Marken als multimediale Brandzeichen.

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Marken als multimediale Brandzeichen.
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Autor: Lampert, Claudia.
Titel: Marken als multimediale Brandzeichen.
Quelle: Gottberg, Joachim von/ Rosenstock, Roland (Hg.): Werbung aus allen
Richtungen. Crossmediale Markenstrategien als Herausforderung für den Jugendschutz.
München 2009, S. 13-23.
Verlag: kopaed.
Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
Claudia Lampert
Marken als multimediale Brandzeichen.
Bereits seit mehreren Jahren werden unter den Schlagworten „Mediatisierung“ und
„Kommerzialisierung“ die Veränderungen von Kindheit diskutiert. Kinder werden heute
immer früher als eigenständige Konsumenten und Mediennutzer angesprochen, sei es
durch technische Geräte mit extra großen Bedienungstasten (u.a. Handys,
Kindercomputer oder Kassettenrekorder wie z.B. Myfirst Sony) oder durch eigene
Programmangebote wie z.B. Teletubbies, Baby-TV für die Null- bis Dreijährigen (seit
12/2005 im Kabelnetz Baden-Württemberg empfangbar). Gerade im Kinderbereich zeigt
sich sehr eindrücklich, wie gezielt Medienangebote für die crossmediale, z.T. weltweite
Vermarktung konzipiert und aufbereitet werden. Dabei werden Medienangebote nicht nur
medienübergreifend ausgewertet, sondern von einem groß angelegten
Merchandisingangebot begleitet, so dass ein Medienangebot als „Marke“ in allen
erdenklichen Formen zur Verfügung steht.1 Auf eine Fernsehserie, ein Buch oder einen
Kinofilm folgt ein Computerspiel und/ oder eine Zeitschrift, begleitet von einer Vielzahl an
Produkten wie Sammelkarten, Sticker, Figuren o.Ä. Das Ganze ist geprägt von einer
Dynamik, die aufseiten der Kinder (und deren Eltern) einen hohen Konsumdruck erzeugt:
Kaum hat man alle Sammelkarten einer Sendung zusammen, folgt bereits das nächste
Angebot mit einer neuen, noch umfangreicheren Produktpalette, und die bisherige
Sammlung verliert schlagartig an finanziellem und sozialem Wert.
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Die Seite www.happytoys.de gibt einen umfassenden Überblick über Merchandisingangebote zu diversen
Medienmarken.
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Diese Beobachtungen waren u.a. Anlass für ein Projekt, das 2003 im Auftrag der
Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (UM), der Hessischen Landesanstalt für
privaten Rundfunk (LPR) und der Landeszentrale für Medien und Kommunikation
Rheinland-Pfalz (LMK) durchgeführt wurde und sich aus verschiedenen Perspektiven mit
dem Thema Kommerzialisierung und der Präsenz von Medienmarken in der Lebenswelt
von Kindern im Alter von sechs bis 13 Jahren befasste. Im Vordergrund standen
insbesondere die Fragen, welche Rollen Medienmarken im Alltag von Kindern spielen,
aber auch welche Bedeutung Kinder diesen zuschreiben und an welchen Stellen eventuell
Handlungsbedarf besteht (vgl. Paus-Hasebrink et al. 2004).
Medienmarken und Medienmarkenbeziehungen
Medienangebote werden heute von vornherein als Marke konzipiert und umfangreich
vermarktet. Allerdings zeigt sich, dass die Marketingstrategien nicht immer so aufgehen
wie geplant, denn längst nicht allen Angeboten wird seitens der Rezipienten der Status
einer Marke zugewiesen. Dies geschieht erst dann, wenn der Konsument eine Beziehung
zu einem Produkt oder einem Medienangebot aufbaut, ihm eine besondere Bedeutung
zuschreibt, die es von anderen Medienangeboten unterscheidet und es gewissermaßen
einzigartig macht. Medienmarken können - wie andere Produkte auch orientierungsstiftend sein, z.B. hinsichtlich des sozialen Wertes des Produkts bzw. des
Medienangebots oder aus ökonomischer Perspektive.
