matthew laborteaux

Transcrição

matthew laborteaux
Programm
Michael Haneke
1. bis 20.10.2010
Metro Kino
MO 11.10., 19:00
Werkstattgespräch mit
Michael Haneke
Michael Haneke im Gespräch mit profil-Kulturressort­
leiter und Filmkritiker Stefan Grissemann.
»Das Maß des künstlerischen Werts ist die Genauigkeit,
und darin liegt pure Lust. Es ist die Verteidigung der
Ordnung gegen das Chaos. Darum lohnt es sich zu arbeiten, und daraus entsteht Enthusiasmus. Damit muß ich
niemanden beglücken wollen. Ich glaube, daß Genauigkeit
per se beglückt. Jeder, der für künstlerische Äußerungen
empfänglich ist, wird beglückt sein, sofern etwas »gut gemacht« ist. Aber nicht, weil der Künstler damit ein inhaltliches Ziel verfolgt. Ich glaube nicht an Ziele. Ich glaube an
Genauigkeit.« (Michael Haneke)
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Michael Haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO
SO 17.10., 17:00
Carte Blanche Michael Haneke
THE GOLD RUSH US 1925
REGIE, BUCH, SCHNITT
Charles Chaplin
KAMERA Roland H. Totheroh
MUSIK Charles Chaplin (1942)
MIT Charles Chaplin, Georgia
Hale, Mack Swain, Tom Murray,
Henry Bergman
PRODUKTION Charles Chaplin
Productions
LÄNGE 72 Minuten
Originalfassung mit
deutschen Untertiteln
Für die englische Filmzeitschrift Sight and Sound
erstellte Michael Haneke 2002 eine Top-Ten-Liste
der für ihn persönlich wichtigsten Filme, darunter
auch jene fünf Filme, die hier in der Carte Blanche
zu sehen sind, somit auch GOLD RUSH, Charlie Chaplins Glückssucher-Komödie aus dem Jahre 1925, in
der er die condition humaine mit berührendstem,
hintergründigstem Slapstick ausleuchtet. Chaplin,
der seinen Schuh kocht und wie einen Knochen
abnagt, das ist wohl jene Szene, die seine Figur des
Tramp zu einer der strahlendsten, reichsten Ikonen
des Kinos erhob. Siegfried Kracauer formuliert
es folgendermaßen: »Charlie Chaplin, der den
GOLDRAUSCH gedichtet hat, geht durch seine
Dichtung als eine Darstellung des Menschlichen, die
aus fast verschütteten Quellen geschöpft ist. So ist
das Menschliche in den Märchen gemeint, in dem
dummen Hans und anderen Märchenhelden, die
keine Helden sind, so meint es vielleicht der Spruch
Laotses, dass das Ohnmächtigste die Welt bewege.«
(lm)
MO 4.10., 19:00
SA 2.10., 19:00
Carte Blanche Michael Haneke
AU HASARD BALTHAZAR F/Schweden 1966
DREI WEGE ZUM SEE A/BRD 1976
REGIE, BUCH Robert Bresson
KAMERA Ghislain Cloquet
SCHNITT Raymond Lamy
MUSIK Jean Wiener, Franz
Schubert
MIT Anne Wiazemsky, Walter
Green, François Lafarge, JeanClaude Guilbert, Philippe Asselin
PRODUKTION Mag Bodard
/ Athos / Parc / AB Svensk /
Svenska Filminstitutet
LÄNGE 95 Minuten
FORMAT 35 mm, Farbe
Originalfassung mit
englischen Untertiteln
Ein Kristall der Filmgeschichte: Robert Bressons
nüchtern-präzise und gleichsam tief-empfindsame
Passionsgeschichte des Esels Balthazar, der von
den beiden Kindern Marie und Jacques zunächst
liebevoll getauft und umsorgt, von seinen späteren
Besitzern aber als Lasttier, Zirkusattraktion und
Schmugglergerät geknechtet und gequält wird. Eine
wehrlose Kreatur, die stumm und geduldig die Grausamkeit der Welt erträgt. Der Esel als Opfer und
Märtyrer. Selten war der Tod im Kino so gnadenvoll
wie beiläufig.
AU HASARD BALTHAZAR ist ein Schlüsselwerk für
Michael Hanekes filmisches Denken: »Kein Film
hat mir je Hirn und Herz so umgedreht wie dieser
… Man spürt in BALTHAZAR wie in allen Filmen
Bressons eine fast körperliche Aversion ihres
Autors gegen jegliche Form der Lüge, insbesondere
gegen jede Form des ästhetischen Betrugs. Diese
ingrimmige Abneigung scheint die Antriebskraft
seiner gesamten Arbeit zu sein, und sie führt zu
einer Reinheit der erzählerischen Mittel, die in der
Filmgeschichte ihresgleichen sucht.« (lm)
Michael Haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO
REGIE Michael Haneke
BUCH Michael Haneke, Ingeborg
Bachmann
KAMERA Igor Luther
SCHNITT Helga Scharf
KOSTÜME Barbar Langbein
MIT Ursula Schult, Guido
Wieland, Walter Schmidinger,
Udo Vioff, Bernhard Wicki, Yves
Beneyton, Rainer von Artenfels,
Jane Tilden
PRODUKTION Südwestfunk
(SWF); ORF
LÄNGE 97 Minuten
FORMAT Beta-SP
Kann man unbeschwert nach Hause zurückkehren?
