Demenz in der Ehe - Publications at Bielefeld University
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Demenz in der Ehe - Publications at Bielefeld University
1 Demenz in der Ehe Über die verwirrende Gleichzeitigkeit von Ehe- und Pflegebeziehung in der psychosozialen Beratung für Ehepartner Demenzkranker Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades an der Fakultät für Pädagogik der Universität Bielefeld Vorgelegt von Luitgard Franke am 31.05.2005 Gutachterinnen Prof. Dr. Katharina Gröning Prof. Dr. Sabine Andresen 2 An dieser Stelle möchte ich all denjenigen danken, die mich bei der Anfertigung dieser Arbeit unterstützt haben. Mein besonderer Dank gilt Frau Professor Dr. Katharina Gröning, die mir die Möglichkeit gegeben hat, als Praktikerin einen Ausschnitt meines Arbeitsfeldes wissenschaftlich zu bearbeiten. Ich danke ihr für die Freiheit, die sie mir gelassen hat, dabei meinen eigenen Weg zu finden, und gleichzeitig für ihre entscheidenden Hinweise, mit denen sie Weichenstellungen in der Arbeit begleitet hat. Ich danke meinem Mann Michael Franke für seinen emotionalen Rückhalt, den Zuspruch und für seine kritischen Nachfragen, die für das Ergebnis der Arbeit so wichtig gewesen sind. Meinem Freund Georgy Behr sage ich Dank für seinen Beistand und sein unerschütterliches Vertrauen in das Gelingen der Arbeit. Bei meiner Schwester Barbara Limberg bedanke ich mich für ihr sorgfältiges Redigieren des Textes. Dank sage ich den Frauen im Doktorandinnen-Kolloquium, besonders Andrea Hötger, für ihre kollegiale Unterstützung. Meinen Kolleginnen Wilma Dirksen, Cornelia Domdey und Hilke Prahm-Rohlje danke ich für die Bereitschaft, ihre Beratungsdokumentationen für die Auswertung zur Verfügung zu stellen, und für die scheinbar belanglosen Gespräche am Rande, die mich davor bewahrt haben, bei allen Verlockungen der theoretischen Diskurse den Anwendungsbezug meiner Arbeit in der Angehörigenberatung aus den Augen zu verlieren. 3 Inhalt Einleitung. ............................................................................................................................................... 8 TEIL I FORSCHUNGSLAGE ZUR SITUATION VON EHEGATTEN DEMENZKRANKER..............13 1 Demenz und Pflegebedürftigkeit.................................................................................................. 14 1.1 Demenz........................................................................................................................................................14 1.2 Demenz und Pflegebedürftigkeit ..............................................................................................................18 1.2.1 Zahlen und Fakten zur Pflegebedürftigkeit bei Demenz ..........................................................................18 1.2.2 Zahlen und Fakten zu ehelichen Pflegekonstellationen...........................................................................20 1.3 2 Zusammenfassung Kapitel 1.....................................................................................................................25 Entwicklung und Gebiete des Forschungsinteresses ............................................................... 26 2.1 Fragestellungen der Forschung ...............................................................................................................26 2.2 Theoretische Bezugsrahmen der Forschung ..........................................................................................33 2.3 Zusammenfassung Kapitel 2.....................................................................................................................34 3 Demenz in der Ehe ........................................................................................................................ 35 3.1 Veränderungen der Ehebeziehung ...........................................................................................................35 3.1.1 Erstes Wahrnehmen der Demenz ............................................................................................................35 3.1.2 Veränderungen im weiteren Verlauf der Demenz ....................................................................................40 3.1.2.1 Veränderungen des Rollengefüges ....................................................................................................40 3.1.2.2 Beziehungsdeprivation .......................................................................................................................41 3.1.2.3 Asymmetrie der Entwicklung ..............................................................................................................50 3.1.2.4 Sexualität ............................................................................................................................................52 3.1.3 Situation des gesunden Ehegatten ..........................................................................................................59 3.1.3.1 Bedrohung des Selbst ........................................................................................................................59 3.1.3.2 Auseinandersetzung mit existenziellen Themen ................................................................................62 3.2 3.2.1 Besonderheiten der ehelichen Pflegekonstellation ................................................................................72 Übernahme der Pflegerolle und Motivation zur Pflege.............................................................................72 3.2.1.1 Erklärungsansätze aus Theorien des Helfens ....................................................................................72 3.2.1.2 Erklärungsansätze aus der Ethik ehelicher Verpflichtung ..................................................................74 3.2.1.3 Erklärungsansätze aus der Geschlechterperspektive ........................................................................77 3.2.2 Pflegealltag...............................................................................................................................................78 3.2.2.1 Pflegerolle und Aufgaben ...................................................................................................................78 3.2.2.2 Zielsetzungen bei der Betreuung des erkrankten Gatten ...................................................................83 3.2.3 Geschlechtsspezifische Aspekte der Ehegattenpflege ............................................................................87 3.2.3.1 Geschlechtsrollenunterschiede im Alter .............................................................................................88 3.2.3.2 Ausfüllen der Pflegerolle und Bewältigungsmuster ............................................................................89 3.2.3.3 Ehemänner mit demenziell erkrankten Frauen...................................................................................93 3.2.3.4 Ehefrauen mit demenziell erkrankten Männern ..................................................................................98 3.2.4 Gewalt in ehelichen Pflegekonstellationen.............................................................................................101 3.2.4.1 Begriffsklärung und empirische Befunde zum Ausmaß des Problems.............................................101 3.2.4.2 Hintergründe des Problems ..............................................................................................................104 3.3 Zusammenfassung Kapitel 3...................................................................................................................106 4 4 Belastung und Lebenszufriedenheit der pflegenden Ehepartner ........................................... 112 4.1 Theoretische Grundlagen der Forschung..............................................................................................112 4.1.1 Das Konstrukt Belastung........................................................................................................................112 4.1.2 Stresstheoretisch orientierte Forschung ................................................................................................115 4.1.2.1 Die Stress-Coping-Theorie von Lazarus et al...................................................................................116 4.1.2.2 Das Zwei-Faktoren-Modell von Lawton et al. ...................................................................................120 4.1.2.3 Das Double-ABCX-Modell von McCubbin et al. ...............................................................................122 4.1.2.4 Das Alzheimer-Pflegestress-Modell von Pearlin et al.......................................................................123 4.2 Auswirkungen des Pflegestresses .........................................................................................................126 4.2.1 Gesundheit .............................................................................................................................................126 4.2.1.1 Seelische Gesundheit........................................................................................................................126 4.2.1.2 Geistige Gesundheit ..........................................................................................................................129 4.2.1.3 Körperliche Gesundheit .....................................................................................................................130 4.2.2 Soziale Integration..................................................................................................................................132 4.2.3 Subjektives Belastungserleben ..............................................................................................................135 4.3 Einflussgrößen im Stressprozess ..........................................................................................................139 4.3.1 Demenzsymptomatik und Merkmale des Patienten ...............................................................................139 4.3.1.1 Kognitive Symptomatik der Demenz..................................................................................................141 4.3.1.2 ADL-Beeinträchtigungen....................................................................................................................142 4.3.1.3 Problemverhalten und psychiatrische Symptomatik ..........................................................................142 4.3.2 Merkmale des pflegenden Ehegatten ....................................................................................................145 4.3.2.1 Alter und Gesundheit .........................................................................................................................146 4.3.2.2 Geschlecht.........................................................................................................................................147 4.3.2.3 Persönlichkeitsmerkmale...................................................................................................................151 4.3.3 Qualität der vergangenen Ehebeziehung...............................................................................................154 4.3.3.1 Die „schlechte“ Ehe ...........................................................................................................................156 4.3.3.2 Die „gute“ Ehe....................................................................................................................................157 4.3.4 Merkmale der Umwelt ............................................................................................................................159 4.3.4.1 Lebensbedingungen ..........................................................................................................................159 4.3.4.2 Soziale Unterstützung........................................................................................................................159 4.3.4.3 Inanspruchnahme formeller Dienste des Gesundheits- und Sozialsystems .....................................166 4.3.5 Bewältigungsreaktion .............................................................................................................................170 4.3.5.1 Effekte unterschiedlicher Coping-Strategien .....................................................................................170 4.3.5.2 Persönlichkeitsmerkmale und Coping ...............................................................................................172 4.3.5.3 Frühere Ehebeziehung und Coping...................................................................................................175 4.4 Belastungen der Ehegatten im Vergleich zu anderen Gruppen ..........................................................176 4.4.1 Pflege Demenzkranker versus Pflege nicht dementer Pflegebedürftiger...............................................176 4.4.2 Pflegende Ehegatten versus pflegende Kinder ......................................................................................177 4.4.3 Mit Demenz konfrontierte Paare versus gesunde Paare .......................................................................180 4.5 Positives Erleben und Lebenszufriedenheit im Zusammenhang mit der Pflege ...............................181 4.5.1 Konzeptualisierungen positiver Aspekte der Pflege...............................................................................181 4.5.2 Empirische Befunde zu positivem Erleben und Lebenszufriedenheit ....................................................183 4.6 5 Zusammenfassung Kapitel 4...................................................................................................................184 Zusammenfassende Darstellung der Forschungslage ............................................................ 190 5 TEIL II ERKUNDUNG DES FELDES................................................................................................193 6 Untersuchungsdesign ................................................................................................................ 194 6.1 Erkenntnisinteresse, Forschungsansatz und Ort der Untersuchung .................................................194 6.1.1 Erkenntnisinteresse................................................................................................................................194 6.1.2 Forschungsansatz ..................................................................................................................................195 6.1.3 Ort der Untersuchung.............................................................................................................................200 6.2 Sample und Datenerhebung....................................................................................................................200 6.2.1 Langandauernde Beratungsprozesse ....................................................................................................201 6.2.2 Erstberatungen.......................................................................................................................................203 6.3 7 Auswertung...............................................................................................................................................208 Fallanalysen................................................................................................................................. 211 7.1 Themen in langandauernden Beratungsprozessen..............................................................................211 7.1.1 Beratungsprozess Frau A.......................................................................................................................211 7.1.2 Beratungsprozess Frau B.......................................................................................................................215 7.1.3 Beratungsprozess Frau C. .....................................................................................................................221 7.1.4 Beratungsprozess Herr D.......................................................................................................................226 7.1.5 Beratungsprozess Herr E. ......................................................................................................................231 7.1.6 Beratungsprozess Herr F. ......................................................................................................................233 7.2 Themen in Erstberatungen......................................................................................................................236 7.2.1 Erstberatung Frau G...............................................................................................................................236 7.2.2 Erstberatung Ehepaar H.........................................................................................................................238 7.2.3 Erstberatung Frau J................................................................................................................................242 7.2.4 Erstberatung Frau K. ..............................................................................................................................245 7.2.5 Erstberatung Frau L. ..............................................................................................................................247 7.2.6 Erstberatung Frau M. .............................................................................................................................251 7.2.7 Erstberatung Herr N. ..............................................................................................................................255 7.2.8 Erstberatung Frau O...............................................................................................................................259 7.2.9 Erstberatung Herr P. ..............................................................................................................................261 7.2.10 Beratung Frau Q.....................................................................................................................................265 7.2.11 Erstberatung Frau R...............................................................................................................................267 7.2.12 Beratung Frau S. ....................................................................................................................................271 8 Zusammenfassung der Ergebnisse........................................................................................... 277 8.1 Breitendimension des Feldes .................................................................................................................277 8.2 Tiefendimension des Feldes ...................................................................................................................278 6 TEIL III ESSENZEN UND DESIDERATE FÜR EINE PSYCHOSOZIALE BERATUNG DER EHEGATTEN DEMENZKRANKER ......................................................................................283 9 Demenz als Krise der Ehe .......................................................................................................... 284 9.1 Gefährtenschaft und Intimität .................................................................................................................288 9.2 Loyalität und Vertrauen ...........................................................................................................................296 9.3 Souveränität, Gleichberechtigung, Alltagsorganisation und Macht ...................................................301 9.4 Gerechtigkeit und Liebe ..........................................................................................................................306 9.5 Beziehungsgeschichte und Paardynamik .............................................................................................311 10 Ehebeziehung und Pflegebeziehung ......................................................................................... 315 10.1 Ehebeziehung und Pflegebeziehung in der Forschungslage ..............................................................315 10.2 Verhältnis von Ehe- und Pflegebeziehung.............................................................................................317 10.3 Ein hypothetisches Modell: Ehebeziehung und Pflegebeziehung als Kippfigur ...............................321 11 Konsequenzen für die Beratung ................................................................................................ 324 11.1 Fokus und Zielsetzung der Beratung .....................................................................................................324 11.1.1 Zielsetzungen psychosozialer Beratung ................................................................................................324 11.1.2 Paarproblematik als Fokus in der Beratung ...........................................................................................325 11.1.2.1 Tendenz zur Fokussierung der Einzelperson ....................................................................................327 11.1.2.2 Tendenz zur Fokussierung der Pflegebeziehung ..............................................................................329 11.1.3 11.2 Ehebeziehung und Pflegebeziehung als Kippfigur in der Beratung .......................................................331 Eckpunkte für eine psychosoziale Beratung der Ehegatten................................................................333 11.2.1 Das „Ich“ - die persönliche Situation des ratsuchenden Ehegatten .......................................................334 11.2.2 Das „Du“ – die Veränderungen des dementen Partners........................................................................336 11.2.3 Das „Wir“ – die Situation des Paares .....................................................................................................337 11.2.4 Die „Anderen“ – die Rolle des sozialen Umfeldes..................................................................................338 11.2.5 Die Sonderfälle.......................................................................................................................................340 12 Zusammenfassung und Ausblick .............................................................................................. 341 Literatur… ........................................................................................................................................... 342 Anhang Anhang 1: Dokumentationsbogen der Gerontopsychiatrischen Beratungsstelle Anhang 2: Abschriften der Beratungsdokumentationen Anhang 3: Übersicht über alle in den Beratungsdokumentationen kodierten Themen sowie über deren Zuordnung zu Kategorien und Unterkategorien 7 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Diagnostische Kriterien der Demenz nach ICD-10 ................................................................. 14 Abbildung 2: Prävalenz und Inzidenz von Demenzen nach dem Alter ........................................................ 17 Abbildung 3: Familienstand der Frauen und Männer nach Altersgruppen (1999) ....................................... 21 Abbildung 4: Hauptpflegepersonen von Pflegebedürftigen in Privathaushalten.......................................... 22 Abbildung 5: Hauptpflegepersonen von Pflegebedürftigen ......................................................................... 23 Abbildung 6: Anteil der von Ehegatten geleisteten Hilfen............................................................................ 23 Abbildung 7: Themen der Forschung über Ehegatten, deren Partner an Demenz erkrankt ist................... 30 Abbildung 8: Modell der Entwicklung in einer Ehe, in der Demenz auftritt (Wright 1993, 9) ....................... 50 Abbildung 9: Terminologie ......................................................................................................................... 113 Abbildung 10: Bestimmungsgrößen des Zwei-Faktoren-Modells ................................................................ 121 Abbildung 11: Modell des Pflegebelastungsprozesses nach Wilz 2002...................................................... 125 Abbildung 12: Verteilung der Fälle nach Geschlecht und Beratungsform ................................................... 208 Abbildung 13: Themen im Beratungsprozess von Frau A. .......................................................................... 212 Abbildung 14: Themen im Beratungsprozess von Frau B. .......................................................................... 216 Abbildung 15: Themen im Beratungsprozess von Frau C. .......................................................................... 222 Abbildung 16: Themen und Phasen im Beratungsprozess von Herrn D. .................................................... 227 Abbildung 17: Themen im Beratungsprozess von Herrn E.......................................................................... 231 Abbildung 18: Themen im Beratungsprozess von Herrn F.......................................................................... 234 Abbildung 19: Themen in der Erstberatung von Frau G. ............................................................................. 236 Abbildung 20: Themen in der Erstberatung des Ehepaares H. ................................................................... 239 Abbildung 21: Themen in der Erstberatung von Frau J. .............................................................................. 243 Abbildung 22: Themen in der Erstberatung von Frau K. ............................................................................. 245 Abbildung 23: Themen in der Erstberatung von Frau L............................................................................... 248 Abbildung 24: Themen in der Erstberatung von Frau M.............................................................................. 252 Abbildung 25: Themen in der Erstberatung von Herrn N............................................................................. 255 Abbildung 26: Themen in der Erstberatung von Frau O. ............................................................................. 259 Abbildung 27: Themen in der Erstberatung von Herrn P............................................................................. 261 Abbildung 28: Themen in der Beratung von Frau Q. ................................................................................... 265 Abbildung 29: Themen in der Erstberatung von Frau R. ............................................................................. 267 Abbildung 30: Themen in der Beratung von Frau S. ................................................................................... 272 Abbildung 31: Themenfelder in der Beratung von Ehegatten Demenzkranker ........................................... 278 Abbildung 32: Themenkategorien und Unterkategorien .............................................................................. 279 Abbildung 33: Ehebeziehung und Pflegebeziehung als Kippfigur ............................................................... 321 Abbildung 34: Beratungsfokus ..................................................................................................................... 327 Abbildung 35: Eckpunkte einer psychosozialen Beratung für Ehegatten Demenzkranker.......................... 334 8 Einleitung Wenn von häuslicher Altenpflege und pflegenden Angehörigen die Rede ist, dann hat man schnell pflegende Töchter und Schwiegertöchter vor Augen. Dieses Phänomen korrespondiert mit der äußerst selektiven Aufmerksamkeit1, mit der sich der wissenschaftliche Diskurs über pflegende Angehörige in Deutschland auf diese Personengruppe konzentriert. Da Töchter und Schwiegertöchter tatsächlich einen beträchtlichen Teil der häuslichen Pflege leisten2, geschieht dies auch mit einer gewissen Berechtigung. Andererseits liegt in diesem Alters- und Geschlechterbias die Gefahr, Ergebnisse aus der Forschung über Töchter und Schwiegertöchter verallgemeinernd auf andere Gruppen pflegender Angehöriger zu übertragen und den Blick auf deren spezifische Situation zu verstellen. Die Ehegattenpflege ist ein solches Feld, das von der Forschung in der Bundesrepublik weitgehend ignoriert wird3 und deshalb wenig transparent ist. Die häusliche Pflege, die durch Ehegatten erbracht wird, verdient jedoch aus verschiedenen Gründen eine eigene wissenschaftliche Bearbeitung. Erstens unterscheidet sich die Situation in der Ehegattenpflege qualitativ erheblich von derjenigen pflegender Kinder. Ein augenfälliger Unterschiede ist die grundsätzliche Verschiedenartigkeit der Beziehung – die Ehebeziehung als ein auf Gegenseitigkeit angelegtes Verhältnis auf der einen und die Eltern-KindBeziehung als prinzipiell asymmetrisches Verhältnis auf der anderen Seite. Auch der andere Zeitpunkt im Lebenszyklus, an dem Ehegatten bzw. Kinder mit Pflegeaufgaben konfrontiert werden, zieht verschiedenartige Konsequenzen nach sich. Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass eheliche Pflegeverhältnisse sehr stark als dyadische Konstellationen angelegt sind, während pflegende Kinder zumindest grundsätzlich neben der Beziehung zum pflegebedürftigen Elternteil noch weitere wesentliche Beziehungen, beispielsweise eine eigene Partnerschaft oder berufliche Beziehungen, haben. 1 Vgl. Jansen 1999 2 vgl. Schneekloth & Leven 2003, 19 3 Es gibt nur wenige deutsche Arbeiten, die Befunde über Ehegatten Demenzkranker berichten. Meist sind es Arbeiten, die bestimmte Fragestellungen an verschiedenen Angehörigengruppen untersucht haben und in diesem Zusammenhang unter anderem auch Befunde zur Situation der Ehegatten berichten, so etwa Adler, Wilz & Gunzelmann 1996; Adler et al. 1996; Gunzelmann et al. 1996; Lambrecht et al. 1992; Schacke & Zank 2002; Wilz 2002. Deutsche Beiträge, die sich dezidiert auf die Situation pflegender Ehegatten von Demenzkranken beziehen, sind noch seltener: Pullwitt, Seibert & Fischer 1996; Zintl-Wiegand 1995. 9 Zweitens ist die Ehegattenpflege quantitativ eine heute häufig anzutreffende Pflegekonstellation. Dabei sind sowohl Ehen als auch ein erheblicher Anteil alter nichtehelicher Lebensgemeinschaften zu berücksichtigen4. Knapp ein Drittel der Pflegebedürftigen, die Ende 2002 Leistungen der Pflegeversicherung erhielten, wurden von einem (Ehe-)Partner gepflegt5. Nach dem Geschlecht differenziert finden sich 20% (Ehe-)Partnerinnen und 12% (Ehe-)partner unter den Hauptpflegepersonen in Privathaushalten6. Die Konstellation „Frau pflegt Ehemann“ ist die zweithäufigste hinter dem Muster „Frau pflegt eigene Mutter“7. Ein dritter Grund für eine verstärkte wissenschaftliche Hinwendung sollte der Umstand sein, dass die Ehegattenpflege mit dem demographischen Wandel ein Zukunftsmodell sein kann. Es wird zukünftig mehr ältere Menschen geben, die noch einen lebenden (Ehe-)Partner haben8, und damit einhergehend könnte auch die häusliche Pflege durch (Ehe-)Partner zunehmen9. Darüber hinaus sind eheliche Pflegekonstellationen vor dem Hintergrund des Modernisierungsdiskurses von Interesse. Zentrale Werte der modernen Ehe sind Zuneigung, Attraktivität, Kommunikation und die Emotionalität ebenso Kompatibilität der wie Fähigkeiten Bedürfnisse der der Partner10. Charakteristisch für die moderne Ehe ist die Trennung von Erwerbsarbeit und Hausarbeit, womit die Funktionstrennung der Geschlechter und die Trennung psychischer Ebenen - die Arbeitswelt wurde immer zweckrationaler, der Familie wuchs das „Monopol auf emotionale Belange“11 zu – verbunden sind. Kennzeichnend sind zudem die Kindzentrierung sowie Intensivierung und Intimisierung der persönlichen Beziehungen12 als Konzentration auf die Kernfamilie und starke Bezogenheit der Ehepartner aufeinander13. Die gesellschaftlichen Veränderungen nach dem zweiten Weltkrieg haben diese Entwicklungen vorangetrieben, indem Wirtschaftswachstum, Mobilität und 4 vgl. Stat. Bundesamt 2001; zit. bei BMFSFJ 2002, 123 (4. Altenbericht) 5 Exakt waren es 28%. Dieser Wert bezieht sich auf Pflegebedürftige ohne Ansehen des Lebensalters (vgl. Schneekloth & Leven 2003, 19). Jüngere Pflegebedürftige werden zu höheren Anteilen von (Ehe-)Partnern gepflegt, bei den 65-79-Jährigen sind es 61% (vgl. Schneekloth et al. 1996, 135). Mit zunehmendem Alter nimmt das Pflegepotenzial der (Ehe-)Partner dann aber ab, insbesondere bei den 80-jährigen und älteren Pflegebedürftigen sind erwartungsgemäß deutlich weniger (Ehe-)Partner, nämlich nur noch 17% an der Versorgung beteiligt (vgl. Schneekloth et al. 1996, 135). 6 vgl. Schneekloth & Müller 2000; zit. bei KDA (Kleiber) 2003, 94 7 vgl. Fuchs 1998; zit. bei BMFSFJ 2002, 196 (4. Altenbericht) 8 vgl. Dinkel, Hartmann & Lebok 1997, 51ff. 9 vgl. Fischer et al. 1995; zit. bei BMFSJ 2002, 194 (4. Altenbericht) 10 vgl. Vogt 2001 11 vgl. Luhmann 1982; zit. nach Nave-Herz 2004, 99 12 vgl. Jaeggi & Hollstein 2000 13 vgl. Allan 1985; zit. bei Davidson, Arber & Ginn 2000, 538 10 finanzielle Ressourcen dazu führten, dass die Kernfamilie von der weiteren Verwandtschaft unabhängiger wurde14. „Die Liebe wird wichtiger denn je“ – so überschreibt Elisabeth Beck-Gernsheim in dem Buch „Das ganz normale Chaos der Liebe“ das Kapitel über das Verhältnis von Mann und Frau in der individualisierten Gesellschaft15. Die Autorin führt darin aus, die Individualisierung als Herauslösung des Menschen aus gewachsenen, traditionellen Bindungen, Glaubenssystemen und Sozialbeziehungen bedeute einerseits die Befreiung des Einzelnen aus Kontrolle und Zwängen, führe andererseits jedoch zu einem tiefgreifenden Verlust an Halt und Sicherheit, zu einem Zustand der ‚inneren Heimatlosigkeit’16. Für Beck-Gernsheim übernimmt der Binnenraum der Familie Ausgleichsfunktionen, indem er Ersatz für verlorene Deutungsmuster und Sozialbeziehungen schafft. Historisch entstehe eine neue Form von Identität, die sie als „personenbezogene Stabilität“17 bezeichnet. Deren Herzstück sei ein neues Verständnis von Liebe, das „Leitbild der zugleich romantischen und dauerhaften Liebe, die aus der engen gefühlsmäßigen Bindung zwischen zwei Personen erwächst und ihrem Leben Inhalt und Sinn gibt“18. Die Ehe werde zur zentralen Instanz für die „Konstruktion der Wirklichkeit“19 und für die Entwicklung und Stabilisierung der Identitäten der Partner20. Diese Betonung der Beziehung aber macht die moderne Familie und Ehe zu einem äußerst fragilen Gebilde. Darauf weist Jacques Donzelot hin, der die fortgeschrittene liberale Familie mit einer Drehspindel vergleicht, „die mit jeder Umdrehung die Familie stärker auf sich konzentriert; eine unstabile Zusammenfügung, die jeden Augenblick vom Ausfall ihrer Mitglieder bedroht wird, durch das Beziehungsfieber, das sie den Versuchungen des Außen aussetzt, und die Überbewertung des Innen, die sie zur Flucht treibt;...“ 21. Beides, die Bedeutung der Ehe für die Identität des Einzelnen und die prinzipielle Instabilität dieser Lebensform, wirft viele Fragen für den Fall auf, dass eine Demenzerkrankung in einer Ehe auftritt. Wie verträgt sich ein derart fragiles Gebilde mit einer Demenz? Was passiert mit der Ehe, wenn einer der Partner 14 vgl. Allan 1985, zit. bei Davidson, Arber & Ginn 2000, 538 15 Vgl. Beck & Beck-Gernsheim 1990, 66ff. 16 Berger, Berger & Kellner 1975 ; zit bei Beck-Gernsheim 1990, 67 17 Beck-Gernsheim 1990, 70 18 Beck-Gernsheim 1990, 70 19 Berger & Kellner 1965; zit. bei Beck-Gernsheim 1990, 72 20 vgl. Ryder 1979, 365; zit. bei Beck-Gernsheim 1990, 72 21 Donzelot 1980, 237f.; zit. bei Jaeggi & Hollstein 2000, 33 11 den modernen Werten nicht mehr genügen kann, weil er dement wird und dabei nach und nach seinen Verstand verliert, seine Sprache, seine Fähigkeit zur Gestaltung der Beziehung, zur empathischen Übernahme der Perspektive des anderen oder einfach seine Attraktivität für den anderen? Wenn ihn die Demenz aus dem gemeinsamen Universum aus Interpretationen, Bewertungen und Erwartungen herauskatapultiert, mit dem das Paar bisher „das Bild unserer Welt verhandelt, zurechtgerückt und verschoben, in Frage gestellt und bekräftigt“22 hat. Wie verkraftet eine moderne Ehe das? Verkraftet sie es überhaupt? Bedeutet die Demenz eines Partners das Ende der Ehe? Verwandelt sie sich so allmählich, wie die Krankheit fortschreitet, in etwas anderes? Was ist dieses andere? Und was passiert mit dem gesunden Partner? Was macht ihm die „innere Heimatlosigkeit“23 der Moderne erträglich, wenn diese wichtige Säule seiner „personenbezogenen Stabilität“24 zerbricht? Die hier vorgelegte Arbeit ist im Kontext der psychosozialen Beratung von Ehegatten, die einen dementen Partner pflegen, entstanden. Der konkrete Anlass für die Beschäftigung mit dem Thema ist ein wachsendes Unbehagen gewesen, das ich als langjährige Mitarbeiterin in einer gerontopsychiatrischen Beratungsstelle bei mir selbst beobachtete, wenn ich in der Beratung von Ehegatten – anders als bei ratsuchenden Kindern, die einen demenziell erkrankten Elternteil betreuen – zunehmend den Eindruck hatte, mit meinem professionellen Wissensvorrat über pflegende Angehörige und über die spezifische Situation bei einer Demenzerkrankung die Problemlagen dieses Personenkreises nicht zutreffend erfassen und den ratsuchenden Ehegatten in der Beratung nicht wirklich gerecht werden zu können. Nachdem eine erste Suche nach Publikationen im deutschsprachigen Raum zu keinem überzeugenden Ergebnis geführt hatte, fasste ich den Entschluss, die Problemstellung innerhalb einer Dissertation aufzugreifen. An erster Stelle stand die Aufgabe, den Stand der aktuellen Forschungslage aufzuarbeiten. Der Teil I, in dem ich die Ergebnisse dieses Arbeitsschrittes referiere, gliedert sich in vier Kapitel. Im Kapitel 1 sind Zahlen und Fakten zur Verbreitung von Demenz und Pflegebedürftigkeit sowie von ehelichen Pflegekonstellationen zusammengestellt. Das Kapitel 2 gibt einen Überblick über die Entwicklung und die Gebiete des Forschungsinteresses bezogen auf 22 Beck-Gernsheim 1990, 72 23 vgl. Berger, Berger & Kellner 1975; zit. nach Beck-Gernsheim 1990, 67 24 Beck-Gernsheim 1990, 69 12 Ehegatten Demenzkranker. Im dritten Kapitel stelle ich Forschungsergebnisse über die Veränderungen der Ehebeziehung und Aspekte der ehelichen Pflegekonstellation vor. Das Kapitel 4 beschäftigt sich mit den Belastungen und der Lebenszufriedenheit der pflegenden Ehegatten. Kapitel 5 enthält eine zusammenfassende Darstellung der Forschungslage. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die aktuelle Forschungslage keine Literatur zur Thematik der psychosozialen Beratung der betroffenen Ehegatten enthält, ergab sich als zweiter notwendiger Arbeitsschritt, einen orientierenden Überblick über das Feld der Beratung von Ehegatten Demenzkranker zu schaffen. Dazu sollte erstens die Breitendimension des Feldes erfasst werden, d.h. die Frage nach typischen Fällen und Sonderfällen, und zweitens die Tiefendimension, d.h. die Frage nach den Themen, mit denen die Ehegatten in die Angehörigenberatung kommen. In einer explorativen, an der Grounded Theory25 orientierten, qualitativen Untersuchung wurden achtzehn Beratungsfälle ausgewertet. Das Untersuchungsdesign beschreibe ich im Kapitel 6, die Fallanalysen stehen im Kapitel 7 und die Zusammenfassung der Ergebnisse im achten Kapitel von Teil II. Im dritten Arbeitsschritt habe ich die Ergebnisse der Untersuchung im Hinblick auf die in ihnen enthaltenen Essenzen und Desiderate für die psychosoziale Beratung aufbereitet. Das Ziel war es, einen Beitrag zum Abbau des Theoriedefizites hinsichtlich der Paarthematik in der Angehörigenberatung zu leisten. Hierzu habe ich die Ergebnisse meiner Untersuchung jeweils in Bezug zur bestehenden Forschungslage gesetzt und darüber hinaus Verknüpfungen zu Theorien und Befunden über Paare und Paarentwicklung aus der Sozialpsychologie, Soziologie und Psychoanalyse hergestellt. Der Teil III gliedert sich in vier Kapitel. Im Kapitel 9 begründe ich, dass die Demenz als Krise der Ehe zu verstehen ist. Im Kapitel 10 führe ich ein hypothetisches Modell über das Verhältnis von Ehe- und Pflegebeziehung ein und im Kapitel 11 ziehe ich Schlussfolgerungen für die Beratung der Ehegatten. Kapitel 12 enthält eine knappe Zusammenfassung der ganzen Arbeit. 25 vgl. Strauss & Corbin 1996; Strauss 1998; Glaser & Strauss 1998; Bosch 1998 13 TEIL I FORSCHUNGSLAGE ZUR SITUATION VON EHEGATTEN DEMENZKRANKER 14 Im ersten Kapitel gebe ich eine knappe Einführung in Merkmale, Verlauf und Auftreten von Demenzerkrankungen und referiere anschließend Fakten über den Zusammenhang von Demenz und Pflegebedürftigkeit sowie Zahlen zu ehelichen Pflegekonstellationen. Im zweiten Kapitel gebe ich einen Überblick über die Entwicklung und die Gebiete des Forschungsinteresses an den Ehegatten Demenzkranker. Im dritten Kapitel habe ich Befunde über die Auswirkungen einer Demenz für die Ehe und im vierten Kapitel Befunde über Belastungen und Lebenszufriedenheit der pflegenden Ehegatten aufgearbeitet. 1 Demenz und Pflegebedürftigkeit Im ersten Kapitel werden zunächst Symptomatik, Ätiologie, Verlauf und Behandlungsmöglichen von Demenzen kurz umrissen. Im zweiten Teil des Kapitels sind Zahlen, Daten und Fakten zur Pflegebedürftigkeit bei Demenz und zu ehelichen Pflegekonstellationen zusammengestellt worden. 1.1 Demenz Demenz bezeichnet als Oberbegriff die Minderung erworbener intellektueller Fähigkeiten in der Folge einer Erkrankung des Gehirns. In der ICD-10 wird die Diagnose einer Demenz an folgende Bedingungen geknüpft: Abbildung 1: A Diagnostische Kriterien der Demenz nach ICD-10 Nachweis aller folgenden Bedingungen 1. Eine objektiv verifizierbare Abnahme des Gedächtnisses, die am deutlichsten beim Lernen neuer Informationen und in besonders schweren Fällen auch bei der Erinnerung früher erlernter Informationen auffällt. Die Beeinträchtigung betrifft verbales und nonverbales Material. 2. Eine Abnahme anderer kognitiver Fähigkeiten, charakterisiert durch eine Verminderung der Urteilsfähigkeit und des Denkvermögens, wie z.B. der Fähigkeit zu planen und zu organisieren und der Informationsverarbeitung. B Eine Eintrübung des Bewusstseins fehlt. C Die Verminderung der Affektkontrolle, des Antriebs und des Sozialverhaltens manifestiert sich in mindestens einem der folgenden Merkmale: emotionale Labilität, Reizbarkeit, Apathie, Vergröberung des Sozialverhaltens. D Für eine sichere klinische Diagnose solle A mindestens 6 Monate vorhanden sein. Quelle: ICD-1026 26 vgl. Dilling, Mombour & Schmidt 1994, 45f. 15 Als sekundäre Symptome können Wahn, Halluzinationen und depressive Verstimmung im amerikanische Diagnoseschlüssel Klassifikation der DSM-IV ICD-10 kodiert fordert für werden27. die Die Diagnose Gedächtnisstörungen, sogenannte Hirnwerkzeugstörungen (Apraxien, Agnosien oder Aphasien) und einen Ausprägungsgrad in einem Ausmaß, dass der Alltag des Patienten nachhaltig beeinträchtigt ist28. Die wichtigsten ätiologischen Gruppen sind: (a) Alzheimer-Krankheit; (b) vaskuläre Demenzen und (c) Demenzen aufgrund anderer medizinischer Krankheitsfaktoren (u.a. Pick-Krankheit, Creutzfeld-Jacob-Krankheit, HuntingtonKrankheit, Parkinson-Krankheit, HIV, sonstige). Die ätiologischen Gruppen lassen sich weiter in reversible und irreversible Formen ordnen. Zu den irreversiblen Formen der Demenz zählen die vaskulären und die primär degenerativen Demenzen. Zu letzteren gehört unter anderen die AlzheimerDemenz (AD). Sie stellt mit etwa 60% aller prävalenten Fälle die häufigste Form aller Demenzen, gefolgt von den vaskulären Formen (inklusive vaskulär degenerativen Mischformen) mit ca. 30%29. Der Verlauf dieser irreversiblen Demenzen ist fortschreitend bis zu körperlicher Hinfälligkeit und Pflegebedürftigkeit im Endstadium. Der Schweregrad lässt sich auf der Ebene der Fähigkeiten zur Durchführung von Alltagsaktivitäten und des Sozialverhaltens einschätzen. Die ischämischen vaskulären Hirnschädigungen Demenzen mit basieren vielfältigen pathogenetisch Ursachen oder auf auf Hirnblutungen30. Unter welchen Bedingungen sich innerhalb eines vaskulären Prozesses aber eine Demenz entwickelt und wann nicht, ist heute nicht geklärt. Diskutiert werden das Volumen, die Lokalisation und die Dauer der vaskulären Schädigung31. Die Ursachen der Alzheimer-Krankheit sind heute nicht geklärt. Die Grundlagenforschung32 befasst sich derzeit mit typischen Veränderungen im Gehirn Alzheimerkranker: der Umwandlung von normalen Zellproteinen in nutzlose, schädliche Endprodukte (Amyloid-Protein und Neurofibrillenbündel), der Verminderung der kortikalen Synapsendichte, den Hinweisen auf chronischentzündliche bzw. immunologische veränderungen. 27 vgl. Dilling, Mombour & Schmidt 1994, 47 28 vgl. Saß, Wittchen & Zaudig 1996, 184 ff. 29 vgl. Bickel 1997, 7 30 vgl. Hennerici 1997, 314 31 vgl. Wetterling 1998, 37. 32 Übersichten z.B. bei Beyreuther 1997, 31ff. Vorgänge und Neurotransmitter- 16 Die durchschnittliche Erkrankungsdauer liegt zwischen 4,7 und 8,1 Jahren bei der Alzheimer-Demenz und einem Jahr weniger bei vaskulären Demenzen. Die Überlebensdauer in den mittleren und schweren Stadien wird bei starker interindividueller Streuung auf etwa 4 Jahre beziffert. Die Alzheimer-Demenz gilt in den industrialisierten Ländern heute als vierthäufigste Todesursache. Demenzerkrankungen sind mit einem deutlich erhöhten Mortalitätsrisiko verbunden. In Abhängigkeit vom Erkrankungsalter und Schweregrad liegt es 2 bis 5fach höher als in altersgleichen Kontrollgruppen33. Die reversiblen, sogenannten sekundären Demenzen sind teils behandelbar und u.U. auch heilbar. Nach Bickel und Schreiter34 gibt es mehr als 60 Erkrankungen, die zu Demenzsymptomen führen können. Ursächlich sind hierbei nach einer Übersicht von Allard u.a.35 mechanische Einwirkungen, Intoxikationen, Mangelzustände, metabolisch/endokrinologische Störungen und Infektionen. Der Anteil dieser Demenzformen beträgt nach Bickel ca. 10% aller Prävalenzfälle36. Differentialdiagnostisch sind depressive Störungen, Delir und die unterschiedlichen Formen sekundärer, reversibler Demenzen von den primären abzugrenzen und entsprechend der Grunderkrankung zu behandeln. Für vaskuläre und Alzheimer-Demenzen fehlen gegenwärtig kausale Therapiemöglichkeiten. Damit kommt der sozialen Betreuung der Patienten heute vordringlichste Bedeutung zu. Kanowski37 unterscheidet sechs Säulen der Demenztherapie: (1) Internistische Basistherapie (kausal bei sekundären Demenzen, ergänzend und stabilisierend bei primären Demenzen). (2) Zerebrales Training (Selbständigkeits- und Selbsthilfetraining, Hirnfunktionstraining in Form von Gedächtnistraining, Realitäts-OrientierungsTraining, Wahrnehmungstraining für alle Sinne, psychosoziales Training). (3) Bewegungstherapie und körperliche Aktivität. (4) Medikamentöse Therapie (Nootropika; Psychopharmaka begleitend bei nicht-kognitiven Verhaltensstörungen, Depressionen, Schlafstörungen, Wahnsymptomatik). (5) Vermittlung sozialer Hilfen. (6) Psychotherapeutische Beratung und Führung des Patienten und seiner Angehörigen, Vermittlung Selbsthilfegruppen. 33 vgl. Bickel 1997,1f. 34 vgl. Bickel & Schreiter 1987; zit. nach Gunzelmann 1991, 21 35 vgl. Allard, Signoret & Stalleiken 1988; zit. nach Gunzelmann 1991, 22 36 vgl. Bickel, 1997, 7 37 Kanowski 1995,16 von Angehörigen- 17 Abschließend einige epidemiologische Daten: Europäische Querschnittstudien an Zufallsstichproben aus der Altenbevölkerung kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass fast ein Viertel der über 65-Jährigen an einer psychischen Störung leidet; dabei sind die Demenzen die verbreitetsten psychischen Alterserkrankungen38. In Deutschland leben gegenwärtig (1999) etwa 900.000 Demenzkranke. Zwei Drittel dieser Personen sind von der Alzheimer-Krankheit betroffen. Jährlich treten 200.000 Neuerkrankungen auf. Nach vorsichtigen Schätzungen wird sich die Zahl der Betroffenen in den nächsten vier Jahrzehnten auf wenigsten 1,4 Mio erhöhen, sofern kein Durchbruch in Prävention und Therapie gelingt39. Prävalenz- und Inzidenzraten der Demenz steigen mit dem Alter an (vgl. Abbildung 2). Abbildung 2: Altersgruppe Prävalenz und Inzidenz von Demenzen nach dem Alter Mittlere Prävalenzrate (%) Mittlere Inzidenzrate pro Jahr (%) 65-69 1,2 0,33 70-74 2,8 0,84 75-79 6,0 1,82 80-84 13,3 3,36 85-89 23,9 5,33 90 und älter 34,6 8,00 65 und älter 7,2 1,61 40 Quelle Bickel 1999 Quelle Gao et al. 199841 Sowohl bei Neuerkrankungen als auch bei den bestehenden Demenzen liegt das Verhältnis der Geschlechter bei 70% Frauen zu 30% Männern. Diese Überrepräsentation der Frauen hängt mit der deutlich höheren Lebenserwartung der Frauen zusammen, die insbesondere in den höchsten Altersstufen vorliegt42. 38 soweit nicht anders vermerkt, sind die epidemiologischen Daten aus der Übersichtsarbeit von Bickel entnommen, vgl. Bickel 1997, 1 ff. 39 Bickel 1999b (Veröffentlichung der DALZ) 40 Bickel 1999b, 1 (Veröffentlichung der DALZ) 41 Gao et al. 1998; zit. nach Bickel 1999b, 1 (Veröffentlichung der DALZ) 42 vgl. Bickel 1999b, 2 (Veröffentlichung der DALZ) 18 1.2 Demenz und Pflegebedürftigkeit 1.2.1 Zahlen und Fakten zur Pflegebedürftigkeit bei Demenz Anzahl der Pflegebedüftigen: Pflegestatistik43 Die weist für 1999 in Deutschland 2,02 Mio. Pflegebedürftige aus, von denen 1,44 Mio. (72%) zu Hause und 573.000 (28%) in Heimen versorgt wurden. Von den zu Hause Versorgten wurden 1,03 Mio. ausschließlich durch Angehörige und 415.000 unter Mithilfe von professionellen Pflegediensten gepflegt44. Leistungen der Pflegeversicherung bezogen zum Jahresende 2002 1,4 Mio. in Privathaushalten lebende Personen45. Differenziert nach Pflegestufen gemäß § 15 SGB XI waren 780 Tsd. (56%) dieser Personen erheblich pflegebedürftig (Pflegestufe 1), 460 Tsd. (33%) schwerpflegebedürftig (Pflegestufe 2) und weitere 150 Tsd. (11%) schwerstpflegebedürftig (Pflegestufe 3)46. Wie hoch der Anteil von Demenzerkrankten an der Gesamtzahl der älteren Pflegebedürftigen ist, lässt sich derzeit schwer beurteilen47. In seiner jüngsten Repräsentativerhebung über Hilfe- und Pflegebedürftige in privaten Haushalten hat Infratest Sozialforschung48 im Jahr 2002 ein Screening-Instrument49 eingesetzt, das kognitive Beeinträchtigungen auffinden konnte. Danach wiesen 48% der in Privathaushalten lebenden Bezieher von Leistungen der Pflegeversicherung kognitive Beeinträchtigungen auf, die auf eine beginnende oder bereits ausgeprägte demenzielle Erkrankung hinwiesen. Im Einzelnen: in Pflegestufe 1 waren es 42%, in Pflegestufe 2 waren es 57% und in Pflegestufe 3 waren es 53% der Personen. Zusammenfassend stellen die Autoren fest: „Kognitive Beeinträchtigungen, die bei Pflegebedürftigen mehrheitlich auf eine demenzielle Erkrankung zurückzuführen sein dürften, stellen neben den vorrangig körperlich wesentliche verursachten Profilmerkmal auch Mobilitätseinschränkungen bei in Privathaushalten das zweite betreuten 43 vgl. Kurzbericht Pflegestatistik 1999, Bonn 2001 (www.destatis.de); zit. nach Kuratorium Deutsche Altershilfe (Kleiber) 2003,73 44 vgl. Kurzbericht Pflegestatistik 1999, Bonn 2001 (www.destatis.de); zit. nach Kuratorium Deutsche Altershilfe (Kleiber) 2003,73 45 Schneekloth & Leven 2003, 7 46 vgl. Schneekloth & Leven 2003, 8 47 vgl. Bickel 1999a 48 vgl. Schneekloth & Leven 2003, 15f. 49 Kognitiver Screeningtest-6CIT, Brooke & Bullock 1999; vgl. bei Schneekloth & Leven 2003, Anhang 19 Pflegebedürftigen dar“50. Bei diesen Zahlen ist allerdings zu beachten, dass hier nur diejenigen Personen erfasst worden sind, die nach den engen Kriterien des Pflegeversicherungsgesetzes pflegebedürftig waren und bereits Leistungen erhielten. Ein großer Teil des durch die typischen kognitiven Einbußen der Demenz verursachten Betreuungs-, Anleitungs- und Aufsichtsbedarfs ist in den leistungsbegründenden Kategorien der gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens (§ 14 SGB XI) nicht erfasst51. Priester führt dazu an, während die Verrichtungen des täglichen Lebens nach §14 SGB XI vorwiegend antrainierte bzw. konditionierte Handlungen darstellten, die häufig erst relativ spät im Krankheitsverlauf verloren gingen, träten (allein keine Versicherungsleistungen begründende) Hirnleistungs- und/oder Verhaltensstörungen bei Desorientierung oder Umtriebigkeit vielfach bereits in frühen Krankheitsstadien auf und schafften einen teilweise erheblichen allgemeinen Betreuungsbedarf52. Busse et al. fanden in einer Repräsentativerhebung über ein Drittel der Demenzkranken im Rahmen der Leistungen der Pflegeversicherung unterversorgt, d.h. sie hatten entweder keinen Antrag gestellt oder waren bei Antragstellung unangemessen eingestuft worden53. Priester schlussfolgert aus eigenen Berechnungen, gegenwärtig erhalte nur die knappe Hälfte aller in Privathaushalten lebenden kognitiv Beeinträchtigten, ob pflegebedürftig im engeren Sinne oder bloß vorwiegend hauswirtschaftlich hilfebedürftig, Leistungen aus der Pflegeversicherung54. Bickel schließt aus den wenigen verfügbaren Studien, insgesamt seien mehr als 60% der älteren Pflegebedürftigen an einer Demenz erkrankt, und dieser Anteil liege bei den Schwerstpflegebedürftigen sogar bei 80% 55. Im Zusammenhang mit der Angehörigenthematik ist der Umfang der Pflegeund Hilfebedürftigkeit wichtig, da er unmittelbar das Zeitbudget der Pflegenden berührt. Schneekloth & Leven56 erhoben bei kognitiv beeinträchtigten SGB-XILeistungsempfängern folgende Daten: Die kognitiven Beeinträchtigungen gehen charakteristischerweise mit Mobilitätseinschränkungen einher, welche den Pflegebedarf im Sinne des SGB XI begründen. Daneben zeigt sich ein 50 Schneekloth & Leven 2003, 16 51 vgl Freter 1997, 66ff. und Schwarz 1996 52 vgl. Priester 2004, 102f. 53 vgl. Busse et al. 2000 54 vgl. Priester 2004, 104 und Anmerkung 1. Er bezieht sich mit seinen Berechnungen auf Infratest Sozialforschung (Schneekloth & Leven 2003, 15) und Statistisches Bundesamt (lfd.). 55 vgl. Überblick bei Bickel 1999a, 17 56 vgl. Schneekloth & Leven 2003, 16 20 erheblicher Schweregrad an instrumentellen Beeinträchtigungen. 31% der kognitiv beeinträchtigten Pflegebedürftigen konnten tagsüber unmöglich mehrere Stunden allein gelassen werden, weitere 25% konnten dies nur unter Schwierigkeiten. 35% konnten nicht alleine telefonieren, 28% nur unter Schwierigkeiten. 56% konnten sich außerhalb ihrer Wohnung nicht zurecht finden, 28% nur unter Schwierigkeiten. Und 67% konnten ihre finanziellen Angelegenheiten nicht mehr regeln, weitere 23% nur unter Schwierigkeiten. Die Autoren rechnen daneben mit einem erheblichen, in dem vorliegenden Schnellbericht nicht weiter quantifizierten Ausmaß psychischer Störungen57. Eine Untersuchung in Mannheimer Sozialstationen58 erbrachte, dass dort bei Drei Viertel der Patienten mit mittelschwerer oder schwerer Demenz ständiger Pflegeund Beaufsichtigungsbedarf bestand. Man benötigte bei den Demenzkranken den drei- bis sechsfachen Zeitaufwand für Hilfen bei Aktivitäten des täglichen Lebens im Vergleich zu nicht kognitiv beeinträchtigten Patienten. Anteil der häuslichen Pflege bei Demenzkranken: Bickel zufolge kann nur eine Minderheit der Demenzkranken bis zum Lebensende in der häuslichen Umgebung versorgt werden. Zwei Drittel bis Drei Viertel der Dementen übersiedeln im Laufe der Erkrankung in ein Heim. Frühere Prävalenzschätzungen, nach denen nur 10% bis 20% der Betroffenen institutionell versorgt würden, seien überholt. Der Anteil müsse auf wenigstens 40% beziffert werden59. 1.2.2 Zahlen und Fakten zu ehelichen Pflegekonstellationen Die Familie spielt nach wie vor die Hauptrolle bei der Versorgung der Pflegebedürftigen. 92% der Pflegebedürftigen und 85% der Hilfebedürftigen werden privat in der Regel von Familienangehörigen betreut; bei 36% ist es eine einzelne Person, bei 29% sind es zwei Personen und bei 27% drei oder mehr Personen, die als private Helferinnen und Helfer an der Betreuung beteiligt sind60. 