Medienmarken in den Lebenswelten von Kindern
Zur Repräsentativbefragung gehörten 591 Kinder zwischen sechs und 13 Jahren mit je
einem Elternteil.2 Die Hälfte der befragten Kinder konnte mindestens eine Lieblingsfigur
benennen, d.h. eine Figur, die in irgendeiner Hinsicht einzigartig oder bedeutsam,
zumindest aber relevant für das Kind ist. Insgesamt wurden von den Kindern 106
verschiedene Figuren genannt. Besonders oft erwähnt wurden Harry Potter, Barbie, DiddlMaus, Spiderman und Son-Goku. Bei den Jüngeren war Harry Potter nicht zuletzt durch
2
Die Befragung wurde im März 2003 von ad radom international (Hamburg) durchgeführt, die Ergebnisse
sind in Hasebrink (2004) dokumentiert.
2
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den Kinofilm besonders präsent. Ab dem 12. Lebensjahr spielten auch Figuren wie z.B.
Bart Simpson und Stefan Raab eine wichtige Rolle. Von den Mädchen wurden mit Barbie,
Pimboli und Diddl-Maus-Figuren genannt, die eigentlich nicht primär aus dem
Medienbereich kommen. Aber gerade das Beispiel Barbie zeigt sehr deutlich, wie auch
ursprünglich nicht mediale Figuren crossmedial vermarktet werden3
Tabelle 1:
Jungen
Lieblingsfiguren (mindestens dreimal genannt)
6-7 Jahre
Bob der
8-9 Jahre
Harry Potter
10-11 Jahre
Harry Potter
12-13 Jahre
Bart Simpson
Spiderman
Pokemon
Stefan Raab
Conan
Bart Simpson
Son-Goku
Son-Goku
Dragonball Z
Spiderman
Diddl-Maus
Barbie
Harry Potter
Angela Anaconda
Harry Potter
Angela Anaconda
Diddl-Maus
Barbie
Barbie
Bibi Blocksberg
Barbie
Jeanette
Maus
Harry Potter
Biedermann
Polly Pocket
Pimboli
Sabrina
Baumeister
Harry Potter
Mädchen
Sailor Moon
Quelle: Hasebrink 2004, S. 201; Frage: „Es gibt ja viele Figuren, die man aus dem Fernsehen, dem Kino,
Büchern, Zeitschriften, Comics, aus dem Radio, von Kassetten und von Spielen kennt. Hast Du im Moment
eine Lieblingsfigur, die Du ganz toll findest?“
3
Zum Beispiel erhält man auf der Seite http://de.barbie.com/ einen Überblick über neuste Filme und
DVDs; auf der Seite http://de.barbiegirls.com/home.html können Mädchen „eine Online-Persönlichkeit
entwerfen, ihr eigenes Zimmer gestalten, mit B-Punkten einkaufen (virtuelles ,Geld'), Spiele spielen,
Videos anschauen, darunter auch ihre Lieblings-Barbie-Filme und Produkte und mit anderen registrierten
Benutzern in einer kontrollierten Umgebung chatten“ (Informationen für Eltern unter: http://
de.barbiegirls.com/home.html).
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Auf die Frage, woher die Kinder die Figuren kennen, wurden durchschnittlich drei Quellen
benannt, u.a. Fernsehen, Freunde, Mitschüler, Hörkassetten und Kino. Ähnlich wie bei
klassischen Produktmarken kommt dem Fernsehen eine zentrale Bedeutung zu, ebenso
wie Freunden und Mitschülern (vgl. Hasebrink 2004, S. 202; SUPER RTL 2007, S. 6).
Die Befunde zeigen darüber hinaus, dass die Medienfiguren über verschiedene Wege
längst Einzug in die Kinderzimmer gehalten haben. Durchschnittlich wurden 2,7
Produktarten genannt, wobei der tatsächliche Wert vermutlich höher anzusiedeln ist, da
sich die Kinder oft gar nicht bewusst sind, auf welchen Alltagsgegenständen (z.B.
