NEUE RELIGIÖSE GEMEINSCHAFTEN ODER SEKTEN ODER WAS?

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NEUE RELIGIÖSE GEMEINSCHAFTEN ODER SEKTEN ODER WAS?
:in
:in
Nr. 9/2008
Unterrichtsmaterialien Sek. I
Religion
NEUE RELIGIÖSE
GEMEINSCHAFTEN ODER
SEKTEN ODER WAS?
E
Bergmoser + Höller
Verlag AG
VA N G E L I S C H
Jahrgangsstufe
7/8
L
I N H A L T
1. EINFÜHRUNG
1
2. UNTERRICHTSVERLAUF
2–9
3. MATERIALIEN
10–31
Einführung
10–13
Was macht Menschen unsicher? – Assoziative Sammlung von Befindlichkeiten und Ängsten.
Vielversprechende Angebote? – Köder für das Interesse in aktuellen Auszügen.
Religion, Sekte, Weltanschauung oder was? – Begriffe (vor-)sortieren; Gruppierungen
unterscheiden lernen.
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Religion/Sekte/Weltanschauung … ? – Definitionen finden und auswerten.
m5/1 Gemeinschaft kann gefährlich werden (Folie 1) – Checkliste für kritische Anzeichen – Teil 1.
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m5/2 Gemeinschaft kann gefährlich werden (Folie 2) – Checkliste … – Teil 2.
Zu den thematisierten Gruppierungen
14–28
m6/1 Tim – aufgewachsen bei den Zeugen Jehovas – Sachtext mit Fallbeispiel.
m6/2 Wem oder was bin ich nahe – wohin orientiere ich mich? – Positionen beziehen.
m6/3 Wer oder was sind die Zeugen Jehovas? – Beschreibung und Problematisierung.
m6/4 Tod einer Zeugin Jehovas – Sachtext mit Fallbeispiel.
m7/1 Ein hochrangiger Scientology-Aussteiger berichtet – Sachtext mit Fallbeispiel.
m7/2 Wer oder was ist die Scientology-Organisation? – Beschreibung und Problematisierung.
m7/3 Nachhilfe – ein Angebot ohne Hintergedanken? – Analyse von Anwerbungsstrategien.
m8/1 Wer oder was ist „Universelles Leben“? – Beschreibung und Problematisierung.
m8/2 Martin – seit 20 Jahren Mitglied von „Universelles Leben“ – Sachtext mit Fallbeispiel.
m8/3 „Ich flehe dich an: Schweig!“ – Sachtext mit Fallbeispiel.
m9/1 Maharishis umstrittene Rede zum „Goldenen Jubiläum“ am 16. Juli 2000 – Sachtext.
m9/2 Transzendentale Meditation (TM) – Totalitäre politische Ideologie? – Beschreibung …
m9/3 Auf dem Erleuchtungstrip – Erfahrungen mit TM – Sachtext mit Fallbeispiel.
Wenn Hilfe nötig wird
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29–31
Beobachtungen für die eigene Recherche – Zusammenfassung der Informationen.
Menschen, Institutionen, Einrichtungen – Wer kann helfen, wenn …? – Hilfe zur Selbsthilfe.
Ist doch klar – oder doch nicht?! – Überprüfung durch Positionierung.
4. IDEENBÖRSE
E
= zum Einstieg geeignet
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V
= für Einzel- oder Vertretungsstunden geeignet
= erhöhter Schwierigkeitsgrad
= OH-Folie
1
EINFÜHRUNG
1
Sabine Riede/Christoph Grotepass/Andrew Schäfer
Neue Religiöse Gemeinschaften
oder Sekten oder was?
Zur Zielsetzung dieser Ausgabe
Durch die „Globalisierung der Welt“ ist es heute jedem Menschen möglich, durchs Internet oder durch
Reisen Vorstellungen und Praktiken anderer Kulturen, Gesellschaften und religiöse Traditionen kennenzulernen und zu übernehmen. Die Art und Weise der Lebensführung wird immer weniger gesellschaftlich verbindlich gemacht. Immer mehr Menschen suchen nach religiösen Erfahrungen außerhalb
der etablierten Glaubensgemeinschaften. 1970 waren fast 92% der Bevölkerung Mitglied in einer der
beiden großen Kirchen. Im Jahr 2000 sind es nur noch 67% (3,5% gehören dem Islam an), also 1/3 der
Bevölkerung Deutschlands gehört weder einer Kirche noch dem Islam an. (Statistisches Jahrbuch der
Bundesrepublik Deutschland, 2001). Andererseits erleben wir ein enormes Wachstum fundamentalistischer Gruppierungen innerhalb des Islam und des Christentums. Der Psychomarkt boomt, die Umsätze auf dem Esoterik-Markt steigen. Es gibt inzwischen einen breiten Markt religiöser Lebenshilfe-Angebote. Hier wird Religion als Mittel zum Zweck benutzt, als Mittel zur Lösung eigener anstehender
Probleme und stellt keine Form der kollektiven Lebensführung dar. Religiöse Fragen sind mehr an das
Individuum als an die Gemeinschaft gebunden. Gesucht wird nicht eine religiöse Antwort auf Existenzfragen, sondern praktische Lebenshilfe für den Alltag. Die sich zuspitzende gesellschaftliche Lage, verbunden mit wachsender sozialer Kälte, gibt immer mehr Menschen das Gefühl, ihr Leben nicht mehr allein bewältigen zu können. Dies ist ein weiterer idealer Nährboden für religiöse Lebenshilfeangebote
und charismatische Heilsbringer. Die Vielfalt weltanschaulicher Angebote hat in den letzten 20 Jahren
deutlich zugenommen. Jedoch ist es für Laien nur sehr schwer möglich, festzustellen, ob es sich um ein seriöses Angebot handelt oder ob hinter diesem Angebot eine sogenannte „Sekte oder Psychogruppe“ steht.
Allerdings gehören die Fragen nach dem Sinn des Lebens und nach der Transzendenz zu den Wesensmerkmalen menschlichen Daseins und können nicht übergangen werden. Diese ernst zu nehmen und
ein kritischer und selbstbewusster Umgang mit religiösen Angeboten muss gelernt werden. Daraus
ergibt sich die Notwendigkeit, bereits in der Schule präventiv das Thema aufzugreifen. Lernziele:
1. Die Schüler sollen lernen, kritisch mit religiösen Anwerbungen und Verlockungen umzugehen.
2. Sie sollen verschiedene Verheißungen eines „Übermenschen“ und einer heilen Welt kennenlernen
und die Gefährlichkeit dieser Lehren entdecken.
3. Sie sollen Beurteilungskriterien kennenlernen, um sich über Angebote religiöser Organisationen,
die Lebenssinn anbieten, eine Meinung bilden zu können.
4. Sie sollen unterschiedliche weltanschauliche Gruppen kennenlernen und sich kritisch mit deren Lebensweisen auseinandersetzen, indem sie vorgegebene psychologische Beurteilungskriterien anwenden.
5. Sie sollen sensibel werden für die fließende Grenze zwischen einem starken Gemeinschafts- und
Loyalitätsgefühl und der möglichen Abhängigkeit durch Gruppendruck; es soll deutlich werden,
dass es wichtig ist, sich in bestimmten Situationen abzugrenzen.
6. Sie sollen einschätzen können, an wen man sich wenden kann, wenn man selbst Betroffener oder
Angesprochener ist oder von Betroffenen weiß und sich einmischen will: Welche Stellen können
sofort helfen und in (religiösen) Krisen aufgesucht werden und professionell weiterhelfen?
Die Verfasser dieses Heftes bestreiten grundsätzlich nicht, dass in den hier genannten Gemeinschaften echte spirituelle und andere wichtige Erfahrungen gemacht werden können. Wäre dies anders,
dann gäbe es diese Gemeinschaften wahrscheinlich gar nicht. Gleichwohl spiegeln sich in unserer Beratungsarbeit viele konfliktträchtige Merkmale wider. Diese zu beschreiben, ohne die authentischen
(spirituellen) Erfahrungen zu bestreiten, ist unser Ziel.
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Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
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UNTERRICHTSVERLAUF
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Einführung
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Was macht Menschen unsicher?
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Vielversprechende Angebote?
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Menschen geben nicht selten in sogenannten konfliktträchtigen Gemeinschaften ihre Verantwortung
für wichtige Bereiche ihres Lebens ab. Sie spenden große Teile ihres Einkommens ohne die Geschicke der Gruppe mitbestimmen zu können. Sie trennen sich von ihrem bisherigen sozialen Umfeld und
ihren bisherigen Überzeugungen. Sie verzichten auf Freiheiten und teilweise sogar auf ihre Rechte.
Sie schaden durch besondere Praktiken ihrem Körper oder ihrer Psyche. Bei Fortbildungsveranstaltungen und in Gesprächen mit Angehörigen von Betroffenen wird immer wieder die Frage nach dem
„Warum?“ laut. Neben individuellen Faktoren gibt es einen gesellschaftlichen Nährboden, der den Eintritt in eine vereinnahmende religiöse Bewegung begünstigt. Es gibt kein Sicherheit gewährendes, relativ überschaubares Lebenskonzept für den einzelnen Menschen mehr, das von Kirche und Politik
propagiert und von Generation zu Generation weitergegeben würde. Vielmehr darf und muss der
Einzelne aus vielen Puzzleteilchen sein individuelles Lebenskonzept selbst zusammenstellen und im
Lebensvollzug auch umsetzen. Da aber jeder Einzelne vor dem Zwang der Wahl des individuellen Lebensstils steht, ist auch jegliches Misslingen individualisiert und muss als selbst verschuldetes Versagen hingenommen werden. Freiheit wird in diesem Zusammenhang oft als Überforderung und Vereinsamung erfahren. Manche Gruppierungen greifen mit ihren Versprechungen diese Bedürfnisse
gezielt auf. Sie bieten für Menschen eine willkommene Alternative mit überschaubarem, sozialem
Umfeld, um der Orientierungslosigkeit und Beliebigkeit zu entrinnen.
Die Schüler sollen erkennen, dass Unsicherheiten den Menschen anfälliger machen für Versprechungen.
Es konnte durch eine psychologische Studie untermauert werden (Dieter Rohmann 1999), dass Betroffene vor dem Eintritt in eine sogenannte Sekte mehrere zeitgleiche Probleme zu bewältigen hatten.
Dem dadurch erhöhten Belastungsdruck begegneten diese Personen mit einer Flucht in eine neue
Ordnung, die vordergründig zunächst Entlastung verschaffte. Konfliktträchtige Angebote mit ihren
die Freiheit des Einzelnen einschränkenden Verhaltensregeln und Denkmustern können als Erleichterung erfahren werden in Lebenssituationen, in denen man sich überfordert oder hilflos fühlt.
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Oft ist erst auf den zweiten Blick zu erkennen, wer sich hinter einem Plakat oder einem Flyer verbirgt.
Werbung und Öffentlichkeitsarbeit der Scientology-Organisation, aber auch der Gruppierung „Universelles Leben“ sprechen durch ein hohes Maß an Professionalität an. Um Klagen aus dem Weg zu
gehen, haben wir darauf verzichtet, hier die originalen Materialien abzubilden. Die Zielwirkung lässt
sich auch aus den Zitaten ziehen. Internetadressen mit den echten Materialien erlauben einen tieferen
Eindruck. Abonnenten und Abonnentinnen finden im Bonusbereich (http://www.buhv.de/bonus)
eine Link-Liste, die Beispiele für diese Werbungen präsentiert.
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3 +
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Religion, Sekte, Weltanschauung oder was?…
„Handelt es sich bei der Gruppe XY um eine Sekte?“ Diese Frage wird in Informations- und Beratungsstellen häufig gestellt. Dahinter steht die eigentliche Frage nach der Gefährlichkeit der Gruppe. Eine
klare, anerkannte Definition gibt es weder für den Begriff „Sekte“ noch für den Begriff „Religion“.
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Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
UNTERRICHTSVERLAUF
Historisch betrachtet ist der Sektenbegriff in Abgrenzung zur christlichen Kirche entstanden. Abgeleitet vom lateinischen Wort secare (zu lat. secta, von sequi „folgen“) bezeichnete man damit zunächst
Gruppen, die sich von der Kirche abgewandt hatten und eine abweichende Lehre vertraten. Sie waren
häufig der Überzeugung, den einzig wahren Weg zu Gott oder zum Heil des Menschen zu kennen. Neben
diesem theologischen Sektenbegriff entwickelte sich ein soziologischer Sektenbegriff, der eine Gruppe
kennzeichnete, die vom Wertekonsens der Gesellschaft abweicht. Der umgangssprachliche Sektenbegriff wird verwendet, um auf ethisches Fehlverhalten oder Gefahren einer Gruppe hinzuweisen. Darüber hinaus gab es in der Vergangenheit eine Vielfalt von begrifflichen Alternativen, die sich nicht
durchgesetzt haben. So bezeichnete man in den 70er-Jahren neu auftretende religiöse Bewegungen zunächst als Jugendreligionen, weil sich vor allem junge Menschen diesen Bewegungen angeschlossen
hatten. Da heute auch ältere Menschen missioniert werden, gilt der Begriff als überholt. Der Begriff
„Destruktive Kulte“ wurde aus dem angloamerikanischen Sprachgebrauch übernommen (destructive
cults) und sollte die Gefährlichkeit solcher Gruppen unterstreichen. Manche Praktiken werden aber
von Mitgliedern einer Gruppierung gar nicht als destruktiv erlebt, sodass der Begriff eine unangemessene, pauschale Verurteilung beinhaltet und deshalb nicht mehr verwendet wird. Der 1998 veröffentlichte Endbericht der Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ des Deutschen
Bundestages kommt zu dem Ergebnis, dass die bisher umgangssprachlich als „Sekten“ bezeichneten
Gruppierungen in Zukunft wertneutral als „neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und
Psychogruppen“ bezeichnet werden sollten. Zwei Jahre lang hatte die Kommission intensiv die weltanschauliche Szene begutachtet. Dieser Begriff wird bei den meisten wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema heute verwandt, konnte sich aber aufgrund seiner Länge in der Umgangssprache
nicht durchsetzen. Hier hat sich der Begriff Sekte mit seiner Signalwirkung weiter verfestigt.
Zu den thematisierten Gruppierungen
Die in den folgenden Materialien dargestellten neuen religiösen Gemeinschaften wurden ausgewählt, weil sie nach unserer
Erfahrung konfliktträchtige Züge aufweisen und durch ihre Missionstätigkeit inzwischen einen hohen Bekanntheitsgrad
haben. Zum anderen repräsentieren sie die Bandbreite der verschiedenen Bewegungen in Deutschland. Die Gruppierung
der Zeugen Jehovas steht exemplarisch für christlich fundamentalistische Bewegungen, die Scientology-Organisation ist die bekannteste Gruppierung und ein Beispiel für eine Psycho-Gruppe mit politisch-ideologischem Anspruch.