57 vgl. Schneekloth & Leven 2003, 16 58 vgl. Schäufele 1994, 645; zit. nach Freter 1997, 66 59 vgl. Bickel 1997, 9; 1999, 17f. 60 vgl. Schneekloth & Leven 2003, 18 21 Für die Untersuchung der Rolle von Paarbeziehungen bei Pflegebedürftigkeit im Alter sind zum einen Geschlechtsunterschiede bedeutsam und zum anderen unterschiedliche Formen von Paarbeziehungen, d.h. formell geschlossene Ehen und nichteheliche Lebensgemeinschaften. Zur Geschlechterperspektive: Der Anteil alter Männer, die verheiratet sind, ist erheblich größer als der alter Frauen, und je älter sie werden, desto mehr geht die Schere zwischen den Geschlechtern auseinander (vgl. Abbildung 3). Die Feminisierung des Alters61 – bedingt durch die höhere Lebenserwartung der Frauen und die nachwirkenden Kriegsfolgen – ist hierfür verantwortlich. Abbildung 3: Familienstand der Frauen und Männer nach Altersgruppen (1999) 65-70 70-75 75-80 80+ Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer 5,9% 4,7% 7,7% 3,5% 8,8% 2,9% 7,8% 3,8% Verheiratet 60,9% 83,8% 46,9% 82,0% 29,3% 77,2% 9,5% 54,7% Verwitwet 26,9% 6,7% 39,9% 11,1% 56,8% 17,4% 79,0% 39,3% 6,3% 4,8% 5,5% 3,3% 5,1% 2,6% 3,6% 2,2% Ledig geschieden Quelle: Stat. Bundesamt 2001 62 Zu den nichtehelichen Beziehungen: Es gab 1999 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes rund 145.000 in gemeinsamen Privathaushalten wohnende nichteheliche Lebensgemeinschaften, bei denen der Mann oder die Frau 65 Jahre oder älter waren63. Im späten Alter ist die Ehe eine Hauptquelle für soziale Unterstützung, und es ist üblich, dass beim Auftreten von Pflegebedürftigkeit zunächst der Ehegatte die Pflege des Partners übernimmt64. Unter den allgemein pflegebedürftigen Personen, die in der eigenen Häuslichkeit leben, haben ohne Ansehen des Alters 32% einen Ehegatten65. Je älter die pflegebedürftigen Personen allerdings sind, desto eher sind sie verwitwet. Bei den über 80-Jährigen leben nur noch 18% als Verheiratete mit einem Partner zusammen66. 61 vgl. Tews 1996 62 vgl. Stat. Bundesamt 2001; zit. nach KDA (Kleiber) 2003, 72 63 Stat. Bundesamt 2001; zit. nach BMFSFJ 2002, 123 (4. Altenbericht) 64 vgl. Übersicht bei Hooker et al. 1992, 372; für Deutschland vgl. Schneekloth & Leven 2003, 19 65 vgl. Schneekloth & Leven 2003, 9 66 vgl. Schneekloth & Leven 2003, 9 22 Ehegatten sind in 28% der Fälle die Hauptpflegepersonen von Pflegebedürftigen in Privathaushalten67 (vgl. Abbildung 4). Eine ältere Untersuchung von Schneekloth & Müller gibt Auskunft über die Geschlechtsverteilung bei den Ehegattenpflegen: 20% der pflegebedürftigen Menschen wurden von der eigenen (Ehe-)partnerin und 12% vom (Ehe-)partner gepflegt68. Die Pflegekonstellation „Frau pflegt Ehemann“ ist die zweithäufigste nach der Konstellation „Frau pflegt eigene Mutter“69. Durch die Veränderung der Verwandtschaftssysteme vom Stammbaum hin zur langen vertikalen, auf den einzelnen Ebenen schmal besetzten „Bohnenstangen-Verwandtschaft“70 wird das Risiko von Mehrfachpflegen größer, so dass die Konstellation „Frau pflegt zuerst die eigene Mutter und später den eigenen Ehemann“ immer häufiger auftreten dürfte. Abbildung 4: Hauptpflegepersonen von Pflegebedürftigen in Privathaushalten Hauptpflegepersonen von Leistungsbeziehern der Sozialen und Privaten Pflegeversicherung zum Jahresende 2002 (Ehe-)Partner/in 28 % Nachbar/Bekannte 7% Tochter 26 % Schwiegertochter 6% Mutter 12 % Vater 2% Sohn 10 % Enkel 2% Sonst. Verwandte 7% Quelle: Schneekloth & Leven 2003 71 Überraschend ist die Beteiligung der pflegenden Ehemänner im Vergleich der alten und neuen Bundesländer. Während sie im Westen mit etwa 11% die Hauptpflegepersonen stellen, sind es im Osten Deutschlands 22%72 Der Autor diskutiert Sozialisationsunterschiede und höhere Arbeitslosigkeit im Osten als Hintergründe. Mit zunehmendem Alter des Pflegebedürftigen nimmt aber die Pflegebeteiligung der (Ehe-)Partner ab. Es kommt zu einem Generationensprung der Hauptpflegenden, der in der unten stehenden Abbildung 5 sichtbar wird, die aus einer etwas älteren Untersuchung von Schneekloth et al. stammt. Während in der Gruppe der 65-79-jährigen Pflegebedürftigen überwiegend Ehe- und Lebenspartner (61%), aber auch Töchter (24%) die Rolle der Hauptpflegeperson 67 vgl. Schneekloth & Leven 2003, 19 68 vgl. Schneekloth & Müller 2000; zit. nach KDA (Kleiber) 2003, 94 69 vgl. Fuchs 1998; zit. nach BMFSFJ 2002, 196 (4. Altenbericht) 70 vgl. Bengtson & Schütze 1994, 499; zit. nach Fooken 1997, 14/9 71 vgl. Schneekloth & Leven 2003, 19 72 vgl. Halsig 1995; zit. nach BMFSFJ 2002, 196 (4. Altenbericht) 23 einnehmen, sind es bei den hochaltrigen Pflegebedürftigen vor allem Töchter (44%) und Schwiegertöchter (17%) und nur noch in 17% der Fälle (Ehe-)Partner. Abbildung 5: Hauptpflegepersonen von Pflegebedürftigen verschiedener Altersgruppen in Privathaushalten Lebens-/Ehepartner (w.) 65-79 Jahre 80 und älter 39% 12% Lebens-/Ehepartner (m.) 22% 5% Tochter 24% 44% Sohn 2% 6% Schwiegertochter 6% 17% andere Verwandte 6% 9% Freunde, Nachbarn 2% 7% 73 Quelle: Schneekloth, Piekara, Potthoff & v. Rosenbladt 1996 In eine ähnliche Richtung weisen die Ergebnisse von Blinkert & Klie74, die den Anteil der von Ehegatten geleisteten Hilfen an allen Hilfen bei verheirateten Pflegebedürftigen nach deren Alter ermittelten. Ohne Ansehen des Alters liegt der Anteil der von Ehegatten geleisteten Hilfen bei 58%. Differenziert man nach dem Alter des Pflegebedürftigen, dann kommt es mit zunehmendem Alter kontinuierlich zu einer Verlagerung der Hilfen von den Ehegatten zu den Kindern, wobei ab dem Alter 80 und älter erwartungsgemäß eine besonders deutliche Abnahme zu sehen ist. Abbildung 6: Anteil der von Ehegatten geleisteten Hilfen an allen Hilfen bei verheirateten Pflegebedürftigen nach deren Alter Altersgruppen 60-65 65-70 70-75 75-80 80 und älter insgesamt Anteil der vom Ehegatten geleisteten Hilfen 74% 73% 66% 63% 40% 58% Quelle: Blinkert & Klie 1999, 125 Es gibt Blinkert & Klie zufolge Geschlechtsunterschiede bei der Ablösung der Gatten als Helfer durch die Kinder. Die Ablösung der Gattin als Helferin erfolgt im Durchschnitt später als die Ablösung der pflegenden Ehemänner. Pflegende Ehefrauen werden sehr deutlich erst bei 80-85-jährigen Pflegebedürftigen abgelöst, während bei pflegebedürftigen Frauen der Altersgruppe 70-75 Jahre 73 Schneekloth, Piekara, Potthoff & v. Rosenbladt 1996, 135 74 vgl. Blinkert & Klie 1999, 125; zit. nach BMFSFJ 2002,. 196 (4. Altenbericht) 24 bereits sehr stark Kinder als Helfer in Erscheinung treten. Die Autoren führen diese Unterschiede auf die unterschiedliche Lebenserwartung von Frauen und Männern und auf die Kriegsfolgen zurück. Der demographische Wandel wird – einer Modellrechnung von Dinkel et al. zufolge - zu einem steigenden Anteil älterer Menschen führen, die einen lebenden Ehegatten haben. Vor allem bei den Frauen werde der Anteil der Verheirateten gegenüber den Verwitweten in den nächsten Jahrzehnten stark ansteigen. Die sinkende Sterblichkeit trage dazu ebenso bei wie der nach dem Auslaufen der heutigen kriegsbedingten Verzerrungen steigende Männeranteil in den oberen Altersstufen75. Selbst wenn dieses in der Zukunft gewonnene zusätzliche Pflegepotenzial nur zu einem Teil „nutzbar“ gemacht werden könne, weil es Fälle geben wird, in denen beide Ehepartner gleichzeitig pflegebedürftig sind, könne grundsätzlich eher von einer Verbesserung als von zusätzlicher Anspannung für das häusliche Pflegepotenzial ausgegangen werden76. Die Zunahme der Lebenserwartung bedeutet also auch, dass in Zukunft noch häufiger als heute häusliche Pflege durch (Ehe-)Partner geleistet werden könnte77. Daten über die Pflegebeteiligung von Ehegatten Demenzkranker fehlen im 4. Altenbericht der Bundesregierung, der sogar einen besonderen Schwerpunkt bei den Demenzerkrankungen hat78. Wojnar erwähnt in einem neueren Beitrag, 50% der Demenzkranken würden von ihrem (Ehe-)Partner gepflegt79. Gräßel erhob in einem größeren Sample (1275 Pflegepersonen von Demenzpatienten), dass 70% der zu Hause gepflegten Demenzkranken zwischen 70 und 89 Jahre alt waren, zwei Drittel davon Frauen. Unter den weiblichen pflegenden Angehörigen dieses Samples waren 28% Ehefrauen und unter den männlichen Pflegepersonen bildeten die Ehemänner mit 68% die größte Gruppe80. 75 vgl. Dinkel, Hartmann & Lebok 1997, 51ff. 76 vgl. Dinkel, Hartmann & Lebok 1997, 54 77 vgl. Fischer et al. 1995; zit. nach BMFSFJ 2002, 194 (4. Altenbericht) 78 vgl. BMFSFJ 2002 enthält keine Angaben 79 vgl. Wojnar 2004, 66. Er gibt allerdings keine Quelle für diesen Befund an. 80 vgl. Gräßel 2001, 216 25 1.3 Zusammenfassung Kapitel 1 Demenzerkrankungen kennzeichnen Gedächtnisstörungen, Denkstörungen sowie Veränderungen der Affektkontrolle, des Antriebs und des Sozialverhaltens. Sekundäre Symptome können Wahn, Halluzinationen und depressive Störungen sein81. Viele Demenzen verlaufen progredient, sind heute nicht heilbar und machen die Betroffenen zunehmend abhängig von der Fürsorge anderer. Prävalenz- und Inzidenzraten steigen mit dem Alter. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, was mit der höheren Zahl hochaltriger Frauen zu tun hat. Demenz ist eine der Hauptursachen für Pflegebedürftigkeit im Alter. Schätzungsweise sind 50-80% der alten Pflegebedürftigen an einer Demenz erkrankt82. Der zeitliche Aufwand der häuslichen Pflege dementer Menschen ist im Vergleich zu kognitiv nicht beeinträchtigten Pflegebedürftigen drei- bis sechsfach erhöht83. Nur eine Minderheit der Betroffenen kann bis zum Lebensende zu Hause versorgt werden, zwei Drittel bis Drei Viertel übersiedeln im Laufe der Krankheit in ein Heim84. Bei der Frage nach der Pflegebeteiligung der Ehegatten sind sowohl Ehen als auch ein erheblicher Anteil alter nichtehelicher Lebensgemeinschaften zu berücksichtigen85. Unter den Hauptpflegepersonen für Pflegebedürftige in Deutschland bilden Ehe- und Lebenspartner mit 28% eine große Gruppe86. Die Konstellation „Frau pflegt Ehemann“ ist die zweithäufigste hinter dem Muster „Frau pflegt eigene Mutter87“. Über die Pflegebeteiligung von Ehegatten Demenzkranker berichtet eine Untersuchung, dass etwa ein Drittel der weiblichen Pflegepersonen Ehefrauen und etwa zwei Drittel der männlichen Pflegepersonen Ehemänner sind88. Mit zunehmendem Alter nimmt allerdings das Pflegepotenzial der (Ehe-)Partner ab, insbesondere bei 80-jährigen und älteren Pflegebedürftigen sind erwartungsgemäß deutlich weniger (Ehe-)Partner an der Versorgung beteiligt. Mit dem demographischen Wandel ist die Ehegattenpflege ein Zukunftsmodell. Es wird zukünftig mehr ältere Menschen, vor allem mehr alte Frauen als heute geben, die noch einen lebenden (Ehe-)Partner haben. 81 vgl. Dilling, Monbour & Schmidt 1994, 45f. 82 vgl. Schneekloth & Leven 2003; und Überblick bei Bickel 1999a, 17 83 vgl. Schäufele 1994, 646; zit. nach Freter 1997, 66 84 vgl. Bickel 1997, 9; 1999, 17f. 85 vgl. Stat. Bundesamt 2001; zit. nach BMFSFJ 2002, 123 (4. Altenbericht) 86 vgl. Schneekloth & Leven 2003, 19 87 vgl. Fuchs 1998; zit. nach BMFSFJ 2002, 196 (4. Altenbericht) 88 vgl. Gräßel 2001 26 2 Entwicklung und Gebiete des Forschungsinteresses In diesem Kapitel zeichne ich eine „Landkarte“ der Forschungstätigkeit über Ehegatten Demenzkranker, sowohl topographisch als auch thematisch (Kapitel 2.1) und schließe dann einen kurzen Abriss der theoretischen Bezugsrahmen dieser Forschung an (Kapitel 2.2). Ausführlicher werden einzelne theoretische Bezüge im Zusammenhang der empirischen Befunde in den Kapiteln 3 und 4 dargestellt. 2.1 Fragestellungen der Forschung Für den Bericht über den aktuellen Stand der Forschung habe ich empirische Befunde und theoretische Beiträge zur Situation der Ehegatten Demenzkranker ausgewertet. Die Literaturanalyse beruht auf Recherchen in den Datenbanken GeroLit, MEDLINE, PsycINFO und PSYNDEX. Gesucht wurden Publikationen aus dem Zeitraum 1993 – 2003. Suchstrategien in GeroLit waren: Familiale Altenpflege und Ehepartner; Demenz oder Alzheimer und Ehepartner; Demenz oder Alzheimer und Partnerschaft; Demenz oder Alzheimer und Ehe; Demenz oder Alzheimer und Ehepaar. Suchstrategien in MEDLINE: dementia oder Alzheimer’s Disease und spouse oder marriage oder marital relation. Suchstrategien in PsycINFO und PSYNDEX: dementia und spouse; dementia und marriage; Alzheimer und spouse; Alzheimer und marriage. Zusätzliche Hinweise stammen aus den Literaturangaben der bearbeiteten Studien und aus manuellen Recherchen an der Universität Bielefeld und an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Der Zeitraum der Literaturrecherche war November 2002 bis Dezember 2003. Mit der Recherche wurden grob überschlagen 350 Publikationen gefunden, die zu rund drei Vierteln aus den USA stammten. Da der Fokus dieser Arbeit auf der psychosozialen Situation der Ehegatten von Demenzpatienten und auf der häuslichen Versorgungssituation liegt, wurden drei Kategorien von Publikationen ausgeschlossen: (1) Arbeiten über die Situation der Ehegatten bei institutioneller Versorgung des Kranken und Publikationen über Prädiktoren im Hinblick auf das 27 Risiko der Heimunterbringung des Patienten, (2) Arbeiten, die über somatische Aspekte der Angehörigenbelastung im Zusammenhang der häuslichen Pflege Demenzkranker berichten und (3) Berichte und Evaluationen über Interventionen (Angehörigengruppen, entlastende Hilfen, psychoedukative Gruppenprogramme oder Multi-Komponent-Interventionen), mit Ausnahme von Arbeiten, die darüber berichten, inwiefern Ehegatten professionelle Hilfen in Anspruch nehmen bzw. Arbeiten über psychosoziale Einzelberatung für Ehegatten. Publikationen über die psychosoziale Einzelberatung speziell für Ehegatten Demenzkranker wurden allerdings nicht gefunden, weder Erfahrungsberichte noch kontrollierte Studien. Unter den verbliebenen Publikationen war ein Teil empirischer Studien, die mit gemischten Samples gearbeitet haben; Samples, die unter anderen pflegenden Familienangehörigen auch Ehegatten enthielten, deren Daten jedoch nicht gesondert ausgewertet wurden. Solche Studien liefern Erkenntnisse, die allgemein auf pflegende Familienangehörige zutreffen und damit teilweise auch relevant sind für die Beurteilung der Situation pflegender Ehegatten. Im Einzelfall sind solche Befunde deshalb mit in den Bericht zur Forschungslage eingegangen. Die Spezifika der ehelichen Pflege sind allerdings eher mit Untersuchungsdesigns zu erfassen, die mit homogenen Ehegattensamples arbeiten. Deshalb sind für den Kontext dieser Arbeit bevorzugt Studien ausgewertet worden, die sich entweder ausschließlich auf Ehegatten Demenzkranker beziehen, oder die die Daten der Ehegatten als Subgruppe des jeweiligen Untersuchungssamples gesondert ausgewertet haben. Dies sind insgesamt 165 Arbeiten. Von diesen Arbeiten sind 75% Veröffentlichungen aus den USA, 11% aus Großbritannien, 7% aus Deutschland und 7% aus anderen Ländern (Kanada 5%, Skandinavien 1% und Irland 1%). Erste Arbeiten über die familiale Altenpflege in den USA datieren aus den 60er Jahren89. Mit der Situation pflegender Ehegatten beschäftigten sich frühe Arbeiten von Klein, Dean & Bogdonoff (1967)90 und Fengler & Goodrich (1979)91. Die Briten Grad und Sainsbury (1963)92 gelten als eine der ersten Forschergruppen93, die die Belastungen von pflegenden Angehörigen psychisch 89 vgl. Shanas 1960 90 vgl. Klein, Dean & Bogdonoff 1967 91 vgl. Fengler & Goodrich 1979 92 vgl. Grad & Sainsbury 1963 93 vgl. Vitaliano, Young & Russo 1991 28 kranker Menschen beschrieben haben. Zarit, Reever und Bach-Peterson (1980)94 werden als Pioniere der Demenz-Angehörigen-Forschung bezeichnet95. Bereits diese frühen Arbeiten rücken die Belastungen der Angehörigen in den Mittelpunkt. Fengler & Goodrich96 beispielsweise bezeichneten die Ehefrauen von pflegebedürftigen älteren Männern als „hidden patients“. Klein et al.97 beschrieben Rollenkonflikte der pflegenden Ehegatten. Grad & Sainsbury98 führten aus, dass ältere psychisch kranke Menschen ihre Familien mit doppelt so vielen Problemen konfrontieren wie jüngere und Zarit et al.99 entwickelten das „burden interview“, eines der ersten und bis heute häufig verwendeten Instrumente zur Erfassung der Belastungen der Angehörigen dementer Patienten. Belastungen sind auch im weiteren Verlauf der Forschungsgeschichte konkurrenzlos die meist untersuchte Fragestellung geblieben. Dies gilt auch für die Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker, wie die folgende Übersicht in Abbildung 7 zeigt. In diese Übersicht sind 165, überwiegend empirische Arbeiten eingegangen, die sich entweder ausschließlich auf Ehegatten Demenzkranker beziehen, oder die aus gemischten Samples Daten über pflegende Ehegatten dementer Patienten berichten. Knapp die Hälfte (44%) dieser Arbeiten beschäftigen sich mit den Belastungen und Bewältigungsversuchen der Pflegenden. Das subjektive Belastungserleben der pflegenden Ehegatten sowie objektivierbare Folgen, v.a. auf die körperliche und seelische Gesundheit, stehen dabei im Zentrum des Erkenntnisinteresses. Weitere Zweige in diesem Gebiet sind Studien zu den Zusammenhängen von Belastungen mit anderen Variablen. Hier geht es um Fragen wie zum Beispiel „Was haben die kognitiven Störungen oder Problemverhalten des Demenzkranken mit Belastungen der Ehegatten zu tun? Welche Beziehungen gibt es zwischen der Qualität der Ehebeziehung, der Persönlichkeit des Pflegenden, Motiven zur Übernahme der Pflege und Belastungen? Gibt es unterschiedliche Belastungen bei Ehegatten und pflegenden Kindern?“ Im Bereich der Bewältigungsversuche interessieren einerseits die Erfolgsaussichten verschiedener Coping-Strategien, 94 vgl. Zarit, Reever & Bach-Peterson 1980 95 vgl. Vitaliano, Young & Russo 1991 96 vgl. Fengler & Goodrich 1979, 175 97 vgl. Klein, Dean & Bogdonoff 1967 98 vgl. Grad & Sainsbury 1963 99 vgl. Zarit, Reever & Bach-Peterson 1980 die meist gemessen werden an 29 objektivierbaren Resultaten, z.B. körperlicher oder seelischer Gesundheit der Pflegenden. Andererseits wird nach Zusammenhängen zwischen CopingMustern und anderen Variablen, z.B. der Persönlichkeit des Pflegenden oder der Qualität der Ehebeziehung gesucht. Der Vielzahl der Belastungsstudien steht nur eine sehr kleine Gruppe von Arbeiten (2%) gegenüber, welche die positiven Aspekte und Gewinne der Ehegattenpflege thematisieren. Einen weiteren Forschungsschwerpunkt (ca. 14%) bildet die Frage nach den Veränderungen der Ehebeziehung infolge der Demenz. Hierzu zählen Studien, die den Alltag der betroffenen Paare aus deren Perspektive untersuchen, Untersuchungen zur Kommunikation der Paare, zur Sexualität oder Vergleiche mit der Situation gesunder Ehepaare. Arbeiten, die das Thema „Pflege“ bei von Demenz betroffenen Paaren thematisieren, machen etwa 25% der gefundenen Publikationen aus. In diesem Bereich gibt es zwei größere Gebiete: Das sind zum einen meist qualitative Untersuchungen, die nach den alltäglichen Erfahrungen und der Alltagspraxis der pflegenden Ehegatten fragen, und zum anderen Arbeiten, denen es um die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Pflege geht. Untersucht werden hierbei die Unterschiede zwischen Frauen und Männern bezüglich der Pflegebelastung bei der Gestaltung der Pflegearbeit. Ein relativ junges Forschungsgebiet setzt sich mit der häuslichen Pflegearbeit von Männern auseinander. Daneben gibt es eine kleinere Gruppe von Publikationen, die sich mit der Auseinandersetzung der Ehegatten mit existenziellen Themen und Verlusten in der Pflegesituation beschäftigt, und einen kleinen Bereich, der Gewalt und Missbrauch in ehelichen Pflegekonstellationen erfasst. Die Rolle sozialer Unterstützung durch informelle Helfer und durch Interventionen formeller Dienste macht 7% der gefundenen Literatur aus. Die übrigen 7% der Forschungsarbeiten decken ein weites Gebiet unterschiedlicher Themen ab, darunter Beiträge, die ganz neue, bisher wenig untersuchte Fragestellungen aufgreifen (z.B. die Problematik der Younger-onsetDemenzen für Ehegatten oder die besonderen Schwierigkeiten von späten Patchwork-Familien in Bezug auf das Auftreten einer Demenz). 30 Abbildung 7: Themen der Forschung über Ehegatten, deren Partner an Demenz erkrankt ist Thema 1. Jahr Sample Diagnose Publiziert E = pflegende Ehegatten des Pflegebedürftigen in Barusch 1988 E Demenz + div. USA 2. Braekhus et al. 1998 E Demenz Norw 3. Fuller-Jonap & Haley 1995 E Demenz USA 4. Gallant & Connell 1997 E Demenz USA 5. Gallant & Connell 1998 E Demenz USA 6. Lawton et al. 1991 E + Kinder Demenz USA 7. Meier et al. 1999 E + Kinder Demenz D 8. Moritz, Kasl & Berkman 1989 E USA 9. Murray et al. 1999 E Kogn. Störung + div. Demenz 10. O’Rourke & Cappeliez 2002 E Demenzverdacht Kanada 11. Russo & Vitaliano 1995 E Demenz USA 12. Schneider et al. 1999 E Demenz GB 13. Teel & Press 1999 E Demenz + div. USA 14. Thommessen et al. 2002 E Demenz + div. GB 15. Vitaliano et al. 1991 E Demenz USA 16. Scroggin Wullschleger et al. 1996 E + div. Demenz USA 17. Zarit, Reever & Bach-Peterson 1980 E + div. Demenz + div. USA Beeson 2000 E + Töchter Demenz USA 19. Beeson 2003 E Demenz USA 20. O’Connor 1993 E Demenz USA 21. O’Rourke et al. 1996 E Demenzverdacht Kanada 22. Pruchno et al. 1990 E Demenz USA 23. 2001 E 1995 E Demenz + Depression Demenz GB 24. Ptok, Papassotiropoulos & Heun Russo et al. 25. Steffen & Berger 2000 E + Töchter Demenz USA 18. Belastung : allgemein Autoren Belastung : spez. seelische Gesundheit GB USA 26. Belastung : spez. kognitiver Status Caswell et al. 2003 E Demenz USA 27. Belastungskorrelate: Bauer et al. 2001 E Demenz ÛSA 28. Merkmale des Patienten Croog et al. 2001 E Demenz USA 29. Deimling & Bass 1986 E + Kinder Demenz USA 30. Gallagher-Thompson et al. 1992 E Demenz USA 31. Pruchno & Resch 1989b E Demenz USA 32. Pullwitt, Seibert & Fischer 1996 E Demenz D 33. Belastungskorrelate: Gallant & Connell 2003 E Demenz USA 34. Merkmale des Pflegenden Hooker et al. 1992 E Demenz USA 35. Monahan & Hooker 1995 E Demenz USA 36. Nunley 2002 E Demenz USA 37. Shifren & Hooker 1995 E Demenz USA Adler, Wilz & Gunzelmann 1996 E + div. Demenz D 39. Collins & Jones 1997 E Demenz GB 40. Lutzky & Knight 1994 E Demenz USA 41. Rose-Rego, Strauss & Smyth 1998 E Demenz USA 42. 1997 E Demenz USA 38. Belastungskorrelate: Gender 43. Belastungskorrelate: Robinson-Whelen & KiecoltGlaser Hepburn et al. 2002 E Demenz USA 44. Merkmale der Ehebeziehung Kramer 1993a E Demenz USA 45. Morris, Morris & Britton 1988 E Demenz GB 46. O’Rourke & Wenaus 1998 E Demenz Kanada 47. Rankin, Haut & Keefover 2001 E Demenz USA 48. Tower, Kasl & Moritz 1997 E Demenz USA 49. Belastungskorrelate: Adler et al. 1996 E + Kinder Demenz D 50. Rolle (Kinder vs. Ehegatten) Barber & Pasley 1995 E + Kinder Demenz USA 51. Chumbler et al. 2003 E + div. Demenz GB 52. Cox & Albisu 2003 E + Kinder Demenz USA 53. Krach 1998 E + Kinder Demenz USA 54. Li, Seltzer & Greenberg 1997 E + Töchter Demenz + div. USA 55. Schacke & Zank 2002 E + div. Demenz D 56. Belastungskorrelate: Barusch & Spaid 1996 E Dem + div. USA 57. Demenz vs. and. Diagnosen Leinonen et al. 2001 E GB Murray, Manela & Shuttleworth 1997 E Demenz + Depression Demenz + Depression 58. GB 31 Abbildung 7: 59. Themen der Forschung über Ehegatten, deren Partner an Demenz erkrankt ist George & Gwyther 1986 E + div. Demenz USA 60. Motenko 1989 E Demenz USA 61. Narayan et al. 2001 E Demenz USA Buffum 1998 E Demenz USA 63. Burton & Sistler 1996 E Demenz USA 64. Hinrichsen & Niederehe 1994 E + div. Demenz USA 65. Lewin & Lundervold 1990 E Demenz USA 66. Majerovitz 1994 E Demenz USA 67. Majerovitz 1995 E Demenz USA 68. Pollmann 2000 E Demenz USA 69. Pruchno & Resch 1989a E Demenz USA 70. Quayhagen & Quayhagen 1988 E + div. Demenz USA 71. Wilz 2002 E + Töchter Demenz D Butt et al. 2002 E Demenz USA 73. Hooker, Frazier & Monahan 1994 E Demenz USA 74. Hooker et al. 1998 E USA 62. 72. Positive Aspekte, Gewinne Coping / allgemein Coping / Rolle der Persönlichkeit Rose et al. 1997 E Demenz + Parkinson Demenz Knop, Bergman-Evans & McCabe Blieszner & Shiftlet 1998 E Demenz USA 1990 E + Kinder Demenz USA 1994 E + Kinder Demenz USA 79. Chesla, Martinson & Muwaswes DeVugt et al. 2003 E Demenz GB 80. Gunzelmann et al. 1996 E + Kinder Demenz D 81. Hendryx-Beladov 1999 E Demenz USA 82. Murray & Livingstone 1998 E GB 83. Owens 2000 E 84. Roberto et al. 1998 E Demenz + psych. Störungen Demenz + Parkinson Demenz USA 85. Wright 1993 E Demenz USA 86. Zarit 2001 E USA Gallagher-Thompson et al. 1997 E Demenz + psych Störungen Demenz 88. Gallagher-Thompson et al. 2001 E Demenz USA 89. Hendryx-Beladow 1999 E Demenz USA 90. Kemper et al. 1994 E Demenz USA 91. 1995 E Demenz USA 92. Kemper, Lyons & Anagnopoulos Orange et al. 1998 E Demenz USA 93. Roberto et al. 1998 E Demenz USA Ballard et al. 1997 E Demenz GB 95. Derouesné et al. 1996 Pat. Demenz USA 96. Duffy 1995 E Demenz USA 97. Eloniemi-Sulkova et al. 2002a E Demenz USA 98. Litz, Zeiss & Davies 1990 E Demenz USA 99. Wright 1998 E Demenz USA 100. Pflegealltag: Erfahrungen der Ehegatten 101. Eloniemi-Sulkava et al. 2002b E + div. Demenz GB 2001 E Demenz GB 102. Jansson, Nordberg & Grafström Lewis 1998 E Demenz GB 103. Lewis et al. 2000 E Demenz USA 104. Lindgren 1993 E Demenz USA 105. O’Donnell 1998 E Demenz USA 106. O’Donnell 2000 E Demenz USA 107. Paun 2003 E Demenz USA 108. Perry 2002 E Demenz USA 109. Perry & O’Connor 2002 E Demenz USA 110. Pollitt, Anderson & O’Connor 1991 E Demenz GB 111. Purcell 2000 E Demenz Kanada 112. Smerglia & Deimling 1997 E + div. Demenz + div. USA 113. Wright, Lore K. 1991 E Demenz USA 114. Geschlechtsspezifische Praxis der Pflegearbeit 115. Davidson, Arber & Ginn 2000 E Demenz + div. Kanada Dobrin 1998 E Demenz USA 116. Harris 1993 E Demenz USA 75. 76. Coping / Rolle der Ehebeziehung 77. Veränderung der Ehebeziehung infolge der Demenz 78. 87. 94. Kommunikation Sexualität USA USA GB 32 Abbildung 7: Themen der Forschung über Ehegatten, deren Partner an Demenz erkrankt ist 117. Harris 2002 E + Söhne Demenz USA 118. Hooker et al. 2000 E USA 119. Kirsi, Hervonen & Jylhä 2000 E Demenz + Parkinson Demenz 120. Lambrecht et al. 1992 E Demenz + div. D 121. Miller 1987 E Demenz USA 122. Miller & Kaufman 1996 E Demenz USA 123. Parsens 1997 E + Söhne Demenz USA 124. Russel 2001 E Demenz USA 125. Shanks-McElroy & Strobino 2001 E Demenz USA 126. Siriopoulos, Brown & Wright 1999 E Demenz USA 127. Zintl-Wiegand 1995 E Demenz + div. D 128. Misshandlung, Gewalt in der Pflege Buttell 1999 E Demenz USA 129. Grafström, Nordberg & Winblad Grafström, Nordberg & Hagberg Williamson et al. 1993 E + div. Demenz Schweden 1993 E + div. Demenz GB 130. 131. USA 2001 E + div. Demenz + div. USA 132. Auseinandersetzung mit existenziellen Themen/Spiritualität/Religion 133. Bourgard 1995 E Demenz USA Farran et al. 1991 E + Kinder Demenz USA 134. Levine et al. 1984 E Demenz USA 135. Navon & Weinblatt 1996 E Demenz + div. USA 136. Stuckey 2001 E Demenz USA 137. Verarbeitung von Verlusten Lindgren, Connelly & Gaspar 1999 E + Kinder Demenz USA 138. Meuser & Marwit 2001 E + Kinder Demenz USA 139. Mayer 2001 E Demenz USA 140. Rudd, Viney & Preston 1999 E Demenz USA 141. Wright et al. 1999 E USA 142. Soziale Unterstützung Carlson & Robertson 1993 E Demenz + Apoplex Demenz 143. Carlson & Robertson 1994 E Demenz Kanada 144. Fiore, Becker & Coppel 1983 E Demenz USA 145. Mathews 1996 E Demenz USA 146. Miller & Guo 2000 E Demenz USA 147. Monahan & Hooker 1997 E USA 148. Inanspruchnahme formeller Dienste Commissaris et al. 1995 E Demenz + Parkinson Demenz 149. Miller & Mukherjee 1999 E Demenz USA 150. O’Connor 1995 E Demenz USA 151. O’Connor 1999 E Demenz Kanada 152. Straw, O’Bryant & Meddaugh 1991 E Demenz + div. USA 153. Winslow 1998 E Demenz USA 154. Sonstiges: Einstellung zum Diagnoseprozess 155. Connell & Gallant 1996 E Demenz USA Layman 2002 E Demenz USA 156. Sonstiges: Die ersten 6 Monate nach der Diagnose 157. Sonstiges: Ethische Fragen Morgan & Laing 1991 E Demenz USA Jecker 1995 E Demenz + div. USA Mezey et al. 1996 E Demenz USA Vitaliano et al. 1989a E Demenz USA Vitaliano et al. 158. Sonstiges: Antizipierte Haltung zu Entscheidungen über lebenserhaltende Maßnahmen 159. Sonstiges: Einfluss von Angehörigenverhalten auf Krankheitsverlauf 160. Kanada Irland 1993 E Demenz USA 161. Sonstiges: Prämorbide Qualität der Ehe und Demenzentwicklung 162. Bauer et al. 1995 Pat. Demenz D Bauer et al. 1998 Pat. Demenz D 163. Kropiunigg 1999 Pat. Demenz USA 164. Sonstiges: Younger-onset-Demenz Williams, Keady & Nolan 1995 E Demenz GB 165. Sonstiges: Probleme von späten Patchwork-Familien Kuhn, Morhardt & MonbrodFramburg 1993 E Demenz USA 33 2.2 Theoretische Bezugsrahmen der Forschung Die Forschung über die häusliche Pflege älterer Menschen und über pflegende Angehörige schneidet mit ihren Fragestellungen quer durch die Gebiete unterschiedlicher wissenschaftlicher Sozialwissenschaften, Disziplinen, vor allem Pflegewissenschaften, der Psychiatrie, Gesundheitswissenschaften, Pädagogik, aber auch der Geschichts- und Geisteswissenschaften. Die Literatur aus diesen unterschiedlichen Quellgebieten ist inzwischen so umfangreich, dass es unmöglich ist, einen kohärenten theoretischen Verstehenszugang zu erwarten100. So sind auch die Arbeiten zur Situation pflegender Ehegatten von Demenzkranken unterschiedlich theoretisch eingebunden. Es finden sich Zugänge aus der Rollentheorie101, den Theorien der Geschlechterfragen102, aus der Familientheorie103, den Theorien der sozialen Netzwerke und sozialen Unterstützung104, Kommunikationstheorie105, der Entwicklungspsychologie Zugänge Psychotherapie111 Konstruktivismus theoretischen 100 , Theorien des 108 , Theorien über Trauer und Verlust109, und aus dem der 107 , der Persönlichkeitspsychologie psychischen Wohlbefindens schließlich aus 106 dem Existentialismus110, symbolischen der existenziellen Interaktionismus112 und dem 113 . Rein numerisch bilden Arbeiten mit den genannten Hintergründen eine kleine Minderheit. Das konkurrenzlos vgl. Gubrium 1995 101 vgl. z.B. in den Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker von Klein, Dean & Bogdonoff 1967; Mui & MorrowHowell 1993; Skaff & Pearlin 1992 102 vgl. z.B. in den Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker von Cossette, Lévesque & Laurin 1995; Davidson, Arber & Ginn 2000; Kirsi, Hervonen & Jylhä 2000; Kramer 1997b; Miller & Cafasso 1992; Miller & Kaufman 1996; Paun 2003; Russel 2001; Stoller 1992 103 vgl. z.B. in den Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker von Duffy 1995; Gunzelmann et al. 1996; Majerovitz 1995; Rankin, Haut & Keefover 2001 104 vgl. z.B. in den Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker von Fiore, Becker & Coppel 1983; Miller & Guo 2000; Spitze & Ward 2000 105 vgl. z.B. in der Arbeit über Ehegatten Demenzkranker von Gallagher-Thompson et al. 2001 106 vgl. z.B. in den Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker von Lewis 1998; Wright 1993, 1994 107 108 vgl. z.B. in den Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker von Hooker et al. 1992, 1994, 1998; O’Connor 1993; Shifren & Hooker 1995 vgl. z.B. in der Arbeit über Ehegatten Demenzkranker von Kramer 1997b 109 vgl. z.B. in den Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker von Garner 1997; Lindgren, Connelly & Gaspar 1999; Meuser & Marwit 2001; Rudd, Viney & Preston 1999 110 vgl. z.B. in den Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker von Bourgard 1995; Farran 1997; Farran et al. 1991, 1999; Paun 2003 111 vgl. z.B. in der Arbeit über Ehegatten Demenzkranker von Levine et al. 1984 112 vgl. z.B. in der Arbeit über Ehegatten Demenzkranker von Deimling & Bass 1986 113 vgl. z.B. in der Arbeit über Ehegatten Demenzkranker von Perry & O’Connor 2002 34 dominierende Paradigma ist – ebenso wie in der gesamten Literatur zur häuslichen Pflege - die Stresstheorie114. Näheres zu einzelnen theoretischen Zugängen findet sich in den folgenden Kapiteln im Zusammenhang der Darstellung der einzelnen Forschungsbefunde. 2.3 Zusammenfassung Kapitel 2 Das Gros der gefundenen Publikationen über Ehegatten Demenzkranker stammt aus den USA. Thematisch dominiert deutlich die Frage nach Belastungen. Daneben hat sich in der Forschungslandschaft aber ein breites Spektrum unterschiedlicher Themen etabliert, das die Vielschichtigkeit der Situation der Ehegatten zu erkennen gibt. 114 vgl. u.a. in den Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker von Barusch 1988; Bookwala & Schulz 2000; Braekhus et al. 1998; Butt et al. 2002; Croog et al. 2001; Gallant & Connell 1997, 1998; Hooker et al. 1992, 1994, 1998; Kramer 1993a; Lawton et al. 1991; Lutzky & Knight 1994; Narayan et al. 2001; O’Rourke & Cappeliez 2002; Pruchno & Resch 1989a, 1989b; Rose et al. 1997; Rose-Rego, Strauss & Smyth 1998; Russo et al. 1995; Schneider et al. 1999 35 3 Demenz in der Ehe In diesem Kapitel habe ich zwei Phänomene analytisch voneinander getrennt, die in der Wirklichkeit eng miteinander verwoben sind: auf der einen Seite die Veränderungen, welche die Demenz eines Partners für die Ehebeziehung und für die Person des anderen Partners mit sich bringt, und auf der anderen Seite das Auftreten von Merkmalen einer Pflegebeziehung. Für die Aufarbeitung der empirischen Befunde über die Wirkungen der Demenz in der Ehe habe ich die beiden Phänomene in diesem Kapitel getrennt betrachtet, die Veränderungen der Ehebeziehung und die Auswirkungen auf die Person des gesunden Partners im Kapitel 3.1, die Befunde zur ehelichen Pflegekonstellation im Kapitel 3.2. Die Vorstellung, die dieser analytischen Trennung zugrunde liegt, ist die, dass es einen fundamentalen Unterschied ausmacht, ob das Paar oder einer der Partner, ständig oder zeitweise, die Beziehung als Ehebeziehung definiert oder als Pflegebeziehung. 3.1 Veränderungen der Ehebeziehung Veränderungen der Ehebeziehung betreffen einerseits die Identität des Paares als Einheit und andererseits die Identitäten der beiden Partner, wobei im Rahmen dieser Arbeit nur die Situation des gesunden Partners betrachtet wird. 3.1.1 Erstes Wahrnehmen der Demenz Demenzen, insbesondere die Alzheimer-Erkrankung, verlaufen häufig schleichend, und die ersten Anzeichen werden meist nur von den Betroffenen selbst wahrgenommen und liegen oft jahrelang vor einer formellen Diagnose. Für viele Patienten sind diese Veränderungen derart bedrohlich, dass sie sich mit verschiedenen Abwehrmechanismen, Vermeiden komplexer Aufgaben beispielsweise oder Rückzug aus sozialen Kontakten, vor Erfahrungen des Versagens zu schützen suchen. Viele bauen regelrecht eine Fassade auf, hinter der das wahre Ausmaß der Defizite selbst für nahe Angehörige lange Zeit verborgen bleibt. Wenn die Demenz chronisch progredient verläuft, dann treten aber zu irgendeinem Zeitpunkt die Krankheitssymptome offen zu Tage. Es hat 36 dann weitreichende Folgen für den Umgang des Paares miteinander, ob und in welcher Weise der gesunde Ehegatte die Veränderungen des Patienten und die Wandlung der Beziehung wahrnimmt, und ob er oder sie die Entwicklungen in den Kontext einer Erkrankung stellen kann. Perry115 beschreibt, wie Ehefrauen für erste Veränderungen ihrer erkrankten Männer zunächst Erklärungen aus ihrem vertrauten Erfahrungshorizont suchten (er ist durcheinander, weil er die Pensionierung nicht verkraftet, o.ä.), bevor ihnen, mal schlagartig, mal allmählich klar wurde, dass solche Erklärungen hier nicht griffen, und sie den Mann zu einem Arztbesuch bewegten. Pollitt und Kollegen116 fanden bei Ehegatten drei verschiedene Wahrnehmungsformen der Demenz des Gatten: • Eine Gruppe nahm die Demenz des Partners nicht wahr und präsentierte das Verhalten des Partners im Interview auch nicht als Problem. Sie identifizierten sich nicht als Pflegende und betrachteten ihre Rolle als Unterstützende des Partners bei normalen altersbedingten Einschränkungen. • Eine zweite Gruppe nahm körperliche Beschwerden beim Partner wahr und präsentierte diese als Hauptproblem. Der Fokus ihrer Berichte lag auf dem kranken Körper. Diese Ehegatten verneinten oder unterschätzten die kognitiven Defizite des Dementen, betrachteten seine Persönlichkeit als weitgehend intakt und unverändert und erwarteten von ihm korrektes, angemessenes Verhalten. Manche unternahmen große Anstrengungen, um den Glauben aufrecht erhalten zu können, der Partner leide nur unter einer vorübergehenden, reversiblen Störung („He’s not mental, you know“117). Ihre eigene Rolle sahen sie als Pflegende eines körperlich Kranken, eine Rolle, die klare Vorteile bietet. Sie ist greifbar, klar umschrieben und sozial anerkannt. • Die dritte Gruppe nahm die Demenz des Partners wahr und präsentierte sie als Hauptproblem. Die Patienten dieser Gruppe waren am stärksten beeinträchtigt. Die gesunden Partner hatten die Demenz und die Irreversibilität akzeptiert. Alle empfanden, dass sie den Partner auf eine Weise verloren hatten. Sie beschrieben Gefühle der Wut, Frustration und Erschöpfung. 115 vgl. Perry 2002 116 vgl. Pollitt, Anderson & O’Connor 1991 117 ein Befragter in der Studie von Pollitt, Anderson & O’Connor 1991, 454 37 Über Drei Viertel der Befragten eines größeren Ehegattensamples dementer Patienten118 betrachteten den Prozess und den Erhalt der Diagnose als außerordentlich wichtig. Die Diagnose ist die Basis für unterschiedliche Bewältigungsoptionen: zu wissen, dass es sich um eine Krankheit handelt, andere Gründe für die Störungen ausschließen zu können, nach der Diagnose die Möglichkeit zu haben, Informationen über die Krankheit zu sammeln, die medikamentöse Behandlung zu beginnen und Pläne für die Zukunft machen zu können. Die Frage, ob Ehegatten es für richtig halten, den Patienten über seinen Zustand aufzuklären, untersuchte Layman119. In seiner Studie sprachen sich ein Drittel der Ehegatten gegen die Aufklärung des Patienten aus, mehr Ehemänner als Ehefrauen. Befragte, die gute soziale Unterstützung hatten, tendierten eher zur Aufklärung. Morgan & Laing120 beobachteten ein Ehegattensample während der ersten sechs Monate nach Diagnosestellung und fanden zwei Arten von Reaktionen: • Die „Trauergruppe“ erlebte die Diagnose als Schock und reagierte zunächst mit Verleugnung. Die vorherige Beziehung war tendenziell eng, durch gegenseitige Liebe geprägt. Die Motivation zur Pflege des Partners war Liebe. Sie zeigten gute Empathie in die Lage des Kranken. Im Laufe der sechs Monate fand ein Prozess der allmählichen Akzeptanz und des Anpassens an die neue Realität statt. Die Ehegatten verringerten die Anforderungen an den Kranken und versuchten, die Situation weitgehend zu normalisieren. Sie begannen, sich selbst auf eine weitere Verschlechterung vorzubereiten. • Die „Rollenbelastungsgruppe“ fühlte sich bei der Diagnose bestätigt in dem, was sie selbst schon vermutet hatte. Die vorherige Beziehung war tendenziell konflikthaft, durch ungleiche Machtverteilung und Mangel an Intimität gekennzeichnet. Die Motivation zur Pflege resultierte aus Verpflichtung und Verantwortungsgefühl oder aus ambivalenten Motiven. Die Ehepartner zeigten Schwierigkeiten, sich in die Lage des Kranken zu versetzen. Im Laufe der ersten sechs Monate erschienen sie zunehmend überwältigt von den wachsenden Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Deutlich zeigten sie eine Ambivalenz hinsichtlich der Pflege. Strategien zur 118 vgl. Connell & Gallant 1996: sie untersuchten 233 Ehegatten Demenzkranker 119 vgl. Layman 2002 120 vgl. Morgan & Laing 1991 38 Bewältigung der Situation waren Abwarten, Ignorieren von Problemen oder Delegation von Verantwortung. Einige machten ihrem Ärger und ihrer Frustration durch Enttäuschung und Unzufriedenheit mit den professionellen Diensten des Gesundheitswesen Luft. Wie das Paar kurz nach Erhalt der Diagnose mit dem Wissen umgeht, hängt vermutlich sehr stark davon ab, wie die Partner früher mit kritischen Ereignissen und Problemen umgegangen sind. Ob die Partner sich gegenseitig unterstützen können, oder ob es zu Entfremdung, Einsamkeit und mangelnder gegenseitiger Anteilnahme kommt, wird unter anderem davon abhängen, inwieweit das Paar beispielsweise Erfahrungen damit hat, Konflikte oder Bedürftigkeiten zu thematisieren und zu bearbeiten. Empirische Arbeiten zu diesen Fragestellungen fehlen. Wenn die kognitiven Symptome der Demenz zum Zeitpunkt der Diagnose noch nicht sehr ausgeprägt sind, dann ist der Kranke, zumindest eine Zeit lang, grundsätzlich noch in der Lage, seine Situation kritisch zu reflektieren und Zukunftspläne zu machen. Insofern ist die Situation des von Demenz betroffenen Paares zumindest eine mehr oder weniger kurze Zeit lang vergleichbar mit der anderer älterer Paare, die sich mit chronischer Erkrankung oder mit dem Prozess des Sterbens auseinander setzen müssen. Kruse121 hat hierzu Ergebnisse aus verschiedenen chronischen empirischen Krankheit Studien leidenden zusammengetragen. Patienten belasten Den an Unsicherheit einer und Schamgefühle gegenüber dem Partner; die Sorge, den anderen psychisch zu stark zu belasten; die Zunahme von alten oder neuen Konflikten; die Sorge, dass der Partner die eigene psychische Ausnahmesituation nicht versteht und zunehmende Hemmungen, den anderen um Unterstützung zu bitten. Positiv getönte Erfahrungen können das Gefühl des Angenommenseins sein, die Entdeckung neuer Gemeinsamkeiten und emotionaler Nähe, das Gefühl, dem anderen trotz der eigenen Krankheit etwas geben zu können, oder die Entwicklung gemeinsamer Pläne und Vorsätze. Auf Seiten des Angehörigen entstehen Belastungen durch die Veränderung der Beziehung und die Veränderungen des Kranken sowie durch die Zunahme von Konflikten. Gefühle der Einsamkeit, Entfremdung, ggf. auch Gefühle der Aggression oder des Ekels und in der Folge oft Schuldgefühle treten auf. Positive Aspekte können Angehörige erleben, wenn sie den Eindruck haben, den Partner wirksam 121 vgl. Kruse 1991 39 unterstützen zu können, Dankbarkeit erfahren, emotionale Nähe oder eigene Kompetenz erleben. Kruse sieht auch bei chronischer Erkrankung Entwicklungspotenziale für die Partnerschaft, etwa wenn es zu einer Vertiefung des partnerschaftlichen Erlebens kommt, oder zu der Erfahrung, sich in der kritischen Situation gegenseitig stützen zu können. Ob derartige paarbezogene Entwicklungspotenziale auch im Falle einer Demenz – zumindest auf längere Sicht gesehen – möglich sind, ist meines Erachtens allerdings zweifelhaft. Die empirischen Befunde sprechen dafür, dass es zu einer gegenseitigen Beeinflussung der Partner bei der Auseinandersetzung mit der chronischen Krankheit kommt122. In der ersten Zeit herrschen vielfältige, schnell wechselnde Auseinandersetzungsformen vor, die sehr verschiedenartige Stimmungen und Gefühle widerspiegeln, z.B. „Niedergeschlagenheit“, „Leistung“, „Suche nach Unterstützung“, kristallisieren „Leugnung“, sich nach „Hoffnung“. Kruse Auseinandersetzungsformen vier heraus: Mit längerer verschiedene, (a) dann Krankheitsdauer relativ leistungsbezogenes stabile Verhalten: Bemühen um Veränderung der Situation; (b) kognitiv-emotionales Verhalten: Bemühen um Veränderung der eigenen Einstellung gegenüber der Situation; (c) Niedergeschlagenheit: Resignation und abnehmendes Engagement und (d) Hadern mit dem Schicksal: nach innen und außen gerichtete Aggression. Die Ehepartner gleichen mit der Zeit ihre Auseinandersetzungsstile aneinander an. Als Gründe sieht Kruse das enge Zusammenleben der Partner und fehlende externe Korrekturen aufgrund der häufigen Abgeschiedenheit des Paares an. Er betrachtet die Annäherung der Auseinandersetzungsstile aber auch als Konfliktvermeidung der Partner. Blieszner & Shiftlett123 analysierten die Reaktionen von Familienangehörigen in den ersten 18 Monaten nach Erhalt der Demenzdiagnose. Vor der Diagnose waren die Angehörigen frustriert, ärgerlich, verletzt und verwirrt. Zum Zeitpunkt der Diagnose empfanden die Angehörigen häufig Entlastung dadurch, dass sie eine Möglichkeit erhalten hatten, die Veränderungen des Erkrankten zu verstehen. Gleichzeitig äußerten sie aber auch Angst, Trauer und Verlust. Sechs Monate später fokussierten sie auf den Verlust der vormals bestehenden Beziehung zum Kranken und eineinhalb Jahre nach Erhalt der Diagnose traf man sie mitten im Bewältigungsprozess einer dramatisch veränderten, aber weiterhin 122 123 vgl. Kruse 1991 vgl. Blieszner & Shifftlett 1990. Sie untersuchten in ihrem Sample nicht ausschließlich Ehegatten, sondern auch andere Familienangehörige 40 bestehenden Beziehung an. Die Befragten bemühten sich um neue Definitionen der Erwartungen an die Beziehung, äußerten das Bedürfnis, einen Schlussstrich unter das alte Verhältnis zu ziehen und suchten Wege, in Verbindung zu bleiben mit einer Person, die sie als physisch anwesend, aber emotional wenig erreichbar wahrnahmen. 3.1.2 3.1.2.1 Veränderungen im weiteren Verlauf der Demenz Veränderungen des Rollengefüges Wenn auch in der ersten Zeit der Demenz die Situation des betroffenen Paares noch in Teilen vergleichbar ist mit der Situation anderer alter Paare, die chronische Krankheiten bewältigen müssen, so verändert sich die Lage doch entscheidend mit dem Fortschreiten der Demenz. Auf einer sehr augenscheinlichen Ebene kommt es zu Veränderungen in der Verteilung der Aufgaben, Rollen und Funktionen der Partner. Dabei gerät einerseits ein sehr individuelles Gefüge in Bewegung, welches das Paar über lange Zeiträume, manchmal in Jahrzehnten der gemeinsamen Ehe, geschaffen hat. Andererseits ist die Verteilung von Aufgaben und Rollen in der Ehe nicht nur eine individuelle Angelegenheit des einzelnen Paares, sondern ist auch Ausdruck komplementärer weiblicher und männlicher Vergesellschaftungsformen124. Die Kohorten der heute alten Menschen sind in der Regel deutlich zu einer geschlechtsspezifischen Aufgabenverteilung sozialisiert worden, mit der Erwerbsarbeit als Domäne des Mannes und der Reproduktionsarbeit als Bereich der Frau. Auch dieses Gefüge gerät mit der Demenz in Bewegung. Ehemänner von dementen Frauen lernen zum Beispiel zu kochen, zu waschen und zu putzen. Gesunde Ehefrauen arbeiten sich in Aufgaben ein, die zuvor der Mann übernommen hatte, beispielsweise das Autofahren oder die Korrespondenz mit Behörden. Wright125 fand heraus, dass die gesunden Ehegatten wesentlich mehr Haushaltsaufgaben übernahmen als die dementen, während sich die gesunden alten Ehepaare der Kontrollgruppe ihres Samples die Verantwortung für das Geld 124 125 „Vergesellschaftung meint die Art und Weise, wie Menschen in die Gesellschaft eingebunden sind und sich einbinden, wie ihre alltäglichen Interaktionen, ihre Tätigkeiten und sozialen Kontakte und somit ihre soziale und materielle Existenzgrundlage untereinander vermittelt sind. Es geht um die Integration des Menschen in gesellschaftliche Bezüge und Zusammenhänge, um seine motivationale, leistungs- und kontaktmäßige Einbindung und materielle wie immaterielle Existenzsicherung. Diese wird über Interaktion und institutionelle Anbindung vermittelt (über jeweils gesellschafts- und lebenslaufspezifische Vergesellschaftungsmedien, wie Erwerbsarbeit, sonstige Arbeit, Familie, Freundschaft, Vereine etc.“ (Backes 1999, 453) vgl. Wright 1993 41 häufig teilten und die anderen Haushaltsaufgaben entsprechend der Geschlechtsrollenstereotype verteilten. Probleme gab es für die „Demenzpaare“ bei der Finanzverwaltung, wenn dieser Bereich zuvor von dem kranken Partner verantwortet worden war. Aber selbst wenn es zu einem totalen Rollenwechsel in diesem Bereich gekommen war, berichtete ein substanzieller Teil der Befragten keine Probleme, sondern genoss im Gegenteil den Zuwachs an Kontrolle. Neben solchen handgreiflichen Veränderungen verschieben sich Rollen auch auf subtileren Ebenen, etwa in der Frage, wer in der Familie für die „Gefühlsarbeit“ zuständig ist126, oder wer die Kontakte zur Verwandtschaft pflegt – traditionell eine Domäne der Frauen127. Die neuen Aufgaben und Rollen müssen dabei nicht unbedingt belastend sein, sie werden manchmal auch als Bereicherung erlebt128. 3.1.2.2 Beziehungsdeprivation Über die Entwicklung der Liebesbeziehung in einer langjährigen Ehe kursieren zwei entgegengesetzte Vorstellungen: einerseits der Mythos der vollkommenen ehelichen Eintracht alter Paare, andererseits die Vorstellung, alte Ehen seien durch Erstarrung, Sprachlosigkeit und leere Gewohnheit gekennzeichnet. Aus kulturhistorischer Perspektive fallen zwei Vorbilder ins Auge: Philemon & Baucis und Xantippe129. Das antike Paar Philemon und Baucis, über das Ovid in den Metamorphosen erzählt, sie wünschten sich von Jupiter, zur selben Zeit sterben zu dürfen, repräsentiert das Bild harmonischer Verbundenheit. Demgegenüber stehen Xantippe und der Pantoffelheld für Paare, die sich in langen Jahren der Ehe in einen alltäglichen Kleinkrieg verstrickt haben. Die Liebesbeziehung als Konstitutiv der Ehe ist historisch betrachtet ein relativ junges Phänomen. In der vorkapitalistischen Ehe ging es nicht um Liebe, sondern um wirtschaftliche Gesichtspunkte. „Bis cirka zur Mitte des 18. Jahrhunderts dominierte im deutschen Bürgertum, ebenso wie bei Handwerkern, Bauern, aber auch dem Adel, die traditionelle, sehr sachliche Einstellung zur Ehe... Wollte man eine Ehe eingehen, so waren weitaus wichtiger als Liebesbeteuerungen ein einträgliches Amt oder eine gesegnete Nahrung oder 126 vgl. Faust-Jacoby & Kling 1991 127 vgl. Übersicht bei Stoller & Cutler 1992 128 vgl. Bauer et al. 2001; Wright 1993 129 vgl. Fooken 1997, 16 42 ein reiches Erbteil.“130 In der Familie liefen alle Fäden eines Menschen zusammen: Arbeit, Konsum, Feier, Liebe, Herrschaft und Geselligkeit131. Mit der Entstehung des Kapitalismus veränderte sich die Bedeutung der Sexualität. Zuvor als Funktion der Fortpflanzung betrachtet, geriet die Sexualität zunehmend in ein System von Arbeit, Kontrolle, Wissen und Rationalität132. Foucault beschreibt diese Veränderungen: „...man muß vom Sex sprechen wie von einer Sache, die man nicht einfach zu verurteilen oder zu tolerieren, sondern vielmehr zu verwalten und in Nützlichkeitssysteme einzufügen hat.“133 In der letzten Hälfte des 18. und vor allem im 19. Jahrhundert entwickelte sich das moderne, bürgerliche Familienideal, das auch heute noch unser Denken beeinflusst. Charakteristisch sind zum einen die Trennung von Erwerbsarbeit und Hausarbeit sowie die Funktionstrennung der Geschlechter und zum anderen Kindzentrierung und Intensivierung und Intimisierung der persönlichen Beziehungen134. Dies impliziert, dass Werte wie Zuneigung, Attraktivität und Emotionalität an Bedeutung gewinnen, ebenso wie Fähigkeiten der Kommunikation und die Kompatibilität der Bedürfnisse der Partner. Damit „ist ein Zugewinn an Lebensqualität zu verzeichnen, zugleich zählen die affektiv-emotionalen Faktoren aber zu den empfindlichsten und anfälligsten Gütern schlechthin“135. Die Ehe ist so ein fragiles Gebilde geworden, das Donzelot als „unstabile Zusammenfügung“ oder „halböffentlichen Raum“ voller innerer Widersprüche und ständiger Gefährdungen darstellt136. In empirischen Untersuchungen zeigt sich häufig ein u-förmiger Verlauf der Ehezufriedenheit über die Lebensspanne mit einem Gipfel zu Beginn der Beziehung, einer Talsohle in der Lebensmitte und wieder besserer Zufriedenheit in den späten Ehejahren137. Als Schlüsselmerkmal erfolgreicher Langzeitehen wird unter anderem der Fortbestand der emotionalen Intimität der Partner hervorgehoben138. Befragte nannten als besonders belohnende Aspekte ihrer Altersehe die Gefährtenschaft und die Möglichkeit, dem Partner gegenüber die eigenen Gefühle wahrhaftig ausdrücken zu können139. Zur emotionalen Nähe 130 Rosenbaum 1982; zit. nach Jaeggi & Hollstein 2000, 30 131 vgl. Jaeggi & Hollstein 2000 132 vgl. Jaeggi & Hollstein 2000 133 Foucault 1983, zit. nach Jaeggi & Hollstein 2000, 31 134 vgl. Jaeggi & Hollstein 2000 135 Vogt 2001, 34 136 vgl. Donzelot 1980, 237f.; zit. nach Jaeggi & Hollstein 2000, 33 137 vgl. Fooken 1997, 14/16 138 vgl. Lauer & Lauer 1986; Lauer, Lauer & Kerr 1990; zit. nach Gallagher-Thompson et al. 2001, S140 139 vgl. Stinnett, Carter & Montgomery 1972; zit. nach Depner & Ingersoll-Dayton 1985, 761 43 trägt auch bei, dass die Partner in ihrer langen gemeinsamen Geschichte gelernt haben, wie sie dem anderen am besten beistehen, Rat geben oder ihn trösten können140. Neben der emotionalen Unterstützung betrachten alte Paare den gegenseitigen Respekt als wesentlich für eine gute Ehe141, wobei zwei Grundlagen für Respekt unterschieden werden können, nämlich einerseits Ehrerbietung, d.h. dass jemand zum Beispiel Hochachtung oder Bewunderung ausdrückt, und andererseits Beachtung, d.h. dass die eigenen Gefühle, Gedanken und Wünsche von jemandem wahrgenommen werden142. Hinsichtlich des Respekts sind alte Ehepartner zunehmend aufeinander angewiesen, wenn im Alter statusbezogene Rollen aufgegeben werden müssen und dadurch viele Quellen für Respekt verloren gehen143. Eine Demenz führt gerade in diesem für die Ehezufriedenheit so zentralen Bereich der emotionalen Verbundenheit zu tiefgreifenden Veränderungen. Der Schwund der Gefährtenschaft in der Ehe, die Erosion der Intimität, fehlende Reziprozität und Gefühle der Entfremdung werden an vielen Stellen der empirischen Literatur hervorgehoben144. Neben Störungen der emotionalen Nähe führt die Demenz auch dazu, dass der gesunde Partner allein steht mit vielen Entscheidungen und mit der Verantwortung, die er sonst gemeinsam mit dem Gatten getragen hätte. Betroffene berichten immer wieder in dem gleichen Wortlaut, sie seien noch verheiratet, ohne sich noch so zu fühlen; oder sie seien weder verheiratet noch verwitwet. Es verwundert nicht, dass viele das Bedürfnis nach Kontakten und Austausch mit anderen Menschen äußern145. Dabei können Ehegatten neben der Wahrnehmung der verschlechterten Beziehung gleichzeitig eine engere Bindung an den Partner spüren146. Dieses scheinbare Paradox kann dadurch zustande kommen, dass beide in derselben Lage sind, mit der sie zurecht kommen müssen, dass sie die Beziehung nicht mehr als fraglos garantiert betrachten können, was die Aufmerksamkeit für die Zuneigung zum Partner erhöhen kann, oder dass sie angesichts der Hilflosigkeit des Partners empathisch den Wunsch entwickeln, ihn beschützen zu wollen147. Andererseits 140 vgl. Depner & Ingersoll-Dayton 1985 141 vgl. Stinnett, Collins & Montgomery 1970; zit. nach Depner & Ingersoll-Dayton 1985, 762 142 vgl. Depner & Ingersoll-Dayton 1985 143 vgl. Stinnett, Collins & Montgomery 1970; zit. nach Depner & Ingersoll-Dayton 1985, 762 144 vgl. z.B. Barusch & Spaid 1996; Blieszner & Shiftlett 1990; Gallagher-Thompson et al. 2001; Kramer & Lambert 1999; Morris, Morris & Britton 1988; Owens 2000; Pearlin et al. 1990; Rakin, Haut & Keefover 2001; Siriopoulos, Brown & Wright 1999; Wright 1993 145 vgl. Wright 1993 146 vgl. DeVugt et al. 2003 147 vgl. DeVugt et al. 2003 44 beschreiben Ehegatten auch das Bedürfnis, zumindest zeitweise aus der Beziehung zu fliehen, besonders dann, wenn die Patienten anklammerndes Verhalten zeigen148. Viele distanzieren sich bewusst von dem gegenwärtigen Charakter des Gatten, sie sehen ihn als leere Hülle oder nicht als die Person, die sie geheiratet haben149. Eheliche Spannungen brachten die gesunden Ehegatten von Demenzkranken in einer Studie von Wright150 durchgängig mit der Demenz in Verbindung, während ein erheblicher Teil der erkrankten Partner (40%) solche Spannungen nicht als problematisch wahrnahm. Die gesunden alten Paare der Kontrollgruppe hatten keinen speziellen Fokus bei der Wahrnehmung ehelicher Spannungen. Insgesamt wurde in beiden Gruppen ein niedriges Maß ehelicher Spannungen berichtet, wobei Wright beobachtete, dass die Ehegatten der Demenzkranken sich selbst intensiver emotionaler Kontrolle unterzogen, um Spannungen abzubauen, etwa durch Zielverschiebung (z.B. Schreien in ein Kissen) oder durch Herausgehen aus dem Konflikt (z.B. sich im Badezimmer einschließen). Die Autorin schlussfolgert, die ehelichen Spannungen würden deshalb von den gesunden Partnern als niedrig eingestuft, weil sie selbst größte Anstrengungen unternehmen, sie niedrig zu halten. Bei den demenzkranken Partnern waren die vorherrschenden Strategien im Umgang mit Spannungen, die Situation als nicht problematisch zu definieren (40%) und selbst aus dem Konflikt zu gehen (33%), sowie Ruhe zu bewahren. Nur 13% der Erkrankten berichteten, Konflikte auszudiskutieren. Die gesunden Paare gingen anders mit Spannungen um. Vorherrschende Strategien bei ihnen waren, die eigene Befindlichkeit auszudrücken und den Partner zu konfrontieren. Chesla und Kollegen151 stießen in einer Langzeitstudie auf drei Muster, mit denen die gesunden Familienangehörigen auf die Veränderungen reagierten: (1) Die Kontinuität der Beziehung wird betont: Der Patient wird weiterhin als präsent in der Beziehung wahrgenommen, Reziprozität wird erlebt, und der Patient definiert in gewohnter Weise die Welt des gesunden Gatten. Die gesunden Angehörigen interpretierten viele kleine Gesten und Äußerungen des Kranken als Belege ihrer Sichtweise, selbst wenn diese für Außenstehende 148 vgl. Wright 1993 149 vgl. Lewis 1998 150 vgl. Wright 1993, 31ff. 151 vgl. Chesla, Martinson & Muwaswes 1994. Das Sample bestand neben 15 Ehegatten aus 15 Kindern dementer Patienten. 