Zahnbürste, Brotdose, Bettwäsche, Schulhefte etc.) ihre Medienhelden zu finden sind.
Neben den Alltagsprodukten sind auch diverse Medienangebote wie Videokassetten,
DVDs, Video-/ PC-Spiele zu den Lieblingsfiguren vorhanden und diese damit crossmedial
verfügbar. Am Beispiel von Harry Potter zeigt sich dies sehr deutlich: 90% der befragten
Kinder und Eltern kannten Harry Potter, zwei Drittel kannten die Figur aus den Filmen,
38% aus dem Buch, 12% kannten Harry Potter auch aus dem Internet (v.a. die Fans),
30% haben Merchandisingprodukte zu Hause oder Harry Potter-Computerspiele gespielt.
Tabelle 2: Medienfiguren in den Kinderzimmern
Zahl der Befragten mit Lieblingsfigur
292
Produkt
Merchandisingartikel allgemein
%
54,5
Poster
45,5
Spielfiguren
43,2
Sticker
39,0
Videokassetten
26,7
Hörkassetten
25,7
Sammelkarten
21,9
PC-/Videospiel
10,3
DVD
Gogos (kleine Plastikfiguren)
4,5
2,1
Quelle: Hasebrink 2004, S. 203; Frage: Welche Dinge mit der Lieblingsfigur haben die Kinder zu Hause?
Angaben in Prozent, geschlossene Frage, Mehrfachnennungen.
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Medienmarkenbeziehung als Bedeutungszuschreibung
Die Präsenz einer Figur im Kinderzimmer allein sagt allerdings noch wenig über ihren
Status aus. Entscheidender ist, welche Bedeutung Kinder diesen Figuren im Kontext von
Familie, Kindergarten, Schule, Peergroups und Freundschaften beimessen bzw. inwieweit
diese Figuren einer von den Kindern konstruierten Medienmarke gleichkommen. Um dies
zu erfassen, wurden im Rahmen der Medienmarkenstudie in verschiedenen
Klassenstufen Gespräche geführt, um die Vorlieben der Kinder, aktuelle Themen,
Lieblingsfiguren, die Rolle von Medienmarken und Merchandising z.B. im Hinblick auf die
Peerbeziehungen in der Klasse zu erheben. Pro Klasse wurden zudem drei Kinder
ausgewählt und im häuslichen Kontext interviewt, um einen Eindruck über die Präsenz
von Medienfiguren in der Lebenswelt der Kinder zu gewinnen. In den Einzelgesprächen
standen vor allem favorisierte Medienangebote, Lieblingsfiguren und emotionale Bezüge
zu den Figuren im Vordergrund sowie Fragen zu konkreten Medienmarken, wobei nicht
nur Figuren, sondern auch Sender und Programme berücksichtigt wurden. Zusätzlich zu
den Kindern wurden Eltern und Lehrer befragt sowie zwei Kindergartengruppen, um
herauszufinden, ab welchem Alter Medienmarken für Kinder überhaupt relevant werden.
Die Ergebnisse bestätigen die Beobachtung und die Befunde der quantitativen Befragung,
dass eine Vielzahl von Medienangeboten und -figuren in der Lebenswelt der Kinder zu
finden ist, viele der Angebote und Figuren den Kindern jedoch gar nicht gegenwärtig sind.
Es wurde aber auch deutlich, dass die Kinder zwar viele Figuren kennen, aber nur wenige
ausgewählte Angebote wirklich relevant sind. Bedeutsam werden sie als Marke erst dann,
wenn Kinder sie für ihr Anliegen nutzen können, sei es zur Orientierung in der
Angebotsfülle (welches Angebot wähle ich aus?) oder zur Integration bzw. Abgrenzung
gegenüber Eltern, Geschwistern, Peers etc. Zu den bedeutsamsten Marken als
Orientierungspunkte in der Medienlandschaft zählten zum Zeitpunkt der Erhebung vor
allem Bob der Baumeister, Pokemon, Dragonball Z, Harry Potter und bei den älteren
Kindern Herr der Ringe. Bedeutsame Marken auf Senderebene stellten für die jüngeren
Kinder vor allem SUPER RTL, RTL II und KI.KA dar, für die älteren MTV und Viva.