Das Universelle Leben repräsentiert den Bereich der synkretistischen Neureligionen; die Transzendentale Meditation den Bereich der guruistischen Gruppierungen. Der Bereich der Esoterik und des Okkultismus wurde nicht
aufgegriffen, da es sich hier meist um eine individualisierte Form des Glaubens handelt ohne feste Gruppenstrukturen.
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5/1-2 Gemeinschaft kann gefährlich werden (Folien 1 und 2)
Eines der Kennzeichen unserer modernen, multikulturellen Gesellschaft ist das Nebeneinander einer
Vielzahl von Religionen, Weltanschauungen und Lebensvorstellungen. Immer mehr Menschen stellen sich darüber hinaus ihre eigene „Patchwork-Religion“ zusammen, getreu dem Motto, jeder kann
doch glauben, was er will. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist, dass immer mehr Erwachsene und
Jugendliche kaum noch verbindliche Regeln und Rituale kennen, um schwierige Lebenssituationen
meistern zu können. Ebenso hilflos fühlen sie sich bei der Beurteilung eines religiösen Angebotes.
Nicht jedes neue spirituelle Angebot ist per se schon schlecht oder problematisch. Was genau macht
dann eine Gruppe problematisch oder gefährlich?
Gerade weil die Glaubensinhalte so verschieden sind und das Grundgesetz Glaubensfreiheit garantiert,
ist es wichtig, objektive, am Handeln der Menschen orientierte Kriterien zur Beurteilung zu finden.
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Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
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UNTERRICHTSVERLAUF
Die hier abgedruckte Checkliste wurde 1997 vom Psychologen Werner Gross erstellt; sie ist vom Sprachstil eher für Erwachsene geeignet. Die auf den beiden Folien des Heftes abgedruckte Comic-Variante
ist für Jugendliche und Schüler/-innen besser geeignet. Die Szenen der Folien können einführend,
z.B. in einer Vertretungsstunde, oder als Einleitung für die gesamte Unterrichtseinheit angewendet
werden. Der Rückgriff auf die einzelnen Szenen kann aber auch immer punktuell konfliktträchtige
Strukturen einer bestimmten Gruppierung verdeutlichen. Abonnenten und Abonnentinnen finden
im Bonusbereich (http://www.buhv.de/bonus) die einzelnen Cartoons in höherer Auflösung. Für beide
Varianten gilt die Regel: Je mehr Punkte auf eine Gruppe zutreffen, desto eher handelt es sich um
eine problematische religiöse Gruppe.
1. Ideologie: Theorie, Glauben, Ziele
■ „Überwertige Idee“: Das Paradies auf Erden oder der „neue Mensch“ ist mit Hilfe der Lehre kurzfristig herstellbar (Allmachtsphantasien, Größenwahn).
■ Wahrheitsmonopol: Die Gruppe hat (ihrer Ansicht nach) das einzig gültige Welterklärungssystem.
■ Schwarz-Weiß-Denken: Einfache Gut-Böse- oder Richtig-Falsch-Muster prägen das Denken und
Handeln.
■ Endzeitvision: Der Weltuntergang ist nahe.
■ Rettungsplan: Patentrezepte, die das Heil (nur für Gläubige) versprechen.
■ Expansiver Machtanspruch: „Wir müssen die Welt retten“, ist der Tenor.
2. Die zentrale Figur: Führer, Guru, Meister(in)
■ Führerkult: Er/Sie wird als Gott, Heiliger oder „Channel“ verehrt; ist allmächtig, hellsichtig oder
hat Wunderfähigkeiten.
■ Führungsstil: Er/Sie hat oberste (nicht mehr kritisierbare) Autorität, verlangt kritiklose Loyalität
und beansprucht das Wahrheitsmonopol.
■ Charismatisierung: Heiligenverehrung und idealisierende Legendenbildung werden propagiert.
3. Gruppenstruktur: Elitegemeinschaft
■ Abschottung nach außen: Die Gruppe ist ein geschlossenes System mit starren Außengrenzen.
■ Hohe Gruppenkohäsion: Die Gruppe hält zusammen „wie Pech und Schwefel“, überwacht, kontrolliert und bestraft sich gegenseitig. Eventuell gibt es eine interne Sondersprache.
■ Es existiert eine steile Hierarchie, mit Befehlsgewalt der Oberen, Gehorsam des einfachen Mitglieds
und gestaffeltem Informationssystem.
■ Elitebewusstsein: Gruppenmitglieder fühlen sich als Avantgarde zur Rettung der Welt/Menschheit.
Missionierungszwang und/oder Märtyrerideologie prägen das Gruppenbewusstsein.
■ Ausbeutung: Gruppenmitglieder lassen sich (mehr oder weniger freiwillig) materiell oder/und als
billige Arbeitskräfte ausnutzen.
■ Subversive und illegale Tätigkeiten: Die Gruppierung glaubt, über dem Gesetz zu stehen und
drängt Mitglieder (offen oder versteckt) zu illegalen Tätigkeiten (Erpressbarkeit!).
4. Einfluss auf das Mitglied: Bewusstseinskontrolle
■ Entindividualisierung: Die totale Hingabe wird gefordert, die Gruppe und das gemeinsame Ziel
sind wichtiger als der Einzelne.
■ Einfluss auf die alltägliche Lebensgestaltung: Es gibt Vorschriften für Essen, Kleidung, Körperpflege, Tagesgestaltung, Ausgangs- und Kontaktsperren, Telefon- und Briefkontrollen, Beziehungen
und Sexualität werden reglementiert.
■ Materielle Abhängigkeit: Das Gruppenmitglied hat kein Privateigentum und/oder kein Geld. Es
wird für seine Arbeit nicht bezahlt und ist nicht kranken-, unfall- oder rentenversichert. Pass, Führerschein o.ä. werden gemeinsam aufbewahrt.
■ Magisches Denken herrscht in der Gruppe vor: „Alles ist vorbestimmt“, „Gott will es so“.
■ Bruch mit der persönlichen Lebensgeschichte: Beziehungen zur Herkunftsfamilie, zu Partnern und
Freunden werden abgebrochen. Schule, Studium, Beruf werden aufgegeben. Die bisherige Lebensgeschichte wird uminterpretiert.
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Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
UNTERRICHTSVERLAUF
Sektenidentität: Das Gruppenmitglied bekommt einen neuen Namen, bewegt sich fast ausschließlich in der Gruppe und unterliegt einer allmählichen „Umwertung aller Werte“. Damit einher geht
ein Verlust von Realität und von Tauglichkeit für ein Leben außerhalb der Gruppe. Es entwickelt
sich psychische Abhängigkeit.
5. Techniken zur Persönlichkeitsveränderung
■ Es werden emotionsmobilisierende, euphorisierende und bewusstseinsverändernde Techniken
eingesetzt: Hyperventilation, Chanten, Zungenreden, exzessive Meditation etc.
■ Wiederholte Labilisierung durch Fasten, Schlafentzug, körperliche und psychische Überforderung,
sensorische Deprivation etc.
■ Das Ziel ist dabei eine Art „spirituelles Erlebnis“, das von der Gruppe dann als Geburt des wahren
Menschen interpretiert wird („Endlich habe ich mich selbst gefunden“).
6. Kontakte nach außen und Umgang mit Ehemaligen und Kritikern
■ Die Gruppe praktiziert manipulative Anwerbemethoden, in denen mit unrealistischen Versprechungen
Menschen geködert werden.
■ Bunkermentalität: Die Gruppe kapselt sich massiv ab („innen der Himmel, außen die Hölle“). Es
herrschen Verschwörungstheorien und Verfolgungswahn vor.
■ Es gibt keinen legitimen Grund, aus der Gruppe auszusteigen; deshalb werden Ehemalige zu
Unpersonen erklärt („vogelfrei“, Kontaktabbruch), die mitunter erpresst werden.
■ Kritiker werden eingeschüchtert und es wird versucht, sie mit Drohungen, öffentlichen Diffamierungen, Telefonterror, Gerichtsprozessen oder sogar körperlichen Attacken mundtot zu machen.
■
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6/1
Tim – aufgewachsen bei den Zeugen Jehovas
Dieses Fallbeispiel stammt aus der Beratungsarbeit und wurde so weit anonymisiert, dass die Person
nicht wiederzuerkennen ist. „Tims“ Brief wurde nur etwas gekürzt, aber im Wortlaut wiedergegeben.
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6/2
Wem oder was bin ich nahe –
wohin orientiere ich mich?
Die Schülerinnen und Schüler werden angeregt, sich in die Situation von Tim einzudenken und seine
prekäre Position nachzuvollziehen. Im zweiten Schritt sollen sie in den direkten Vergleich mit der eigenen Situation treten. Es ist anzuraten, den Schülern und Schülerinnen die Entscheidung selbst zu
überlassen, ob sie ihre eigene Position ausdrücklich öffentlich machen wollen.
Beispiele:
m●
6/3
Wer oder was sind die Zeugen Jehovas?
Die Zeugen Jehovas sind die von den gewählten Beispielen zahlenmäßig größte neue religiöse Gruppierung in Deutschland. Außerdem sind sie durch ihre missionarischen Aktivitäten vielen Menschen be:in Religion 9/2008
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kannt, von daher bietet es sich an, mit ihnen zu beginnen. Sicherlich können hier auch eigene Erfahrungen der Schüler in das Unterrichtsgespräch mit einbezogen werden. In diesem Zusammenhang muss aber
berücksichtigt werden, dass es eventuell Mitschüler an der Schule gibt, die dieser Religionsgemeinschaft
angehören. Die Thematisierung von Sekten im Religionsunterricht darf generell nicht zu einer Ausgrenzung der betroffenen Schüler führen. Hier ist es wichtig, bei aller erforderlichen Kritik an der konfliktträchtigen Lehre und Praxis der Wachtturmgesellschaft nicht den einzelnen Menschen in seinem persönlichen Glauben anzugreifen und zu verurteilen. Die in der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas
aufwachsenden Schüler würden dadurch in unnötige Gewissenskonflikte gestürzt. Sie benötigen viel
eher den Rückhalt der Klassengemeinschaft. Eine ausführliche Darstellung dieser Problematik findet
sich auf der Webseite http://www.sekten-info-nrw.de in dem Fachartikel „Sektenkinder in der Schule“
unter der Rubrik „Artikel, thematisch“. In der letzten Zeit begegnen Zeugen Jehovas dem Sektenvorwurf häufig mit dem Argument, sie seien jetzt als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt und damit
den beiden großen Kirchen gleichgestellt. Tatsächlich hat das OVG Berlin am 01.02.2006 nach jahrzehntelangem Rechtsstreit den Zeugen Jehovas den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts zunächst in
Berlin zugesprochen. Die hierfür erforderlichen Bedingungen, die eine Religionsgemeinschaft erfüllen
muss, sind das Gebot der Rechtstreue, eine bestimmte Anzahl von Mitgliedern und die Gewähr auf Dauer. Dies bedeutet aber nicht, dass es keine konfliktträchtigen Strukturen gibt. Eine ausführliche Erklärung hierzu bietet der Fachartikel „Die Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts“ unter
der Rubrik „Artikel, thematisch“, „Schule, Recht“, auf der Webseite http://www.sekten-info-nrw.de.
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6/4
Tod einer Zeugin Jehovas
Die Ablehnung der Bluttransfusionen beruht auf einer eigenwilligen Interpretation alttestamentlicher
Speisegebote. Die Aufnahme des fremden Blutes in den Körper wird als eine Art Nahrungsaufnahme
gewertet. Häufig zitiert werden hier von den Zeugen Jehovas die Bibelstellen 1 Mose 9.3-4 und Apostelgeschichte 15.28-29.
m●
7/1-2 Ein hochrangiger Scientology-Aussteiger berichtet/
Wer oder was ist die Scientology-Organisation?
Tom Cruise wird vielen Schülerinnen und Schülern als Scientologe bekannt sein. Der momentan
wichtigste Werbeträger der Organisation versucht, viele Menschen in Deutschland für Scientology zu
interessieren. Wie kaum ein anderer hat er seine Schauspielerexistenz und sein privates „religiöses“
Bekenntnis nie getrennt. Er drängte seine Ehefrauen Nicole Kidman und Katie Holmes zum Eintritt
in die Organisation. Er verlangte von seiner zweiten Ehefrau die „stille Geburt“, machte aus seiner
Hochzeit eine Werbeveranstaltung für Scientology und nahm den Leiter David Miscavige sogar mit in
die Flitterwochen. Am Set seines Filmes „Krieg der Welten“ ließ er ein Scientology-Zelt aufstellen und
gab vielen Journalisten erst dann ein Interview, wenn sie zuvor bereit waren, sich über Scientology informieren zu lassen. Alle drei Kinder werden im Sinne der Ideologie der Scientologen erzogen. 2005
wirft er der Schauspielerin Brooke Shields in einer TV-Show vor, sie hätte keine Medikamente gegen
ihre Wochenbettdepressionen nehmen sollen, sondern besser Vitamine geschluckt. Auch hier war der
Einfluss von Scientology leicht zu erkennen, denn die Gruppierung verteufelt Psychopharmaka und
stellt Psychiater auf eine Stufe mit Hitler und Stalin. In Interviews bezeichnet er Scientology als die
einzige Philosophie, welche die Erde in Ordnung bringen kann. Tom Cruise nimmt einen Sonderstatus ein. Als Werbeträger wird er hofiert und muss nicht die Leistungen bringen, die von anderen Mitgliedern gefordert wird, wie zum Beispiel von Wilfried Handl, dessen Bericht für sich spricht. Zusätz:in Religion 9/2008
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UNTERRICHTSVERLAUF
lich sind in vielen Großstädten die gelben Zelte der Scientologen zu sehen. Bei diesen Aktionen versuchen sogenannte „ehrenamtliche Geistliche“, jede Menge Werbematerial über die Ideologie des
Gründers L.R. Hubbard zu verteilen und Scientology als hilfreiche, uneigennützige Organisation
darzustellen.
m●
Nachhilfe – ein Angebot ohne Hintergedanken?
m●
Wer oder was ist „Universelles Leben“?
7/3
Außerdem versucht die Scientology-Organisation momentan verstärkt, Kinder und Jugendliche zu
missionieren. Dies ist neben den Aktivitäten der Scientology-Organisation auf dem Nachhilfemarkt
daran zu erkennen, dass Initiativen wie z.B. „Jugend für Menschenrechte“ und „Sag nein zu Drogen“
ihre Broschüren gezielt an Jugendliche verteilen, z.B. in Jugendzentren und Schulen. Aus diesem
Grund greift das dritte Arbeitsblatt die Thematik des Nachhilfeunterrichtes auf. Dies darf nicht zu
dem Trugschluss führen, Scientology sei harmloser als die Zeugen Jehovas. Die angewandten scientologischen Behandlungsmethoden können durchaus den Gesundheitszustand von Menschen gefährden. Dies belegt zum Beispiel eine Untersuchung von Prof. Dr. Nedopil, Heinrich Küfner, Norbert
Nedopil, Heinz Schöch (Hg.), Gesundheitliche und rechtliche Risiken bei Scientology, Lengerich (Pabst
Science Publishers) 2002. Das Hauptproblem bei der SO ist ihr politisch-ideologischer Anspruch.