Als die zur Starfotografin avancierte Elisabeth
Matrei anlässlich eines Besuchs bei ihrem Vater wieder in ihre Heimatstadt Klagenfurt fährt, löst eine
Wanderung durch die Schauplätze ihrer Kindheit
eine Reihe von Selbstreflexionen aus. Insbesondere eine unglückliche Liebesgeschichte, die ihrem
Lebensentwurf einen erst nachträglich erfahrbaren Knick verpasst hat, kommt beim Gang zum
Wörthersee wieder an die Oberfläche. Spielte schon
die Literaturvorlage Ingeborg Bachmanns mit den
Optionen von Medialisierung und zu ergehendem
System aus Verweisen, findet sich dieser Zugang
in Hanekes wunderbarer Verfilmung in gesteigerter Form wieder: Die weitere Sequenzierung der
Handlung unterstreicht noch die Fragmentiertheit
der narrativen Strukturangebote, die Kameraarbeit
erinnert auf subtile Weise an die wechselnden Erzählperspektiven der literarischen Vorlage. Die Welt
ist aus den Fugen, ganz still. (tb)
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DO 14.10., 19:00
MO 18.10., 18:00
… UND WAS KOMMT DANACH? (AFTER LIVERPOOL)
BRD 1974
Carte Blanche Michael Haneke
A WOMAN UNDER THE INFLUENCE US 1974
REGIE Michael Haneke
BUCH Michael Haneke nach
einem Theaterstück und
Hörspiel von James Saunders,
Deutsch von Hilde Spiel
KAMERA Gerd Schäfer, Jochen
Hubrich, Günter Lemnitz
SCHNITT Christa Kleinheisterkampf
TON Wilhelm Dusil
MIT Hildegard Schmahl, Dieter
Kirchlechner
PRODUKTION Südwestfunk
(SWR)
LÄNGE 89 Minuten
FORMAT Beta-SP, Farbe
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… UND WAS KOMMT DANACH? (AFTER LIVERPOOL): Michael Hanekes kunstfertiges Fernsehfilmdebüt nach einem Theaterstück/Hörspiel von
James Saunders. Ein strenges und schmerzhaftes
Kammerspiel über die Unmöglichkeiten der Kommunikation. Ein Mann und eine Frau haben sich
alles und nichts zu sagen. »Die Beziehungskrise
als Sprachkrise«, hat es Alexander Horwath auf
den Punkt gebracht. (Selbst-)Reflexion auf allen
Ebenen. In das szenische Dialog-Ping-Pong immer
wieder eingeschoben: Bild- (The Beatles), Ton- (I
Can’t Get No Satisfaction) und Text-Zitate (Adorno,
Rimbaud, Warhol, McLuhan …). Zu Beginn die Worte
von Godard: »Der Philosoph und der Cineast haben
eine bestimmte Lebensweise gemeinsam, die einer
Generation eigentümliche Sicht auf die Welt«. Ein
Fernsehspiel mit spürbarer Nähe zum Essayfilm.
Hanekes Weg ins Kino ist vorgezeichnet. (lm)
Michael Haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO
REGIE, BUCH John Cassavetes
KAMERA Mitch Breit, John Cassavetes (ucr.), Al Ruban (ucr.)
SCHNITT David Armstrong,
Sheila Viseltear
MUSIK Bo Harwood
MIT Gena Rowlands, Peter Falk,
Fred Draper, Lady Rowlands,
Katherine Cassavetes, Matthew
Laborteaux
PRODUKTION Faces Internationakl Films, Inc.
LÄNGE 146 Minuten
FORMAT 35 mm, Farbe
Originalfassung mit
deutschen Untertiteln
Ein Zentralwerk des american independent cinema,
wie die meisten von Cassavetes’ Filmen ein Liebesfilm oder vielmehr ein Film über die Liebe und ihre
existenziellen Erschütterungen. Die Geschichte
einer Frau (Gena Rowlands), die mit ihrem Mann
(Peter Falk) und ihren Kindern nach außen hin ein
normal suburbian life führt, in ihrem Innenleben
aber von Angst und Einsamkeit regiert wird – ein
Zustand, der sich zusehends in nackter Hysterie
entlädt. Ein unerbittliches Beziehungsdrama, das
seine Wirkung aus der radikalen Fokussierung auf
seine Schauspieler bezieht: »Ihr Naturalismus«, so
Martin Schaub, »überfällt den Regisseur und seine
technische Equipe, die sich zu wehren wissen. Das
ist das Umwerfende, das Unwahrscheinliche dieses
Films: dass das reflexartige Zusammenspiel, die
Unberechenbarkeit, beispielsweise das Durcheinander einer gestörten Frühstücksparty, ohne Rest in
eine Kamera und in ein Mikrofon gehen. Die Filme
von Cassavetes kann man nur von den Figuren her
erleben (also nicht von der Kamera, nicht von den
hinteren Fauteuils aus). Das ist ihre Begrenzung und
vitale Stärke.« (lm)
SA 16.10., 18:45
FR 8.10., 23:00
Carte Blanche Michael Haneke
ZERKALO (DER SPIEGEL) SU 1975
Carte Blanche Michael Haneke
SALÒ O LE 120 GIORNATE DI SODOMA I/F 1975
REGIE Andrei Tarkovsky
BUCH Andrei Tarkovsky,
Aleksandr Misharin
KAMERA Georgi Rerberg
SCHNITT Ljudmila Fejginowa
MUSIK Giovanni, Battista Pergolesi, J.S. Bach, Eduard Artemjew,
Henry Purcell
MIT Margarita Terechova, Ignat
Danilzew, Oleg Jankowski, Filipp
Jankovski, Anatoli Solonizyn,
Alla Demidowa
PRODUKTION Mosfilm
LÄNGE 108 Minuten
FORMAT 35 mm
Tarkovsky verbindet in ZERKALO die individuelle
Geschichte der Hauptfigur Aleksei mit der Gesellschaftshistorie der Sowjetunion. Unter Nutzung
unterschiedlichster Bildquellen erzeugt er ein facettenreiches Porträt, die Reflexion eines Sterbenden.
Im Rückblick dieses stark autobiografisch geprägten
Films, der wie SOLARIS unter Mitwirkung von
Aleksandr Misharin entstand, verfügen sich die private Erfahrungen des Protagonisten, seine stories,
mit der allgemeinen history. In der Folge beginnen
sich die Bilder wechselweise zu bedingen, zu kommentieren und zu ergänzen. Poetische Frakturen
und verwobene Erzählstrukturen treten, getragen
von Gedichten seines Vaters Arseni Tarkovsky, an
die Stelle von Geradlinigkeit – ein Umstand, der Tarkovsky in seiner Heimat nicht nur Lob einbrachte.
Alekseis Suche nach seiner (verlorenen) Lebenszeit
ist ein starker filmischer Ausdruck subjektiven
Erlebens und Empfindens, ein forderndes Bekenntnis zum Einzelnen (tb). »Nur eine Irritation bewirkt
wirklich etwas. Man will ja aus dem Kino nicht so
rauskommen, wie man reingegangen ist – das wäre
verlorene Zeit.« (M. Haneke)
Michael Haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO
REGIE Pier Paolo Pasolini
BUCH Pier Paolo Pasolini,
Sergio Citti
KAMERA Tonino Delli Colli
SCHNITT Nina Baragli
KOSTÜME Danilo Donati
MUSIK Ennio Morriconi
MIT Paolo Bonacelli, Giorgio
Cataldi, Umberto Paolo Quintavalle
PRODUKTION Produzioni Europee Associati; Les Productions
Artistes Associés
LÄNGE 116 Minuten
FORMAT 35 mm, Farbe
Originalfassung mit
deutschen Untertiteln
Im letzten Reich des faschistischen Italiens, der
Republik Salò, inszenieren Großbürger angesichts
des nahenden Endes des Mussolini-Regimes ihre
Macht in Form grausamer Rituale: Ganz der literarischen Vorlage de Sades verpflichtet, werden eine
Reihe junger Menschen erniedrigt, gequält und
schließlich ermordet. Abseits aller Gewaltästhetisierung werden in diesem Film, der gleichermaßen
Wissenschaft und Gerichte beschäftigte, menschlicher Machtrausch und Vernichtungslust nüchtern
inszeniert: »Der Film, der mich in meinem Leben am
meisten weiter gebracht hat, war seinerzeit SALÒ
ODER DIE 120 TAGE VON SODOM von Pasolini. Der
zeigte Gewalt als das, was sie wirklich ist: Leiden
der Opfer. Das fand ich unerträglich. Das ist bis
heute der Film, der mich am meisten aus der Bahn
geworfen hat. Damals habe ich mich ununterbrochen gefragt: Halte ich das noch aus? Muss ich jetzt
kotzen? Aber der hat mich wirklich über sehr sehr
viel nachdenken lassen. In einer Gesellschaft wie
der unserigen kann man Kino oder dramatische
Kunst im weitesten Sinn nur so machen. Man kann
sie nicht konsensuell machen. Dann ist man dumm.