Die Ergebnisse der Medienmarkenstudie knüpfen insofern an die anderer
Untersuchungen an, als sich auch hier zeigte, dass sich die Kinder in der Regel
gleichgeschlechtliche Identifikationsfiguren auswählen. Jungen bevorzugen beispielsweise
5
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Figuren aus „fernen Welten“ wie Son-Goku aus Dragonball Z oder Pikachu aus Pokemon,
während Mädchen alltagsnahe Figuren oder Tiere bevorzugen, wie z.B. Cora aus der
Sendung Gute Zeiten, schlechte Zeiten, Pipi Langstrumpf oder Bugs Bunny. Nur wenige
Angebote sind - wie z.B. Harry Potter - für beide Geschlechter gleichermaßen interessant,
wobei sich Mädchen dort meist an Hermine orientieren. Unterschiede zeigen sich auch
hinsichtlich der Sammelobjekte: Während für die Jungen der Konkurrenzaspekt (Wer hat
die meisten Karten/ Logos u.Ä.?) und die Vervollständigung einer Sammlung eine wichtige
Rolle spielen, steht bei den Mädchen eher die Beschäftigung mit der Figur oder dem
Angebot im Vordergrund. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch zu
berücksichtigen, dass den Jungen insgesamt ein deutlich umfangreicheres Angebot an
Medienhelden und Merchandisingprodukten zur Verfügung steht, was wiederum erklärt,
warum sich Mädchen auch mehr Produkte aussuchen, die nicht aus einem medialen
Kontext stammen, um ihre Themen zu bearbeiten (vgl. Götz 2006, 2007).4
Neben den geschlechtsspezifischen Unterschieden lassen sich auch altersspezifische
Differenzen feststellen, denn den Medienmarken kommen in den Altersstufen
unterschiedliche Funktionen zu. Jüngere Kinder eignen sich ihre Welt über das Sammeln
an, weshalb die offerierten Sammelobjekte wie Karten, Sticker u.Ä. besonders attraktiv
sind. Bei den älteren Kindern – und insbesondere bei den Jungen – bekommt das
Sammeln die Funktion, sich über Merchandisingprodukte zu positionieren, also entweder
zu integrieren oder abzugrenzen. Die Medienangebote werden in Schulklassen als eine
Art „Währung“ genutzt. Sie sind Statussymbole und entscheiden u.a. mit darüber, ob man
„in“ oder „out“ ist, sind jedoch in ihrer Tauglichkeit zeitlich begrenzt. Sobald Jüngere die
Marke für sich entdecken, verliert sie für die Älteren an Bedeutung bzw. sehen sich die
Älteren aufgefordert, sich etwas Neues zu suchen, um sich von den jüngeren
Altersgruppen abzugrenzen, wodurch sich das Alter der Nutzer nach unten verschiebt
(„Verjüngungsphänomen“, vgl. Hengst 2002). So wurden zum Zeitpunkt der Befragung
Pokemon-Karten schon im Kindergarten gesammelt, obwohl die Sendung ursprünglich für
eine ältere Altersgruppe konzipiert war. Mit zunehmendem Alter wechselten einige Kinder
von Pokemon zu Dragonball oder von Harry Potter zu Herr der Ringe. Andere wechselten
nicht das Medienangebot, sondern nutzten anstelle der Sammelkarten, die sich die
4 Vgl. Götz 2006, 2007. Nach den Ergebnissen der deutschen Teilstichprobe im Rahmen des Projekts
„Children's Television Worldwide: Gender Representations“ aus dem Jahr 2007 waren 70% der
Hauptfiguren in fiktionalen Fernsehsendungen männlich und 30% weiblich (Götz 2007, S. 23).