45 zufällig und bedeutungslos erschienen. Die Verluste und Veränderungen in der Beziehung wurden nicht verneint, auch durchaus betrauert, doch empfanden diese Angehörigen weiterhin ein Gefühl der Verbindung und Kontinuität mit dem Kranken. Das Beispiel einer Ehefrau illustriert dieses Verhaltensmuster: „Despite the Alzheimer’s disease, she finds access to his person, his intelligence, and his capacity to comfort her..., the man with whom she built a life and a family, the person that comprised her world prior to the illness, continues to define her world and focus her daily concerns… feels his presence very strongly in her life”152. (2) Die Beziehung wird als kontinuierlich, aber transformiert wahrgenommen: Die Angehörigen dieses Musters erlebten den Erkrankten weitgehend verloren an die Demenz. Sie sahen nur wenige und flüchtige Zeichen seiner früheren Persönlichkeit, und sie zweifelten daran, ob sie ihn erreichen könnten. Reziprozität wurde wenig wahrgenommen. Was dennoch blieb, war eine starke Verpflichtung an die Beziehung, den Kontakt zu der Person zu halten, die der Kranke durch die Demenz geworden war. Die vergangene Beziehung wurde betrauert und die bestehende Beziehung auf einem neuen Fundament erlebt. Ehegatten empfanden diese Situation als doppelwertig, weil sie den Gatten nicht mehr als Vertrauten oder Sexualpartner sehen konnten, und dennoch mit ihm verheiratet blieben. Diese Angehörigen veränderten ihr eigenes Verhalten analog zum Verlauf der Erkrankung. Beispiel eines Ehemannes: „... his greatest fear was that his wife would no longer recognize him. In the abstract, he feared that her lack of recognition would break the thin continuity that he felt with her. … Then in the last interview, his wife increasingly did not recognize him. He then found a new way to stay connected to her in her current capacities. He no longer worried that she recognize him but found it essential that she appreciate him and accept his care. Her willingness to eat what he prepared and her cooperation … were taken as signs of her acceptance of his care.”153 (3) Die Beziehung wird als radikal verändert wahrgenommen: Diese Angehörigen fanden keine Kontinuität zu der Persönlichkeit des Kranken vor der Demenz. Die Beziehung wurde als emotional distanziert, weniger persönlich und klinischer wahrgenommen. Die Sorgen waren abstrakter, objektiver und weniger zugeschnitten auf die individuellen Bedürfnisse des Kranken. Die Narrative dieser Angehörigen fokussierten 152 Chesla, Martinson & Muwaswes 1994, 5 153 Chesla, Martinson & Muwaswes 1994, 6 das Pflegearrangement und die damit 46 zusammenhängenden Probleme. Dennoch sorgten sich diese Angehörigen um eine gute Pflege. Beispiel eines Ehemannes: „The worst possible life for him would be if his wife were to continue to live, and hold him in this ‘limbo’ of being ‘married, but not married’” 154. Neben den oben dargestellten empirischen Befunden gibt es verschiedene theoretische Ansätze zur Erklärung der Veränderungen der Paarbeziehung. Lore K. Wright argumentiert, das von Demenz betroffene Paar verliere das, was G.H. Mead als „shared meaning“155 bezeichnet. „The disease, simply put, affects the mind. But it is precisely mental capacity for shared meaning, thinking, and selfconsciousness as part of a ‘mind’ that is the essence of human interactions (Mead, 1977). Mind156, according to Mead, is the capacity ‘to take the attitude of the other’ or to have shared meaning in social interactions (Mead, 1977, p. 34)“157. Der Geist ordne die Erfahrungen über andere und über die Umgebung und verleihe ihnen Bedeutung, und dieses Ordnen führe dazu, dass Situationen definiert werden könnten158. In dem Maße, in dem dieses Ordnen und Definieren dem dementen Partner nicht mehr gelingt, verliert das Paar die gemeinsam geteilte Bedeutung von Erfahrungen und Wahrnehmungen. Auch Ansätze aus der systemischen Familientheorie bieten sich für ein Verstehen der Situation der betroffenen Paare an. Olson159 beschreibt ein Circumplex-Modell der Funktionsfähigkeit von Paaren oder Familien. In diesem Modell sind drei Kernkategorien zentral für die Funktionsfähigkeit: • Kohäsion, d.h. der Grad emotionaler Verbundenheit und gegenseitiger Unterstützung der Partner. Ausprägungsgrade reichen von disengagiert (emotionale Isolation) über separiert (einige gemeinsame Interessen und Unterstützung) und verbunden (emotionale Unterstützung und Zusammengehörigkeit) bis hin zu verklammert oder verwoben (Betonung der Zusammengehörigkeit und Loyalität unter Ausschluss aller anderen Beziehungen). • Adaptabilität, d.h. Rollenbeziehungen Anforderungen und die und Fähigkeit des Beziehungsregeln entsprechend 154 Chesla, Martinson & Muwaswes 1994, 7 155 vgl. Mead 1977, zit. nach Wright 1993, 10 156 Hervorhebung bei Wright 1993, 10 157 Wright 1993, 10 158 vgl. Coser 1977, 521; zit. nach Wright 1993, 10 159 vgl. Olson 1989 Paares, Machtstrukturen, entsprechend situativer Entwicklungsnotwendigkeiten zu 47 verändern. Ausprägungsgrade sind rigid (sehr gering), strukturiert (gering bis mittel), flexibel (mittel bis hoch) und chaotisch (sehr hoch). • Die eheliche Kommunikation als Dimension, welche die Veränderungen in den beiden anderen Bereichen erleichtert. Am besten – so das bogenförmige Modell - ist die Funktionsfähigkeit bei mittleren Ausprägungsgraden, während extreme Ausprägungen eher dysfunktional sind, z.B. Kohäsion und Adaptabilität mit den Merkmalen: disengagiert & rigid oder verwoben & chaotisch. Die Funktionsfähigkeit des Paares wird dynamisch gesehen, d.h. das Paar verändert bei verschiedenen Anforderungen im Lebenszyklus die jeweiligen Ausprägungsgrade in den drei Dimensionen. Wird einer der Partner dement, dann wird er sich immer weniger aktiv in diesen Prozess einbringen können, so dass die Funktionsfähigkeit des Paares dadurch in Frage gestellt wird. Das Konstrukt der „boundary ambiguity“ ist ein anderer theoretischer Beitrag aus der Familientheorie, der für das Verstehen der Paardynamik im Falle der Demenz hilfreich ist. Es handelt sich dabei um ein von Boss160 im Rahmen der Militärforschung an Frauen, deren Männer im Krieg als vermisst gelten, entwickeltes Konstrukt. „Boundary ambiguity“ ist definiert als Zustand, in dem die Familienmitglieder nicht sicher darüber sind, wer innerhalb und wer außerhalb des Familiensystems steht und wer welche Rollen und Aufgaben hat161. Es gibt hierfür zwei Indikatoren : • die physische Abwesenheit eines Familienmitglieds, obwohl die Familie es psychologisch präsent hält und • die physische Präsenz eines Mitglieds, das aber psychologisch nicht präsent ist (z.B. ein Mitglied, das emotional gegangen ist oder das an einer psychischen Störung, z.B. einer Psychose leidet). Das Letztere ist auch die Situation bei einer Demenz. Der Patient ist körperlich anwesend, aber psychologisch, emotional nicht mehr erreichbar. „Boundary ambiguity“ kann die Fähigkeit einer Familie zur Reorganisation und Anpassung an chronischen Stress blockieren. Wenn die Familie nicht deutlich klären kann, wer innerhalb und wer außerhalb des Systems ist, kann sie die Systemgrenzen nicht halten. Der Prozess der morphogenetischen Restrukturierung des Systems ist blockiert, die Familie immobilisiert162. Boss und Kollegen belegten dieses 160 vgl. Übersicht bei Boss et al. 1990, 246 161 Boss et al. 1990, 246 162 Boss et al. 1990, 246 48 Phänomen auch in einer Langzeitstudie Familienangehörigen demenzkranker Patienten mit einem Sample aus 163 . „Boundary ambiguity“ erwies sich als mediierende Variable zwischen dem gesundheitlichen Status des Patienten auf der einen und den Kontrollüberzeugungen und depressiven Symptomen bei den Familienangehörigen auf der anderen Seite. Besonders drastische Persönlichkeitsveränderungen des Patienten, deutlich in problembehafteten Verhaltensweisen, scheinen die „boundary ambiguity“ zu erhöhen. Einen weiteren Zugang zum Erfassen der Beziehungsveränderungen bieten die Überlegungen von Blieszner & Shiftlett164, die an die Erfahrungen vieler Ehegatten dementer Menschen anknüpfen, weder wirklich verheiratet noch wirklich getrennt zu sein. Die Autorinnen greifen auf ein Modell von Duck165 zurück, das fünf Stadien der Beendigung enger Beziehungen beschreibt: • Unzufriedenheit mit der Beziehung • Konfrontation und Verhandlung der Partner • Konfrontation mit dem weiteren sozialen Umfeld • Entscheidung, die Beziehung zu beenden • Aktivitäten, die den Partnern über den Verlust hinweg helfen. Sie schlagen vor, die Paarsituation bei Demenz als inkomplette Beendigung der Beziehung anzusehen. Sie beziehen sich hier auf Van Gennep166, der Statuspassagen beschrieben und die inkomplette Statuspassage eingeführt hat, in der eine Person unfähig ist, von einem Status in einen anderen zu wechseln. Um zu verstehen, wie Angehörige in der Beziehung verharren, bietet sich das Modell von Rusbult167 an, das Reaktionsweisen in unbefriedigenden Beziehungen darstellt: • „exit“: Taktieren, um die Beziehung zu beenden oder mit dem Ende zu drohen • „voice“: aktives und konstruktives Kommunizieren der Probleme • „loyality“: passives, jedoch optimistisches Abwarten in der Hoffnung, dass sich die Beziehung wieder verbessern möge • „neglect“: passives Verwelken lassen der Beziehung. 163 vgl. Boss et al. 1990 164 vgl. Blieszner & Shiftlett 1990 165 vgl. Duck 1982, zit. nach Blieszner & Shiftlett 1990, 57 166 vgl. Van Gennep 1908, 1960; zit. nach Blieszner & Shiftlett 1990, 57 167 vgl. Rusbult 1987; zit. nach Blieszner & Shiftlett 1990, 57 49 Blieszner & Shiftlett argumentieren, diese Modelle über die Beendigung von Beziehungen oder über den Rückzug aus Beziehungen seien nur bedingt auf die Demenzsituation anwendbar. In Partnerschaften ohne Demenz bleibe immer die Option für beide Partner, die Beziehung zu beenden oder wieder aufzunehmen. Die Demenz hingegen führe zu einem Verlust der persönlichen Kontrolle über den Status und den weiteren Verlauf der Beziehung und ebenfalls zu der Unfähigkeit der beiden Partner, gemeinsam über die Veränderungen der Beziehung in Verhandlungen zu treten. Es gebe auch keine spezifischen Marker der Transition, wie etwa eine Scheidung oder ein Begräbnis, die den Weg in einen neuen Lebensstil vereinfachen würden. Die Demenz mache die Ehe zu einer Beziehung mit unvorhersagbarer Dauer, unvorhersagbaren Typen und Häufigkeiten von Wechseln und mit einem kontinuierlichen Verlust der Kontrolle. Deshalb halten die Autorinnen das Konzept der inkompletten Statuspassage von Van Gennep für eine zutreffende Beschreibung der Situation eines Paares mit Demenz168. Mit besonderen Problemen im Falle einer Demenz sind Paare konfrontiert, die sich im Alter verheiraten, nachdem zuvor andere Partnerschaften zu Ende gegangen waren169. Dies ist eine Beziehungsform, die angesichts steigender Scheidungsziffern (auch bei alten Ehen) wahrscheinlich zukünftig häufiger sein wird. Meist sind die Partner vorher ein- oder mehrmals verheiratet gewesen, sind geschieden oder verwitwet, und haben oft erwachsene Kinder, Enkel oder sogar Urenkel. Unterschiedliche Kombinationen von Patchwork-Familien sind denkbar. Allen gemeinsam ist, dass in jedem Fall komplizierte Familienstrukturen entstehen, und dass diese Familien bestimmte Aufgaben zu lösen haben, oft über eine Periode von mehreren Jahren hinweg, um eine neue Familienidentität hervorzubringen170. Nach Kuhn et al. gehört dazu, Verluste zu betrauern, die alle Patchwork-Familien durch Tod, Scheidung oder ähnliches erlitten haben, neue Traditionen zu etablieren, eine solide eheliche Verbindung zu entwickeln und neue innerfamiliäre Beziehungen zu formen. Ein dementer Partner kompliziert alle diese Aufgaben171: Seine Demenz, die fortschreitend Verluste mit sich bringt, triggert Verlusterfahrungen der anderen Familienmitglieder. Bei der Entwicklung neuer Familientraditionen bleibt er oft außen vor, weil er Neues nicht mehr lernt. Für die junge Ehebeziehung bedeutet die Erkrankung, dass Reziprozität nicht 168 Blieszner & Shiftlett 1990 169 vgl. Kuhn, Morhardt & Monbrod-Framburg 1993 170 vgl. Übersicht bei Kuhn, Morhardt & Monbrod-Framburg 1993, 157 171 vgl. Kuhn, Morhardt & Monbrod-Framburg 1993 50 entstehen kann, und es auch keine Wiedergutmachungsansprüche aus der Vergangenheit gibt. In den innerfamiliären Beziehungen können Konflikte dadurch entstehen, wenn sich erwachsene Kinder als Advokaten des erkrankten Elternteils verstehen und damit in Konkurrenz geraten zum neuen Ehepartner. Diese Familien brauchen Wissen über diese typischen Aufgaben und Dynamiken und über die Zeit, die dafür notwendig ist, damit sie keine unrealistischen Erwartungen an harmonische Entscheidungen haben. Ggf. brauchen sie formelle Mechanismen der Konfliktlösung und des Interessenausgleichs. 3.1.2.3 Asymmetrie der Entwicklung Lore K. Wright hat das folgende konzeptuelle Modell der Entwicklung einer von Demenz betroffenen Ehe vorgestellt: Modell der Entwicklung in einer Ehe, in der Demenz auftritt (Wright 1993, 9) Abbildung 8: Past marital Relationsship (prior to the illness) Present marital Relationship Asynchrony (Illness) Coping Developmental Outcomes: - Control / disorder - Adaption / Distortion - Concordance / Discordance - Acculturation / Exploitation Anticipated Future of the Relationship Support Formal informal Die Autorin bezieht sich auf die dialektische Theorie der menschlichen Entwicklung von Riegel172. Für Riegel vollzieht sich menschliche Entwicklung über die gesamte Lebensspanne, und die dialektischen Interaktionen zwischen Menschen und mit dem größeren soziokulturellen Umfeld sind dabei 173 essenziell . Riegel betrachtet Lebenskrisen und Lebensschwierigkeiten als Voraussetzung, um die Entwicklung im Erwachsenenalter überhaupt in Gang zu setzen174. Er nennt sie Asynchronien: die Erfahrung von asynchronen Lebensdimensionen zwischen biologischen, kulturellen und soziologischen Aspekten des Lebens. 172 vgl. Riegel 1979; zit. nach Wright 1993, 7, 117 173 vgl. Übersicht bei Wright 1993, 7 174 vgl. Übersicht bei Wright 1993, 7 individualpsychologischen, 51 Lore K. Wright argumentiert mit den Ergebnissen ihrer Untersuchung an Ehepaaren, dass die Entwicklungsbewegungen der beiden Partner mit dem Auftreten der Demenz asymmetrisch verlaufen. Für die gesunden Gatten sei die Demenz ein zentraler Umwelteinfluss, der zentrale Reorganisationen ihres Lebens erfordere. Wenn man Entwicklung definiere als „a process of interactions which from the outside transforms the organism as he transforms the external conditions through his own acitivities“175, dann – so Wright – entwickeln sich die gesunden Ehegatten in der Auseinandersetzung mit der Demenz persönlich weiter. Die Ergebnisse ihrer Studie bestätigten, dass die gesunden Ehegatten vielfältigen Veränderungen ihrer Ehebeziehung und ihres ganzen Lebens ausgesetzt waren und vielfältige Aktivitäten ergriffen, um mit diesen Veränderungen umzugehen. „Overall, then, it can be stated with confidence that something new emerges from person-environment interactions...“, und zwar Entwicklung176. Anders verhalte es sich bei den dementen Partnern. Diese – so entdeckte Wright in ihrer Untersuchung – lebten überwiegend in einer Welt, die sie selbst als unproblematisch definierten. Nur etwa ein Drittel der Erkrankten war in der Lage, „to take the attitude of the other spouse“177. Bei fehlender Wahrnehmung von Lebensschwierigkeiten, Krisen oder Asynchronien entfalle aber nach Riegels Annahme der notwendige Motor für Entwicklung. Zusätzlich verlören die Kranken immer mehr Energie-Input aus der Umgebung, da ihre kognitive Kapazität abnehme, Umgebungsstimuli zu interpretieren, und sie insgesamt weniger mit der Umwelt interagierten, so dass auch aus diesen Gründen Entwicklung bei ihnen stagniere. Auch der Verlust des Selbst – mit G.H. Mead178 argumentiert Wright, das Selbst existiere nur durch einen entwickelten Geist innerhalb des Kontextes sozialer Erfahrung – führe bei dem demenziell erkrankten Menschen dazu, dass Entwicklung aufhört. Rückhalt für diese Argumentation gibt es in der Untersuchung von Lewis179. Mehrere der von ihr befragten Ehegatten sprachen darüber, sich selbst weiter zu entwickeln und den dementen Partner zurückzulassen. Sie sprachen von Gefühlen der Schuld und des Ungenügens, wenn sie den Dementen nicht verstehen, oder dass sie sich illoyal fühlen, wenn sie ihm offensichtlich abwegige 175 Riegel 1973, 5; zit. nach Wright 1993, 118 176 Wright 1993, 119 177 Wright 1993, 119 178 vgl. Mead 1977, 161; zit. nach Wright 1993, 120 179 vgl. Lewis 1998 52 Aussagen nicht glauben. Manche sprachen auch von Bedauern, alte Konflikte mit dem Partner nicht mehr bereinigen zu können. 3.1.2.4 Sexualität Hinsichtlich der Sexualität im Alter herrscht heute Übereinstimmung darüber, dass das sexuelle Interesse erhalten bleibt, während die Frequenz sexueller Kontakte im Vergleich zu früheren Jahren zurückgehen kann180. Dabei muss allerdings bedacht werden, dass Befunde zur Alterssexualität in aller Regel in Querschnittstudien erhoben worden sind, und wir deshalb nicht sicher wissen können, ob hier tatsächlich Altersphänomene abgebildet worden sind oder möglicherweise Kohorteneffekte181. Eine Langzeitstudie von George & Weiler182 beispielsweise fand über einen Zeitraum von 6 Jahren stabile sexuelle Aktivität bei drei Alterskohorten (46-55, 56-65 und 77-71 Jahre alte Probanden). Für die Alterssexualität sind zudem verschiedene Krankheiten bedeutsam, die im Alter häufig sind und die sexuelle Funktionsfähigkeit beeinträchtigen können, z.B. cardiovaskuläre Erkrankungen, Krebs, Arthritis, Diabetes oder die Probleme bei Nebenwirkungen von Medikamenten. Veränderungen des Sexualverhaltens und sexuelle Demenzkranken können im Zusammenhang der nicht-kognitiven Symptomatik der Demenz eingeordnet werden183. Die Veränderungen können entweder ein Nachlassen oder eine Steigerung des sexuellen Interesses und der sexuellen Aktivität sein. Derouesné und Kollegen184 weisen auf eine grundsätzliche methodische Schwierigkeit der Forschung über die Sexualität Demenzkranker hin, die darin liegt, dass alle Angaben von den gesunden Ehegatten gemacht werden. Man kann nicht ausschließen, dass die so erhobenen Daten verfälscht sind, nachdem sie durch den Filter der Wahrnehmung der Ehegatten gegangen sind – einer Wahrnehmung, die infolge ihrer allgemeinen Pflegebelastung möglicherweise selektiv ist . Im Folgenden werden zunächst einige empirische Befunde zu quantitativen Aspekten der Veränderungen rezipiert, daran anschließend Befunde zu eher 180 vgl. Übersicht bei Wright 1998, 167 181 vgl. Wright 1998 182 vgl. George & Weiler 1981; zit. nach Wright 1998, 167f. 183 vgl. Derouesné et al. 1996 184 vgl. Derouesné et al. 1996 53 qualitativen Fragen, insbesondere zu den Problemen, mit denen sich die Partner der Demenzpatienten konfrontiert sehen. (a) Quantitative Befunde zu Veränderungen des Sexualverhaltens Derouesné et al.185 stellten in ihrem Sample bei Drei Viertel der Demenzpatienten Veränderungen des Sexualverhaltens im Vergleich zu der Zeit vor dem Auftreten der Demenz fest, wobei sie das Ausmaß der Veränderungen als moderat bezeichnen. 70% der Ehegatten berichteten sexuelle Indifferenz des Patienten, 50% berichteten Veränderungen der sexuellen Praxis. Es gab keine Verbindung zum kognitiven Status des Patienten, aber zu affektiven und allgemeinen Faktoren wie Anhedonie, emotionalen Defiziten, Rückgang des Antriebs, Schwere von Verhaltensstörungen und Stimmungsstörungen. Es gab auch keine Korrelation zum früheren sexuellen Verhältnis der Gatten, aber zu einer guten affektiven Beziehung und auch zu intimen, aber verdeckten sexuellen Kontakten. Männer zeigten mehr Veränderungen als Frauen; Männer zeigten öfter gesteigertes Sexualinteresse und enthemmtes Verhalten; aber umgekehrt zeigten auch mehr Männer sexuelle Berührungsangst. 46% der gesunden Ehegatten betrachteten die Veränderungen der Sexualität als mangelhafte Bewältigung des Paares. Wright186 verglich im Querschnitt Demenzpaare mit gesunden älteren Paaren und fand Folgendes: Sie untersuchte die Häufigkeit von Gesten der Zuneigung (z.B. Streicheln, Küssen, im selben Bett schlafen) und sah in beiden Gruppen im Durchschnitt eine recht hohe Zuneigung, wobei sie allerdings in beiden Gruppen eine breite Streuung feststellte. Keinerlei sexuelle Kontakte zu haben, berichteten 63% der Demenzpaare und nur 12% der gesunden Paare. 10% der DemenzPaare und 6% der Gesunden berichteten „occasional tries, attempts, snuggles“187. Mindestens einmal monatlichen Sexualverkehr gaben 82% der gesunden Paare und nur 27% der Demenz-Paare an. Die Häufigkeit unterschied sich bei den beiden Gruppen: Bei den Demenz-Paaren reichte die Frequenz der Kontakte von 1-2, 3-4, 6-8,10-, 14-mal und öfter pro Monat, bei den Gesunden von weniger als einmal, bis 10-mal pro Monat. Sexuelle Kontakte waren deutlich häufiger bei den Demenz-Paaren als bei den gesunden Paaren, insgesamt bei den Demenz-Paaren etwa zweimal so häufig wie bei den Gesunden (im 185 vgl. Derouesné et al. 1996 186 vgl. Wright 1993, 1991 187 Wright 1993, 75 54 Durchschnitt 8-mal pro Monat vs. 4-mal). Wenn nur die älteren Paare über 60 Jahre berücksichtigt werden, dann hatten die älteren Demenz-Paare durchschnittlich 7,2-mal im Monat, die gesunden Paare durchschnittlich 2,4-mal im Monat Geschlechtsverkehr. Entscheidend dabei ist aber, dass dieser Unterschied allein auf das Konto einer kleinen Gruppe geht, nämlich einiger weniger dementer Männer mit besonders hoher sexueller Aktivität (14%). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit Ausnahme weniger DemenzPaare, bei denen der demente Mann sexuell äußerst aktiv ist, Demenz-Paare im Vergleich zu gesunden Paaren weniger sexuelle Kontakte Übereinstimmend hierzu berichten auch Derouesné et al. 188 haben. von sexuell enthemmtem Verhalten bei einem geringen Prozentsatz der Demenzpatienten. Wright untersuchte auch, wie hoch die Übereinstimmung der Partner in den Bereichen der Affektion und der sexuellen Intimität war, d.h. ob sie z.B. immer oder nie darin übereinstimmten, Sex zu haben oder sich zu müde dazu zu fühlen. Für die Affektion stellte sie keine Unterschiede zwischen den Demenz-Paaren und den gesunden alten Paaren ihrer Kontrollgruppe fest. Hinsichtlich der Übereinstimmung bei sexuellen Themen gaben dagegen die dementen Männer signifikant mehr Übereinstimmung an als ihre pflegenden Ehefrauen. Die Art und Weise, wie die Demenz-Paare sich hinsichtlich Zuneigung und sexueller Aktivität verhielten, war insgesamt äußerst vielgestaltig. Wright ordnete sie 7 Mustern zu: (1) keine oder wenig Zuneigung, kein sexuelles Interesse beider Partner; (2) mittlere bis hohe Zuneigung, kein sexuelles Interesse; (3) keine oder wenig Zuneigung, verbal geäußertes sexuelles Interesse; (4) mittlere bis hohe Zuneigung, verbal geäußertes sexuelles Interesse; (5) niedrige bis hohe Zuneigung, Versuche sexueller Intimität („tries, attempts or snuggles“); (6) niedrige bis hohe Zuneigung, regelmäßiger Sexualverkehr und (7) hohe Zuneigung, Sexualverkehr von 10-mal pro Monat oder öfter. In einer neueren Langzeitstudie verfolgte Wright189 die Veränderungen der Sexualität bei Demenzpaaren und einer Kontrollgruppe gesunder alter Paare über einen Zeitraum von 5 Jahren. Der Ausdruck von Affektion (z.B. den Gatten küssen, streicheln, umarmen, im selben Bett schlafen) war nicht verschieden in den beiden Gruppen für die Zeit vor Ausbruch der Demenz, hatte sich aber bei den Demenz-Paaren nach fünf Jahren Krankheitsverlauf signifikant verschlechtert. In der gesunden Gruppe blieb die Affektion stabil. Nach 5 Jahren 188 vgl. Übersicht bei Derouesné et al. 1996, 91 189 vgl. Wright 1998 55 waren weniger Demenz-Paare als gesunde Paare sexuell aktiv. Aber auch die sexuelle Aktivität einiger gesunder Paare nahm während des Untersuchungszeitraums ab, während andere unverändert aktiv blieben. Hypersexuelles Verhalten, das wenige männliche Patienten zeigten, ebbte innerhalb von 2 Jahren ab. Wright schlussfolgert, die mittlere Phase der Demenz kann die schwierigste sein hinsichtlich sexuellen Problemverhaltens. Wenn der demente Partner in einem Heim untergebracht worden war, sah Wright einen Anstieg der Affektion. Sie vermutet, dass vielleicht der Stress der häuslichen Pflege aufgehört hat und positive Gefühle wieder auftauchen können. Ballard et al.190 untersuchten Paare, bei denen ein Partner leicht bis mittelschwer dement war. 22,5% der Paare gaben an, weiterhin sexuelle Beziehungen zueinander zu haben. Es wurde allerdings nicht konkret nach Geschlechtsverkehr gefragt. Es können somit auch andere Formen der Sexualität hier inbegriffen sein. Alle sexuell noch aktiven Paare äußerten Zufriedenheit. Auch die Mehrheit derjenigen, die nicht mehr sexuell aktiv waren, äußerte sich zufrieden. Aber eine substanzielle Minorität (38,7%) äußerten Unzufriedenheit. Unzufriedenheit war assoziiert mit vaskulärer Demenz und jüngerem Patientenalter. Es gab einen Trend, dass männliche Pflegende eher sexuell involviert blieben und einen inversen Trend zwischen sexueller Aktivität des Paares und Halluzinationen des Patienten. Patienten mit besserem abstrakten Denkvermögen waren signifikant eher sexuell aktiv. Eloniemi-Sulkova et al.191 berichten, 10% der gesunden Ehegatten hätten einen positiven Wandel der sexuellen Beziehung festgestellt. Von den zu Hause gemeinsam lebenden Paaren praktizierten 5 Jahre nach Ausbruch der Demenz noch 41% Geschlechtsverkehr, nach 7 Jahren Demenz nur noch 28%. Ein Drittel der gesunden Gatten erlebte mehr Zärtlichkeit des Partners, seitdem dieser dement war. (b) Probleme im Bereich der Sexualität Im folgenden Teil dieses Kapitels werden nun Ergebnisse berichtet über Probleme, mit denen die gesunden Ehegatten im Bereich der Sexualität 190 vgl. Ballard et al. 1997 191 vgl. Eloniemi-Sulkova et al. 2002a 56 konfrontiert sind. Eine Klassifikation sexueller Probleme bei Alzheimer-Demenz legten Haddad & Benbow192 vor, die drei Gruppen unterscheiden: • Probleme, die den vorhandenen Partner involvieren • Probleme, die neue Partner involvieren • Probleme, die unabhängig von einem Partner auftreten. Hierunter fallen unangemessenes sexuelles Verhalten in der Öffentlichkeit, unangebrachtes Sprechen über sexuelle Themen oder falsche sexuelle Anschuldigungen, also z.T. Phänomene, die häufig als sexuelle Enthemmung bezeichnet werden. Aus einer neueren finnischen Querschnittstudie berichten Eloniemi-Sulkova et al.193, dass 60% der befragten Ehegatten zumindest ein sexuelles Problemverhalten des Patienten während des Krankheitsverlaufs angegeben hatten. Das häufigste negative Verhalten: Der Demente war nicht mehr in der Lage, den sexuellen Bedürfnissen des Partners Beachtung zu schenken. 45% der Ehegatten berichteten das. Duffy194 untersuchte in einer Langzeitstudie über einen Zeitraum von 2 Jahren die Muster des Sexualverhaltens von Demenz-Paaren. Die Autorin diskutiert ihre Ergebnisse in einem familientheoretischen Bezugsrahmen. Die Ehe als Institution kontrolliert – so die Autorin – sexuelles Verhalten, indem sie es auf die Ehebeziehung begrenzt. Vor diesem Hintergrund sei nachvollziehbar, dass die von ihr befragten gesunden Ehegatten hypersexuelles Verhalten der Patienten zwar als stressig einstuften, nicht aber als bizarr. Distress erlebten sie auch, wenn Kranke ungewöhnliche Sexualpraktiken forderten. Ehefrauen hatten Probleme, Grenzen zu setzen und Nein zu sagen, wenn sie keinen Verkehr mit dem dementen Mann haben wollten. Dabei sei zu bedenken, diese Kohorte heute alter Frauen habe oft ein Gefühl der Pflicht gegenüber den sexuellen Wünschen des Mannes. Viele der befragten Ehefrauen sprachen in den Interviews so auch von ehelicher Pflicht. Andere gaben den Wünschen nach, weil sie Sex wie ein Therapeutikum einsetzten, denn sie hatten die Erfahrung gemacht, dass es den Mann beruhigte. Wieder andere hatten Angst vor Katastrophenreaktionen (Wut, Feindseligkeit) des Mannes, wenn sie sich ihm verweigerten. Hypersexuelles Verhalten von dementen Männern zeitigte bei den 192 vgl. Haddad & Benbow 1993; zit. nach Derouesné et al. 1996, 91 193 vgl. Eloniemi-Sulkova et al. 2002a 194 vgl. Duffy 1995 57 Ehefrauen Gefühle des Stresses, der Angst und der Frustration, die von milder Irritation bis zu starker Aversion reichen konnten. Andere berichteten ihre Irritation, dass der Mann nicht mehr sexuell mit ihnen verkehrte, wie sie es gewohnt waren. Sie beschrieben das Verhalten des Mannes als abrupt, roh und ohne Rücksicht auf ihre Befriedigung oder ihr Vergnügen. Bei den pflegenden Ehemännern gab es keinerlei derartige Aussagen. Keiner äußerte Probleme, den sexuellen Wünschen der dementen Frau Grenzen zu setzen. Dass etliche Frauen wie Männer Unbehagen empfanden, mit ihrem 195 zufolge hilfebedürftigen Partner genitalen Sexualverkehr zu haben, weist Duffy auf das Inzestverbot hin. Die gesunden Partner haben ihre Beziehung neu definiert und betrachten sie nicht mehr als Ehe-, sondern als Mutter/Vater-KindBeziehung oder Pflegender-Patient-Beziehung. Aus der Perspektive des Symbolischen Interaktionismus lässt sich erklären, dass dieselben sprachlichen Ausdrücke (z.B. Kosenamen oder die Aussage „ich liebe dich“) und dieselben Gesten (z.B. umarmen, streicheln, küssen), die vormals innerhalb der Ehebeziehung als sexuelle Symbole erkannt worden waren, in dem neuen Kontext der Beziehung zu Symbolen der Fürsorglichkeit oder Mütterlichkeit werden. In diesem Zusammenhang sind die Berichte anderer Untersuchungen zu verstehen, die über besondere Schwierigkeiten von Ehegatten berichten, wenn sie den Partner im Genitalbereich waschen oder pflegerisch versorgen müssen196. Oder umgekehrt, dass sich beispielsweise pflegebedürftige Männer in ihrer sexuellen Identität bedroht fühlen, wenn ihre Frau bei ihnen Intimpflege leisten muss197. Aus der Perspektive der Exchange-Theory gerät das Austauschsystem zwischen dem dementen und gesunden Gatten in ein Ungleichgewicht. Ehefrauen berichteten in Duffys Studie, dass sie sexuelle Avancen des dementen Mannes nicht mehr als Ausdruck der Liebe oder des Gebens ansahen. Sie betrachteten sie als Kosten der Beziehung. Die gesunden Ehemänner berichteten solches nicht. Spezifische Probleme von Ehemännern dementer Frauen schildert eine psychotherapeutische Fallstudie von Litz, Zeiss & Davies198. Der Mann klagte 195 vgl. Duffy 1995 196 vgl. Parker 1993; Lewis 1998 197 vgl. Zintl-Wiegand 1995 198 vgl. Litz, Zeiss & Davies 1990 58 über Erektionsprobleme, die erst seit der Demenzerkrankung seiner Frau aufgetreten waren. Er beschrieb dramatische Veränderungen des Sexualverhaltens seiner Frau. Sie seien ein „old-fashioned“ Ehepaar gewesen, er habe früher die sexuelle Initiative ergriffen. Die stärkste Veränderung sei, wie seine Frau jetzt sexuelle Wünsche artikuliere. Sie nehme beispielsweise seine Hand und führe sie in ihren Genitalbereich und fordere ihn auf, sie sexuell zu stimulieren. Die Psychotherapie brachte zwei Themen zu Tage: Die Angst des Mannes, sie könne so etwas auch in der Öffentlichkeit tun, vor allem dann, wenn er sie nicht genügend sexuell befriedigen könnte. Und zweitens das Gefühl des Mannes, er könne seine Frau sexuell missbrauchen, wenn er mit ihr verkehre, weil er nicht sicher von ihr erfahre, ob sie es auch wolle. Basierend auf ihren klinischen Erfahrungen stellen die Autoren199 folgende allgemeine Hypothesen über Ehemänner dementer Frauen auf: Viele Ehemänner sind zurückhaltend, über sexuelle Probleme zu berichten. Sie halten es einerseits für ein Tabuthema, andererseits befürchten sie, ihre sexuellen Probleme könnten als egoistische Sorgen angesehen werden, partner“ „taking advantage of one’s 200 . Oder sie glauben, Sex habe eine geringe Bedeutung. D.h. es sind im allgemeinen Ängste, die Partnerin sexuell nicht befriedigen zu können oder Ängste, es sei nicht angemessen, sich um die eigenen sexuellen Bedürfnisse zu kümmern. Der Krankheitsverlauf kann zu Veränderungen führen, wie sexuelle Wünsche ausgedrückt werden, und zu Veränderungen der Erregungsmuster. Es kann nötig sein, dass nicht-koitus-orientierte Sexualpraktiken angewendet werden (wie manuelle Stimulation, Masturbation). Wenn beide miteinander sexuell verkehren, dann wird der nicht-demente Partner mehr verantwortlich sein für den Fortgang des Verkehrs. Dies kann den Gesunden in eine dysfunktionale Rolle bringen, wie sie von Masters und Johnson beschrieben worden ist: „the involuntary assumption of a spectator’s role during active sexual participation“201. Schließlich kann die Krankheit sehr praktische Probleme erzeugen, wenn der Kranke sich nicht einmal mehr wenige Minuten konzentrieren kann. Oder auch wenn der Schwerkranke nicht mehr attraktiv ist für den Partner aufgrund seiner Veränderungen des Aussehens, der Hygiene, ggf. Inkontinenz. 199 vgl. Litz, Zeiss & Davies 1990 200 Litz, Zeiss & Davies 1990, 115; Baikie 2002 201 Masters & Johnson 1970; zit. nach Litz, Zeiss & Davies 1990, 115 59 3.1.3 Situation des gesunden Ehegatten 3.1.3.1 Bedrohung des Selbst Meist wird die Situation pflegender Angehöriger aus der Stress- bzw. BelastungsPerspektive betrachtet. Es fehlt in der Literatur weitgehend ein Verstehen der psychodynamischen Aspekte, die sowohl dem Angehörigen die Bewältigung seiner Situation erschweren als auch die Interaktion mit dem demenziell Erkrankten beeinträchtigen können. Eine Ausnahme bildet die Arbeit von O’Connor202, die aus der Perspektive der Psychologie des Selbst von Heinz Kohut203 unbewusste Konflikte der Angehörigen demenziell erkrankter Menschen beschreibt. Der Psychoanalytiker Heinz Kohut trennte sich von der traditionellen psychoanalytischen Prämisse, dass alles Verhalten und jede Entwicklung unbewusst durch aggressive oder libidiöse Triebe motiviert sei. Stattdessen schlug er die Entwicklung des Selbst als zentralen Fokus vor. Das Selbst ist für Kohut der Kern der Persönlichkeit. Er definiert es als „experience of being one who experiences“204. Wolf205 bezeichnet es als die schwer fassbare Essenz, die verantwortlich ist für die psychische Struktur. Ihre Präsenz sei bewiesen durch den gesunden Sinn eines Menschen für das Selbst, für Selbstachtung und Wohlbefinden206. Die Entwicklung einer Selbst-Struktur hängt nach Kohut von Selbstobjekt-Beziehungen ab. Das Selbstobjekt ist „an intrapsychic experience which evokes, maintains or positively effects the sense of self”207. In der Kindheit wird die Selbstobjektfunktion typischerweise von einer Person erfüllt, sie kann aber auch in einem Objekt oder einem Symbol liegen (z.B. Musik). Kohut208 unterscheidet drei Typen von Selbstobjektbeziehungen: • Spiegeln: bezieht sich auf das Bedürfnis, dass jemand die eigenen Werke und Taten wertschätzt. • Das idealisierte Selbstobjekt: bezieht sich auf das Bedürfnis, geschützt und unterstützt zu sein in Zeiten des Stresses und der Spannung. 202 vgl. O’Connor 1993. Die Ausführungen in diesem Kapitel orientieren sich eng an O’Connor, soweit nicht anders gekennzeichnet. 203 vgl. Kohut & Wolf 1978; zit. nach O’Connor 1993, 115 204 Kohut & Wolf 1978; zit. nach O’Connor 1993, 115 205 Wolf 1988; zit. nach O’Connor 1993, 115 206 Wolf 1988, 27; zit. nach O’Connor 1993, 11 207 Bacal & Newman 1990, 230; zit. nach O’Connor 1993, 116 208 Kohut & Wolf 1978; zit. nach O’Connor 1993, 116 60 • Das Alterego oder Zwillings-Selbstobjekt: bezieht sich auf das Bedürfnis, als jemandes Verwandter oder Zugehöriger erkannt zu werden209. Wenn die Selbstobjektbeziehung adäquat ist, übernimmt das Selbst allmählich Teile der Selbstobjektfunktionen. Das Kind entwickelt allmählich ein Gefühl des Selbstvertrauens und Stolzes, wenn seine Spiegelungsbedürfnisse angemessen erfüllt werden. Wenn ihm ein angemessenes idealisiertes Selbstobjekt zur Verfügung steht, wird es sich allmählich selbst beruhigen und trösten können. Kohut nennt diesen Prozess „transmuting internalization“ (umwandelnde Internalisierung). Er nimmt an, dass kleine, nicht-traumatische Ausfälle der äußeren Selbstobjekte die Fähigkeit des Kindes entwickeln, die Funktionen des Selbstobjekts zu internalisieren. Dennoch bleibt auch bei Erwachsenen der Bedarf an Selbstobjekten erhalten, besonders in Zeiten der Krise. Das Altwerden an sich kann eine Bedrohung des Selbst darstellen. Für Radebold stellt das Altern die vorletzte und nicht auszugleichende große narzisstische Kränkung vor dem Sterben dar210. Lazarus schreibt „the greatest test of narcissism is aging or old age“211. Die Auseinandersetzung mit körperlichen und seelischen Einschränkungen, chronischer Krankheit und vor allem Trennungen und Verlusten konfrontiert das Größen-Selbst mit der zerbrechlichen, begrenzten, sterblichen Natur des Menschen212. „Die im Alter zu bewältigenden Verluste betreffen neben körperlichen Phänomenen generative Funktionen, soziale Werte und die realen Objektbeziehungen. Wenn die Repräsentanzen der verlorenen Objekte überwiegend narzisstische Qualität hatten, lösen die Verluste Gefühle tiefer Hilf- und Hoffnungslosigkeit aus. Verluste werden dann so empfunden, als ob ein Teil des Selbst verloren oder zerstört ist, ohne die Chance zu sehen, Ersatz zu schaffen.“213 Eine Demenz trifft Paare in der Regel im fortgeschrittenen Alter. Das bedeutet, dass beide Partner, wenn sie alt sind, bereits unabhängig von der Demenz mehr oder minder verletzlich hinsichtlich ihres Selbst sind. Die Erfahrung der Demenz ist dann innerhalb einer Kette von Verlusterfahrungen eine zusätzliche Herausforderung. Für den Erkrankten bedeutet das Auftreten der Demenz, dass das Selbst vergänglich wird, wenn mit zunehmenden Gedächtnisstörungen die 209 Basch 1988; zit. nach O’Connor 1993, 116 210 Radebold 1994a 211 Lazarus 1980, 74; zit. nach O’Connor 1993, 117 212 Kernberg 1978, 354f.; zit. nach Teising 1997, 74 213 Teising 1997, 75 61 Kontinuität der Erfahrung verloren geht. Zunächst gibt es Abwehrmechanismen, wenn diese aber nicht mehr greifen, Katastrophenreaktionen. Kohut nennt eine solche Reaktion „narcissistic rage“214, eine andere kann die Entwicklung depressiver Symptome sein. Der Kranke braucht zunehmend Energie, um ein Gefühl des Selbst aufrechtzuerhalten. Der gesunde Ehegatte erfährt andere unbewusste Konflikte, wenn der Partner demenziell erkrankt. Er ist konfrontiert mit dem Verlust eines bedeutenden Selbstobjekts. Kohut zufolge zeichnet sich eine gute Ehe dadurch aus, dass die Partner genau die Selbstobjektfunktionen bereitstellen, die der andere bei einer vorübergehenden Beeinträchtigung des Selbst-Gefühls in einem bestimmten Moment braucht. Aber selbst in einer schlechten Ehe kann die Beziehung helfen, dass die Partner psychische, wenn auch möglicherweise pathologische Stabilität haben215. Die Auswirkungen des Verlustes hängen davon ab, wie gut der gesunde Partner die Selbstobjektfunktionen des Partners in seine eigene Selbststruktur hat integrieren können. Dabei spielt einerseits die seelische Gesundheit des nichtdementen Ehegatten als auch die Qualität der Partnerschaft eine Rolle. Mit dem Konzept der „transmuting internalization“ von Kohut kann man annehmen, dass in einer langandauernden positiven Beziehung die Selbstobjektfunktionen des Partners internalisiert worden sind. Dann würde die Demenz der Partners keine gravierenden Beschädigungen des Selbst nach sich ziehen. Wenn aber in der vorangegangenen Ehebeziehung die Selbstobjektfunktionen nicht internalisiert worden sind, weil sie die Bedürfnisse nicht angemessen beantworten konnten, dann wird der betreffende Partner weiter abhängig bleiben von den externalen Selbstobjekten, die der andere bereitstellen könnte. Im Falle der Demenz bedeutet das dann eine ernsthafte Gefahr für das Selbst des gesunden Partners. Er wird an den dementen Partner klammern als Bereitsteller von Selbstobjekten. Folgen können sein, dass er die Krankheit verleugnet, es ihm nicht gelingt, seine Erwartungen an den Dementen und seine Interaktionsmuster zu verändern, oder dass er sein eigenes Ungenügen auf den Kranken projiziert und ihn beschuldigt. Das alles wird noch dadurch kompliziert, dass der gesunde Partner wenig Gelegenheit hat, mit den eigenen Verlusten umzugehen und sie zu verarbeiten. Gerade in der Zeit, wo er 214 Kohut 1972, 147; zit. nach O’Connor 1993, 118 215 Solomon 1989, 121; zit. nach O’Connor 1993, 119 62 selbst vielleicht besonders verletzlich ist, lastet auf ihm ein enormer Druck, für den dementen Partner zu sorgen und dessen wachsende Ansprüche an Selbstobjekte zu befriedigen. Außerdem wird die herkulische Natur dieser Aufgabe das verletzte Selbst weiter erodieren. 3.1.3.2 Auseinandersetzung mit existenziellen Themen Die Angehörigen demenziell erkrankter Menschen sind nicht allein damit beschäftigt, die alltäglichen Aufgaben der Betreuung zu meistern und dabei tiefgreifende Belastungen in Kauf zu nehmen, die Situation konfrontiert sie auch mit existenziellen Themen. Verlusterfahrungen, Trauer und Versuche der Sinnfindung in einer extrem widrigen Lage kennzeichnen ihre Situation. (a) Verlusterfahrungen und Trauer Empirische Befunde zu Trauerreaktionen von Ehegatten dementer Menschen sind selten. Während sich Hunderte von Studien mit den Belastungen pflegender Angehöriger beschäftigt haben, gibt es nur eine Handvoll Studien über Trauer216. Trauer (grief), die aus der Erfahrung einer chronischen Krankheit resultiert, ist als chronischer Schmerz (chronic sorrow) bezeichnet worden217. Das Konzept stammt ursprünglich von Olshansky218, der es für die Reaktionen von Eltern behinderter Kinder entwickelte. Der Schmerz dieser Eltern bestand während des gesamten Lebens fort, wenngleich die Schwere intra- und interindividuell je nach den Umständen variierte. Der Unterschied zwischen einem akuten Trauerprozess und chronischem seelischem Schmerz, der durch eine chronische Krankheit ausgelöst wird, liegt darin, dass die ständige Präsenz der Krankheit den Trauernden daran hindert, die Trauer durchzuarbeiten und abzuschließen219, etwa in der Weise, wie Kübler-Ross das für die einzelnen Phasen eines akuten Trauerprozesses beschreibt220. Bestätigt wird dies in der Studie von Mayer221: Die befragten Ehegatten von Demenzpatienten berichteten, sie stürzten 216 vgl. Meuser & Marwit 2001. 217 Lindgren 1996; zit. nach Mayer 2001, 49 218 Olshansky 1962; zit. nach Mayer 2001, 49 219 vgl. Lindgren 1996; zit. nach Mayer 2001, 50 220 vgl. Kübler-Ross 1969; zit. nach Mayer 2001, 50 221 vgl. Mayer 2001 63 besonders in der ersten Zeit von einer Trauerphase in die nächste und zurück. „One day I was in denial and the following day I was back to shock“222. Die Trauerreaktionen des gesunden Gatten auf die graduellen, aber unerbittlichen Verluste durch die Demenz ebben ab und schwellen im Wechsel wieder an223. Charakteristika chronischen Schmerzes sind nach Lindgren224: • „A sensation of sorrow or sadness over time in a setting that has no predictable outcome. • The sorrow is repetitive and progressive in nature and ist likely to intensify following the primary feelings of disillusionment, loss or apprehension. • The sorrow is caused by internal or external circumstances and includes the individual’s feelings of disillusionment, loss or apprehension.” Einen anderen theoretischen Zugang zu Trauerreaktionen bieten Rudd, Viney & Preston225 an. Sie entwickelten ein konstruktivistisches Modell der Verlusterfahrung von pflegenden Ehegatten, das auf der „personal construct psychology“ von Kelly226 basiert. Danach versuchen die pflegenden Partner, ihren aktuellen Erfahrungen einen Sinn zu verleihen, indem sie sie auf dem Hintergrund ihrer vergangenen Erfahrungen interpretieren. Ihre bestehenden Konstruktsysteme versagen jedoch angesichts der „pre-death-losses“, welche durch die Demenz verursacht werden. Sie erleben dann einen Zustand der Dislokation, der vier unterschiedliche Ausprägungen haben kann: • Sie werden ängstlich, wenn die Erfahrungen hinter dem Erfahrungshoriziont ihrer Konstruktsysteme liegen227. • Sie erleben Trauer, wenn sie gewahr werden, dass Teile oder ihr gesamtes Konstruktsystem nicht mehr zutreffend sind228. • Sie werden wütend, wenn Versuche fehlschlagen, ihr Konstruktsystem aufrecht zu erhalten229. • Sie erleben Schuldgefühle, wenn sie erfahren, dass ihr eigenes Verhalten nicht zu ihren Konstrukten, wie man sich üblicherweise anderen gegenüber verhält, passt230. 222 Mayer 2001, 55 223 vgl. Lindgren, Connelly & Gaspar 1999 224 Lindgren 1996, zit. nach Mayer 2001, 50 225 vgl. Rudd, Viney & Preston 1999 226 vgl. Kelly 1955; zit. nach Rudd, Viney & Preston 1999, 220 227 vgl. Kelly 1955; zit. nach Rudd, Viney & Preston 1999, 222 228 vgl. McCoy 1977; zit. nach Rudd, Viney & Preston 1999, 222 229 vgl. Viney 1990 ; zit. bei Rudd, Viney & Preston 1999, 222 64 Mit den Konzepten der antizipierten Trauer und der partiellen Trauer, die in der Literatur häufig mit dem Erleben von Angehörigen Demenzkranker in Verbindung gebracht werden, setzt sich Garner231 in einer theoretischen Arbeit kritisch auseinander. Der Begriff der antizipierten Trauer wurde von Theut et al.232 in den Demenzdiskurs eingebracht. Freud233 schrieb von der Möglichkeit, dass unbewusstes Trauern auftreten und zu einem gewissen Grad den Tod einer nahestehenden Person vorwegnehmen könne, so dass der tatsächliche Verlust weniger schmerzhaft sei. In der Literatur über Terminalpflege wird vom „livingdying-Intervall“ gesprochen, einer Zeit mit wechselndem Befinden des Sterbenskranken, in welcher der Abbau progressiv voranschreitet und der Wunsch nach einem baldigen Ende auftreten kann234. Dies alles könne auf die Situation bei Demenz zutreffen. Garner argumentiert aber, das Phänomen der antizipierten Trauer sei dennoch nicht zutreffend, denn in der Demenzsituation erlebe der Angehörige nicht antizipierte, sondern aktuelle Verluste, beispielsweise Verluste der gemeinsamen Erinnerungen, des Kerns der Beziehung usw. Obwohl Elemente antizipierter Trauer bei Angehörigen Demenzkranker eine Rolle spielen, so liege das Schwergewicht doch auf aktueller Trauer über aktuelle Verluste. Auch fehle ein ganz entscheidendes Moment antizipierter Trauer im Falle der Demenz: Antizipierte Trauer gebe eine Zeitspanne, in welcher der Trauernde seine persönliche Beziehung mit dem Sterbenden ins Reine bringen könne235. Mit einem Demenzkranken sei dies aber nicht mehr möglich, weil ihm die kognitiven Fähigkeiten dazu fehlten. Da sei nicht länger ein Partner, mit dem man die Antizipation eines Verlustes verhandeln könne, deshalb sei auch eine Bereinigung der persönlichen Beziehung mit ihm nicht mehr möglich, oder sie werde zu einer Solitäraufgabe. Das von Berezin236 beschriebene Konzept der partiellen Trauer hält Garner nur für teilweise auf die Demenzsituation zutreffend. Es gebe zwar eine Zahl partieller Verluste im Falle der Demenz (die Hausfrau, den Gärtner, den Fahrer...), aber das Konzept sei unpassend, um den Verlust der Persönlichkeit des Kranken vor seinem physischen Tod zu beschreiben. 230 vgl. Kelly 1955 ; zit. nach Rudd, Viney & Preston 1999, 222 231 vgl. Garner 1997. In diesem Absatz orientiere ich mich eng an Garner, sofern nicht anders vermerkt. 232 vgl. Theut et al. 1991; zit. nach Garner 1997, 178 233 vgl. Freud 1899, 1916; zit. nach Garner 1997, 179 234 vgl. Pattison 1978; zit. nach Garner 1997, 179 235 vgl. Rando 1986; zit. nach Garner 1997, 180 236 vgl. Berezin 1970, 1972; zit. nach Garner 1997, 179 65 Abschließend einige empirische Befunde zu Trauerreaktionen von Ehegatten demenzkranker Menschen: Farran et al.237 beschrieben Trauerreaktionen der Angehörigen, die mit dem Verlust der Beziehung, der veränderten Kommunikation, dem Verlust der Freiheit des Pflegenden und dem Verzicht auf Zukunftspläne sowie zusammenhingen. dem Meuser Beobachten & Marwit des 238 Verfalls sahen bei des Patienten Ehegatten von Demenzpatienten einen linear mit dem Fortschreiten der Krankheit verlaufenden Trauerprozess. Die Trauer der gesunden Ehegatten war paar-fokussiert, nicht ich-bezogen und verwandelte sich in Frustration und Wut, wenn eine Heimaufnahme erfolgte. Für Mayer239 ist wesentlich, dass die Reaktion auf Verluste, welche die Ehegatten zeigen, mehr ist als das reine Gefühl der Trauer. Trauer war in ihrem Sample begleitet von Angst, Zukunftsangst, Ungeduld und Intoleranz, Wut, Verlust der Autonomie, Verlust der Interaktion mit dem Partner sowie Schlafproblemen und begrenzten Erholungs- und Kontaktmöglichkeiten. Die Probanden versuchten die Trauer mit unterschiedlichen Mitteln zu bewältigen: Verleugnung, Wut, Verzweiflung, Vermeidung, manche aber auch mit einer positiven Haltung. Rudd, Viney & Preston240 fanden Trauer und Schuldgefühle besonders bei Ehegatten, deren demenzkranker Partner institutionalisiert war, und insgesamt mehr Trauerreaktionen bei den pflegenden Ehefrauen. Die häuslich pflegenden Ehegatten drückten mehr Wut aus, besonders die Frauen. Lindgren, Connelly & Gaspar241 ermittelten Beziehungen zwischen Trauer und emotionaler Gesundheit. Trauer variierte in ihrem Sample nicht über die Spanne der Krankheit, mit Ausnahme der Komponente „Schuld“, die besonders stark in der Anfangsphase auftrat. Eine vorher gute Beziehung konnte Ehegatten offenbar ein Stück weit vor Trauer schützen. Zusammenhänge zwischen dem Verlusterleben der aktuellen Gefährtenschaft und Trauerreaktionen wurden merkwürdigerweise, und für die Autoren auch nicht erklärlich, nicht gefunden. Ob das Trauern über die fortschreitende Demenz vor dem Tod des Erkrankten den Tod, wenn er dann tatsächlich eintritt, für den überlebenden Gatten leichter macht, ist umstritten242. Ehegatten äußern manchmal den heimlichen, von starken Schuldgefühlen begleiteten Wunsch, der demente Gatte möge bald sterben; ein Wunsch, der verständlich wird als 237 vgl. Farran et al. 1991. Sie untersuchten ein gemischtes Sample aus Ehegatten und anderen Familienangehörigen Demenzkranker. 238 vgl. Meuser & Marwit 2001 239 vgl. Mayer 2001 240 vgl. Rudd, Viney & Preston 1999 241 242 vgl. Lindgren, Connelly & Gaspar 1999. Sie untersuchten ein gemischtes Sample aus Ehegaten und Kindern Demenzkranker. vgl. Überblick bei Meuser & Marwit 2001, 659; und Tower, Kasl & Moritz 1997 66 Ausdruck der Sehnsucht, den psychologisch erlebten Verlust endlich real betrauern zu dürfen243, mit den dazu gehörigen Trauer- und Übergangsritualen, in der für Trauernde vorgehaltenen Rolle und mit der dann zu erwartenden Unterstützung durch die Umwelt. (b) Der Situation einen Sinn verleihen Der kleine Forschungsbereich, der sich diesen Phänomenen gewidmet hat, grenzt sich von dem in der Angehörigenforschung vorherrschenden Stress- Coping-Paradigma ab und stellt die eigenen Ergebnisse oft in den Kontext positiver Auswirkungen der Pflegesituation244. Es geht diesen Studien darum zu verstehen, wie Angehörige ihrer Situation Bedeutung und Sinn verleihen. Dabei wird das Konzept „caregiver meaning“ unterschiedlich gehandhabt, was auf die Komplexität des Phänomens verweist245. Pearlin et al.246 beispielsweise unterscheiden in ihrem Modell der häuslichen Demenzpflege das Management der Situation, der Symptome und der Bedeutung. Bei Wrigth et al.247 werden problem-fokussiertes, emotionsfokussiertes und „appraisal-fokussiertes“ Coping differenziert. Guiliano et al. definieren Sinn als “positive beliefs one holds about one’s self and one’s caregiving experience such that some benefits or gainful outcomes are construed from it.” 248 Diese Autoren sehen drei Aspekte von Sinn: • „reordering priorities“: Veränderung der Prioritäten oder der Lebensphilosophie • „relationship fidelity“: sich nützlich oder gebraucht fühlen • „transcendent beliefs“: die Pflegeerfahrung mit höheren Überzeugungen verknüpfen.249 Noonan, Tennstedt & Rebelski250 unterscheiden eine kognitive und eine emotionale Dimension von Sinn. Die kognitive Dimension umfasst die Überzeugungen, die Angehörige über ihre Situation haben; die emotionale Dimension besteht aus der Befriedigung, den Belohnungen und Anerkennungen, die sie aus ihrer Situation beziehen. Darüber hinaus sehen diese Autoren zwei 243 vgl. Gwyther & Blazer 1990; zit. nach Gunzelmann et al. 1996, 23 244 vgl. Farran et al. 1991, 1997; Noonan, Tennstedt & Rebelsky 1996 245 vgl. Noonan, Tennstedt & Rebelsky 1996 246 vgl. Pearlin et al. 1990 247 vgl. Wrigth et al. 1991; zit. nach Noonan, Tennstedt & Rebelsky 1996, 314 248 Giuliano et al. 1990, 2; zit. bei Noonan, Tennstedt & Rebelsky 1996, 314 249 vgl. Giuliano et al. 1990; zit. bei Noonan, Tennstedt & Rebelsky 1996, 315 250 vgl. Noonan, Tennstedt & Rebelsky 1996. Sie untersuchten ein gemischtes Sample aus Ehegatten und anderen Familienangehörigen pflegebedürftiger Menschen. 67 unterschiedliche Dynamiken, nämlich einerseits „searching meaning“, d.h. Versuche, einer Situation Sinn zu verleihen; und andererseits „finding meaning“, d.h. eine Situation als sinnvoll zu erleben. Farran et al.251 fanden in einer Studie zwei Gruppen existenzieller Themen, mit denen Angehörige von Demenzpatienten sich beschäftigten: • Der Themenkomplex Macht und Machtlosigkeit: Hier ging es einerseits um die Auseinandersetzung mit Verlusten bezogen auf die eigenen Gefühle und bezogen auf den Kranken, andererseits um Gefühle der Machtlosigkeit in verschiedenen Dimensionen, z.B. hinsichtlich der Wahlfreiheit zur Pflege, Verstrickung in die Pflegesituation und Bewertung der Situation (z.B. nichts Positives mehr in ihr entdecken zu können). • Der Themenkomplex Werte, Wahl und Sinn: Die Befragten nutzten verschiedene Strategien, um der Pflegesituation einen Sinn zu verleihen. Hierzu gehörten persönliche Entscheidungen (eine positive Haltung einnehmen, sich auf die eigene seelische Kraft stützen, von Tag zu Tag leben u.a.); die Wertschätzung der positiven Aspekte der Beziehung (Familienbande betonen, Liebe und Zuneigung des Pflegebedürftigen erleben, eine gute Beziehung mit ihm aufrecht erhalten u.a.); die Suche nach einem provisorischen Sinn (z.B. Altruismus oder die Überzeugung, das alles einen Grund haben müsse) und einem ultimativen Sinn (z.B. Verknüpfung der Pflegeerfahrungen mit religiösen oder spirituellen Überzeugungen). Diese Autoren stützen sich theoretisch auf den Existenzialismus und speziell auf die Logotherapie von Viktor Frankl252. Frankl beschreibt die ungeheure Kraft von Menschen, Hoffnung zu schöpfen, und die Fähigkeit, inmitten schwierigster Lebensumstände zu transzendieren und einen Sinn zu finden. Er bezeichnet die Fähigkeit, über die aktuelle Situation hinauszuwachsen, als Willen zur Sinnfindung253 oder Sinnfindung durch Leiden. Er nimmt an, dass Menschen in einer konkreten Situation Sinn stiften, indem sie Entscheidungen treffen. Farran und Kollegen schließen sich dieser Vorstellung an und argumentieren, wenn pflegende Angehörige in ihrer Situation einen Sinn sehen, dann könne das aus der Perspektive der Stresstheorie als Neubewertung der Situation angesehen 251 vgl. Farran et al. 1991. Sie untersuchten ein gemischtes Sample aus Ehegatten und anderen Familienangehörigen Demenzkranker. 