8/1
Die Vertreter des UL erscheinen in der Öffentlichkeit oft als fanatische Anhänger einer Gruppierung,
die ihre Identität mehr durch Abgrenzung von und Polemik gegen die Kirchen der Ökumene bzw.
andere gesellschaftliche Gruppen gewinnt, als durch das, was sie als eigene Inhalte anbietet. In dieser
Publikation stehen sie exemplarisch für synkretistische Neuoffenbarungsreligionen. (Synkretismus bedeutet die Vermischung von religiösen Ideen oder Philosophien zu einem neuen System oder Weltbild.)
Zugleich hat sich das UL in den letzten Jahren durch die Gründung diverser Wirtschaftsunternehmen
stark ökonomisiert. Mitarbeiter können durch die Mitgliedschaft und ihre Tätigkeit in einem UL-nahen
Betrieb in eine Abschottung gegenüber Sozialkontakten außerhalb des UL geraten. Entsprechend kann
die Abhängigkeit zur Gemeinschaft steigen und das soziale Bezugsfeld sich immer weiter einengen (vgl.
die Fallbeispiele). Im Unternehmen arbeiten viele Mitarbeiter mit großem Engagement, stehen aber
nicht selten nach dem Ausstieg vor dem beruflichen Nichts. Aktuell tritt das UL öffentlich mit professionellen Kampagnen zum Tierschutz auf und versucht damit Sympathisanten für die eigene Gemeinschaft zu finden. Im süddeutschen Raum bieten die UL-nahen Betriebe ihre Bio-Produkte auf Wochenund Weihnachtsmärkten an, ohne dass der ideologische Hintergrund der Gemeinschaft deutlich wird.
m●
8/2
Martin – seit 20 Jahren Mitglied von
„Universelles Leben“
Dieses Fallbeispiel stammt aus der weltanschaulichen Beratungsarbeit und wurde so weit anonymisiert,
dass die konkrete Person nicht wiederzuerkennen ist. Gleichwohl enthält sie für das Verständnis des
UL Typisches. Die beigefügte Grafik steht für die „Anziehungskraft von problematischen Gruppierungen oder religiösen Gemeinschaften“ allgemein und ist nicht speziell der Gruppierung Universelles Leben zugedacht. (Abonnentinnen und Abonnenten der Reihe :in Religion finden das Motiv als
Datei im Bonus-Bereich: http://www.buhv.de/bonus.)
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Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
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UNTERRICHTSVERLAUF
m●
8/3
„Ich flehe dich an: Schweig!“
Dieses Fallbeispiel verdeutlicht aus der Binnenperspektive die psychologische Situation und den
Konformitätsdruck innerhalb der Gemeinschaft. Die doppelte Moral, mit der andere gesellschaftliche
Gruppen wie die Kirche abgeurteilt werden, die eigene Gemeinschaft aber mit allen Mitteln von
innerer (Angst vor Ausschluss) und äußerer (Geldzahlungen) Kritik freigehalten werden soll, zeigt
die tatsächliche Streitkultur und den Umgang miteinander.
m●
9/1
Maharishis umstrittene Rede zum
„Goldenen Jubiläum“ am 16. Juli 2000
Wie eine auf kosmischen Gesetzen beruhende Weltregierung aus Sicht der TM-Bewegung aussehen
mag, lässt „Maharishis umstrittene Rede zum goldenen Jubiläum vom 16. Juli 2000“ erahnen, die alle
Anzeichen eines antidemokratischen und totalitären Machtanspruches aufzeigt.
m●
9/2
Transzendentale Meditation (TM) –
Totalitätre politische Ideologie?
In der letzten Zeit versucht auch die Bewegung der Transzendentalen Meditation mit aufwendigen
und vielversprechenden Aktionen auf sich aufmerksam zu machen, um neue Mitglieder zu gewinnen
bzw. auf der politischen Ebene Einfluss zu erlangen. Z.B. versuchte der deutsche Unternehmer
Emanuel Schiffgens 3.000 bis 5.000 Friedensengel in Deutschland auszubilden. Er hatte die 3.000
größten Unternehmen in Deutschland aufgefordert, mindestens einen Mitarbeiter für diese Aktion
freizustellen. Sie sollten die Transzendentale Meditation und das Yogische Fliegen lernen und ausüben.
Er versprach, dass der Frieden, der dadurch im Kollektivbewusstsein Deutschlands erzeugt werde,
auch zu einem unvorstellbaren Aufschwung in der Wirtschaft führen würde, aber vor allem würde der
Krankenstand, die Unfallrate und die Kriminalität drastisch zurückgehen. Soweit bekannt ist, hat sich
kein Unternehmen daran beteiligt.
Nach wie vor läuft die Kampagne „Schule ohne Stress“, die ihre Methode der Meditation als Hilfe für unkonzentrierte Schüler anpreist. Aus diesem Grund bietet sich die Thematisierung der TM-Bewegung an.
Mit einem ersten Antrag für ein privates Gymnasium ist sie allerdings bei der Landesschulbehörde in Niedersachsen gescheitert, da die erforderlichen Bestimmungen des Schulgesetzes nicht eingehalten wurden.
m●
9/3
Politik, Lügen und „Entspannung für alle“ – …
Der Erfahrungsbericht zeigt auf, wie Conny mit Idealismus für ein zunächst konstruktives Ziel –
durch Meditation zum Frieden in der Welt beizutragen – eintritt und in der TM-Organisation aufsteigt. Er wird selbst in konfliktträchtige Strukturen verstrickt, blickt hinter die Fassaden und „steigt
aus“. Auch wenn durch viele Meditationsverfahren positive Effekte erzielt werden können, drohen
bei mangelnder fachlicher Begleitung unter Umständen gesundheitliche Gefahren. In dem unter
http://www.entspannungsverfahren.com/merkblaetter.shtml abrufbaren Merkblatt Nr. 9, „Meditation“, der Psychologischen Fachgruppe Entspannungsverfahren in der Sektion „Klinische Psychologie“ des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP) von DP Matthias
:in Religion 9/2008
Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
UNTERRICHTSVERLAUF
Hartmann heißt es unter ‚Psychophysiologische Gesichtspunkte zur Meditation’: „(…) Um für tief
reichende Erfahrungen vorbereitet zu sein, bedarf es einer ausreichend starken seelischen Festigkeit
und seelischen Gesundheit. Es kann nicht behauptet werden, dass für jeden Menschen Meditation
von vornherein als ‚gut’, ‚richtig’ oder ‚geeignet’ sein kann: jeder, der sich hierfür interessiert, tut gut
daran, Erfahrungen mit anderen Meditierenden auszutauschen und die ersten Schritte in einer Meditationsmethode unter Anleitung und Begleitung anderer zu gehen. Menschen, die unter Hypotonie,
Epilepsie, Herzaneurismen leiden, sollten sich auf jeden Fall mit einem Arzt ihres Vertrauens über
medizinische Kontraindikationen besprechen. Für psychisch erkrankte Personen (mit Psychosen/
Schizophrenien usw.) ist Meditation allgemein nicht angeraten.“ Ein grundlegender knapper Fachartikel „Transzendentale Meditation: Aktivitäten, Hintergründe und Absichten“ findet sich auf der
Webseite http://www.sekten-info-nrw.de unter „Artikel thematisch“ und „Weitere Artikel“.
Wenn Hilfe nötig wird
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Beobachtungen für die eigene Recherche
Diese Vorlage dient der Anregung, die wichtigsten Informationen schriftlich zu fixieren, um einen Vergleich der Informationen zu den verschiedenen Gruppierungen möglich zu machen. Die Vorlage bietet
dazu nur eingeschränkt Platz; Plakate, Tafelbilder, OH-Folien etc. sind in einer zweiten Phase empfohlen.
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Menschen, Institutionen, Einrichtungen –
Wer kann helfen, wenn … ?
Die Schüler/-innen sollen dafür aufmerksam werden, dass es verschiedene Zeitpunkte gibt, an denen
man eingreifen oder um Hilfe bitten kann. Es gibt nicht „die eine“ Situation, die es abzuwarten gilt.
Jeder Fall, jede Begegnung ist anders und erfordert eine vielleicht andere Vorgehensweise. Welche
Hilfen zur Verfügung stehen und wer überhaupt als Gesprächspartner zur Verfügung steht, sollte
wenigstens einmal klar reflektiert und ausgesprochen werden. Selbstverständlich können die hier
gemachten Vorschläge erweitert und damit regional angepasst werden.
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Ist doch klar – oder doch nicht?!
Diese neun Fragen bieten am Ende der Reihe eine gute Möglichkeit, wichtige Aspekte des Themas im
Rückblick noch einmal zu problematisieren. Die Schülerinnen und Schüler werden aufgefordert, eine
eigene Position zu beziehen. Die Vielzahl der Zuordnungsmöglichkeiten provoziert ganz unterschiedliche Ergebnisse, die nicht eindeutig als „richtig“ oder „falsch“ eingestuft werden können.
Ganz bewusst stellt sich hier die Frage, ob einige der Aspekte nicht auch auf andere Gruppierungen
oder sogar die Volkskirchen zutreffen können – erst recht, wenn man in die Vergangenheit blickt.
Dieser Ansatz ermöglicht (je nach Leistungsstärke der Lerngruppe) einen anspruchsvollen persönlichen Abschluss der Reihe. Die unterschiedlichen Einschätzungen sollten intensiv diskutiert und mit
Fallbeispielen durchdacht werden.
:in Religion 9/2008
Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
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MATERIALIEN
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m1
3
Was macht Menschen unsicher?
Manchen Menschen merkt man es leicht an – anderen gelingt es ganz geschickt, die eigene Unsicherheit
zu verbergen. Es gibt eine ganze Reihe von Gründen dafür, dass sich Menschen verunsichert fühlen.
Menschen können unsicher sein, denn sie …
ha
be
n
hi
sc
er
sv eit
ng tr
nu S
ei er
M od
haben
Angst vor
einer Prüfung
haben das Gefühl, dass
jeder was anderes
glaubt
ed
en
he
ite
n
sind enttäuscht,
z.B. von
Freunden
haben Liebeskummer
oder leiden unter
einer Trennung
oder Beziehung
haben Angst
vor Krankheiten und
vor dem Tod
sind
Unzufrieden mit
ihrem Aussehen
sind
arbeitslos
empfinden das
Leben als unübersichtlich und
chaotisch
leiden unter der
Umweltzerstörung
?A Suche weitere Beispiele für Ursachen, die zur Verunsicherung von Menschen führen.
?B Ordne sie nach ihrer Wichtigkeit – nach deiner persönlichen Einschätzung.
?C Welche Folgen (oder Versuchungen) können sich aus diesen Unsicherheiten ergeben?
:in Religion 9/2008
Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
MATERIALIEN
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Vielversprechende Angebote?
LEBEN
ohne Stress
A. Einstein „Wir nutzen nur 10%
unseres geistigen Potentials“
Geistig topfit + körperlich fit = Spaß am Leben
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Nur 20 Minuten TM morgens und abends vermitteln
dem Nervensystem einen Zustand tiefster Ruhe, in
dem sich alle Stresse und Verspannungen lösen.
So entfaltet sich das gesamte menschliche Potential
und bewirkt ein Leben voller Glück und Freude im
Einklang mit den Naturgesetzen.
Info-Vortrag am …
(Zitiert nach einem Plakat der Maharishi Weltfriedens-Stiftung)
Lasst uns leben!
Bitte, bitte, esst uns nicht!
Kostenlose Information: www.UniversellesLeben.org …
Ihr Menschen habt uns krank gemacht.
Jetzt esst ihr unsere Krankheit.
Mehr Informationen zum Thema unter Information:
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(Zitiert nach zwei Plakaten mit sympathisch blickenden Tierköpfen)
Sie sind herzlich eingeladen zur
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DER JE LEBTE
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Warum ist es so wichtig,
sich an ihn zu erinnern?
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(Zitiert nach einer Anzeige der Scientology-Organisation
per Tagespost an alle Haushalte)
?A Was wird den Menschen jeweils versprochen?
Fertige eine kleine Tabelle an.
?B Welche Wünsche stecken hinter diesen Versprechungen; kannst du dir vorstellen, warum
Menschen auf diese Angebote eingehen? Halte
deine Annahme in einer Zeichnung oder in einer
kurzen Liste fest.
?C Bedenke die Aufgabe zuerst für dich, tausche
dich dann mit einem Partner/einer Partnerin
aus. Einigt euch auf drei gemeinsame Punkte.
Vergleicht eure Ergebnisse anschließend mit
einem anderen Paar. Versucht wieder, euch auf
drei Wünsche festzulegen. Abschließend werden
die Ergebnisse der gesamten Lerngruppe verglichen.
(Zitiert nach einem Werbeplakat der Zeugen Jehovas; das
Original-Plakat zeigt einen dornengekrönten, gefesselten Jesus)
:in Religion 9/2008
Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
MATERIALIEN
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m3
Religion, Sekte, Weltanschauung oder was?
Im Umfeld dessen, was Menschen mit dem Begriff „Sekte“ bezeichnen, gibt es eine ganze Reihe von
Begriffen. Einige davon sind gar nicht so bekannt bzw. gar nicht so einfach zu erklären:
Psychokulte
Sekte
Totalitäre
Gruppen
Kirchen
Neue
Religionen
Pseudoreligiöse
Vereinigungen
Neue religiöse
Bewegungen
Extreme
Weltanschauungen
Jugendreligionen
Destruktive
Kulte
?A Was erscheint dir positiv, was negativ? Begründe deine Entscheidung.
?B Welche Begriffe sind dir bekannt, welche unbekannt?
?C Welche Begriffe fehlen deiner Meinung nach? Füge sie hinzu.
?D Was bedeuten die einzelnen Begriffe? Du darfst mit einem Partner/einer Partnerin zusammen
arbeiten.
?E Schlage Begriffe, die dir nicht ganz klar sind, in einem Lexikon oder im Internet nach. Worauf
musst du im Internet achten, wenn die Informationen über eine bestimmte Gruppierung seriös
und glaubwürdig sein sollen?
:in Religion 9/2008
Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
MATERIALIEN
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Religion/Sekte/Weltanschauung – was ist der Unterschied?