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Jüngeren zu eigen machten, die Videospiele und suchten sich auf diese Weise innerhalb
desselben Medienangebots eigene mediale Nischen. Darüber hinaus zeigte sich bei
einigen der älteren Kinder, dass das Sammeln und Tauschen von
Merchandisingprodukten mit zunehmendem Alter an Bedeutung verliert und an die Stelle
die Entwicklung eines eigenen Stils tritt. Damit verbunden gewinnt auch die Frage an
Bedeutung, welcher Szene oder Jugendkultur man sich zuordnet und wie man dies nach
außen trägt.
Differenzierung zwischen „Eltern- und Kindermarken“
Medienmarken lassen sich sowohl aus Anbieter- als auch aus Nutzerperspektive
beschreiben. Bei der Betrachtung von Medienmarken aus Sicht der Rezipienten lassen
sich wiederum mindestens zwei unterschiedliche Typen differenzieren. So lassen sich
Angebote, die von den Eltern als „hochwertig“, „kindgerecht“, vielleicht sogar „pädagogisch
wertvoll“ beurteilt werden und oft von den Eltern selbst an das Kind herangetragen
werden, wie z.B. Petterson und Findus, Sesamstraße, Bob der Baumeister und KI.KA, als
„Elternmarke“ bezeichnen. Kinder nehmen die Marken oftmals an und machen sie unter
Umständen auch zu ihren eigenen Medienmarken. Dabei erweist sich das
Medienerziehungskonzept von zentraler Bedeutung: Je stärker die Eltern die
Mediennutzung ihrer Kinder reglementieren, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich die
Kinder die von den Eltern favorisierten Angebote zu ihrer Marke machen. Je weniger die
Eltern die Mediennutzung ihrer Kinder regulieren, desto mehr sind die Kinder
herausgefordert, sich in der Fülle des Medienangebots eigene Orientierungsvorlagen bzw.
Kindermarken zu suchen, also Medienangebote, die den Kindern die Möglichkeit bieten,
ihre Themen und Anliegen zu bearbeiten. Eine Medienmarke kann – wie andere
Markenprodukte auch – die Funktion haben, sich von Eltern, Freunden und Geschwistern
abzugrenzen oder auch Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu demonstrieren (s.o.). Letzteres
gelingt allerdings nur dann, wenn die im Produkt angelegte Lesart übernommen wird. Bei
zu großen Abweichungen kann das Angebot nicht im Sinne einer integrativen Funktion in
Peergroups genutzt werden (z.B. wenn anstelle des Helden eine unscheinbare Nebenfigur
und deren Verhaltensweisen favorisiert werden).
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Medienmarkenbeziehung als Seismograf für hohe Problembelastungen
Die Beziehungen, die Kinder zu den Medienmarken aufbauen, unterscheiden sich je nach
dem Grad des Involvements hinsichtlich ihrer Qualität und Intensität. Unter den 36 in
Einzelinterviews befragten Kindern fielen vor allem sechs Kinder (5 Jungen, 1 Mädchen
zwischen 9 und 13/ 14 Jahren) auf, die eine ausgeprägte Fan-Beziehung zu der Serie
Dragonball Z aufwiesen. Diese Kinder kamen aus sehr komplizierten Familiensituationen,
die u.a. durch ein – sofern überhaupt vorhanden – sehr widersprüchliches (Medien-)
Erziehungsverhalten gekennzeichnet waren. Auch wenn sich die Kinder auf ein und
dieselbe Serie bezogen, so taten sie dies jeweils aus unterschiedlichen Motiven, u.a. aus
Mangel an attraktiven männlichen Vorbildern durch fehlende Väter (fünf der sechs Fälle
lebten bei den Müttern), um sich den ersehnten Platz in einer Peergroup zu erringen oder
sich explizit von Gleichaltrigen abzugrenzen oder um persönliche Kränkungen zu
kompensieren. Für alle sechs Fälle ließ sich, ungeachtet ihrer besonderen Beziehung zu
diesem Medienangebot festhalten, dass die Serie Dragonball Z eine wichtige, gar
übermäßige Orientiertngsfunktion übernahm. Die Beziehung zu dieser Medienmarke
erwies sich in allen Fällen als derart intensiv, dass ein (sozial-) pädagogischer
Handlungsbedarf angezeigt erschien, um ihnen einerseits eine distanzierte
Auseinandersetzung mit dem Medienangebot und andererseits eine Bearbeitung ihres
Themas zu ermöglichen. Intensive Medienmarkenbeziehungen fungieren wie in diesen
Fällen daher auch als Seismograf für problematische Lebensbedingungen, in denen
Kinder bzw. die Familien u.U. (sozial-) pädagogische Hilfe benötigen.
