Sexualisierte Gewalt im Internet (Dr. Anna Grebe)1

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Sexualisierte Gewalt im Internet (Dr. Anna Grebe)1
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Sexualisierte Gewalt im Internet (Dr. Anna Grebe) 1
1) Wo halten sich Kinder und Jugendliche online auf? Drei Thesen. 2
I. Medium Nr. 1 ist gerade bei Jüngeren noch das Fernsehen.
99% aller Haushalte, in denen Kinder und Jugendliche leben, sind mit einem TV-Gerät
ausgestattet. Die Medienbindung bei 6- und 7-jährigen Kindern ist beim Fernseher am
Höchsten (und sinkt mit zunehmendem Alter zugunsten des Internets von 80 auf 36%); bei
Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren sinkt sie langsam auf knapp 50%, während das
Internet mit knapp 90% Spitzenreiter ist. Kinder schauen durchschnittlich 93 Minuten am
Tag fern, Jugendliche 113 Minuten.
Fazit: Der Konsum von Medien steigt, während Interaktion mit Medien mit dem Alter
wichtiger wird.
II. In Deutschland herrscht (theoretisch) digitale Vollabdeckung.
98% aller Kinder und Jugendlichen zwischen 6 und 19 haben zuhause Zugang zum Internet.
Jugendliche nutzen häufiger das Smartphone als den Laptop oder Computer (ca. 90%
Smartphone bei steigenden Zahlen und ca. 75% Laptop bei sinkenden Zahlen); Kinder nutzen
häufiger noch den Laptop oder den PC als das Smartphone, was daran liegt, dass Kinder
seltener noch ein Smartphone besitzen, es aber wahrscheinlicher ist, dass sie im
Erzieherhaushalt Zugang zu einem PC haben.
Fazit: Bei Jugendlichen ist es wahrscheinlicher, dass sie mobil ins Netz gehen als bei Kindern.
III. Mit zunehmendem Alter gewinnt sozio-mediale Interaktion zwar an Bedeutung, nicht
aber unbedingt Facebook.
Am Beliebtesten sind unter Kindern Online-Tätigkeiten wie Suchmaschinen nutzen (ca. 70%),
Filme/Videos anschauen (ca. 55%), Kinder-Seiten nutzen (ca. 50%), Communities (ca. 49%),
drauflos surfen (ca. 43%), chatten (ca. 40%). Unter Jugendlichen sind besonder Plattformen
wie Youtube (61%), Facebook (36%), Whatsapp (29%) beliebt, weniger beliebt sind Google
(14%), u.a. Skype (2%). Für junge Menschen sind insbesondere Messaging-Service wie
Whatsapp, Threema, Viber, Telegram und Co. relevant.
Fazit: Profilspezifische Kommunikation nimmt ab, persönliche und über die
Mobilfunknummer laufende Kommunikation nimmt zu, ergo ist es wahrscheinlicher, dass die
Nutzer_innen sich auch wieder eher persönlich kennen.
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Bei Verwendung des Materials im Kontext von Jugendarbeit bitte folgende Quelle angeben: Grebe, Anna:
Zusammenfassung des Workshops „Sexualisierte Gewalt im Internet“, in: Dokumentation des DBJR-Fachtages
„Was du nicht willst…“, Würzburg, 23.6.2016.
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Quellen: KIM Studie 2014 (Kinder + Medien, Computer + Internet) & JIM Studie 2015 (Jugend, Information,
(Multi) Media), beide online verfügbar unter www.mpfs.de (Medienpädagogischer Forschungsverbund
Südwest).
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2) Wo erfahren Kinder und Jugendliche sexualisierte Gewalt im Internet?
I. Pornographie - Grenzfragen im Jugendmedienschutz
Szenario: Kind findet zufällig oder gezielt pornografische oder sexuelle Gewalt
verherrlichende Inhalte im Netz.
Allgemein: 14% aller 6- bis 13-Jährigen schon einmal mit problematischen Inhalten im Netz
konfrontiert. Mögliche Folge: Psychische Beeinträchtigung.
Akteur_in der Prävention: Jugendmedienschutz, z.B. technischer Jugendschutz (Filter wie
Jusprog etc.), Klassifikation (momentan in Deutschland nicht geregelt), empowernde und
schützende Medienpädagogik, Elternarbeit.
II. Cybermobbing unter Gleichaltrigen (z.B. aufgrund von Sexting-Material)
Szenario: Jugendliche erstellen im Rahmen intimer Beziehungen oder als „Mutprobe“
erotische oder pornografische „Selfies“ und versenden sie über Messenger, als MMS oder
als Nachrichten in sozialen Netzwerken. Dieses „Sexting“ („sex“ + „texting“) kann zu
Cybermobbing führen.