252 vgl. Übersicht bei Farran et al. 1997 253 Frankl 1963, 1967, 1978; zit. bei Farran et al. 1997, 254 68 werden. Aus der Perspektive des Existenzialismus handele es sich aber um eine „transcendence or transformation of mind and affect“254. Die Angehörigen gingen dabei einen Schritt weiter als eine Neubewertung vorzunehmen, sie transformierten die Situation und kreierten dabei etwas Neues255. So sei zu verstehen, dass Angehörige berichten, durch die Pflegeerfahrung persönlich gewachsen oder ein anderer Mensch geworden zu sein256. Bourgard257, deren theoretischer Bezugsrahmen ebenfalls der Existenzialismus ist, betont in ihren Ergebnissen die Bedeutung des Zeitfaktors hinsichtlich des persönlichen Wachstums der pflegenden Ehegatten. Im Vergleich zwischen drei Gruppen (Ehefrauen, die nicht pflegten; Ehefrauen, die erst kurz pflegten, d.h. weniger als 1 Jahr, und pflegeerfahrenen Ehefrauen, d.h. mehr als 2 Jahre Pflegeerfahrung) berichteten die Erfahrenen mehr Kontrolle über ihr Leben und weniger Gefühl der Machtlosigkeit. Verglichen mit Ehefrauen, die nicht pflegten, empfanden die Pflegeneulinge mehr Machtlosigkeit und mehr existenzielles Vakuum, ein geringeres Gefühl von Sinnhaftigkeit und Kontrolle über ihr Leben, sowie mehr Verlustgefühle, sowohl bezogen auf den Gatten als auch auf die eigene Person. Die erfahrenen pflegenden Ehefrauen unterschieden sich von den Nicht-Pflegenden durch mehr Gefühle der Machtlosigkeit und mehr Verlustgefühle bezogen auf den Gatten und die eigene Identität. Eine andere Forschergruppe um Levine258 bezieht sich theoretisch auf die existenzielle Psychotherapie von Irvin Yalom259, der vier existenzielle Hauptthemen beschreibt, nämlich Tod, Isolation, Freiheit und Sinn. Levine und Kollegen diskutieren diese Themen in einer deskriptiven Arbeit in Bezug auf die Ehegatten demenziell erkrankter Menschen: Tod Die Demenz sei wie ein schleichender Tod, die Persönlichkeit des Kranken sterbe jeden Tag ein Stück mehr. Die Ehegatten erlebten die Situation wie eine vorgezogene Verwitwung und seien in einen Trauerprozess involviert, der nicht wirklich stattfinden könne, weil der demente Partner noch lebt („dead personality 254 Reker 1991; zit. nach Farran et al. 1997, 254 255 vgl. Cartwright et al. 1994, 254; zit. nach Farran et al. 1997, 254 256 vgl. Farran et al. 1991 257 vgl. Bourgard 1995 258 vgl. Levine et al. 1984 259 vgl. Yalom 1980; zit. nach Levine et al. 1984, 216 69 lingers in a surviving body“260). Die existenzielle Erfahrung sehen die Autoren darin, dass der Tod eine unbewusste Furcht sei, die sich in vielerlei neurotischem Vermeidungsverhalten oder in tod-aufschiebenden Ritualen manifestiere. Der schleichende Tod des Dementen könne die unbewusste Furcht vor dem Tod bei dem gesunden Gatten heraufbeschwören. Abwehrmechanismen wie die Verleugnung der Krankheit können in diesem Kontext verstanden werden. Isolation In einer existenziellen Bedeutung zeigt der Begriff Isolation die „ultimative unbridgeable separateness of each individual – the experience of separateness from others in a deeply personal sense“261. Die Autoren ziehen den Vergleich zu einem Astronauten, der vom Mutterschiff getrennt wird, und allein im Weltall ist, „float alone in space forever“262. Der gesunde Ehepartner eines dementen Menschen mache ähnliche Erfahrungen. Er fühle sich getrennt vom Partner, es gebe keine Kommunikation, er finde keine Verbindung. Dies könne lebensgeschichtliche Erfahrungen von Trennung und Konflikte in diesem Zusammenhang wieder wach werden lassen, Erfahrungen der Trennung bei der Geburt etwa263, den Separation-Individuations-Konflikt in der frühen Kindheit264 oder Trennungserfahrungen, die der Ausformung der Identität inherent sind265. Freiheit In einem existenziellen Sinn beinhaltet Freiheit – so Levine et al. - auch einen Geschmack von Furcht: Wir sind frei, alles zu tun und alles zu unterlassen. Die Gesellschaft beschränke uns mit ihren Regeln nicht nur, sie gebe uns damit auch einen Rahmen und Sicherheit zum Leben. Obsessive Verpflichtung und Unterwerfung unter Rituale sei eine Abwehr gegen diese furchteinflößenden Aspekte der Freiheit. Auch die Ehe als gesellschaftliche Institution beschränke auf der einen Seite die Freiheit, andererseits biete sie eben durch diese Einschränkung Sicherheit. Im Falle der Krankheit eines Gatten stehe die Ehe wieder auf dem Prüfstand: zusammen bleiben, sich trennen? Die Überlegung, einen dementen Gatten zu verlassen, sei dabei keineswegs akademisch: Der Gesunde habe den Eindruck, der Kranke habe ihn bereits verlassen. Zudem werde der Kranke voraussichtlich vor dem Gesunden sterben. Das lade Letzteren 260 Levine et al. 1984, 217 261 Levine et al. 1984, 218 262 Levine et al. 1984, 218 263 vgl. Rankin o.A.; zit. nach Levine et al. 1984, 218 264 vgl. Mahler o.A. ; zit. nach Levine et al. 1984, 218 265 vgl. Erikson o.A.; zit. nach Levine et al. 1984, 218 70 ein, die Aussicht auf ein Leben allein zu betrachten, lange bevor der Kranke wirklich tot ist. Und drittens erlebe der Gesunde immer wieder, dass andere ihn aufforderten: „Denk an dich“, „Sorge auch für dich“ ... Das erinnere eine “Alzheimer–Witwe“ an die „terrifying new series of choices that await her“266. Yalom spricht von existenzieller Schuld und meint die Sünde der Unterlassung aus einer Furcht heraus. Für Demenz-Ehegatten bedeute das eine Falle. Sie seien immer schuldig: Entweder sie sorgen nicht genug für den kranken Gatten, oder sie sorgen nicht genug für sich selbst. Für Interventionen bedeute das: Hilfe geben, um eine „true choice“267 zu treffen, im Gegensatz zu einer Wahl aus Furcht. Sinn Aus existenzieller Perspektive ist Sinn „something we inject into an inherently meaningless universe“268. Für Ehegatten Demenzkranker sei es ein zentrales Thema, der Krankheit und der Pflege einen Sinn zu verleihen. Eine israelische Studie von Navon & Weinblatt269 illustriert, ohne sich auf ihn zu beziehen, die von Levine theoretisch diskutierten Phänomene mit empirischen Daten. Die Autorinnen interviewten pflegende Ehegatten in deren Wohnung und beobachteten während des Interviews gleichzeitig die Interaktionen zwischen Pflegenden und Pflegebedürftigen. Sie stießen auf drei Phänomene, die sie Puppenspiel, Ritualismus und Vertigo nannten. Puppenspiel Die Beobachtung: Alle gesunden Ehepartner redeten, handelten und fühlten sogar für die Erkrankten. „Suzy makes a habit of speaking to John about day-today things, even though he does not respond. She frequently turns to him with questions, and when no answer is given, she answers for him. When her gaze rests upon him she comments, ‘He’s tired’ or ‘He’s cold, we should close the window’. When she ‚feels’ he is cold, she covers him, and when she ‚feels’ he is hungry, she feeds him.”270 Die Autorinnen bezeichnen dieses Verhalten als Puppenspiel und sehen darin einen Versuch, dem todgeweihten Partner wieder Leben einzuhauchen und die Wahrnehmung des drohenden Todes zu 266 Levine et al. 1984, 220 267 Levine et al. 1984, 220 268 Levine et al. 221 269 270 vgl. Navon & Weinblatt 1996. Sie untersuchten ein Ehegattensample, das teilweise demente Patienten enthielt, aber auch Pflegebedürftige mit anderen Diagnosen. Navon & Weinblatt 1996, 333 71 verdrängen. Ein ähnliches Kommunikationsverhalten der Ehegatten wurde auch in der Studie von Jansson271 et al. beobachtet. Ritualismus Die Beobachtung: Alle Partner zeichneten sich dadurch aus, dass sie einen absolut geregelten Tagesablauf einhielten. Die Autorinnen bringen das mit Ritualismus in Verbindung. Ritualismus habe die Funktion, über die Zeit eine Konstanz zu erhalten. Wenn der heutige Tag genauso ist wie der gestrige, dann wird der morgige voraussichtlich auch so sein wie der heutige. Die Autorinnen sehen darin einen Versuch der gesunden Ehegatten, den drohenden Tod zu verdrängen und die Kontrolle über die Situation zu behalten. Vertigo Beobachtung: Alle Partner hatten ihren gesamten Tagesablauf, das gesamte „Leben“ auf den kranken Partner ausgerichtet. Sie nahmen sich kaum einmal eine freie Minute für sich selbst. Sie lehnten Hilfe ab. Navon & Weinblatt interpretieren dies dahingehend, dass diese Partner den Blick von Dritten nicht zulassen können, weil dann der Illusionscharakter ihres Arrangements offenbar würde. Sie können keine Zuschauer bei ihrem Puppenspiel gebrauchen. Meines Erachtens ist dies eine interessante Erklärung für die Abgeschiedenheit, in der Demenz-Paare oft leben. Hier wird soziale Isolation nicht simpel als Belastung betrachtet, der die Ehegatten aufgrund ihrer Einbindung in die Pflege ausgeliefert sind, sondern als psychodynamischer Mechanismus, den sie zu ihrem eigenen Schutz wählen, und der selbstverständlich auf einer anderen Ebene auch mit Belastungen einhergeht. 271 vgl. Jansson, Nordberg & Grafström 2001 72 3.2 3.2.1 Besonderheiten der ehelichen Pflegekonstellation Übernahme der Pflegerolle und Motivation zur Pflege „Decision? Decision? There was no decision. When it came time, I had no choice. It’s like falling in love, no one has to tell you. You know.” 272 In Befragungen unter verheirateten Paaren, wen sie sich für den Fall des Falles als Pflegeperson wünschen, rangieren die Ehegatten und die Kinder an erster Stelle273. Die Ehe gilt im späten Alter als Hauptquelle für soziale Unterstützung274. In der Rangliste der Personen, die familiäre Pflege für ältere Menschen leisten, stehen an erster Stelle die Ehegatten des Pflegebedürftigen; erst wenn sie erschöpft sind oder nicht zur Verfügung stehen, übernehmen Töchter an zweiter Stelle die Verantwortung275. Immer wieder wird in der Literatur darüber berichtet, wie selbstverständlich und fraglos Ehegatten die Pflege ihres Partners übernehmen276. Was bringt diese Selbstverständlichkeit hervor? Hinweise können soziologische und sozialpsychologische Theorien über das Helfen liefern, ein anderer Zugang zu Motiven der Pflege sind ethische Aspekte der Verpflichtung zwischen Eheleuten. Einen dritten Beitrag zu Erklärungen bietet die Betrachtung geschlechtsspezifisch geformter Zugänge zur häuslichen Pflege. 3.2.1.1 Erklärungsansätze aus Theorien des Helfens Soziale Normen motivieren die Bereitschaft zu helfen. Die Reziprozitätsnorm besagt, zurückgeben zu müssen, wenn man etwas empfangen hat. Die Gerechtigkeitsnorm betont das ausgewogene Verhältnis von Kosten und Nutzen, und die Norm der sozialen Verantwortung besagt, dass man anderen helfen soll, wenn sie krank, schwach oder sehr jung sind.277 Die Existenz solcher Normen erklärt aber noch nicht, warum Menschen sich im Einzelfall daran halten. Soziobiologische Theorien betrachten Helfen im Kontext der Evolution. Anderen 272 sagt eine befragte Ehefrau in der Studie von Orana 1990, 1248 273 vgl. Spitze & Ward 2000 274 vgl. Tower & Kasl 1996 275 vgl. Übersicht bei Seltzer & Li 2000, 165 276 vgl. z.B. Übersicht bei Hooker et al. 1992, 372; Orana 1990; 277 vgl. Brickman et al. 1982; zit. nach Schulz et al. 1990, 111 73 zu helfen sorge dafür, dass die Gattung und die eigenen Gene überleben können278. Bezogen auf familiale Pflege kann dies die Sorge für jüngere Personen erklären helfen, nicht jedoch für ältere demenziell erkrankte Ehegatten. In sozialpsychologischen Theorien des Helfens werden egoistische und altruistische Motive des Helfens unterschieden. Egoistische bzw. selbstdienliche Motive sind u.a. soziale Anerkennung, Wertschätzung des Hilfeempfängers, sozialen Normen genügen zu wollen, Bezahlung, Vermeidung von Tadel, sich selbst als guten Schuldgefühlen Menschen ansehen zu können, Vermeidung von 279 . Vor allem Gefühle der Verpflichtung spielen in familiären Pflegekonstellationen eine große Rolle. Verpflichtungsgefühle entstehen nach Greenberg280 bei einem Individuum, wenn es etwas von einem anderen empfangen hat. Sie wachsen in dem Maße, in dem das Individuum spürt, dass der andere aus altruistischen Gründen gegeben hat, oder auf Wunsch des Empfängers, oder der Gebende Kosten investiert hat. Verpflichtunsgefühle erzeugen Erregung und Diskomfort und anschließend ein Bemühen des sich verpflichtet Fühlenden, diese Regungen zu reduzieren281. Die „Exchange“Theorie von Duck282 besagt, wenn die Balance der Gerechtigkeit von Geben und Nehmen in einer Beziehung nicht stimmt, dann werden die Partner versuchen, zu einem neuen Gleichgewicht zu kommen. Wenn dies durch Taten nicht gelingt, werden sie es über eine neue Bewertung der Leistungen versuchen, und wenn dies für die gegenwärtige Situation nicht möglich ist, werden sie Bezug nehmen auf den Ausgleich vergangener Leistungen. Boszormenyi-Nagy & Spark283 haben die Bedeutung familiärer Verpflichtungen untermauert und den Begriff der Gerechtigkeit als einen Hauptbegriff der Familientheorie eingeführt. Sie haben die Existenz einer unsichtbaren familiären Kontoführung beschrieben, in der die vergangenen und gegenwärtigen Verbindlichkeiten der Familienmitglieder untereinander über lange Zeiträume, sogar generationsübergreifend erfasst sind. Theorien über altruistische Motive des Helfens gehen davon aus, dass Menschen helfen, weil sie fähig sind, die Perspektive des anderen einzunehmen, und dabei eine emotionale Reaktion, Empathie, entwickeln. Die Stärke der altruistischen 278 vgl. Übersicht bei Schulz et al. 1990, 111 279 vgl. Übersicht bei Schulz et al. 1990, 109 280 vgl. Greenberg 1980; zit. nach Schulz et al. 1990, 109 281 vgl. Greenberg 1980; zit. nach Schulz et al. 1990, 109 282 vgl. Duck 1983; zit. nach Lewis 1998, 223 283 vgl. Boszormenyi-Nagy & Spark 2001 74 Motivation zu helfen wird als direkte Funktion der Größe der empathischen Emotion angesehen.284 Bekannt ist aus sozialpsychologischen Arbeiten zum Helfen im öffentlichen Raum der sogenannte „bystander effect“: Je mehr Zeugen und Zuschauer bei einem Übergriff, Unfall oder einem ähnlichen Ereignis zugegen sind, desto geringer die Chance, dass einer von ihnen dem Opfer beispringt285. Bezogen auf die Ehegattenpflege könnte man vermuten, dass die Notwendigkeit zu helfen sehr groß ist, weil es in monogamen Ehen keine „bystander“ in derselben Position wie der Gatte gibt. 3.2.1.2 Erklärungsansätze aus der Ethik ehelicher Verpflichtung Was schulden Eheleute einander im Alter? Mit dieser Frage analysierte Jecker286 ethische Dimensionen der Pflege demenziell erkrankter Ehepartner. Die offensichtlichste Quelle ethischer Verpflichtungen in der Ehe ist das Versprechen, das sich Eheleute während der Trauungszeremonie geben. Sie erklären dabei öffentlich, einander zu achten und zu ehren, sowohl in guten als auch in bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis der Tod sie scheidet. Jecker argumentiert, es gehe bei einer ethischen Analyse nicht darum, dieses Gelöbnis wörtlich zu nehmen, sondern nach der tieferen Bedeutung und Signifikanz zu suchen, die es repräsentiert. Sie unterscheidet dabei drei Quellen, aus denen ethische Verpflichtungen unter Eheleuten hervorgehen: (a) Verpflichtung zu einer persönlichen Beziehung Die Ehe sei, anders als verwandtschaftliche Beziehungen, das Resultat einer freiwilligen Entscheidung. Das Eheversprechen bringe zum Ausdruck, dass es sich hierbei um eine Verpflichtung zu einer persönlichen Beziehung handelt, um die Verpflichtung, diese Art der Beziehung zu unterstützen und zu fördern. „…one holds a particular individual’s good as one’s own.“287 Persönliche Beziehungen involvierten intimen Austausch in vielfältiger Form, z.B. Teilen, Pläne, Hilfe, Geheimnisse, Problemgespräche, usw. Im Falle der Demenz eines Ehepartners stellt sich die Frage, was mit der ethischen Verpflichtung geschieht, wenn eine persönliche Beziehung mit dem demenzkranken Partner nicht mehr existiert? 284 vgl. Übersicht bei Batson & Coke 1983; zit. nach Schulz et al. 1990, 110 285 vgl. Latane & Darley 1970; zit. nach Schulz et al. 1990, 109 286 vgl. Jecker 1995 287 Jecker 1995, 159 75 Wenn der Kranke den Partner zum Beispiel nicht mehr erkennt, oder wenn mit ihm das Gros intimen Austauschs nicht mehr möglich ist? Kann man eine persönliche Beziehung zu jemandem haben, der einen nicht kennt? Jecker antwortet nein, und folgert, aus der Verpflichtung zu einer persönlichen Beziehung ließe sich eine Erklärung für ethische Verpflichtungen geben, solange eine persönliche Beziehung zwischen den Eheleuten existiere. Wenn dies nicht mehr der Fall sei, müssten andere Erklärungen greifen. Dies sei die Verpflichtung aus Liebe und Freundschaft. (b) Verpflichtung aus Liebe und Freundschaft Nach anfänglicher Verliebtheit entsteht Liebe, so Jecker, mit der Zeit zumindest teilweise aufgrund einer Vielzahl intimer Begegnungen, u.a. Besitz und Zeit teilen, in gemeinsame Projekte involviert sein, Kontakt mit dem Körper des anderen haben, Versprechen geben und Verpflichtungen eingehen288. Eine Ethik, die auf Liebe gründet, bestehe nicht aus Rechten und Pflichten, sondern sei am besten charakterisiert mit Tugenden wie Loyalität, Ehrlichkeit oder Vertrauen. In Liebesbeziehungen seien die Grenzen zwischen den Individuen zu einem gewissen Grad irrelevant. „…the lives of those who are close are not separable, to be close is no longer to have a life entirely your own to live entirely as you choose“289. Zu Ende gedacht, bedeutet dies einen spirituellen Charakter dieser Beziehung. In der christlichen Auffassung von Ehe werden Mann und Frau eine heilige Einheit, und ihre früheren, getrennten Leben hören auf zu existieren290. Es stellt sich die Frage, was mit ethischen Verpflichtungen geschieht, wenn die Liebe aufgehört hat zu existieren? Jecker schlussfolgert, dass in diesem Fall eine weitere Quelle ethischer Verpflichtungen greift, nämlich die Verpflichtung aufgrund der Bindung an eine spezielle Person. (c) Verpflichtung aufgrund der Bindung an eine spezielle Person Wenn weder eine persönliche Beziehung noch Liebe die ethische Verpflichtung untermauern, dann kann es die Bindung an eine bestimmte Person sein, was in der Ehe der Fall ist. Man kann nun anführen, dass auch diese Quelle ethischer Verpflichtung im Falle der Demenz labil wird, da die Krankheit auch die Persönlichkeit des Kranken nachhaltig verändert. Jecker hält dem entgegen, die 288 vgl. Graham & LaFollette 1989, zit. nach Jecker 1995, 162 289 Hardwig 1990, 6; zit. nach Jecker 1995, 163 290 vgl. Graham 1989; zit. nach Jecker 1995, 163 76 Persönlichkeit bestehe nicht nur aus intrinsischen Qualitäten, sondern auch aus sozialen (man ist jemandes Ehefrau, Nachbar usw.). Es gelinge Ehegatten nur dann, die Pflege des dementen Partners mit Dankbarkeit und Würde auszuüben, wenn sie ihr Bedeutung verleihen im Licht der vergangenen Beziehung. Das könne überdauernde Liebe sein oder die Referenz des Pflegenden an die gemeinsame Geschichte und Beziehung. Nach Auffassung von Jecker endet die ethische Verpflichtung zur Pflege eines Ehegatten dann, wenn der Selbstrespekt und die Würde des Pflegenden in Gefahr geraten. Dies geschehe, wenn Pflege ausbeuterisch werde, was für Jecker der Fall ist, wenn die Bedürfnisse des Pflegenden ständig und nachhaltig durch die Bedürfnisse des Pflegebedürftigen verdrängt werden. Zum Schluss noch ein empirischer Befund zum Thema der Ethik ehelicher Verpflichtung: Wright291 verglich die Verpflichtungsgefühle von gesunden alten Paaren und Paaren, die mit Demenz konfrontiert waren. Sie unterschied zwei unterschiedliche Motivationen, für den Partner da zu sein: zum einen die Verpflichtung, weil man den Partner als einzigartige Person schätzt, und zum anderen, weil man die Ehe als Institution ansieht und sich aus diesem Grunde dem Partner verpflichtet fühlt. Den Paaren wurden diese beiden Varianten bei den Fragen, warum sie den Partner geheiratet hatten und warum sie verheiratet geblieben sind, vorgelegt. Der Großteil der Befragten aus beiden Gruppen gab an, geheiratet zu haben, weil man den Partner als Person geschätzt habe. Dieses Motiv war bei den gesunden Paaren im Laufe der Ehe sogar noch angestiegen. Auf die Frage, warum man verheiratet geblieben sei, gaben mehr gesunde Paare als in der ersten Frage die Wertschätzung der Person des Partners als Grund an. Bei den von Demenz betroffenen Paaren blieben die Werte konstant bei beiden Fragen, ein Ergebnis, das dahin interpretiert werden muss, dass sich sehr viele Paare trotz der Demenz weiterhin der Person und nicht der Institution Ehe verpflichtet fühlten. 291 vgl. Wright 1993 77 3.2.1.3 Erklärungsansätze aus der Geschlechterperspektive Bei pflegenden Angehörigen aus der Kindergeneration ist die ungleiche Verteilung der Geschlechter evident. Es gibt vor dem Hintergrund der Zahlen292 eine breite Forschungstätigkeit und Diskussion293 über die unterschiedlichen gesellschaftlichen Erwartungen und daraus folgenden Entscheidungsdilemmata, mit denen Töchter und Schwiegertöchter auf der einen Seite und Söhne bzw. Schwiegersöhne auf der anderen Seite im Falle der Pflegebedürftigkeit eines Elternteils konfrontiert sind. Bei Ehegatten liegt die Sache anders. Bei ihnen sind die Geschlechtsunterschiede in der Pflegebeteiligung weniger drastisch: In der Altersgruppe 65-79 Jahre wurden 39% der Pflegebedürftigen von Ehefrauen und 22% von Ehemännern zu Hause gepflegt, bei den Älteren (80 aufwärts) waren es 12% bzw. 5%294. Eine vergleichbare Debatte über geschlechtsspezifisch geformte Zugänge zur Pflege, wie sie bei pflegenden Kindern geführt wird, findet sich in der Literatur über pflegende Ehegatten nicht. Es wird eher bei beiden Geschlechtern von einer großen Selbstverständlichkeit ausgegangen, die Pflege zu übernehmen295. Gelegentlich gibt es Hinweise, dass auf Ehefrauen ein höherer Erwartungsdruck lastet296, und dass Ehemänner eher Chancen haben, eine schwierige häusliche Betreuung aufzukündigen, ohne Sanktionen fürchten zu müssen297. Aus einer frühen qualitativen Studie gibt es Hinweise darauf, dass Männer ihre Motivation zur Pflege eher mit Begriffen der Liebe, Frauen eher mit Begriffen der Pflicht beschreiben298. In einer vergleichenden Studie zwischen Ehefrauen, Ehemännern und Töchtern von Demenzkranken bewerteten die Ehemänner die frühere und die aktuelle Beziehung zum Erkrankten am positivsten299. Aus diesen beiden Befunden lässt sich der Hinweis ableiten, dass diejenigen Ehemänner, die pflegen, wahrscheinlich solche sind, die besonders stark lieben, während 292 vgl. Schneekloth et al. 1996. Im Jahr 1994 wurden in Deutschland in Privathaushalten Pflegebedürftige im Alter von 65-79 Jahren zu 30% von Töchtern oder Schwiegertöchtern, nur zu 2% von Söhnen gepflegt. Bei älteren Pflegebedürftigen (80 aufwärts) waren es sogar 61% Töchter und Schwiegertöchter im Verhältnis zu 5% Söhnen. 293 vgl. z.B. Bracker et al. 1988; Backes 1994 294 vgl. Schneekloth et al. 1996 295 vgl. z.B. Übersicht bei Hooker et al. 1992, 372; Orana 1990 296 vgl. z.B. Faust-Jacoby & Kling 1991 297 vgl. z.B. Montgomery & Koslowski 1994, die für pflegebedürftige Frauen, die von ihren Ehemännern gepflegt wurden, ein höheres Risiko der Heimunterbringung fanden als für pflegebedürftige Ehemänner. 298 vgl. Ungerson 1987 299 vgl. Beeson et al. 2000 78 diejenigen, die ihre Frau nicht (mehr) so sehr lieben, nicht pflegen. Bei den Ehefrauen, die im Vergleich zu Ehemännern häufiger pflegen, scheinen demgegenüber auch diejenigen sich zur Pflege verpflichtet zu fühlen, deren Ehebeziehung weniger durch Liebe geprägt ist. Das bedeutet ein Bias in den Samples, z.B. in Bezug auf die Interpretation von Ergebnissen zur unterschiedlichen Belastung von pflegenden Ehefrauen und Ehemännern (vgl. Kapitel 3.2.3 und 4.3.2.2) 3.2.2 Pflegealltag In diesem Kapitel werden Untersuchungen rezipiert, die sich um ein Verstehen der Alltagsperspektive der häuslichen Pflege bemüht haben. Dies ist bezogen auf die Ehegatten dementer Menschen ein sehr kleiner Forschungsbereich, der überwiegend mit qualitativen Methoden arbeitet. Es geht darum zu beschreiben, wie Ehegatten ihre Pflegerolle wahrnehmen, welche Aufgaben den gesunden Ehegatten mit der Pflege des Dementen zuwachsen, und welche Zielsetzungen sie bei der Betreuung verfolgen. 3.2.2.1 Pflegerolle und Aufgaben In diesem Kapitel stelle ich zunächst Befunde dar, wie die Ehegatten ihre neue Rolle wahrnehmen. Im zweiten Teil beschreibe ich, welche Typen von Aufgaben mit der Betreuung des Demenzkranken für sie verbunden sind. O’Donnell300 entdeckte in ihrer qualitativen Studie neun Themen, mit denen die Ehegatten Demenzkranker ihre alltäglichen Pflegeerfahrungen beschrieben: Ein allgemeines Gefühl der Unsicherheit: eine total bizarre Situation („There are no guidelines“, „You can’t predict anything“). Es entsteht ein Klima der Treue zur Pflege: Trotz schwerster Belastungen halten die Ehegatten durch. Je mehr sich der Zustand der erkrankten Person verschlechtert, desto mehr Stärke gewinnt der Angehörige. Deutlich wurde in den Berichten der Ehegatten eine ständige Aufmerksamkeit auf die Veränderungen des Kranken und das Bemühen, ihn möglichst gesund und sicher zu erhalten. Bei Hospitalisation entwickelten die Ehegatten eine Anwaltsrolle. Sorgen um die Zukunft des Kranken tauchten auf, 300 vgl. O’Donnell 1998, 2000 79 wenn die eigene Gesundheit sich verschlechterte. Finanzielle Sorgen tauchten auf, wenn der Gesunde Entscheidungen für das „couple as one“ treffen musste. Humor spielte eine Rolle. Die Krankheit erscheint als Schicksal. Purcell301 stieß in ihrem Ehegattensample auf folgende der Pflegeerfahrung zugrundeliegende Themen: Management der Umgebung, Disengagement, Lernen zu bewältigen, Wechsel der Verantwortlichkeiten, Reaktion auf Verwirrtheit des Ehegatten, Gefühl der Hilflosigkeit und Burning out. Die beiden letztgenannten Themen waren am seltensten in diesem Sample. Am stärksten betroffen waren die gesunden Ehegatten durch die Auseinandersetzung mit der Verwirrtheit des Gatten und durch die Veränderungen der Verantwortlichkeiten innerhalb ihrer Ehebeziehung. Hepburn und Kollegen302 untersuchten in einer qualitativ-quantitativen Längsschnittstudie ein größeres Sample pflegender Ehegatten Demenzkranker (132 Personen) und identifizierten vier verschiedene Framing-Kategorien, mit denen die Ehegatten ihre Pflegerolle einordneten: • Die Kategorie „relational“: Die Ehegatten dieser Gruppe beschrieben die Pflegesituation im Kontext ihrer Ehebeziehung (vergangen, gegenwärtig, zukünftig). Sie integrierten die Pflegerolle in die Ehegattenrolle. Sie sahen die Pflege nicht als separate Aufgabe, sondern als Teil ihrer gesamten Lebensstruktur. In ihren Narrativen dominierte das Personalpronomen „wir“. • Die Kategorie „instrumental“: Diese Ehegatten bezogen sich nicht auf die Ehebeziehung, sondern betonten die zusätzlichen Aufgaben und Belastungen, die durch die Demenz des Partners auf sie zugekommen waren. Der Fokus der Narrative war ich-zentriert, die persönlichen Fürwörter „ich“ bzw. „sie/er“ dominierten. • Die Kategorie „reaktiv“: Diese Ehegatten bezogen sich auf die Beziehung, wobei sie die Veränderungen der Beziehung fokussierten. Sie beschrieben häufig eigene Wut und Enttäuschung wegen des Verlustes der gewohnten Beziehung. In ihren Berichten wechselten die persönlichen Fürwörter „wir“ und „ich“ bzw. „sie/er“ ab. • Die Kategorie „Rollenzuwachs“: Diese Gatten, eine kleine Gruppe, beschrieben die Pflege als Gewinn von zusätzlichen oder neuen Rollen und Fähigkeiten. Im Gegensatz zu der Kategorie „instrumental“ drückten sie 301 vgl. Purcell 2000 302 vgl. Hepburn et al. 2002 80 nicht nur Belastung, sondern auch persönlichen Gewinn, zum Beispiel Zufriedenheit und Stolz aus. Ihr syntaktischer Fokus war das „ich“. Die Gruppen unterschieden sich in den Outcomes: Die Relationalen waren am besten dran, zeigten weniger Distress und positivere Coping-Statements. Die Instrumentalen erschienen ichbezogener, zeigten wenig Sympathie zum Gatten und mehr Distress und Frustration. Die Reaktiven erschienen ambivalenter als instrumentelle und relationale Gatten. Sie drückten weiter eine bestehende Beziehung zum Gatten aus, gleichzeitig ein Gefühl des Verlustes der Beziehung. Die Gatten der Kategorie „Rollenzuwachs“ waren die traurigsten unter allen, drückten aber auch Gefühle der Zufriedenheit über die eigene Entwicklung aus. Wie die Reaktiven sprachen sie viel über den verlorenen Gatten, erwähnten aber auch weiterhin gemeinsame Aktivitäten. Aufgaben der häuslichen Pflege können allgemein unterteilt werden in physische Arbeit, emotionale Arbeit und Verantwortung für das Management und die Organisation der Pflege303. Jansson, Nordberg & Grafström304 beobachteten die Interaktionen der gesunden und dementen Ehepartner zu Hause und berichten vier allgemeine Aufgaben der Pflege, die neun Kategorien enthalten: • Aktivitäten des täglichen Lebens: (1) Hygiene, An- und Auskleiden; (2) Mahlzeiten, Medizin • Kommunikation: (3) Kommunikation; und Beobachtung (4) Empathie, Reflexivität; (5) Nähe • Beaufsichtigung des Kranken: (6) Aufsicht; (7) Erinnerungshilfen • Aktivität, Stimulation: (8) körperliche Aktivierung; (9) geistige Stimulation Die Befunde demonstrieren die Komplexität und Multidimensionalität der Pflegesituation. Die Aufgaben rangieren von Beobachtung des Kranken bis zu anstrengender körperlicher Pflege. Die Ehegatten zeigten sich besorgt, Schaden von dem Kranken abzuhalten, seine individuelle Integrität zu schützen, sein Selbstbild und seine Identität zu erhalten. Sie versuchten, so weit wie möglich ein „normales“ Leben weiter zu führen. Viele waren hoch engagiert, den Kranken zu produktiver Beschäftigung anzuleiten. 303 vgl. Qureshi & Walker 1989 304 vgl. Jansson, Nordberg & Grafström 2001 81 Die Kommunikation stellt einen zentralen Aufgabenbereich des alltäglichen Umgangs mit dem Kranken dar. 90-100% der Demenzkranken zeigen Störungen der Sprache und der Kommunikation305. Muster der Störungen werden analog der klinischen Demenzstadien beschrieben306. In der ersten Phase der Demenz vom Alzheimer-Typ zeigen die Patienten subtile Wortfindungsstörungen und Störungen des Verständnisses abstrakter Sprache (z.B. von Metaphern), in der mittleren Phase benutzen sie weniger Substantive und Verben, haben LeseVerstehens-Probleme und signifikante Probleme des Verstehens in alltäglichen Kommunikationssituationen. In der späten Phase verschwindet die Sprache entweder vollständig, oder die Patienten produzieren bedeutungslose Worte, das Sprachverständnis ist eingeschränkt. Trotz dieser Schwierigkeiten fand man in Untersuchungen Hinweise, dass die Kommunikation mit Demenzkranken generell bedeutungsvoll und produktiv sein kann307. In einer Beobachtungsstudie kommunikativer Alltagssituationen zwischen dementen Männern und ihren Ehefrauen beobachteten Gallagher-Thompson et al.308 beispielsweise, dass die gesunden Paare der Kontrollgruppe zwar wesentlich interaktiver waren und mehr Ideen austauschten, doch blieben einige Aspekte der Kommunikation bei den Demenz-Paaren bemerkenswert intakt. Die kranken Männer konnten die Form der Unterhaltung gut aufrecht erhalten. Sie unterbrachen selten, sprachen auch nicht neben dem Thema oder zogen sich nicht häufiger von der Konversation zurück als die nicht-dementen Ehemänner der Kontrollgruppe. Aber sie brauchten weniger Worte und schienen viel von ihrer Fähigkeit verloren zu haben, Dinge zu planen und langfristige Lösungen für Aufgaben vorzuschlagen. Sie hatten eine gute Fähigkeit, Humor zu verstehen und zu benutzen, und sie hatten eine gute Fähigkeit im Bereich des Rapports, d.h. in ihrer Fähigkeit, eng an die Rede der Gattin anzuknüpfen oder Rapport herzustellen über Lächeln. Die pflegenden Ehefrauen waren im Vergleich zu den Ehefrauen der gesunden Kontrollgruppe weniger unterstützend hinsichtlich der Ideen ihrer Ehemänner. Sie investierten mehr in Problemlösung und Erklärung von Themen. 305 vgl. Kempler 1991; zit. nach Orange et al. 1998, 121 306 vgl. Übersicht bei Orange et al. 1998, 121 307 vgl. Übersicht bei Orange et al. 1998, 135 308 vgl. Gallagher-Thompson et al. 2001 82 Roberto et al.309 beobachteten ebenfalls Alltagskommunikation zwischen dementen Patienten und ihren Ehegatten und fanden drei verschiedene Muster : (1) Parallele Kommunikation: Der Gesunde redet ständig auf den Kranken ein. Der antwortet anfänglich angemessen, allmählich gerät das Gespräch aber in zwei parallele Verläufe, ist nicht mehr interaktiv. Diese Ehegatten berichteten das höchste Ausmaß an Stress und Belastung. (2) Ständiges Fragen: Der gesunde Partner richtet permanent Fragen an den Kranken, ohne auf die Antwort zu warten. (3) Repetitive Kommunikation: Der gesunde Partner redet mehr als der Kranke, ist direktiv und wiederholt vieles. Dieser Stil zeitigte die wenigstens Verhaltensprobleme auf Seiten des Kranken und war am wenigsten mit Stress und Belastung auf Seiten des gesunden Gatten verbunden. Kemper et al. beobachteten die Bemühungen der gesunden Ehegatten, ihren Kommunikationsstil an die eingeschränkten Möglichkeiten des Kranken anzupassen. Sie variierten die Komplexität und den Gehalt ihrer Aussagen, reduzierten die syntaktische und semantische Komplexität und bezogen sich verstärkt auf Hauptaussagen310. In einer zweiten Studie wurden die Paare aufgefordert, aus ihrem Leben zu erzählen. Dabei unterstützten die gesunden Gatten die Kranken, indem sie bei Gedächtnislücken nicht einfach die fehlenden Informationen ersetzten, sondern dem Kranken Schlüsselhinweise gaben, damit er selbst die Erinnerungen wieder auffinden konnte. Die Patienten konnten auf diese Weise wesentlich länger, elaborierter und mit weniger Wortfindungsstörungen erzählen, als sie dies in einer Solo-Situation gezeigt hatten311. Eine ganz andere Aufgabe, die auf die pflegenden Ehegatten zukommen kann, greift eine Studie von Mezey et al.312 auf. Sie untersuchten die antizipierte Entscheidung von Ehegatten hinsichtlich lebensverlängernder Behandlung bei einer angenommenen zusätzlichen kritischen körperlichen Krankheit des Dementen. Etwa zu gleichen Teilen sprachen sich die Befragten bei einer angenommenen kritischen Krankheit ihres dementen Gatten für und gegen den Einsatz von Reanimation, künstliche Beatmung oder PEG aus. Signifikant eher bereit, auf Behandlung zu verzichten, waren die Ehegatten im Fall eines irreversiblen Komas. Sie waren hier auch sicherer, dass ihre Entscheidung richtig 309 vgl. Roberto et al. 1998 310 vgl. Kemper et al. 1994 311 vgl. Kemper et al. 1995 312 vgl. Mezey et al. 1996 83 sei. Auch die Ehegatten fortgeschritten dementer Patienten waren eher bereit, auf Behandlung zu verzichten. Es gab insgesamt eine Korrelation zwischen der Sicherheit, eine richtige Entscheidung getroffen zu haben, und dem Trost, den der Befragte empfand. Diejenigen, die einer Behandlung zustimmten, empfanden mehr Trost, als diejenigen, die auf Behandlung verzichten wollten. 3.2.2.2 Zielsetzungen bei der Betreuung des erkrankten Gatten Für Corbin & Strauss313 involviert eine chronische Erkrankung die Pflegenden in eine Spirale von Arbeit, die während des Krankheitsverlaufs zu tun ist. Sie unterscheiden dabei drei Arten von Arbeiten: Krankheitsarbeit (Prozesse und Aufgaben, um direkt die Krankheit zu managen), biographische Arbeit (Anstrengungen, die individuelle und Familienidentität zu definieren und zu erhalten) und Alltagsarbeit (Routinen der täglichen Aufgaben). Diese drei Aufgabenbereiche stehen in Spannung zueinander, weil der Pflegende nicht genug Ressourcen hat, um alle gleichermaßen auszufüllen. Deshalb wechselt der Fokus je nach Situation, und die Pflegenden treffen Entscheidungen hinsichtlich der Zielsetzungen ihrer Arbeit. Bowers314 unterscheidet Pflegeaufgaben fünf nach Typen: der Zielsetzung antizipierende, bzw. präventive, Bedeutung von supervisorische, instrumentelle und protektive Pflege. Bowers nimmt an, dass Spannungen und Belastungen bei der Pflege nicht so sehr wegen der Aufgabenperformance auftreten, sondern resultieren, wenn der Pflegende das Ziel, das er mit der Pflege erreichen wollte, nicht erreicht. Corcoran315 überprüfte dieses Modell an einem Demenz-Ehegattensample und fand es weitgehend bestätigt. Demnach unterscheiden Ehegatten folgende Zielsetzungen bei ihrer Pflege: Antizipierende Pflege Gemeint sind Verhaltensweisen oder Entscheidungen, die auf antizipierten, möglichen Bedürfnissen des Erkrankten beruhen316. Die pflegenden Kinder in Bowers’ Studie taten sich schwer mit dieser Art von Pflege für die Eltern, sie glaubten zu sehr einzugreifen. Demgegenüber berichteten die Ehegatten in 313 vgl. Corbin & Strauss 1988; zit. nach Corcoran 1993b, 38 314 vgl. Bowers 1987; zit. nach Corcoran 1993b, 39 315 vgl. Corcoran 1993b 316 Bowers 1987, 25; zit. nach Corcoran 1993b, 41 84 Corcorans Studie besonders gern und oft über diese Pflege. Stolz war spürbar, sie bezogen sich dabei auf die vielen gemeinsamen Jahre, die dazu geführt hatten, dass sie den Partner und seine Bedürfnisse gut kannten. Präventive Pflege Dies bedeutet aktives Beobachten des Patienten und der Umgebung, um körperliche Verletzung oder mentale Verschlechterung zu vermeiden. Dazu zählten mentale Übungen (nur wenige Pflegende nutzten dies), Orientierung des Patienten in der Realität, gute Ernährung, Arztbesuche und ähnliches. Supervisorische Pflege Gemeint ist hoch aktives, direktes Beobachten des Patienten während seiner Aktivitäten, um bei Schwierigkeiten eingreifen zu können, oft in Kombination mit instrumenteller, antizipierender oder protektiver Pflege. Dazu gehören auch vorbeugende Maßnahmen wie Abschließen von Räumen, Restriktion der Freiheit des Patienten, Verstecken von Dingen. Instrumentelle Pflege Dies meint das, was traditionell in den Sinn kommt, wenn man an häusliche Pflege denkt: Anziehen, Waschen, Baden, Mahlzeitenvorbereitung, Haushalt usw. Strategien der Ehegatten: eindeutige Anweisungen geben (von Kommandos bis zu freundlicher Überredung), seltener: Modell sein. Protektive Pflege Schützen vor Verletzungen des Selbstbewusstseins oder des Wohlbefindens oder der Würde. Hier gab es fünf Typen von Strategien: • produktive Arbeit anbieten • Ablenkung • Verhinderung von Misserfolgen durch Modifikation von Aufgaben, Strukturierung von Aufgaben, teilweise Übernahme von Aufgaben... • strategische Zeitnutzung, vor allem dadurch, dass Zeit gestreckt wird, um den Patienten beschäftigt zu halten und von Unwohlsein, Langeweile, Problemverhalten abzuhalten • Aufrechterhalten von Kontakten zur Familie und zu Freunden. 85 Zusammenfassend: Die Ehegatten des von Corcoran untersuchten Samples trafen täglich Entscheidungen zwischen den unterschiedlichen Zielrichtungen der Pflege. Sie nutzen auch Strategien, die gleichzeitig mehreren Zielen dienten. Aus einem anderen Blickwinkel beschäftigten sich die Autorinnen Perry & O’Connor317 mit dem, was Bowers weiter oben als protektive Pflege, d.h. Pflege, welche die Persönlichkeit des Dementen zu schützen sucht, bezeichnet hatte. In der abendländischen Philosophie ist Persönlichkeit mit Bedingungen verbunden: Bewusstsein, inklusive der Bewusstheit seiner selbst, Rationalität, Intentionalität (Macht zu Handeln), Moralität und der Fähigkeit zur Kommunikation318. Wendet man diese Bedingungen an, wird die Persönlichkeit eines demenzkranken Menschen in Frage gestellt. Perry & O’Connor argumentieren mit Kitwood von einem sozial-konstruktivistischen Standpunkt aus, das Personsein werde dem Menschen von anderen Menschen zuerkannt319. Personsein ist für Kitwood assoziiert mit Selbstwertschätzung, dem Ort eines Individuums in der Gruppe, der Performanz gegebener Rollen und mit der Integrität, Kontinuität und Stabilität eines „sense of self“320. Kitwood definiert Personsein als „standing or status that is bestowed upon one human being by others, in the context of relationship and social being. It implies recognition, respect and trust”321. Demenz erscheint aus dieser Sicht in Addition zu den physiologischen Bedingungen der Krankheit auch als eine interaktive, interpersonale Erfahrung. Perry & O’Connor suchten in ihrer qualitativen Studie an einem DemenzEhegattensample nach diesem interaktiven Aspekt der Zuerkennung des Personseins. Die Autorinnen berichten, es sei den Gesprächspartnern wichtig gewesen, den Erkrankten gegenüber den Interviewern als „Ehepartner“ zu positionieren, und sogar nicht einfach als Ehepartner, sondern als „mein Ehepartner“. Schon allein dies begann – so die Autorinnen – die Persönlichkeit des Kranken zu etablieren, weil so die Person als ein Individuum mit persönlicher Geschichte deutlich gemacht wurde. Die Autorinnen fanden vier Strategien, mit denen die gesunden Ehegatten versuchten, die Persönlichkeit des erkrankten Partners zu bewahren: 317 vgl. Perry & O’Connor 2002 318 vgl. Quinton 1973; zit. nach Kitwood 2000, 27 319 vgl. Kitwood 2000, 29f. 320 vgl. Kitwood 1997; zit. nach Perry & O’Connor 2002, 55 321 Kitwood 1997, 8; zit. nach Perry & O’Connor 2002, 55 86 Kontinuität erhalten • Die gesunden Gatten entwarfen ein kontextbezogenes Bild ihres Ehepartners. Sie verwandten viel Zeit dafür, „telling the ways of his or her partner“322, beschrieben, wie er oder sie früher gewesen waren. Es schien wichtig, dass zunächst die Stärken und Fähigkeiten des Kranken und das gemeinsame Leben wahrgenommen wurde, bevor man über Probleme sprechen wollte. • Sie interpretierten Verhaltensweisen des Kranken auf dem Hintergrund des vergangenen Lebens und der bekannten Gewohnheiten und persönlichen Stile. Sie betonten, dass das Verhalten des Kranken verständlich sei auf diesem Hintergrund. • Sie zeigten auf, wie die Demenz den Partner verändert hatte. Das erlaubt, das aktuelle Verhalten als etwas dem Partner Wesensfremdes zu interpretieren. Dadurch wird es möglich, zwischen der Krankheit und der Person zu unterscheiden. Kompetenzen unterstützen Dazu sind zwei Schritte erforderlich, die von den gesunden Partnern gemacht wurden: erstens erhaltene Fähigkeiten erkennen und zweitens Situationen schaffen, in denen sie zum Einsatz kommen können. Dazu gehören zum Beispiel, Erwartungen an den Kranken herabzuschrauben, Aufgaben zu geben, um Erfolge zu ermöglichen, nicht selbst Aufgaben zu erledigen, die der Kranke noch kann. Vor Inkompetenz schützen Dazu gehört zu identifizieren, was der Kranke nicht länger kann. Die gesunden Ehegatten bedienten sich verschiedener Strategien: • Probleme im Gespräch mit dem Kranken relativieren, beschwichtigen. • Die Umgebung des Kranken so manipulieren, dass Versagenserfahrungen unwahrscheinlich werden. • Inkompetenz verdecken, übernimmt, ohne indem dass der es Gesunde der heimlich Kranke Aufgaben bemerkt. Vor allem Ehefrauen berichteten über den Stress, ihre Männer vor 322 Perry & O’Connor 2002, 57 87 Inkompetenz zu schützen (Autofahren, Rechnungen bezahlen...), „a constant balancing act“, „walking on eggshells“.323 • Den Partner von Situationen und Personen fernhalten, wo das Risiko besteht, dass er Herabsetzung erfährt. Begegnungen strategisch vorbereiten • Eine gewisse Fassade der Normalität bei öffentlichen Auftritten des Kranken aufrecht erhalten. Z.B. war es vielen Männern wichtig, dass ihre kranken Ehefrauen ordentlich gekleidet und ggf. geschminkt wie früher in der Öffentlichkeit auftraten. • Für Verständnis in der Umgebung sorgen: Verhaltensweisen des Kranken erklären usw. Zusammenfassend halten die Autorinnen fest: Mit diesen Bemühungen der Ehegatten, die Persönlichkeit des Kranken zu bewahren, wird der Demenzkranke als Person sichtbar. Auch fordern die Resultate die Vorstellung heraus, die Pflege sei ein „one-way-process“. Den Kranken als Ehegatten und nicht einfach als Pflegeempfänger zu positionieren, hat Vorzüge auch für den pflegenden Gatten. Die Zurückhaltung von Ehefrauen, formelle Dienste in Anspruch zu nehmen, wird erklärlich: Erstens sind sie ein Risiko, dem Kranken Inkompetenz vorzuführen, und zweitens können sie den Ehegattenstatus des Kranken gefährden. 3.2.3 Geschlechtsspezifische Aspekte der Ehegattenpflege Forschung über die geschlechtsspezifische Praxis der häuslichen Pflege interessiert sich für die soziale Kategorie Geschlecht (gender), nicht für die biologische (sex). Gender wird aufgefasst als “behaviour which is socially prescribed according to biological sex”324. Viele der Arbeiten stehen in der Tradition der Frauenforschung, der es um die Erarbeitung einer die Frauenfrage umfassenden Gesellschaftstheorie geht. Das Interesse in diesem Forschungsgebiet geht im Wesentlichen in drei Richtungen: (a) Wie geraten Frauen und Männer in die informelle Pflegerolle hinein? (b) Unterscheiden sie sich in der Art und Weise, wie sie die Rolle ausfüllen, und gibt es Differenzen in 323 Perry & O’Connor 2002, 59 324 Davidson, Arber & Ginn 2000, 538 88 den Bewältigungsstrategien? (c) Resultieren für Frauen und Männer jeweils andere Konsequenzen aus der Pflege, vor allem unterscheiden sich ihre Belastungen nach Art und Ausmaß?325 Die beiden ersten Fragen werden in diesem Kapitel, die dritte Frage im Kapitel 4.3.2.2 behandelt. 3.2.3.1 Geschlechtsrollenunterschiede im Alter Zur Frage der Bedeutung von Geschlechtsrollen im Alter gibt es zwei entgegengesetzte Positionen. Verschiedene Autoren nehmen an, Geschlechtsrollenunterschiede ließen im Alter nach326. Sie stützen sich auf die Theorie der sozialen Rollen und argumentieren, in der nachelterlichen und nachberuflichen Phase verlören Geschlechtsrollenmerkmale, welche in Hinblick auf Aufgaben in Beruf und Reproduktion sozialisiert worden sind, an Bedeutung. Aus der Sicht dieser Position muss es verwundern, warum die Frage, inwiefern das Geschlecht Einfluss auf den Stressprozess in der häuslichen Pflege hat, besonders häufig an Ehegattensamples untersucht worden ist. In der Logik dieser Position dürften Geschlechtsrollenunterschiede bei diesen Samples nur noch in einem geringen Ausmaß zum Tragen kommen, da die Ehegatten dementer Patienten häufig in einem fortgeschrittenen Alter sind. Ein ganz pragmatischer Umstand führt vermutlich zu den häufigen Ehegattensamples, da man unter informell pflegenden Männern kaum andere als Ehemänner findet327 – Söhne pflegen selten und entferntere männliche Angehörige noch seltener328. Aus der Sicht der Gegenposition sind diese methodologischen Bedenken entkräftet. Denn die Vertreter der Geschlechtsrollensozialisation argumentieren, Sozialisationseffekte mündeten in stabile Persönlichkeitsmerkmale und blieben unabhängig von der aktuellen Situation und aktuellen sozialen Rollen bestehen. „This framework assumes that childhood gender-role socialization and ongoing reinforcement by cultural norms and the gender stratification system cause gender roles to become internalized in stable personality orientations“329. Der Mechanismus der Internalisierung wird von Theoretikern unterschiedlich gesehen, doch besteht Einigkeit darin, dass in der Folge bei Frauen stärkere 325 vgl. Miller & Cafasso 1992 326 vgl. Übersicht bei Miller & Kaufman 1996, 192 327 Dies ist allerdings für den Kontext dieser Arbeit über Ehegatten nicht erheblich, jedoch bedeutsam, wenn die Ergebnisse aus diesen Studien auf die allgemeine Situation aller Angehörigen, also auch der jüngeren pflegenden Kinder und anderer, übertragen werden - was immer wieder geschieht. 328 vgl. Schneekloth et al. 1996 329 Miller & Cafasso 1992, 499 89 affiliative Orientierungen entstehen, bei Männern eine stärkere Betonung von Autonomie, Differenzierung und instrumenteller Orientierung330. Manche Autoren vermuten, Geschlechtsrollenstereotype seien bei den heute pflegenden Ehegatten besonders stark ausgeprägt, da diese Kohorte zwischen 1930 und 1959 erwachsen wurde und deutlicher zu geschlechtsspezifischen Fertigkeiten, psychischen Dispositionen und Arbeitsteilung sozialisiert worden sei als spätere Kohorten331. Generell sind Befunde zu Geschlechtsunterschieden in der häuslichen Pflege mit einer gewissen Vorsicht zu bewerten. Immer wieder wird angemerkt, solche Geschlechtsunterschiede könnten auf das Konto methodischer Aspekte der Studiendesigns gehen, beispielsweise das Übergewicht von Frauen in fast allen Samples oder die größere Neigung von Frauen, emotionale Probleme wahrzunehmen und zu thematisieren332. Auch wird die gender-basierte Literatur kritisiert, sie befördere eine simplizistische Dichotomie zwischen Männern und Frauen333. Walker beispielsweise kommentiert: „While it is important to document and describe caring labour, the gender difference approach tends to reify the immutably distinct nature of women and men. Typically, in such an approach, care-giving by women is defined as normative and men’s performance is compared to it… This strategy of identifying gender differences unterstates both the diversity within gender and the similarities between men and women.”334 3.2.3.2 Ausfüllen der Pflegerolle und Bewältigungsmuster In einer frühen qualitativen Arbeit über Unterschiede, wie Frauen und Männer die Pflegerolle für einen dementen Partner ausfüllen, kontrastiert Miller335 die Fokussierung auf die Beziehung, die sie bei den befragten Ehefrauen erkannte, und die Fokussierung auf Aufgaben und Projekte, die sie bei den Ehemännern beobachtete. Keine der Frauen erklärte dysfunktionales Verhalten ihrer dementen Männer im Kontext der Krankheit, obwohl viele berichteten, sich intensiv über die Krankheit zu informieren. Sie erklärten Verhaltensweisen der Männer stattdessen in Bezug auf die Veränderungen ihrer eigenen Beziehung 330 vgl. Übersicht bei Miller & Cafasso 1992, 499 331 vgl. Miller & Kaufman 1996 332 vgl. Hooker et al. 2000; Lutzky & Knight 1994; Rose-Rego, Strauss & Smyth 1998 333 vgl. Übersicht bei Ray 2000, 154 334 Walker 1992, 45; zit. nach Ray 2000, 154 335 vgl. Miller 1987 90 zum Gatten, wobei viele eine Analogie zur Mutter-Kind-Beziehung herstellten. Die Ehemänner dagegen betrachteten problembehaftete Verhaltensweisen ihrer dementen Frauen überwiegend im Kontext der Krankheit. Unklar blieb bei vielen, wie sie ihre eigene veränderte Beziehung zur Ehefrau definierten. Manche verglichen sie mit einer Lehrer-Schüler-Beziehung. Mit ihren Befunden sieht Miller Gilligans336 Vorstellung bestätigt, dass Frauen eher zu einer Moral der Fürsorge sozialisiert werden, die auf die Beziehung zwischen Individuen fokussiert, während Männer eine Moral des Rechts entwickeln, welche die Autonomie und Unterscheidung von anderen betont. Aktuellere Studien bestätigen den besonderen Stellenwert, den die Ehebeziehung für die Frauen einnimmt. Beeson et al.337 entdeckten, dass die Ehefrauen der Dementen unter der Deprivation der Beziehung, d.h. dem Verlust des Partners als Gefährten, Vertrauten oder unterstützende Person, signifikant mehr litten als die Ehemänner. Hooker et al.338 bezogen sich auf Forschungsergebnisse über langandauernde Ehen, in denen die seelische wie körperliche Gesundheit und das Wohlbefinden von Frauen im Allgemeinen stärker mit der Ehezufriedenheit korrelierten als bei Männern339. Die Autorinnen stellten auf dieser Basis die Loss-of-SharedMeaning-Hypothese auf, die besagt, dass Frauen den Verlust der ehelichen Beziehung bei Demenz schwerer verkraften als Männer, und sie fanden sie in ihrem Demenz-Ehegattensample bestätigt. Bookwala & Schulz340 betrachten die schlechter werdende Beziehung in der Pflegesituation als sekundären Stressor. Die Ehefrauen in ihrem Sample waren hiervon mehr betroffen als die pflegenden Männer. O’Connor341 berichtet aus einem Demenz-Ehegattensample, dass vor allem die Ehefrauen ihre eigene Pflegekompetenz daran maßen, inwieweit es ihnen gelang, die Beziehung zu ihrem erkrankten Mann aufrechtzuerhalten. Die Frauen beurteilten dies u.a. an der Fähigkeit des kranken Mannes, sie noch zu erkennen, wodurch das Gefühl des Selbst bei den gesunden Ehefrauen validiert oder gestört werden konnte. Die Frauen unternahmen vielfältige Versuche, um die Identität des Mannes zu erhalten und zu schützen. Die Autorin interpretiert diese Ergebnisse im Zusammenhang der weiblichen Sozialisation, die bei Frauen eine Auffassung fördere, das Selbst existiere primär in Relation zu anderen. 336 vgl. Gillligan 1982; zit. nach Miller 1987, 452 337 vgl. Beeson et al. 2000 338 vgl. Hooker et al. 2000 339 vgl. Übersicht bei Hooker et al. 2000, 569 340 vgl. Bookwala & Schulz 2000 341 vgl. O’Connor 1999 91 Wenn das „Ich“ definiert sei durch die Existenz eines „Du“, dann sei es existenziell wichtig, die Präsenz des „Du“ sicherzustellen. Einen zweiten Unterschied stellte Miller beim Thema Autorität fest. Für Frauen sei es einer der schwierigsten Aspekte der Betreuung, Entscheidungen für den dementen Ehemann bei ihm durchzusetzen. Auch andere Autoren berichten von diesen Problemen der Ehefrauen und auch über die Sensibilität, mit der sie versuchen, den Stolz und die Würde des Mannes nicht zu verletzen und ihm trotz seiner Defizite das Gefühl zu lassen, Entscheidungen zu treffen und weiterhin Autorität in der Familie zu besitzen, beispielsweise indem sie Banküberweisungsträger vorab ausfüllen und sie dann von dem Mann unterschreiben lassen342. Miller argumentiert, die Autorität, die Frauen aus der Kindererziehung kennen, bereite wenig darauf vor, Autorität gegenüber einem erwachsenen Menschen auszuüben. Männer hingegen seien es eher gewohnt, Autorität über Erwachsene zu haben – in der Familie oder im Beruf -, und für sie bedeute die Betreuung der dementen Ehefrau deshalb nur eine Ausweitung dieser bekannten Struktur. Ein dritter Unterschied betrifft die Kontrolle über Raum und Zeit. Miller führt hier aus, das Zuhause habe unterschiedliche Bedeutungen für Frauen und Männer. Für Frauen sei es traditionell der Ort der Arbeit, die Arena der Verantwortlichkeit und auch der Selbstdarstellung343. Wenig sei hingegen bekannt darüber, wie sich die Bedeutung des Zuhauses für Männer nach der Berentung verändere, vom Zufluchts- und Erholungsort während der Erwerbstätigkeitsphase hin zu einem Ort, der auch Aufgabenorientierungen beinhalte. Alle von ihr befragten pflegenden Ehefrauen beklagten den Verlust der Kontrolle über ihr Zuhause, indem sie darüber berichteten, wie der demente Mann ihre täglichen Arbeitsabläufe störe oder Unordnung schaffe. Solche Klagen tauchten bei den Männern nicht in demselben Maße auf. Sie schafften es im Gegensatz zu den Frauen auch eher, sich Zeit und Raum für eigene Interessen zu erhalten. Ein weiterer Unterschied betrifft die Art der Aufgaben, die von Frauen und Männern bei der Pflege übernommen werden. Eine Meta-Analyse344 von 14 Studien zu Geschlechtsunterschieden in der häuslichen Pflege kommt zu dem 342 vgl. Perry 2002; Perry & O’Connor 2002; Wright 1993 343 vgl. Bernard 1981; zit. nach Miller 1987, 449 344 vgl. Miller & Cafasso 1992. Die Autorinnen haben in dieser Meta-Analyse allerdings nicht differenziert zwischen Ehefrauen und anderen weiblichen Angehörigen. 92 Ergebnis, dass Frauen mehr in persönliche Pflegetätigkeiten (z.B. Baden, Hilfe bei der Toilette, Essen anreichen u.ä.) und Hausarbeit involviert zu sein scheinen und auch mehr Stunden an Pflege leisten als Männer, Umstände, die mit erhöhter Belastung in Verbindung gebracht werden (vgl. weiter unten). Mehrere Studien berichten, dass einige Männer mehr problem-fokussierte Coping-Strategien einsetzen, die häufig als weniger belastungsrelevant gelten, während andere keine bevorzugten Bewältigungsstile fanden345. Von Ehefrauen wird häufiger der Einsatz emotions-fokussierter Strategien berichtet, die teils als belastungsfördernd angesehen werden346. Es gibt aber auch Ergebnisse, die keine verschiedenen Coping-Muster bei Ehemännern und –frauen sehen347. Rose et al.348, die an einem Demenz-Ehegattensample den Zusammenhang von Neurotizismus und Stressadaption untersuchten, stellten Geschlechtsunterschiede in den Anpassungsstilen fest. Die Ehefrauen zeigten häufiger einen Stil, der als „oversocialized“349 bezeichnet wird. Gemeint ist damit eine Kombination aus u.a. Neurotizismus und Selbstbeherrschung, die zu einem hohen Bedarf an Bestätigung durch andere tendiert und exzessiv mit den Bedürfnissen anderer Anpassungsstile befasst ist. „undersocialized“ Ehemänner (geringer Selbstbeherrschung) und „reactive“ (hoher Selbstbeherrschung) mit Tendenzen zu zeigten häufiger die Neurotizismus und geringe Neurotizismus und geringe Impulsivität und Reizbarkeit. Geschlechtsunterschiede waren in dieser Studie auch bei den Coping-Strategien zu finden, Frauen neigten eher zu Wunschdenken, Männer eher zu Akzeptanz. Die Befunde über Geschlechtsunterschiede bei der Inanspruchnahme informeller oder formeller Unterstützung sind gespalten. Einerseits wird darüber berichtet, pflegende Männer erhielten mehr soziale Unterstützung als Frauen350, andererseits finden sich Hinweise, dass Männer eher stolz darauf sind, allein mit Schwierigkeiten fertig zu werden351. 345 vgl. Übersicht bei Harris 1993, 551 346 vgl. Übersicht bei Rose-Rego et al. 1998, 225 347 vgl. Neundorfer 1991; zit. nach Rose et al. 1997, 100 348 vgl. Rose et al. 1997 349 vgl. Weinberger & Schwartz 1990; zit. bei Rose et al. 1997, 92. Es handelt sich um ein 6-Zellen Modell der Anpassung, das unterschiedliche Kombinationen der Variablen „Distress“ (u.a. Neurotizismus) und Selbstbeherrschung aufweist. 