Die Pressekonzerne im französischsprachigen Belgien Teil 1: die

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Die Pressekonzerne im französischsprachigen Belgien Teil 1: die
Die Pressekonzerne im
französischsprachigen Belgien
Teil 1: die Gruppe Rossel
Frédéric TIHON, Form' Action André Renard
Ein Artikel der Online-Zeitschrift www.dautresreperes.be
Geht man durch eine Buchhandlung, scheint es eine gewisse Vielfalt in der Auswahl der
französischsprachigen Tageszeitungen zu geben. Bei meinem Buchhändler habe ich jeden
Morgen die Wahl zwischen sieben belgischen französischsprachigen Tageszeitungen, ohne
die flämischen und französischen Zeitung zu zählen, die in gewisser Menge vorhanden sind.
Meine Wahl als Leser einer belgischen französischsprachigen Tageszeitung kann ich
zwischen folgenden Zeitungen treffen: L'Echo, Le Soir, La Libre, La Dernière Heure / Les
Sports, L'Avenir, La Meuse. Der Kauf würde zwischen 1,30 und 2,50 € kosten. Wenn ich mit
dem Zug fahre kann ich mir auch - kostenlos dieses Mal - Métro besorgen, die Tageszeitung,
die insbesondere in den Warteräumen der belgischen Bahnhöfe ausliegt.
Acht verfügbare Tageszeitungen, "das lässt doch an eine gewisse Vielfalt denken", werden
Sie mir sagen. Wir werden sehen, über eine aufeinanderfolgende Analyse der
Pressegruppen, die sich den belgischen französischsprachigen Markt teilen, dass wir
ziemlich weit entfernt von einer vielfältigen Landschaft sind. Sucht man ein bisschen, stellt
man sehr schnell fest, dass drei Pressegruppen sich den Markt teilen, und so diese schöne
Vielfalt in Frage stellen. Diese drei Pressekonzerne sind Rossel, IPM und Tecteo1. Fokus auf
den ersten der drei: die Gruppe Rossel.
Rossel, der vielfältige Verleger
Historisch gesehen ist Rossel bekannt als Verleger der Zeitung Le Soir, gegründet 1887
durch Emile Rossel. Le Soir stellt sich seit seiner Gründung als unabhängige und
progressistische Zeitung dar. Ab der zweiten Hälfte der sechziger Jahre wird Rossel2 sich
entwickeln und eine Akquisitionspolitik betreiben, die anscheinend auch heute noch läuft.
Rossel wird so zur Gruppe Rossel als in 1966 La Meuse aufgekauft wird (und ihre
verschiedenen regionalen Ausgaben, wie die Brüsseler La Lanterne). 1968 kauft die Gruppe
Rossel La Gazette de Charleroi (und der regionalen Ableger: La Nouvelle Gazette, La
Province). Zeitungen, deren Nähe zur liberalen Welt lange hervorgehoben wurde3.
1999 gründet die Gruppe Rossel SudPresse, das Zentrum, von dem aus in Zukunft die
regionalen Zeitungen herausgegeben werden: La Meuse (Ausgaben für Lüttich, Verviers,
Huy-Waremme, Namur und Luxemburg), La Nouvelle Gazette (Ausgaben für Charleroi, die
Region Brüssel, Sambre/Maas), La Capitale (Ausgaben Brüssel und wallonisch Brabant), La
Province (Ausgabe Mons) und NordEclair (Ausgabe Mouscron und Tournai).
2003 lanciert die Gruppe Rossel, in Zusammenarbeit mit der flämischen Gruppe Concentra
(Herausgeber von Het Belang van Limburg und Gazet van Antwerpen), über die Gesellschaft
Mass Transit Media die kostenlose Tageszeitung Metro.
2005 übernehmen die Gruppe Rossel und De Persgroep (Herausgeber von Het Laatste
Nieuws und De Morgen) die Wirtschaftszeitung L'Echo und ihr niederländisch sprachiges
V.o.G. André Renard - Aachener Straße 48 - 4700 Eupen - 10.06.2015
Gegenstück De Tijd. Diese Tageszeitungen, spezialisiert in der Wirtschaftsinformation,
werden durch das Mitunternehmen Mediafin vermarktet.