Verschiedene Definitionen von Sekten:
Theologischer
Sektenbegriff
Gesellschaftlicher
Sektenbegriff
Umgangssprachlicher
Sektenbegriff
Als Sekte wird eine religiöse Gruppe bezeichnet, die sich in Lehre
und Praxis von einer bestehenden
Religion abgespalten hat. Zusammenarbeit (z.B. Ökumene) ist
meist nicht mehr möglich.
Werden von einer Gruppe
die Werte und Lebensweise
der Gesellschaft abgelehnt,
sondert sie sich ab oder bildet eine Gegengesellschaft,
gilt sie als Sekte.
Eine Gruppe wird Sekte
genannt, wenn man in ihr
unmenschlich behandelt
und ausgebeutet wird und
man sich als Mitglied völlig
unterordnen muss.
Definitionen von neutralen Begriffen im Zusammenhang mit dem Glauben:
Weltanschauung
Religion
Weltanschauung verdeutlicht, wie die
Welt funktioniert und strukturiert ist.
Aus dieser Sicht der Wirklichkeit leitet
sie ethische Werte für die Lebensführung
ab. Der Begriff wird auch als zusammenfassender Oberbegriff benutzt.
Religion dient der Welterklärung im Ganzen und
bezieht Gott, das Göttliche oder unsichtbare Mächte
mit ein. Der Verbindung mit dem Göttlichen, der
Lebensbewältigung und Lebensführung dienen
Kulthandlungen (z.B. Gottesdienste), Moralvorstellungen und ethische Richtlinien.
Kirche
Spiritualität
Kirche heißt im christlichen Raum das
Gebäude einer religiösen Gemeinschaft,
bezeichnet aber auch die institutionelle
Organisation. Oft meint Kirche eine
oder beide großen Volkskirchen (evangelische oder katholische Kirche).
Eng verbunden werden mit dem Begriff
auch die kirchlichen Rituale, welche das
Leben der Gemeindemitglieder begleitet:
Gottesdienst, Taufe, Konfirmation,
Kommunion, Trauung, Trauerfeier.
Spiritualität bedeutet im weitesten Sinne „Geistigkeit“ und meint eine Haltung, die auf Geistiges
aller Art oder auf Geistliches in spezifisch religiösem Sinn ausgerichtet ist – bis in den Alltag hinein:
Gebet, Meditation, Körpersprache und Gebärden.
Allgemeiner geht es um den „Geist“, der die gläubigen Menschen beseelt und sie auf das als „Gott“
angesprochene höchste Wesen hin orientiert. Auch
wenn die Ausprägung von Spiritualität letztlich
immer individuell ist, da jeder spirituell lebende
Mensch durch seine Lebens- und Erfahrungsgeschichte geprägt ist, so haben doch die Religionen
und Konfessionen unterscheidbare spirituelle Strömungen hervorgebracht. Häufig sind Spiritualitäten
durch einzelne charismatische Figuren geprägt oder
initiiert, manchmal auch nach diesen Personen
benannt.
?A Veranstalte eine Umfrage: Was ist eine Weltanschauung? Was ist eine Religion? Was ist eine
Kirche? Was bedeutet „Spiritualität“?
?B Schlage Begriffe, die dir nicht ganz klar sind, in einem Lexikon oder im Internet nach. Worauf
musst du im Internet achten, wenn die Informationen über eine bestimmte Gruppierung seriös
und glaubwürdig sein sollen?
?C Suche jeweils drei passende Adjektive für jeden Begriff.
:in Religion 9/2008
Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
MATERIALIEN
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m6/1
Tim – aufgewachsen bei den Zeugen Jehovas
Der 18-jährige Tim ist bei den Zeugen Jehovas
(ZJ) aufgewachsen. Er geht auf das Gymnasium,
ist beliebt, hat eine Freundin und will sein Leben
genießen. Zunehmend distanziert er sich von den
ZJ. Stattdessen verbringt er die Zeit mit seinen
Freunden. Der Streit darüber mit seinen Eltern,
Liebe Eltern! Wie ihr schon seit längerem gemerkt
habt, habe ich keine Lust mehr auf die Versammlungen.
Dies hat sich allmählich entwickelt. Ich habe inzwischen einiges kritisch hinterfragt und für mich eine
Entscheidung getroffen. Die Ungerechtigkeiten bei den
Zeugen, die Prügel zu Hause, das unmenschliche Leben,
all das ertrage ich nicht mehr. …
Warum habt ihr mich so oft verprügelt? Weil ich zu
Hause ab und zu Widerworte gegeben habe? Weil ich
ein kleiner Junge war, der genauso frech war wie alle anderen Kinder auch? … Weil ich als kleines Kind in der
Versammlung nicht still sitzen konnte? Niemand gab
euch das Recht dazu! … Die Schläge taten weh, aber
was noch viel schlimmer war, war die Angst! Ich hatte
jeden Tag Angst, mich falsch zu äußern und was „Böses“
zu machen. … Habt ihr euch nie gefragt, warum ich
mich in der Grundschule so oft geprügelt habe? Wo die
ganzen Aggressionen herkamen? Ich habe seit ich ein
kleines Kind bin Angst vor dem Keller, weil ich meine
Prügel meistens im Keller bekam. …
Ich will einfach nur leben. Als jugendlicher Zeuge
Jehovas darf ich mich nur mit anderen jugendlichen
Zeugen treffen. Bei uns gab es aber kaum Jugendliche in
der Versammlung. …
Die ganzen Pflichten gehen mir auf den Wecker: 3 mal
die Woche in die Versammlung, das heißt jedes mal
eine Stunde plus Ankleidung, Hin- und Rückfahrt.
Dienstags und freitags. Sonntags sogar 2 Stunden Versammlung. Das persönliche Bibelstudium jeden Tag,
Vorbereitung auf die Versammlungen, der Predigtdienst
von Haus zu Haus, bei dem sich bei vielen Jugendlichen
vor allem mit seiner Mutter, wird immer massiver.
Schließlich hält er es nicht mehr aus, sich täglich
rechtfertigen zu müssen. Er zieht zu seiner
Freundin und deren Familie, die ihn unterstützen.
Von dort schreibt er seinen Eltern einen Brief
(hier Auszüge):
die Haare sträuben, jede Woche. Alles zusammen
macht gut 16 Stunden pro Woche. Da bleibt kein eigenes
Leben mehr! Ich muss aber meine eigenen Erfahrungen
machen und mein Leben leben. Meine sexuelle Entwicklung gehört dazu, freies Denken und Handeln. …
Ihr sagt, euch geht es schlecht und ihr seid nur noch am
weinen. Habt ihr mal bedacht, wie es mir jetzt geht,
was ich für Probleme wegen euch habe? Wie es mich
fertig macht, mich zwischen Religion, Eltern und meinem eigenen Leben entscheiden zu müssen? Denn ein
Mittelding gibt es bei den Zeugen nicht! … Zum
Glück habe ich richtige Freunde gefunden, die zu mir
stehen, so wie ich bin. Sie sind bei mir. Sie haben mich
sogar davor bewahrt, das Ganze einfach zu beenden,
mit meinem Leben Schluss zu machen! Nicht nur ihr
seid fertig! Nicht nur eure Gefühle sind wichtig, auch
meine! Am schlimmsten war aber ein anderer Tag.
Als du, Mutter, zu mir hoch kamst, um mich wieder
zu überreden, in die Versammlung mitzugehen. Du
fingst an zu weinen. Und dann hast du den verletzendsten Satz gesagt, den ich je hören musste. Du sagtest und
ich weiss, dass du es auch meinst: „Ich wünsche mir dich
lieber tot zu sehen, als weg von der Wahrheit!“ Da
brach für mich eine Welt zusammen. Ich bin für meine
eigene Mutter gestorben. Ich will frei sein und ein normaler Junge sein! … Es fällt mir nicht leicht, dies alles
zu schreiben. Ich verliere meine Familie. Ich empfinde
etwas für euch, noch immer. Bitte versteht meine Entscheidung, die Zeugen Jehovas endgültig zu verlassen. Ich
habe meinen Gott, der tief in meinem Herzen immer
bei mir ist und auf mich aufpasst.
Euer Tim
:in Religion 9/2008
Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
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m6/2
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Wem oder was bin ich nahe – wohin orientiere ich mich?
GOTT
Tim
(JEHOVAS ZEUGEN)
FAMILIE
FREUNDE
GOTT
ich selbst
KIRCHE/FAMILIE
FREUNDE
?A Man könnte sagen, Tim bewegt sich in einem Spannungsfeld aus Erwartungen, Sehnsüchten
und Hoffnungen … – vielleicht sogar Ängsten. Zeichne mit einem Stift in das obere Dreieck, wohin
sich Tim ausrichtet. Mit einem einfachen Kreis wirst du deine Vermutung wahrscheinlich nicht gut
darstellen können. Du kannst auch eine ganz verzogene Figur zeichnen, wenn sie deine Annahme
zum Ausdruck bringt. Lass dir etwas einfallen.
?B Wenn du mit der Zeichnung von Tims Position zufrieden bist, dann zeichne jetzt deine eigene
Positionierung ein – lass dir Zeit, überlege und versuche dich so gut es geht einzuschätzen.
?C Zeichnet nun ein weiteres Dreieck; die Bezugspunkte (an den Ecken) kannst du frei wählen.
:in Religion 9/2008
Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
FOLIE 1
m5/1
Checkliste für gefährliche Anzeichen (1–8)
© Bergmoser + Höller Verlag, Zeichnungen: Ines Rarisch
:in Religion 9/2008
Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
FOLIE 2
m5/2
Checkliste für gefährliche Anzeichen (10–16)
© Bergmoser + Höller Verlag, Zeichnungen: Ines Rarisch
:in Religion 9/2008
Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
MATERIALIEN
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m6/3
Wer oder was sind „Jehovas Zeugen“
Die Wachtturmgesellschaft – eine Endzeitgemeinschaft
Gründer und Geschichte: Charles Taze Russel
(1852–1916) war von der Berechenbarkeit und Datierbarkeit des Weltendes überzeugt. Für 1872/73
erwartete er das Weltende und die Wiederkunft
Christi. Nachdem beides nicht eintraf, gründete
er einen Bibelstudienkreis und ab 1879 die Zeitschrift Zion´s Watch Tower and Herald of Christ´s
Presence, aus der später der Wachtturm wurde.
In Lesezirkeln lasen die „Ernsten Bibelforscher“
seine Thesen. Nach seinem Tod übernahm Joseph
Franklin Rutherford (1869–1942) die Leitung und
machte aus den lockeren Lesezirkeln eine straff geführte „Theokratische Organisation“, die „Zeugen Jehovas“ (ZJ). Demokratische Strukturen
wurden abgeschafft, aus frei gewählten Ältesten
wurden von oben eingesetzte Versammlungsleiter. Die Wachtturmgesellschaft (WTG) entsteht
und mit ihr ein Netz gegenseitiger Kontrolle. Die
geistliche Führung hält die sog. „Leitende Körperschaft“ in Brooklyn bis heute in Händen. Sie
wird als „Offenbarungs- und Verbindungskanal
Jehovas“ verstanden, deren Anweisungen und
Bibeldeutungen absolute Gültigkeit beanspruchen. Von den Mitgliedern wird strenge Disziplin
und Gehorsam verlangt. Die Zahl der ZJ beträgt
in Deutschland zurzeit ca. 165.000 sog. „Verkündiger“ und ist leicht rückgängig.
Lehre und Praxis: Im Mittelpunkt der Lehre der
ZJ steht die Bibel, die in der von der WTG genehmigten sog. „Neue-Welt-Übersetzung“ gelesen wird. Sie gilt als wörtlich von Gott inspiriert.
An 237 Stellen wurde aber z.B. der im Urtext
nicht vorhandene Gottesname „Jehova“ ins Neue
Testament eingetragen. Aufgrund ihres eigentümlichen Bibelverständnisses lehnen die ZJ z.B.
jede Bluttransfusion, auch wenn sie lebensnotwendig ist, ab. Die biblischen Bezugsstellen zielen nirgends tatsächlich auf Bluttransfusionen.
Diese aus der rigiden Lehre der ZJ folgende
Praxis führt noch heute zu tragischen Todesfällen. Alle anderen Religionen oder Kirchen gelten
als Formen „falscher Religion“ oder als „Hure
Babylon“. Ebenso gilt der Staat bisher als Teil
des „satanischen Systems“.
:in Religion 9/2008
Wer von der offiziellen Glaubensdoktrin abweicht,
wird reglementiert bis hin zum „Gemeinschaftsentzug“, der von der internen Gerichtsbarkeit,
dem „Rechtskomitee“ verhängt werden kann:
„Diejenigen, die sich eines guten Verhältnisses zu
Jehova erfreuen möchten, halten sich von Personen
fern, denen die Gemeinschaft entzogen wurde
oder die die Gemeinschaft verlassen haben.“
(Gebt acht auf euch selbst und auf die ganze Herde,
Lehrbuch für die Königreichsdienstschule, 1991,
S. 103) Der „Gemeinschaftsentzug“ kann eine
soziale Isolation des Betroffenen bedeuten, da
Kontakte zu Nicht-Zeugen unerwünscht sind
und meist kaum noch bestehen und erhebliche
psychische Probleme für die Betroffenen erzeugen. Das Alltagsleben der Zeugen Jehovas ist
durch den Dienst für die WTG bestimmt. Der
durchschnittliche wöchentliche Aufwand eines
Zeugen Jehovas liegt nach Angaben der WTG
bei ca. 17,5 Stunden. Dazu gehören der Predigtdienst von Tür zu Tür, die Zusammenkünfte und
das Bibel-Studium anhand der Studienmaterialien der WTG.
Beurteilung: Die einzelnen ZJ zeichnen sich
durch hohes persönliches Engagement und
durchaus glaubwürdiges Auftreten aus. Die
WTG begegnet als restriktive (strenge) Organisation, die blinden Gehorsam erwartet und
Bedenken nicht zulässt. Im Fall der Verweigerung von Bluttransfusionen kann das sogar
den Tod bedeuten. Die WTG hat ein geschlossenes ideologisches System geschaffen.
Es gibt keine diskursiven, offenen und partizipativen Meinungsbildungsprozesse zu einzelnen Fragen des Glaubens und des Lebens. Für
viele Menschen, die sich nach Orientierung
und Sicherheit sehnen, haben die ZJ eine gewisse Attraktivität.
Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
MATERIALIEN
m6/4
19
Tod einer Zeugin Jehovas
Selbstbestimmungsrecht der Frau respektiert
Lich (gl). „Wir empfinden tiefe Trauer und bedauern
den Verlust unserer Glaubensschwester, die nach einer
Notoperation in der Asklepios-Klinik in Lich bei
Gießen verstorben ist“, schreiben die Zeugen Jehovas
in einer Mitteilung an die Presse.