350 vgl. Übersicht bei Harris 1993, 551 351 vgl. Übersicht bei Harris 1993, 551 93 3.2.3.3 Ehemänner mit demenziell erkrankten Frauen In den letzten Jahren sind zunehmend Arbeiten publiziert worden, welche speziell die Situation informell pflegender Männer fokussieren352. Verschiedene Gründe – so Kramer353 - spielen hierbei eine Rolle: Pflegende Männer seien lange Zeit in der Forschung vernachlässigt worden, obwohl sie vermutlich zahlreicher seien als bisher angenommen. In manchen Pflegekontexten bildeten sie keineswegs eine Minderheit der informellen Pflegepersonen, dies besonders bei den Personen, die einen AIDS-kranken Partner oder Freund versorgen – und ich möchte hinzufügen auch unter den älteren pflegenden Ehegatten. Verschiedene Trends, die demographischen Veränderungen infolge der Langlebigkeit und des Geburtenrückgangs, die gesellschaftlichen Veränderungen der Familie oder der Umbau der Sozial- und Gesundheitssysteme etwa, machten es zukünftig sogar noch wahrscheinlicher, dass Männer Angehörige pflegen. Es gebe inzwischen immer mehr Hinweise auf Belastungen der pflegenden Männer, und es sei erforderlich, geschlechtssensible Angebote zu schaffen, so dass Männer Zugang zu Hilfen finden. Die Männer-Pflegeliteratur setzt sich an zwei Konfliktlinien mit der allgemeinen Pflegeliteratur auseinander. Einerseits wirft man der bisherigen „genderbasierten“ Literatur vor, mit Vergleichsuntersuchungen sei außerhalb der typischen „gender approaches“ nichts Neues gefunden worden, da Männer dabei nicht als Individuen, sondern als Mitglieder einer homogenen Gruppe untersucht würden. Letztlich perpetuiere dies auf sehr subtile Weise sogar die alten Vorurteile, wonach häusliche Pflege Frauensache sei.354 Andererseits setzt man sich dagegen zur Wehr, männliche Pflege am weiblichen Ellenmaß zu messen, mit den Folgen, dass Männer entweder als deviante Pflegende betrachtet werden, wenn sie nach Art und Umfang andere Pflege leisten als Frauen, oder aber als deviante Männer, wenn sie genauso pflegen wie Frauen.355 Russel356 macht zwei gegenläufige Trends in der Wahrnehmung pflegender Männer in der Forschung aus: Einerseits würden Männer im oben beschriebenen Stil als 352 vgl. z.B. Fuller-Jonap & Haley 1995; Harris 1993; Kirsi, Hervonen, Jylhä 2000; Kramer & Lambert 1999; Kramer 2000; Litz et al. 1990; Parsons 1997; Russell 2001; Shanks-McElroy & Strobino 2001; Siriopoulos, Brown & Wright 1999. Auch zwei der seltenen deutschen Arbeiten zu pflegenden Ehegatten beschäftigen sich mit der Situation pflegender Männer: Lambrecht et al. 1992; Senf 1995. Einen aktuellen Überblick über den Stand der Forschung gibt die Publikation von Sowarka, Au & Flascha 2004 und eine Bibliographie bei Flascha 2004. 353 vgl. Kramer 2002 354 vgl. Thompson 2002. 355 vgl. Thompson 1997, nicht publiziert; zit. nach Russel 2001,354; Russel 2001 356 vgl. Russel 2001 94 inkompetente Pflegende betrachtet oder aber als fähigere Pflegende, die im Vergleich zu Frauen effizienter pflegten und weniger belastet seien. In beiden Fällen handelt es sich um Stereotypisierungen. Nach Einschätzung von Harris357 haben vor allem quantitative Studien ein eindimensionales Bild vom effizient und vergleichsweise geringer belasteten pflegenden Mann geliefert, während neuere qualitative Arbeiten das Wissen deutlich expandieren, indem sie unterschiedliche Facetten der Pflegeerfahrung von Männern offen legen. Zu kämpfen hat die Forschung über pflegende Männer damit, dass alte Männer weitgehend unsichtbare Männer sind358, anderen in Vielem nur durch Stereotype, Impressionen und Anekdoten bekannt359. Über sie gebe es – so Thompson360 abgesehen von biomedizinischen Fragen des Mannes im Alter, wenig Forschung, mit der Folge, dass sie als rollenlose, geschlechtslose, homogene Gruppe wahrgenommen würden. Wenn überhaupt außerhalb der Medizin Themen aufgegriffen würden, dann seien das sogenannte „self-orientated issues“, wie etwa die Wirkungen der Berentung oder der Verwitwung, kaum jedoch würden bei alten Männern sogenannte „other-related issues“, wie zum Beispiel die häusliche Pflege, erforscht. Die Art und Weise, wie Männer pflegen, muss vor dem Hintergrund der Vorstellungen von Männlichkeit in unserer Kultur betrachtet werden. Es gibt zahlreiche Vorstellungen von Männlichkeit, „a matrix of masculinities that are influenced by social institutions and the larger stratification system“361. Diese Männlichkeitsmatrix, so Connell, sei für jeden einzelnen Mann geschneidert entsprechend der Kultur, in der er lebt, seiner Klasse, seines Alters, seiner Kohortenerfahrungen und seinen Interaktionen mit anderen. Sie organisiere das Leben und orchestriere auch in subtiler Weise die häusliche Pflegearbeit eines Mannes. Da sie durch Interaktion und Diskurs erfahren werde, erlebe jeder einzelne Mann gleichzeitig unterschiedliche Männlichkeitsideen in unterschiedlichen Kontexten. Der für die amerikanische Kultur dominante Männlichkeitsstandard ist nach Connell die „hegemonic masculinity“. Dieser Standard, führt Thompson362 weiter aus, bringe bei der häuslichen Pflege Regeln zum Umgang mit Gefühlen hervor, die den Mann emotionalen Abstand halten 357 vgl. Harris 2002 358 vgl. Thompson 1997, nicht publiziert; zit. nach Russel 2001, 352 359 vgl. Rubinstein 1986; zit. nach Russel 2001, 252 360 vgl. Thompson 1997, nicht publiziert; zit. nach Russel 2001, 352 361 Connell 1995; Hunter & Davies 1992; zit. nach Thompson 1992, 28 362 vgl. Thompson 2002 95 ließen und ihn eher zu den instrumentellen Aspekten der Pflege hin orientierten und weniger zu den affektiven. Dieser Standard nähre auch die problemfokussierten Coping-Stile von Männern, ihre Aufmerksamkeit gegenüber den eigenen Erholungsbedürfnissen und gegenüber eventueller emotionaler Überlastung sowie ihren Wunsch, die eigenen Erfahrungen der Pflege zu kontrollieren. Vor diesem Hintergrund können zwei typische Pflegestile von Männern unterschieden werden363: • Das professionelle Modell: Viele Männer fassen die häusliche Pflege nach dem Modell der Berufstätigkeit auf und organisieren sie entsprechend aufgaben- und managementorientiert. Es geht darum, die Aufgaben in möglichst effizienter Weise zu erledigen, bei möglichst geringem „role engulfment“364. Die Ritualisierung der Pflege bringt ein Gefühl von Kontrolle365, die Pflege wird zu einer unerwarteten Karriere366. Die professionelle Haltung sorgt dafür, dass die Pflege nicht das gesamte Leben des Mannes in Beschlag nimmt; „... as men, they never allow the greedy institution of caregiving to intrude so thoroughly that caring becomes the man’s entire world“367. • Das kombinierte Management-Fürsorge-Modell: Andere Männer versuchen, das ihnen bekannte Berufsmodell mit affektiven Facetten der Pflege zu kombinieren368. Harris369 unterschied vier Typen pflegender Ehemänner von demenzkranken Frauen: Der „worker“, der die häusliche Pflege nach dem Modell der Arbeitswelt organisiert und sie zu seiner neuen Arbeitsidentität macht. Harris berichtet, dass manche Männer „Mini-Büros“ in der Wohnung einrichteten. Der „labor of love“Typ, der aus Hingabe, weniger aus Pflicht heraus pflegt und in der Frau vor allem diejenige sieht, die sie früher einmal war. Der „sense-of-duty“-Typ, der hauptsächlich aus Verpflichtung und Verantwortung pflegt und über seinen vollen Einsatz berichtet. Und schließlich der Typ „at the crossroad“, der am Beginn der Pflegekarriere steht, sich noch orientiert und besonders gestresst erscheint. 363 vgl. Thompson 2002 364 vgl. Skaff & Pearlin 1992 365 vgl. Navon & Weinblatt 1996 366 Aneshensel et al. 1995; zit. nach Thompson 2002, 34 367 Thompson 2002, 34 368 vgl. Übersicht bei Thompson 2002, 34 369 vgl. Harris 1993 96 Empirische Befunde finden im Allgemeinen, dass Männer, wenn nötig, hoch in die Pflegerolle investieren370. Die Bedeutung der Pflege für Männer ist noch wenig verstanden371. Die Forschungslage zeigt hier eine große Vielfalt. Ehemänner betrachten die Pflege in hohem Maße als ihre eheliche Pflicht und Verantwortung372, als Ausdruck und Konsequenz ihrer Zuneigung und Liebe373, oder als Möglichkeit, der Ehefrau etwas zurückzugeben im Gegenzug für die Unterstützung, die sie in den Jahren zuvor von ihr empfangen haben374. Für andere liegt die Familienoberhaupt Pflegerolle auf einer Linie mit ihren Aufgaben als 375 , manche erleben sie als willkommenen Ersatz für die verlorene Berufstätigkeit376 und wieder andere ergreifen sie bewusst als Chance, fürsorgliche Persönlichkeitsmerkmale zu entwickeln und zu leben377. Themen, welche die Erfahrungen pflegender Ehemänner spiegeln, sind vor allem in qualitativen Studien zu Tage gefördert worden. Hier gibt es inzwischen Themen, die in verschiedenen Untersuchungen gleichermaßen gefunden wurden: • Commitment: selbstverständliches, hohes Engagement bei der Pflege378, Reziprozität379 und eheliche Pflicht380 („love and dedication“) • Aushalten der Situation: im Kontext der Reziprozität381 oder aus einer Haltung des Nicht-Aufgeben-Dürfens heraus („never say no, never say die“382) • Auseinandersetzung Vertrauten 384 mit Verlust Verlusten: und der Kommunikation der Gefährtin383, der 385 , („Women look at things differently, I’m not talking about sex now, but I miss having a conversation with women“386); Entbehrung der Gattin wie sie früher war387; Verlust 370 vgl. Thompson 2002 371 vgl. Kaye & Applegate; zit. nach Thompson 2002, 36 372 vgl. Dobrin 1998; Harris 2002; Lambrecht et al. 1992; Siriopoulos, Brown & Wright 1999 373 vgl. Dobrin 1998; Harris 1993; Siriopoulos, Brown & Wright 1999 374 vgl. Harris 1993; Lambrecht et al. 1992; Parsens 1997; Pruchno & Resch 1989a; Russell 2001; Siriopoulos, Brown & Wright 1999 375 vgl. Miller 1987; Pruchno & Resch 1989a 376 vgl. Harris 1993; Miller 1987; 377 vgl. Russell 2001 378 vgl. Harris 1993 379 vgl. Lambrecht et al. 1992; Parsens 1997; Russell 2001; Siriopoulos, Brown & Wright 1999 380 vgl. Harris 2002; Lambrecht et al. 1992; Siriopoulos, Brown & Wright 1999 381 vgl. Parsens 1997 382 einer der befragten Ehemänner bei Parsens 1997, 396 im Zusammenhang des Themas „Aushalten“ 383 vgl. Harris 1993, 2002; Siriopoulos, Brown & Wright 1999 384 vgl. Harris 2002 385 vgl. Harris 1993; Siriopoulos, Brown & Wright 1999 386 ein befragter Ehemann bei Harris 1993; 553 97 bedeutungsvoller sexueller Intimität388; Einsamkeit und Alleinsein389; fehlende Anerkennung; Unsichtbarkeit der häuslichen Pflege für andere390; Verlust eigener Identität391; Zerbrechen von gemeinsamen Zukunftsplänen und -träumen392; Zerstörung der gemeinsamen „Ruhephase des Lebens393“; Verlust von Kontrolle394; Probleme, die Diagnose zu akzeptieren395 • Bewältigungsversuche: Engagement teils aufgaben- und managementorientiert: Versuch, Kontrolle über die Situation zu bekommen396; Lösung von Problemen, („I am a doer, I see what needs to be done and I do it“397); Etablierung einer Routine und eines strukturiertes Regimes398, („setting up a system that works“399); Erlernen vieler neuer Fertigkeiten400; Aufrechterhaltung von Normalität und Kontinuität, z.B. indem die kranke Frau möglichst viel am Alltag beteiligt wird401; Notwendigkeit der ständigen Beaufsichtigung der Frau402; Suche nach eigenen Freiräumen403; aber auch affektiv getöntes Engagement, wie z.B. Versuche, Erinnerungen an die Vergangenheit festzuhalten und das Leid, die kranke Partnerin „gehen zu lassen“404; Humor405; Schwierigkeiten des „taking away“, z.B. der Frau die Verantwortung für den Haushalt wegnehmen zu müssen406; Bedarf an Unterstützung durch andere407 • Versuche, die Krankheit zu verstehen: Wissen über die Demenz erwerben und herausfinden wollen, warum die eigene Frau erkrankte408 • Persönliche Veränderungen durch die Pflege: persönliches Wachstum und Chance, Fürsorge zu geben409; geduldiger, bedachtsamer geworden sein410 387 vgl. Parsens 1997; Siriopoulos, Brown & Wright 1999 388 vgl. Harris 2002 389 vgl. Harris 1993, 2002; Parsens 1997; Russel 2001; Siriopoulos, Brown & Wright 1999 390 vgl. Russel 2001 391 vgl. Harris 2002 392 vgl. Harris 2002 393 ein Befragter bei Lambrecht et al. 1992, 89 394 vgl. Harris 2002 395 vgl. Siriopoulos, Brown & Wright 1999 396 vgl. Harris 1993 397 ein Befragter bei Harris 1993; vgl. auch Harris 2002 398 vgl. Russel 2001 399 ein Befragter bei Harris 1993 400 vgl. Harris 2002 401 vgl. Lambrecht et al. 1992; Siriopoulos, Brown & Wright 1999 402 vgl. Parsens 1997 403 vgl. Harris 1993; Russel 2001 404 vgl. Siriopoulos, Brown & Wright 1999 405 vgl. Siriopoulos, Brown & Wright 1999 406 vgl. Parsens 1997 407 vgl. Parsens 1997 408 vgl. Parsens 1997 98 • Wenig Erwartungen an die Kinder: „sie haben ihr eigenes Leben“411. Einen Bedarf an Gesprächsgruppen für pflegende Ehemänner betonte Harris412. Eine finnische Untersuchung413 legt nahe, dass solche Gruppen von Männern geleitet werden sollten. Die Autoren konnten in ihrer diskursanalytischen Arbeit nachweisen, dass der Diskurskontext, in dem Männer über ihre Pflegeerfahrungen berichten, große Bedeutung hat. In Abhängigkeit davon, wie sich die Probanden zu dem Forscher positionierten (als Laie, Experte, Gleichrangiger oder Machtloser), wählten sie unterschiedliche Identitäten (als Beobachter/Reporter, verantwortungsvoller Pflegender, unabhängiger Akteur oder Opfer/Geworfener) und zeigten unterschiedliche Sprachrepertoires („factual speech“, „famialistic speech“, „agency speech“ und „destiny speech“). 3.2.3.4 Ehefrauen mit demenziell erkrankten Männern Interessanterweise gibt es in der umfangreichen Literatur über pflegende Angehörige nur sehr wenige Arbeiten, die sich ausschließlich mit den Ehefrauen dementer Männer beschäftigt haben414. Einigen Studien, die mit reinen DemenzEhefrauensamples gearbeitet haben, ging es zudem gar nicht darum, spezifische Problematiken der Ehefrauen aufzuklären, sondern allgemeine Fragen der Angehörigenpflege an einem homogenen Sample zu bearbeiten415. Zwei Arbeiten haben sich mit qualitativen Forschungsmethoden der Erfahrungswelt der Ehefrauen dementer Männer angenommen. Perry416 kristallisierte die Kernkategorie „interpretatives Pflegen“ bei den von ihr untersuchten Frauen heraus. Sie identifizierte aus den Berichten der Frauen einen Pflegeverlauf mit unterscheidbaren Phasen: • Erste Anzeichen: In der ersten Phase nahmen die Frauen erste Anzeichen einer Veränderung bei ihren Männern wahr, arbeiteten die Zeichen durch und versuchten Erklärungen aus dem vertrauten Erfahrungshorizont zu 409 vgl. Russell 2001 410 vgl. Harris 1993 411 vgl. Harris 1993 412 vgl. Harris 1993 413 vgl. Kirsi, Hervonen & Jylhä 2000 414 dies sind u.a. Bauer et al. 2001; Bourgard 1995; Gallagher-Thompson et al. 1997, 2001; Kramer 1993a; Lewin & Lundervold 1990; Lewis et al. 2000; Li, Seltzer & Greenberg 1997; Motenko 1989; Paun 2003; Perry 2002; Pullwitt, Seibert & Fischer 1996; Williams, Keady & Nolan 1995; Winslow & Carter 1999 415 vgl. z.B. Bauer et al. 2001; Gallagher-Thompson et al. 1997, 2001; Kramer 1993a; Winslow & Carter 1999 416 vgl. Perry 2002 99 finden, etwa dass der Mann die Berentung schlecht verarbeite. Sie registrierten auch eigene erste Verhaltensänderungen dem Mann gegenüber, z.B. indem sie schnell auf die Fahrerseite des Autos gingen, damit er keine Gelegenheit bekäme, das Auto zu steuern. • Schlussfolgerungen: Teils als plötzliches Erkennen, teils als allmähliche Gewissheit stellte sich die Erkenntnis ein, dass der Mann krank ist. In diese Phase fiel der erste Besuch beim Arzt. • Übernahme der Pflege: Diese Phase brachte den bedeutenden Rollenwechsel für die Frau und einschneidende Veränderungen des täglichen Ablaufs und die Übernahme neuer Aufgaben. Viele Frauen taten alles Erdenkliche, damit der Mann an vielen Dingen weiter beteiligt blieb und Erfolge verbuchen konnte. Manche Frauen gaben ihren Männern „designed tasks“, von denen sie annahmen, dass sie ihm wichtig und bedeutungsvoll wären. • Rekonstruktion der Identitäten: Dies geschah nach einiger Zeit des Nachdenkens, durch das sie ein neues Verstehen der Situation erlangten und eine Perspektive auf das, was ihnen bevorstehen würde. Für den Mann definierten sie die Identität entsprechend seiner Krankheit, für sich selbst ging es um eine neue Balance zwischen der eigenen Identität und der des Mannes. Einige sahen sich als Mutter, andere weiter als Ehefrau. Viele nutzten ihr Wissen aus der Kindererziehung, manche achteten aber sehr auf ihre primäre Identität als Ehefrau. Ein Teil der neuen Identität bildete auch das Wissen und die Fähigkeiten als Pflegende. • Die tägliche Arbeit tun: Ziel dabei war bei allen, dem Mann den Alltag so sicher und so komfortabel wie möglich zu gestalten. Dazu gehörte auch die Manipulation der Umgebung, z.B. Besuche nach seinen Bedürfnissen zu dirigieren, evt. zu reduzieren. Ein weiterer wichtiger Faktor waren Bemühungen, die Präsenz und die Würde des Mannes zu erhalten, dafür zu sorgen, dass seine Leistungen und seine Persönlichkeit nicht in Vergessenheit geraten. Die Frauen wurden zu Übersetzern ihres Mannes für andere. Zusammenfassend schreibt Perry, die Studie zeige deutlich eine kognitive Dimension der Pflege, die in anderen Arbeiten, die eher emotionale und aufgabenorientierte Fragen behandelten, nicht vorkommt. Außerdem sieht sie einen paar-orientierten Aspekt: Die Frauen machten in ihren Erzählungen ihre Ehemänner sehr sichtbar als Individuen und als Ehemänner. Sie legten Wert darauf, dass er „da“ sei, sie sahen sich als Einheit mit dem Mann, als Familie. 100 Dies steht im Kontrast zu Studien, in denen Angehörige den Kranken als weggegangen erleben417. In einer weiteren qualitativen Untersuchung beschreibt Paun418 fünf Hauptthemen, die ihr Ehefrauen von dementen Männern berichteten: Bemerken von Veränderungen, Sorge, Anpassung/Coping, Sinnfindung und Ausblick in die Zukunft. Die Autorin bespricht in ihrem Aufsatz das Thema „Sinnfindung“ näher. Für die meisten Frauen stellte sich keine Wahl, alle fühlten ein starkes Band der Verpflichtung, und die Pflege wurde in hohem Maße als selbstverständlich angesehen. Sie identifizierten sich selbst als Pflegende ohne Ausbildung. Alle stellten sich stark dar, als Überlebende, zeigten kaum Selbstmitleid. Die überwältigende Message lautete, die Situation zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen, auch bei vormals schwierigen Ehebeziehungen. Die meisten versuchten, die Erfahrung in eine Perspektive des Lebenslaufs einzuordnen, z.B. indem sie sich auf frühere kritische Ereignisse bezogen, aus denen sie gestärkt hervorgegangen waren. Pullwitt, Seibert Verhaltensweisen & Fischer419 (Aggressivität, heben die Bedeutung Inkooperativität, von störenden Rückzugsverhalten und gesteigerte körperliche Aktivität) für Beschwerden bei pflegenden Ehefrauen hervor. Lewis et al.420 befragte Ehefrauen in Fokusgruppen und ermittelte eine Vielzahl von alltäglichen Entscheidungen, welche die Ehefrauen bei der Pflege treffen müssen. Die Mehrheit der Entscheidungen betraf dabei nicht die Pflege des Kranken, sondern die Selbstpflege. In einer verhaltenstherapeutischen Fallstudie beschreiben Lewin & Lundervold421 sogenannte „self-rules“, mit denen eine Ehefrau, deren dementer Mann im Pflegeheim lebte, sich das Leben schwer machte. Beispiel: „A loving spouse sees her mate every day, and if I do not see him every day, I’m abandoning him”422. Zintl-Wiegand423 berichtet, wie Ehefrauen, die zuvor in einer patriarchalischen Beziehung gelebt hatten, zunächst ungläubig den Zuwachs an Macht und Entscheidungsfreiheit erlebten, als der Mann dement wurde. Sie beschreibt, wie diese Frauen in kleinen Schritten versuchten, sich „verstohlen“ durchzusetzen, 417 vgl. Wuest et al. 1994; zit. nach Perry 2002 418 vgl. Paun 2003 419 vgl. Pullwitt, Seibert & Fischer 1996 420 vgl. Lewis et al. 2000 421 vgl. Lewin & Lundervold 1990 422 Lewin & Lundervold 1990, 704 423 vgl. Zintl-Wiegand 1995 101 z.B. indem sie sich bei Tisch zuerst zu trinken nahmen, oder entschieden, welches Essen gekocht werden sollte.424 Die Autorin bespricht außerdem das von Frauen häufig gewählte Modell der Mutter-Kind-Beziehung für die Versorgung des dementen Mannes. Damit transportierten sie massive Regressionsangebote und –versuchungen, die von bestimmten Partnern als gefährlich und kastrierend erlebt würden. Männer, die zeitlebens gegen eigene Passivitätsbedürfnisse angekämpft und strikt für die eigene Dominanz gesorgt hätten, neigten in dieser Situation zu Reaktionsbildungen. Radebold425 weist auf den Überforderungscharakter hin, der dem Mutter-Kind-Pflegemodell innewohnt. Dieses vertraute Gefüge biete beiden Parteien zunächst Sicherheit, doch enthalte es auch die Gefahr der Unterforderung des Patienten und auf die Dauer der Überforderung des pflegenden Angehörigen. Dies besonders deshalb, weil dieses „Kind“ sich nicht mehr entwickele und nach Unabhängigkeit strebe, sondern zunehmend mehr auf Versorgung angewiesen sei. Gröning426 legt dar, die Gewissheit, nach dem Modell der Kindererziehung mit Liebe lebenserhaltend zu wirken, sei in der Altenpflege häufig anzutreffen. Diese Auffassung sei aber eine große Falle, denn die Pflege alter Menschen habe nicht Lebenserhaltung zum Ziel, sondern das genaue Gegenteil, nämlich den Abschied. Pflege, die in diesem Sinn als Liebe angelegt sei, stehe in Gefahr, sich zu entstrukturieren, sich zu überfordern und auszubrennen. 3.2.4 3.2.4.1 Gewalt in ehelichen Pflegekonstellationen Begriffsklärung und empirische Befunde zum Ausmaß des Problems Was unter Gewalt oder Missbrauch in einer häuslichen Pflegebeziehung zu verstehen ist, ist schwer zu fassen. Grafström und Kollegen427, eine der wenigen Forschergruppen, die sich mit Missbrauch in Familien mit Demenzkranken beschäftigt haben, stellen fest, in der einschlägigen Literatur gebe es keinen Konsens über die Definition von Missbrauch. Sie benutzen folgende Definition von Johns et al.: „Abuse can be seen as a kind of interaction between two 424 Zintl-Wiegand 1995, 290 425 vgl. Radebold 1994b 426 vgl. Gröning 2001 427 vgl. Grafström, Nordberg & Bengt 1993 102 persons where one person is violating the boundaries of another person.“428 Dabei ist zu bedenken, dass die Verletzung der Grenzen von unterschiedlichen Menschen unterschiedlich bewertet wird. Missbrauch kann demnach eigentlich nur aus der Perspektive des Opfers definiert werden429. Schwerste Missbräuche sind solche, die die Identität des Opfers beschädigen. Die Autoren führen aus, dass Demenzkranke im Laufe ihrer Krankheit abhängig von anderen werden und ihre Grenzen nicht mehr selbst kontrollieren können. Sie sind deshalb besonders verletzlich gegenüber Respektlosigkeit, Dominanz und Missbrauch430. Sowarka et al.431 unterscheiden in ihrer Überblicksarbeit über Gewalt gegen ältere Menschen im häuslichen Bereich unterschiedliche Gewaltformen: (a) körperlichen Missbrauch (Anwendung körperlicher Gewalt), (b) sexuellen Missbrauch (jedweder sexuelle Kontakt ohne die Einwilligung des Opfers), (c) emotionalen und psychologischen Missbrauch (Zufügen emotionaler Qualen, Schmerzen oder Bekümmernis), (d) Vernachlässigung (Verweigerung oder Unterlassung irgendeines Teils der Verbindlichkeiten und Pflichten einer Person gegenüber dem älteren Menschen, die für ihn lebensnotwendig sind), (e) Verlassen/im Stich lassen (böswilliger Rückzug) und (f) finanzielle oder materielle Ausnutzung (ungesetzliche oder ungeeignete Verwendung von Vermögen und Besitz des älteren Menschen). Eine aktuelle deutsche Übersichtsarbeit referiert Zahlen zur Gewalt gegen ältere Menschen im häuslichen Bereich432. Ein Bericht des National Center of Elder Abuse in den USA enthält – so Inzidenzschätzungen für die Autorinnen – derzeit die besten Missbrauch, Vernachlässigung und Selbstvernachlässigung. Die Daten kommen aus offiziellen Berichten für lokale Stellen in verschiedenen Bundesstaaten der USA. Es wird davon ausgegangen, dass auf jeden berichteten und bestätigten Fall eine Dunkelziffer von fünf weiteren nicht gemeldeten Fällen hinzukommt. Für die USA wurden im Jahr 1996 geschätzte 450.000 Personen, die älter als 60 Jahre waren, Opfer von Gewalt im häuslichen Bereich. Für die bestätigten Fälle war Vernachlässigung die häufigste Missbrauch Form (35,4%), (48,7%), finanzieller gefolgt von Ausbeutung emotionalem/psychologischen (30,2%) und körperlichem Missbrauch (25,6%). Besonders betroffen waren sehr alte Menschen (über 80), 428 Johns, Hydle & Aschjem 1991; zit. nach Grafström, Nordberg & Windblad 1993, 247 429 vgl. Grafström, Nordberg & Windblad 1993 430 vgl. Grafström, Nordberg & Windblad 1993 431 vgl. Sowarka, Schwichtenberg-Hilmert & Thürkow 2001, 2 432 vgl. Sowarka, Schwichtenberg-Hilmert & Thürkow 2001 103 ältere Frauen und der Personenkreis, der nicht mehr in der Lage war, für sich selbst zu sorgen. Wesentlich für diese Arbeit: In 6 von 10 bestätigten Fällen zeigten die Opfer in unterschiedlichem Maße Zeichen geistigen Abbaus. In 9 von 10 Fällen waren Familienangehörige die Täter, Ehegatten in 19,3% der Fälle433. Buttell434 referiert Befunde über Gewalt gegenüber Demenzkranken und kommt zu der Überzeugung, dass dieser Personenkreis weit häufiger betroffen ist als andere ältere Menschen. Die Anteile dementer Personen, die Gewalt erleiden, liegen je nach Studie bei 12%435, 23%436 oder 55%437, schwere Gewalt wurde in einer Untersuchung in 5% der Fälle gefunden438. Gallagher et al.439 berichten, Wut sei das häufigste negative Gefühl bei pflegenden Angehörigen von Demenzpatienten. In ihrem Sample erlebten zwei Drittel der Angehörigen Wutgefühle mit wenigstens mittlerer Frequenz. Mehr Befragte bestätigten Items, die mit Wut (60%) zu tun haben, als Items, die mit Depression (50%) zu tun haben. Vitaliano et al.440 registrierten, dass pflegende Ehegatten von Dementen weniger Kontrolle über ihren Ausdruck von Wut fühlten als Nicht-Pflegende. Bei Ehegatten und bei Pflegenden in höherem Lebensalter wurde ein höheres Risiko zu körperlicher Gewalt gegenüber dem Pflegebedürftigen gefunden441. Hughes442 berichtet, von Demenzkranken scheine nicht öfter Gewalt auszugehen als von anderen Pflegebedürftigen, doch zeigten die Angehörigen dieses Samples eine größere Neigung, ihnen gegenüber gewalttätig zu sein. 433 erwachsene Kinder (47,3%), andere Angehörige und Enkelkinder (8,8% bzw. 8,6%), Freunde, Nachbarn (6,2%) sowie Versorgungsdienste (4,2%) 434 vgl. Buttell 1999 435 vgl. Coyne et al. 1995; zit. nach Buttell 1999, 230 436 vgl. Cooney & Wrigley 1996; zit. nach Buttell 1999, 230 437 vgl. Cooney & Mortimer 1995; zit. nach Buttell 1999, 230 438 vgl. Paveza et al. 1992; zit. nach Buttell 1999, 230 439 vgl. Gallagher et al. 1990. Sie untersuchten ein gemischtes Sample aus Ehegatten und anderen Angehörigen dementer Patienten. 440 vgl. Vitaliano et al. 1993 441 vgl. Pillemer & Suitor 1992 442 Hughes 1997. Das Sample bestand aus Ehegatten und pflegenden Kindern Demenzkranker. 104 3.2.4.2 Hintergründe des Problems Häufig werden Zusammenhänge zwischen auf der einen Seite missbräuchlichem oder gewalttätigem Verhalten der Pflegenden und auf der anderen Seite Stress bzw. Überforderung durch die Pflegesituation, emotionalen Problemen der Pflegenden, schwierigen ungelösten Familienkonflikten Beziehungsgeschichte oder gesehen 443 . einer Auch vor der Demenz Vorerfahrungen mit familiärer Gewalt vor dem Auftreten der Demenz444 und aggressives Verhalten seitens des Dementen445 werden als Risikofaktor betrachtet. Grafström, Nordberg & Winblad446 beispielsweise heben auf die Überforderung durch die Pflegesituation bei Demenz ab. Sie bildeten ein Sample aus Personen, die im Rahmen einer großen repräsentativen schwedischen Studie ungefragt über missbräuchliches Verhalten gegenüber einem dementen Familienmitglied berichtet hatten. Dieses Sample bestand aus 26 Personen, nach Auskunft der Autoren überwiegend Ehegatten, die die eigene Gesundheit als schlecht einschätzten. Die meisten Patienten waren in einem frühen Demenzstadium, hoch abhängig von den Pflegenden und wurden von diesen als aggressiv beschrieben. Dieselbe Gruppe wurde nach 2 Jahren erneut untersucht447 mit dem Ergebnis, dass zu diesem zweiten Zeitpunkt keiner der Befragten noch Gewalt berichtete. Die Autoren interpretieren ihre Ergebnisse dahin, dass zum ersten Untersuchungszeitpunkt offenbar die missbräuchlich agierenden Pflegenden schweren Belastungen ausgesetzt waren, die später im Zuge der fortschreitenden Demenzsymptomatik und der Anpassung an die Situation abgeklungen waren. Auch die Studie von Williamson et al.448 ist ein Beispiel für Zusammenhänge zu Überforderung. Ihre Studie belegt Korrelationen zwischen Depression bei den pflegenden Ehegatten dementer Menschen und schädlichem Pflegeverhalten, und zwar unabhängig von anderen Variablen wie demographischen Charakteristika, interpersonaler Beziehung oder Schwere der Demenz. 443 vgl. Übersicht bei Williamson et al. 2001, 217 444 vgl. Hughes 1997. Das Sample bestand aus Ehegatten und anderen Familienangehörigen. 445 vgl. Pillemer & Suitor 1992 446 vgl. Grafström, Nordberg & Winblad 1993 447 vgl. Grafström, Nordberg & Hagberg 1993 448 vgl. Williamson et al. 2001 105 Kruse449 führt die objektive Isolation und subjektiv erlebte Einsamkeit von Ehepaaren, die mit chronischer Krankheit konfrontiert sind, als Hintergrund für aggressiv getönte Impulse an. Er verweist auf den von E. Durkheim hergestellten Zusammenhang zwischen Anomie und Gewalt. Ist man aus der Gemeinschaft ausgestoßen oder fühlt sich ihr nicht mehr zugehörig, sind Kontakte zu anderen Menschen deutlich reduziert, so fallen normative Instanzen aus, die das Verhalten steuern und kontrollieren (Anomie). Damit können aggressive Impulse unkontrolliert auftreten und das Verhalten bestimmen. Buttell450 vertritt die Meinung, viele Fälle von Gewalt in der Pflegebeziehung müssten eigentlich als eheliche Gewalt verstanden werden. Er argumentiert deshalb, dass Wissensbestände aus der Literatur über Missbrauch und Gewalt in der Ehe herangezogen werden sollten, um mehr über Gewalt in Demenz-Ehen zu verstehen. Einige dieser Wissensbestände: Die Hälfte aller Ehen erlebt zumindest eine Episode von Gewalt451. Die überwältigende Mehrheit ehelicher Gewalt geht von Männern aus452. Ein gewichtiger Risikomarker für eheliche Gewalt ist die Erfahrung mit häuslicher Gewalt als Kind453. Täter verleugnen typischerweise ihre Gewalt454, was zu hohen Dunkelziffern beiträgt. Dies dürfte auch für Demenz-Paare gelten. Auch Interventionen für gewalttätige Pflegende – so Buttell - können aus der Literatur zur ehelichen Gewalt lernen. Dort ist bekannt, dass Täter oft mit Gewalt auf Situationen reagieren, in denen sie eine gewisse Feindseligkeit oder latente Gewalt von Seiten des späteren Opfers spüren. Sie sind nicht in der Lage, solche Situationen anders als gewalttätig zu lösen455. Interventionsprogramme haben folglich das Ziel, diesen Tätern alternative Konfliktlösemöglichkeiten in feindseligen oder latent gewalttätigen Situationen beizubringen456. Dies könnte auch relevant für die Demenzsituation sein, wo ebenfalls oft Aggression oder Problemverhalten zunächst vom Kranken ausgehen457. 449 vgl. Kruse 1991 450 vgl. Buttell 1999 451 vgl. Stith, Williams & Rosen 1990; zit. nach Buttell 1999, 231 452 vgl. Carden 1994; zit. nach Buttell 1999, 231 453 vgl. Buttell 1999, 231 454 vgl. Rosenfeld 1992; zit. nach Buttell 1999, 231 455 vgl. Carden 1994; zit. nach Buttell 1999, 231 456 vgl. Gondolf 1997; zit. nach Buttell 1999, 232 457 vgl. Buttell 1999, 232 106 3.3 Zusammenfassung Kapitel 3 Die Auswirkungen der Demenz auf die Ehe lassen sich analytisch gliedern in Veränderungen der Beziehung in ihrer Qualität als Ehebeziehung einerseits und in die allmähliche Verwandlung der Ehebeziehung in eine Pflegebeziehung andererseits. Etwa Zwei Drittel der Demenzerkrankungen sind Alzheimer-Erkrankungen458, die charakteristisch schleichend verlaufen. Entsprechend setzen auch die Veränderungen der Paarbeziehungen zunächst unmerklich ein. Es gibt einige empirische Befunde darüber, wie die Angehörigen eines dementen Patienten die erste Zeit der Demenz erleben und wie sie mit der Diagnose umgehen459. Nichts dagegen ist empirisch belegt über die Art und Weise, wie das Paar als Einheit diese erste Zeit erlebt. Die Wissensbestände darüber, wie alte Paare chronische Krankheiten bewältigen460, sind nur bedingt auf die Situation bei Demenz übertragbar. Die kennzeichnenden Veränderungen der Paarbeziehung im weiteren Verlauf der Demenz sind auf einer augenscheinlichen Ebene zunächst Rollenveränderungen461. Mit der Demenz gerät ein jahrelang gefestigtes, sehr individuelles, und gleichzeitig gesellschaftlich geprägtes Gefüge von Aufgaben, Rollen und Funktionen der Partner in Bewegung. Ein weiteres Merkmal ist die Deprivation der Beziehung. Emotionale Intimität der Partner462 und gegenseitiger Respekt463 gelten als Schlüsselmerkmale erfolgreicher Langzeitehen. Der Schwund der Gefährtenschaft, die Erosion der Intimität, fehlende Reziprozität und Gefühle der Entfremdung werden quer durch die Literatur als zentrale Auswirkungen der Demenz auf die Ehe berichtet. Empirisch wurden unterschiedliche Muster der Bewältigung gefunden: Paare, die die Kontinuität der Beziehung noch finden und betonen; Paare, die die Beziehung als kontinuierlich, aber radikal verändert wahrnehmen und Paare, die keinen Bezug zu der Beziehung vor der Demenz herstellen können464. Ein drittes Charakteristikum der Paarveränderungen ist die Asymmetrie der Entwicklung der beiden Partner465. Theoretisch bezogen werden die Veränderungen der Beziehung auf die 458 vgl. Bickel 1999, 1 459 vgl. Perry 100; Pollitt, Anderson & O’Connor 1991 ; Morgan & Laing 1991 460 vgl. Kruse 1991 461 vgl. z.B. bei Wright 1993 462 vgl. Lauer & Lauer 1986; Lauer & Kerr 1990; zit. nach Gallagher-Thompson et al. 2001, 140 463 vgl. Stinnett, Collins & Montgomery 1970 464 vgl. Chesla, Martinson & Muwaswes 1994 465 vgl. Wright 1993; Lewis 1998 107 schwindende Fähigkeit des Dementen zu "shared meaning" im Sinne von G.H. Mead466, familientheoretisch auf die abnehmenden Kompetenzen des Paares zu Kohäsion, Adaptabilität und Kommunikation467 oder auf die mangelhafte Anpassungsfähigkeit in der Folge einer Unsicherheit des gesunden Partners bezüglich der Systemgrenzen des Paares ("boundary ambiguity")468. Oder der Zustand des Paares wird als inkomplette Statuspassage im Sinne von van Gennep469 betrachtet. Im sexuellen Bereich sind zunächst Veränderungen des Verhaltens des Patienten im Rahmen der nicht-kognitiven Demenzsymptomatik zu bedenken, die sich entweder als Nachlassen oder seltener als Steigerung des sexuellen Interesses und der sexuellen Aktivität äußern können. Veränderungen der sexuellen Kontakte werden von der Mehrheit der Paare berichtet470. Mit Ausnahme weniger Paare, bei denen der demente Mann sexuell äußerst aktiv ist, haben die meisten Paare im Vergleich zu altersgleichen gesunden Paaren weniger sexuelle Kontakte471, bei vielen gibt es keinen Geschlechtsverkehr mehr472. Aber auch Gesten der Zuneigung und Zärtlichkeit nehmen mit der Zeit ab473. Probleme liegen vor allem darin, dass der demente Partner immer weniger in der Lage ist, den sexuellen Bedürfnissen des anderen Beachtung zu schenken, aber auch das Inzestverbot wird aktualisiert, wenn der gesunde Partner die Beziehung zum Ehegatten mehr und mehr im Sinne einer Mutter/Vater-Kind-Beziehung definiert474. Frauen und Männer nehmen die Probleme bezüglich der veränderten sexuellen Beziehung zum dementen Partner sehr unterschiedlich wahr475. Für die Situation des gesunden Partners kann der allmähliche Verlust des Ehegatten eine Bedrohung des eigenen Selbst bedeuten, wobei die Schwere dieser Bedrohung einerseits von der psychischen Stabilität des gesunden Partners und andererseits von der Qualität der Ehebeziehung vor dem Auftreten der Demenz abhängt476. Die gesunden Partner erleben, dass die ihnen 466 vgl. Mead 1977; zit. nach Wright1993, 10 467 vgl. Olson 1989 468 vgl. Boss et al. 1990 469 vgl. vgl. Van Gennep 1908; zit. nach Blieszner & Shiftlett 1990, 57 470 vgl. Ballard et al. 1997; Derouesné et al. 1996; Duffy 1995; Eloniemi-Sulkova et al. 2002a; Litz, Zeiss & Davies 1990; Quayhagen & Quayhagen 1988; Wright 1991, 1993, 1998; Zintl-Wiegand 1995 471 vgl. Wright 1993 472 vgl. Wright 1993; Ballard et al. 1997 473 vgl. Wright 1998 474 vgl. Duffy 1995 475 vgl. Duffy 1995; Litz, Zeiss & Davies 1990 476 vgl. O'Connor 1993 108 vertrauten Bedeutungssysteme, mit denen sie sich orientieren konnten, angesichts der Demenz versagen, und sie reagieren darauf mit Ängstlichkeit, Trauer, Wut oder Schuldgefühlen477. Die Demenz konfrontiert sie auf einer existenziellen Ebene mit den Themen Tod, Einsamkeit, Freiheit und Sinn478. An vorderster Stelle steht die Auseinandersetzung mit Verlust und Trauer, im Falle der Demenz ein chronischer Prozess ohne die Chance eines Abschlusses479. Charakteristisch für Ehegatten ist, dass ihre Trauer paar-fokussiert ist, weniger ich-bezogen als bei pflegenden Kindern480. Ein anderer Bereich existenzieller Erfahrung sind die Versuche der Angehörigen, ihrer Situation einen Sinn zu verleihen. Sie tun dies, indem sie Entscheidungen treffen, positive Aspekte der Beziehung wertschätzen, provisorischen Sinn (z.B. die Überzeugung, es müsse einen Grund für all das geben) oder ultimativen Sinn (z.B. Verknüpfung der Pflegeerfahrung mit religiösen oder spirituellen Überzeugungen) suchen481. Mit dem Fortschreiten der Demenz muss der gesunde Ehegatte für den Kranken immer mehr Aufgaben übernehmen, die in den pflegerischen Bereich fallen. Wenngleich gegenseitige emotionale Unterstützung und auch zu bestimmten Zeiten handgreifliche Pflegeleistungen für normale Ehebeziehungen charakteristisch sind, so dehnt sich die Pflege innerhalb einer von Demenz betroffenen Ehe nach und nach imperialistisch482 soweit aus, dass die Ehe zunehmend Eigenschaften einer Pflegebeziehung aufweist. In der Literatur wird an vielen Stellen darüber berichtet, wie selbstverständlich und fraglos Ehegatten die Pflege für ihren Partner übernehmen483. Als Hintergründe für die hohe Motivation zur Pflege können Normen betrachtet werden, z.B. die Reziprozitätsnorm, die Gerechtigkeitsnorm oder die Norm der sozialen Verantwortung. Aus psychologischer Perspektive spielen zum einen selbstdienliche Motive eine Rolle, z.B. soziale Anerkennung oder Vermeiden von Schuldgefühlen, besonders Gefühle der Verpflichtung aufgrund von früher vom anderen empfangenen Leistungen. Zum anderen bestehen auch altruistische Motive, die auf Empathie gründen. Ein besonders starker Grund, sich des kranken Partners anzunehmen, liegt in der Ethik der ehelichen Verpflichtung, die 477 vgl. Rudd, Viney & Preston 1999 478 vgl. Levine et al. 1984 479 vgl. Lindgren 1996 480 vgl. Meuser & Marwit 2001 481 vgl. Farran et al. 1991 482 vgl. Pearlin et al. 1990 483 vgl. z.B. Übersicht bei Hooker et al. 1992; Orana 1990 109 repräsentiert ist in dem Versprechen, das sich die Eheleute während der Trauungszeremonie gegeben haben. Die Literatur, die sich mit dem Pflegealltag von Ehegatten Demenzkranker beschäftigt hat, demonstriert die Komplexität und Multidimensionalität dieser Pflegesituation. Manche Ehegatten integrieren die Pflegerolle in ihre Ehebeziehung, andere trauern der von ihnen als verloren erlebten Ehe nach, andere betonen den Pflegecharakter der neuen Beziehung und fokussieren die Belastungen, wieder andere fokussieren dabei die persönlichen Gewinne, die ihnen die Pflege bringt484. Die Aufgaben der täglichen Betreuung des Dementen reichen von Hilfen bei den Aktivitäten des täglichen Lebens, über Unterstützung bei der Kommunikation, Beaufsichtigung und Beobachtung des Kranken, bis hin zu Aktivierung und Stimulation. Die Zielsetzungen, die Ehegatten bei ihren alltäglichen Pflegeentscheidungen verfolgen, lassen sich fünf Kategorien zuordnen485: (1) mögliche Bedürfnisse des Kranken gedanklich antizipieren und entsprechend entscheiden und handeln (antizipierende Pflege); (2) präventive Pflege hinsichtlich Verletzungen und Verschlechterungen des Krankheitszustands; (3) Beobachten und Eingreifen bei Bedarf (supervisorische Pflege), (4) Hilfen bei den Aktivitäten des täglichen Lebens, "hand-on-care" (instrumentelle Pflege) und (5) Schützen des Selbstbewusstseins und der Persönlichkeit des demenziell Erkrankten (protektive Pflege). Charakteristisch für pflegende Ehegatten scheint zu sein, dass sie besonderen Wert darauf legen und auch stolz darauf sind, die Bedürfnisse des Partners gut zu kennen und ihnen gerecht zu werden486, und dass ihnen der Schutz der Persönlichkeit und der Würde des Partners besonders am Herzen liegt487. Sie tun dies, indem sie Kontinuität erhalten, Kompetenzen des Kranken schützen, ihn vor Erfahrungen des Versagens bewahren und Begegnungen mit der Umwelt strategisch vorbereiten488. Geschlechtsunterschiede hinsichtlich des Erwartungsdrucks zur Übernahme der Pflegeaufgabe werden bei Ehegatten in der Literatur wenig thematisiert, wobei es Hinweise auf einen stärkeren Verpflichtungsgrad für Ehefrauen gibt. Unterschiede der Geschlechter werden bei der Ausübung der Pflegerolle in den 484 vgl. Hepburn et al. 2002 485 vgl. Bowers 1987; Corcoran 1993b 486 vgl. Corcoran 1993b 487 vgl. Perry 2002; Perry & O'Connor 2002; Wright 1993 488 vgl. Perry & O'Connor 2002 110 Bereichen Fokussierung auf die Beziehung versus Fokussierung auf die Krankheit489, Ausübung von Autorität gegenüber dem Erkrankten490, Kontrolle von Raum und Zeit491, Übernahme unterschiedlicher Aufgaben492 und Einsatz von Coping-Strategien gesehen493. Ob Ehefrauen weniger Unterstützung erhalten und/oder abrufen als Männer, bleibt offen. Pflegende Männer haben in den letzten Jahren Konjunktur in der Forschung. Die entsprechende Literatur versucht einerseits, von stereotypisierenden Wahrnehmungen der pflegenden Männer und andererseits vom Messen der männlichen Pflege am weiblichen Ellenmaß wegzukommen494. Den Hintergrund für Pflegestile von Männern bilden kulturelle Vorstellungen von Männlichkeit, die in westlichen Gesellschaften dominiert sind vom Bild der hegemonialen Männlichkeit. Typische Stile von Männern sind die Orientierung der häuslichen Pflege am Modell der Berufstätigkeit und die Verknüpfung von Aufgaben- und Managementorientierung mit affektiven Aspekten der Pflege495. Mit beiden Stilen verbunden sind problem-fokussierte Coping-Strategien und die Haltung, eine gewisse Distanz zur Pflegesituation zu wahren496. Über die Bedeutung der Pflege für Ehemänner herrscht noch viel Unklarheit. Stichworte sind hier Liebe, Verpflichtung, Reziprozität, Familienoberhaupt, Ersatz für die verlorene Berufsrolle, persönliches Wachstum. Die seltenen Arbeiten, die speziell die Situation pflegender Ehefrauen fokussiert haben, berichten über andere Herangehensweisen an die Pflege. Perry497 bezeichnet das, was sie bei Ehefrauen sah, als „interpretatives Pflegen“, eine kognitive Dimension der Pflege, ein ständiges Bemühen der Frauen darum, die Situation des Mannes und die Bedeutung der Demenz für ihn und für die Beziehung zu verstehen, und entsprechend alles Erdenkliche zu tun, damit Selbstbewusstsein und Wohlbefinden des dementen Ehemannes gestützt werden. Gleichzeitig wird bei Ehefrauen eine starke Orientierung an der Beziehung gesehen498, sowie häufig Bewältigungsversuche mit emotions- 489 vgl. Miller 1987; Beeson et al. 2000; Hooker et al. 2000; Bookwala & Schulz 2000; O’Connor 1999 490 vgl. Miller 1987 491 vgl. Miller 1987 492 vgl. Miller & Cafasso 1992 493 vgl. Harris 1993 494 vgl. Thompson 2002 495 vgl. Thompson 2002 496 vgl. Thompson 2002 497 vgl. Perry 2002 498 vgl. Kramer 1993a; Miller 1987; Motenko 1989 ; Perry 2002; Rose et al. 1997 111 fokussierten Coping-Strategien499 und Schwierigkeiten, Autorität gegenüber dem dementen Ehemann zu erlangen500. Die Demenz des Mannes bedeutet für Ehefrauen einschneidende Veränderungen des Zuhauses, eines Ortes, der für Frauen dieser Kohorte über den gesamten Lebenslauf eine starke Bedeutung als Ort der Arbeit, Arena der Verantwortlichkeit und auch der Selbstdarstellung hatte501. Einzuordnen sind diese Befunde auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen Differenzierung der Geschlechtscharaktere, die u.a. dadurch entsteht, dass Frauen auf eine Fürsorge- und Beziehungsorientierung hin sozialisiert werden502. Ein besonderes Phänomen ist Gewalt in ehelichen Pflegekonstellationen, das möglicherweise verstärkt nicht im Kontext der Pflegesituation, sondern allgemein im Zusammenhang mit Gewalt in der Ehe betrachtet werden sollte503. Zahlen zur Inzidenz von Gewalt gegen ältere Menschen im häuslichen Bereich zeigen Demenzkranke als Risikogruppe und Familienangehörige als die häufigsten Täter, Ehegatten in 19% der Fälle in einer amerikanischen Untersuchung504. Als Hintergründe werden häufig Stress bzw. Überforderung mit der Pflegesituation gesehen, emotionale Probleme des Pflegenden, ungelöste alte Konflikte oder eine vor der Demenz schon schwierige Beziehungsgeschichte505, sowie Vorerfahrungen mit familiärer Gewalt506 und auch die Abgeschiedenheit der Pflegesituation und ein daraus resultierender Zustand der Anomie507. 499 vgl. Übersicht bei Rose-Rego et al. 1998, 225 500 vgl. Miller 1987, Pullwitt, Seibert & Fischer 1996 501 vgl. Bernard 1981; zit. nach Miller 1987, 449 502 vgl. Gilligan 1982; Chodorow 1994 503 vgl. Buttell 1999 504 vgl. Sowarka, Schwichtenberg-Hilmert & Thürkow 2001 505 vgl. Übersicht bei Williamson et al. 2001, 217 506 vgl. Hughes 1997 507 vgl. Kruse 1991 112 4 Belastung und Lebenszufriedenheit der pflegenden Ehepartner Die weitaus meisten Studien über die Belastungen pflegender Angehöriger haben ihren theoretischen Bezugsrahmen in der Stresstheorie. Was unter Stress und Belastung allgemein und speziell bei der häuslichen Pflege eines dementen Menschen zu verstehen ist, wird in den Forschungsbeiträgen unterschiedlich konzeptualisiert. Kapitel 4.1 gibt hierzu einen Überblick. Die Stressforschung betrachtet den Patienten bzw. dessen Demenzsymptomatik als chronischen Stressor; es werden verschiedene Einflussgrößen in Betracht gezogen, welche die Wirkung dieses Stressors verändern können; am Ende des Stressprozesses stehen die „outcomes“, d.h. die objektiv fassbaren Auswirkungen auf die pflegenden Angehörigen und das subjektive Belastungserleben. Im Kapitel 4.2 werden empirische Befunde über diese „outcomes“ bei Ehegatten Demenzkranker dargestellt. Kapitel 4.3 beschäftigt sich mit Erkenntnissen über die Bedeutung verschiedener Einflussgrößen auf die Belastung der Ehegatten: die Schwere der Demenzsymptomatik und Merkmale des Patienten (Kapitel 4.3.1), Merkmale des pflegenden Ehegatten (Kapitel 4.3.2), die Qualität der Ehebeziehung vor dem Auftreten der Demenz (Kapitel 4.3.3), Merkmale der Umwelt (Kapitel 4.3.4) und die Art des Copings (Kapitel 4.3.5). Im Kapitel 4.4 werden die Belastungen pflegender Ehegatten verglichen mit anderen Gruppierungen pflegender Angehöriger. Den Abschluss bildet das Kapitel 4.5, das die wenigen Arbeiten über positive Aspekte der Ehegattenpflege darstellt. 4.1 4.1.1 Theoretische Grundlagen der Forschung Das Konstrukt Belastung In einem ersten Zugriff bezeichnet der Begriff Pflegebelastung umfassend die physischen, psychischen oder emotionalen, sozialen und finanziellen Probleme, die Angehörige bei der Versorgung eines pflegebedürftigen älteren Familienmitglieds erfahren können508. Als Forschungskonstrukt wurde Belastung 508 vgl. George & Gwyther 1986, 253 113 (burden) von Zarit, Reever & Bach-Peterson (1980)509 entwickelt, die in einer der frühen Studien über Stress in der häuslichen Pflege Demenzkranker das „Burden Interview“ konstruiert haben. Seither ist Belastung in der Forschung in unterschiedlicher Weise konzeptualisiert und gemessen worden. Belastung wird als Stressor oder 510 Stressprozess als Stressfolge oder als abhängige Variable im aufgefasst. Definitionen reichen von den emotionalen Kosten in Form von Gefühlen der Überlastung und Verwicklung in einer unangenehmen Lage511, über spezifische Veränderungen des Alltags512 zu finanziellen Schwierigkeiten, Rollendruck und körperlicher Gesundheitsverschlechterung513. Abbildung 9: Terminologie zur Untersuchung der Auswirkungen von Stressoren in der häuslichen Pflege Konsequenzen für den Pflegenden Beschreibung Psychisches Wohlbefinden (psychological wellbeing) Messung von positiven und negativen Emotionen (George & Gwyther 1986; Lawton 1984) Subjektive Belastung (subjective burden) Emotionale Antworten auf die Pflegeanforderungen (Montgomery et al. 1985) Objektive Belastung (objective burden) Aktuelle Anforderungen an Zeit und Ressourcen des Pflegenden (Montgomery et al. 1985) Belastung (burden) Wahrgenommene Auswirkung der Pflege auf verschiedene Bereiche wie physisches und emotionales Wohlbefinden, persönliche Aktivitäten, Familienleben, Finanzen (Zarit et al. 1986) Anspannung (strain) Manifestationen von Belastung wie psychische Störungen, Reduktion sozialer Aktivitäten, Gefühle von Hoffnungslosigkeit (Morycz 1985) Misslichkeiten (inconvenience) Das Ausmaß, zu dem die Pflege die Zeiten für Erholung, die finanzielle Situation, die Berufstätigkeit und die Gesundheit verändert (Wilder et al. 1983) Distress (distress) Biopsychosoziale Antworten auf Stressoren wie auch auf moderierende Faktoren wie Vulnerabilität (z.B. Gesundheit, demographische Variablen) und persönliche Ressourcen (z.B. Coping, soziales Netz) (Vitaliano et al. 1989b) Widrigkeiten und innerer Auftrieb (hassles and uplifts) Kleine, alltägliche Stressoren (hassles) und Befriedigungen, Auftriebe (uplifts), die der Pflegende erlebt (Kinney & Stephens 1989) Reaktion (reaction) Ausmaß, zu dem das individuelle Verhalten des Patienten den Pflegenden stört oder aufregt (Teri et al. 1992) Quelle: Magai, Hartung & Cohen 1995 514 509 vgl. Vitaliano et al. 1991, 392 und Zarit, Reever & Bach-Peterson 1980 510 vgl. Winslow & Carter 1999, 276 511 vgl. Thompson & Doll 1982; zit. nach Poulshock & Deimling 1984, 230 512 vgl. Fatheringham et al. 1972; zit. nach Poulshock & Deimling 1984, 230 513 vgl. Robinson et al. 1983; Zarit et al. 1980; zit. nach Poulshock & Deimling 1984, 230 514 vgl. Magai, Hartung & Cohen 1995, 226 (Übersetzung Franke) 114 Einen Überblick über verschiedene Konzeptualisierungen und die Vielfalt der berücksichtigten Dimensionen von Belastung geben Magai, Hartung & Cohen515 in der oben stehenden Abbildung 9. Viele Autoren fordern eine Unterscheidung von subjektiver und objektiver Belastung. Montgomery, Gonyea & Hooyman516 beispielsweise ordnen den objektiven Belastungen das Ausmaß der Veränderungen im Lebensstil und in den Beziehungen und die aktuellen Anforderungen an Zeit und Ressourcen des Pflegenden zu. Zu den subjektiven Belastungen zählen sie die Einstellungen und emotionalen Reaktionen des Pflegenden auf die Pflegesituation. Thompson & Doll517 bezeichnen als objektiv belastend all das, was zu Veränderungen in den finanziellen Verhältnissen, Rollen, im Familienleben oder den Nachbarschaftsbeziehungen führt. Subjektive Belastungen beziehen sich auf Gefühle, z.B. sich überlastet, an etwas gehindert, gefangen oder aufgebracht zu fühlen. In eine ähnliche Richtung denken Poulshock & Deimling518, die zwischen den Begriffen „impact“ und „burden“ unterscheiden. „Impact“ beschreibt die relativ objektiven Veränderungen im Leben der Pflegenden, z.B. in den Bereichen Gesundheit, soziale Aktivitäten, Berufstätigkeit oder Familienbeziehungen. „Caregiving burden“ bezieht sich auf die subjektiven Erfahrungen, dass bestimmte Pflegeaufgaben als belastend erlebt werden. In dieser Sichtweise wird angenommen, dass subjektive und objektive Aspekte der Belastung unterschiedlich mit Variablen der Pflegenden und des Pflegebedürftigen zusammenhängen. Stephens & Kinney519 differenzieren die Auswirkungen der Pflege einerseits und die subjektiven und objektiven Quellen von Belastung andererseits. Sie dringen darauf, die Quellen von Stress und die Wahrnehmung von Stress zu unterscheiden. Die unterschiedlichen Konzeptualisierungen von Pflegebelastung haben zur Folge, dass die Ergebnisse verschiedener Studien schwer vergleichbar sind, und die Forschungslage trotz der inzwischen unüberschaubaren Fülle an Arbeiten zur Angehörigenbelastung in vielen Bereichen widersprüchlich bleibt520. 515 Magai, Hartung & Cohen 1995, 226 (Übersetzung: Franke) 516 vgl. Montgomery, Gonyea & Hooyman 1985 517 vgl. Thompson & Doll 1982 518 vgl. Poulshock & Deimling 1984 519 vgl. Stephens & Kenney 1989 520 vgl. Vitaliano, Young & Russo 1991 115 4.1.2 Stresstheoretisch orientierte Forschung Die stresstheoretisch orientierten Beiträge betrachten die häusliche Versorgung eines pflegebedürftigen Menschen als potenziell stressvolle Situation, die von den betroffenen Personen und Familien unterschiedlich beantwortet wird. Der Prozess der häuslichen Pflege wird erfasst, indem Stressoren und Stressfolgen sowie Ressourcen, Bewertungen, Kontext- und Hintergrundvariablen beschrieben werden. Dass verschiedene Pflegepersonen bei vergleichbaren Ausgangssituationen unterschiedliche Stressfolgen erleben, wird mediierenden oder moderierenden Faktoren zugeschrieben, welche die Beziehung zwischen Stressor und Stressfolgen beeinflussen. Die Mediationshypothese521 betrachtet eine beliebige Variable im Stressprozess beispielsweise die Qualität als Mediator. Die mediierende der Beziehung zwischen Variable, Pflegendem und Pflegebedürftigem, wird durch den Stressor, beispielsweise die Demenz, verändert und diese Veränderung beeinflusst in der Folge die Stresswirkungen, die der pflegende Angehörige erlebt. Die Moderationshypothese522 betrachtet eine beliebige Variable als Moderator im Stressprozess. Im Gegensatz zu einer mediierenden besitzt eine moderierende Variable ein aktives Potenzial; sie kann aktiv die Auswirkungen eines Stressors verändern. Im Beispiel: Eine gute Beziehungsqualität kann der Moderationshypothese zufolge die Wirkungen des Stressors „Demenz“ auf den pflegenden Angehörigen abmildern. Daneben gibt es als drittes hypothetisches Modell das Main-Effect-Model523, das eine beliebige Variable im Stressprozess als Haupteffekt ansieht. Das bedeutet, diese Variable hat immer dieselben Effekte, unabhängig von der Ausprägung der anderen Variablen. Im Beispiel: Wäre die Beziehungsqualität ein Haupteffekt im Stressprozess, dann hätte eine sehr gute Ehequalität stets dieselben positiven Auswirkungen auf das Befinden des pflegenden Angehörigen ganz unabhängig vom Schweregrad der Demenz und - konsequent zu Ende gedacht - auch unabhängig davon, ob der Partner überhaupt demenziell erkrankt ist oder nicht. Das Erkenntnisinteresse der Stressforschung richtet sich darauf, einerseits die verschiedenartigen Auswirkungen des Stressors, insbesondere die Belastungen der pflegenden Angehörigen zu inventarisieren, und andererseits das Zusammenspiel der beteiligten Variablen zu verstehen, um letztlich Prädiktoren 521 vgl. bei Lawrence, Tennstedt & Assmann 1998 522 vgl. bei Lawrence, Tennstedt & Assmann 1998 523 vgl. bei Pruchno & Resch 1989a 116 für bestimmte Auswirkungen identifizieren zu können bzw. Hinweise für hilfreiche Interventionen zu erhalten. In ihrem Literaturrückblick über theoretische Grundlagen und Messinstrumente in der Demenz-Angehörigen-Forschung ermittelten Kramer und Vitaliano524 drei stresstheoretisch orientierte Hauptansätze, auf die sich Forschungsarbeiten in diesem Bereich häufig stützen: (1) die kognitiv phänomenologische Theorie des psychosozialen Stresses von Lazarus und Kollegen525, (2) das Double-ABCXModell von McCubbin und Kollegen526, und (3) das speziell für die Pflege Demenzkranker entwickelte Prozessmodell des Alzheimer-Pflegestresses von Pearlin et al.527. Ein weiteres Modell, das sich auf die Demenz-EhegattenSituation bezieht, ist das Zwei-Faktoren-Modell von Lawton et al.528. 