Neue Maschen im Netz der Medienmarken
Anknüpfend an die dargestellten Befunde lassen sich einige Trends identifizieren, die sich
im Hinblick auf das Thema „Medienmarken“ auf ganz unterschiedlichen Ebenen
abzeichnen und das Netz der Medienmarken enger ziehen. Auf der Ebene der einzelnen
Angebote ist zunächst eine zunehmende Ausdifferenzierung der Medienangebote
erkennbar. Sehr deutlich zeigte sich dies bereits an den Beispielen von Harry Potter (7
Bände), der Trilogie Herr der Ringe oder in der Aufgliederung der Anime-Serie in Dragon
Ball, Dragon Ball Z und Dragon Ball GT. Erwartbar ist, dass diese Entwicklung das oben
skizzierte Phänomen der Verjüngung unterstützt. Auf der medialen Ebene zeichnet sich
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ab, dass digitale Medienangebote und insbesondere Bildschirmspiele für die crossmediale
Vermarktung von Medienangeboten immer wichtiger werden. Deutlich zeigt sich dies z.B.
an Second Life oder Herr der Ringe online; gerade in den virtuellen Welten wird die
Vermarktung von Medienangeboten noch zunehmen.
Auf der Ebene der Strategien zeichnen sich darüber hinaus zunehmend – auch unter
Einbeziehung digitaler Medien – ausgefeiltere Konzepte bei der Markenbildung und
-pflege ab. Ein Beispiel für ein sogenanntes „virales Marketing“5 ist die Kampagne einer
Baumarktkette, in der neben den klassischen Werbeformen auch SMS und MMS, Portale
wie Clipfish, My Video, Youtube und sogar Einträge in die Onlineenzyklopädie Wikipedia
eingebunden wurden, um eine Werbefigur zum Leben zu erwecken.6 Der online
verbreitete Videoclip, in dem ein Motorradfahrer über eine Sprungschanze fliegt und dabei
abstürzt, hatte zahlreiche Diskussionen in Onlineforen und anderen Medienangeboten zur
Folge. Über die Diskussion der Frage, ob der Film echt sei oder nicht, wurde der Videoclip
und damit auch der Name des Baumarktes schnell verbreitet. Virale Strategien dieser Art
werden erwartbar auch im Kinderbereich verstärkt Einzug halten. Bereits jetzt werden in
diversen online verfügbaren Videoclips Produkte präsentiert, ohne dass noch erkennbar
ist, ob es sich um ein privates Video oder einen professionellen Werbespot handelt. In
sogenannten „brickmovies“ werden mit Lego- oder Playmobilfiguren Kurzfilme oder
Videoclips gedreht, die zugleich auch für die Spielzeugmarken werben. Über Social
Networking Sites, Blogs und Foren lassen sich neue Trends schnell verbreiten. Diese
Beispiele machen sehr deutlich, dass das Internet in allen seinen Facetten für die
Werbung und Vermarktung eine zunehmend wichtigere Rolle spielen wird. Zum Zeitpunkt
der Medienmarken-Befragung (2003) hatten 55,8% der Befragten das Internet noch nie
genutzt. Die aktuellen Studien des Medienpädagogischen Forschungsverbundes zeigen
allerdings, dass die Internetnutzung kontinuierlich steigt. 2006 nutzen schon 58% der
Sechs- bis 13-Jährigen zumindest selten das Internet (72% der PC-Nutzer) (MPFS 2006,
S. 41). Gleich geblieben ist das Interesse insbesondere an den Internetseiten von
einzelnen Sendungen (z.B. Gute Zeiten, schlechte Zeiten) und Sendern.