In der heutigen französischsprachigen Tagespresse ist die Gruppe Rossel also Herausgeber
von vier Zeitungen. Entweder alleine (Le Soir und SudPresse), oder als Duo (L'Echo und
Métro). Sie ist unbestreitbar die größte Gruppe der frankophonen Presse. Auf Basis der
letzten Daten des Informationszentrums der Medien (CIM)4, stellen die Zeitungen der Gruppe
Rossel ungefähr 60% der Verbreitung der französischsprachigen Tageszeitungen dar.
Die Gruppe Rossel ist also heute Herausgeber von vier
Zeitungen und ist die größte Gruppe der frankophonen Presse.
Le Soir und La Meuse, Jacke wie Hose? Nein, aber das
Durcheinander der Arten führt zu Fragen
Um so schon diese sogenannte Vielfalt der französischsprachigen Tagespresse in
Bedrängnis zu bringen. Umso mehr, als diese Zusammenfassungen von Presseorganen
unter einem gleichen Dach auch redaktionelle Synergien hervorrufen, über die gemeinsame
Nutzung von Inhalten, wie die beiden folgenden Beispiele beweisen.
Das erste ist die Seite 14 der La Meuse vom Montag 2. März, das zweite die Seite 18 der
Lütticher Ausgabe von Le Soir vom gleichen 2. März. Es handelt sich um den gleichen
Artikel, verfasst durch einen Journalisten der La Meuse und in beiden Tageszeitungen
veröffentlicht. Das Layout ist unterschiedlich.
Anders gesagt, und auf brutalere Art, ich kaufe den Soir, um qualitativ hochwertige
Information zu lesen, und finde mich mit einem Artikel von SudPresse wieder, der meinem
Qualitätsstandard nicht entsprechen könnte. Ich sage nicht, dass der durch einen
Journalisten von SudPresse verfasste Artikel schlecht ist. Ich sage nur, dass es Betrug über
die Ware ist: wenn ich den Soir kaufe ist dies, um qualitativ hochwertige nationale
Informationen auf politischer und sozio-ökonomischer Ebene zu lesen, und wenn ich
SudPresse kaufe geschieht dies eher, um lokale oder sportliche Informationen zu lesen.
Im vorliegenden Fall lese ich einen politischen Artikel, verfasst von einem Journalisten der
SudPresse und in den Soir eingefügt, ohne dass überhaupt vermerkt wird, dass dieser
Artikel nicht durch einen Journalisten der Redaktion des Soir verfasst wurde.
Um es noch anders zu sagen, man kann feststellen, dass die industrielle Zusammenfassung
von Presseorganen unter einem gleichen Dach die Vielfalt der Presse beeinträchtigt,
einschließlich im Inhalt selbst eines jeden dieser Organe. Und dies stellt natürlich die Frage
nach der Linie der Veröffentlichungen dieser beiden Zeitungen. Zwei Zeitungen, die, man hat
es zu Beginn dieser Analyse gesehen, nicht die gleiche Herkunft haben: Le Soir definiert sich
als unabhängig und progressistisch, La Meuse versteckt nicht ihre Nähe zur liberalen Welt.
Die Behandlung der gewerkschaftlichen Demonstration
vom 6. November 2014
Wir werden nicht so weit gehen zu sagen, dass in Zukunft Le Soir und SudPresse Jacke wie
Hose seien. Gewiss nicht. Die Behandlung der nationalen Kundgebung vom 6. November
2014 kann das auch bezeugen. Betrachtet man die Titelseiten der beiden Tageszeitungen
am Morgen des 7. November, sieht man sofort die Unterschiede.
Der Soir schreibt über "den Zorn der Straße" und spricht von einer gelungenen Wette der
Gewerkschaften, die "mehr als 100.000 Personen in die Straßen von Brüssel" gebracht
haben. In seinem Edito schreibt Bernard Demonty "man darf das Regierungsabkommen
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nicht eiskalt anwenden". Zwei Photos stehen auf der Titelseite: ein großes, welches einen
Demonstranten zeigt, der von einem Wasserwerfer "zurückgeworfen" wird und ein kleines,
welches brennende Autos zeigt. Zu diesem gehört eine Unterschrift: "Gewalttätigkeiten
führen zu 30 Verhaftungen und 36 Verletzten".