Oder feig, oder zynisch.« (M. Haneke)
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SO 3.10., 21:00
DO 7.10., 21:00
LEMMINGE (ARKADIEN) A/BRD 1979
LEMMINGE (VERLETZUNGEN) A/BRD 1979
REGIE, BUCH Michael Haneke
KAMERA Jerzy Lipman, Walter
Kindler
SCHNITT Marie Homolkova
MUSIK Franz Schubert, Ludwig
van Beethoven, Alexander
Steinbrecher
MIT Regina Sattler, Christian
Ingomar, Eva Linder, Paulus
Manker, Bernhard Wicki, Elisabeth Orth, Hilde Berger, Kurt
Sowinetz, Greta Zimmer, Ingrid
Burkhardt, Kurt Nachmann,
Rudolf Wessely
PRODUKTION SchönbrunnFilm; ORF; SFB (Sender Freies
Berlin)
LÄNGE 113 Minuten
FORMAT Beta-SP, Farbe
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Mit dem zweiteiligen, semi-autobiografischen
Generationendrama LEMMINGE präsentiert sich
Michael Haneke dem Fernsehpublikum erstmals als
Regisseur und Autor in Personalunion. Und breitet
damit in aller inszenatorischen Dringlichkeit sein
Weltbild aus. Die (moderne) Zivilisation ist – verkürzt formuliert – ein Gefängnis und die Konvention
dessen Wärter. Im ersten Teil ARKADIEN porträtiert
er die Jugendjahre seiner Protagonisten: Evi, Christian, Fritz und das großbürgerliche Geschwisterpaar Sigrid und Sigurd, fünf Gymnasiasten im Wr.
Neustadt der späten fünfziger Jahre – aufgerieben
zwischen den Versprechen der Popkultur, (schwieriger) Sexualität und der rigiden, überkommenen
Werteordnung ihrer Väter, aus deren Klammern sie
sich mit allen Mitteln zu befreien versuchen. Doch
Haneke gibt ihnen keine Chance, lässt sie verzweifelt in den Tod stürzen (Sigurd) oder in Resignation
erstarren. Nur Sigrid schafft es aus der Kleinstadt
nach Wien – zwischenzeitlich. (lm)
Michael Haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO
REGIE, BUCH Michael Haneke
KAMERA Jerzy Lipman
SCHNITT Marie Homolkova
MIT Monika Bleibtreu, Elfriede
Irrall, Rüdiger Hacker, Wolfgang
Hübsch, David Haneke, Norbert
Kappen, Guido Wieland, Vera
Borek, Wolfgang Gasser, Julia
Gschnitzer
MUSIK J. S. Bach
PRODUKTION SchönbrunnFilm; ORF; SFB (Sender Freies
Berlin)
LÄNGE 107 Minuten
FORMAT Beta-SP, Farbe
LEMMINGE, zweiter Teil. Aus den verzweifelten
Jugendlichen sind verzweifelte Erwachsene geworden. Sigrid kehrt anlässlich des Todes ihres Vaters
von Wien nach Wr. Neustadt zurück. Doch sie findet
nichts als Leere vor. Und zwar nicht nur in den
(Erinnerungs-)Räumen der elterlichen Villa, sondern
auch in den Gesichtern ihrer Jugendfreunde. Christian, heute Oberleutnant, stellt bei einem gemeinsamen Essen zynisch fest: »… die Form hält etwas
zusammen, was längst auseinandergefallen ist«.
Eine Einsicht, aus der er aber letztlich die falschen
Konsequenzen zieht …
In finsterer Atmosphäre und mit nüchterner
Bildsymbolik inszeniert, weitet Haneke in VERLETZUNGEN seine Gesellschaftsdiagnose auf die
Verhältnisse der siebziger Jahre aus, zeichnet eine
Welt, die sich wie ein undurchdringbares Netz aus
Schuld, Angst, Entfremdung und Gleichgültigkeit
darstellt. »Was gilt da noch?«, bricht es am Ende
aus Christian heraus. Eine Frage, auf die selbst der
Pfarrer keine Antwort mehr weiß. LEMMINGE: Ein
Fernseh(-film-)Epos von tiefer, existenzialistischer
Traurigkeit. (lm)
FR 8.10., 18:15
FR 15.10., 19:00
VARIATION BRD 1983
WER WAR EDGAR ALLAN? A/BRD 1984
REGIE, BUCH Michael Haneke
KAMERA Walter Kindler
MUSIK Egberto Gismonti, Jan
Garbarek, Charlie Haden
MIT Elfriede Irrall, Suzanne
Geyer, Hilmar Thate, Monica
Bleibtreu, Eva Linder, Udo
Samel, Ilse Trautschold, Kurt
Hübner
PRODUKTION SFB
LÄNGE 98 Minuten
FORMAT Beta-SP, Farbe
Variationen über die Liebe und ihre Schmerzen.
Der Lehrer Georg und die Journalistin Anna lernen
einander kennen und lieben. Doch ihre Zuneigung
kann sich nicht frei entfalten. Georg ist, scheinbar
glücklich, mit Eva verheiratet und Anna lebt in Beziehung mit der Schauspielerin Kitty. Eine naturgemäß vertrackte Situation, die für Kitty Hysterie und
für Eva stille Verlorenheit bedeutet. Georgs Schwester Sigrid wiederum erleidet eine Art emotionalen
Kollatoralschaden, schneidet sich in der Badewanne
die Pulsadern auf. Bei alledem ist VARIATION aber
keine >grausame< Tragödie, viel eher ein nachdenklicher Liebesfilm, in dessen schmuckloser, aber nicht
weniger avancierter Mise-en-scène ebenso viel kühle Distanz wie zärtliche Nähe zum Ausdruck kommt.