Sie reagieren damit auf die Berichterstattung über den
Tod einer 29-jährigen Frau aus Wetzlar, die nach
Schwangerschaftsblutungen im vierten Monat in der
Asklepios-Klinik mittels Patientenverfügung eine
lebensrettende Bluttransfusion abgelehnt hatte. Mittlerweile hat die Mutter der Verstorbenen Anzeige gegen den verantwortlichen Arzt und ihren eigenen
Schwiegersohn gestellt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt (…).
Ihr Mitgefühl sei bei der Familie sowie den Verwandten und Freunden der Frau, schreiben die Zeugen
Jehovas weiter. „Es ist leider eine traurige Tatsache,
dass trotz bester ärztlicher Behandlung nicht jeder
Unglücksfall verhindert werden kann“, wird in der
Stellungnahme der Sprecher von Jehovas Zeugen in
Deutschland, Werner Rudtke, zitiert. Man sei davon
überzeugt, dass die „herzlichen Glaubensbande in der
örtlichen Gemeinde der Zeugen Jehovas dafür sorgen
würden, den Schmerz des Ehemanns und anderer
Hinterbliebener zu lindern.“ Die Frau hinterlässt
auch eine sechsjährige Tochter. Außerdem werde inzwischen praktische Hilfe geleistet. Die Zeugen Jehovas
sprechen auch dem Krankenhauspersonal ihr Mitgefühl aus, „das erheblicher seelischer Belastung ausgesetzt war“.
Wie berichtet, hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen
aufgenommen. Gegenüber der AZ hatte Oberstaatsanwalt Reinhard Hübner deutlich gemacht, dass eine
Patientenverfügung der Frau gegen die Gabe von
Blut vorgelegen hatte. Der Arzt habe sich daran gehalten, hätte aber auch anders entscheiden können. In
keinem Fall hätte er sich strafbar gemacht. Dies auch
vor dem Hintergrund, dass der Fötus bereits abgestorben war und die Ärzte nicht mehr das Wohl des
Kindes berücksichtigen mussten.
Die Zeugen Jehovas gehen davon aus, dass sich im
Laufe der Ermittlungen herausstellen wird, „inwieweit die Ablehnung von Bluttransfusionen bei dem
tragischen Verlauf eine Rolle gespielt hat“. Unzweifelhaft sei, dass die Patientin ihren Willen in einer Patientenverfügung dokumentiert hatte. „Die behandelnden Ärzte und das Pflegepersonal handelten
somit richtig, indem sie das Selbstbestimmungsrecht
der Patientin über ihr eigenes Urteil stellten (…)“. Die
Zeugen Jehovas lehnen mit Berufung auf die Bibel
die Transplantation von Vollblut und dessen Hauptbestandteilen ab. Jeder Zeuge Jehovas trifft vor Beginn seiner Mitgliedschaft diesbezüglich eine für sich
bindende Gewissensentscheidung – so auch die 29Jährige, die verblutete. Als die Frau ins Koma gefallen war, hatten der Ehemann und eine in der Patientenverfügung als Vormund genannte Frau eine
Transfusion weiterhin abgelehnt. Ein Versuch, die
Patientin durch die Behandlung mit Blutersatzstoffen
zu retten, schlug fehl. (…)
© Gießener Allgemeine vom 5.9.08
?A Entwirf einen Leserbrief an die Zeitung.
?B In der Bibelstelle 1 Mos 9 finden die Zeugen Jehovas eine Begründung dafür, dass sie Bluttransfusionen generell ablehnen. Lies dir diese Stelle aufmerksam durch und versuche mit eigenen
Worten zu begründen, wie diese Argumentation lauten könnte.
?C Macht euch – immer zu zweit – Gedanken für ein Gespräch zwischen einer Krankenschwester
bzw. einem Pfleger und einem Arzt oder einer Ärztin. Sie sollen darüber diskutieren, ob ihnen die
Argumente der Zeugen Jehovas einleuchten oder nicht. Dabei soll der Konflikt zwischen der
Aufgabe, auf der einen Seite Leben zu bewahren und auf der anderen Seite, die Regeln einer Religion zu achten deutlich werden. Führt nach einander solche Diskussionen durch.
:in Religion 9/2008
Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
MATERIALIEN
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m7/1
Ein hochrangiger Scientology-Aussteiger berichtet
Wilfried Handl kommt, wie er sagt, „aus der
tiefsten Kälte“. Er ist einer der wenigen hochrangigen Scientologen, der ausgestiegen ist und der
auch davon berichtet. “Ich war ein Täter! Ich
habe Menschen wehgetan. Ich war ein Parteisoldat in einem faschistischen System!“
immer nur um Geld. Denn am Geld wurde der
Erfolg gemessen.“ Handl berichtet von Veranstaltungen, in denen 200 Scientologen in einem
Raum eingeschlossen wurden. „Raus kam nur,
wer zahlte“, ob 2.000 $ oder 20.000 $. Insgesamt
sei es in all den Jahren um Millionen gegangen.
1974 fing alles an. Handl suchte nach einem Sinn
in seinem Leben. Eine Freundin nahm ihn mit zu
Scientology in Wien. Dort begegneten ihm viele
intelligente, immer freundliche Menschen. Viele
hübsche Frauen habe er dort kennengelernt, berichtet er. „Dass wir immer kälter wurden, habe
ich damals nicht bemerkt.“ Man glitt so allmählich in das System Scientology hinein. Er besuchte
immer mehr Kurse, unter anderem lernte er im
Kommunikationskurs von Scientology, anderen
Menschen stundenlang regungslos in die Augen
zu schauen oder Aschenbecher anzubrüllen. Er
veränderte sich immer mehr. Er wurde immer
härter und durchsetzungsfähiger. „Wir wurden
zu Robotern gemacht. Man hat uns Gefühle,
Empfindungen, die Moral geraubt. Unsere Persönlichkeit wurde total verändert.“ In diesem
Zusammenhang berichtet Handl von Erpressung
sowie psychischer und physischer Nötigung.
Handl berichtet von Kindern, die als „Erwachsene
in kleinen Körpern“ gesehen werden. Wenn einer
seiner Söhne hinfiel, half ihm niemand auf, wenn
er sich wehtat, hat niemand ihn getröstet. „Hatten sie Angst, haben wir ihnen gesagt, sie sollen
still sein. Liebe ist bei Scientology nicht vorgesehen!“ Heute schmerzt es ihn, davon zu berichten.
Heute leben seine Söhne in den USA bei seiner
geschiedenen Frau. Der Kontakt mit dem Vater
ist den Kindern verboten, wie das typisch für
Scientology ist.
Bald hatte er nur noch Freunde bei Scientology,
von allen anderen wollte er nichts mehr wissen.
1980 wurde er Leitender Direktor von Scientology in Wien. „Ich genoss die Macht, die ich hatte,
und das Gefühl, dass ich mit anderen alles machen konnte!“ Er schickte Suchtrupps los, wenn
jemand die Gruppe verlassen wollte, und führte
Verhöre durch und zwang die Mitglieder, alles zu
erzählen. „Wir haben den gläsernen Menschen
geschaffen!“ Eigentlich aber, so sagt er, „ging es
Vor sieben Jahren erkrankte Handl an Krebs.
Während der Chemotherapie begann er über sein
Leben nachzudenken. Ein Scientologe, der „clear“
ist, ist doch unbesiegbar und unsterblich. Doch
jetzt konnte er den Krebs spüren! „Hinter jeder
Krankheit steckt das eigene böse Tun, sonst wäre
man nicht krank“, heißt es. „Und mein Leben,
das war Scientology!“ Auf einmal war ihm klar,
was zu tun war, „da bin ich ausgestiegen“. Allerdings schaffte er den Ausstieg nur, das betont er
besonders, weil ihm eine alte Freundin, seine
Jugendliebe, die mit Scientology nichts zu tun
hatte, dabei half. Drei Jahre waren sie ein Paar in
dieser Zeit. Ohne ihre Liebe wäre er verzweifelt
und hätte den doppelten Kampf gegen den
Krebs und Scientology nicht durchgestanden.
Heute, sagt er, liebt er jeden Tag, der ihm geschenkt wird.
?A Menschen entdecken für sich in ganz unterschiedlichen Dingen den Sinn des Lebens: Macht,
Geld, Gesundheit, Schönheit, Erfolg, Prestige … Was würdest du noch ergänzen?
?B Welche dieser „Sinn-Geber“ findest du bei den Scientologen (ausdrücklich oder „zwischen den
Zeilen“)?
:in Religion 9/2008
Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
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m7/2
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Wer oder was ist die Scientology-Organisation?
Entstehung und Geschichte: Der Gründer der
Scientology-Organisation (SO) ist der ScienceFiction-Schriftsteller L. Ron Hubbard (1911–1986).
Kurz nach der Veröffentlichung seines Buches
„Dianetik. Der Leitfaden für den menschlichen
Verstand“ eröffnete er 1950 ein erstes Dianetisches Zentrum in den USA. Vier Jahre später,
nachdem Probleme mit der amerikanischen Gesundheits- und Steuerbehörde aufgetreten waren,
benannte er sein Zentrum in „Scientology-Kirche“
um. Die SO ist heute eine streng hierarchisch
strukturierte, weltweit aktive Organisation unter
der Leitung von David Miscavige. Das Managementzentrum befindet sich in Los Angeles, das
geistige Hauptquartier in Clearwater (Florida).
Die europäische Zentrale hat ihren Sitz in Kopenhagen. Die deutsche Zentrale ist in Berlin. Nach
eigenen Angaben soll es weltweit acht Millionen
Mitglieder geben, nach Expertenschätzung sind
es maximal 400.000. Für Deutschland schätzt der
Verfassungsschutz 6.000.
Lehre und Praxis: Die Lehre der SO besagt:
Der Mensch besteht aus drei Teilen: „Body“
(Körper), „Mind“ (Verstand) und „Thetan“
(Seele). Der „Thetan“ existiert angeblich seit Bestehen des Universums der Welt und wird immer
wieder geboren. Wenn jemand stirbt, überlebt
der „Thetan“ und sucht sich einen neuen Körper.
Im Laufe der Jahre hat der „Thetan“ viele negative
Erfahrungen gemacht. Diese nennt man in der
Lehre der SO „Engramme“. Sie sind verantwortlich dafür, dass jemand krank wird, süchtig oder
ein Verbrechen begeht. L.R. Hubbard verspricht,
dass mit Hilfe seiner Methode „Dianetik“ alle
„Engramme“ gelöscht werden können und damit
ein glückliches und erfolgreiches Leben für jeden
Scientologen möglich wird. Als „Clear“ wird der
Zustand bezeichnet, nachdem alle „Engramme“
gelöscht werden. Danach muss sich der „Thetan“
weiterentwickeln, um schließlich auf der letzten
Stufe der Vervollkommnung (Stufe 15) „Ursache
über Zeit, Raum, Materie und Energie“ zu sein,
also ein unsterbliches, gottähnliches Wesen zu sein.
Um dieses Ziel zu erreichen, muss man viele Kurse
:in Religion 9/2008
und das „Auditing“ absolvieren: In einem Einzelgespräch müssen die eigenen schmerzhaften Erlebnisse („Engramme“) einem anderen Scientologen so lange erzählt werden, bis man über seine
Erlebnisse lachen kann, dann gilt das Erlebte
als gelöscht. Außerdem werden diese Erlebnisse
schriftlich festgehalten und an sogenannte „Fallüberwacher“ weitergeleitet. Diese Akten sind
sämtlichen Kontrollinstanzen der Organisation
zugänglich. Aussteiger und Kritiker gelten als
„unterdrückerische Personen“, die man jederzeit
bekämpfen darf.
Entwicklung/Anwerbemethoden: Die SO verfügt über sehr raffinierte und vielfältige Werbemethoden: persönliches Ansprechen in der Fußgängerzone, das Angebot, einen kostenlosen
Persönlichkeitstest zu machen, ein Arbeitsplatz
im SO-Center, Nachhilfeangebote. Außerdem
gibt es eine Fülle von Tarnorganisationen, wie
z.B. die KVPM („Kommission für die Verstöße
der Psychiatrie gegen die Menschenrechte“),
„Jugend für Menschenrechte“, „Narconon“
(Drogenrehabilitation). Ziel der SO ist die Erschaffung eines neuen Menschen und einer neuen,
ausschließlich nach scientologischen Richtlinien
funktionierenden Welt. Eine wahre Demokratie
kann nach Hubbard erst entstehen, wenn alle
Menschen Scientologen sind. Seit 1997 wird die
SO durch den Verfassungsschutz beobachtet.
Beurteilung: Die SO löst ein erhebliches
Konfliktpotential aus. Der Anspruch der
Weltherrschaft verstößt gegen unser Grundgesetz. Die vielen Kurse, die absolviert werden müssen, nehmen viel Zeit in Anspruch
und sind sehr teuer. Die Kosten, um Stufe 8 zu
erreichen, betragen mindestens 500.000 Euro.
Das „Auditing“ ist nach Ansicht von Experten kein psychotherapeutisches Verfahren,
sondern eine unmenschliche Prozedur, die für
Menschen erhebliche gesundheitliche Gefahren wie Angstzustände, Halluzinationen, Depressionen bis zu psychotischen Zusammenbrüchen auslösen kann.
Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
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m7/3
Nachhilfe – ein Angebot ohne Hintergedanken?
Scientology – Die Organisation betreibt in Deutschland mehr als 30 Nachhilfe-Institute. Immer
wieder fallen Eltern und Jugendliche auf deren
getarnte Angebote herein. Eine Schülerin und
eine Scientology-Aussteigerin berichten über ihre
Erlebnisse:
„Mein Vater entdeckte den Zettel in einem
Supermarkt. Für eine alternative Schule wurde
da geworben, in der Lernen auch noch Spaß
macht. Wie praktisch, dachte er sich und riss die
Telefonnummer für mich ab. Ich hatte damals gerade meine Ausbildung zur Krankenschwester
abgebrochen. Konnte das Leid, das Sterben einfach nicht ertragen. Ich verbrachte viel Zeit in
meinem Zimmer. War oft krank und niedergeschlagen. Lern doch mal wieder ein bisschen, hat
meine Mutter gesagt. Wahrscheinlich hatte sie
Angst, dass ich keine neue Ausbildungsstelle
mehr finde, wenn ich zu viel vergesse. 20 Euro
sollte eine Unterrichtsstunde kosten, sagte die
Lehrerin am Telefon. Ich fand es nett bei Frau R.,
einer kleinen, rundlichen Person, die immer ein
Strahlen auf dem Gesicht hatte. Sie war so unglaublich freundlich zu mir, wie eine Mutter, hat
immer gefragt, ob ich etwas trinken, etwas essen
möchte. Ich habe es nach den Enttäuschungen
meiner abgebrochenen Ausbildung so genossen,
dass mir jemand zuhört und sich für mich interessiert.“
So erlebte Anna vor drei Jahren die Nachhilfestunden. „In der Scientologen-Sprache nennt
man das Love Bombing“, erklärt die ehemalige
Scientologin und jetzige Ausstiegsberaterin
Jeanette Schweitzer. „Wir wurden in speziellen
Kursen darauf gedrillt, offen auf Menschen zuzugehen. Erst später wird dann der Druck erhöht,
um neue Mitglieder einzufangen.“ 31 Adressen
von Nachhilfeschulen und privaten Anbietern
listet allein die Internet-Seite der Scientologynahen Organisation „Applied Scholastics“ auf –
noch vor einem Jahr waren es lediglich zehn.