4.1.2.1 Die Stress-Coping-Theorie von Lazarus et al. Mit ihrer Theorie des psychosozialen Stresses versuchten Lazarus und Kollegen529 die Frage zu beantworten, warum manche Menschen schwierige Ereignisse gut bewältigen, während dies anderen in vergleichbaren Umständen nicht gelingt. Frühere Arbeiten zum Stress530 hatten sich entweder auf Stresszustände von Organismen („Response-Definitionen von Stress) oder auf die stresserzeugenden Bedingungen (Stimulus-Definitionen von Stress) konzentriert. Mit den Response-Modellen, die vor allem in der Biologie und Medizin entstanden sind, lassen sich Stressreaktionen gut erfassen, sie versagen aber, wenn man nach den Ursachen dieser Reaktionen fragt. Die StimulusModelle fokussieren die Ursachen. Sie betrachten bestimmte Arten von Situationen, z.B. Naturkatastrophen, kritische Lebensereignisse oder tägliche Widrigkeiten, als normativ stresserzeugend; sie geben aber keine Antworten auf die Frage nach individuellen Unterschieden in den Reaktionen auf derartige Ereignisse. Lazarus und Folkman kommen zu der Auffassung, dass weder die Art von Ereignissen, der Stimulus, noch die Art der Reaktion allein den Stress definierten, sondern die Beziehung von Stimulus und Reaktion: „In short, all 524 vgl. Kramer & Vitaliano 1994; ähnliches Ergebnis im Überblick von Farran 1997 525 vgl. Lazarus 1966; Lazarus & Launier 1981; Lazarus & DeLongis 1983; Lazarus & Folkman 1984 526 vgl. McCubbin & Thompson 1987; zit. nach Farran 1997 527 vgl. Pearlin et al. 1990 528 vgl. Lawton et al. 1991 529 530 vgl. Lazarus 1966; Lazarus & Launier 1981; Lazarus & DeLongis 1983; Lazarus & Folkman 1984, 1987; Lazarus 1991 Übersicht bei Lazarus & Folkman 1984, 117 stimulus-response approaches are circular and beg the crucial questions of what is about the stimulus that produces a particular stress response, and what is about the response that indicates a particular stressor. It is the observed stimulus-response relationship, not stimulus or response, that defines stress.”531 In ihrer Stressdefinition betonen sie die Beziehung von Person und Umwelt, indem sie für die Entstehung von Stress sowohl die Charakteristik der Person in Betracht ziehen als auch die Besonderheiten des potenziell stressenden Umweltereignisses. „Psychological stress, ..., is a relationship between the person and the environment that is appraised by the person as taxing or exceeding his or her resources and endangering his or her well-being.”532 Eine Schlüsselrolle für die Entstehung von Stress nimmt dabei die kognitive Bewertung (cognitive appraisal) des Ereignisses ein. Bewertungen ergeben sich aus der Beurteilung der Bedeutung eines Geschehens für das Wohlbefinden einer Person. Die Autoren unterscheiden drei Formen von Bewertung, die primäre, die sekundäre und die Neubewertung (primary appraisal, secondary appraisal, reappraisal). In der primären Bewertung beurteilt das Individuum die Qualität eines Ereignisses entweder als irrelevant für das eigene Wohlbefinden, als günstig/positiv oder als stressend. Stressende Ereignisse treten in drei Formen auf: als Herausforderung, als Bedrohung oder als Schädigung/Verlust. In einer sekundären Bewertung beurteilt die Person das zur Verfügung stehende Bewältigungsvermögen in Relation zum stressenden Ereignis. Dafür werden der erwartete Ausgang möglicher Bewältigungsversuche (outcome expectancy533) und der erwartete Erfolg (efficacy expectation534) gedanklich antizipiert. Primäre und sekundäre Bewertungen finden als Prozess im Austausch mit der Umwelt statt, wobei neue Informationen aus der Umwelt in neue Bewertungen (reappraisal) eingehen. Die Bewertungsprozesse müssen nicht unbedingt bewusst ablaufen. Die Bewertungen werden von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Dies sind einerseits Faktoren, die in der Person liegen, wie Überzeugungen (beliefs) oder Wertvorstellungen und Verpflichtungen (commitments). Andererseits beeinflussen auch Merkmale des potenziell stressenden Ereignisses die Bewertung. Solche Faktoren sind das Ausmaß an Neuartigkeit einer Situation, die Vorhersagbarkeit, der Grad an Sicherheit bzw. Unsicherheit und der Grad der Ambiguität. Dazu kommen zeitliche Faktoren: die 531 Lazarus & Folkman 1984, 15 (Hervorhebung: Lazarus & Folkman) 532 Lazarus & Folkman 1984, 21 533 Bandura 1977a, 1982; zit. nach Lazarus & Folkman 1984, 35 534 Bandura 1977a, 1982; zit. nach bei Lazarus & Folkman 1984, 35 118 verbleibende Zeitspanne bis zum Eintritt des Ereignisses, die Dauer und die Absehbarkeit der Dauer eines Ereignisses sowie auch der Zeitpunkt des Auftretens innerhalb des Lebenszyklusses und die zeitliche Nähe zu anderen Ereignissen. Ereignisse, die an untypischer Stelle im Lebenslauf (time-off) auftreten, werden als potenziell stressender angesehen, weil sie unerwartet sind und den Betroffenen von der Unterstützung Gleichaltriger abschneiden. Vulnerabilität entsteht, wenn die Relation zwischen den Ressourcen und den Verpflichtungen bzw. dem, was einem Individuum wichtig ist (commitments), nicht stimmt. „In short, psychological vulnerability is determined not just by a deficit in resources, but by the relationship between the individual’s pattern of commitments and his or her resources for warding off threats to those commitments.“535 Die Bewältigungsreaktion des Individuums, das Coping bezeichnet die „constantly changing cognitive and behaviorial efforts to manage specific external and/or internal demands that are appraised as taxing or exceeding the resources of the person”536. Coping ist demnach ein Prozess und ergebnisoffen. Es ist nicht mit Bewältigung (mastery) gleichzusetzen; es handelt sich vielmehr um Bewältigungsversuche (efforts); auch erfolglose Bemühungen werden als Coping bezeichnet. Coping kann vieles sein: eine stressvolle Situation minimieren, vermeiden, tolerieren, akzeptieren oder überwinden537. Lazarus und Kollegen unterscheiden zwei übergreifende Funktionen von Coping: (a) Problem-fokussiertes Coping bedeutet Versuche, das den Stress verursachende Problem zu handhaben oder zu verändern. Hierunter fallen typische Problemlösungsstrategien wie Problemdefinition, Suche nach Lösungsmöglichkeiten, Abwägen der Vor- und Nachteile von verschiedenen Lösungen, Entscheidungsfindung, Durchführung. unterscheiden in Anlehnung an Kahn et al. 538 Lazarus und Folkman zwischen zwei Hauptgruppen problemorientierter Strategien: erstens Bemühungen, die auf die Umgebung gerichtet sind, wie Veränderung des Umgebungsdrucks, der Barrieren, der Ressourcen, der Vorgehensweisen usw. und zweitens Bemühungen, die sich auf das Selbst richten, auf motivationale oder kognitive Veränderungen. Hierunter fallen Strategien, das eigene Anspruchsniveau zu verändern, die Ego- 535 Lazarus & Folkman 1984, 51 (Hervorhebung: Lazarus & Folkman) 536 Lazarus & Folkman 1984, 141 537 vgl. Pruchno & Resch 1989a 538 vgl. Lazarus & Folkman 1984, 152f. 119 Involviertheit zu reduzieren, alternative Quellen der Gratifikation zu finden, neue Verhaltensstandards zu entwickeln oder neue Fähigkeiten und Vorgehensweisen zu erlernen. Lazarus und Folkman nennen diese nach innen gerichteten Strategien problem-fokussierte kognitive Neubewertungen („cognitive reappraisals that are problem-focused“539). (b) Unter emotions-fokussiertem Coping verstehen sie Bemühungen, die emotionale Reaktion auf eine problematische Situation zu regulieren. Hierzu können unterschiedliche Strategien dienen, die den emotionalen Distress minimieren sollen, wie Vermeidung, Minimieren, Distanzieren, selektive Wahrnehmung, Gefühlsausbrüche, Wunschdenken oder Versuche, negativen Ereignissen etwas Positives abzuringen. Aber auch Strategien, die den Distress vorübergehend erhöhen, wie Selbstvorwürfe und Selbstbestrafung, gehören zum emotions-fokussierten Coping, und schließlich auch kognitive Manöver, welche die Bedeutung einer Situation verändern sollen, etwa Gedanken wie „Es könnte noch schlimmer sein.“ Emotions-fokussierte Formen des Coping können, müssen aber nicht Selbstbetrug und Realitätsverdrehung sein. Die Autoren sehen ein Kontinuum mit den Polen Illusion auf dem einen und schwerwiegenden Realitätsverdrehungen auf dem anderen Ende. Eine scharfe Trennlinie zwischen gesunden und pathologischen Mustern ist ihrer Auffassung nach nicht zu finden, und eine Bewertung kann - wenn überhaupt – nur unter Berücksichtigung des Kontextes und der kurz- und langfristigen Kosten und Nutzen erfolgen. Emotions-fokussiertes Coping tritt im Allgemeinen eher dann auf, wenn ein stressendes Ereignis als außerhalb der eigenen Kontrolle liegend eingeschätzt wird. Problemfokussierte Formen des Coping sind dagegen wahrscheinlicher in Situationen, die als grundsätzlich veränderbar angesehen werden. Neben den problem- bzw. emotions-fokussierten Strategien haben andere Autoren noch weitere Coping-Strategien bedacht: spirituelles Coping, z.B. beten oder mit dem Priester sprechen540, und beziehungs-fokussierte Strategien, welche die Beziehung verbessern, etwa Empathie, Verhandeln, Kompromisssuche, oder verschlechtern, wie Kritizismus, Ignorieren oder Konfrontieren541. 539 Lazarus & Folkman 1984, 153 540 vgl. Quayhagen & Quayhagen 1988 541 vgl. DeLongis & O’Brien 1990; Kramer 1993b; beide zit. nach Kramer & Vitaliano 1994, 167f. 120 Auf das Stress-Coping-Modell von Lazarus und Kollegen ist in vielen Studien zur Angehörigenbelastung zurückgegriffen worden542. So beziehen sich auch sehr viele Arbeiten zur Situation der Ehegatten Demenzkranker darauf. Chiverton & Caine543 beispielsweise untersuchten, inwieweit eine Bildungsmaßnahme für Ehegatten deren Coping-Fähigkeiten verbessern konnte. Gallant & Connell544 konzipierten das Gesundheitsverhalten von pflegenden Ehegatten als Mediator zwischen Stress und Stressfolgen. Hooker et al.545 untersuchten an Ehegatten Demenzkranker den Einfluss der Persönlichkeit auf die Bewertungen innerhalb des Stressprozesses. Kramer546 verglich Ehemänner, die ihre demente Frau im Heim untergebracht hatten, mit solchen, die weiter zu Hause pflegten. Lewis et al.547 erhoben mit einer Grounded-Theory-Studie Entscheidungssituationen von pflegenden Ehefrauen. typische Lutzky & Knight548 untersuchten im Rahmen der Stresstheorie geschlechtsspezifische Unterschiede beim Stress pflegender Demenz-Ehegatten. O’Rourke und Cappeliez549 forschten an Ehegatten von demenz-verdächtigen Personen, um die Frage der Entstehung negativer Stressfolgen infolge inadäquater Coping-Strategien zu klären. Pruchno und Resch550 schließlich nutzten ein Ehegattensample zur Erforschung der Rolle des Coping im Stressprozess. 4.1.2.2 Das Zwei-Faktoren-Modell von Lawton et al. Das Zwei-Faktoren-Modell von Lawton et al.551 ist ein Stressmodell speziell für die Demenz-Angehörigen-Situation, das auf der Basis der Stresstheorie von Lazarus et al. und der Two-Factor Theory of Happiness von Bradburn552 entwickelt wurde. Letztere betrachtet positiven und negativen Affekt als separate Aspekte, die beide notwendig sind für das Verständnis des psychischen Wohlbefindens. Im Rahmen dieser Arbeit ist das Modell bedeutsam, weil die Autoren es eigens mit einem Subsample pflegender Ehegatten überprüft haben. Das für die Ehegatten gefundene Modell enthält folgende Bedingungsgrößen: Als 542 vgl. Überblick bei Vitaliano et al. 1991 543 vgl. Chiverton & Caine 1989 544 vgl. Gallant & Connell 1997, 1998, 2003 545 vgl. Hooker et al. 1992, 1998 546 vgl. Kramer 2000 547 vgl. Lewis et al. 2000 548 vgl. Lutzky & Knight 1994 549 vgl. O’Rourke & Cappeliez 2002 550 vgl. Pruchno & Resch 1989a 551 vgl. Lawton et al. 1991 552 vgl. Bradburn 1969; zit. nach Lawton et al. 1991, P182 121 objektive Stressoren bezeichnen die Autoren die Symptome des Patienten und das Ausmaß der vom Ehegatten geleisteten Hilfe. Ressourcen sind in diesem Modell die Gesundheit des Pflegenden und die von Dritten erhaltene Unterstützung. Stressfolgen werden in zwei Richtungen unterschieden, in einerseits positiven Affekt und andererseits Depression. Der zentrale Mediator zwischen Stressoren und Stressfolgen ist die Bewertung der Situation, die das Individuum vornimmt. Lawton et al. unterscheiden bei der Bewertung zwei Hauptrichtungen: Zufriedenheit (caregiving satisfaction) oder Belastung (caregiving burden), die sie auch als subjektive Stressoren bezeichnen. „Caregiving satisfaction“ repräsentiert subjektiv erlebte Gewinne aus angenehmen Aspekten oder aus positiven affektiven Erträgen der Pflege. „Caregiving burden“ bezeichnet die Wahrnehmung von psychischem Distress, Angst, Depression, Demoralisation und generellem Verlust persönlicher Freiheit. Die Autoren beschreiben in ihrem Modell zwei Parallelprozesse „in which two types of appraisal differentially affect two types of psychological well-being in ways that are congruent with their valence; satisfactions lead to positive affect and burdens to negative affect.”553 Abbildung 10: Bestimmungsgrößen des Zwei-Faktoren-Modells der Pflegebewertung und des psychischen Wohlbefindens Demenzkranker von Lawton et al. 1991 Symptome des Patienten Obj. Stressoren Geleistete Pflege Zufriedenheit Positiver Affekt Belastung Depression Ressourcen Gesundheit des Pflegenden Erhaltene Unterstützung 553 Lawton et al 1991, P182 Stressfolgen Bewertung / subj. Stressoren für Ehegatten 122 Bei den untersuchten Ehegatten wurde das Modell in seinen zentralen Annahmen bestätigt. Zufriedenheit in der Pflege korrelierte, wie angenommen, mit positivem Affekt und Belastung mit Depression. Die Schwere der Patientensymptome hatte einen Bezug zum Ausmaß der geleisteten Pflege und zur subjektiv bewerteten Belastung, aber nicht zur wahrgenommenen Zufriedenheit oder einer der beiden Stressfolgen. Schlechte Gesundheit des pflegenden Gatten korrelierte mit größerer Belastung, weniger positivem Affekt und mehr Depression. Das Ausmaß der von Dritten erhaltenen Hilfen stieg in dem Maße, wie auch der Ehegatte mehr Pflege leisten musste. Diese soziale Unterstützung trug aber weder zur Zufriedenheit noch zur Belastung bei. Die Pflege, die der gesunde Ehegatte leistete, hatte keine Korrelation zur Zufriedenheit, aber zur Belastung. Zusammenfassend sagen die Ergebnisse aus, dass bei den Ehegatten Zufriedenheit keinen Bezug zu Aspekten der objektiven Stressoren hatte, aber ein signifikanter Determinant für positiven Affekt war. Die Autoren betrachten dies als Beleg für die sozial-normative Struktur der Ehegattenpflege, in der Pflege als Teil der Eheverpflichtung angesehen werde. Die Zufriedenheit mit der Pflege scheint durch Faktoren bedingt zu sein, die nicht in dem Modell enthalten sind. Die Autoren spekulieren, dass die Qualität der Beziehung einer dieser Faktoren sein könnte. Beachtenswert ist, dass die Schwere der Patientensymptome eine vorhandene Zufriedenheit des gesunden Gatten mit der Pflegesituation nicht erodieren konnte. Der negative Prozess erwies sich als relativ unabhängig von dem positiven. Objektive Pflegeaufgaben erhöhten die subjektiv wahrgenommene Belastung, die wiederum die Depression steigerte, erodierten jedoch nicht positive Seiten des Wohlbefindens. 4.1.2.3 Das Double-ABCX-Modell von McCubbin et al. Das Double-ABCX-Modell von McCubbin und Kollegen554 beschäftigt sich damit, wie Familien Stress bewältigen. Es geht auf das ABCX-Modell zurück, das 1949 von Hill555 entwickelt worden ist. Danach resultiert eine Familienkrise (Faktor X) aus der Interaktion von Stressoren (Faktor A), Ressourcen der Einzelnen und der ganzen Familie (Faktor B) und den subjektiven Bewertungen des jeweiligen 554 555 vgl. McCubbin & Patterson 1983; vgl. Kurzdarstellung bei Rankin, Haut & Keefover 1992 vgl. Hill 1949, zit. nach Pruchno, Michaels & Potashnik 1990, S259; und Hill 1958; zit. nach Rankin, Haut & Keefover 1992, 814 123 Ereignisses (Faktor C). McCubbin und Patterson556 modifizierten dieses Modell, indem sie eine Entwicklungsperspektive einbezogen. Sie betrachten die Familie als ein epigenetisches Gebilde, d.h. als einen Organismus, der sich durch aufeinander folgende Neubildungen entwickelt. In ihrem Modell gibt es eine Feedback-Schleife zwischen der Angemessenheit der familiären Neuorganisation nach einem Krisenbewältigungsversuch und später folgenden Stressoren in der Weise, dass Schwierigkeiten bei der Bewältigung auf einer Stufe der Entwicklung die Aufschichtung von Stressoren im Laufe der Zeit bewirken (Faktor Aa). Hierdurch werden die zukünftigen Ressourcen der Familie angegriffen (Faktor Bb), die Wahrnehmungen und Bewertungen wiederum beeinflusst (Faktor Cc), was schließlich Effekte auf das Ausmaß aller folgenden Krisen hat (Faktor Xx). Auf die Situation der Ehegatten Demenzkranker hat beispielsweise Kramer557 dieses Modell angewendet. Sie hat die frühere Ehegeschichte und die Qualität der Beziehung vor dem Auftreten der Demenz als Vulnerabilität im Sinne des Double-ABCX-Modells konzeptualisiert: Ungelöste Eheprobleme tragen danach zur Aufschichtung von Stressoren bei und erschweren die Bewältigung der Pflege. Majerovitz558 kombinierte das ABCX-Modell von Hill mit theoretischen Beiträgen aus der systemischen Familientheorie und untersuchte an Ehegatten Demenzkranker die Rolle der Adaptabilität für die Entstehung von Belastungen und Depression als Stressfolgen. Pruchno, Michaels & Potashnik559 entwickelten auf der Grundlage der Familienstresstheorie560 ein theoretisches Modell zur Vorhersage der Heimunterbringung von Demenzkranken, die von Ehegatten gepflegt werden. 4.1.2.4 Das Alzheimer-Pflegestress-Modell von Pearlin et al. Das Modell des Alzheimer-Pflegestresses von Pearlin et al.561 hat als Vorläufer eine allgemeine, soziologisch orientierte Arbeit über Coping von Pearlin & Schooler562. Als Coping bezeichnen die Autoren dort Verhaltensweisen, die Menschen davor schützen, durch problematische soziale Erfahrungen psychisch 556 vgl. McCubbin & Patterson 1983 557 vgl. Kramer 1993a 558 vgl. Majerovitz 1995 559 vgl. Pruchno, Michaels & Potashnik 1990 560 Sie beziehen sich auf Hill 1949 und McCubbin & Patterson 1982. 561 vgl. Pearlin et al. 1990 562 vgl. Pearlin & Schooler 1978 124 beeinträchtigt zu werden. Eine solche Verhaltensweise „importantly mediates the impact that society have on their members”563. Coping wird definiert als „any response to external life strains that serves to prevent, avoid, or control emotional stress”564. Es hat unterschiedliche Funktionen, nämlich die stressenden Bedingungen zu verändern oder zu eliminieren, die Bedeutung der Stresserfahrung zu kontrollieren, so dass ihr problematischer Charakter neutralisiert wird, oder die emotionalen Konsequenzen von Stresserfahrungen innerhalb erträglicher Grenzen zu halten. Die bestimmenden Faktoren sind in diesem Modell die sozialen Ressourcen und die Charakteristik des Individuums (z.B. self-esteem, self-denigration, mastery) sowie die Natur der Stresssituation. 1990 publizierten Pearlin, Mullan, Semple und Skaff ein spezielles Stressmodell für die häusliche Pflege Demenzkranker, das sie aus Interviewdaten von 555 pflegenden Angehörigen entwickelt hatten. Das Modell betont den Prozesscharakter von Stress und Coping in der Pflege und die Bedeutung der subjektiven Bewertung. Es enthält folgende Bedingungsgrößen: (a) Hintergrundund Kontextvariablen sind der sozioökonomische Status des Pflegenden, die Geschichte der Pflege, die Familie, Netzwerkkomposition und Erreichbarkeit von formalen Hilfen. (b) Als primäre Stressoren werden Faktoren angesehen, die direkt in der Pflegesituation liegen. Es können sowohl objektive Faktoren (z.B. der kognitive Status, Beeinträchtigungen des Problemverhaltensweisen, Patienten) als auch ADL- und subjektive IADL Faktoren Überlastung, Beziehungsdeprivation) sein. (c) Sekundäre Stressoren – (z.B. sind in diesem Modell stressvolle Erfahrungen, die durch die primären Stressoren ausgelöst werden. Familienkonflikten, Sekundäre Rollenbelastungen Job-Pflege-Konflikten, ökonomischen entstehen aus Problemen und Einschränkungen des sozialen Lebens. Sekundäre innerpsychische Belastungen sind in dem Modell global verbunden mit Selbstwertgefühl und „mastery“, situational mit Identitätsproblemen (loss of self), Rollengefangenschaft, Kompetenz und Gewinnen. Als Stressfolgen werden Depression, Angst, Reizbarkeit, kognitive Störungen, physische Gesundheit und Gewinn aus der Rolle genannt. Mediatoren zwischen Stressoren und Stressfolgen sind einerseits das Coping mit seinen verschiedenen oben beschriebenen Funktionen und andererseits die soziale Unterstützung, die der Pflegende erhält. 563 vgl. Pearlin & Schooler 1978, 2 564 vgl. Pearlin & Schooler 1978, 3 125 Dieses Modell ist in Forschungsarbeiten an Ehegatten Demenzkranker vielfach zugrunde gelegt worden. Beeson565 beispielsweise untersuchte auf dieser theoretischen Grundlage die Rolle von Einsamkeit in der Entstehung von Depression bei pflegenden Ehegatten Demenzkranker. Hooker, Frazier & Monahan566 schlagen aufgrund ihrer Ergebnisse eine Erweiterung des Modells um den Faktor „Persönlichkeit“ als persönliche Ressource im Bereich der Hintergrundvariablen vor. Robinson-Whelen & Kiecolt-Glaser567 beziehen sich auf das Modell, um die Beziehung von Freiwilligkeit bei der Pflegeübernahme und Distress bei Ehegatten zu untersuchen. Schneider et al.568 nutzen das Modell für einen Europavergleich unter pflegenden Ehegatten von AlzheimerPatienten. Zusammenfassend: Wilz569 hat für die Erfassung des Pflegebelastungsprozesses bei Demenz die Modelle von Lazarus und Pearlin zusammengefasst. Die veranschaulicht die wesentlichen Bedingungsgrößen. Abbildung 11: Modell des Pflegebelastungsprozesses nach Wilz 2002 Modell des Pflegebelastungsprozesses nach Wilz 2002 in Anlehnung an die Modelle von Lazarus 1991, Pearlin et al. 1990 Umweltvariablen Stresserleben Chronischer Stress- Stressor reaktion Bewertung des Stressfolgen Stressors Personvariablen Quelle: Wilz 2002, 45 565 566 vgl. Beeson 2000, 2003 vgl. Hooker, Frazier & Monahan 1994 567 vgl. Robinson-Whelen & Kiecolt-Glaser 1997 568 Schneider et al. 1999 569 Wilz 2002, 45 Neubewertung Abbildung 126 Die Stärken der stresstheoretisch orientierten Arbeiten, resumiert Farran570, liegen erstens in ihrer „empirical philosophy of science“571, deren Grundannahmen auf die Pflegeforschung angewandt bedeuteten, dass alle Teile des Pflegeprozesses operationalisiert werden könnten, das Ganze durch die korrespondierenden Teile repräsentiert werde, und kausale Beziehungen zwischen Stressoren, Ressourcen, Bewertungen und Auswirkungen hergestellt werden könnten. Ein weiterer Vorzug liege in der umfassenden Erprobung der Operationalisierungen in der vielfältigen Forschung der vergangenen Jahre572. Die Grenzen des Stress-Adaptions-Paradigmas zeigten sich daran, dass es aus dieser Perspektive schwer falle, neben dem Distress auch die möglichen positiven Auswirkungen der häuslichen Pflege und die Gewinne der Pflegenden in den Blick zu bekommen573. 4.2 Auswirkungen des Pflegestresses In diesem Kapitel geht es zunächst um das, was Poulshock & Deimling574 als „impact“ des Pflegestresses bezeichnen, also um die relativ objektiven Veränderungen im Leben der pflegenden Angehörigen in den Bereichen Gesundheit (Kapitel 4.2.1), soziale Integration und Berufstätigkeit (Kapitel 4.2.2). Im dritten Abschnitt werden Befunde zum subjektiven Belastungserleben, „burden“ in der Sprache von Poulshock & Deimling, vorgestellt (Kapitel 4.2.3). 4.2.1 Gesundheit 4.2.1.1 Seelische Gesundheit In ihrer Metaanalyse der Literatur, die im Zeitraum 1990 bis 1995 zu psychiatrischen und physischen Morbiditätseffekten bei pflegenden Angehörigen Demenzkranker publiziert worden ist, kommen Schulz et al.575 zu dem Ergebnis, dass bei den psychischen Störungen hauptsächlich Depressionen und 570 vgl. Farran 1997 571 Farran 1997, 251 572 vgl. Farran 1997 573 vgl. Farran 1997 574 vgl. Poulshock & Deimling 1984 575 vgl. Schulz et al. 1995 127 Angststörungen untersucht worden sind. Ausnahmslos alle überprüften Studien berichten von erhöhter depressiver Symptomatik, und die Studien, die nicht mit „self-report measures“, sondern mit klinischen Diagnoseinstrumenten gearbeitet haben, finden hohe Raten klinisch relevanter, behandlungsbedürftiger Depression und Angst bei den Angehörigen. Auch der Konsum von psychotropen Medikamenten ist im Vergleich zu Nicht-Pflegenden erhöht. Das Vorkommen von seelischen Gesundheitsstörungen bei den Ehegatten Demenzkranker entspricht den oben referierten allgemeinen Befunden zu pflegenden Angehörigen. Grundsätzlich stehen Morbiditätsvergleiche zwischen Pflegenden und Normalpopulation vor der Schwierigkeit, dass die meisten Studien nicht mit repräsentativen Samples gearbeitet haben, sondern Convenience-Samples aus Personen rekrutiert haben, die in irgendeiner Weise bereits Kontakt zum Gesundheits- oder Sozialwesen gehabt und dadurch bereits einen gewissen Belastungsgrad dokumentiert hatten. Durch diese Sample-Auswahl entsteht ein Bias hin zum distressten Ende des Kontinuums möglicher Stressauswirkungen bei pflegenden Angehörigen. Die wenigen repräsentativen Studien berichten tatsächlich ein geringeres Maß an Gesundheitsproblemen, doch immer noch eine erhöhte Morbidität im Vergleich zur Normalbevölkerung oder im Vergleich zu Kontrollgruppen. Deshalb könne man schlussfolgern, so Schulz et al., dass die Prävalenz psychiatrischer Störungen bei pflegenden Angehörigen eindeutig höher ist als bei der Normalbevölkerung, doch sei es unklar, um wie viel höher. Schulz et al.576 fanden in der Literatur zwei Variablen, die konsistent mit Depression korrelierten, und zwar den sozioökonomischen Status und das Merkmal „Ehepartner“. In 7 von 5 Studien erscheinen die Ehegatten dementer Patienten mehr von Depression betroffen als andere pflegende Angehörige. Beispielhaft fand die Studie von Baumgarten et al.577 als Korrelate für Depression folgende Merkmale: Ehegatte des Dementen, weiblich, alt und selbst chronisch krank sowie die Notwendigkeit der Bewältigung stressvoller Lebensereignisse. Weitere häufig gefundene Korrelate von Depression bei pflegenden Angehörigen sind Stress, Lebenszufriedenheit, Selbstwertschätzung/mastery, Identitätsverlust/boundary Neurotizismus und Optimismus, ambiguity, außerdem Verhaltensprobleme des Patienten und subjektiv eingeschätzte Belastung578. 576 vgl. Schulz et al. 1995 577 vgl. Baumgarten et al. 1992; zit. bei Schulz et al. 1995, 773 578 vgl. Schulz et al. 1995 128 Ein Hintergrund für das hohe Vorkommen von Depressionen unter pflegenden Angehörigen wird in der Natur der Demenzpflege als wenig kontrollierbarer, wenig regulierbarer und hochbelastender Situation gesehen579. Die Erwartungen und Versuche der Angehörigen, die Symptomatik positiv beeinflussen zu können, werden im Verlauf der Krankheit immer wieder enttäuscht. Die Entstehung von Depressionen kann nach dem Modell der gelernten Hilflosigkeit von Seligman580 als Folge des erlebten Verlustes an Kontrolle in einer persönlich bedeutsamen Situation erklärt werden581. Eine andere Auffassung entwickeln O’Rourke und Kollegen, die kognitive Muster des Angehörigen verantwortlich machen, welche unabhängig von der konkreten Pflegesituation existieren. Sie beziehen sich dabei auf die Hopelessness Theory of Depression von Abramson582, ein Diathesis-Modell, das bei prädisponierten Personen einen bestimmten Subtyp von Depression beschreibt. Einmal aktiviert durch negative Lebensereignisse führt ein kognitives Muster der prädisponierten Personen zu einer generalisierten Wahrnehmung von Hoffnungslosigkeit und folgend zu depressiven Symptomen583. O’Rourke und Kollegen betrachten die subjektive Belastung der pflegenden Angehörigen als spezifische Manifestation dieser Hopelessness-Depression. Ähnlich wie in Becks Hypothese über die Beziehung von Hoffnungslosigkeit und Suizidalität584 beschrieben, komme es zu einer Einengung der Wahrnehmung von Optionen. Belastung der pflegenden Angehörigen trete als Resultat von hoffnungslosem Denken in einem eingeengten kognitiven Set auf. Hoffnungslosigkeit begrenze die Suche nach effektiven Coping-Strategien und führe schließlich zur Resignation der Pflegenden, die sich in ihre Rollenanforderungen fügten, ohne noch zu versuchen, sie effektiv zu bewältigen. Auch Verbesserungsvorschläge und Hilfeangebote würden dann aus einem Gefühl überwältigender Hoffnungslosigkeit heraus abgelehnt. Es bleibe bei den Betroffenen die Einschätzung, in der Rolle gefangen zu sein. Ein weiteres Contagion“ Erklärungsmodell ist die Theorie des „Phenomenon of 585 , die eine Neigung von Individuen annimmt, die Stimmung einer in ihrer Nähe befindlichen Person zu adaptieren. Da 579 vgl. Wilz 2002 580 vgl. Seligman 1975; zit. nach Wilz 2002, 32 581 vgl. Pagel et al. 1985; Cohen & Eisdorfer 1988; zit. nach Wilz 2002, 32 582 vgl. Abramson et al. 1989; zit. nach O’Rourke et al. 1996, 593 583 vgl. Alloy, Abramson et al. 1988; zit. nach O’Rourke et al. 1996, 593 584 vgl. Beck & Weishaar 1989; zit. nach O’Rourke et al. 1996, 593 585 vgl. Bookwala & Schulz 1996; zit. nach Wilz 2002, 33 viele Demenzkranke 129 dysphorisch sind586, kann sich diese Stimmung auf die Angehörigen übertragen. Bei Ehegatten wird der Verlust der emotionalen Beziehung zum erkrankten Ehepartner aufgrund von dessen kognitivem Abbau als Ursache von Depression und Einsamkeit gesehen587. Eine der wenigen international publizierten deutschen Studien in diesem Bereich ging der Frage nach, ob die Prävalenzen psychischer Störungen bei Ehegatten dementer und depressiver alter Patienten möglicherweise gar nichts mit der Pflegesituation zu tun haben, sondern mit anderen Faktoren, wie etwa dem Phänomen des „assortative mating“588 oder der langjährigen Exposition in einem gemeinsamen pathogenetischen Umfeld. Im Gegensatz zur Hypothese wurden aber keine erhöhten Lifetime-Prävalenzen psychischer Störungen bei den pflegenden Ehegatten gefunden589 . Eine amerikanische Studie590 dagegen, die ein Diathese-Stress-Modell591 an einem Demenz-Ehegatten-Sample prüfte, entdeckte bei Pflegenden mit psychiatrischer Vorgeschichte mehr psychische Störungen nach Übernahme der Pflege als bei Pflegenden ohne solche Vorgeschichte. Im Vergleich mit einer Kontrollgruppe aus nicht-pflegenden Probanden mit psychiatrischer Vorgeschichte zeigten die vorbelasteten Demenz-Ehegatten häufiger eine psychische Störung nach Beginn der Pflegetätigkeit als die Kontrollprobanden im selben Zeitraum. Damit konnte das Diathese-Stress-Modell bestätigt werden. 4.2.1.2 Geistige Gesundheit Eine Studie befasst sich mit der geistigen Gesundheit pflegender Ehegatten Demenzkranker592. Beim Vergleich des kognitiven Status pflegender Ehegatten mit einer Kontrollgruppe schnitten die Pflegenden in den Bereichen komplexer Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit schlechter ab als die Kontrollprobanden. Diese Ergebnisse werden interpretiert im Kontext von Befunden zum altersabhängigen Anstieg der Prävalenz kognitiver Störungen und 586 vgl. Cummings 1989; zit. nach Wilz 2002, 33 587 vgl. Beeson 2003; Murray, Mantela & Shuttleworth 1997 588 Partner mit ähnlichen Merkmalen ziehen sich an. Hier: Es finden Partner zueinander, die ähnlich vulnerabel für psychische Störungen sind. 589 vgl. Ptok, Papassotiropoulos & Heun 2001 590 vgl. Russo et al. 1995 591 592 vgl. Monroe & Simons 1991, zit. nach Russo et al. 1995, 197. Es nimmt an, dass psychische Störungen als Resultat von additiven oder multiplikativen Effekten der Diathese (Vulnerabilität oder Prädisposition) und Stresserfahrungen auftreten. vgl. Caswell et al. 2003 130 Befunden der Stresstheorie, denen zufolge Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Konzentration bei chronischem Stress beeinträchtigt werden können593. 4.2.1.3 Körperliche Gesundheit Weniger eindeutig und insgesamt schwächer als bei den psychischen Störungen sind nach dem gegenwärtigen Forschungsstand die Zusammenhänge zwischen häuslicher Demenzpflege und körperlicher Krankheit594. Pflegende Angehörige schätzten ihre Gesundheit zwar durchgehend schlechter ein als Kontrollgruppen, dennoch sind die Beweise nicht konsistent, wenn Faktoren wie Zahl der Krankheiten, Symptomatik, Nutzung von Gesundheitsdiensten u.ä. untersucht werden595. Zu beachten ist bei den körperlichen Folgen der Demenzpflege, dass sie oft schwer aufzudecken sind, weil sie zum Teil verzögert erst dann auftreten, wenn die Pflegesituation unter Umständen bereits seit langem beendet ist596. Zusammenhänge zwischen körperlichen und seelischen Störungen zeigen sich in vielen Studien besonders in Bezug auf Depression und Angst597. Bei Ehegatten Demenzkranker können sie sich zum Beispiel in Depressionen äußern, die auf eine körperliche Krankheit folgen598, oder in der Zunahme schädlicher Gesundheitsverhaltensweisen im Zusammenhang von Depressionen oder schwach ausgeprägten subjektiven Kontrollüberzeugungen599. Insgesamt sind aber wenige Variablen konsistent als Prädiktoren für Verschlechterungen der körperlichen Gesundheit identifiziert worden. Dies sind geringe finanzielle Ressourcen, hoher psychischer Distress, wenig soziale Unterstützung und ein hoher Ausprägungsgrad der kognitiven Demenzsymptomatik600. Verschiedene Mechanismen, wie die häusliche Pflege die Gesundheit des pflegenden Angehörigen beeinträchtigen kann, sind denkbar601: (a) Die tägliche Unterstützung bei alltäglichen Aktivitäten führt zu körperlicher Erschöpfung, die wiederum andere Beschwerden auslöst. (b) Aus Zeitmangel vernachlässigen die 593 vgl. Übersicht bei Caswell et al. 2003, 311 594 vgl. Schulz et al. 1995 595 vgl. Schulz et al. 1995 596 vgl. Schulz, Visitainer & Williamson 1990 597 vgl. Überblick bei Schulz et al. 1995 598 vgl. Pruchno et al. 1990 599 vgl. Gallant & Connell 1998 600 vgl. Schulz et al. 1995 601 vgl. Übersicht bei Shaw et al. 1997; Gallant & Connell 1998 131 Pflegenden ihre eigene Gesundheitsvorsorge und gesundheitsförderndes Verhalten. (c) Der psychische Stress führt zu Depressionen und in der Folge zur Vernachlässigung der Gesundheit oder auch zu weiteren Gesundheitsfolgen wie erhöhter Infektanfälligkeit. (d) Der chronische Stress kann über Veränderungen der Erregung des sympathischen Nervensystems und der kardiovaskulären Reaktivität zur Genese verschiedener Körperkrankheiten wie Bluthochdruck oder Herz-Kreislaufkrankheiten führen. (e) Bei Ehegatten Demenzkranker tritt ein spezifischer Mechanismus hinzu. Die Pflege der eigenen Gesundheit und gesundheitsdienliche Verhaltensweisen unterliegen der sozialen Kontrolle602. Im Verlauf der Demenz entfällt diese Kontrolle durch den erkrankten Partner, und das Gesundheitsverhalten des pflegenden Partners kann sich auch aus diesem Grund verschlechtern603. Daneben Gesundheitsverschlechterungen Erholungsmöglichkeiten, der werden als pflegenden Schlafstörungen im Hintergründe Ehegatten von ungenügende Zusammenhang mit den veränderten Schlafmustern vieler Demenzkranker, aber auch als Folge seelischer Belastungen der pflegenden Angehörigen selbst, sowie 604 unzureichende körperliche Bewegung aus Zeitmangel diskutiert . Körperliche Folgen der Pflege sind besonders gern an Demenz-EhegattenSamples worden605. untersucht beispielsweise ist ihrem Die Interesse Forschungsgruppe an um Zusammenhängen Vitaliano zwischen psychosozialem Stress und körperlicher Erkrankung nachgegangen, indem Fragestellungen bevorzugt an Demenz-Ehegatten-Samples untersucht wurden. Daraus sind unter anderem Ergebnisse über Plasma-Lipide606, cardiovaskuläre Reaktivität607, koronare Herzkrankheit608, Gewichtsveränderungen609, zytotoxische Mechanismen610 oder Glukosewerte611 hervorgegangen. Andere Gruppen interessierte der Zusammenhang von chronischem Stress und Bluthochdruck612 oder Immunfunktionen613. 602 vgl. Rook, Thura & Lewis 1990, zit. nach Gallant & Connell 1998, 268 603 vgl. Gallant & Connell 1998 604 Überblick bei Gallent & Connell 1998, 269; Schulz et al. 1995 605 Der folgende Überblick erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es geht darum, einen Eindruck der untersuchten Fragestellungen zu geben. 606 vgl. z.B. Vitaliano 1995 607 vgl. z.B. Vitaliano et al. 1994 608 vgl. z.B. Vitaliano et al. 1998 609 vgl. z.B. Vitaliano et al. 1996a 610 vgl. z.B. Scanlan et al. 1998 611 vgl. z.B. Zhang 2001 612 vgl. Shaw et al. 1999 613 vgl. Kiecolt-Glaser & Glaser 1994 132 4.2.2 Soziale Integration In diesem Kapitel werden Veränderungen der sozialen Integration der Ehegatten im Sinne von „outcomes“ des Stressprozesses referiert. Befunde zum sozialen Netz und zur sozialen Unterstützung im Sinne von Variablen, die den Stressprozess und damit die Ergebnisse beeinflussen können, sind im Kapitel 4.3.4.2 zusammengefasst. Nur wenige empirische Arbeiten haben die sozialen Netzwerke pflegender Ehegatten untersucht614. Über soziale Netzwerke alter Menschen im Allgemeinen hingegen ist einiges bekannt. Gut belegt ist, dass ältere Menschen im Vergleich zu früheren Lebensabschnitten bzw. zu jüngeren Erwachsenen weniger soziale Kontakte und Beziehungen unterhalten615. Netzwerke lassen sich, so Fooken616, im Hinblick auf soziale Unterstützung differenzieren in formelle (z.B. professionelle Helfer) und informelle (z.B. Angehörige, Nachbarn) soziale Beziehungen. Um ein persönliches Netzwerk zu erfassen, werden diese Beziehungen in konzentrischen Kreisen um eine sogenannte Fokus-Person herum gruppiert und nach ihrem grundsätzlichen Potenzial und ihrer tatsächlichen und wahrgenommenen Unterstützung gewichtet617. Die Größe sagt nur wenig über die Qualität eines Netzwerkes aus. Ein umfangreiches Beziehungsnetz erhöht zwar die Wahrscheinlichkeit der Hilfe im Falle eines Bedarfes, doch sind die Beziehungen oft auch weniger eng und verpflichtend. In Netzwerken mittlerer Größe finden sich am ehesten Lebenszufriedenheit und soziale Integration der jeweiligen Fokus-Personen618. Sehr kleine Beziehungsnetze dagegen scheinen Abhängigkeiten zu fördern, in ihnen wird mehr Kontrolle ausgeübt, und es stehen weniger soziale Alternativen zur Verfügung. Wenngleich Netzwerke hauptsächlich auf ihre potenziellen Ressourcen für den alten Menschen hin betrachtet werden, darf der Aspekt der Gegenseitigkeit nicht außer Acht gelassen werden. Fooken hebt hervor, alte Menschen seien sehr an Reziprozität interessiert und setzten dazu ganz unterschiedliche Transferleistungen ein, zum Beispiel emotionale Unterstützung oder finanzielle und materielle Leistungen an die jüngere Generation. In diesem Zusammenhang sind 614 vgl. Kapitel 4.3.4.2 615 vgl. Übersicht bei Lang 2000, 142 616 auch sozio-emotionale Differenzierungs- und Die Ausführungen dieses Absatzes über die sozialen Netzwerke alter Menschen basieren, soweit nicht anders vermerkt, auf Fooken 1997. 617 vgl. Antonucci & Akiyama 1987 618 vgl. Minnemann 1994; zit. nach Fooken 1997, 26 133 Selektionsprozesse619 zu verstehen, in denen alte Menschen bevorzugt solche Personen als Interaktionspartner auswählen, bei denen sie emotionale Reziprozität, eine Gleichwertigkeit des Gebens und Empfangens von Anteilnahme, verspüren. Soziale Netzwerke alter Menschen können mit dem Modell des sozialen Konvois620 betrachtet werden, einer Vorstellung, nach der ferner und näher stehende Menschen jeweils streckenweise den Lebensweg einer Person wie ein Geleitzug begleiten. Dieses Modell geht davon aus, dass Struktur- und Funktionsmerkmale der Netzwerkmitglieder, auch im Hinblick auf den gegenseitigen Austausch, zum Teil altersabhängig im Lebensverlauf variieren, so dass der Austausch zeitlich verschoben werden kann und empfangene Unterstützung unter Umständen erst später zurückgegeben wird. Empirische Befunde zu den sozialen Netzwerken älterer Menschen zeigen, so Fooken, dass die meisten Menschen über tragfähige Netze verfügen. Dabei spielt die Familie für ältere Menschen eine herausragende Rolle. Hinsichtlich der Beziehungen zwischen erwachsenen Kindern und alten Eltern halten sich zählebig Mythen, nach denen die ältere Generation in vergangenen Zeiten besser in die Familie integriert gewesen sein soll, und die heutigen Alten von ihren Kindern in Heime abgeschoben würden. Die bisher vorliegenden Ergebnisse aus empirischen Untersuchungen können diese Vorstellungen jedoch nicht stützen. Im Gegenteil wird empirisch die Reziprozität zwischen den Generationen belegt, und es werden kaum Hinweise auf ein Schwinden der Solidarität gefunden. Ein häufig bestätigtes Muster der Beziehungen ist das der „Intimität auf Abstand“621, das bei räumlicher Trennung sehr wohl innere Nähe und Verantwortungsbewusstsein für die andere Generation bedeutet. Etwa ein Viertel der älteren Menschen, so Fooken, ist allerdings unzureichend sozial eingebunden und damit von sozialer Isolation bedroht. Dazu gehören neben Alleinlebenden tendenziell auch kinderlose Ehepaare. Die Ehe ist im sozialen Netzwerk einer Person eine der intimsten und wichtigsten Beziehungen. Verändert sich diese Beziehung durch die Demenz eines Partners nachhaltig, dann wird das Auswirkungen auf die gesamte soziale Eingebundenheit des Paares und des gesunden Partners haben. Es verwundert nicht, dass Einsamkeit in verschiedenen Studien622 als bedeutendes soziales Problem der Ehegatten Demenzkranker erörtert wird. In einer Studie von 619 vgl. Carstensen 1993; zit. nach Fooken 1997, 27 620 vgl. Kahn & Antonucci 1980; zit. nach Fooken 1997, 27; vgl. Antonucci & Akiyama 1987 621 vgl. Rosenmayr & Köckeis 1965; zit. nach Fooken 1997, 12 622 vgl. Beeson 2003; Murray, Mantela & Shuttleworth 1997 134 Beeson623 berichteten die Ehegatten signifikant mehr Einsamkeit als eine Kontrollgruppe, und Einsamkeit erwies sich als Prädiktor für Depression. Besonders betroffen waren Ehefrauen, die über Identitätsverluste (loss of self) berichteten. Beeson argumentiert, Einsamkeit reflektiere das unerfüllte Bedürfnis nach menschlicher, interpersonaler Intimität, den Wunsch „to be related to another self while experiencing a feeling that one is yet seperate“624. Teil einer Ehegemeinschaft zu sein, Erfahrungen mit dem Gatten über die Lebensspanne hinweg zu teilen, baue genau auf diese Bedürfnisse. Die Ehe sei oft die einflussreichste, für manche die einzige derartige Beziehung im Leben. Das Wegbrechen dieser Beziehung im Falle der Demenz sei deshalb besonders bedeutsam. Der Verlust eines signifikanten Anderen, der eine wichtige Quelle für die Validation und Konfirmation des selbstbezogenen Wissens gewesen sei, könne den Verlust der Identität bzw. des Selbstkonzeptes nach sich ziehen. In eine ähnliche Richtung arbeiteten Skaff & Pearlin625, die vom Boden der Rollentheorie aus mit der sogenannten Expansionshypothese argumentieren, je ausgefächerter das soziale Leben einer Person sei, desto reichhaltiger und breiter seien die Quellen für Feedback und Selbstevaluation. Zudem trügen multiple soziale Rollen zum Wohlbefinden bei, indem sie mehr Quellen für Anerkennung, Prestige und Belohnungen unterschiedlicher Art bereit stellten. Die Existenz von verschiedenen Rollen erlaube es auch, negative Erfahrungen in der einen Rolle durch positive in einer anderen zu kompensieren626. In der häuslichen Pflege komme es zu einer Verengung der Lebensbereiche des Pflegenden mit der Folge, dass externe Quellen der Selbstevaluation und Anerkennung ausdünnen und die Bedeutung der Erfahrungen, die innerhalb der Pflegerolle gemacht werden, anwachse. In ihrer Studie fanden die beiden Autoren vor allem Ehegatten neben pflegenden Frauen und jüngeren Pflegenden gefährdet, in ihrem Selbst-Konzept Schaden zu nehmen. Sie erklären dieses Ergebnis für die Ehegatten dadurch, dass diese besonders große soziale Verluste durch die Veränderung der Ehebeziehung in Folge der Demenz erleben und auch die Paar-Identität davon betroffen ist. Kontakt zu Freunden erwies sich als schützend für das Selbstkonzept der Ehegatten. Auch Berufstätigkeit hatte in diesem Zusammenhang eine Bedeutung. 623 vgl. Beeson 2003 624 Mijuskovic 1996, zit. nach Beeson 2003, 141 625 vgl. Skaff & Pearlin 1992 626 vgl. Barnett & Baruch 1987; zit. nach Skaff & Pearlin 1992, 657 135 Mui & Morroc-Howell627 führen das Gegenmodell zur oben beschriebenen Expansionshypothese, die sogenannte Knappheitshypothese (Scarcity- Hypothesis) an. Danach sind die Energieressourcen eines Menschen nicht unbegrenzt, mit der Folge, dass er nicht alle Rollenverpflichtungen aus multiplen Rollen adäquat erfüllen kann. Rollenbelastungen (role strain), Rollenüberlastungen (role demand overload) und Rollenkonflikte (role conflict) nehmen mit der Anzahl unterschiedlicher Rollen, die ein Individuum zu erfüllen hat, zu. Diese Autorinnen verglichen pflegende Ehegatten mit pflegenden Geschwistern und fanden in beiden Gruppen ein hohes, bei den Ehegatten ein noch höheres Vorkommen von Rollenbelastung. Mangel an Entlastung, Konflikte im persönlichen Leben, Frustration bei der Erfüllung der Rollen und Gefühle des Verschlungenwerdens durch die Rollen wurden in beiden Gruppen geäußert. Krach628 sah bei den pflegenden Töchtern dementer Patienten positive Effekte, wenn sie neben der Pflege mehr Rollen hatten (weniger Depression und Identitätsverlust), während mehr Rollen bei den pflegenden Ehegatten eher Rollenüberlastung bedeutete. 4.2.3 Subjektives Belastungserleben Die objektiv fassbaren Veränderungen des Gesundheitszustands und der sozialen Integration sind die eine Seite der Belastungen, die ein pflegender Ehepartner erfährt. Die andere Seite ist das subjektive Belastungserleben, das sich in Hilflosigkeit und Ohnmacht, Überforderung, Ausgebranntsein, Verlassenheit, Selbstmitleid, Selbstzweifel, Sorgen, Angst vor der Zukunft, Schuld, Trauer, Sinnlosigkeit u.ä. ausdrückt. Für verschiedene Autoren629 ist “subjective burden” die emotionale Reaktion auf objektive Anforderungen der Pflegesituation. O’Rourke et al. zum Beispiel definieren „caregiver burden“ als „context-specific negative affective outcome resulting from one’s ideosyncratic appraisal of objective role demands“630. Eine der ersten Studien über negative Affekte bei pflegenden Angehörigen Demenzkranker ist die von Rabins et al.631, die bei der überwältigenden Mehrheit der Befragten (87%) Depression, Erschöpfung und/oder Ärger vorfanden. Snyder 627 vgl. Mui & Morrow-Howell 1993 628 vgl. Krach 1998 629 vgl. Montgomery et al. 1985; Poulshock & Deimling 1984; Thompson & Doll 1982 630 O’Rourke et al. 1996, 584 631 vgl. Rabins et al. 1982 ; zit. nach Gallagher et al. 1990, 220 136 & Keefe632 ermittelten Spannungsgefühle, Angst, Burn-out und Selbstzweifel. Oliver & Bock633 sprechen von einer enormen emotionalen Belastung, die zu Verleugnung, Ärger, Schuld, Selbstmitleid und Depression führe. Gallagher et al.634 fanden Ärger, Groll und Wut (anger) als häufigsten negativen Affekt in einem Sample aus Alzheimer-Pflegenden, daneben dysphorische Verstimmung, Sorgen, Schuldgefühle und Angst. Eine deutsche Studie635 berichtet ein signifikant höheres subjektives Belastungserleben bei häuslichen Pflegepersonen von Demenzkranken im Vergleich zu Pflegepersonen NichtDemenzkranker. Die Ursache für die unterschiedliche subjektive Belastung der beiden Gruppen drückt sich am deutlichsten aus in der Wahrnehmung eingeschränkter Beziehungen zu anderen, der erschwerten Bewältigung pflegeunabhängiger Aufgaben und der Ansicht, die Pflege koste viel Kraft. Zusammenfassend kann mit George & Gwyther gesagt werden, „caregivers are an at-risk population who are especially vulnerable to emotional discomfort“636. Etliche Autoren halten die Bewältigung dieser emotionalen Auswirkungen für weitaus schwieriger als den Umgang mit körperlichen oder finanziellen Konsequenzen der Pflegesituation637. Speziell auf die Situation der Ehegatten Demenzkranker zugeschnitten ist das Burden-Interview von Zarit, Reever & Bach-Peterson638, eines der häufig verwendeten Erhebungsinstrumente, das in 29 Items subjektive Belastungsfaktoren erhebt. Zu diesen Faktoren zählen Beziehungsstörungen mit dem dementen Gatten oder anderen Familienmitgliedern, Verhaltensprobleme des Dementen, Uneinigkeit über die Notwendigkeit pflegerischer Hilfen, mangelnde Anerkennung Rückzugsmöglichkeiten, der Konflikte Leistungen, der Pflege Zeitmangel mit und anderen fehlende Aufgaben, Schuldgefühle, Zukunftsangst, Trauer, Einschränkungen des sozialen Lebens und Geldsorgen. Empirische Befunde zu subjektiven Belastungen der Ehegatten Demenzkranker decken sich einerseits mit den oben referierten allgemeinen Befunden über pflegende Angehörige und bringen gleichzeitig spezielle Facetten in die 632 vgl. Snyder & Keefe 1985; zit. nach Gallagher et al. 1990, 220 633 vgl. Oliver & Bock 1985; zit. nach Gallagher et al. 1990, 219 634 vgl. Gallagher et al. 1990 635 vgl. Gräßel 1998 636 George & Gwyther 1986, 259 637 Übersicht bei Gallagher et al. 1990, 219 638 vgl. Zarit, Reever & Bach-Peterson 1980 137 Diskussion. Steffen & Berger639 beispielsweise trafen in ihrem Sample sowohl bei pflegenden Töchtern als auch bei Ehegatten auf Ärger und Wut, provoziert durch das Verhalten des Patienten, anderer Familienangehöriger oder professioneller Helfer. Doch war die Ausprägung des Ärgers bei den Ehegatten durchschnittlich niedriger als bei den Töchtern, ein Phänomen, das die Autoren mit der Tendenz abnehmender Ärger- und Wutexpression im Alter640, größerer emotionaler Kontrolle und kompetenterer Emotionsregulation älterer Menschen641 erklären. Möglicherweise kann dies auch als Kohorteneffekt in Sinne von Sozialisationseffekten verstanden werden, dass nämlich vor allem Frauen dieser Altersgruppe sich schwer tun, sich als „wütende Frau“ wahrzunehmen. Allerdings identifizierten die Autoren in ihrem Sample auch eine ernstzunehmende Gruppe älterer Ehegatten (20%) mit sehr hohen Wutwerten, ihrer Ansicht nach ein Hinweis auf eine Subgruppe von Ehegatten, die möglicherweise ein Wutproblem hat. Scroggin Wullschleger et al.642 befassten sich mit der Angst vor dem Älterwerden als einer häufig vernachlässigten Dimension in den Erfahrungen pflegender Angehöriger. Konzeptionell bauten sie ihre Untersuchung auf die Kontinuitätstheorie643, die ein Bestreben von Individuen annimmt, in ihrem Leben Stabilität und Konsistenz zu bewahren, indem sie verlorene Rollen mit ähnlichen Typen von Rollen substituieren. Der Schlüssel für erfolgreiches Altern ist aus der Sicht der Kontinuitätstheorie, dass das Individuum in der Lage ist, etablierte Interessen und Werte zu erhalten und fortzusetzen. Die Demenz eines Familienmitgliedes wird als eine ernsthafte Gefährdung, einen Bruch der Kontinuität angesehen. Die Autoren untersuchten eines der größten derzeitigen Samples aus pflegenden Angehörigen Demenzkranker (894 Personen) und entdeckten eine deutliche Verbindung zwischen subjektiver Belastung der Pflegenden und Angst vor dem Älterwerden. Dabei wiesen die Ehegatten die höchsten Angst-Werte auf. Die Autoren erklären dies damit, dass die Ehegatten über Jahre mit ihrem nun dementen Partner zusammengelebt haben und ihre Identitäten aufs Engste verbunden sind. Die Demenz des Partners und die Pflege bedeute einen ernsthaften Bruch ihrer Kontinuität, die sie für ihr Leben erwartet 639 vgl. Steffen & Berger 2000, 5 640 vgl. Stone & Spencer 1987; zit. nach Steffen & Berger 2000, 641 vgl. Gross et al. 1997; zit. nach Steffen & Berger 2000, 15 642 vgl. Scroggin Wullschleger et al. 1996 643 vgl. Hooyman & Kiyak 1993; zit. nach Scroggin Wullschleger et al. 1996, 5 138 hatten. Noch höher war die Angst der Ehegatten vor dem eigenen Altern, wenn sie ihren Partner im Heim untergebracht hatten. Die subjektive Belastung von pflegenden Ehegatten muss nicht ausschließlich auf das Konto der Demenz und der Pflege gehen. Sie sind wie andere alte Menschen auch mit kritischen Lebensereignissen unabhängig von der Pflege konfrontiert und nicht immun dagegen. Der Einfluss solcher Lebensereignisse interessierte Russo & Vitaliano644. In einem Vergleich zwischen einer DemenzEhegatten-Gruppe und einer alters- und geschlechtspassenden Kontrollgruppe stellten sie fest, dass ein Teil der Unterschiedlichkeit im Belastungserleben pflegender Ehegatten durch die zusätzliche Belastung mit weiteren stressvollen Lebensereignissen erklärt werden kann. Pflegende und Kontrollgruppe unterschieden sich nicht wesentlich im Vorkommen und in der Bewertung von 20 kritischen Lebensereignissen. Sorgen über die Kinder war in der Kontrollgruppe die häufigste Antwort, bei den Pflegenden hinter den Sorgen über Gesundheitsverschlechterungen des pflegebedürftigen Gatten die zweithäufigste. Nur drei Ereignisse wurden häufiger von Pflegenden genannt: Gesundheitsveränderungen des Gatten, Veränderungen der Beziehung zum Gatten und Veränderungen der sozialen Beziehungen zu Freunden und Familie. Pflegende Ehegatten nannten Veränderungen in der Beziehung zum Gatten zwar wesentlich häufiger als kritisches Ereignis, doch sie bewerteten sie nicht als stressvoller als die Kontrollgruppe. Nur finanzielle Sorgen wurden von den Pflegenden als belastender eingeschätzt als von den Mitgliedern der Kontrollgruppe. Als Korrelate subjektiver Belastung bei den Pflegenden wurden folgende Ereignisse identifiziert: Opfer eines Verbrechens zu sein, schwerer Familienstreit, eigene Gesundheitsverschlechterung, Ärger mit Behörden und Altersdiskrimination (ageism). Abschließend einige Einzelbefunde aus unterschiedlichen Studien: Zwei Arbeiten verglichen Erschöpfung645 bzw. Belastungserleben646 bei Ehegatten von Demenz-, Parkinson- und Krebspatienten und fanden keine Unterschiede zwischen den Gruppen. In einer Langzeitstudie beobachteten Winslow & Carter647 Muster der subjektiven Belastung bei Ehefrauen Demenzkranker. Sie registrierten eine Zunahme der Belastung im Laufe von 3 Jahren und entdeckten 644 vgl. Russo & Vitaliano 1995 645 vgl. Teel & Press 1999 646 vgl. Thomessen et al. 2002 647 vgl. Winslow & Carter 1999 139 eine Schwelle der Belastung, bei deren Überschreitung die Institutionalisierung des Patienten wahrscheinlich wurde. Auch Vitaliano et al.648 beobachteten einen Anstieg der Belastung der Ehegatten mit der Zeit, wobei diejenigen, die anfangs hohe Raten an Angst, Ärger und körperlichen Gesundheitsproblemen aufgewiesen hatten, gefährdeter waren. Umgekehrt waren Pflegende mit guten sozialen Ressourcen und positivem “outlook-factor“ (Überzeugungen der Lebenszufriedenheit und Dankbarkeit über das, was man hat) weniger belastet im Verlauf. Die Autoren weisen auf den zirkulären Charakter der Beziehungen zwischen Belastung, Vulnerabilität649 und psychologischen und sozialen Ressourcen hin. Zusammenhänge zwischen selbsteingeschätzter Belastung und Gesundheitsverhalten650, verschlechtertem psychischen Störungen651 im Allgemeinen und Depression652 im Speziellen, und sogar möglicherweise einer Verkürzung der Lebenszeit653 sind ebenfalls erforscht worden. Schneider et al.654 schließlich teilen ähnlich hohe Werte an subjektiver Belastung und psychischem Distress bei Ehegatten Demenzkranker in unterschiedlichen europäischen Staaten mit. 4.3 4.3.1 Einflussgrößen im Stressprozess Demenzsymptomatik und Merkmale des Patienten Eine Demenz ist gekennzeichnet durch Störungen des Gedächtnisses und anderer kognitiver Leistungen wie Urteilsfähigkeit oder Denkvermögen sowie durch Veränderungen Sozialverhaltens der Affektkontrolle, des Antriebs und des 655 . Inwieweit Ausprägung und Schwere der Symptomatik Einfluss auf die Belastung der pflegenden Ehegatten haben, ist Thema dieses Kapitels656. 648 649 vgl. Vitaliano et al. 1991 Die Autoren konzeptualisieren Vulnerabilität als Persönlichkeit (Expressed Emotion) und körperliche Gesundheit, psychologische Ressourcen als Coping-Verhalten und Lebenszufriedenheit. 650 vgl. Gallant & Connell 1997, 1998 651 Übersicht bei Schulz et al. 1995 652 Übersicht bei Pruchno et al. 1990, 193 653 vgl. Schulz & Beach 1999; Wright 1994 654 vgl. Schneider et al. 1999 655 vgl. Kapitel 1 656 Diese Frage ist in der Belastungsforschung meist an gemischten Samples untersucht worden. Homogene Ehegattensamples sind in diesem Bereich selten. Donaldson, Tarrier & Burns (1997) fanden in ihrem Literaturrückblick auf einschlägige Forschung des Zeitraumes 1980-1995 beispielsweise unter 17 ausgewerteten Studien nur eine, die mit einem homogenen Ehepartnersample gearbeitet hatte (Gallagher- 140 Es gibt drei unterschiedliche Hypothesen über die Beziehung von Demenzsymptomatik und Belastung der Pflegenden: (a) die Verschleißhypothese („wear-and-tear“)657, der zufolge die Belastung der Pflegenden im Laufe der Zeit immer weiter zunimmt; (b) die Adaptionshypothese658, die von höherer Belastung zu Beginn und abnehmenden Schwierigkeiten im weiteren Verlauf aufgrund der Gewöhnung und zunehmenden Bewältigungskompetenz der Pflegenden ausgeht; und (c) die Persönlichkeitshypothese („trait“), die einen konstanten Belastungsgrad annimmt aufgrund vorab bestehender Persönlichkeitsmerkmale wie Coping-Stile und –Fähigkeiten, Ressourcen und soziale Unterstützung659. Haley & Pardo660 konnten mit einer Langzeitstudie zeigen, dass die Demenz nicht übergreifend alle Fähigkeitsbereiche eines Patienten gleichmäßig schädigt, sondern dass es unterschiedliche Verläufe in verschiedenen Fähigkeitsbereichen gibt und damit verbunden auch unterschiedliche Belastungsprofile für die Angehörigen über den Krankheitsverlauf hinweg. Während die intellektuellen Fähigkeiten der dementen Probanden linear über die gesamte Krankheitsspanne abnahmen, sanken die Fähigkeiten bei komplexeren Selbstpflegeaktivitäten (IADL) rapide im frühen Demenzstadium und hielten sich dann auf diesem niedrigen Niveau. Die Basisaktivitäten der Selbstpflege (ADL) blieben noch bis in mittlere Krankheitsstadien relativ gut erhalten und bauten dann allerdings schnell ab. Verhaltensprobleme und Persönlichkeitsveränderungen waren vor allem in den mittleren Krankheitsphasen virulent. Die Autoren betrachten diese Ergebnisse als Beleg dafür, dass die Belastungen der pflegenden Angehörigen nicht linear während des Krankheitsverlaufes ansteigen, sondern unterschiedliche Belastungsprofile in Abhängigkeit von den unterschiedlich betroffenen Fähigkeitsbereichen des Kranken im Krankheitsverlauf in Betracht gezogen werden müssen. Unterstützt wird diese Einschätzung durch die Ergebnisse einer Arbeit von Pruchno & Resch661 an einem reinen Ehegattensample. Sie entdeckten eine nicht-lineare Beziehung zwischen Gedächtnisstörungen des Patienten und dem Belastungserleben, sozialen Einschränkungen und weiteren Problemen bei den Thompson et al. 1992). Somit sind die im Folgenden vorgestellten Befunde nicht durchgängig spezifisch für pflegende Ehegatten. 