Die Meuse tituliert "Erschreckend!" und schildert eine "Guerilla in den Straßen von Brüssel"
und stellt eine Bilanz auf: "mehr als 50 Verletzte, darunter 2 Polizisten in ernstem Zustand".
Um diese "Guerilla" zu illustrieren, 6 Photos: in der Mitte das eines Demonstranten, der einen
kleinen Pfosten wirft, zwei andere einer verletzten Polizistin. Dann, als Medaillon, drei
kleinere Bilder: das erste zeigt zwei Polizisten, die einen Demonstranten befragen, die
beiden anderen zeigen die Demonstranten inmitten der Flammen. Manche Bildunterschriften
sind auch eindeutig: "die Polizei hat hart reagiert, um der Ganoven Herr zu werden", "die
Docker des Antwerpener Hafens haben Brüssel verwüstet". Kurz, kein Wort über den Erfolg
der Kundgebung. Dazu muss man die Seite umdrehen und das Edito (auf Seite 2) lesen, das
"einen Erfolg" schildert, der "mehr als 120.000 Personen" vereinigt. Aber man muss auch 6
weitere volle Photoseiten über sich ergehen lassen, und Kommentare über diese "Guerilla".
"Die Randalierer machen die Gesetze", "Apokalypse", "Hooligans", "Kriegsgebiet",
"Ganoven", "Ultra gewalttätige Randalierer", "Polizeimotorrad in Flammen", "Verbrannte
Fahrzeuge", ebenso viele Bezeichnungen, die man im Laufe der Seiten liest.
Um diese kurze Übung der Analyse der Titelseiten abzuschließen, möchten wir einige
Fragen stelle.
An die Teilnehmer der Kundgebung vom 6. November:
- Was denkt die große Mehrheit der Demonstranten, die, wie ich, nichts von diesen
Ausschreitungen gesehen haben?
- Fühlen sie sich nicht reingelegt durch die lückenhafte (parteiische) Behandlung der
Information durch SudPresse?
An jene, die an diesem Tag nicht auf der Straße waren:
- Was bleibt Ihnen von der Kundgebung in Erinnerung?
- Bekommen Sie dadurch Lust, in die Reihen der Demonstranten einzutreten?
Die Antworten scheinen klar zu sein, scheint mir...
Rossels "Papier"-Verankerung: die Magazinpresse,
Wurfzettel, der Norden Frankreichs
Dies sind die Tätigkeiten der Gruppe Rossel in der frankophonen Tagespresse. Aber die
Gruppe hält sich nicht nur in diesem Sektor auf. Ganz im Gegenteil. Außer Le Soir,
SudPresse, L'Echo (und De Tijd) und Métro ist Rossel auch im Sektor der Wochenpresse
tätig, über Le Soir Magazine, sowie im Bereich der Kleinanzeigen.
Neben der Papierpresse ist Rossel auch im Audiovisuellen
Bereich und den neuen Medien tätig.
Seit 1970 ist Rossel Eigentümer von Vlan, dem Leader des Sektors im
französischsprachigen Belgien. Durch Vlan hält die Gruppe auch "7Dimanches", die
kostenlos in den Geschäften in Brüssel und der Wallonie, die sonntags morgens geöffnet
haben, verteilt wird.
Die Gruppe Rossel ist auch auf internationaler Ebene präsent, besonders in Frankreich, im
Sektor der Tagespresse. 1998 tritt Rossel in das Kapital der französischen Pressegruppe La
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Voix du Nord ein, eine Gruppe, die 25 tägliche Ausgaben im Norden Frankreichs herausgibt.
Rossel übernimmt die Kontrolle 2005. 2013 wird die Gruppe in Frankreich noch erweitert
durch den Aufkauf des Gebietes Champagne - Ardenne - Picardie (CAP).
