PDF-Dokument - Verband Evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in
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16. Sonntag nach Trinitatis 20. September 2015, Johannes 11,1(2)3.17-27(41-45) Von: Kathinka Kaden, erschienen im Deutschen Pfarrerblatt, Ausgabe: 8 / 2015 Andersleben Lazarus Zwei Personen in den Evangelien tragen den Namen "Lazarus". Zum einen der hier Auferweckte und zum anderen der "arme Lazarus", der im Elend lebte und im Leben nach dem Tod in Abrahams Schoß sitzen darf. Der Name "Lazarus" bedeutet auf Hebräisch: "Einer, dem Gott hilft". Beiden "Lazarusse" wird erst nach ihrem Tod geholfen. Dem "armen Lazarus" geht es im Leben schlechter als Hunden, erst nach seinem Tod beginnt für ihn das gute Leben. Der andere Lazarus liegt bereits vier Tage lang in der Grabhöhle. Selbst nach seiner Auferweckung kommt er nicht zu Wort. Er scheint wie eine Randfigur in der Geschichte, die viel mehr von seinen Schwestern Marta und Maria handelt. Die Schwestern rufen ihren Freund Jesus um Hilfe. Sie erwarten sofortige Hilfe, doch Jesus macht sich nicht sofort auf den Weg. Marta geht ihm alleine entgegen. Ein theologisches Gespräch zwischen Marta und Jesus über Auferstehungen setzt ein. Martas Bekenntnis wirkt in unser Glaubensbekenntnis hinein: "Ich glaube an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben." Diese wundersame Geschichte kommt also in nahezu jedem unserer Gottesdienste vor und führt uns vor Augen, dass Leben und Tod gar nicht so sehr getrennt sind. Doch der "Tod lässt uns spüren, was wichtig ist in unserem Leben, wie ein unsichtbarer Formgeber, der den Sinn des Lebens plastisch macht. Darum wird uns auch so Vieles erst richtig bewusst, wenn es fehlt, am heftigsten, wenn ein Mensch gestorben ist, der uns nahe steht."(1) Normalerweise helfen Trauerfeiern und Gottesdienste, den Tod zu würdigen. Sie sind aber auch dazu da, die Grenze zwischen Leben und Tod zu zeigen und dem Tod seinen Platz außerhalb des Lebens zuzuweisen. Vielleicht zögert Jesus deshalb, Lazarus zu helfen, weil er dem Tod seinen Platz lassen will? Andererseits kennt er den Wunsch der beiden Schwestern, den "geliebten Menschen aus dem Tod noch einmal ins irdische Leben zurückgewinnen - wer unter uns, der einen nahen Menschen für immer loslassen musste, hätte sich das nicht schon gewünscht?"(2) Zur Predigt "Lazarusse" sind Randfiguren. Die, die ganz unten sind, krank, verhungert, halb tot. Ihnen soll eine besondere Aufmerksamkeit von Christinnen und Christen gelten. An ihnen zeigt sich die göttliche Wirksamkeit Jesu besonders. "Lazarusse" gab und gibt es viele. Für mich beschreibt Billy Joel in dem Song "Leningrad" zwei "Lazarusse": Victor, ein Russe, der 1944 geboren wurde, "ein weiterer Sohn, der nach Leningrad keinen Vater mehr hatte", singt Joel. Der zweite ist ein Amerikaner, "ein Kind des kalten Krieges, in der McCarthy-Zeit ... Kinder des kalten Krieges wurden abgehärtet ..." Und er lässt den Amerikaner fragen: "Haben Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 1/2 sie nicht gehört, dass wir den Krieg gewonnen haben? Für was kämpfen die noch weiter?" In ein paar Rhythmen und mit wenigen Worten erfasst der Interpret das Schicksal ungezählt vieler Russen und Amerikaner in der Nachkriegszeit.(3) Auch heute lernen Kinder, auf Bomben zu reagieren und mit Waffen umzugehen. Und wenn sie nicht dabei traumatisiert werden, werden sie es durch den Verlust lieber Menschen. Die Frage, wofür die, die immer wieder zu Waffen greifen, eigentlich noch kämpfen, ist mehr als berechtigt. Uns Christinnen und Christen soll die Frage beschäftigen: Wie leben die "Lazarusse", die Überlebenden weiter? Je älter wir werden, desto mehr entdecken wir den Lazarus auch in uns. Situationen, die uns trotz allen Optimismus krank gemacht haben. In denen Jesus zu spät gekommen ist. Zu spät Gottes Hilfe. Enttäuschung macht sich breit - und Wut. An dieser Stelle hören manche Gottesbeziehungen auf. Die Geschichte des Lazarus und seiner Schwestern geht weiter. Sie gipfelt darin, dass Jesus den, der krank lag und gestorben ist, wiederbelebt, ihn aus dem Grab herausruft, obwohl sein Leichnam bereits stinkt - so tot ist er. Die Gestalt, die da mit Tuch vor dem Gesicht und Binden an den Füßen und Händen herauskommt, erschreckt mehr als sie tröstet. Hat Lazarus sein bisheriges Leben so weiter gelebt? Darauf kann es dem Evangelisten nicht angekommen sein. Die vielen "Lazarusse", die es gab und gibt, legen ein anderes Zeugnis ab. Sie sterben über kurz und lang wie wir alle. Bei Billy ­Joel leben der Amerikaner und der Russe ihr bisheriges Leben aber nicht weiter wie bisher. Die Todeserfahrungen verändern sie - sie verändern ihre Einstellungen, ihr Verhalten, ihren Horizont. Sie leben in ihrer jeweiligen Welt anders als zuvor, sie setzen sich andere Ziele, sie wagen sich über alte Grenzen. Der Welthit endet damit, dass sich die beiden modernen "Lazarusse" treffen und Freunde werden. ▸ Kathinka Kaden Anmerkungen: 1 Peter Kottlorz, www.kirche-im-swr.de, Anstöße vom 10. Juli 2015. 2 Annette Kurschus, www.evangelisch-in-westfalen.de, Stichworte: Predigt Johannes 11. 3 Kompletter Text unter www.songtexte.com, Stichworte: Billy Joel, Leningrad. Deutsches Pfarrerblatt, ISSN 0939 - 9771 Herausgeber: Geschäftsstelle des Verbandes der ev. Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V Langgasse 54 67105 Schifferstadt Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 2/2