5 Eine Strategie wird als „viral“ bezeichnet, weil sich die Werbebotschaften quasi „epidemienartig“ über
bestehende soziale Netzwerke ausbreiten.
6 Entsprechend bezeichnet die Medienberatungsagentur Crossmedia ihre Kampagne als „Heldengeburt im
Web 2.0“ (www.crossmedia.de/hornbach-ronhammer/index.html; letzter Zugriff am 15.12.2008).
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Abbildung 1: Beispiel für virales Marketing:
Ron Hammer für Hornbach Baumarkt
Quelle: http://www.crossmedia.de/hornbach-ronhammer/index.html
Herausforderungen und Aufgaben:
Transparenz und Förderung von Werbe- und Verbraucherkompetenz
Nach dem Boom an Studien zum Thema „Kinder und Werbung“ in den 1990er-Jahren
(vgl. u.a. Hoffmann-Riem et al. 1995; Kommer 1996; Aufenanger/ Neuß 1999; Baacke et
al. 1999) scheint das wissenschaftliche und medienpädagogische Interesse an dem
Thema etwas abgeflaut zu sein. Werbung ist unterhaltsam, Medienmarken sind bei
Kindern und auch bei Erwachsenen beliebt und werden gern genutzt - also wo liegt das
Problem? Allerdings konnten im Rahmen der Medienmarkenstudie Anhaltspunkte
gefunden werden, dass Eltern wie Kinder sich durch die Kurzlebigkeit von Medienmarken
durchaus unter Druck gesetzt fühlen. 53% der befragten Kinder gaben an, dass „man sich
manchmal gar nicht mehr richtig auskennt“, 46% empfinden die immer wieder neuen
Angebote „manchmal als richtig anstrengend “ (Hasebrink 2004, S. 228). Hinzu kommt,
dass gerade bei Familien mit fehlendem Medienerziehungskonzept Handlungs- und
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Unterstützungsbedarf besteht, damit sich die Kinder nicht im engmaschigen Markennetz
verfangen.
Gerade angesichts der Ausweitung und Ausdifferenzierung der Werbe- und
(crossmedialen) Vermarktungsformen scheint eine Diskussion über neue Variationen der
Zielgruppenansprache und über die Folgen der Kommerzialisierung von Kindheit ebenso
angezeigt, wie neue Ansätze zur Förderung von Werbe- bzw. Verbraucherkompetenz nicht nur aufseiten der Kinder, sondern auch der Eltern und Pädagogen. Hier sind vor
allem niedrigschwellige Angebote gefragt, die Anregungen und Hilfestellung zum Umgang
mit Medienmarken und Konsumdruck geben. Besonders für Familien aus
problembelasteten Kontexten, die nur schwer mit medienpädagogischen Materialien und
Angeboten erreichbar sind, müssen neue Wege der Ansprache erprobt werden. Dies setzt
jedoch eine Transparenz hinsichtlich der verschiedenen Werbeformen und
Vermarktungsstrategien voraus sowie Kenntnisse über die Wahrnehmung und das
Verständnis insbesondere neuerer Werbeformen durch Kinder. Es sind insofern
innovative Konzepte auf unterschiedlichen Ebenen gefragt, die den veränderten
Rahmenbedingungen, Medienangeboten sowie Werbe- und Marketingstrategien
Rechnung tragen. Einzelne Ansätze sind bereits erkennbar (wie z.B. die
medienpädagogischen Materialien von Media Smart7) und sollten unter Berücksichtigung
neuer Werbe- und Marketingstrategien unbedingt weiterverfolgt werden, um Kindern die
Chance zu geben, die an sie adressierten Botschaften besser einschätzen zu können.