»Haneke hat VARIATION einmal seinen ›JohnCassavetes-Film‹ genannt, weil bei all den Verletzungen, die jeder dem anderen zufügt, die Utopie
der Liebe erhalten bleibt« (Horwath). Tatsächlich
zählt der Schluss zu den versöhnlichsten in Hanekes
Werk, ein Happy End ist es freilich nicht. (lm)
Michael Haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO
REGIE Michael Haneke
BUCH Hans Broczyner, Michael
Haneke, Peter Rosei
KAMERA Frank Brühne
SCHNITT Lotte Klimitschek
MUSIK Ennio Morricone
MIT Paulus Manker, Rolf Hoppe,
Guido Wieland, Renzo Martini,
Walter Garadi
PRODUKTION Neue Studio
Film, ZDF, ORF
LÄNGE 83 Minuten
FORMAT Beta-SP
Mit »Wer war Edgar Allan?« versuchte sich Peter
Rosei 1977 erfolgreich im »Erzählen einer literarischen Halluzination« (K. E. Thorpe): In stark
fragmentierter Form schildert er darin die Identitätskrise eines Kunststudenten. Diverse Rauschmittel zerrütten sein Selbstbild als Dandy, die
Begegnung mit einem mysteriösen US-Amerikaner,
dem titelspendenden Edgar Allan, und die Verwicklung in mysteriöse Verbrechen führen zur
Verschlimmerung der Krise. Textlich offen gehalten,
mit Elementen einer möglichen Biografie Poes
durchsetzt, bot Roseis Vorlage die ideale Startbasis
für ein offenes filmisches Erzählen. Wie der heimliche Klassiker der österreichischen postmodernen
Literatur, bleibt auch die Adaption eine einfache
Lösung schuldig. Vielmehr dominieren das Labyrinthische und Verzweigte, treten gewinnbringend an
die Stelle einfacher (Krimi-)Linearität. Dass Rosei in
seiner Poetik den Leitlinien eines außermoralischen
Charakters der Grausamkeit und der existenziellen
Ausweglosigkeit des Lebens verpflichtet ist, trägt
noch zum Reiz dieser Arbeit Hanekes bei. (tb)
37
FR 15.10., 21:00
FR 1.10., 19:30 | MO 4.10., 21:00
FRAULEIN BRD 1985
DER SIEBENTE KONTINENT A 1989
REGIE, BUCH Michael Haneke
KAMERA Walter Kindler, Klaus
Hohenberger
SCHNITT Monika Sozbacher,
Monika Schreiner
MIT Angelica Domröse,
Peter Franke, Lou Castel, HeinzWerner Kraehkamp, Cordula
Gerburg , Chris Howland, Lisa
Helwig, Paulus Manker
PRODUKTION Telefilm Saar
Gmbh; SR (Saarländischer
Rundfunk)
LÄNGE 108 Minuten
FORMAT Beta-SP, s/w
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Eine Mentalitätsstudie der deutschen Nachkriegszeit, ein bitter-sarkastisches Melodram, von
Haneke einmal als seine Antwort auf Fassbinders
DIE EHE DER MARIA BRAUN bezeichnet. Eine Frau
hat es sich in ihrem kleinstädtischen Leben »gut«
eingerichtet – mit ihren beiden Kindern und ihrem
Liebhaber, einem französischen Besatzungssoldaten und Amateur-Catcher. Bis ihr für tot erklärter
Ehemann aus der russischen Kriegsgefangenschaft
zurückkehrt. Die Autonomie ist schlagartig dahin,
und ihr Alltag fortan von Entfremdung, Isolation
und Psycho-Terror bestimmt: Der Mann leidet nicht
nur am Trauma des Krieges, sondern auch am Trauma der Heimkehr. Hanekes bildästhetisch vielleicht
ausladendster Fernsehfilm, nicht nur das Porträt
einer Frau, die ihr »Glück« einfordert, sondern
auch das Porträt einer deutschen Kleinstadt im
Taumel des Wirtschaftswunders. Das Kino als Ort,
in Hanekes Filmen nur selten präsent, ist dabei eine
zentrale Drehscheibe – und gerät am Ende – ganz im
metaphorischen Sinn – zum Fluchtraum schlechthin.
(lm)
Michael Haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO
REGIE, BUCH Michael Haneke
KAMERA Toni Peschke
SCHNITT Marie Homolkova
MUSIK Alban Berg
MIT Birgit Doll, Dieter Berner,
Leni Tanzer, Udo Samel, Robert
Dietl, Georg Friedrich
PRODUKTION Veit Heiduschka;
Wega-Film
LÄNGE 104 Minuten
FORMAT 35 mm, Farbe
Das Kinodebüt von Michael Haneke, 1989 in Cannes
uraufgeführt und Auftakt zu seiner viel diskutierten
Trilogie der emotionalen Vergletscherung. Ein Film
von stilistischer Präzision, wie man sie im österreichischen (Erzähl-)Kino bis dahin noch nicht gesehen
hat. Über einen Zeitraum von drei Jahren zeichnet
Haneke den Alltag einer Linzer Mittelstandsfamilie nach: Aufstehen, Zähneputzen, Frühstücken,
Arbeiten, nach Hause kommen, Lichtabdrehen.