Besonders aktiv ist die Organisation in Großstädten, aber auch kleinere Orte sind nicht mehr sicher.
Wörter kneten und mittels eines scientologischen
Wörterbuchs definieren sind typische Methoden
der „Study Technology“ – einer angeblich besonders effektiven Studiertechnologie, um „Lernen
zu lernen“. Sie wurde von Scientology-Gründer
L. Ron Hubbard entwickelt, einem amerikanischen ehemaligen Science-Fiction-Autor. „Dabei
wird die Sprache von Kindern – und somit auch
ihre Wahrnehmung der Realität – ganz gezielt
scientologisch verformt“, warnt die ehemalige
Scientologin.
Eltern sollten konkret nachfragen, ob die Studiertechnologie von L. Ron Hubbard verwendet
wird, bevor sie ihr Kind bei einem Nachhilfeinstitut anmelden, weil der Begriff Scientology
nie fällt. Die Alarmglocken sollten schrillen,
wenn nicht nur versprochen wird, eine Matheschwäche zu beseitigen, sondern auch aus einem
schlechten Schüler ein glückliches, erfolgreiches
Kind zu machen.
Kinder sind meist nur der Köder für die Scientologen. Die eigentliche Beute sind ihre Eltern oder
Freunde. Der Familie werde suggeriert, dass die
schulischen Probleme des Kindes familiäre Ursachen hätten und dass den Eltern hierbei ein Kommunikationsseminar helfen könne. Haben sie erst
einmal angebissen, werden sie ausgepresst wie eine
Zitrone.
?A Worauf man bei Nachhilfeangeboten achten sollte sowie Adressen von Sektenberatungsstellen
findest du unter http://www.focus-schule.de/scientology
?B Weitere Informationen zum fragwürdigen Nachhilfeangebot der Scientologen findest du hier:
http://www.sekten-info-nrw.de
:in Religion 9/2008
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m8/1
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Wer oder was ist „Universelles Leben“?
Gründerin: Nach dem Tod der Mutter 1970
glaubte Gabriele Wittek (geb. 1933) Stimmen aus
anderen Welten zu hören. Nun verstand sie sich
als „Sprachrohr“ und „Posaune Gottes in dieser
Zeit“, die Christus und die biblischen Offenbarungen als Prophetin „erklären, berichtigen und
vertiefen“ wollte.
Entstehung und Geschichte: Seit 1977 nannten
sich ihre Anhänger „Heimholungswerk Jesu
Christi“ (HHW). Mit Beginn der 80er-Jahre
nahm die Verbreitung des HHW zu. Esoterische
Elemente bis zum UFO-Spiritismus ergänzten
die Ideologie. 1984 erfolgte die Umbenennung in
„Universelles Leben“. In dieser Zeit begann eine
starke Kommerzialisierung der Gruppe. Es entstanden sog. „Christusbetriebe“, die mit ökologischen Produkten („Gut zum Leben“; „Lebe gesund“; „Hin zur Natur“) erfolgreich sind. 1986
wurde die „Christusklinik“ in Marktheidenfeld
bei Würzburg gegründet. Es wurden Kindergärten und eine „Christusschule“ gegründet, in denen
nach der UL-Ideologie erzogen wird. In Marktheidenfeld siedelten sich sehr viele UL-Anhänger
an. Ihr Ziel ist die Vorbereitung auf ein „Friedensreich“. Sie leben in Wohngemeinschaften zusammen.
Lehre und Praxis: Im Zentrum der UL-Ideologie steht der Gedanke einer göttlichen „Buchhaltung“. Alles menschliche Handeln wird minutiös
aufgeschrieben, um (in einem späteren Leben)
genau abgegolten zu werden. Ein esoterisch geprägter Reinkarnations- und Karmagedanke
spielt hierbei eine Rolle. Krankheiten, Schicksalsschläge und Naturkatastrophen sind das Ergebnis früheren Fehlverhaltens. Es geht um die „Reinigung von allen Prägungen dieser Welt“ durch
„Umprogrammierung der Gehirnzellen“. Ehe
und Familie treten zurück, Staat, Kirche und Gesellschaft werden bekämpft, wenn sie nicht den
Vorstellungen des UL entsprechen. Durch ein reines Leben, zu dem die Aufgabe der individuellen
Persönlichkeit und ein siebenstufiger „innerer
Weg“ gehören, soll der Mensch vom Gesetz von
:in Religion 9/2008
Ursache und Wirkung befreit werden und mit
möglichst wenig Wiedergeburten die Einheit mit
Gott wiederhergestellt werden. Dazu gehören
auch vegetarische Ernährung, Verzicht auf persönliche Bindungen und materielles Vermögen.
Es wird mit Endzeitkatastrophen gerechnet, in
denen die Welt vom Bösen gereinigt wird und ein
1000-jähriges Reich entsteht.
Entwicklungen: Das UL tritt durch verschiedene
Aktionen hervor: die „Initiative Mahnmal für die
Millionen Opfer der Kirche“ ist von hasserfüllter,
antikirchlicher Propaganda bestimmt. Im Tierschutz gibt es die ebenfalls aggressive „Initiative
zur Abschaffung der Jagd“. Ende 2000 wurde
die „Gabriele-Stiftung“ gegründet, durch die das
Werk Christi als „Werk der Nächstenliebe an
Natur und Tieren“ vollendet werden soll. Umfangreiche Ländereien bei Würzburg sollen das
„Friedensreich“ verwirklichen.
Beurteilung: Das UL zeichnet ein erhebliches
Konfliktpotential aus. Der beanspruchte Absolutheitsanspruch steht im Widerspruch zur
proklamierten Freiheit der Anhänger. Angst
vor negativen Folgen eigenen (vermeintlichen) Fehlverhaltens kann zu erheblichem
Konformitätsdruck führen. Aussteiger sprachen von einem „Klima der Angst“. Es gibt
Abschottungstendenzen gegenüber der als
„dämonisch“ verstandenen Außenwelt. Von
außen kommende Kritik wird heftig bekämpft.
Christliche Versatzstücke der UL-Lehre dienen
eher der Fassade. Faktisch haben allein Gabriele Witteks Entscheidungen letzte Gültigkeit in allen Glaubens- und Lebensfragen.
Oftmals lassen sich suchende Menschen durch
die Heilungsveranstaltungen und Natur- und
Tierschutzaktivitäten ansprechen. Im Einzelfall muss auch mit der Gefahr schwerer psychischer Schäden gerechnet werden.
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m8/2
Martin – seit 20 Jahren Mitglied von „Universelles Leben“
Mitte der 80er-Jahre studierte Martin Psychologie. Es ging ihm damals persönlich nicht gut. Er
kam mit sich und seiner Lebenssituation an der
Universität nicht zurecht. Das Studium brach er
ab und begann eine kaufmännische Ausbildung.
Er hat diesen Beruf aber niemals ausgeübt. Seine
Familie erzählt, dass er damals in Würzburg zum
Universellen Leben (UL) kam, zu dem er bis heute
gehört. Sie sagen, das UL wollte nicht, dass er in
seinem Beruf als Kaufmann arbeitet, sondern er
sollte als „fleißige Biene“ in den Wirtschaftsbetrieben des UL arbeiten. Dort musste er alle
möglichen Arbeiten erledigen. Er bekam nur einen
sehr geringen Lohn und hatte noch viele ehrenamtliche Aufgaben nebenher. Eigentlich, so berichten
seine Angehörigen, sollten die Mitglieder damals
eine Aktienbeteiligung an den Wirtschaftsunternehmen des UL erhalten. Bis heute habe es diese
Beteiligung aber nicht gegeben. Einmal fuhr seine Mutter mit ihm nach Würzburg und erlebte
die sogenannte Prophetin der Gruppe, Gabriele
Wittek, bei einer Kundgabe von Gott-Vater durch
sie. Seine Mutter war erschüttert, wie „eigentlich
recht kluge Menschen“ in Ekstase und Verzückung gerieten, als Gabriele Wittek auftrat. Martin hatte sie noch nie so außer sich erlebt. Sie kam
mit noch größeren Sorgen von dieser Reise nach
Hause zurück. Zum Glück riss der Kontakt zur
Familie niemals ganz ab, aber Martin wollte und
konnte die Sorgen seiner Schwester und Mutter
nicht wirklich hören. Seine Mutter traf es besonders, als er sie nicht mehr „Mutter“ oder „Mama“ nannte, sondern sie nur noch mit ihrem Vornamen ansprach. Nach seinem Verständnis sei sie
nur die „Dose“, die ihn auf die Welt gebracht habe
und sonst nichts. Im Lauf der Jahre häufte Martin
Schulden zwischen 4.000 € und 5.000 € auf und
verdiente im UL zu wenig, um sie abzahlen zu
können. Er bekam immer mehr psychische Probleme. Seine Fähigkeit, die Realität zu erkennen
und angemessen zu handeln, nahm immer mehr ab.
Wenn Martin krank wurde, sowohl als er noch in
Würzburg lebte als auch danach, hat sich niemand
aus der Gruppe um ihn gekümmert. Sie haben
ihm „nicht mal eine Suppe gebracht“, beklagt
seine Mutter sich noch heute. Die Familie machte
sich große Sorgen und wünschte sich, dass Martin
das UL verlässt. Doch auch als er ins Rheinland
zurückzog, wo er seither bei seiner Familie lebt,
hat er den Kontakt zum UL gehalten. Zwei- bis
dreimal im Monat fuhr er in den ersten Jahren
nach Würzburg zu Versammlungen des UL und
überwies 25,00 € monatlich von seinem kargen
Gehalt für die Pflege der Tiere, die im UL bis zu
ihrem Tod aufopfernd gepflegt werden. Wenn er
von dort zurückkam, war er meist sehr nervös,
manchmal regelrecht hysterisch. Lange traf er
sich wöchentlich mit Gleichgesinnten in der Region. Noch heute ruft er jeden Tag beim UL an.
Was er dort hört, wissen seine Angehörigen nicht.
Er arbeitet heute als Lagerarbeiter, hat außer
seiner Familie, bei der er selbst auch lebt, keine
anderen Sozialkontakte.
?A Lies diese Darstellung von Martins Entwicklung aufmerksam durch. Was könnte seine „Anfälligkeit“ für die Mitgliedschaft unterstützt haben?
?B Schau dir die Grafik an und versuche sie vor dem Hintergrund von Martins Lebensgeschichte
zu deuten.
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„Ich flehe dich an: Schweig!“
Als Einsteiger hatte sich Michael Hitziger beim Universellen Leben herzlich empfangen gefühlt. Kurz vor
seinem Ausstieg wünschte er sich zeitweise den Tod.
Jetzt schreibt er ein Buch über seine Erfahrungen.
Herr Hitziger, Sie waren 17 Jahre beim Universellen
Leben, wie geht es Ihnen heute?
Ach, ich komme leidlich über die Runden. Nach dem
Ausstieg musste ich fast drei Jahre vom Arbeitslosengeld leben, durch meine Übersiedlung zum UL habe
ich auch den Großteil meiner Altersbezüge verloren.
Aber schlimmer ist das Gefühl der inneren Leere und
dass ich den Glauben an Menschen verloren habe: Ich
traue jedem alles zu. Es macht mich immer noch
sprachlos, wie beim UL – so sehen ich und andere
Aussteiger das – mit den höchsten Idealen des Abendlandes, der Bergpredigt, Menschen verführt werden.
Aus Begeisterung für Christus habe ich mich damals
auf das „Friedensreich“ locken lassen. Heute ist mir
Christus ferner als je zuvor.
Wie haben Sie sich denn damals „locken lassen“?
Das war 1984, nach einer sehr schmerzhaften Trennung. Ich kam über eine Plakatwerbung an die Sekte,
die damals noch „Heimholungswerk Jesu Christi“
hieß. Die haben mich sofort beeindruckt, besonders
der damals herzliche und ehrliche Umgang miteinander. Ich dachte: „Hier wird noch authentisches Christentum gelebt.“ Außerdem wirkten die Offenbarungen
der Prophetin – trotz ihrer metallisch anmutenden
Stimme – so überzeugend. „Das ist die Wahrheit“,
fühlte ich, „diese Offenbarungen können nicht von
Menschenhand sein!“
Sie sind schließlich dem Ruf der Prophetin zum
Aufbau des „Friedensreiches“ gefolgt, haben alles
hinter sich gelassen und sind auch in den Raum
Würzburg gezogen.
Ja, ich war damals schon Teil des inneren Sektenkreises, der „Bundgemeinde Neues Jerusalem“. Nachdem
viele schon in den 8oern dorthin gezogen waren, kamen ich und meine jetzige Frau Anfang der 80er
hinterher, als Wittek die Endzeit verkündete und
auch auswärtige „Geschwister“ wie mich rief. Und
auch dort hatte ich zunächst immer wieder erhebende
Erlebnisse. Bei festlichen Abendmahlen zum Beispiel,
wo es dann Offenbarungen gab und ein kleines Orchester harmonische Melodien dazu spielte. „Christus
geht durch die Reihen und segnet jeden“, verkündete
die „Prophetin“. Da ging die Angst schnell weg.
Welche Angst?
Es gab in der Bundgemeinde, so habe ich es empfunden, eine starke Stimmung des Misstrauens. „Ge-
:in Religion 9/2008
schwistern“ wurde mangelnde Verwirklichung der
Lehre der Prophetin vorgeworfen, es fanden Befragungen statt, die mir und anderen Aussteigern wie Verhöre
vorkamen. Wiederholt wurden Menschen aus der Gemeinde ausgeschlossen, für mich ohne klaren Grund.
Ich habe erlebt, wie Erwachsene um Gnade winselten,
nur um drinbleiben zu dürfen. Eine „Schwester“, mit
der ich einmal über Wittek sprach, schrieb mir kurz danach einen panischen Brief: „Ich flehe Dich an, schweig
über unser Gespräch, sonst Kopf ab für uns beide.“ Das
„Kopf ab“ war übrigens sinnbildlich gemeint. Ich sage
das, weil die UL-Anwälte meiner Erfahrung nach
Kritik mimosenhaft auslegen.
Wenn das so beklemmend war, warum ging man
nicht einfach?