7 Der Verein Media Smart e.V wurde 2004 als gemeinnützige Initiative von verschiedenen Unternehmen
und Medien gegründet und entwickelt seitdem Konzepte und Materialien zur Förderung von
Werbekompetenz bei Kindern im Grundschulalter (www.mediasmart.de, vgl. auch Beitrag von B. Guth in
diesem Band).
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Literatur
Aufenanger, Stefan/ Neuß, Norbert (1999): Alles Werbung, oder was?
Medienpädagogische Ansätze zur Vermittlung von Werbekompetenz im Kindergarten.
Kiel: ULR [Band 131.
Baacke, Dieter/ Sander, Uwe/ Vollbrecht, Ralf/ Kommer, Sven et al. (1999): Zielgruppe
Kind. Kindliche Lebenswelt und Werbeinszenierung. Opladen: Leske + Budrich.
Dreyer, Hardy/ Lampert, Claudia (2005): Kinder im Netz der Marken? Zur Rolle der Medienmarken im Alltag von Kindern. In: medien + erziehung, 49, 1, 24-30.
Götz, Maya (2006): Die Hauptfiguren im deutschen Kinderfernsehen. In: TelevIZIon, 19, 1,
S. 4-7.
Götz, Maya (2007): Die Fernsehfiguren der Kinder.... und die Frage, was eine
Fernsehfigur erfolgreich macht. In: TelevIZlon, 20, 2, S. 22-27.
Hasebrink, Uwe (2004): Marken als Orientierungspunkte in Mediennutzung und Konsumverhalten von Kindern. In: Paus-Hasebrink, Ingrid et al. (Hrsg.): Medienkindheit Markenkindheit. Untersuchungen zur multimedialen Vermarktung von Markenzeichen für
Kinder. München: KoPäd Verlag, S. 185-239.
Hengst, Heinz (2002): Zur Verselbständigung der kommerziellen Kinderkultur. In: TelevIZlon, 15, 2, S. 45-51.
Hoffmann-Riem, Wolfgang/ Engels, Stefan/ Schultz, Wolfgang (1995): Rechtliche Regulierung von Fernsehwerbung für Kinder. In: Charlton, Michael/Neumann-Braun, Klaus/
Aufenanger, Stefan/Hoffmann-Riem, Wolfgang et al.: Fernsehwerbung und Kinder. Das
Werbeangebot in der Bundesrepublik Deutschland und seine Verarbeitung durch Kinder.
Band 2: Rezeptionsanalyse und rechtliche Rahmenbedingungen. Opladen: Leske + Budrich, S. 309-462.
Kommer, Sven (1996): Kinder im Werbenetz. Eine qualitative Studie zum Werbeangebot
und zum Werbeverhalten von Kindern. Opladen: Lese + Budrich.
12
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Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (MPFS) (2006): Kinder + Medien,
Computer + Internet. Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger (KIM).
Stuttgart: Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest.
Paus-Hasebrink, Ingrid/Neumann-Braun, Klaus/Hasebrink, Uwe/Aufenanger, Stefan
(Hrsg.) (2004): Medienkindheit - Markenkindheit. Untersuchungen zur multimedialen Vermarktung von Markenzeichen für Kinder. München: KoPäd Verlag, [Schriftenreihe der
LPR Hessen, Bd. 18].
SUPER RTL (2007): Die Hits der Kids. Markenwahrnehmung bei Grundschulkindern. Präsentation zur Studie „Kinderwelten 2007“, online abrufbar unter: www.ip-deutschland.de/
ipdeutschland/download-data/Kinderwelten 2007-Hits der_Kids.pdf [15.12.2008].
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