Vater, Mutter, Kind eingespannt in die Mechanik der
kapitalistischen Lebensordnung. Dann, eines Tages,
die Wende. Das Ehepaar beschließt, gemeinsam
mit der Tochter, in den Tod zu gehen – und vollzieht
ihre Tat auf brachiale Weise. Ein Familienporträt
als Traktat über das »Grauen der Wirklichkeit«,
unmissverständlich formuliert in einer Grammatik
der Ausweglosigkeit: Schwarzblenden, strenge
Bildkadrage, kalte Farben, wie versteinert agierende
Figuren. Haneke erklärt nichts, vertraut stattdessen
ganz auf die Wirkungskraft der Zeichen. Ein zutiefst
verstörender Film, der in der Klarheit seiner Form
aber nachhaltig zu transzendentaler Schönheit
findet. (lm)
DI 19.10., 18:45
DI 12.10., 20:30
NACHRUF FÜR EINEN MÖRDER A 1991
BENNY’S VIDEO A/CH 1992
GESTALTUNG Michael Haneke
SCHNITT Brigitte Pevny
REDAKTION Wolfgang Ainberger, Evelyn Itkin
PRODUKTION ORF (»Kunststücke«)
LÄNGE 110 Minuten
FORMAT Beta-SP, Farbe
»Am 8. September 1990 schoß der 21jährige Felix
Zehetner aus Wien Florisdorf auf seine schlafenden
Eltern, richtete auf der Party benachbarter Freunde
ein Blutbad an, streckte zwei Polizisten nieder und
tötete sich anschließend selbst. Fazit des Amoklaufs: 6 Tote, 4 lebensgefährlich Verletzte. Drei Tage
später fand im 2. Programm des österreichischen
Fernsehens aus diesem Anlass ein CLUB 2 mit dem
Thema ›Töten statt reden – Über den jugendlichen
Gewaltrausch‹ statt. Sämtliche Fernsehsendungen
dieses einen Tages (FS1 und FS2) bilden das alleinige Material der folgenden TV-Collage. Länge, Position und Häufigkeit der Sendungsteile in der Collage
entsprechen proportional exakt der Länge, Position
und Häufigkeit ihres Vorkommens im Tagesprogramm«: So liest sich die instruktive Texttafel im
Vorspann von NACHRUF FÜR EINEN MÖRDER, Hanekes nüchtern-zynische Reflexion über die mediale
Auseinandersetzung mit diesem Fall, die er nicht
zuletzt überformt sieht durch den Bilderkreislauf
des Entertainment. Fernsehkritik im Fernsehen, in
ihren Mitteln so einfach wie komplex. (lm)
Michael Haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO
REGIE, BUCH Michael Haneke
KAMERA Christian Berger
SCHNITT Marie Homolkova
TON Karl Schlifelner
MIT Arno Frisch, Angela Winkler,
Ulrich Mühe
PRODUKTION Wega Film;
Bernard Lang
LÄNGE 105 Mintuten
FORMAT 35 mm
Die Spektakelgesellschaft und ihre Vertreter stehen
im Zentrum von BENNY’S VIDEO: Der Film beginnt
mit dem statischen Rauschen der Bildschirme, dem
kalten Technikgeräusch der Tötung eines Schweins
mittels Bolzenschussgerät. Benny, der wohlstandverwahrloste Sohn aus gutem Hause, thront in seinem
Zimmerreich aus Bildschirmen, Gerätschaften und
Abspielgeräten. Verschanzt in seinem Reich der
Wirklichkeitsmanipulation und vermeintlicher Allmacht, ediert er seine eigenen Erfahrungen, kehrt er
immer wieder zur bewahrten Szenerie einer Schlachtung zurück. Die Begegnung mit einem namenlosen
Mädchen, die er in einer Videothek trifft, führt nicht,
wie es die filmischen Konventionen anbieten würden,
zu einer sexuellen Erfahrung, sondern zu einem
kühlen Mord abseits des Sichtbaren. Das Fragen nach
moralischen Rahmenbedingungen und Medienehtik
bestimmen diesen gleichermaßen zugänglichen
wie sachlich anmutenden Film. Dass die elterliche
Generation in ihrer Verantwortungsverweigerung
dabei kein gutes Bild abgibt, ist ebenso konsequent
wie klar. Das Prothesengedächtnis Video erweist sich
hier als bandlanger Stoff aus dem Alpträume und
generationsübergreifende Fesseln gewoben sind. (tb)
39
SA 9.10., 18:30 | MO 18.10., 21:00
MO 11.10., 21:00
DIE REBELLION A 1993
71 FRAGMENTE EINER CHRONOLOGIE DES ZUFALLS
A/D 1994
REGIE, BUCH Michael Haneke
KAMERA Jirí Stibr
SCHNITT Marie Homolkova
TON Karl Schlifelner
MIT Branko Samarovski, Judith
Pogány, Thierry Van Werveke,
Deborah Wisniewski, Ulrich
Reinthaller, Katharina Grabherr,
August Schmölzer, Johannes
Silberschneider, Christian Spatzek, Karl Ferdinand Kratzl, Götz
Kauffmann, Georg Trenkwitz,
Udo Samel
PRODUKTION Wega-Film; ORF
LÄNGE 105 Minuten
FORMAT Beta-SP, Farbe, s/w
40
Michael Hanekes Verfilmung des gleichnamigen
Romans von Joseph Roth, gedreht als Auftragsarbeit für das österreichische Fernsehen. Aber auf
das Kino vergisst Haneke dabei wieder einmal nicht:
DIE REBELLION lässt sich in seinem Expressionismus auch als Verbeugung vor den Sozialdramen des
Weimarer Kinos lesen. Es ist ein stiller, überaus lyrischer Film, in seinen Farbtexturen feinsinnig gewoben, mit einem glänzenden Schauspieler-Ensemble
besetzt und von Udo Samels unprätentiöser Erzählstimme durchdrungen. Andreas Plum (Samarovski)
wird im Krieg ein Bein amputiert und – zurück in
Wien – mit einer Drehorgellizenz »belohnt«. In
seiner Staatsgläubigkeit stets unerschüttert, gerät
er allerdings jäh in Konflikt mit der Justiz. Plum
verliert seine Lizenz, seine Frau und, nicht zuletzt,
auch seine Fassung. Er wird ins Gefängnis gesteckt
und nach seiner Enthaftung zum Toilettenaufseher
im Café Halali gemacht, wo er – in einer Schlusssequenz von klarstem Surrealismus – zu einer letzten
Erkenntnis gelangt. Die Geschichte vom Untergang
der Donaumonarchie als Geschichte einer Wahrnehmungsverschiebung. Eine Großtat. (lm)
Michael Haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO
REGIE, BUCH Michael Haneke
KAMERA Christian Berger
SCHNITT Marie Homolkova
TON Hannes Eder
MIT Gabriel Cosmin Urdes,
Lukas Miko, Otto Grünmandl,
Anne Bennent, Udo Samel,
Branko Samarovski, Claudia
Martini, Georg Friedrich,
Alexander Pschill
PRODUKTION Veit Heiduschka;
Wega-Film; ZDF; arte
LÄNGE 95 Minuten
FORMAT 35 mm, Farbe
Letzter Teil von Michael Hanekes Trilogie der
emotionalen Vergletscherung. Ein GesellschaftsPanorama im besten Sinne. Haneke gibt Einblicke
in die Lebensentwürfe verschiedener Menschen in
Wien – ein rumänischer Straßenjunge, zwei Ehepaare, ein alter Mann oder ein Student. Sie stehen
in keinerlei Verbindung zueinander, bis sie der Zufall
am Ende zusammen führt: Kurz vor Weihnachten
läuft der Student Amok, eröffnet in einer Bank das
Feuer und richtet sich im Anschluss selbst. In seiner
Chronik der Ereignisse verweigert sich Haneke, so
will es seine rigorose Kino-Moral, jeglicher psychologischen Deutung des Falls, sucht vielmehr nach
dem größeren, soziokulturellen Zusammenhang und
erstellt mit klinischer Genauigkeit ein Protokoll der
existenziellen Überforderung. Gegliedert ist dieses
dabei in 71 Alltags-Szenen, die durch Schwarzfilm
markant voneinander getrennt sind: Die mediale
Wirklichkeit ist ein komplexes, manipulatives Konstrukt. Das gibt uns Haneke hier in aller Dringlichkeit zu verstehen. Großes Kino der Beunruhigung,
so klar wie rätselhaft. (lm)
MI 20.10., 19:00
SO 17.10., 18:30
LUMIÈRE ET COMPAGNIE F/DK/ESP/Schweden 1995
DAS SCHLOSS A 1997
REGIE Theo Angelopoulos,
Peter Greenaway, Abbas
Kiarostami, Spike Lee, David
Lynch, Michael Haneke, Jacques
Rivette u. a.