Allgemein: Etwa 17 Prozent aller Schülerinnen und Schüler, die das Internet nutzen, sind
schon einmal von Cybermobbing betroffen gewesen. Mehr als ein Drittel (38%) kennen
jemanden in ihrem Bekanntenkreis, der schon einmal über das Handy oder Internet
gemobbt wurde. Die Täter stammen dabei mehrheitlich (55%) aus dem sozialen Umfeld der
Schule. 26 Prozent der befragten Jugendlichen zwischen zwölf und 19 Jahren haben
mitbekommen, dass jemand im Bekanntenkreis schon einmal erotische Fotos/Filme per
Handy oder Internet verschickt hat.3 Mögliche Folge der Kombination aus Sexting und
Cybermobbing: Psychische Beeinträchtigung bis hin zum Suizid aufgrund von Bedrohung,
Beleidigung, Erpressung, Cybermobbing, Schamgefühlen usw.; Material kann Verwendung
als sog. „Kinderpornographie“ finden; strafrechtlich relevant, da das Versenden und der
Besitz von erotischen Bildern Unter-14-Jähriger nach §184c StGB als Kinderpornographie zu
werten ist.
Akteur_in der Prävention: Keine primäre Aufgabe des Jugendmedienschutzes, weil keine
technische Filtermöglichkeit und keine Alterskennzeichnung möglich, sondern individuelle
Entscheidung des Users durch Content-Produktion und Content Management.
III. Pädophilie und pädosexuelle Handlungen im und außerhalb des Internets
Szenario: Kind chattet und wird von einem Erwachsenen mit pädophilen Neigungen oder
und/oder Absichten kontaktiert (auch „Cybergrooming“ genannt).
Allgemein: Häufigkeit laut KIM-Studie: 7% aller 6- bis 13-Jähriger ist das schon einmal
passiert, dabei aber doppelt so häufig Mädchen wie Jungen. Cybergrooming gilt dabei als
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Vorbereitung sexuellen Missbrauchs, das auch bereits strafbar ist. Das Internet und seine
Möglichkeiten begünstigen Cybergrooming und Missbrauchsfolgen zum Beispiel weil die
Bereitschaft bei Kindern und Jugendlichen zu Treffen mit Internet-Bekanntschaften groß ist,
Eltern jedoch dabei selten ins Vertrauen gezogen werden, weil Kinder und Jugendliche sich
durch veröffentlichte Angaben und Fotos in sozialen Netzwerken leichter identifizierbar
machen und nicht zuletzt, weil sie i.d.R. versierter als ihre Eltern („digital divide“) sind und
das Internet als ihre Lebenswelt durchdringend wahrnehmen, nicht als Teil oder gar als
Gegensatz zu dieser. Mögliche Folgen (sei es durch den Kontakt im Netz oder außerhalb des
Netzes): Schwere psychische Beeinträchtigungen und Traumatisierungen bis zum Suizid (z.B.
aus Scham).
3) Wo findet das im Jugendverband statt und welche Handlungsfelder gibt es?
Für alle drei Szenarien ist möglich: Täter_in und/oder Opfer stammen aus dem
Jugendverband.
I. Prävention Offline
a) Prävention offline ist auch immer Prävention online
Hier gelten m.E. ähnliche Regeln wie für die Prävention sexueller und sexualisierter Gewalt
außerhalb des digitalen Diskurses; Kinder und Jugendliche müssen stark gemacht werden,
„nein“ zu sagen und dabei „nein“ meinen zu dürfen, Gruppenleitungen müssen geschult und
sensibilisiert sein usw.
b) Indirekte Prävention: Medienpädagogik
Medienpädagogik muss als selbstverständlicher Teil der Jugendverbandsarbeit anerkannt
und implementiert werden, z.B. durch Gruppenstunden zum Thema Medienkonsum und
Mediennutzungsverhalten, zum Thema Chatten, Social Media, zum Thema Cybermobbing
usw. Device-Verbote in der Jugendverbandsarbeit sind wenig zielführend, sondern es gilt
vielmehr, Medien in die Arbeit miteinzubeziehen. Als Gruppenleitung oder Verantwortliche
lohnt es sich auch selbst der digitalen Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen
aufgeschlossen gegenüberstehen.
c) Das Thema politisch bespielen
Im Falle der Konfrontation mit pornographischem Material im Netz und dessen Prävention
gibt es momentan lediglich auf politischer Ebene Handlungsmöglichkeiten, z.B. in der
Mitgestaltung des Jugendmedienschutzstaatsvertrages, der Mitwirkung verschiedener
Kontroll- und Aufsichtsgremien sowie dem regelmäßigen Austausch mit Playern wie der
Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten usw.
II. Prävention Online
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Besondere Problematik: Jugendverband passiert zwar im Netz, aber Strukturen der
Jugendverbandsarbeit greifen in sozialen Medien nicht. Jugendgruppen organisieren sich
zwar übers Netz und kommunizieren dort folglich auch miteinander, Gesprächsregeln und
Aufgaben einer Gruppenleitung haben dort keine Gültigkeit.
Möglicher Ansatz: Bei eigenen Gruppen (Facebook, Whatsapp etc.), die auch offline
existieren, eine Netiquette festlegen, z.B. als Selbstverpflichtung. Als Gruppenleitung selbst
auf transparente Kommunikation achten.
Link-Tipps
www.mpfs.de
www.ubskm.de
www.schau-hin.info
www.netzdurchblick.de
www.kjm.de
www.save-me-online.de
www.klicksafe.de