Das Imperium Rossel auch präsent im Audiovisuellen und
den neuen Medien
Nicht zufrieden mit dem Imperium, das in der Papierpresse errichtet wurde, hat die Gruppe
Rossel auch einen Fuß im Radio- und Fernsehsektor. Die Verankerung im Radio erfolgt
durch eine (minoritäre) Beteiligung in der Gesellschaft Radio H. Eine Gesellschaft, die
Rossel insbesondere mit RTL Belgium teilt, und welche die Sender Bel RTL, Radio Contact
und Mint ausstrahlt. Die Fernsehverankerung erfolgt über die Beteiligung in der Gesellschaft
Audiopresse (mit Corelio und IPM), die ein Drittel der Anteile an RTL Belgium hält, den
Sender für RTL-TVi, Club RTL und Plug RTL.
Die digitale Entwicklung wird nicht vernachlässigt. Außer Interessen in Online-Tätigkeiten,
nennen wir als Beispiel Groupolitan (eine Site für gruppierten Einkauf) und Rendez-Vous
(Site für Begegnungen), hat Rossel auch Online-Tätigkeiten entwickelt für die "Brückenkopf"Marken, nämlich Le Soir und SudPresse im frankophonen Belgien. Digitale Ausgaben sind
tatsächlich ab jetzt im späten Nachmittag verfügbar, gegen Zahlung eines
Monatsabonnements oder einem Zugang für 24 Stunden.
Man sieht, die Gruppe Rossel hat, von Brüssel ausgehend, ein wirkliches Imperium im
französischsprachigen Belgien und den Norden Frankreichs errichtet. Die Nachfolger von
Emile Rossel haben ihr Schiff gut gesteuert. Dies war der Fall von Robert Hubain, der die
Gruppe bis 2001 führte. Er musste insbesondere den Appetit von Robert Hersant5 zügeln,
ein Magnat der französischen Presse, der in den achtziger Jahren versuchte, die Gruppe in
die Hände zu bekommen. Es war, und ist noch immer, der Fall von Patrick Hurbain, Sohn
und Nachfolger von Robert, dem es gelang, (wieder) aus der Gruppe Rossel ein
hundertprozentiges Familienunternehmen zu machen und die Tätigkeiten der Gruppe noch
und noch zu entwickeln, wie wir versucht haben, es in dieser Analyse zu zeigen.
V.o.G. André Renard - Aachener Straße 48 - 4700 Eupen - 10.06.2015
Fußnoten
1
Über die Ankunft von Tecteo in der französischsprachigen Landschaft der geschriebenen
Presse, siehe eine frühere Analyse "De Corelio à Tecteo: un grave danger pour l'avenir... de
la presse francophone?", Frédéric Tihon, Oktober 2013, www.dautresreperes.be
2
Wir berücksichtigen in dieser Analyse nicht die Zeit des Zweiten Weltkrieges, während dem
der Soir durch die Deutschen "konfisziert" wurde und durch eine Gruppe Kollaborateure
gegen den Willen der Eigentümer wieder begonnen wurde.
3
Am 6. Januar 1961 wurden die Büros der La Meuse durch Streikende zerstört. Streikende,
die der Zeitung vorwerfen, ihrer Bewegung feindlich gegenüber zu stehen.
4
Hier zu konsultieren:
http://cim.be/downloads.php?type=press_auth_global_files&prefix=resume_table/&report=20
14q4ResumeTable_fr.pdf
5
Genannt der Papierfresser, hat Robert Hersant ein Medienimperium im Frankreich der 70er
und 80er aufgebaut. Seine aufrührerische Vergangenheit, insbesondere während des
zweiten Weltkrieges, hat dazu beigetragen, seinen Aufstieg zur Macht in der Rossel-Gruppe
zu blockieren. Seine Beteiligung wurde auf 40% begrenzt. 2005 verkauft die Gruppe
Dassault, die einen Teil der Tätigkeiten der Gruppe Hersant übernommen hatte, die
Beteiligung an Rossel an die historischen Familienaktionäre.
V.o.G. André Renard - Aachener Straße 48 - 4700 Eupen - 10.06.2015

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