657 vgl. Townsend et al. 1989 658 vgl. Townsend et al. 1989 659 vgl. Haley & Pardo 1989, 389 660 vgl. Haley & Pardo 1989 661 vgl. Pruchno & Resch 1989b 141 Ehegatten662. Eine lineare Beziehung fanden sie dagegen zwischen asozialem663 und desorientiertem664 Verhalten des Patienten und Belastungen der Angehörigen. Mit anderen Worten, bei milder oder mittelstarker Vergesslichkeit stießen sie auf ein höheres Ausmaß an Problemen bei den gesunden Ehegatten als bei starker Vergesslichkeit des Patienten. Die Autoren betrachten diesen Befund als Beleg für die Adaptionshypothese, nach der sich der Pflegende an linear verlaufende Verschlechterungen der Demenzsymptomatik zunächst gewöhnen muss, dann aber eine Anpassung erreicht. Dass Belastungen der Angehörigen dagegen linear mit der Zunahme von Problemverhalten des Patienten ansteigen, erklären Pruchno & Resch mit der Unvorhersehbarkeit dieser Verhaltensweisen und ihrer sozialen Unannehmbarkeit. Bauer et al.665 erkannten in einem Sample pflegender Ehefrauen, dass das Gefühl der Pflegenden für die eigene Effizienz und Kontrolle der Situation (mastery) mit dem Fortschreiten der Demenz erodiert. Auch beklagten die Frauen mit den schwerer erkrankten Männern vermehrt den Verlust der Beziehung, besonders den Verlust gemeinsamer Ziele und Aktivitäten und die emotionale Unerreichbarkeit des Gatten. 4.3.1.1 Kognitive Symptomatik der Demenz Über die Beziehung zwischen den kognitiven Symptomen der Demenzpatienten und dem Belastungserleben der Pflegenden gibt es widersprüchliche Ergebnisse. In dem Literaturüberblick von Donaldsen et al. zeigten drei der zehn einschlägigen Studien keine Beziehungen666. Die sieben übrigen erbrachten zwar Zusammenhänge, die jedoch bei unterschiedlichen Subgruppen pflegender Angehöriger uneinheitlich und widersprüchlich ausfielen667. Ebenfalls ist es nicht eindeutig, ob die körperliche Gesundheit der Pflegenden durch den kognitiven 662 Eine ähnliche non-lineare Verbindung von Depression des Pflegenden und kognitiven Symptomen des Erkrankten erbrachte auch die Studie von Baumgarten et al. 1992; zit. nach Donaldson 1997, 65. 663 Asoziales Verhalten umfasst hier: „seeming sad, losing temper, verbal abuse, embarassing caregiver, disrupting meals“ (Pruchno & Resch 1989b, S179, Tab.1). 664 Desorientiertes Verhalten wird von den Autoren operationalisiert als „hearing and seeing things, getting lost in house, confusing day and night“ (Pruchno & Resch 1989b, S179, Tab.1). 665 vgl. Bauer et al. 2001 666 vgl. Zarit, Reever & Bach-Peterson 1980; Greene et al. 1982; Farran et al. 1993; zit. nach Donaldson et al. 1997, 64 667 vgl. Eagles et al. 1987; Harper & Lund 1990; LoGiudice et al. 1995; O’Connor et al. 1990; Pruchno & Resch 1989b; Reis et al. 1994; Weiler, Chiriboga & Black 1994 ; zit. nach Donaldson et al. 1997, 64 142 Status des Demenzpatienten beeinträchtigt wird668. Möglicherweise gehen diese inkonsistenten Ergebnisse zu einem Teil auf das Konto unterschiedlicher Krankheitsstadien, in denen sich die untersuchten Patienten befunden hatten. Ein Beispiel für Stress infolge der kognitiven Demenzsymptomatik liefert eine Studie von Wright669. Sie identifizierte das wiederholte Fragen der Patienten als Quelle besonderen Stresses. Es löste bei den gesunden Ehegatten Anspannung und Verärgerung aus, die sie durch verstärkte Selbstkontrolle, Ersatzhandlungen oder Ausweichen zu bewältigen versuchten, zum Beispiel durch Schreien in ein Kissen, sich selbst im Bad einschließen oder durch Gebete. 4.3.1.2 ADL-Beeinträchtigungen Die Ergebnisse über die Beziehung zwischen Beeinträchtigungen bei den Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) und Belastungen der Pflegenden sind nicht eindeutig, scheinen aber eher keine Verbindung zu finden. Die meisten von Donaldson und Kollegen überprüften Studien fanden keine signifikanten Zusammenhänge zum Belastungserleben670. Mehrere Studien fanden auch keine Verbindung zu Depression671, zwei allerdings berichten eine signifikante Korrelation zwischen ADL-Beeinträchtigung und Depression672 und eine weitere allgemein Verbindungen zu erhöhtem Gesundheitsrisiko der pflegenden Ehepartner Demenzkranker673. 4.3.1.3 Problemverhalten und psychiatrische Symptomatik Nicht-kognitive Merkmale der Demenz sind eine heterogene Gruppe, zu denen psychotische und depressive Symptome wie auch Problemverhalten gerechnet werden. Reisberg und Kollegen674 betrachten Problemverhalten des Patienten als Ausdruck der zugrunde liegenden kognitiven Symptome. Die zunehmenden 668 vgl. Donaldson et al. 1997, 66 669 vgl. Wright 1991 670 vgl. Zarit et al. 1980; Gilleard, Boyd & Watt 1982; Greene et al. 1982; Farran et al. 1993; Weiler et al. 1994; LoGiudice et al. 1995; zit. nach Donaldson et al 1997, 64 671 vgl. Gilleard, Boyd & Watt 1982; Weiler et al. 1994 ; Baumgarten et al. 1992 ; zit. nach Donaldson et al. 1997, 65 672 vgl. Deimling & Bass 1986; Haley et al. 1987; zit. nach Donaldson et al. 1997, 65 673 vgl. Shaw et al. 1997 674 vgl. Reisberg et al. 1982 143 kognitiven Einbußen führen ihrer Ansicht nach zu vermehrter Angst und Unruhe bei den Patienten, die sich dann in Verhaltensstörungen Bahn brechen. Zusammenhänge von Problemverhalten zur Belastung der Angehörigen gelten als gesichert675. Unterschiedliche Ursachen werden hierfür verantwortlich gemacht. Deimling & Bass erklären die höheren Belastungen, die von Verhaltensproblemen und gestörtem Sozialverhalten ausgehen, einerseits damit, dass die Pflegenden bei diesen Symptomen einen gesteigerten Bedarf an Beaufsichtigung wahrnehmen, und somit nicht die Verhaltensprobleme an sich, sondern dieses Mehr an Arbeit die Ursache für die erhöhte Belastung ist. Eine weitere mögliche Erklärung bietet Miller676 aus der Perspektive des symbolischen Interaktionismus: Kognitive Störungen gehören erwartungsgemäß zu den Symptomen der Demenz und werden deshalb als legitim betrachtet. Verhaltensstörungen dagegen, wie inadäquates Sozialverhalten oder Unruhe stiftende Verhaltensweisen, werden weniger als Krankheitssymptome erkannt und gelten deshalb als illegitim. Aus der Rollentheorie kommen Erklärungen für den phasenabhängigen Belastungsverlauf im Hinblick auf Problemverhalten: Regelbrüche erzeugen in Familien normalerweise Stress. Solange der Demenzkranke in frühen Krankheitsstadien noch nicht als Patient identifiziert ist, gelten für ihn die normalen Rollenerwartungen. Erst in späteren Stadien verändern die gesunden Familienmitglieder ihre Rollenerwartungen an ihn und tolerieren Regelbrüche dann eher677. Darüber hinaus können problematische Verhaltensweisen, etwa tätliche Angriffe des Patienten, eine reale Gefahr für den pflegenden Ehegatten bedeuten. Allerdings scheinen nicht alle problematischen Verhaltensweisen gleichermaßen Stress zu erzeugen. Quayhagen und Quayhagen678 berichten, dass nur 8 von 29 solcher Verhaltensweisen stressend wirkten: ständiges Fragen, Probleme im Umgang mit Geld, peinliches Verhalten (v.a. sexuell), Probleme beim Baden, Schwierigkeiten allein zu bleiben, Probleme beim Kochen, gefährliches Verhalten und Inkontinenz. Peinliches Verhalten des Patienten stresste besonders die Ehefrauen. Defizitäres Verhalten wie Rückzug, Apathie, fehlendes Kommunikationsvermögen oder Immobilität scheinen belastender zu sein als 675 vgl. Überblicksarbeiten von Donaldson et al 1997; Schulz et al. 1995 676 Miller 1977; zit. nach Deimling & Bass 1986, 779 677 vgl. Morcyz 1980; zit. nach Pruchno & Resch 1989b, 181 678 vgl. Quayhagen & Quayhagen 1988 144 Exzesse des Verhaltens wie Aggression oder Agitation679. Emotionale Labilität und destruktives Verhalten des Patienten wurden als starke Prädiktoren für verschlechtertes Wohlbefinden der Ehegatten identifiziert680. „Sundowning“Symptome681 erwiesen sich in einer Studie als besonders stressrelevant für die untersuchten pflegenden Ehegatten682. Welche unterschiedlichen Folgen Problemverhalten bei den Angehörigen haben kann, wurde in einer Reihe von Studien untersucht. Psychischer Distress bzw. Angst und Stress auf Seiten der pflegenden Angehörigen werden in mehreren Studien als Korrelate der nicht-kognitiven Demenzsymptome gesehen683. Die Befunde zum Zusammenhang von Depression bei den Angehörigen und nichtkognitiven Demenzsymptomen sind gespalten, mit einer leichten Neigung zu einer positiven Beziehung684. Einen Zusammenhang von Verschlechterungen der Beziehung zwischen pflegenden Angehörigen und Patienten mit aggressivem Patientenverhalten, Rückzug oder Stimmungsschwankungen belegen mehrere Studien685. Einschränkungen der sozialen Partizipation der Pflegenden waren mit ADL-Beeinträchtigungen und Problemverhalten686, bzw. in einer anderen Studie mit Desorientiertheit und Problemverhalten687 assoziiert. Pflegende Ehegatten, die viel Problemverhalten bei ihren Partnern erleben, zeigen ein geringes Risiko für einen eigenen Krankenhausaufenthalt. Interpretation der Autoren dieser Studie: Sie scheuen sich, den Kranken in einer solchen Phase Dritten zu überlassen688. Hinweise auf ein zirkuläres Geschehen geben Vitaliano et al.689, die in ihrer Studie 679 680 an Ehegatten Demenzkranker zeigen konnten, dass bestimmte Greene et al. 1982, zit. nach Donaldson et al. 1997, 64; LoGiudice et al. 1995, zit. nach Murray et al. 1999, 666 vgl. Croog et al. 2001 681 “Sundowning”-Symptome sind spezifische Verhaltensstörungen, die in den Abendstunden auftreten, wenn die geistigen Kapazitäten des Patienten infolge der Belastungen des Tages verringert sind. Gallagher-Thompson et al. operationalisieren “sundowning behavior” als „combattiveness; agitation/purposeless movement; wandering; prolonged incoherent vocalization (over 5 minutes); hallucinations (misinterpretations of the environement); confusion; disorientation”. Vgl. Gallagher-Thompson et al. 1992, 808 682 vgl. Gallagher-Thompson et al. 1992 683 vgl. Donaldson et al. 1997, 65 684 vgl. Donaldson et al. 1997, 65 685 vgl. Übersicht bei Donaldson et al. 1997, 64 686 vgl. Deimling & Bass 1986 687 vgl. Pruchno & Resch 1989b 688 Shaw et al. 1997 689 vgl. Vitaliano et al. 1993. Die Autoren bezogen das Konzept der “Expressed Emotions”, das im Zusammenhang der Angehörigenforschung von schizophrenen und depressiven Patienten entstanden ist, auf die Demenzsituation. Expressed Emotions - definiert als Expression von Kritizismus und/oder Überinvolviertheit – bei den Angehörigen gelten als Prädiktoren für Rezidive. (vgl. Vaugh et al. 1984; zit. nach Vitaliano et al. 1993, P202). 145 Verhaltensweisen der pflegenden Partner, d.h. der Ausdruck von Kritizismus und/oder Überinvolviertheit, Problemverhalten beim Patienten auslösen können. Eine Studie von Braekhus et al.690 beschäftigte sich mit Ehepaaren zu Beginn der Demenz. Die nicht erkrankten Partner zeigten bereits in diesem Stadium regelmäßig Stresssymptome. Eine substanzielle Anzahl der Befragten berichtete von depressiven Reaktionen, Beeinträchtigungen des sozialen Lebens und Schwierigkeiten, Urlaub zu machen. Diese Probleme korrelierten mit der Stimmung des Patienten, der Kommunikation und den Fähigkeiten im Bereich der IADL. Der allgemeine kognitive Status der Patienten war kein Prädiktor für Stress der Ehegatten. 4.3.2 Merkmale des pflegenden Ehegatten Drei Gesichtspunkte hat die Forschung in diesem Bereich besonders interessiert: die Bedeutung (a) der Persönlichkeitsmerkmale (b) des Alters und (c) des Geschlechts für die Belastung bei der Pflege. Weitere Variablen wie Bildungsstand und sozioökonomische Situation sind in den vorliegenden Studien zur Ehepartnerpflege nicht gesondert untersucht worden. Aus Studien über pflegende Angehörige im Allgemeinen gibt es aber Hinweise, dass niedriges Bildungsniveau Belastungen in und der geringer Pflege sozioökonomischer verbunden sind 691 . Status Im mit Folgenden stärkeren werden Forschungsergebnisse zum Einfluss von Persönlichkeit, Alter und Geschlecht der Ehegatten auf die Belastung vorgestellt. 690 vgl. Braekhus et al. 1998 691 Biegel, Sales & Schulz 1991; zit. nach Gallant & Connell 1998, 289 146 4.3.2.1 Alter und Gesundheit Demenzen sind hauptsächlich Erkrankungen des höheren Lebensalters. Die Ehegatten der Patienten sind in der Regel ebenfalls alt bzw. hochaltrig692. In dieser Gruppe kann von einer starken Belastung durch eigene gesundheitliche Probleme ausgegangen werden. Wenngleich das Alter keine einheitliche Lebensphase ist, sondern ganz im Gegenteil gerade in dieser Phase inter- und intraindividuelle Unterschiede charakteristisch sind aufgrund der Bezogenheit des Alters auf den gesamten Lebenslauf des Individuums693, so geht das Alter dennoch typischerweise mit nachlassender Gesundheit einher. Verantwortlich dafür sind zunächst die physiologischen Alterungsprozesse mit nachlassenden Funktionen in vielen Bereichen des Körpers, dann aber auch chronische, mitalternde Erkrankungen (z.B. Diabetes) und Krankheiten, die erst nach langer Latzenzzeit ausbrechen (z.B. Krebs) und schließlich Krankheiten, die erst nach langer Exposition von Risikofaktoren (z.B. Rauchen) auftreten694. 96% aller 70Jährigen und Älteren haben – so die Berliner Altersstudie - mindestens eine objektive Diagnose einer körperlichen Erkrankung und bei 30% liegen gleichzeitig fünf oder mehr Diagnosen, also eine Multimorbidität vor.695 Allerdings wurden lebensbedrohliche Erkrankungen wie die koronare Herzkrankheit oder die Herzinsuffizienz „nur“ bei einem Drittel der 70-Jährigen und Älteren festgestellt696. Das gehäufte Auftreten von Krankheiten ist zum einen auf spezifische physiologische Prozesse im Alter zurückzuführen, vor allem auf die reduzierte Anpassungsfähigkeit des Organismus. Zum anderen übt der Lebensstil der früheren Lebensabschnitte einen Einfluss auf Entstehung und Verlauf von Krankheiten im Alter aus697. Wichtig ist dabei allerdings, dass viele dieser alten „Patienten“ sich nicht krank fühlen. Borchelt et al.698 führen aus, dass die individuelle Bewertung der objektiven gesundheitlichen Situation von Älteren offenbar mit anderen Kriterien vorgenommen wird als von Jüngeren. „Gute Gesundheit“ im Alter bedeute für sie nicht mehr Abwesenheit von Krankheit oder 692 Der Beginn der Hochaltrigkeit wird definiert als das Lebensjahr, in dem 50% der Angehörigen eines Geburtsjahrganges verstorben sind. Bei Frauen liegt die Grenze derzeit im 84. Lebensjahr, bei Männern im 78. Große interindividuelle Unterschiede müssen allerdings in Betracht gezogen werden. Vgl. BMFSFJ, 2002 (4. Altenbericht) 693 vgl. Erlemeier 1998 694 vgl. Wurm 2003 695 vgl. Steinhagen-Thiessen & Borchelt 1996 696 vgl. Steinhagen-Thiessen & Borchelt 1996 697 vgl. Kruse 1994 698 vgl. Borchelt et al. 1996 147 Behinderung, sondern Abwesenheit von quälenden Beschwerden oder auch, dass die eigene Gesundheit „besser als die von Gleichaltrigen“699 ist. In der subjektiven Bewertung sind es an erster Stelle Erkrankungen des Bewegungsapparats, die als belastend erlebt werden700. Ganz anders stellt sich die Situation für die sogenannten Younger-onsetdementia-Patienten und ihre Angehörigen dar. Über deren Situation und die Bedürfnisse ist bisher wenig bekannt701. Vermutlich wird ein größerer Teil dieser jungen Patienten verheiratet sein und von etwa gleichaltrigen EheparterInnen versorgt werden. Diese Paare befinden sich in einer ganz anderen Lebensphase als die „typischen“ alten und hochaltrigen Demenzpaare. Welche spezifischen Belastungen daraus für die gesunden Partner entstehen, ist heute empirisch unbeantwortet. 4.3.2.2 Geschlecht Wird nach dem Geschlecht der informell Pflegenden unterschieden, dann geben Frauen jeden Alters quer durch die Literatur insgesamt mehr Belastungen an als männliche pflegende Angehörige702. Übereinkunft herrscht auch darüber, dass Ehefrauen verglichen mit Ehemännern belasteter erscheinen. Sie schildern mehr depressive Störungen, körperliche Beschwerden, geringeres Wohlbefinden und subjektive Belastung, schlechtere soziale Einbindung und weniger finanzielle Stabilität703. Miller & Cafasso704 kommen in ihrer Meta-Analyse zu dem Schluss, dass es Geschlechtsunterschiede in der häuslichen Pflege gibt, wenngleich das Ausmaß dieser Unterschiede gering ist. Unterschiede werden sichtbar bei den Aufgaben (mehr persönliche Pflege und Haushaltsaufgaben durch Frauen) und bei der Belastung (mehr bei Frauen). Zur Belastung mit Depression gibt es eine Vielzahl von Ergebnissen, die bei pflegenden Frauen häufiger und schwerere Depressionen vorfinden als bei pflegenden Männern705, wobei unklar ist, inwieweit dieser Unterschied etwas mit der Pflegesituation zu tun hat oder mit dem Geschlecht. Mit den häufig verwendeten self-report-measures werden bei 699 Heckhausen & Krüger 1993; zit. nach Borchelt et al. 1996, 466 700 Steinhagen-Thiessen & Borchelt 1996 701 vgl. Williams, Keady & Nolan 1995 702 vgl. Überblicke bei Harris 1993, Hooker et al. 2000; Magai, Hartung & Cohen 1995; Rose-Rego, Strauss & Smyth 1998; Winslow & Carter 1999 703 vgl. Rose-Rego, Strauss & Smyth 1998 704 vgl. Miller & Cafasso 1992 705 vgl. Übersicht bei Schulz et al. 1995; Beeson 2003, 136 148 Frauen im Allgemeinen häufiger Depressionen gefunden als bei Männern706. Rose-Rego et al.707 konnten nachweisen, dass Belastungen, die von den pflegenden Ehefrauen ihres Samples berichtet wurden, tatsächlich etwas mit der Demenz-Pflegesituation zu tun hatten, denn sie gehörten zu den wenigen Forschern, die mit einer Kontrollgruppe Nicht-Pflegender gearbeitet hatten. Andererseits gibt es vereinzelt Befunde, die stärkere Belastungen bei pflegenden Männern berichten708. Ehemänner scheinen dann gesundheitlich stärker gefährdet zu sein, wenn die Demenz der Frau fortgeschritten ist, was zum Beispiel ablesbar ist an häufigeren Krankenhausaufenthalten. Bei pflegenden Ehefrauen wurde ein derartiger Zusammenhang nicht gefunden709. Auch Moritz, Kasl & Berkman710 entdeckten diesen Zusammenhang zwischen Demenzstadium und Depression bei Ehemännern. Bei gesunden Ehefrauen war in ihrer Untersuchung eine derartige Korrelation erheblich schwächer. Auf die Bedeutung der Freiwilligkeit der Pflegeübernahme Belastungserleben stießen Robinson-Whelen & Kiecolt-Glaser 712 sich auf den von Pearlin für das 711 . Sie beziehen geprägten Begriff der „role captivity“, der die unfreiwillige Rollenübernahme aus reiner Verpflichtung bezeichnet. Pearlin hält dieses Phänomen für einen wesentlichen sekundären Stressor im 713 Stressprozess . Robinson-Whelen & Kiecolt-Glaser fanden in ihrem Demenz- Ehegattensample bei den Ehefrauen keinerlei Beziehung zwischen Freiwilligkeit und Distress, bei Männern jedoch eine signifikante Korrelation zu Depression und selbst wahrgenommenem Stress. Die Autorinnen schlussfolgern daraus, dass Wahlfreiheit und Kontrolle Kategorien sind, die für das Verständnis männlicher Pflege wesentlich sind. Andere Autoren wiederum führen das Phänomen der „role captivity“ an, um die besondere Belastung bei alten pflegenden Frauen zu erklären. Sie vermuten, gerade alte Frauen, die ihr Leben lang fürsorglich für andere da gewesen sind, könnten es besonders schmerzlich erleben, wenn sie 706 vgl. z.B. Nolen-Hoeksema 1987; zit. nach Hooker et al. 2000, 568 707 vgl. Rose-Rego, Strauss & Smyth 1998 708 vgl. Übersicht bei Beeson 2003, 136 709 vgl. Schulz et al. 1995 710 vgl. Moritz, Kasl & Berkman 1989 711 vgl. Robinson-Whelen & Kiecolt-Glaser 1997 712 vgl. Übersicht bei Robinson-Whelen & Kiecolt-Glaser 1997, 284 713 vgl. Pearlin et al. 1990 149 auch im Alter wieder eigene Bedürfnisse und Interessen zugunsten der Pflege des Ehemannes zurückstellen müssen714. Innerhalb des Stressmodells gibt es zwei Erklärungsansätze für Unterschiede bei der Pflegebelastung von Frauen und Männern715. Aus der Sicht der Geschlechtsrollensozialisationshypothese716 sind Frauen vulnerabler für Stresseffekte aufgrund ihrer Sozialisation hin zu Sensitivität für Beziehungen, Fürsorgeorientierung, speziellem Krankheitsverhalten und bestimmten CopingStilen717 und möglicherweise auch wegen ihrer sozialisationsbedingt größeren Aufmerksamkeit für emotionale Reaktionen auf Stress718. Aus der Sicht der Hypothese der sozialen Rollen, welche weniger die Sozialisationseffekte als die Anforderungen der aktuellen Rollen fokussiert, sind Frauen deshalb häufig gestresster, weil sie häufiger als Männer potenziell stressvollen Situationen ausgesetzt sind und mehr Rollenbelastungen erleben719. Die Hypothese der sozialen Rollen sehen Miller & Cafasso720 durch ihre Ergebnisse gestützt, die Ähnlichkeiten der Geschlechter bei der funktionalen Pflegebedürftigkeit des Erkrankten und dem totalen Ausmaß der Pflegeeinbindung dokumentieren. Diese Hypothese ist nach Auffassung der Autorinnen deshalb besonders geeignet, um das Verhalten in den Pflegeaufgaben zu erklären. Die Sozialisationshypothese halten sie demgegenüber für geeigneter, die subjektiven Bewertungen der Pflegesituation und die emotionalen Reaktionen darauf zu erklären. Mit der Frage, ob Frauen deshalb mehr Belastungen zeigen, weil sie Beschwerden wahrnehmen und thematisieren, die Männer auch haben, aber nicht wahrnehmen und/oder in Befragungen nicht ansprechen721, beschäftigte sich eine Untersuchung von Gold et al.722. Die Autoren untersuchten hierzu die Rolle der Bewusstheit (awareness) von Gefühlen und der Expressivität von Gefühlen (expressiveness) bei pflegenden Frauen und Männern. Sie beziehen sich auf ein Modell von Lane & Schwartz723, das davon ausgeht, die Bewusstheit von Gefühlen hänge von dem Maß ab, in dem ein Individuum verschiedene 714 vgl. Collins & Jones 1997; Zarit, Todd & Zarit 1986 715 vgl. Miller & Cafasso 1992 716 vgl. weiter oben in diesem Abschnitt 717 vgl. Übersicht. bei Miller & Cafasso 1992, 499 718 vgl. Lutzky & Knight 1994 719 vgl. Übersicht bei Miller & Cafasso 1992, 499 720 vgl. Miller & Cafasso 1992 721 vgl. Rose-Rego, Strauss & Smyth 1998 722 vgl. Gold et al. 1994 723 vgl. Übersicht bei Gold et al. 1994, 207 150 Erfahrungsaspekte, die zu Emotionen beitragen, kognitiv verarbeiten kann (z.B. Erregungslevel oder physiologische Reaktionen). Die Autoren unterscheiden fünf aufsteigende Stufen der Bewusstheit von Gefühlen: Bewusstheit von (a) körperlichen Empfindungen, (b) Tendenzen zur Aktivität, (c) durchdringenden individuellen emotionalen Zuständen, (d) Mischungen aus verschiedenen Emotionen und (e) integrierten Mischungen aus komplexen Emotionen einschließlich der Wahrnehmung der Erfahrungen anderer Menschen. Nach diesem Modell entscheidet die Entwicklungsstufe eines Individuums darüber, ob es Emotionen hauptsächlich als somatisches Geschehen wahrnimmt oder als psychischen Zustand. Außerdem hängt vom Entwicklungsstand auch ab, wie differenziert Emotionen wahrgenommen werden und wie integriert diese Erfahrungen sind. Auf dieser theoretischen Grundlage vermuteten Gold und Kollegen, dass Pflegende mit höher entwickelter Bewusstheit höhere subjektive Belastungen (burden) berichten und Pflegende mit geringer entwickelter Bewusstheit eher Körperbeschwerden. Zusätzlich vermuteten sie, dass Frauen sozialisationsbedingt Gefühle auf höheren Bewusstseinsstufen verarbeiten und expressiver sind als Männer. Sie konnten diese Hypothesen aber nur teilweise mit ihren Daten aus einem gemischten Demenz-Angehörigensample belegen. Männer zeigten sich ebenso emotional expressiv wie die Frauen, und die Expressivität hatte keine Beziehung zu subjektiver Belastung und körperlichen Beschwerden. Die Autoren erklären dies u.a. damit, dass Männer, die häusliche Pflege übernehmen, möglicherweise ein atypisches Männersample darstellen, oder dass chronische Stresssituationen wie die häusliche Pflege Selbstbeobachtung fördert, emotional wie behavioral. Frauen waren bewusster für emotionale Zustände anderer Personen, aber nicht den eigenen gegenüber. Wie vermutet führte größere Bewusstheit zu vermehrter Wahrnehmung psychischer Belastung, dies aber nur bei Pflegenden, die geringe Belastungsniveaus aufwiesen. Bei sehr hoch Belasteten, dies waren nur Frauen, fanden sich keine Korrelationen, sodass hier vermutlich andere, unbekannte Variablen Einfluss nehmen. Ebenfalls entsprechend der Vermutung verringerte größere Bewusstheit den eigenen Emotionen gegenüber die Klagen über körperliche Beschwerden, dies aber nur bei Frauen. Bei Männern war gerade größere „self-emotional awareness“ mit vermehrten Körperbeschwerden assoziiert, ein Befund, den die Autoren damit erklären, dass es für Männer möglicherweise sozial akzeptierter erscheint, über körperliche Beschwerden als über seelische Probleme zu klagen. 151 Zusammenfassend kann die geringere Belastung von Männern bei der häuslichen Pflege, die mit wenigen Ausnahmen von den meisten Studien gefunden wird, aus zwei Gründen resultieren: Entweder sind ihre Pflegestile724 weniger stressend, oder die Forschungsdesigns bilden die männlichen Belastungen nicht akkurat ab725. Die letztere Vermutung unterstützen Moritz, Kasl & Bergman726, die darauf hinweisen, die meisten Studien, die bei pflegenden Frauen höhere Belastungen gefunden haben, hätten nicht mit repräsentativen Samples gearbeitet und seien durch ein Übergewicht der Frauen in den Samples gekennzeichnet. Dem ist hinzuzufügen, dass die tatsächliche gesundheitliche Belastung der Männer möglicherweise nicht erkannt wird, weil sie mit einem spezifischen Gesundheitsverhalten viele Beschwerden verschleiern. Männer besuchen seltener als Frauen Ärzte und nehmen seltener Vorsorgemaßnahmen in Anspruch727, haben aber oft schwerwiegendere, potenziell letale Krankheiten und sind häufiger hospitalisiert als Frauen728. 4.3.2.3 Persönlichkeitsmerkmale Die Persönlichkeit spielt im Stressprozess in der Phase der Bewertung des Stressors eine entscheidende Rolle. Hooker und Kollegen729 argumentieren, innerhalb des Stressmodells von Lazarus & Folkman730 sei die kognitive Bewertung der Schlüssel für das Verständnis der Wirkung von Stressoren auf das individuelle Wohlbefinden. Menschen schrieben Situationen Bedeutungen zu, und dies vollziehe sich in einem interaktiven, konstruktiven Prozess. Die Persönlichkeit prädisponiere eine Person in der Art, wie sie Ereignisse bewerte, d.h. ob sie sie zum Beispiel als gutartig oder als bedrohlich einstufe731. Zusammenhänge von Persönlichkeit und körperlicher wie Gesundheit sind für die Allgemeinbevölkerung vielfach belegt psychischer 732 . Negative emotionale Zustände wie Feindseligkeit und Ärger zum Beispiel machen 724 vgl. Kapitel 3.2.3 725 vgl. Thompson 2002 726 vgl. Moritz, Kasl & Berkman 1989 727 vgl. Nathanson 1990; zit. nach Kramer 1997b, 241 728 vgl. Thomas & Kelman 1990; zit. nach Kramer 1997b, 241 729 vgl. Hooker et al. 1998 und Hooker et al. 1992; vgl. auch Vitaliano et al. 1989a, 1989b,1991, 1993 730 vgl. Lazarus & Folkman 1984 731 vgl. Hooker et al. 1998 732 vgl. Übersicht bei Hooker et al. 1998, P74 152 anfälliger für Krankheiten733. Die Klammer für diese Zusammenhänge sehen Hooker et al.734 im Stress. Distress sei mit körperlichen Mechanismen assoziiert, wie etwa kardiovaskulärer Reaktivität oder Herabregulation des Immunsystems, die auf Dauer zu chronischen Gesundheitsproblemen führen könnten735. Das Merkmal „Neurotizismus“ ist speziell mit vermehrtem Stress verbunden. Personen mit hohen Neurotizismuswerten interpretieren Lebensereignisse negativer und haben eine höhere Neigung zu Distress als Menschen mit niedrigen Neurotizismuswerten736. Andere Persönlichkeitsmerkmale können als Ressourcen in Stressperioden wirken. Selbstwirksamkeit (self-efficacy) beinhaltet eine weite Spanne von Anpassungsverhalten wie Coping-Fähigkeiten, Resignation im Falle des Scheiterns und Leistungsstreben737. Ein Kompositum aus Persönlichkeitsfaktoren (commitment, control, challenge), das als „hardiness“ bezeichnet wird, kann darüber entscheiden, ob jemand in Stresssituationen krank wird oder nicht738. Dass eine Optimismus-Disposition dazu verhelfen kann, Probleme besser zu bewältigen, wurde am Beispiel der Rekonvaleszenz nach Bypass-Operationen gezeigt739. Empirische Befunde aus der Belastungsforschung zur Situation von Angehörigen Demenzkranker bestätigen die Bedeutung von Persönlichkeitsfaktoren. Nunley740 belegte, dass „hardiness“ auch bei Ehegatten Demenzkranker eine schützende Funktion hat, indem dieses Merkmal die Effekte von Verhaltensproblemen des Patienten auf das Belastungserleben und die Lebensqualität der Pflegenden abschwächte und auch vor Depression schützte. Vitaliano et al.741 fanden in ihrer Langzeitstudie bei etwa einem Fünftel der untersuchten Ehegatten hohe Werte von Expressed Emotion (EE = Kritizismus und Überinvolviertheit). Diese Pflegenden berichteten mehr Depression, Belastung, zurückgehaltenen Ärger und geringere Wutkontrolle als Gatten mit niedrigeren EE-Werten. Sie zeigten auch mehr Vermeiden und Scham gegenüber anderen, und sie schätzen die Schwere der Behinderung ihres Gatten schwerer ein. In einem zweiten Bericht 733 vgl. Übersicht bei Monahan & Hooker 1995, 397 734 vgl. Hooker et al. 1998 735 vgl. Übersicht bei Hooker et al. 1998, P74 736 vgl. Übersicht bei Hooker et al. 1998, P74 737 vgl. Bandura 1982; zit. nach Monahan & Hooker 1995, 307 738 vgl. Übersicht bei Monahan & Hooker 1995, 307 739 vgl. Scheier et al. 1989; zit. nach Hooker et al. 1992, 367 740 vgl. Nunley 2002 741 vgl. Vitaliano et al. 1989a 153 über den weiteren Studienverlauf berichten die Autoren742, dass EE und der Ausdruck von Ärger und Wut (anger) – beides konzeptualisiert als Vulnerabilität – bei den pflegenden Ehepartner eine von den Patientenvariablen unabhängige Beziehung zum Auftreten von Stress hatten. Ehegatten mit anfangs hohen Raten an Angst, Ärger und körperlichen Gesundheitsproblemen waren gefährdeter für Belastungen im weiteren Verlauf. Umgekehrt waren Pflegende mit guten sozialen Ressourcen und „Outlook-Faktor“743 positivem (= Überzeugungen über Lebenszufriedenheit und Dankbarkeit mit dem, was man hat) weniger belastet im Verlauf. Ärger, Groll und Wut (anger) scheinen bei der häuslichen Pflege eines Demenzkranken eine besondere Rolle zu spielen. Sie wurden als häufigster negativer Affekt in einem gemischten Familienangehörigensample von 744 Alzheimer-Kranken ermittelt . Bei Ehegatten von Demenzkranken wurde im Vergleich zu einer nicht-pflegenden Kontrollgruppe entdeckt, dass hohe „angerout-scores“ und hohe Feindseligkeitswerte, kombiniert mit den Stressoren der Pflege, ein Risiko für schlechte Blut-Lipid-Profile ergaben745. Eine Reihe von Studien beschäftigte sich mit den Merkmalen „Neurotizismus“ und „Optimismus“. Hooker et al.746 konnten in einem Sample aus Ehegatten Demenzkranker belegen, dass beide Merkmale auf das Niveau des wahrgenommenen Stresses einwirken und somit einen indirekten Einfluss auf die physische und psychische Gesundheit haben. In einer 30-Tage-Studie an Ehegatten Demenzkranker zeigten Shifren & Hooker747, dass deren Optimismus über die Tage hinweg sich immer wieder veränderte. Dabei korrelierten die aktuellen Optimismuswerte (state optimism) signifikant mit dem dispositionalen Optimismus der Person. Die Autorinnen interpretieren unter Bezugnahme auf Bandura748, dass Pflegende mit hohem dispositionalen Optimismus möglicherweise besser in der Lage sind, ihre Zukunftserwartungen so zu modulieren, dass sie zu den täglichen Anforderungen der Pflegesituation passen. Dies gelingt, indem sie zwischen optimistischen Gefühlen bezüglich mancher Aspekte und realistisch pessimistischen Gefühlen bezüglich anderer Aspekte 742 vgl. Vitaliano et al. 1991 743 vgl. Diener et al. 1985; zit. nach Vitaliano et al. 1991, 399 744 vgl. Gallagher et al. 1990 745 vgl. Vitaliano et al. 1998 (im Druck); zit. nach Hooker et al. 1998, P74 746 vgl. Hooker et al. 1992 747 vgl. Shifren & Hooker 1995 748 vgl. Bandura 1982; zit. nach Shifren & Hooker 1995, 72 154 unterscheiden können. Die optimistischeren Probanden hatten niedrigere Werte negativer Affekte. Die Autorinnen erklären dies damit, dass es optimistischen Personen leichter fällt, negative Gefühle zur Seite zu stellen und sich auf Problemlösungen zu konzentrieren. Gallant & Connell749 fanden bei Ehegatten Demenzkranker direkte Zusammenhänge zwischen Neurotizismus und Depression, und auch indirekte Beziehungen via Stressempfinden und Gesundheitsverhalten. Beim Gesundheitsverhalten spielte vor allem körperliche Aktivität eine wesentliche Rolle. In einer anderen Untersuchung schlossen Hooker et al.750 in die Frage nach der Wirkung der Persönlichkeit auch die soziale Unterstützung mit ein und fanden, dass die Persönlichkeit der pflegenden Ehegatten direkte und indirekte Einflüsse auf ihre seelische Gesundheit hatte und indirekte auf ihre körperliche Gesundheit via Stress und soziale Unterstützung. Sie argumentieren, dass die persönliche Einschätzung von sozialer Unterstützung ein wesentlicher Umstand dafür ist, ob sie wirkungsvoll ist. Bei der Einschätzung spielt die Persönlichkeit eine entscheidende Rolle. 4.3.3 Qualität der vergangenen Ehebeziehung Die Merkmale der vergangenen und aktuellen Ehebeziehung können innerhalb der Systematik des Stressmodells als Mediatoren751 oder Moderatoren zwischen Stressor und Stressfolgen angesehen werden. Das heisst, die Qualtität der Beziehung „can be viewed not only as a product of the stressors, but also as providing a particular lens through which stressors are interpreted or appraised“752. Die meiste Forschung in diesem Bereich hat sich mit der Beziehung vor dem Beginn der Demenz und ihrem Einfluss auf das Belastungserleben der pflegenden Partner beschäftigt, während die Auswirkungen der Demenz auf die aktuelle Beziehung weitgehend ignoriert worden sind753. Erwähnenswert ist im Zusammenhang dieses Kapitels auch, dass aus einer ganz anderen Blickrichtung, nämlich der Frage, welche Rolle psychosoziale Faktoren für die Entwicklung einer Demenz spielen, zwei Arbeiten Ergebnisse berichten, die auch etwas über die vormalige Ehebeziehung 749 vgl. Gallant & Connell 2003 750 vgl. Hooker et al. 1998 751 vgl. Horowitz & Shindelman 1983 752 Lawrence et al. 1998, 150 753 vgl. Bookwala & Schulz 2000; Majerovitz 1995 ; vgl. Kapitel 3 155 aussagen. Bauer et al.754 verglichen die Paarbeziehungen von AlzheimerPatienten und Patienten mit vaskulärer Demenz. Bei ihren Alzheimer-Probanden fanden sie als langjähriges prämorbides Muster eine Inferiorität in der Hauptpartnerschaft, bei den vaskulär Dementen eine Dominanz in der Hauptpartnerschaft. Unterstützung gibt es bei Kropiunigg755, der ebenfalls in einem Sample aus Alzheimer-Patienten auf langjährig wenig ausbalancierte Beziehungen stieß. Die Patienten waren im Allgemeinen schon vor Ausbruch der Demenz stark dominiert gewesen durch ihre Partner. Der Autor sieht im Hintergrund ein fragiles Selbst der Alzheimer-Patienten. Einen theoretischen Bezugsrahmen für Ergebnisse zur Beziehung von Ehequalität und Pflege liefert die Arbeitsgruppe um Williamson, die sich in verschiedenen Arbeiten zur häuslichen Pflege756 auf die Theory of Communal Relationships von Clark & Mills757 stützt. Sogenannte „communal relationsships“758 zeichnen sich durch Verhaltensweisen aus, die auf die Bedürfnisse des Partners eingehen oder auf sie einzugehen versuchen. Solche Beziehungen finden sich meist zwischen engen Freunden, Liebespartnern oder Familienmitgliedern. Clark & Mills759 kontrastieren dazu sogenannte „exchange relationships“, die sie als quid-pro-quo-Austauschbeziehungen charakterisieren, bei denen die Sorge um Bedürfnisse und Wohlbefinden des Partners eine marginale Rolle spielt. Derartige Beziehungen bestehen zwischen Geschäftspartnern, Fremden oder entfernteren Bekannten. Befunde auf der Grundlage der Theory of Communal Relationships zur häuslichen Pflege: Sich nahe stehende Partner (communal partners) fühlen sich nicht ausgebeutet, wenn der andere ihnen die Hilfeleistung nicht zurückzahlen kann760. Sich nahe stehende Partner sind eher geneigt, sich gut zu fühlen, nachdem sie dem Partner geholfen haben761. Ihr Wohlbefinden verschlechtert sich entsprechend, wenn sie bei der Hilfe versagt haben762. Sie beziehen ihren Distress weniger auf den Pflegebedürftigen als auf die Konditionen der 754 vgl. Bauer et al. 1995, 1998 755 vgl. Kropiunigg 1999 756 vgl. Williamson & Schulz 1990; Williamson & Shaffer 1998, Williamson, Shaffer et al. 2001 757 vgl. z.B. Clark & Mills 1979, 1993; Mills & Clark 1982; gefunden bei Williamson & Shaffer 1998, 176 758 vgl. Williamson & Shaffer 1998, 176 759 vgl. Williamson & Shaffer 1998, 176 760 vgl. Clark & Waddell 1985; zit. nach Williamson et al. 2001, 218 761 vgl. Williamson & Clark 1989 762 vgl. Williamson et al. 1996 156 Krankheit763. In Ehebeziehungen, die „communal“ sind, bedeutet die Pflege einfach weiterhin das zu tun, was man immer füreinander getan hat, in dem Bewusstsein, der Partner würde dasselbe tun, wenn die Lage umgekehrt wäre. Wenn auch diese Pflegenden traurig über den Zustand des kranken Partners sind, so bleiben sie doch bemüht, die notwendige Pflege so zu geben, dass das Wohlbefinden des Kranken gesichert ist764. Umgekehrt sind es die Partner in historisch weniger engen Ehen nicht gewohnt, die Bedürfnisse des anderen zu befriedigen, und sie kennen es auch nicht, dass der andere auf ihre Bedürfnisse fürsorglich reagiert765. Sie beziehen ihren Distress eher auf den Partner als auf die Bedingungen der Krankheit766. 4.3.3.1 Die „schlechte“ Ehe Um die Qualität einer Ehe einzuschätzen, ist es notwendig zu verstehen, was eine intime Beziehung kennzeichnet. Waring et al.767 unterscheiden acht Dimensionen von Intimität: Affektion, Kohäsion, Expressivität, Kompatibilität, Konfliktlösung, Sexualität, Autonomie und Identität. Morris, Morris & Britton768 benutzten diese Intimitätsskala in ihrer Studie und fanden heraus, dass ein niedriges Niveau an Intimität in der Vergangenheit mit Anspannung (strain) und Depression bei der Pflege des dementen Partners verbunden war. Die Autoren vermuten, eine schlechte frühere Ehe wirke als Vulnerabilitätsfaktor, der den pflegenden Gatten für Depression prädisponieren könne, und befördere Spannungen, Ressentiments und Feindseligkeit, wenn einer der Partner abhängig wird. In eine ähnliche Richtung dachte Kramer769, die die Ehegeschichte und die Qualität der Beziehung vor dem Auftreten der Demenz als Vulnerabilität im Sinne des Double-ABCX-Modell770 der Stresstheorie ansieht. Ungelöste Eheprobleme tragen danach zur Aufschichtung von Stressoren bei und erschweren so die Bewältigung der Pflege. Kramer konnte diese Hypothese in ihrer Studie an Ehefrauen dementer Männer belegen. Die Variablen „Ehegeschichte“ und „Qualität der Beziehung“ erwiesen sich als starke Prädiktoren für Depression und Lebensqualität der Ehefrauen. Bestätigung gibt 763 vgl. Williamson, Shaffer et al. 2000 764 vgl. Williamson & Shaffer 1998 765 vgl. Williamson & Shaffer 1998 766 vgl. Williamson et al. 2000 767 vgl. Waring et al. 1980 768 vgl. Morris, Morris & Britton 1988 769 vgl. Kramer 1993a 770 vgl. Übersicht bei Kramer 1993a, 367 157 es auch aus einer Studie von Morgan & Laing771, die bei den pflegenden Ehegatten mit einer konflikthaften Ehegeschichte ein ganzes Bündel an problembehafteten Verhaltensweisen ausmachten: das Gefühl der Überwältigung durch die wachsende Schwierigkeiten als Verantwortung; Abwarten und Ignorieren von Problemlösungsstrategien; Ausdruck von Frustration und Ärger via Enttäuschung und Unzufriedenheit mit dem Gesundheitssystem; gering ausgeprägte Fähigkeit, sich in die Lage des kranken Partners zu versetzen; und wenig Erleben von Gratifikationen in der Pflegesituation. Eine Arbeit aus dem familiensystemischen Kontext hat sich mit den Einflüssen der aktuellen Paarbeziehung befasst772. Die Autoren beziehen sich auf das Circumplex-Modell der Funktionsfähigkeit von Paarbeziehungen und Familien von Olson773, das als Kernkategorien für die Funktionsfähigkeit die Kohäsion des Paares (emotionale Verbundenheit und Unterstützung), die Adaptabilität (Fähigkeit zur situativen Anpassung von Machtstrukturen, Rollenbeziehungen und Beziehungsregeln) und die Kommunikationsfähigkeit betrachtet. Ergebnisse der Studie: Die aktuelle Funktionsfähigkeit der von Demenz betroffenen Ehe war signifikant und unabhängig mit der seelischen Gesundheit des pflegenden Ehegatten assoziiert. Verluste, die mit der emotionalen Unterstützung zusammenhängen, schienen für die Entstehung depressiver Reaktionen wesentlicher zu sein als Verluste bei instrumenteller Unterstützung. Die eheliche Kohäsion war wesentlicher als die eheliche Adaptabilität. 4.3.3.2 Die „gute“ Ehe Die Ergebnisse über die Bedeutung einer glücklichen früheren Ehe für die Pflegebelastung sind gespalten. Eine Reihe von Untersuchungen deuten auf eine gewisse Schutzfunktion hin, indem die gute Beziehung den gesunden Gatten zumindest ein Stück weit vor den Belastungen der Demenzpflege bewahrt774. Die Kontinuität einer guten Beziehung erleben zu können, ist assoziiert mit besserer geistig-seelischer Verfassung (morale) und weniger Eindruck von Belastung775. 771 vgl. Morgan & Laing 1991 772 vgl. Rankin, Haut & Keefover 2001 773 vgl. Olson 1989 774 775 vgl. Cantor 1983; Horowitz & Shindelman 1983; Kramer 1993a; Lindgren, Connelly & Gaspar 1999; Meier Robinson 1990; Morris, Morris & Britton 1988 vgl. Übersicht bei Murray & Livingstone 1998, 660 158 Angehörige, die dem Pflegebedürftigen gegenüber positive Gefühle behalten, zeigen mehr Engagement und weniger subjektiv wahrgenommene Belastung776. Morris et al.777 berichten demgegenüber, dass Ehegatten, die den Verlust einer früheren engen Beziehung besonders bedauerten, ein höheres Ausmaß an Depression zeigten. In Williamsons & Schulz’778 Studie war die enge frühere Beziehung assoziiert mit geringerem Belastungserleben, nicht aber mit Depression. Eine Langzeitstudie von Tower, Kasl & Moritz779 fand ebenfalls keine Belege für die Schutzfunktion der guten Ehe. Ehemänner in engen Beziehungen (marital closeness) waren belasteter als Männer in distanzierteren Ehen. Die Effekte hielten über den gesamten Untersuchungszeitraum von drei Jahren an. Auch Lewis780 findet keine Unterstützung für die Vermutung, dass die Demenz in glücklichen Ehen leichter zu bewältigen ist. Ganz im Gegenteil, problematische Verhaltensweisen des Kranken seien in solchen Ehen besonders schlimm, weil sie die Erinnerung an eine befriedigende Vergangenheit zerstörten. In eine andere Denkrichtung weisen die Ergebnisse einer Untersuchung von O’Rourke & Wenaus781. Sie entdeckten, dass Ehegatten, die ihre Ehe in besonders positivem Licht bewerteten, weniger stressanfällig bei der Betreuung ihres dementen Partners waren. Möglicherweise rekonstruieren manche Ehegatten ihre Beziehungsgeschichte nachträglich in einer idealisierten Form, um der aktuellen, Gegengewicht durch die entgegensetzen Demenz zu unbalancierten können. Die Autoren Beziehung sehen ein solche Überlegungen in Übereinstimmung mit der Theorie des sozialen Austauschs782, wonach soziale Beziehungen ein Gleichgewicht von Geben und Nehmen anstreben, und mit Befunden zum rekonstruktiven Gedächtnisses783. 776 vgl. Horowitz & Shindelman 1983 777 vgl. Morris, Morris & Britton 1988 778 vgl. Williamson & Schulz 1990 779 vgl. Tower, Kasl & Moritz 1997 780 vgl. Lewis 1998 781 vgl. O’Rourke & Wenaus 1998 782 vgl. Thibaut & Kelly 1959; zit. nach O’Rourke & Wenaus 1998, 395 783 vgl. Neisser & Winograd 1988; zit. nach O’Rourke & Wenaus 1998, 396 Charakter des 159 4.3.4 Merkmale der Umwelt Im Bereich der Umweltvariablen sind besonders die Lebensbedingungen und die soziale Unterstützung als mögliche Einflussgrößen auf die Belastung der pflegenden Angehörigen untersucht worden. 4.3.4.1 Die Lebensbedingungen Forschungslage ist in diesem Punkt uneinheitlich. Aspekte der Lebensbedingungen wie die finanziellen Verhältnisse, Berufstätigkeit, beruflicher Status und die Wohnsituation werden einerseits nach bisheriger Befundlage als untergeordnet in ihrem Einfluss auf den Stressprozess angesehen784. Andererseits führen andere Autoren an, die sozioökonomische Situation, bekannt als klassischer Vulnerabilitätsfaktor für Gesundheitsbeeinträchtigungen, habe sich auch bei pflegenden Angehörigen als konsistentes Korrelat z.B. für Depression herausgestellt785. Das Zusammenleben mit dem Demenzkranken in einem Haushalt hat sich als ein Faktor erwiesen, der den Stress der Angehörigen erhöht786. Diese Wohnsituation trifft in der Regel auf Ehepartner zu, so dass sie schon aus diesen Gründen zu einer besonders belasteten Gruppe gehören. 4.3.4.2 Soziale Unterstützung Soziale Unterstützung kann definiert werden als multidimensionales Konstrukt, das eine Vielzahl an Beziehungen, Verhaltensweisen und Konsequenzen umfasst787. Im Kontext kritischer Lebensereignisse ist die positive Wirkung von sozialer Unterstützung Pufferhypothese besagt, vielfach dass bestätigt ihre worden788. Verfügbarkeit die Die sogenannte Effekte kritischer Lebensereignisse moderieren kann789. Ob dies auch für die häusliche Pflege demenzkranker Ehegatten zutrifft, ist nicht mit einem einfachen Ja oder Nein zu 784 vgl. Wilz 2002 785 vgl. Schulz et al. 1995 786 vgl. George & Gwyther 1986; Harper & Lund 1990 787 vgl. Streeter & Franklin 1991; zit. nach Monahan & Hooker 1997, 279 788 vgl. Wilz 2002 789 vgl. Cohen & Wills 1985; zit. nach Wilz 2002, 27 160 beantworten. Soziale Unterstützung ist in der Literatur zur häuslichen Pflege unterschiedlich konzeptualisiert worden, entweder als Puffer zwischen dem potenziell stressvollen Ereignis und den Folgen oder aber als unabhängige Variable, die zum Beispiel die Gesundheit der Pflegenden beeinflussen kann790. Häufig ist sie als allgemeines, unidirektionales Konstrukt angesehen und gemessen worden. Eher selten wurde bedacht, dass Unterstützung gleichzeitig Quelle von Hilfe als auch von möglichem Stress sein kann791. Drei Dimensionen der sozialen Unterstützung werden in der Literatur regelmäßig unterschieden792: (a) Die strukturelle Dimension erfasst Anzahl, Dichte, Komposition und Erreichbarkeit der persönlichen Verbindungen, also das soziale Netz einer Person. (b) Die funktionale Dimension unterscheidet Typen von Unterstützung, die erhalten wird oder erreichbar ist, beispielsweise emotionale, informationelle oder instrumentelle Unterstützung. (c) Die Natur der Unterstützung reflektiert die Zufriedenheit mit der erhaltenen Unterstützung, mögliche Konflikte bei der Unterstützung und die Richtung und das Ausmaß von Reziprozität zwischen Netzwerkmitgliedern. Miller & Guo793 betrachten das Zusammenwirken dieser Dimensionen in folgendem Modell: Bestimmte Typen von Problemen verlangen bestimmte Funktionen von Unterstützung. Die Beschaffenheit des sozialen Netzes einer Person ist entscheidend dafür, ob die jeweils gesuchte Unterstützung verfügbar ist. Die stressreduzierende Wirkung von sozialer Unterstützung wird also durch die Beziehung von Netzwerkstruktur und Unterstützungsfunktion wesentlich reguliert. Mit anderen Worten, die Wirkung entsteht durch die Formen des Supports, ihre Quellen und ihre Eignung für die Lösung der Probleme, mit denen eine Person konfrontiert ist794. Für andere Autoren ist die subjektive Bewertung des Hilfeempfängers, seine Zufriedenheit mit der Hilfe, der entscheidende Faktor dafür, ob Unterstützung stressreduzierend wirkt795. 790 vgl. Fiore, Becker & Coppel 1983, dort ein kleiner Überblick, 423 791 vgl. Fiore, Becker & Coppel 1983; MaloneBeach & Zarit 1995 792 vgl. Vrabec 1997, siehe dort Überblick über Literatur zur sozialen Unterstützung 1980-1995 793 vgl. Miller & Guo 2000 794 vgl. Übersicht bei Miller & Guo 2000, S164 795 vgl. Sarason et al. 1991 ; zit. nach Monahan & Hooker 1995, 306; und Übersicht bei Vrabec 1997 161 (a) Die strukturelle Dimension Die Größe und Zusammensetzung der sozialen Netze von Ehegatten dementer Menschen ist nur selten Thema von Untersuchungen gewesen. Allgemeines zu sozialen Netzwerken älterer Menschen ist im Kapitel 4.2.2 zu finden. Eine empirische Studie untersuchte die Netzwerkgröße und die Kontaktfrequenz von Ehegatten dementer Patienten796. Die Netzwerke enthielten signifikant mehr Mitglieder aus dem Familien- und Freundeskreis als formelle Netzwerkmitglieder. Die mittlere Größe des Familien- und Freundesnetzwerkes lag bei 7-8 Personen, zu denen Kontakt innerhalb des letzten Monats vor der Befragung bestanden hatte. Die Kontaktfrequenz lag bei einmal bis mehrmals wöchentlich. In einer anderen Studie wurde das Ausmaß sozialer Unterstützung in Bezug auf die Belastung der Pflegenden untersucht797. Die Ehegatten bewerteten auf einer Drei-Punkt-Skala, ob sie mehr als genug, genug oder nicht genug soziale Unterstützung erhielten. Ergebnis: Die Belastungen der mittleren Gruppe waren am geringsten. Diejenigen, die die empfangene Hilfe entweder als mehr als genug oder als zu wenig empfanden, erlebten gleich hohe subjektive Belastungen. In einer Langzeitstudie wurde ein Zusammenhang von einerseits geringer sozialer Unterstützung in Kombination mit Problemverhalten des Demenzpatienten und auf der anderen Seite einer Verschlechterung der Immunfunktionen nachgewiesen bei den pflegenden Ehegatten im Verlauf der Zeit 798 . Insgesamt weisen empirische Befunde auf entlastende Wirkungen eher bei Formen informeller Unterstützung hin799. (b) Die funktionale Dimension Die funktionale Dimension der sozialen Unterstützung bildet sich in den folgenden fünf Kompenenten ab, die in der Literatur immer wieder genannt werden800: • Kognitive Beratung (cognitive guidance) antwortet auf den Bedarf an Information, Orientierung und Rat . • Emotionale Unterstützung (emotional support) lässt den Empfänger spüren, dass man sich um ihn sorgt, ihn versteht und bestätigt, sich mit ihm 796 vgl. Carlson & Robertson 1994 797 vgl. Scott, Roberto & Hutton 1986 798 vgl. Kiecolt-Glaser et al. 1991 799 vgl. Übersicht bei Vrabec 1997 800 vgl. Fiore, Becker & Coppel 1983 162 solidarisiert und ihm soweit helfen wird, wie man kann. Diese Form wird häufig als der Eckpfeiler sozialer Unterstützung betrachtet801. • Soziale Einbindung (socializing) bedeutet mit anderen zusammen sein zu können in nicht-problemorientierten Interaktionen, die potenziell erfreulich sind. • Instrumentelle Unterstützung (tangible assistence) bezeichnet greifbare Hilfeleistungen aus dem sozialen Netzwerk. • Verfügbarkeit einer Vertrauensperson (availability of someone to selfdisclose or to confide in), der man die eigenen Gefühle, Gedanken, Sorgen und Hoffnungen offenbaren kann. Eine theoretische Verbindung zwischen struktureller und funktionaler Dimension stellt das aufgabenspezifische Modell von Litwak802 her. Danach geben unterschiedlich positionierte Netzwerkmitglieder unterschiedliche Typen von Unterstützung. Ehegatten und Haushaltsangehörige werden für besonders geeignet angesehen, die alltäglichen Aufgaben in der häuslichen Pflege zu übernehmen. Die weitere Verwandtschaft steht üblicherweise für kurzfristiges Einspringen und für emotionale Unterstützung zur Verfügung, Freunde als Vertraute und für peer-bezogenen Rat. Formale Dienste übernehmen mit ihrem höheren Grad an technischem Wissen und Arbeitsteilung spezielle Aufgaben, die von den pflegenden Angehörigen aus welchen Gründen auch immer nicht mehr geleistet werden können. Ähnliche Ergebnisse hatten Carlson & Robertson803 für Ehegatten Demenzkranker: Von Familie und Freunden erhielten sie in absteigender Reihenfolge soziale Einbindung, emotionale Unterstützung, instrumentelle Hilfe und kognitive Beratung. Die Familie war hauptzuständig für emotionale Unterstützung. Formelle Netzwerkmitglieder erbrachten vor allem instrumentelle Hilfe und emotionale Unterstützung. Interessanterweise erhielten die Pflegenden auch Unterstützung von ihren dementen Partnern, und zwar instrumentelle Hilfe. Wenn auch diese „Hilfe“ für manche Mehrarbeit bedeutete, so wurde sie doch von anderen Befragten mit großer Befriedigung wahrgenommen und als wertvoller Aspekt für das Zusammenleben des Paares betrachtet. 801 vgl. Übersicht bei MaloneBeach & Zarit 1995 802 vgl. Litwak 1985; zit. nach Miller & Guo 2000, S165 803 vgl. Carlson & Robertson 1994 163 Empirische Befunde zu den Wirkungen unterschiedlicher Funktionen der sozialen Unterstützung sind komplex. Einige Arbeiten stellen fest, die soziale Unterstützung sei für das Belastungsniveau der Angehörigen ein wesentlicherer Faktor als der objektive Krankheitszustand des Patienten804. Allgemein werden entlastende Effekte in mehreren Untersuchungen nachgewiesen805. Soziale Unterstützung kann vor Depression schützen806 und mit einem geringeren Gebrauch von psychotropen Medikamenten korrelieren807. Auch Einflüsse auf die körperliche Gesundheit sind gefunden worden. Geringere soziale Unterstützung war mit einem schlechteren Immunstatus bei pflegenden Ehegatten assoziiert808. Emotionale und instrumentelle Unterstützung sind in zahlreichen Studien als entlastende Variablen bestätigt worden809. Soziale Aktivitäten mit anderen (im Sinne von socializing) halfen Ehefrauen weniger als Töchtern. Die Autoren erklären dies damit, dass Ehefrauen möglicherweise Freizeitaktivitäten in der Vergangenheit gemeinsam mit ihrem Mann unternommen haben und deshalb in Rollenkonflikte geraten, wenn sie ohne ihn etwas unternehmen810. Emotionale Unterstützung erwies sich dagegen besonders für Ehefrauen als hilfreich, um Problemverhalten des erkrankten Mannes zu bewältigen811. Für konkrete Hilfeleistungen bei der Pflege fand diese Untersuchung keine Effekte bezüglich Depression812. (c) Die Natur der Unterstützung Diese Dimension wurde häufig über die Zufriedenheit gemessen mit dem Hauptergebnis, dass für die stressreduzierende Eigenschaft der sozialen Unterstützung weniger Ausmaß und Art 813 Wahrnehmung von deren Angemessenheit als vielmehr und Verfügbarkeit die 814 individuelle entscheidend ist. 804 vgl. Clipp & George 1990; Schulz & Williamson 1991. Diese Studien haben allerdings nicht mit homogenen Ehegattensamples gearbeitet. 805 vgl. George & Gwyther 1986; Zarit, Reever & Bach-Peterson 1980. Diese Studien haben allerdings nicht mit homogenen Ehegattensamples gearbeitet. 806 vgl Schulz & Williamson 1991 807 vgl. Clipp & George 1990; Studie an einem gemischten Sample aus Ehegatten und Kindern 808 vgl. Kielcolt-Glaser et al. 1991 809 vgl. Übersicht bei Vrabec 1997, allerdings alle Studien an gemischten Samples 810 vgl. Li, Seltzer & Greenberg 1997 811 vgl. Li, Seltzer & Greenberg 1997 812 vgl. Li, Seltzer & Greenberg 1997 813 vgl. Sarason et al. 1991; zit. nach Monahan & Hooker 1995, 306 814 vgl. Übersicht bei Vrabec 1997 und Übersicht bei Wilz 2002 164 Nicht befriedigte Unterstützungserwartungen und negativ empfundene Hilfen sind offenbar nicht stressneutral, sondern werden selbst als stressvolle Ereignisse oder als Form von chronischem Stress angesehen, welche die durch die Pflegesituation bereits bestehenden Belastungen weiter erhöhen können815. Mehrere Studien berichten zwar ein insgesamt höheres Ausmaß an positiver Unterstützung als an Konflikten, aber die Konflikte hatten eine stärkere Auswirkung auf das Wohlbefinden der pflegenden Angehörigen816. Carlson & Robertson817 nennen mögliche Ursachen für Konflikte rund um soziale Unterstützung: Es kann sich um unaufgeforderte Hilfeleistungen handeln. Die Art und Weise, wie die Hilfe umgesetzt wird, kann mit der Praxis des pflegenden Ehegatten kollidieren. Im Laufe der Zeit können Familienmitglieder beginnen, über ihre Beziehung zueinander zu kommunizieren, was zu Belastungen führen kann. Helfer können auf instrumentelle Aspekte ihrer Unterstützung fokussieren und expressive Anteile außer Acht lassen, mit der Folge, dass das Selbstbewusstsein des Hilfeempfängers Schaden nimmt818. Der letztgenannte Aspekt wird von anderen Studien bestätigt, die negative Auswirkungen für überfürsorgliche Unterstützung festgestellt haben819. Ärger über soziale Unterstützung hat sich in einer Studie an Ehegatten Demenzkranker als starker Prädiktor für Depression herausgestellt820. Besonders emotionale und informationelle Konflikte korrelierten mit Depression821. Zu fragen ist allerdings, was zuerst da war: eine depressive Stimmung, die Menschen dazu bringt, gewöhnliche soziale Interaktionen als konflikthaft wahrzunehmen822 oder eine unbefriedigende soziale Interaktion, die zu depressiver Reaktion führt? Über die Reziprozität bei der sozialen Unterstützung und ihre Auswirkungen auf das Belastungserleben pflegender Angehöriger sind die vorliegenden Forschungsergebnisse noch nicht aussagekräftig, urteilt Vrabec in ihrem Literaturüberblick823. 