der Hamburger Ärzte
und Ärztinnen zur „lebensbegleitenden hausärztlichen Betreuung von Menschen jeden
Alters bei jeder Art der Gesundheitsstörung“ ausgebildet.
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Zur grundsätzlichen Organisation der medizinischen Versorgung in den Erstaufnahmeeinrichtungen siehe Drs. 21/2248, 21/2467, 21/2561 sowie 21/1801.
Zur gesundheitlichen Versorgung in der ZEA Rugenbarg siehe Antworten zu 3., zu 5.
und zu 6.
12. Wer entscheidet grundsätzlich in der ZEA Rugenbarg und in den anderen Erstaufnahmeeinrichtungen, ob ein Kind wegen seines Gesundheitszustandes in eine Kinderklinik verbracht wird? Wie verhielt es sich im
konkreten Fall? Wie war der Gesundheitszustand des Kindes zu diesem
Zeitpunkt?
Grundsätzlich wird diese Entscheidung während der Sprechzeiten von den eingesetzten Ärztinnen und Ärzten getroffen. Am Standort Rugenbarg ist dies der Medizinische
Dienst des UKE. Im konkreten Fall bestand zum Zeitpunkt der Arztkonsultation in der
ZEA Rugenbarg keine Indikation zur stationären Einweisung.
In jeder Erstaufnahmeeinrichtung können sich die Bewohnerinnen und Bewohner zu
jeder Zeit auch an den Wachdienst oder das Unterkunfts- und Sozialmanagement
wenden, die in Notfällen den Rettungsdienst anfordern.
Im vorliegenden Fall wurde der betreibereigene Sanitätsdienst am 22. Januar 2016
um 23.30 Uhr vom Sicherheitsdienst zu dem Wohncontainer gerufen, da sich nach
Auskunft der Eltern der Zustand des Kindes nicht gebessert hatte. Der Rettungsdienst
beschloss daraufhin, das Kind in das AKK zu bringen.
13. Wie bewerten die Leitung der ZEA am Rugenbarg und der Senat die
Abläufe in der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung am Rugenbarg im
Zusammenhang mit dem verstorbenen Mädchen? Welche organisatorischen und systemischen Maßnahmen sollen ergriffen werden nach
Ansicht des Senats, um zukünftig solche Todesfälle zu vermeiden?
In den Erstaufnahmeeinrichtungen ist ein System medizinischer Betreuung eingerichtet, das grundsätzlich die notwendige ärztliche Versorgung vor Ort gewährleistet. Darüber hinaus besteht im Bedarfsfall die Möglichkeit, externe ärztliche Versorgung in
Anspruch zu nehmen. Das gilt auch für die ZEA Rugenbarg.
Vor dem Hintergrund des noch laufenden Todesermittlungsverfahrens wird von einer
Bewertung der Abläufe abgesehen. Ob gegebenenfalls organisatorische Veränderungen erforderlich sind, ist nach Vorliegen der Ermittlungsergebnisse zu bewerten.
14. Befindet sich die Familie des Kindes nach wie vor in der Zentralen Erstaufnahme am Rugenbarg? Welche Maßnahmen zur psychischen
Betreuung der Familie hat der Betreiber der Einrichtung beziehungsweise der Senat ergriffen oder beabsichtigt der Senat noch zu ergreifen?
Die Familie wurde in der Wohnung einer Kirchengemeinde untergebracht.
Die Familie wurde durch das Sozialmanagement des Unterkunftsbetreibers umfassend betreut. Darüber hinaus wurde die SCHURA – Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V. konsultiert, die sich der weiteren Betreuung angenommen
hat.
15. Wann und mit welcher Begründung wurde das Kind obduziert? Wann lag
das Obduktionsergebnis vor? Wann wurden die Eltern jeweils von dem
Tod des Kindes und vom Obduktionsergebnis informiert?
16. Welche Todesursache hat die Obduktion ergeben?
Das Kind wurde am 8. Februar 2016 auf Anordnung des Amtsgerichts Hamburg
obduziert. Die Anordnung wurde von der Staatsanwaltschaft beantragt, weil ein ärztlicher Behandlungsfehler nicht von vornherein auszuschließen war. Als Todesursache
wurde ein Multiorganversagen festgestellt. Die Ursache hierfür ist noch nicht geklärt.
Ein schriftliches Sektionsgutachten liegt noch nicht vor.
Die Mutter des Kindes wurde unmittelbar nach dem Tod des Kindes informiert. Innerhalb einer Stunde nach Versterben des Kindes fand unter Dolmetscherbeteiligung
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zudem ein ausführliches Gespräch mit der Mutter statt. Den Eltern wurde ein gemeinsames Abschiednehmen von dem Kind ermöglicht.
17. Wer organisiert die Beerdigung und kommt für die Kosten auf?
Die SCHURA Hamburg e.V. hat angekündigt, die Beerdigung zu organisieren.
Für Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die nicht selbst
dazu in der Lage sind, kommt die Freie und Hansestadt Hamburg nach den Vorschriften des Asylbewerberleistungsgesetzes für die Kosten auf.
18. Wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet?
Wenn ja, wann und gegen wen wird ermittelt?
Es wurde ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet um festzustellen, ob Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden an dem Tod des Kindes vorliegen. Der für die Einleitung
eines Ermittlungsverfahrens gegen eine bestimmte Person erforderliche Tatverdacht
liegt derzeit nicht vor.
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