Es gab einige „Glieder der Bundgemeinde“, die genau das taten. Die Anzahl kenne ich nicht. Aber ein
Verlassen der Bundgemeinde bedeutet nach der Lehre
der „Prophetin“ einen Bruch des Bundes mit Gott,
mit gewaltigen Folgen, wie Krankheit und Schicksalsschlägen. Das wäre für mich – und andere sagten
mir, dass es ihnen genauso ging – schlimmer gewesen
als zu sterben. Außerdem: Wer so lange aus dem Berufsleben raus ist, hat auf dem Arbeitsmarkt kaum
eine Chance. Deshalb finde ich es unredlich, wenn die
Sekte sagt, jeder könne frei gehen. Die hatten in perfekter Weise etwa 800 Menschen streng an sich gebunden.
Wie ist Ihnen letztlich der Ausstieg gelungen?
Mitte der 90er bekam ich einen Job in der HG Naturklinik Michelrieth, der „Christusklinik“, wo ich über
viele Jahre die Patienten im Saal betreute. Durch den
freiwilligen enormen Einsatz in der Klinik, wie er in
den „Christusbetrieben“ üblich war, und die vielen
zusätzlichen Verpflichtungen für das UL konnte ich
irgendwann vor Erschöpfung nicht mehr schlafen
und mein Herzrhythmus veränderte sich. Ich war ausgebrannt und spürte auf einmal den Wunsch, wieder
ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Hat man versucht, Sie am Ausstieg zu hindern?
Nein, man hat mich 2001 problemlos ziehen lassen
und gab mir sogar ein einwandfreies Arbeitszeugnis.
Erst als ich ein Buch über meine Erlebnisse ankündigte, rührten sich die UL-Anwälte und zerrten mich
vor die Gerichte. Zwischenzeitlich bot man mir
150.000 Euro, wenn ich – das war eine der Bedingungen – auf eine Veröffentlichung des Manuskriptes verzichten würde. Aber ich schreibe mein Buch jedenfalls!
© Constantin Magnis
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Maharishis umstrittene Rede zum „Goldenen Jubiläum“
am 16. Juli 2000
Maharishi äußerte sich gegen die demokratische
Staatsform und ihre Prinzipien: Gewaltenteilung,
Volksvertretung durch Parteien und Parlamente,
Pressefreiheit, Gewerkschaftsrechte, Oppositionsfreiheit usw. Er bestreitet die Gültigkeit allgemeiner Menschenrechte. Er propagiert eine absolutistische Regierungsform, die sich auf das
richtige Wissen über die Gesetze des Kosmos
und des menschlichen Geistes zu stützen habe.
Damit erfüllt die politische Gedankenwelt Maharishis in geradezu klassischer Weise die Kriterien
für eine totalitäre politische Ideologie. Mit die-
sem totalitären Anspruch ist eine aggressive
Polemik gegen Andersdenkende verbunden. Maharishis Rede vom 16. Juli 2000 zum „Goldenen
Jubiläum“ von Guru Dev zum Guru Purnima
wurde weltweit ausgestrahlt. Der Inhalt ist weit
stärker politischer als religiöser Natur. Die folgenden Zitate wurden im Internet als deutsche
Übersetzung verbreitet.
„Wenn man das Licht entzündet, macht man zwei
Dinge… Man bringt das Licht, und man vertreibt die
Dunkelheit. Dies ist das große Prinzip, das Vedische
Prinzip, das den Pfad der Evolution definiert… Ich
möchte die indische Regierung auf indische Grundlagen
stellen. Sie hat sich auf amerikanische Ideale verlagert,
auf britische Ideale, auf deutsche Ideale. Diese zerstörerischen Felder der Welt müssen zerstört werden. Die
NATO muss so schnell wie möglich ihre Tätigkeit einstellen… Die amerikanische Dominanz der Welt, die
britische Dominanz der Diplomatie und die deutsche
Dominanz des Handelns und all das muss zerstört werden. Ich gebrauche ein sehr starkes Wort, aber ich meine
es auch! Es muss zerstört werden… Ich möchte der Welt
sagen: Wenn Sie eine deutsche Maschine kaufen oder
irgendetwas aus Deutschland kaufen, unterstützen Sie
Ihre eigene Zerstörung. Verbieten Sie deutsche Waren,
verbieten Sie britische Waren, verbieten Sie amerikanische Waren. Verbieten Sie amerikanische Botschaften,
verbieten Sie deutsche Botschaften. Beseitigen Sie sie aus
Ihrem Land …
Man kann von einem Arbeiterführer nur Fehler erwarten. Arbeitskräfte benötigen immer jemanden, der sie
beaufsichtigt … einen Aufpasser. All diese Arbeiterführer, Arbeiterorganisationen, die Arbeiterregierungen in England und Amerika – ich weiß nicht, welche
Regierung sie in Deutschland haben – aber sie werden von
dieser Arbeiter-Intelligenz angetrieben. Und man kann
nichts von einem Arbeiter erwarten außer zerstören, zerstören, zerstören …
Jede Regierung ist ein Versager! Zu Wahlterminen verteilen
sie Geld … Und die Briten, Amerikaner, Deutschen,
sie bringen säckeweise Geld, geben sie einer Partei. Und
wenn die Partei ihren Interessen nicht gerecht wird, dann
ändern sie die Regierung. Die ganze Sache ist… Betrug…. Die Maharishi University of Management
kann es übernehmen, Ihr Land durch Sie zu verwalten…
Das Ergebnis wird sein, dass es Millionen Ihrer Bürger
von der nächsten Saison an besser gehen wird. … Man
kann ohne die kosmische Verfassung keine ideale Regierung
etablieren …
Arbeiterführer. Man kann nichts Gutes und Intelligentes
von einem Arbeiterführer erwarten. Er kann nur von
einem sehr unvollständigen Intellekt und unvollständigen
Ansichten geleitet sein.“
Zitiert nach: http://www.tm-vedischewissenschaft.de/
MMY_Rede%20000716.pdf
Die PDF hat den Seiten-Vermerk: „Nicht autorisierte Übertragung
aus dem Englischen: Jürgen Eichholz Fassung 23.10.2007“
?A Unterstreiche in Rot: Wo wird im Text die Gültigkeit allgemeiner Menschenrechte bestritten.
?B Unterstreiche in einer zweiten Farbe: Wo gibt es Hinweise auf eine absolutistische Regierungsform?
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Transzendentale Meditation (TM) – Totalitäre politische Ideologie?
Gründer: Maharishi Mahesh Yogi ist der Begründer der Transzendentalen Meditation (1918–2008).
Nach einem Physikstudium begegnete er Swami
Brahmanada Sarasvati, von dem er Impulse zur
Entwicklung der TM empfing.
Entstehung und Geschichte: 1960 kam Maharishi erstmals nach Deutschland, 1962 soll es 18
deutsche Zentren gegeben haben. Seit 1963 wurde die Wissenschaftlichkeit der TM gegenüber
ihrer spirituellen Bedeutung in den Vordergrund
gerückt und ihr hinduistischer Hintergrund geleugnet. TM versuchte damals, in den staatlichen
Schulen und Universitäten in den USA Eingang
zu finden, was unter religiös-spirituellem Vorzeichen nicht möglich war.
Seit 1974 sei der sog. Maharishi-Effekt wissenschaftlich nachgewiesen, nach dem die Gesellschaft
in einen Idealzustand ohne Krankheit, Verbrechen,
Arbeitslosigkeit etc. überginge, wenn 1% der Bevölkerung TM praktizierten. Es gehe darum, die
„Gesellschaft im Zeitalter der Erleuchtung“ hervorzubringen. Dazu wurde eine „Weltregierung
des Zeitalters der Erleuchtung“ geschaffen. Seit
1977 wird das Siddhi-Programm angeboten, das
parapsychologische Fähigkeiten vermitteln soll:
das Entdecken verborgener Dinge, außersinnliche
Wahrnehmung, übermenschliche Kräfte, Unsichtbarkeit, Aufhalten des Alterns etc. Von besonderer
Bedeutung ist das „Yogische Fliegen“. Es neutralisiere angeblich die störende Dynamik im kollektiven Bewusstsein eines Staates und belebe die
kreative Intelligenz durch Kontakt mit Feldern
reiner Energie und Intelligenz. Ein „Weltplan für
vollkommene Gesundheit“ auf Basis einer TM-Variante der indischen Traditionsmedizin Ayurveda
(Maharishi Ayurveda) wurde 1985 verkündet. Seither entstanden zahlreiche Gesundheits-Unternehmen wie die Ayurveda-Klinik in Bad Ems und
Traben-Trarbach. 1992 wurde bei uns die Naturgesetzpartei zur politischen Durchsetzung der Ziele
der TM-Bewegung gegründet. Die letzten Jahre
verbrachte Maharishi in Vlodrop (Niederlande).
Neben einem kleinen TM-Kader gibt es ca.
100.000 Initiierte in Deutschland.
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Lehre und Praxis: TM knüpft an die Philosophie
des indischen Monismus, der Lehre von der Einheit allen Seins an. TM bietet eine Meditationstechnik, die zum Bewusstsein der All-Einheit
führen und so dem Frieden der Menschheit dienen soll. Die sichtbare Welt wird als Selbstentfaltung des Brahma (des Absoluten) verstanden.
Sie befinde sich in einem ewigen Fortentwicklungsprozess, der auf eine erleuchtete, friedliche,
krankheitsfreie Gesellschaft hinziele. Tod, Leid,
Schuld und Konflikte würden durch die TM-Meditation verschwinden. Der Mensch beeinflusse
durch die Meditation das kosmische Geschehen.
Entwicklungen und Beurteilung: Zunächst
wurde TM unter dem Aspekt möglicher gesundheitlicher Gefährdung von Einzelpersonen durch die Meditationsmethode betrachtet.
TM wurde als Meditationsbewegung wahrgenommen. Dies tritt inzwischen hinter dem politischen und ideologischen Anspruch zurück.
TM vertritt eine totalitäre politische Ideologie auf der Grundlage eines Hindu-Fundamentalismus. Maharishi tritt für den Kampf
gegen demokratische Staatsformen und eine
Rechtsordnung ein, die auf der Idee allgemeiner Menschenrechte beruht (vgl. MaharishiRede vom 16.07.2000). Die exzessive Verehrung Maharishis, die im Innern der Bewegung
vorherrscht, wird in Indien stärker in die Öffentlichkeit getragen als im Westen. TM dürfte aber zu schwach sein, um in westlichen Gesellschaften politische Macht erlangen zu
können. Individueller politischer Fanatismus
ist innerhalb der Kaderorganisation der TMBewegung zu registrieren, der Kader ist aber
zahlenmäßig klein.
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Politik, Lügen und „Entspannung für alle“ – Erfahrungen mit TM
Ich bin Conny aus Schweden. (…) Ich wurde
durch zwei weltweite Organisationen geködert,
TM und die Sathya Sai Baba Organisation, angezogen durch die Sprache, die meine Meister benützten – die „Blumensprache“, die flower power
language, die Maharishi Mahesh Yogi, der Meister der TM-Organisation, benützte. (…)
Zunächst werde ich Ihnen berichten, was in meiner TM-Periode geschah. Es schien eine sehr unschuldige Gruppe zu sein, bei der man uns sagte,
ihre Lehre sei nicht religiös. Wir würden bloß so
nett und glücklich sein, TM lehrte uns bloß, uns
zwei Stunden täglich zu entspannen: das war die
Botschaft. Ich trat dieser Organisation 1967 bei,
und 1969 wurde ich Lehrer der Meditation (...).
Ich musste zum Himalaya reisen und natürlich
stellte sich heraus, dass die Indoktrinierung auch
religiös war. 1971 wurde ich des Gurus Privatsekretär und reisten mit ihm überall hin. Tag und
Nacht. Obwohl wir angeblich auf einer unpolitischen Mission waren, besuchten wir seltsamer
Weise Haile Selassie, den Kaiser von Äthiopien,
Herrn Nixon, König Olav von Norwegen, König
Carl Gustav von Schweden, den Premierminister
von Finnland, den König von Dänemark. (…)
Maharishi wollte die Welt verändern, indem er ihr
sagte, sie solle sich entspannen, denn er wollte tatsächliche alle zu TM-Meditierenden machen,
gleichgültig wer und was sie waren. Er ließ die
Leute sich so willkommen fühlen, aber sein letztes
Ziel, das ich erst nach 1975 zu verstehen begann,
als ich die Organisation verließ, war die Schaffung einer Weltregierung, und bis heute gibt es eine parallele Weltregierung, die durch Minister,
Maharadschas und Könige mit Plastikkronen und
Mänteln wie im Mittelalter geführt wird. Sie glauben das tatsächlich und sie sind nicht irgendwer,
sondern wohl gebildete Leute, Psychiater, Doktoren, Minister, Psychologen (…) Sie können sich
alle mit dem Maharishi Satelliten Netzwerk verbinden: dort gibt es 24 Stunden täglich einen (...)
Kanal und dort ist es sehr leicht zu sehen, was geschieht. Warum verließ ich diese Organisation?
Ich begann aufzuwachen, als er erklärte, Mutter
Teresa sei die schlimmste Art von menschlichen
:in Religion 9/2008
Wesen auf Erden. Sie erhielt später den Nobelpreis. Sein Hauptproblem mit ihr war, dass er den
Nobelpreis für sich selbst wollte. Es wurde mir
gesagt, ich solle die Verantwortlichen für die Auswahl der Kandidaten manipulieren. Wir versuchten das und hatten damit Erfolg, ihn zu nominieren, weil er damals viel Einfluss hatte, aber er
wurde von König Olav von Norwegen ausgeschlossen.
Dann begann er zu sagen, alle seine Lehrer, und
ich war einer von diesen, würden bald fliegen
können. Wir würden fliegen und wir würden alle
Arten von Planeten besuchen, über welche uns
die Psychiater und andere spirituelle Lehrer ständig erzählten. Ich erkannte, dass dies nicht wahr
sein könne, als ich diese Kurse lehrte. Sie nannten
es das TM-Sidhi-Programm. Bei diesen „fliegenden“ Kursen saßen die Leute mit gekreuzten Beinen auf Matratzen und hüpften in dieser sitzenden
Stellung. Nach einer Weile konnte man sehr geschickt sein und ungefähr einen Meter hoch hüpfen, bis man wieder zurückfiel. Ich hörte Maharishi einem französischen Fotografen mit einer
langsamen Kamera die Anweisung geben, den
„Zurückfall“-Teil weg zu schneiden und die Fotos
zusammenzustellen, wenn sie „oben“ waren, was
einen Eindruck des Fliegens vermittelte. So stellte er sie zusammen und das wurde in der ganzen
Welt verbreitet.
Das war zuviel für mich und ich sagte meinem
Meister „Ich kann Ihnen nicht mehr weiter folgen“. So stieg ich 1975 aus. (…) Ich täuschte Leute während etwa acht Jahren. Ich benötigte zehn
Jahre, um den Entschluss zu fassen, auszusteigen.