IDEE Philippe Poulet
MIT Jeffe Alperi, Romane Bohringer, Bruno Ganz, Neil Jordan,
Satchel Lee
PRODUKTION Cinétévé; La
Sept Arte; Igeldo Komunikazioa;
Søren Stærmose AB; Canal+;
Arte
LÄNGE 88 Minuten
FORMAT 35 mm, s/w, Farbe
Originalfassung mit
deutschen Untertiteln
Glückwunschfilme an das Kino. 1995 feierte es
seinen 100. Geburtstag – begleitet von zahlreichen,
internationalen Projekten. Unter anderem von
diesem: Für LUMIÈRE ET COMPAGNIE wurden an die
150 Filmemacher eingeladen, mit einem der ersten
Zauberkästen des Kinos zu hantieren, nämlich mit
einer Original-Kamera der Gebrüder Lumière. Die
Spielregeln waren dabei für alle gleich: Die Filme
müssen in der Kamera geschnitten werden, dürfen
nicht länger als 54 Sekunden lang sein, über kein
künstliches Licht und keinen zusätzlichen Ton
verfügen und in nicht mehr als drei takes gedreht
werden. 40 Regisseure erklärten sich bereit, nach
diesen Regeln zu spielen. Unter ihnen Virtuosen wie
Peter Greenaway, David Lynch, Abbas Kiarostami
oder eben auch Michael Haneke. In seinem Beitrag
sieht Haneke mit der Kamera fern, verdichtet eine
Nachrichtensendung auf die vorgegebene Zeit:
Moderation, Politik, Chronik, Sport und das Wetter.
Die Aufzeichnungs-Prinzipien der geduldigen Weltbetrachter Lumière, auf denen die Regeln aufbauen, angewandt auf eine Wirklichkeit des medialen
Bildüberschusses. Typisch Haneke also. (lm)
Michael Haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO
REGIE, BUCH Michael Haneke
KAMERA Jirí Stibr
SCHNITT Andreas Prochaska
TON Hannes Eder
MIT Ulrich Mühe, Susanne
Lothar, Frank Giering. Felix
Eitner, Nikolaus Paryla, André
Eisermann, Dörte Lyssewski,
Branko Samarovski, Ortrud
Beginnen, Otto Grünmandl,
Johannes Silberschneider
PRODUKTION arte; BR; ORF;
Wega Film
LÄNGE 123 Minuten
FORMAT 35 mm
Michael Hanekes geradlinige, bis zur Sachlichkeit
klare Umsetzung von Kafkas Literaturvorlage macht
deutlich, anders als vergleichbare Verfilmungen
des Romanfragments, wie wenig Raum ein positiver
Entwurf hier haben kann: Landvermesser K. – selbst
in seinem Beruf mehr ein von Autoritäten Berufener
denn Ausübender – kann nicht ins Schloss, das über
seinem Aufenthaltsort, dem entlegenen Dorf, liegt,
gelangen. Je mehr er sich bemüht, desto weiter
rückt sein Ziel in die Ferne. Aufgabe und Existenz
erliegen dem bürokratischen Dickicht und den
undurchsichtigen Entscheidungen wenig greifbarer Instanzen. K. bleibt ein Ausgelieferter ohne
Hoffnung oder Utopie, doch mit einer möglichen
Botschaft: »Wenn es eine Utopie geben sollte, die
man ernstnehmen kann, dann kann das nur eine
negative Utopie sein. Und die wiederum kann es nur
geben, wenn man genau analysiert, meinetwegen
auch übertreibt, wenn man eine präzise Bestandsaufnahme des Gegebenen bietet. Wenn ich das, was
ist, wirklich radikal zu Ende formuliere, dann kann
aus den Einsichten, die der Zuschauer gewinnt,
eine Form von Hoffnung, Utopie, von Kampfwillen
entstehen.« (M. Haneke) (tb)
41
DO 14.10., 21:00
SA 16.10., 21:00
FUNNY GAMES A 1997
CODE INCONNU: RÉCIT INCOMPLET DE DIVERS
VOYAGES F/D/R 2000
REGIE, BUCH Michael Haneke
KAMERA Jürgen Jürges
SCHNITT Andreas Prochaska
TON Wolfgang Amann
MIT Arno Frisch, Frank Giering,
Susanne Lothar, Ulrich Mühe,
Stafan Clapczynski, Doris
Kunstmann, Christoph Bantzer,
Wolfgang Glück, Susanne Meneghel, Monika Zallinger
PRODUKTION Wega Film; ORF
LÄNGE 108 Minuten
FORMAT 35 mm, Farbe
42
Mit FUNNY GAMES, einem seiner bis heute umstrittensten Filme, entfaltet Haneke eine negative
Idylle: Die Tage am See führen für eine bürgerliche
Familie nicht zur gewünschten Erholung, sondern
geradewegs in den Tod. Medienreflexiv gezeichnet,
treten zwei junge Männer, deutlich referenzbeladene Erinnyen, in das kleine Glück, führen als stille
Rasende nicht nur die Verletzbarkeit der Opfer, sondern auch des Publikums vor. Schritt für Schritt wird
die Kinosituation mitgemeint, macht der Schrecken
der angespielten Genres vor dem extradiegetischen
Raum nicht mehr Halt. Die scheinbar motivlosen,
psychischen wie auch physischen Gewaltdemonstrationen der Täter entfalten sich dabei im horriblen
Paradox von ausgesuchter Höflichkeit und gnadenloser Exekution. Mit dem Einbruch der beiden
werden aber nicht nur die beklemmenden Folgen
einer unhinterfragten Medialisierung von Wirklichkeit vorgeführt, sondern auf zweiter und wohl auch
gewichtigerer Ebene die vielfältigen Verknüpfungen
von Macht und Legitimation aufgerufen. (tb)
Michael Haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO
REGIE, BUCH Michael Haneke
KAMERA Jürgen Jürgens
SCHNITT Andreas Prochaska,
Karin Hartusch, Nadine Muse
MUSIK Giba Goncalves
MIT Juliette Binoche, Thierry
Neuvic, Alexandre Hamidi, Josef
Bierbichler, Paulus Manker
PRODUKTION MK2 Productions; France 2 Cinéma; Canal+;
Les Films Alain Sarde; Arte
France Cinéma; Bavaria Film;
ZDF; Filmex Romania
LÄNGE 118 Minuten
FORMAT 35 mm, Farbe
Originalfassung mit
deutschen Untertiteln
Michael Hanekes erster internationaler Film,
vornehmlich produziert und gedreht in Frankreich
und mit einem Weltstar (Juliette Binoche) in der
Hauptrolle besetzt. Haneke erzählt von Fremdheit,
Entfremdung und dem Mangel an Kommunikation
in der modernen, von Multikulturalität geprägten
Gesellschaft, rückt Menschen in den Mittelpunkt – u.
a. eine Schauspielerin, eine rumänische Bettlerin,
einen schwarzen Musiklehrer, einen Kriegsfotografen –, die in ihren privaten oder öffentlichen
Begegnungen keinen Zugang zueinander finden.
Wie der Titel bereits sagt: Code Unbekannt.
In seiner ästhetischen Strategie präsentiert sich Haneke dabei einmal mehr als brillanter, auf filmische
Selbstreflexion fokussierter Konstruktivist. Er weist
seine Alltagsbeobachtungen explizit als Fragmente
aus und formt diese nahezu ausschließlich zu
Plansequenzen, welche in ihren vielschichtigen
(sozialen) Bewegungen ebenso die Konzentration
des Zuschauers fordern wie sie eine geradezu
offene Empathie für die handelnden Personen in
sich tragen – nicht zuletzt deshalb wohl Hanekes bis
dato zugänglichster Kinofilm. (lm)
FR 8.10., 20:15
SO 17.10., 21:00
LA PIANISTE/DIE KLAVIERSPIELERIN F/BRD/PL/A 2001
LE TEMPS DU LOUP / WOLFZEIT F/A/D 2003
REGIE Michael Haneke
BUCH Michael Haneke, nach
dem gleichnamigen Roman von
Elfriede Jelinek
KAMERA Christian Berger
SCHNITT Nadine Muse, Monika
Willi
MUSIK Francis Haines
MIT Isabelle Huppert, Annie
Girardot, Benoît Magimel,
Michael Schottenberg, Susanne
Lothar, Udo Samel, Cornelia
Köndgen, Georg Friedrich
PRODUKTION Wega Film,
Wien; MK2 Productions; Les
Films Alain Sadre; Arte France
Cinéma; Bayrischer Rundfunk;
P.P. Film Polski
LÄNGE 131 Minuten
FORMAT 35 mm, Farbe
Originalfassung mit
deutschen Untertiteln
Erika ist Mutters ganzer Stolz. Sie hat es weit
gebracht. »Frau Professor« wird sie am Konservatorium genannt. Die gesellschaftliche Anerkennung
und das sichere Einkommen sollen sie für ihre
entgangene Weltkarriere als Pianistin entschädigen.
Kommt Erika am Abend zu spät nach Hause, gibt
es Streit und Vorwürfe, die oft erst in der Intimität
des gemeinsamen Doppelbettes, in dem Mutter
und Tochter schlafen, besänftigt werden. Eines
Tages beginnt ein junger Student, sich um Erika zu
bemühen. Fluchtbewegungen sind es vor allem, die
Haneke in gewohnt kühlen und distanzierten Bildern
von seiner Klavierspielerin zeichnet. Fluchtversuche
aus einem Leben ohne Liebe, Wärme und wirklich
gelebte Sexualität – gnadenlos inszeniert und von
Isabelle Huppert erschreckend intensiv dargestellt.
»Wie sich Menschen abarbeiten an der Kunst und
den Körpern, davon erzählt dieser Film, unbeirrt,
zwei Stunden lang … Kunstfertiger war Europas
Kino jedenfalls lange nicht.« (Stefan Grissemann)
Michael Haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO
REGIE, BUCH Michael Haneke
KAMERA Jürgen Jürges
SCHNITT Nadine Muse, Monika
Will
TON Jean-Pierre Laforce,
Guillaume Sciama
MIT Isabelle Huppert, Béatrice
Dalle, Patrice Chéreau, Brigitte
Roüan, Olivier Gourmet
PRODUKTION Wegafilm;
Bavaria Film; Canal+; CNC; Eurimages; France 3 Cinéma; Les
films du Losange; arte France
Cinéma
LÄNGE 113 Minuten
FORMAT 35 mm, Farbe
Originalfassung mit
deutschen Untertiteln
Michael Hanekes WOLFZEIT geht das Spiel mit dem
Apokalyptischen – genauer: mit dem Postapokalyptischen – ein. Zu Beginn der Handlung ist die
Katastrophe schon geschehen, das alles verändernde Ereignis ist atmosphärisch spürbar, bleibt
aber ungenannt. So wie sein Film CODE INCONNU
(2000) die Frage danach stellt, wie lange es mit der
westlichen Gesellschaft noch so weitergehen kann,
werden hier anhand einer gewaltvoll zertrümmerten
Kleinfamilie Fragen nach dem Weiterleben nach
der Katastrophe gestellt. Lösen große HollywoodProduktionen diese Komplexe meist zugunsten
der wiederhergestellten familiären Einheit oder
Schicksalsgemeinschaft auf, trägt bei Haneke immer der Einzelne die Verpflichtung, Bürde und Last
der Situation. Unter Rückgriff auf mythologische
Elemente wird ein Ausweg geöffnet – und erst dann
darf die Sonne wieder in voller Pracht Licht und
(trügerische?) Hoffnung spenden. (tb)