(…)
Nachdem ich (auch) die (Sathya Sai Baba) Bewegung verlassen hatte, war ich der Leiter einer
schwedischen Regierungsinstitution für Drogenabhängige und Kriminelle und war nach Schweden zurückgekehrt. (...)
Ich schreibe nun mein drittes Buch. Ich werde
nicht den Mund halten (...).
Zitiert nach einem Vortrag von Conny Larsson, gehalten am
25. März 2006 bei einer Tagung der FECRIS (http://www.fecris.org)
in Brüssel. Übersetzung aus dem Englischen: Friedrich Griess.
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Beobachtungen für die eigene Recherche
? Welche Punkte der Checkliste findest du bei den vier Gruppen und den zugehörigen Fallbeispielen wieder? Trage die entsprechenden Nummern bei den Gruppierungen ein:
Scientology
Transzendentale Meditation
Zeugen Jehovas
Universelles Leben
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Menschen, Institutionen, Einrichtungen – Wer kann helfen, wenn … ?
Zuerst gilt: Wenn du dir Sorgen machst, dann
sprich einen Menschen an, dem du vertraust: Jemanden aus deiner Familie, deiner Schule, deiner
Gemeinde, aus dem Sportverein. Reden – aussprechen ist immer gut.
Wenn sich später herausstellen sollte, dass man
sich zu Unrecht Sorgen gemacht hat, dann um so
besser. Also: So offen wie möglich und so schnell
wie möglich mit jemandem sprechen und Rat einholen.
TRAUT EUCH – MERKT EUCH!
1. Das Wichtigste: Miteinander reden, damit Probleme benannt werden können.
2. Mit dem Betroffenen in Kontakt bleiben. So kann Rückzug und Isolation vermieden
werden. Gemeinsam etwas unternehmen, damit es auch außerhalb der „problematischen
Gruppe“ schöne Erlebnisse gibt.
3. Die eigene Meinung beibehalten! Dabei aber den Betroffenen nicht abwerten oder kritisieren.
Wenn man auf „Nummer sicher“ gehen will, kann
man sich auch an Profis wenden. Es gibt bundesweit eine ganze Reihe von Anlaufstellen, die BeDachorganisationen
(z.B. EZW Berlin/KSA Hamm)
Aufgabe: Information
Die Mitarbeiter/-innen in diesen Einrichtungen
untersuchen wissenschaftlich die Weltanschauungsszene und schaffen Hintergrundwissen.
Ehe- und Lebensberatungsstellen
Aufgabe: Beratung
Die Mitarbeiter/-innen in diesen Einrichtungen
leisten in Krisensituationen psychologische
Hilfe.
Weltanschauungsbeauftragte Pfarrerinnen
und Pfarrer (z.B. Evangelische Kirche im
Rheinland – Referat Sekten- und Weltanschauungsfragen)
Aufgabe: Information, Seelsorge, Begleitung und Beratung
Die Mitarbeiter/-innen in diesen Einrichtungen
kennen die Situation in ihrer Landeskirche bzw.
ihrem Bistum.
troffenen und Aussteigern weiterhelfen. Hier kann
man sich Rat und Unterstützung holen, aber auch
einen Freund oder Angehörigen dorthin begleiten.
Wenn du sofort Rat und Hilfe brauchst und
über dein Problem und deinen Kummer reden
möchtest, kannst du hier anrufen: Die
Berater/Innen der TelefonSeelsorge sind täglich 24 Stunden anonym, vertraulich und kostenlos unter den folgenden Telefonnummern
für dich da:
0800- 111 0 111 oder 0800-111 0 222
Spezialisierte Beratungsstellen
(z.B. Sekten-Info NRW)
Aufgabe: Information, psychologische und rechtliche
Beratung
Die Mitarbeiter/-innen in diesen Einrichtungen
besuchen z.B. Schulklassen und informieren
über die neueste Entwicklung.
Das Kinder- und Jugendtelefon – Nummer
gegen Kummer e.V. ® bundesweit, kostenlos und
anonym in den Sprechzeiten:
Montag bis Freitag von 15.00 bis 19.00 Uhr unter
der Telefonnummer 0800-111 0 333
DIE EINRICHTUNGEN DER AUTOREN UND DER AUTORIN DIESER AUSGABE:
Evangelische Kirche im Rheinland – Referat
Sekten- und Weltanschauungsfragen
Graf-Recke-Straße 209
40237 Düsseldorf, Fon 0211-3610 252
Fax 0211-3610 258, Mail [email protected]
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Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V.
Rottstr. 24, 45127 Essen
Tel.: 0201-234646; Fax: 0201-207617
Sprechzeiten: Mo.-Fr. 9.30-12.00 Uhr
und 13.00-15.30 Uhr
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Ist doch klar – oder doch nicht?!
? Nach allem, was du inzwischen über Sekten erfahren hast, kannst du dir schon ein recht differenziertes Bild machen. Lies dir die Aussagen unten genau und in Ruhe durch – und entscheide
dich dann für eine persönliche Einschätzung nach dem Motto „Trifft auf eine problematische
Gruppierung eher zu“ bzw. „Trifft auf eine problematische Gruppierung eher nicht zu“ – immer aus
der Perspektive eines Mitglieds:
1. Streit und kontroverse Diskussion um inhaltliche Fragen darf nicht vorkommen.
genau
eher ja
weiß nicht so recht
eher nicht
stimmt nicht
2. Wer aufmuckt und Kritik äußert, wird mit Liebesentzug bestraft.
genau
eher ja
weiß nicht so recht
eher nicht
stimmt nicht
3. Es gibt eine Führungs- oder Gründungsperson, die ein besonderes Wissen hat.
genau
eher ja
weiß nicht so recht
eher nicht
stimmt nicht
4. Die Leitung weiß immer besser, was für ein Mitglied gut ist, als das Mitglied selbst.
genau
eher ja
weiß nicht so recht
eher nicht
stimmt nicht
eher nicht
stimmt nicht
5. Es gibt ein festes Datum, an dem die Welt enden wird.
genau
eher ja
weiß nicht so recht
6. Nach dem Ende der Welt geht es nur den Mitgliedern dieser Gruppe gut – alle anderen sind
verloren.
genau
eher ja
weiß nicht so recht
eher nicht
stimmt nicht
7. Um in der Gruppe anerkannt zu werden, muss ich Leistung bringen – sonst tauge ich nicht
für diese Gemeinschaft.
genau
eher ja
weiß nicht so recht
eher nicht
stimmt nicht
8. Die Gesellschaft/„die Anderen“ sind irregeleitet. Ihre Ansichten sind eindeutig falsch und
können nicht toleriert werden.
genau
eher ja
weiß nicht so recht
eher nicht
stimmt nicht
9. Der Kontakt zu Freunden oder Familienmitgliedern, welche die Regeln dieser Gruppierung
infrage stellen, muss eingeschränkt oder verhindert werden.
genau
:in Religion 9/2008
eher ja
weiß nicht so recht
eher nicht
stimmt nicht
Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
IDEENBÖRSE
32
4
Vorschläge
Filmtipp – Der gesäuberte Planet – Eine Reise ins Innere der Scientology (DVD-educativ)
Reportage von Rainer Fromm, BRD 2008, 25 Min., Farbe, FSK: LEHR
Sprache: DEUTSCH
Stichworte: Demokratie, Kirche, Scientology, Sekte
Die Scientology-Organisation ist aufgrund verstärkter Aktivitäten in Deutschland erneut in das
Zentrum kontroverser Diskussionen geraten. Kirchliche Sektenbeauftragte kritisieren menschenverachtende und demokratiefeindliche Einstellungen sowie unseriöse Heilsversprechungen der
Organisation. Die Innenminister von Bund und Ländern halten die Ziele von Scientology für unvereinbar mit der Verfassung.
Unter dem Titel „Der gesäuberte Planet – Eine Reise ins Innere der Scientology“ legt die evangelische Filmproduktion MATTHIAS-FILM GmbH eine DVD vor, die zur kritischen Auseinandersetzung
mit Scientology vor allem in Schulen ermuntert. Filmautor Dr. Rainer Fromm recherchierte in
Deutschland, den USA und Österreich und sprach mit hochrangigen Scientologen, Sekten-Experten
und Aussteigern. – Sehr empfehlenswert für die Vertiefung der Unterrichtseinheit.
Der Film ist erhältlich unter http://www.matthias-film.de
Rollenspiel – Am Ende der Unterrichtsreihe kann mit Hilfe der Fallbeispiele und der Werbeangebote aus m2 ein Rollenspiel mit den Schülern und Schülerinnen erarbeitet und vorgespielt werden. Zwei Schüler/-innen übernehmen die Rolle der Anwerber und eine/r die Rolle eines Passanten in der Fußgängerzone oder eines Bürgers an der Haustür.
Es geht hier nicht darum, die Glaubensinhalte einer Gruppierung exakt wiederzugeben, sondern
die Angesprochenen möglichst raffiniert zu einem Treffen zu überreden. Die Schüler/-innen können hier Überredungskünste aus ihrem eigenen Erfahrungsbereich einsetzen. Im Anschluss daran
können im Unterrichtsgespräch folgende Punkte erarbeitet werden: 1. Wie gelingt es, durch ein
Gespräch jemanden in die Enge zu treiben? 2. Wie fühlt sich derjenige? 3. Wie wird man unangenehme Anwerber los?
Die Schüler/-innen sollen lernen, 1. selbstbewusst und deutlich „Nein“ zu sagen (wenn sie nicht
wollen); 2. Sich nicht in Diskussionen verwickeln zu lassen, denn mit Sätzen, wie „Haben Sie
schon schlechte Erfahrungen mit unserer Gruppe gemacht?“ oder „Sind Sie nicht auch für den
Frieden?“ oder „Was haben Sie gegen die Bibel?“ kommt man schnell in Erklärungsnotstand.
Referat – Es können Referate zu weiteren Gruppierungen vergeben werden. Die vorherige
Beschäftigung mit den in diesem Heft vorgestellten Gruppierungen hilft den Schülern und Schülerinnen, eine Vorstellung zu entwickeln, worauf sie bei der Recherche zu „ihrer“ Gruppierung achten können. Als Recherchematerial oder als Strukturbeispiel können auch die Faltblätter zu einigen
Gruppierungen von der EZW dienen. Im Falle einer Internetrecherche sind folgende Internetseiten
dienlich: http://www.religio.de, http://www.relinfo.ch, http://www.agpf.de. Die Ergebnisse der
Referate sollten vorgetragen, diskutiert und zur Vertiefung des Wissens über die behandelten Gruppierungen dienen. Die Checkliste dient dabei immer als Hintergrund für die Einschätzung der
Gruppierung.
:in Religion 9/2008
Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
LLiteratur (Auswahl)
Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und
Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen:
Bausteine für Jugendarbeit und Schule zum
Thema „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“,
Düsseldorf/Köln 2000
Jana Frey: Das eiskalte Paradies. Ein Mädchen bei
den Zeugen Jehovas, Loewe Verlag, Bindlach 2000,
ISBN 3785535694
Andreas Fincke, Matthias Pöhlmann; Kompass
Sekten und religiöse Weltanschauungen – Ein
Lexikon, Gütersloh 2004
Hans Krech, Matthias Kleiminger (Hg.): Handbuch
Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen.
Im Auftrag der Kirchenleitung der VELKD, Gütersloh
(Gütersloher Verlagshaus) 2006
Siehe auch http://www.ezw-berlin.de
LZu den Autoren dieser Ausgabe
Sabine Riede, Jahrgang 1961, Pädagogin. Studium der Evangelischen
Theologie, Germanistik und Pädagogik in Essen (Staatsexamen). Ausbildung in Gesprächsführung und
Krisenintervention bei der GwG.
Synodalbeauftragte des Kirchenkreises Essen. Seit 2003 Leiterin der
Informations- und Beratungsstelle
des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V.
Christoph Grotepass, Jahrgang 1965,
Diplom-Theologe. Zusatzausbildung
in Sozialmanagement. Ausbildung
in klientenzentrierter Gesprächsführung bei der GwG. Seit 2002 Berater
und Referent beim Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V.
Andrew Schäfer, Jahrgang 1961,
Theologe. Studium der Evangelischen Theologie in Erlangen,
Kassel und Bonn. Von 1994 bis 2001
Synodalbeauftragter für Sekten- und
Weltanschauungsfragen im Kirchenkreis Bonn. Seit 2002 Landespfarrer
und Beauftragter für Sekten- und
Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche im Rheinland. Zurzeit Zusatzausbildung in systemischer Familientherapie.
Zum Inhalt
:in Religion enthält jeweils eine vollständige
Unterrichtsreihe mit
■ ausführlichem Unterrichtsverlauf
■ einsatzfertigen Materialien (Arbeitsblätter
mit Leitfragen, Vorschläge für Tafelbilder)
■ einer „Ideenbörse“ für Weiterarbeit und
offenen Unterricht
■ zwei farbigen Overheadfolien
Unser Ziel
:in Religion bietet Ihnen Planungsmaterial für
einen aktuellen und schülerbezogenen Religionsunterricht in der Sekundarstufe I. Dabei
wird versucht, das Wesen der christlichen Religion herauszustellen, aber auch über traditionelle Ansätze hinausreichende Sichtweisen zu
vermitteln. Die Arbeitsblätter sind so angelegt, dass sich einzelne Teile zum selektiven
Einsatz oder zur schwerpunktartigen Behandlung herausgreifen lassen. Die Angabe „Doppeljahrgangsstufe“ ist als Empfehlung zu verstehen und schließt den Einsatz in anderen
Klassenstufen nicht aus.
Der Kontakt
Wir freuen uns, wenn Sie uns Ihre Erfahrungen und Verbesserungsvorschläge mitteilen.
Wenn auch Sie eine interessante Unterrichtsreihe ausgearbeitet haben, so schreiben Sie
uns doch einfach:
Bergmoser + Höller Verlag AG
Redaktion :in Religion, Postfach 500404,
52088 Aachen, DEUTSCHLAND, E [email protected]
Impressum
Herausgeber:
Frank Troue, Gunther vom Stein
Erscheinungsweise:
sechs bzw. neun Ausgaben pro Jahr
Abonnement pro Jahr:
57,– € unverb. Preisempf. inkl. MwSt. für sechs
Hefte zzgl. 4,50 € Versandpauschale (innerhalb
Deutschlands)
85,50 € unverb. Preisempf. inkl. MwSt. für neun
Hefte zzgl. 6,75 € Versandpauschale (innerhalb
Deutschlands)
Anzeigen:
Petra Wahlen
T 0241-93888-117
Mediengestaltung:
graphodata AG, Aachen
Druck:
Image Druck GmbH, Aachen
Verlag: Bergmoser + Höller Verlag AG,
Karl-Friedrich-Str. 76, 52072 Aachen, DEUTSCHLAND
T 0241-93888-123, F 0241-93888-188
E [email protected], www.buhv.de
Titelbild: Marvin Ristau/fotolia.de
ISSN 1434-2251