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DI 12.10., 19:00
SA 2.10., 21:00
24 WIRKLICHKEITEN IN DER SEKUNDE.
Michael Haneke im Film A 2004
CACHÉ F/A/D/I/US 2005
REGIE, BUCH, KAMERA
Nina Kusturica, Eva Testor
SCHNITT Niki Mossböck, Nina
Kusturica
TON Marco Antoniazzi
PRODUKTION Mobilefilm
LÄNGE 58 Minuten
FORMAT Digi-Beta, Farbe
44
24 WIRKLICHKEITEN IN DER SEKUNDE heißt dieser
Film. Sein Titel könnte aber auch lauten: Szenen
aus dem Alltag eines Kino-Getriebenen. Denn
Nina Kusturicas und Eva Testors Doku ist nicht so
sehr ein Film über das Kino von Michael Haneke,
sondern vielmehr ein Film über Haneke bei der
Arbeit an diesem und für dieses Kino. Über einen
Zeitraum von zweieinhalb Jahren haben sie ihn in
seinem beruflichen Alltag begleitet, ihn beobachtet
in Diskussion mit seinem Team bei der Motivsuche
für WOLFZEIT im Burgenland oder im Gespräch
mit seinem Publikum in Frankreich, im Studio beim
Schnitt von CACHÉ oder bei Interviews in gediegenen Hotelzimmern. Haneke, so scheint’s, ist ein
Rastloser, immer am Sprung. Dazu passt denn auch,
dass die Gespräche zwischen Kusturica/Testor und
Haneke vor allem im Zug, im Auto oder im Flugzeug
stattfinden. Ein Arbeitsporträt als road movie über
einen Filmemacher, der sich für Antworten zu sich
und seinem Kino nie zu schade ist – außer aber es
betrifft Fragen, deren Antworten er schon in seinen
Filmen rigoros verweigert hat. (lm)
Michael Haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO
REGIE, BUCH Michael Haneke
KAMERA Christian Berger
SCHNITT Michael Hudecek,
Nadine Muse
TON Jean-Paul Mugel
MIT Daniel Auteuil, Juliette
Binoche, Maurice Bénichou,
Annie Girardot, Bernard Le Coq,
Nathalie Richard, Daniel Duval
PRODUKTION Les Films du
Losange; Wega Film; ORF; Bavaria Film; WDR; BIM Distribuzione;
France 3 Cinéma; Arte France
Cinéma; Canal+; StudioCanal;
Uphill Pictures
LÄNGE 117 Minuten
FORMAT 35 mm
Originalfassung mit
deutschen Untertiteln
Mit dem in Cannes ausgezeichneten CACHÉ spürt
Haneke erneut der Natur der Schuld nach: Wie auch
in David Lynchs LOST HIGHWAY wird eine brüchige,
doch immer noch intakte Familie ins Visier genommen. Wer hier den eröffnenden bedrohlichen Blick
auf die schicke Pariser Wohnung wirft, bleibt aber
unklar. Deutlich wird hingegen, dass die Zuschauer und die allmächtig scheinende Position einen
ansonsten unverstellten Blick auf das nach und
nach freigelegte Leben der Familie Laurent werfen
können (tb): »Das großbürgerliche Intellektuellenpaar erhält anonyme Botschaften: Videobänder, die
zeigen, dass sie von irgendwem überwacht werden;
Bilder, die wie Kinderzeichnungen aussehen, und
gewalttätige Inhalte haben. Ganz sachte lässt
Haneke die Hysterie der Familie, die Spannungen
zwischen ihren Mitgliedern wachsen und registriert
mit seismografischer Konsequenz dieses Zerrinnen des Sicherheitsgefühls – bis die Nerven blank
liegen. Es ist klar: auch für diese wohlsituierten, in
jeder Hinsicht etablierten Bourgois kommt erst die
Sicherheit, dann die Freiheit.« (R. Suchsland)
DI 19.10., 21:00
SA 9.10., 20:45 | MI 20.10., 20:45
FUNNY GAMES U.S. US/UK/F/A 2008
DAS WEISSE BAND A/D/F/I/Kanada 2009
REGIE, BUCH Michael Haneke
KAMERA Darius Khondji
SCHNITT Monika Willi
MUSIK Georg Friedrich Händel,
Pietro Mascagni, Wolfgang Amadeus Mozart, John Zorn
MIT Naomi Watts, Tim Roth,
Michael Pitt, Brady Corbet,
Devon Gearhart
PRODUKTION Belladonna
Productions; Halcyon Pictures;
Tartan Films; X Film International; Kinematograf
LÄNGE 111 Minuten
FORMAT 35 mm, Farbe
Originalfassung mit
deutschen Untertiteln
Das US-Remake von FUNNY GAMES – in seiner
Shot-by-Shot-Bauweise am ehesten vergleichbar
mit Gus van Sants PSYCHO-Experiment. Mit einem
gewichtigen Unterschied: Die Re-Inszenierung
dieser unerhörten Urlaubsgeschichte, in der zwei
Wohlstandsbengel in Komplizenschaft mit dem
Zuschauer eine Kleinfamilie in ein absolut tödliches
Spiel zwingen, besorgte der Regisseur des Originals gleich selbst. FUNNY GAMES, entstanden als
zynische Reaktion auf die Gewaltverliebtheit der
Konsumindustrie (also auch jener Hollywoods), war
laut Haneke immer auch für ein amerikanisches
Publikum gedacht. Und mit der Amerikanisierung
seines Films konnte er dieses nun direkter, quasi in
dessen vertrauten Codes adressieren: der eigenen
Sprache, der eigenen Lebenswelt, der eigenen
Kino-Kultur (mit den Stars Naomi Watts und Tim
Roth). Dies sind denn auch die feinen Akzentverschiebungen, die FUNNY GAMES U.S., bei aller
strukturellen Übereinstimmung mit seinem Vor-Bild,
eine etwas andere Dynamik verleihen – freilich ohne
dabei an Schock-Wirkung einzubüßen. Dafür ist
Hanekes Spannungs-Dramaturgie zu virtuos. Experiment geglückt. (lm)
Michael Haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO
REGIE, BUCH Michael Haneke
KAMERA Christian Berger
SCHNITT Monika Willi
TON Guillaume Sciama
MIT Christian Friedel, Burghart
Klaußner, Ulrich Tukur, Josef
Bierbichler, Susanne Lothar,
Branko Samarovski, Birgit
Minichmayr, Ernst Jacobi, Ursina
Lardi
PRODUKTION X Filme Creative
Pool; Wega-Film; Les Films du
Losange; Canal +; Lucky Red;
[Mini-Traité Franco-Canadien]
LÄNGE 145 Minuten
FORMAT 35 mm, s/w
Deutschland am Vorabend des Ersten Weltkrieges.
In einem protestantischen Dorf gehen seltsame Dinge vor sich: Der Arzt stürzt mit seinem Pferd über
ein heimlich gespanntes Seil, ein Kind wird entführt
und gefoltert, eine Scheune in Brand gesteckt. Die
Vorfälle, für die kein Täter in Sicht ist, sind aber nur
die »äußere« Gewalt in dieser mystery tale. Gewalt
findet auch im Innersten des Dorfes, in den Familien
statt. Frauen werden gedemütigt und misshandelt,
Kinder mit höflicher Strenge gezüchtigt. Der Pastor
bindet zweien seiner Söhne und Töchter für ihre
»Vergehen« ein weißen Band um, ein Zeichen der
moralischen Reinheit und Unschuld, die aber längst
verloren sind.
Michael Hanekes Opus Magnum, in seiner visuellen Wucht oftmals verglichen mit dem Kino eines
Carl Theodor Dreyer oder Ingmar Bergman. Ein
vielschichtiges, beinahe schon klassizistisches
Sittengemälde, in dem Haneke den Wurzeln von Totalitarismus und Terrorismus, ergo auch Faschismus
nachspürt – in Szene gesetzt mit einem fulminanten Schauspieler-Ensemble und getaucht in ein
Schwarzweiß von geradezu unheimlicher Klarheit.
Ein teuflisches Werk. (lm)
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