815 vgl. Übersicht bei Vrabec 1997 816 vgl. Übersicht bei MaloneBeach & Zarit 1995 817 vgl. Carlson & Robertson 1993 818 vgl. Barrera 1986, zit. nach Carlson & Robertson 1993 819 vgl. Übersicht bei Wilz 2002, 27 820 vgl. Fiore, Becker & Coppel 1983 821 vgl. MaloneBeach & Zarit 1995. Die Studie arbeitete nicht mit einem reinen Ehegattensample, sondern mit pflegenden Frauen von Demenzkranken, darunter auch Ehefrauen. 822 vgl. Beck 1967; zit. nach MaloneBeach & Zarit 1995 823 vgl. Vrabec 1997 165 Für die Beratung von pflegenden Angehörigen bedeutsam sind informationelle Konflikte, deren Rolle in zwei Studien herausgestellt wird. In der Untersuchung von Fiore, Becker & Coppel824 waren unbefriedigte Erwartungen im Bereich der kognitiven Beratung (cognitive guidance) besonders stark mit Depression verknüpft. Die Autoren erklären diesen Befund damit, dass Angehörige Demenzkranker viel Wissen über die Krankheit benötigen und bei unzureichender Beratung in diesem Bereich depressiv reagieren. Andererseits spekulieren sie auch, dass problemorientierte Coping-Strategien, wie die Suche nach kognitiver Beratung, nicht effektiv sind in Situationen, die per se nicht auflösbar sind, was auf die Demenz zutrifft. Das Festhalten an dieser Art des Copings führe dann möglicherweise zu Enttäuschungen und depressiven Reaktionen. Bei MaloneBeach & Zarit825 waren sogenannte informationelle Konflikte am stärksten mit Depression verbunden, und außerdem gab es eine starke Korrelation zwischen emotionalem und informationellem Support. Informationelle Konflikte entstehen, wenn Pflegende sich von einem Ratgeber zu einer Veränderung ihrer Vorgehensweise gedrängt fühlen oder die gegebenen Informationen ungeeignet sind. Die Autoren interpretieren ihre Ergebnisse so, dass Informationen, die bei den Pflegenden den Eindruck entstehen lassen, man wolle ihre aktuellen Bewältigungsbemühungen entwerten, konflikthaft und depressiv verarbeitet werden, während Informationen dann hilfreich sind, wenn der Ratgebende erkennbar unterstützende, wohlwollende und fürsorgliche Intentionen zeigt. Ein letzter Aspekt zur subjektiven Bewertung von sozialer Unterstützung: Krause, Liang & Keith826 untersuchten die Interaktionen zwischen drei Dimensionen, nämlich sozialem Kontakt, erhaltener Unterstützung und antizipierter Unterstützung. Kontakt mit Familienmitgliedern (nicht mit Freunden) war mit erhöhter erhaltener emotionaler Unterstützung assoziiert, und erhaltene Unterstützung erhöhte im Gegenzug die Erwartung, auch in Zukunft auf Unterstützung zählen zu können. Das Vertrauen darauf, bei Bedarf Hilfe zu bekommen, hat sich als potenterer Stressreduzierer erwiesen als tatsächlich empfangene Hilfeleistung827. 824 vgl. Fiore, Becker & Coppel 1983 und MaloneBeach & Zarit 1995 825 vgl. MaloneBeach & Zarit 1995 826 vgl. Krause, Liang & Keith 1990, zit. nach Monahan & Hooker 1997, 279 827 vgl. Wethington & Kessler 1986, zit. nach Monahan & Hooker 1997, 280 166 4.3.4.3 Inanspruchnahme formeller Dienste des Gesundheits- und Sozialsystems Eine Typologie828 entlastender Angebote für häuslich pflegende Angehörige unterscheidet Gesprächskreise und Selbsthilfegruppen, Beratung (individuell oder für Familien), psychoedukative Gruppenangebote (zum Erwerb spezieller Fertig- und Fähigkeiten), entlastende Hilfen (z.B. ambulante Pflegedienste, Tagespflege, Kurzzeitpflege) und übergreifende Multi-Komponent-Interventionen, die verschiedene der vorher genannten Komponenten zu einem Programm zusammenführen. In der Literatur finden sich an vielen Stellen Hinweise darauf, dass gerade pflegende Ehegatten derartige Angebote selten nutzen829, wobei besonders Angehörige Demenzkranker830 und speziell Ehefrauen831 zurückhaltend zu sein scheinen. Warum ist das so? Allgemeine Barrieren, Dienste in Anspruch zu nehmen, können (1) struktureller Natur sein (Bekanntheit, Erreichbarkeit, Flexibilität, Qualität und Finanzierbarkeit von Angeboten); (2) in der Person des Pflegebedürftigen liegen (z.B. Aggressivität, Gefahr der Verschlechterung bei Umgebungswechsel) und (3) innere, d.h. kognitive oder emotionale Schwellen des pflegenden Angehörigen sein (internalisierte Normen und Einstellungen, Überzeugung der eigenen Unersetzlichkeit, Leugnen der Beeinträchtigungen des Kranken, Angst vor Kontrollverlust oder soziale Ängste, z.B. Scham sich vor anderen zu offenbaren) 832. Diese Barrieren gelten allgemein für pflegende Angehörige. Aber was trägt speziell dazu bei, dass Ehegatten Hilfen gegenüber wenig aufgeschlossen zu sein scheinen? Steiner-Hummel833 sieht einen Teil der Verantwortung bei den professionell Tätigen. Sie vermutet, die professionell tätigen Helfer neigten dazu, alte Ehen sich selbst zu überlassen, entweder weil sie das abendländische Bild der Ehe im Kopf hätten, welches die Ehe als tragfähige, geschlossene Einheit sehe, die besondere Leistungen ermögliche und besondere Belastungen verkrafte. Oder weil sie sich von einem negativen Stereotyp der Altersehe leiten 828 vgl. Bourgeois, Schulz & Burgio 1996 829 vgl. z.B. Übersicht bei Murray & Livingstone 1998, 668; Murray et al. 1999, 663; O’Connor 1999, 212 830 vgl. Übersicht bei O’Connor 1999, 212 831 vgl. Übersicht bei Perry & O’Connor 2002, 61 832 vgl. Holz 1998 833 vgl. Steiner-Hummel 1987 167 ließen, das Erstarrung, leere Routine und Fehlen bedeutungsvoller Kommunikation suggeriere – und damit wenig fruchtbaren Boden für erfolgreiche professionelle Interventionen ahnen lasse. Die Autorin argumentiert, an dem Abstand hätten beide Seiten teil: das Paar, das wesentliche Informationen über die Beziehung, die Belastungen im Zusammenleben, über Gesundheits- und soziale Veränderungen nicht genügend nach außen transparent mache und die Umgebung dadurch, dass sie vor eingefahrenen Beziehungsmustern des Paares kapituliere. O’Connor834 führt aus, die Literatur habe bisher die Inanspruchnahme bzw. NichtInanspruchnahme formeller Dienste nicht adäquat erklären können. Entgegen allgemeiner Auffassung ließ sich empirisch nicht belegen, dass Kenntnis von und Zugang zu Diensten ein aussagekräftiger Prädiktor ist835. Sie sieht einen entscheidenden Mangel darin, dass der Begriff des Bedarfs an formeller Unterstützung nicht ausreichend geklärt sei. Was ist objektiver, was ist subjektiv eingeschätzter Bedarf? Wessen Bedarf wird berücksichtigt, der des Pflegebedürftigen oder der des Angehörigen? Sie plädiert dafür, die subjektive Bedeutung zu untersuchen, die Angehörige formellen Unterstützungsdiensten zuschreiben, um von hier aus den individuellen Bedarf zu bestimmen. In drei Fallstudien pflegender Ehegatten von Demenzpatienten stieß sie darauf, dass die Nutzung von Diensten für jeden dieser Ehegatten eine andere subjektive Bedeutung hatte, die nur vor dem Hintergrund der individuellen Lebensgeschichte verständlich wurde. Für den einen bedeutete die Nutzung eines Dienstes, einen Kontrollverlust zugeben, die eigene Inkompetenz zur Bewältigung der Situation eingestehen zu müssen, Gefühle, die für diesen Mann vor dem Hintergrund seiner Lebenserfahrungen intolerabel waren. Ein anderer fürchtete das Eindringen Fremder in seine Privatsphäre, und für eine pflegende Ehefrau stellten Profis eine Bedrohung ihrer Ehefrauenrolle dar. In einer zweiten Studie sah O’Connor836 Verbindungen zwischen der Inanspruchnahme von Diensten und der Art und Weise, wie die Ehegatten ihre Pflege für den dementen Partner in dem Feld „Privatangelegenheit versus gesellschaftliche Angelegenheit“ einordneten. Diejenigen, die die Pflege stark als logische Ausdehnung der ehelichen Beziehung, also als Privatangelegenheit einstuften, sahen in der Intimität der Ehe gewissermaßen auch die „Lizenz“ zur 834 vgl. O’Connor 1995 835 vgl. Übersicht bei O’Connor 1995, 297 836 vgl. O’Connor 1999 168 Pflege. Die Frage nach notwendigen Qualifikationen für die Betreuung eines Demenzkranken war „notably absent“837 in den Narrativen dieser Ehegatten. Im Gegenteil, sie bezogen sich auf die Intimität der Ehe als Garanten für ihre Qualifikation zur Pflege im Sinne einer „sort of mental telepathy“838. Der Ehegatte ist in dieser Sicht nicht nur der logischste, sondern auch der qualifizierteste Pfleger, professionellen Diensten per se überlegen. Anders sahen dies diejenigen Ehegatten, die ihre Pflege mehr als Beitrag zu einer allgemeinen gesellschaftlichen Aufgabe ansahen. Sie betrachteten sich verstärkt als „Pflegende“, weniger als Ehegatten, betonten die herkulischen Anstrengungen, die sie unternahmen, und betrachteten die Inanspruchnahme von professioneller Unterstützung als ein Recht. Die zweite Dimension, die O’Connor in Bezug auf die Nutzung von Diensten untersuchte, war die Einordnung der eigenen Kompetenz entweder als „Beziehungsselbst“ oder als autonomes Selbst. Vor allem die Ehefrauen maßen die eigene Pflegekompetenz daran, inwieweit es ihnen gelang, die Beziehung zu ihrem dementen Mann aufrecht zu erhalten. Diese Frauen schätzten den Nutzen formeller Unterstützungsdienste danach ein, inwiefern sie das Ziel „Erhalten der Identität des Kranken und der Paarbeziehung“ stören oder stützen könnten. Viele betrachteten die Dienste eher als potenzielle Bedrohungen des Selbstwertgefühls ihres dementen Mannes und hielten sie nur unter zwei Bedingungen für akzeptabel: erstens als das kleinere Übel und zweitens bei Einverständnis bzw. Kooperation des Mannes. Das autonome Selbst tauchte vor allem in den Narrativen der Ehemänner auf. In ihren Berichten legitimierten sie einerseits eigene Bedürfnisse neben der Pflege, und sie machten deutlich, dass sie der Pflege Grenzen setzten. Bezogen auf die Inanspruchnahme formeller Dienste gab es bei ihnen unterschiedliche Einschätzungen. Die einen sahen professionelle Unterstützung als legitime Entlastung an, die anderen empfanden eine Bedrohung ihrer Autonomiegefühle. Eine zusammenfassende Interpretation der Autorin: Die Nutzung von Diensten muss im Zusammenhang der individuellen Bewertungen der Betroffenen betrachtet werden, d.h. im Zusammenhang der oben dargestellten „story-lines“ oder Diskurse der Angehörigen (= „set of beliefs, values and assumptions that is socially shared and often unconsciously reflected in language“839). Der Bedarf muss von dort aus neu definiert werden, je nachdem welchen Bedeutungshintergrund die Pflege für den Angehörigen hat. Zusätzlich komplex 837 O’Connor 1999, 219 838 O’Connor 1999, 219 839 Ristock & Pennell 1996, zit. nach O’Connor 1999, 216 169 wird es dadurch, dass die hier beschriebenen „story-lines“ in wechselnden Mischungen auftreten und nicht alle Diskurse jeweils dasselbe Gewicht haben. Im Kontext der zögerlichen Inanspruchnahme formeller Dienste sei auch nochmals an die Studie von Navon und Weinblatt840 erinnert, die detailliert im Kapitel 3.1.3.2 beschrieben worden ist. Mit deren Ergebnissen lässt sich die Abgeschiedenheit der Paare als Versuch auffassen, das Bewusstsein des drohenden Todes des Pflegebedürftigen mit einem speziellen Beziehungsarrangement abzuwehren, das allerdings nur so lange wirken kann, wie es keine Zeugen hat. Ein letzter Punkt zur Inanspruchnahme formeller Dienste betrifft die Annahme, diese Angebote seien per se entlastend und hilfreich. Dies muss aber nicht so sein. Geringe Inanspruchnahme kann auch darin begründet sein, dass die Angebote im Einzelfall eher be- statt entlasten. Steffen & Berger841 beispielsweise stellten fest, Ärger, den pflegende Angehörige erlebten, war zwar am häufigsten durch Verhaltensweisen der Dementen verursacht, doch die stärksten Ärgerreaktionen wurden durch Verhaltensweisen anderer Familienmitglieder und – das ist in diesem Kapitel interessant – durch professionelle Dienste provoziert. Manche Studien fanden sogar direkte Zusammenhänge zwischen der Inanspruchnahme formeller Dienste und Belastung oder Depression842, wobei hier bedacht werden muss, dass bei den üblichen Querschnittstudien keine Kausalbeziehungen erkennbar sind. Möglicherweise nutzen pflegende Angehörige erst dann formellen Service, wenn sie bereits schwer belastet sind, eigene Bewältigungsbemühungen versagt haben und sie eine Schwelle zu unumkehrbaren Schäden bereits überschritten haben. Andererseits kann aber auch die Art und Weise, wie Dienstleistungen erbracht werden, selbst zur Belastung werden. Die Zielsetzungen, Logiken und Sprachen von Angehörigen auf der einen Seite und von professionellen Helfersystemen auf der anderen Seite unterscheiden sich erheblich voneinander. Damit sie zu sinnvollen Kooperationsformen zusammengeführt werden können, bedarf es größerer kommunikativer Anstrengungen. Hier liegt im Augenblick sicherlich noch vieles im Argen, zumal dann, wenn professionelle Standards der Pflege aus einer Expertenhaltung heraus in der häuslichen Pflege durchgesetzt 840 841 842 vgl. Navon & Weinblatt 1996 vgl. Steffen & Berger 2000. Sie untersuchten ein gemischtes Sample aus Ehegatten und anderen Familienangehörigen von Demenzpatienten. vgl. Übersicht bei Vrabec 1997 170 werden sollen, oder wenn Profis hierarchisierend, diffus und/oder willkürlich wechselnd die Angehörigen als Co-Pflegekräfte, als Co-Klienten oder einfach als „Ressourcen“ vereinnahmen843. 4.3.5 Bewältigungsreaktion Eine einfache kausale Beziehung zwischen der Demenzsymptomatik und der Belastung der Angehörigen ist in den Grundannahmen der Stresstheorie nicht denkbar und hat sich mit den empirischen Forschungsbefunden auch nicht nachweisen lassen844. Die Variabilität des Belastungserlebens der Angehörigen wird vielmehr durch mediierende und moderierende Variablen erklärt, welche die Beziehung zwischen Stressor und Stressfolgen beeinflussen. Dies sind unter anderem die Art und Weise, wie das Individuum das potenziell stressvolle Ereignis einstuft (Bewertung) und die Art und Weise, wie es das Ereignis zu bewältigen versucht (Coping; vgl. Kapitel 4.1.2.1). Während anderen Korrelaten und den Konsequenzen des Stresses bei der häuslichen Pflege dementer Menschen viel Forschungsaufmerksamkeit gewidmet worden ist, gibt es relativ wenige Studien, die speziell die CopingMuster der pflegenden Angehörigen und deren Effekte untersucht haben845. Dabei belegen einige empirische Untersuchungen in Übereinstimmung mit den Grundannahmen der Stresstheorie die Bedeutung des Copings. Das CopingVerhalten der Angehörigen Stressauswirkungen als erwies der sich objektive als wesentlicher für Krankheitszustand die der Demenzpatienten846. 4.3.5.1 Effekte unterschiedlicher Coping-Strategien Ein Hauptinteresse der Forschung galt der Frage nach den Effekten unterschiedlicher Coping-Strategien. Dabei wurde häufiger ein Zusammenhang zwischen emotions-fokussiertem Coping und negativen psychischen Zuständen (u.a. Depression, Angst, negatives Wohlbefinden) der pflegenden Angehörigen 843 vgl. Zeman 1997 844 Vitaliano, Young & Russo 1991; vgl. Kapitel 4.2 845 vgl. Rose et al. 1997, 92 846 Übersicht bei Hooker et al. 1992, 367 171 gefunden ebenso wie eine Verbindung von Neurotizismus und emotionsfokussiertem Coping, während eine Verbindung zwischen problem-fokussiertem Coping und positiven Folgen nicht so klar zu sein scheint847. Mit einer Studie an Ehegatten Demenzkranker konnten Pruchno & Resch848 die Erkenntnisse zum emotions-fokussierten Coping weiter differenzieren. Zwei emotions-fokussierte Strategien, „wishfulness“849and „intrapsychic“850 waren mit negativen Folgen für die seelische Gesundheit verbunden, während eine dritte emotions-fokussierte Strategie, nämlich Akzeptanz, mit besserer seelischer Gesundheit und positivem Affekt einherging. Quayhagen & Quayhagen851 weisen mit ihren Ergebnissen darauf hin, dass Coping-Strategien nicht die gleichen Effekte in unterschiedlichen Gruppen pflegender Angehöriger haben müssen. Problemlösen und Hilfesuchen erwies sich in ihrer Demenzstudie als geeignete Strategie für Ehegatten, nicht aber für pflegende Töchter. Sie vermuten, dass diese Strategien unpassend sind für die spezifischen Bedürfnisse der Töchter, z.B. nach Bewältigung von konkurrierenden Anforderungen aus der Elternpflege und der Kernfamilie. Das Gesundheitsverhalten als Coping war Gegenstand einer Untersuchung von Gallant & Connell852. Die Mehrheit der befragten Ehegatten gaben Essen und Schlafen als Bewältigungsstrategien an. Allerdings wurde auch vielfach eher schädliches Gesundheitsverhalten berichtet: Je ein Drittel berichtete, nicht ausgewogen zu essen und weniger körperlich aktiv zu sein, und die Hälfte der Raucher hatte den Konsum seit der Übernahme der Pflege gesteigert. Auf der theoretischen Grundlage des Two-Process-Model of Control von Rothbaum et al.853, das zwischen primärer und sekundärer Kontrolle854 847 vgl. Übersicht bei Rose et al 1997, 92 848 vgl. Pruchno & Resch 1989a 849 „Wishfulness“ bezeichnet hier folgende Strategien: „Wunsch, eine stärkere Person zu sein, um besser damit fertig zu werden“, „Wunsch, die Dinge, die passiert sind, rückgängig zu machen“, „Wunsch, die Art und Weise, wie man sich fühlt, zu verändern“. 850 „Intrapsychic“ bezeichnet hier folgende Strategien : „Phantasien, wie die Dinge weiter gehen“, „sich selbst Dinge sagen, damit man sich besser fühlt“, „Hoffnung, dass ein Wunder geschieht“, „Tagträume/Vorstellungen von einer besseren Zeit oder einem besseren Ort“. 851 vgl. Quayhagen & Quayhagen 1988 852 vgl. Gallant & Connell 1998 853 vgl. Rothbaum, Weisz & Snyder 1982; zit. nach Burton & Sistler 1996, 422 854 Primäre Kontrolle bedeutet, dass das Individuum Kontrolle erzielt über die Veränderung der Umgebung (andere Menschen, Objekte, Ereignisse); sekundäre Kontrolle bedeutet, dass das Individuum Kontrolle erlangt über die Veränderung eigener Kognitionen oder Emotionen, indem es sich an die Umwelt anpasst. 172 unterscheidet, untersuchten Burton & Sistler855 Ehegatten mit dem Ergebnis, dass die meisten eine Kombination aus beiden Strategien bei der Betreuung ihres dementen Gatten einsetzten. Die Autoren nennen dies integrierte Kontrolle. Vor allem bei Problemverhalten des Patienten versagten primäre Kontrollbemühungen. Die Ehegatten gingen dann zu integrierter Kontrolle über. Sie verzichteten darauf, das problematische Verhalten des Kranken abstellen zu wollen, sondern passten ihr eigenes Verhalten an die Konsequenzen an. Beispiel: Wenn ein dementer Ehemann sich weigert, zu einer bestimmten Zeit zu Bett zu gehen, passt die Ehefrau ihre eigenen Schlafgewohnheiten dem Rhythmus des Mannes an. Buffum & Brod856 schließlich beschäftigten sich mit der Rolle des Humors bei der Bewältigung der Pflege. Die von ihnen untersuchten Ehegatten zeigten, wie Wohlbefinden und Humor sich im Verlauf der Demenz des Partners veränderten. Die mittlere Phase der Demenz scheint danach einerseits besonders herausfordernd zu sein, gleichzeitig aber auch besonders „funny“, weil die Patienten immer wieder bizarre Dinge tun. Das Wohlbefinden der Pflegenden war in dieser Phase am geringsten, und trotz der Situationskomik vieler Alltagssituationen war der Humor der Pflegenden weniger ausgeprägt als in anderen Phasen der Demenz. Die Autoren erklären dies damit, dass zwar ein gewisses Maß an Spannung Voraussetzung dafür sei, damit Humor Angst und Stress verdrängen könne, doch zuviel Spannung behindere den Humor. Pollmann857 registrierte die energiegebende Kraft des Humors, die Freude am Augenblick, die Humor weckt, und die Möglichkeit, dass Pflegende durch Humor schwierige Situationen mit einem Gefühl der Kontrolle angehen können. Die von ihr befragten Ehegatten hielten Humor allerdings für ungeeignet in frühen Demenzstadien. 4.3.5.2 Persönlichkeitsmerkmale und Coping Verbindungen zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Coping-Strategien ist der Fokus anderer Studien gewesen. Hooker, Frazier & Monahan858 benutzten das 855 vgl. Burton & Sistler 1996 856 vgl. Buffum & Brod 1998 857 vgl. Pollmann 2000 858 vgl. Hooker, Frazier & Monahan 1994 173 Fünf-Faktoren-Persönlichkeitsmodell, die „Big Five“ von McCrae & Costa859 bestehend aus Neurotizismus, Extraversion, Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit - für eine Untersuchung an Ehegatten Demenzkranker. Ihre Daten bestätigten den Zusammenhang von Neurotizismus und emotions-fokussiertem Coping und zeigten außerdem eine Verbindung von hohen Extraversions-Werten mit weniger emotions-fokussiertem Coping und mehr Suche nach sozialer Unterstützung. Auch Butt et al.860 fanden signifikante Korrelationen zwischen Neurotizismus, Distress und emotionsfokussiertem Coping. Speziell mit der Rolle des Neurotizismus bei der Stressadaption befassten sich Rose et al.861. Sie stützten sich auf ein Adaptionsmodell von Weinberger & Schwartz862, das Neurotizismus als eine Komponente der Anpassungsdimension Distress betrachtet. Distress, zusammen mit einem zweiten Konstrukt, der Selbstbeherrschung, werden von diesen Autoren als übergeordnete Dimension der sozial-emotionalen Anpassung oder Persönlichkeit angesehen. Distress, oder negative Emotionalität, wird definiert als „individuals’ tendencies to feel dissatisfied with themselves and their ability to achieve desired outcomes“863. Selbstbeherrschung ist eine Tendenz der “suppression of egoistic desires in the interest of long-term goals and relations with others”864. Die Ergebnisse der Studie von Rose et al.: Ehegatten mit hohem Distress nutzten eher Wunschdenken als Coping-Strategie, Probanden mit niedrigem Distress eher Akzeptanz und instrumentelles Coping. Selbstbeherrschung korrelierte nicht signifikant mit einer Coping-Strategie. Gallant & Connell865 fanden bei Ehegatten Demenzkranker eine starke inverse Beziehung zwischen Selbstwirksamkeit (self-efficacy) und subjektiver Belastung. Sie interpretieren dieses Ergebnis im Kontext eines ähnlichen Befundes von Intrieri & Rapp866, die ebenfalls bei pflegenden Ehegatten festgestellt hatten, dass die Fähigkeit, bewusste Selbstkontrollstrategien zu nutzen, um die emotionalen, kognitiven und Verhaltenskonsequenzen einer Stresssituation zu 859 vgl. Costa & McCrae 1989; zit. nach Hooker, Frazier & Monahan 1994, 388 860 vgl. Butt et al. 2002 861 vgl. Rose et al. 1997 862 vgl. Weinberger & Schwartz 1990; zit. nach Rose et al. 1997, 92f. 863 Weinberger & Schwartz 1990, 382; zit. nach Rose et al. 1997, 93 864 Weinberger & Schwartz 1990, 382; zit. nach Rose et al. 1997, 93 865 vgl. Gallant & Connell 1998 866 vgl. Intrieri & Rapp 1994; zit. nach Gallant & Connell 1998, 289 174 bewältigen (self-control skillfulness) mit geringerer subjektiver Belastung einherging. Da die Konstrukte „self-efficacy“ und „self-control skillfulness“ demselben theoretischen Hintergrund, der Social Cognitive Theory von Bandura867, entstammen, argumentieren sie, dass ihr Befund dasselbe Phänomen reflektiert wie der Befund von Intrieri & Rapp: Pflegende mit derartigen Fähigkeiten seien eher in der Lage, stressvolle Situationen zu meistern, weil sie fähig seien, bestehende Coping-Strategien zu modifizieren und sich neue Strategien anzueignen. Mit solchen bewussten, selbstregulierenden Verhaltensweisen könnten sie mit neuartigen Aufgaben fertig werden, die Anforderungen der Umgebung modifizieren und ihre emotionalen und Verhaltensreaktionen auf Stressoren regulieren. Majerovitz868 beschäftigte sich mit der Adaptabilität von Ehegatten Demenzkranker als Moderatorvariable im Stressprozess. Theoretisch bezieht sie sich auf das ABCX-Stressmodell von Hill869 und auf familiensystemische Theorie, speziell auf das Konstrukt der Familienadaptabilität von Olson870. Adabtabilität ist dort definiert als „the ability of a marital or family system to change its power structure, role relationships, and relationships rules in response to situational and developmental needs“871. Das heißt mit anderen Worten, anpassungsfähigere Paare sind in der Lage, ihre täglichen Routinen und Methoden der Problemlösung entsprechend neuer Anforderungen zu verändern. Es gibt in der Familiensystemtheorie Uneinigkeit darüber, wie die Anpassungsfähigkeit konzeptualisiert werden soll. Es gibt zwei Modelle: • Das Circumplex-Model of Familiy Adjustment872 sieht eine gekrümmte Beziehung zwischen Anpassungsfähigkeit und Funktionsfähigkeit der Familien. Familien und Paare mit Anpassungsfähigkeit auf einem der beiden extremen Pole – solche, die ohne irgendeinen Typ von Struktur existieren, oder solche, die extrem strukturiert sind und rigide am Bestehenden festhalten – erleben Schwierigkeiten und Konflikte, wenn sie auf neue Anforderungen treffen und sich an Neues anpassen müssen. Familien mit einer mittleren Anpassungsfähigkeit erleben besseres „family adjustment“ und mehr Wohlbefinden. Solche moderaten Familien zeichnen sich durch einen breiten Bereich von Coping-Mustern aus. Es sind u.a. 867 vgl. Bandura 1986; zit. nach Gallant & Connell 1998, 289 868 vgl. Majerovitz 1994, 1995 869 vgl. Hill 1949; zit. nach Majerovitz 1995, 447 870 vgl. Olson 1991a, 1991b; zit. nach Majerovitz 1995, 448 871 Olson 1991b, 787; zit. nach Majerovitz 1995, 448 872 vgl. Olson 1991a, 1991b; zit. nach Majerovitz 1995, 448 175 Paare und Familien, die ein strukturierter, konsistenter Umgang mit Familienrollen und Aufgabenverteilung kennzeichnet, aber auch flexibere Familien, die geteilte Entscheidungen und wechselnde Verantwortlichkeiten entsprechend situativen Anforderungen praktizieren. • Das Beavers-Modell873 vermutet eine lineare Beziehung zwischen Anpassungsfähigkeit und Funktionsfähigkeit in Familien und Paaren: Stärkere Adaptabilität ist hier immer verbunden mit mehr Wohlbefinden und besserer Funktionsfähigkeit. Beide Modelle beinhalten auch das Konstrukt der „closeness“ (bei Olson Kohäsion genannt) als zweiten wichtigen Faktor im „family adjustment“. Majerovitz874 untersuchte vor diesem theoretischen Hintergrund pflegende Ehegatten von Demenzpatienten. Sie fand, dass bei Pflegenden mit geringer Anpassungsfähigkeit das zeitliche Ausmaß der Pflege mit Depression assoziiert war, bei Pflegenden mit höherer Anpassungsfähigkeit nicht. Mit einer Clusteranalyse identifizierte sie eine Subgruppe von pflegenden Ehegatten, die am stärksten mit Depression belastet war. Diese Gruppe hatte folgende Merkmale: Der Patient befindet sich im fortgeschrittenen Demenzstadium, der pflegende Gatte weist eine geringe Anpassungsfähigkeit auf, der pflegende Gatte hält an seiner Rollendefinition als „Ehegatte“ fest und wechselt nicht in die Rolle als „Pflegender“. 4.3.5.3 Frühere Ehebeziehung und Coping Einen Zusammenhang zwischen Coping und früherer Ehebeziehung stellten Knop et al.875 her. Probanden, die ihre frühere Ehebeziehung als gut beschrieben, nutzten mehr konfrontatives Coping. Eine schlechtere frühere Beziehungsqualität korrelierte mit emotivem Coping, wobei emotives Coping sich als Prädiktor für Depression erwies. 873 vgl. Beavers & Voeller 1983; zit. nach Majerovitz 1995, 448 874 vgl. Majerovitz 1994, 1995 875 vgl. Knop, Bergman-Evans & McCabe 1998 176 4.4 Belastungen der Ehegatten im Vergleich zu anderen Gruppen Vergleiche sind in der Literatur in verschiedene Richtungen gezogen worden: Pflegende Ehegatten von Demenzkranken versus Pflegende von nicht dementen Pflegebedürftigen, pflegende Ehegatten versus pflegende Kinder und Demenzpaare versus gesunde Paare. 4.4.1 Pflege Demenzkranker versus Pflege nicht dementer Pflegebedürftiger Einige plausible Gründe sprechen dafür, dass die häusliche Betreuung eines Demenzkranken für die Angehörigen mehr Anstrengung und Belastung mit sich bringt als die Versorgung anderer Pflegebedürftiger. Solche Gründe sind u.a.876: Es treten demenzspezifische Verhaltensprobleme auf wie Desorientiertheit, ständiges Fragen, Stimmungsschwankungen, aggressive Reaktionen und andere Persönlichkeitsveränderungen, die allgemein als hoch belastend eingeschätzt werden und die mit einem hohen Bedarf an Beaufsichtigung und Kontrolle verbunden sind. Die Betreuung Demenzkranker umfasst im Durchschnitt mehr Stunden als die Pflege anderer Patienten. Das ständige Eingebundensein hat Konsequenzen für die Erholungsmöglichkeiten der Pflegenden, für ihre soziale Partizipation, Berufstätigkeit oder die Verwirklichung eigener Interessen. Es gelingt den Angehörigen Dementer oft weniger, andere Familienmitglieder in die Versorgung mit einzubinden und damit teilweise Entlastung zu erreichen. Demente sind nur eingeschränkt in der Lage, dem Pflegenden gegenüber Dankbarkeit für die empfangene Unterstützung zu zeigen. Wegen des progredienten Verlaufs der Krankheit müssen Pflegende trotz hoher Anstrengungen die ständige Erosion ihrer Bemühungen hinnehmen. Dennoch ist die Forschungslage nicht eindeutig in dieser Frage. Manche Autoren finden mehr Distress bei den pflegenden Angehörigen dementer Menschen877 im Vergleich zu den Angehörigen anderer Patienten, andere sehen keine 876 vgl. Übersicht bei Pinquart & Sörensen 2002, 86 877 vgl. z.B. Clipp & George 1993; zit. nach Gräßel 1998, 61; Cantor 1983 177 Unterschiede Morbidität 879 hinsichtlich oder subjektiver 880 Erschöpfung . Belastung878 Ein oder wichtiges psychiatrischer Kriterium scheinen problembehaftete Verhaltensweisen des Dementen zu sein. Ehegatten von Patienten mit derartigen Verhaltensweisen zeigten sich belasteter, während Ehegatten von Demenzpatienten ohne Problemverhalten ein Belastungsniveau aufwiesen wie Ehegatten von depressiven Patienten 4.4.2 ähnliches 881 . Pflegende Ehegatten versus pflegende Kinder Auch die Ergebnisse hinsichtlich der Belastungen von pflegenden Ehegatten im Vergleich zu anderen pflegenden Angehörigen sind nicht einheitlich. Einerseits registrieren verschiedene Untersuchungen keine Unterschiede in der Belastung von pflegenden Kindern und Ehegatten882. Eine aktuelle Studie ermittelte geringere Belastung bei entfernteren Verwandten, die Demenzkranke pflegten, während im Belastungserleben von Kindern und Ehegatten keine Differenzen festgestellt wurden883. Von anderer Seite wird immer wieder hervorgehoben, dass Ehegatten die gefährdeteste Gruppe in der häuslichen Pflege sind. Dies betrifft die ganze Bandbreite möglicher negativer Auswirkungen der Pflege: mehr körperliche und seelische Einschränkungen, subjektives Gesundheitsstörungen, Belastungserleben und stärkere auch soziale häufigere Inanspruchnahme medizinischer Einrichtungen884. Ehegatten leisten mehr Stunden an Pflege, decken eine größere Aufgabenbreite ab und delegieren praktische Aufgaben seltener als andere Angehörige885. Sie gelten als geneigter, persönliche Pflegeaufgaben (wie z.B. Hilfe bei der Toilette, beim Baden etc.) zu übernehmen und tolerieren stärkere Einschränkungen des Pflegebedürftigen über längere Zeiträume886. Manche Publikationen berichteten Differenzen zwischen pflegenden Kindern und Ehegatten in einzelnen Belastungsdimensionen. Bei Ehegatten fehlt meist die 878 vgl. Übersicht bei Gräßel 1998, 61; vgl. Übersicht bei Murray et al. 1997, 256 879 vgl. Murray et al. 1997 880 vgl. Teel & Press 1999 881 vgl. Leinonen et al. 2001 882 vgl. Übersichten bei Magai, Hartung & Cohen 1995, 227; oder bei George & Gwyther 1986, 258 883 vgl. Chumbler et al. 2003 884 vgl. z.B. die Übersichtsarbeit über psychiatrische und physische Gesundheitsstörungen bei pflegenden Angehörigen Demenzkranker von Schulz et al. 1995; vgl. auch Übersichten bei O’Connor 1999, 212 oder Murray et al. 1997, 256 885 vgl. Übersicht bei Stoller & Cutler 1992, 313; Cantor 1983; Horowitz 1985 886 vgl. Übersichten bei Stoller & Cutler 1992, 313; Horowitz 1985; für Ehemänner: Thompson 2002 178 zusätzliche Belastung durch Berufstätigkeit, die besonders für pflegende Töchter zu einer Zerreißprobe werden kann887. Andere Autoren stießen besonders in den Bereichen „soziale Aktivitäten“ und „körperliche Gesundheit“ auf höhere Belastung bei den Ehegatten im Vergleich zu erwachsenen Kindern888. Soziale Partizipation erwies sich in einer Studie als Haupteffekt für das Auftreten bzw. Fehlen von Depressionen bei Töchtern, nicht aber bei Ehefrauen889. Die Autoren vermuten, Ehefrauen gerieten in Rollenkonflikte, wenn sie ohne den Mann etwas unternehmen. Ehefrauen profitierten in derselben Studie besonders von emotionaler Unterstützung, wenn der demente Mann problembehaftete Verhaltensweisen zeigte. Die Autoren erklären dies damit, dass den Ehefrauen eine der wichtigsten Quellen emotionaler Unterstützung, nämlich der eigene Ehemann, verloren gegangen war. Finanzielle Sorgen wurden mehr von Ehegatten geäußert. Bei Ehefrauen fand man im Vergleich zu pflegenden Töchtern weniger positiven Affekt890. Töchter zeigten in einer Studie im Vergleich zu den meisten Ehegatten höhere Level an Wut und Ärger, provoziert durch Verhaltensweisen des dementen Patienten, stärker aber noch durch Verhaltensweisen anderer Familienmitglieder oder professioneller Helfer891. Pflegende Kinder neigten dazu, die demenzielle Symptomatik des Patienten als schwerwiegender darzustellen, was von den Autoren dieser Studie damit erklärt wird, dass Ehegatten akzeptierender und toleranter gegenüber den Symptomen der Demenz seien892. Eine deutsche Untersuchung fand die Ehegatten dementer Menschen in den Bereichen „erweiterte Betreuungsaufgaben für den Kranken“, „basale Pflegeaufgaben“ und „Beziehungsverlust“ belasteter als Kinder, während die Kinder mehr Belastung aufwiesen in den Konfliktfeldern von Beruf versus Pflege und Familie versus Pflege893. Zwischen pflegenden Ehemännern und Söhnen demenzkranker Angehöriger sah Harris894 folgende Unterschiede: Die Auswirkungen der Demenz auf das Leben waren bei den Ehemännern einschneidender und eindeutiger als bei den Söhnen („Es begann der erste Tag vom Rest meines Lebens“895). Den Söhnen fiel es leichter, Grenzen in der Pflege zu setzen, und sie waren kritischer gegenüber formellen Entlastungsdiensten. Die Söhne erfuhren mehr Gratifikationen durch die Pflege, für die Ehemänner 887 vgl. Krach 1998 888 vgl. Barber & Pasley 1995 889 vgl. Li, Seltzer & Greenberg 1997 890 vgl. Smerglia & Deimling 1997; George & Gwyther 1986 891 vgl. Steffen & Berger 2000 892 vgl. Cox & Albisu 2003 893 vgl. Schacke & Zank 2002 894 vgl. Harris 2002 895 ein befragter Ehemann bei Harris 2002, 230 179 ging es weniger um Belohnungen als um die eheliche Verpflichtung. „It all boils down to the two V’s, vows and values“, sagte einer der befragten Ehemänner896. Unterschiede in der Trauerreaktion sahen Meuser & Marwit897. Während Kinder dazu neigten, die Demenz im frühen Stadium zu verleugnen, zeigten sich die Ehegatten realistischer und akzeptierender gegenüber der Diagnose. Der Trauerprozess der Ehegatten verlief linear mit dem Fortschreiten der Krankheit, während die Kinder in der mittleren Phase der Demenz, wenn ihnen die Tragweite der Krankheit offenbar wurde, einen Höhepunkt der Trauer berichteten. Die Trauer der Ehegatten war paar-fokussiert, nicht ich-bezogen, die Trauer der Kinder ich-bezogener, fokussiert auf Verluste der eigenen Freiheit und die mangelnde Unterstützung durch andere Verwandte. Bei einer Heimaufnahme verspürten Kinder tendenziell eher Entlastung, während die Trauer der Ehegatten dann eher in Frustration und Wut umschlug. Mögliche Hintergründe für Unterschiede zwischen Ehegatten und Kindern diskutiert beispielhaft pflegebedürftiger alter eine Untersuchung Menschen (nicht an nur Ehefrauen und Demenzkranker) Töchtern 898 . Das Wohlbefinden der Ehefrauen brach kurz nach Eintritt in die Pflegerolle ein, und zwar deutlicher als bei den Töchtern. Die Autorinnen sehen hierfür zwei mögliche Gründe. Zum einen verändere sich für die Ehefrauen eine Hauptrolle im Leben, nämlich die Ehegattenrolle, die den Töchtern erhalten bleibe. Zum anderen spiele der Zeitpunkt der Transition eine Rolle. Die Töchter übernehmen die Pflege meist im mittleren Erwachsenenalter, einer Lebensphase, die zwar durch vielerlei andere Verpflichtungen gekennzeichnet sei, welche aber auch als Ressourcen angesehen werden könnten, die ein Gegengewicht zu den Pflegeanforderungen bilden könnten. Im Gegensatz dazu treten die Ehefrauen in einer Lebensphase in die Pflegerolle ein, in der ihre Ressourcen zur Bewältigung der Situation tendenziell geringer werden. In ihrer Lebensphase sei eher Rückzug als aktives Arbeitsengagement die Norm. Auch soziale Unterstützung durch Gleichaltrige sei weniger erreichbar, und zudem würden eigene Gesundheitsprobleme wahrscheinlicher. Die Autorinnen argumentieren, das Gewicht dieser Umstände führe dazu, dass der Eintritt in die Pflegerolle für die Ehefrauen zu einem „turning point“899 in ihrem Lebenslauf werde. 896 Harris 2002, 230 897 vgl. Meuser & Marwit 2001 898 vgl. Seltzer & Li 2000 899 vgl. Übersicht bei Seltzer & Li 2000, 175 180 Unterschiede der Belastung bei den beiden Gruppen könnten aber auch als forschungsmethodisches Bias eingestuft werden900: Die meisten Studien arbeiten mit Probanden, die von sich aus Kontakt zum Gesundheitssystem aufgenommen haben, d.h. die sich selbst als Pflegende definiert haben. Pflegende Kinder tun dies möglicherweise zu einem früheren Zeitpunkt, weil die Übernahme der Betreuung der Eltern für sie einen „major role change“ darstellt, während dies für Ehegatten nicht der Fall ist. Ehegatten erkennen sich deshalb nicht so früh als Pflegende, melden sich erst nach längerer Pflegezeit bei Gesundheitsdiensten und sind dann belasteter als die Kinder. 4.4.3 Mit Demenz konfrontierte Paare versus gesunde Paare Insgesamt gibt es in der Demenz-Ehegatten-Literatur wenige Studien, die mit Kontrollgruppen gesunder alter Ehepaare gearbeitet haben901. In diesem Abschnitt wird das spezifische Belastungserleben der Ehegatten dementer Menschen im Vergleich zu gesunden Ehepaaren behandelt. Neben der Belastung gibt es weitere Aspekte, durch die das Leben der Paare mit Demenz sich vom Leben anderer alter Ehepaare unterscheidet. Diese Aspekte sind im Kapitel 3 beschrieben worden. Die einschlägigen Arbeiten weisen konsistent eine schlechtere Gesundheit bei den pflegenden Ehegatten im Vergleich zu den Kontrollgruppen nach, zum Beispiel Verschlechterungen der zellulären Immunität, signifikant mehr Tage mit infektiösen Krankheiten902; häufigere Beeinträchtigung des respiratorischen Systems und schlechteres Gesundheitsverhalten903; mehr Erschöpfung, Energieund Schlafprobleme904; signifikant mehr Einsamkeit905 und Depression906; höheres Aufkommen von psychiatrischen Erkrankungen907; erhöhte Mortalität, wenn Pflege mit mentaler oder emotionaler Belastung einhergeht908; schlechtere kognitive Leistungen in den Bereichen komplexer Aufmerksamkeit und 900 901 vgl. Montgomery & Koslowski 1994 dies sind u.a. Beeson 2003; Caswell et al. 2003; Gallagher-Thompson et al. 2001; Hendryx-Beladov 1999; Kiecolt-Glaser et al. 1991; Rose-Rego, Strauss & Smyth 1998; Russo et al. 1995; Russo & Vitaliano 1995; Schulz & Beach 1999; Shaw et al. 1997; Stuckey 2001; Teel & Press 1999; Wright 1991, 1993 902 vgl. Kiecolt-Glaser et al. 1991 903 vgl. Fuller-Jonap & Haley 1995 904 vgl. Teel & Press 1999 905 vgl. Beeson 2003 906 vgl. Beeson 2003; Kiecolt-Glaser et al. 1991 907 vgl. Russo et al. 1995 908 vgl. Schulz & Beach 1999 181 Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit - Phänomene, die im Kontext von Befunden eingeordnet werden, die konsistent Zusammenhänge zwischen chronischem Stress und Gedächtnisproblemen registrieren909. Eine Arbeit fand keine Unterschiede hinsichtlich langandauernder Erkrankungen (länger als 1 Monat) und Krankenhausaufenthalten bei den beiden Gruppen, jedoch bei den pflegenden Ehegatten Erkrankungen 910 4.5 Demenzkranker einen Trend zu schwereren . Positives Erleben und Lebenszufriedenheit im Zusammenhang mit der Pflege 4.5.1 Konzeptualisierungen positiver Aspekte der Pflege Nachdem sich die Forschung lange Zeit ausführlich und einseitig mit den negativen Effekten häuslicher Pflege befasst hatte, sind in dem letzten Jahren verstärkt Stimmen laut geworden, die nach positiven Aspekten fragen911. George & Gwyther912 waren eine der ersten Forschergruppen, die Vorarbeiten dafür leisteten, den Blick in Richtung Wohlbefinden zu öffnen. Sie argumentierten damals aus einer forschungsmethodologischen Perspektive, in Studien zur häuslichen Pflege nicht länger auf Belastungen zu fokussieren, sondern die Auswirkungen der Pflege mit dem übergeordneten Konstrukt des Wohlbefindens zu untersuchen. Damit war der Weg frei, nicht nur negative, sondern auch positive Folgen der Pflege zu betrachten. Gründe für die Hinwendung der Forschung zu den Gewinnen der Pflege sind vielfältig. Positive Aspekte haben Einfluss auf die Qualität der Beziehung, sie liefern bedeutende Informationen für die Prävention negativer Konsequenzen, und sie leisten einen Beitrag zur Theoriebildung913. Zudem nennen viele Angehörige in Befragungen erfreuliche Seiten der Pflege und möchten darüber sprechen914 – Letzteres ist ein Umstand, der besonders in der Praxis der Angehörigenberatung nicht übersehen werden sollte. Es gibt in der Angehörigenforschung bisher keinen Konsens über das 909 vgl. Caswell et al 2003 910 vgl. Shaw et al. 1997 911 vgl. z.B. Farran 1997; Farran et al. 1991, 1999; Kramer 1997a; Meinders 2001 912 vgl. George & Gwyther 1986 913 vgl. Kramer 1997a 914 vgl. Kramer 1997a 182 Konzept der Pflegezufriedenheit915, was sich bereits an der Vielzahl der Begrifflichkeiten zeigt. Unter erfreulichen Aspekten werden von verschiedenen Autoren entweder Gewinne, positive Aspekte, positive Auswirkungen, Zufriedenheit, Reziprozität, Selbstachtung, „uplifts“, „mastery“, positive Ereignisse bis hin zu Intimität und Liebe verstanden, wobei die meisten Autoren auf eine genaue Definition der Begriffe verzichten916. Versuche einer Konzeptualisierung der positiven Aspekte bezogen auf die häusliche Pflege von Demenzpatienten nahmen Farran und Kollegen917 vor, die folgende Kategorien bildeten: Wertschätzen von familiären Beziehungen; Wahrnehmen der Liebe, die vom Patienten entgegengebracht wird; Aufrechterhalten einer positiven Beziehung mit dem Patienten; Wertschätzen vergangener Leistungen und Erinnerungen; Stolz über die eigene gute Betreuung und die Wahrnehmung, dass diese Betreuung dem Patienten gut tut. Weitere Kategorien dieser Autoren beziehen sich darauf, dass Angehörige Sinn in der Pflege finden, die Möglichkeit erleben, altruistische Gefühle zu äußern, und an den Erfahrungen der Pflege persönlich wachsen. Meinders918 gibt einen Überblick über Kategorien, die gleichermaßen in mehreren Studien, welche sich um die Konzeptualisierung positiver Aspekte bemühten, auftauchten: • Positive Veränderung familiärer Beziehungen • Freude am Zusammensein mit dem Patienten • Gefühl der Liebe gegenüber dem Patienten • Erfüllen einer Pflicht • An Erfahrung wachsen, neue Dinge lernen • Gefühl, eine gute Pflege zu leisten. Ein weiterer Beitrag zur Konzeptualisierung sind die sechs Dimensionen des Wohlfühlens, die Ryff919 unterscheidet: persönliches Wachstum, Sinn im Leben, Autonomie, Zurechtkommen in der Umgebung, positive Beziehungen zu anderen und Selbstakzeptanz. 915 vgl. Meinders 2001 916 vgl. Übersicht bei Meinders 2001, 62 917 vgl. Farran et al. 1991 918 vgl. Übersicht bei Meinders 2001, Tab. 6 , 55 919 vgl. Ryff 1989a, 1989b; zit. nach Kramer 1997a, 218 183 4.5.2 Empirische Befunde zu positivem Erleben und Lebenszufriedenheit Die Forschungslage zu positiven Aspekten in der häuslichen Pflege Demenzkranker ist weitgehend uneinheitlich. Aus den bisherigen Befunden lässt sich nicht ableiten, wie Belastungen aus der Pflege und psychisches Wohlbefinden der pflegenden Angehörigen miteinander in Beziehung stehen920. Geht man die verschiedenen Einflussgrößen im Stressprozess durch, dann ergibt sich folgendes Bild921: Es gibt keine konsistenten Belege für eine Beziehung zwischen Erkrankungsparametern und positiven Aspekten. Entscheidender für positives Erleben scheinen Merkmale der pflegenden Angehörigen zu sein, insbesondere Coping-Stile spielen eine Rolle. Zu Alter und Geschlecht der Pflegenden gibt es widersprüchliche Befunde. Einkommen und Familienstand der Pflegenden scheinen keine Bedeutung für positive Pflegeeffekte zu haben. Bezüglich des Verwandtschaftsverhältnisses – das ist bedeutend für die hiesige Arbeit – sind die Befunde Meinders zufolge922 ebenfalls widersprüchlich. Bei Ehefrauen ist verglichen mit Töchtern weniger positiver Affekt gefunden worden923, andere Studien stießen auf keine Unterschiede hinsichtlich des Verwandtschaftsverhältnisses924. Einige Untersuchungen haben speziell bei Ehegatten von Demenzkranken nach positiven Aspekten der Pflegesituation gesucht. Auch bei ihnen konnte nachgewiesen werden, dass die häusliche Pflege gleichzeitig als erfüllend und bestätigend und mit Verlusten und Härten verbunden erlebt werden kann925. Etliche Arbeiten befassten sich mit der Rolle der Ehebeziehung für die Wahrnehmung von positiven Aspekten der Pflege. Kramer926 beobachtete bei Ehefrauen dementer Männer eine Korrelation zwischen der Qualität der früheren Ehebeziehung und der Zufriedenheit in der Pflegesituation. Die Ehefrauen in Motenkos927 Studie erlebten mehr Gratifikationen und Wohlbefinden, wenn sie die Beziehung zum dementen Ehemann als wenig verändert wahrnahmen. 920 vgl. Meinders 2001, 83 921 vgl. Übersicht bei Meinders 2001, 62 ff. 922 vgl. Meinders 2001, 80f. 923 vgl. George & Gwyther 1986; Smerglia & Deimling 1997 924 vgl. Gauggel & Rößler 1999 925 vgl. Narayan et al. 2001 926 vgl. Kramer 1993a 927 vgl. Motenko 1989 184 Ähnliches berichten Narayan et al.928: Pflegende Ehegatten, die unter dem Verlust der vertrauten Ehebeziehung litten, fühlten sich eher in der Falle sitzend und berichteten geringeres Selbstbewusstsein. Partner, die die Pflege als bereichernd erlebten, neigten dazu, sich als kompetent und zuversichtlich einzuschätzen. Lawton et al.929 sahen keinerlei Korrelationen zwischen der Zufriedenheit der Ehegatten Demenzkranker und irgendeiner anderen Variable in ihrem Zwei-Faktoren-Modell der häuslichen Demenzpflege930. Sie vermuten, Ehepartner pflegten vor allem aus sozial-normativen Gründen und ihre Zufriedenheit in der Pflegesituation werde vermutlich durch andere Faktoren, vor allem durch die Qualität der früheren Ehebeziehung beeinflusst. Zufriedenheit, wenn sie da war, korrelierte stark mit dem allgemeinen Wohlbefinden. Die Autoren interpretieren, dass die Ehebeziehung derart zentral sei, dass Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit bei der Pflege weitgehende Auswirkungen auf das allgemeine Wohlbefinden habe. Farran et al.931 suchten existenzielle Themen, mit denen sich pflegende Angehörige Demenzkranker beschäftigen. Die Befragten äußerten zwei Kategorien solcher Themen: Erleben von Verlust und Machtlosigkeit und Werte, Wahl und Sinn. Zu dem Bereich „Werte, Wahl und Sinn“ zählten die Strategien, durch bewusste persönliche Entscheidung eine positive Haltung der Pflege gegenüber zu gewinnen, positive Aspekte des Lebens zu würdigen und Sinn zu suchen. Die befragten Ehegatten unterschieden sich von den anderen Angehörigen hinsichtlich der Strategie „bewusste persönliche Entscheidungen“. Sie trafen doppelt so häufig wie andere bewusst die Wahl, eine positive Haltung einzunehmen, stützten sich viermal öfter auf ihre persönliche Seelenstärke und suchten dreimal häufiger als andere nach Verblüffendem in der Pflegesituation (finding paradox in situation). 4.6 Zusammenfassung Kapitel 4 Die Literatur zeigt klar den Zusammenhang von häuslicher Pflege und seelischen Gesundheitsfolgen, insbesondere zur Depression. Die Beweise für Zusammenhänge zu körperlichen Schäden sind insgesamt schwächer und 928 vgl. Narayan et al. 2001 929 vgl. Lawton et al. 1991 930 Modell von Lawton et al. 1991: vgl. Kapitel 4.1.2.2 931 vgl. Farran et al. 1991 185 weniger konsistent932. Einerseits tauchen in den Studien als Korrelate von Gesundheitsstörungen viele Variablen auf, die aus der allgemeinen Gesundheitsliteratur bekannt sind, wie z.B. Einkommen, subjektiv bewerteter Stress, Lebenszufriedenheit und Selbstwertgefühl. Andererseits sind wenige Variablen gefunden worden, die exklusiv für die Demenzpflegesituation gelten. Dies sind Verhaltensprobleme des Patienten, die konsistent mit psychiatrischer und physischer Morbidität des Pflegenden korrelierten, und kognitive Symptome des Dementen, die mit körperlicher Gesundheitsverschlechterung in Verbindung stehen933. Empirische Befunde zu den sozialen Netzwerken älterer Menschen belegen in der Regel trägfähige Beziehungsstrukturen, in denen die Familie eine herausragende Stellung einnimmt934. Zwischen den Generation findet sich häufig das Muster der „Intimität auf Abstand“935. Als Risikogruppe sind ältere Ehepaare ohne Kinder anzusehen. Ein soziales Problem der Ehegatten Demenzkranker stellt die Einsamkeit dar936. Mit dem Wegbrechen der Beziehung zum Gatten gerät nicht nur das Bedürfnis nach menschlicher, interpersonaler Intimität in Gefahr ungestillt zu bleiben, sondern gleichzeitig ist auch die Identität des gesunden Gatten gefährdet, dem ein signifikanter Anderer als Quelle für die Validation und Konfirmation des selbstbezogenen Wissens verloren geht937. Die Pflegesituation führt zu einer Verengung der Lebensbereiche mit der Folge, dass auch externe Quellen der Selbstevaluation und Anerkennung ausdünnen, und die Bedeutung der Erfahrungen, die innerhalb der Pflegesituation gemacht werden, anwächst938. Neben Rolleneinschränkungen können aber auch Rollenbelastungen, Rollenüberlastungen und Rollenkonflikte zu Problemen werden939. Das subjektive Belastungserleben der Betroffenen, das sich in einer Vielzahl negativer emotionaler Reaktionen äußert, gilt als schwieriger zu bewältigen als die eher objektiven Konsequenzen der Pflege. Zusammenhänge zwischen subjektiv eingeschätzter Belastung 932 vgl. z.B. Übersicht bei Schulz et al. 1995 933 vgl. Schulz et al. 1995 934 vgl. Fooken 1997 935 vgl. Rosenmayr, Köckeis 1965 936 vgl. Beeson 2003 937 vgl. Beeson 2003 938 vgl. Skaff & Pearlin 1992 939 vgl. Mui & Morrow-Howell 1993 und psychiatrischen Erkrankungen, 186 besonders Depression, gelten als gesichert940. Einerseits zeigen ältere Ehegatten, wie ältere Menschen überhaupt, eine Tendenz zu größerer emotionaler Kontrolle und kompetenterer Emotionsregulation941, andererseits findet sich aber eine kleine Gruppe unter ihnen, die ein sehr hohes Ausmaß an Wut erlebt942. Die Pflegesituation scheint besonders bei pflegenden Ehegatten die Angst vor dem eigenen Älterwerden zu triggern, verstärkt noch, wenn der kranke Partner in einem Pflegeheim untergebracht wurde943. Neben der Demenz können andere kritische Lebensereignisse, die speziell in der Altersphase wahrscheinlich werden, die Belastung der Ehegatten noch weiter erhöhen944. Eine einfache, lineare Beziehung zwischen der Demenzsymptomatik und der Belastung der Angehörigen – in der Art, dass die Pflegenden von Schwerstkranken am belastetesten sind – hat sich mit den Forschungsbefunden nicht nachweisen lassen945. Die Verbindung von Problemverhalten und psychiatrischen Symptomen des Dementen mit Belastungserleben und psychischen Störungen bei den pflegenden Angehörigen gilt dagegen als gesichert. Es gibt Hinweise auf eine Verbindung von kognitiven Symptomen zur Belastung, jedoch ist hier weitere Forschung erforderlich. Beeinträchtigungen der Aktivitäten des täglichen Lebens scheinen eher keinen Einfluss auf die psychische Befindlichkeit der Pflegenden zu haben946. Die „typischen“ Ehegatten Demenzkranker sind in einem Alter, in dem das Risiko eigener gesundheitlicher Probleme groß ist. Inwieweit hierdurch ihre Belastbarkeit beeinträchtigt wird, ist vom individuellen Krankheitsbild und insbesondere von der subjektiven Bewertung der Krankheitssymptome 947 abhängig . Über die besondere Situation der jüngeren Ehegatten von Younger- onset-Demenzpatienten ist heute noch wenig bekannt948. Eine relativ große Übereinkunft herrscht darüber, dass das Geschlecht Einfluss auf die Belastungen hat. Ehefrauen erscheinen verglichen mit Ehemännern insgesamt belasteter. Sie schildern mehr und schwerere depressive Störungen und körperliche Beschwerden, geringeres Wohlbefinden 940 vgl. Übersicht bei Schulz et al. 1995 941 vgl. Gross et al. 1997 942 vgl. Steffen & Berger 2000 943 vgl. Scroggin Wullschleger et al. 1996 944 vgl. Russo & Vitaliano 1995 945 Vitaliano, Young & Russo 1991 946 vgl. Donaldson et al. 1997 947 Borchelt et al. 1996 948 Ausnahme ist der Beitrag von Williams, Keady & Nolan 1995 und subjektives 187 Belastungserleben, schlechtere soziale Einbindung und weniger finanzielle Stabilität949. Allerdings muss gefragt werden, ob die tatsächliche Belastung pflegender Ehemänner mit den vorherrschenden Forschungsdesigns akkurat erfasst wird. Vermutungen einer stärkeren als bisher angenommen Gefährdung werden gestützt durch Erkenntnisse, dass Männer im Allgemeinen seltener als Frauen Ärzte und Vorsorgemaßnahmen aufsuchen950, gleichzeitig aber häufiger schwerwiegende, potenziell letale Erkrankungen haben951. Eine Risikogruppe scheinen in jedem Fall Ehemänner zu sein, deren Frauen in einem fortgeschrittenen Demenzstadium sind952. Die Persönlichkeit des Pflegenden nimmt Einfluss darauf, wie er oder sie potenziell stressvolle Situationen bewertet, und hat deshalb eine Schlüsselstellung bei der Entstehung von Belastung953. Pflegende mit mehr neurotischen Zügen scheinen verletzlicher bei den Anforderungen der Pflege zu sein, da sie eher geneigt sind, stressvolle Ereignisse negativ zu bewerten, und weil sie empfindlicher sind gegenüber den negativen Folgen Persönlichkeitsmerkmale Neurotizismus Bewertung954. dieser auf die körperliche 955 956 , Expressed Emotion Via und Distress seelische sowie Ärger und Wut wirken Gesundheit. 957 scheinen Faktoren zu sein, die Belastungen bei pflegenden Ehegatten begünstigen. Eine frühere Ehe, die „schlecht“ war, setzt sich fort, wenn das Paar eine Demenzerkrankung bewältigen muss. Diese pflegenden Partner erscheinen besonders belastet958. Die Ergebnisse über die Effekte einer „guten“ Ehe sind nicht so eindeutig. Einerseits wird argumentiert, die Kontinuität einer guten Beziehung erleben zu können, schütze die gesunden Gatten ein Stück weit vor den Belastungen der Demenzpflege959. Andere Stimmen führen an, die Demenz zerstöre gerade die Erinnerung an die befriedigende Vergangenheit und sei deshalb in „guten“ Ehen eine besonders starke Belastung960. 949 vgl. Hooker et al. 2000; Rose-Rego, Strauss & Smyth 1998; Magai, Hartung & Cohen 1995 950 vgl. Nathanson 1990; zit. nach Kramer 1997b, 241 951 vgl. Thomas & Kelman 1990; zit. nach Kramer 1997b, 241 952 vgl. Schulz et al. 1995; Moritz, Kasl & Bergman 1989 953 vgl. Hooker et al. 1998 954 vgl. Übersicht bei Hooker et al. 1998 955 vgl. Hooker et al. 1992 956 vgl. Vitaliano et al. 1989a, 1991 957 vgl. Gallagher et al. 1990 958 vgl. Morris, Morris & Britton 1988; Kramer 1993a; Morgan & Laing 1991 959 vgl. Übersicht bei Murray & Livingstone 1998, 660 960 vgl. Williamson & Schulz 1990; Tower, Kasl & Moritz 1997; Lewis 1998 188 Mit dem Demenzkranken in einem Haushalt zusammenzuleben, ist ein Faktor, der den Pflegestress erhöht961. Weitere Aspekte der Lebensverhältnisse scheinen nach bisheriger Befundlage weniger entscheidend für die Belastung zu sein962. Soziale Unterstützung kann, wenn sie im Netzwerk zu den aktuellen Problemen passend verfügbar ist und subjektiv als angemessen wahrgenommen wird, die Belastungen in vielfältiger Weise mildern. Nicht zu unterschätzen sind allerdings die konflikthaften Formen von sozialer Unterstützung, nicht befriedigte Unterstützungserwartungen und negativ empfundene Hilfen, die selbst zu Quellen weiteren Stresses werden können963. In der Literatur finden sich an vielen Stellen Hinweise darauf, dass gerade pflegende Ehegatten professionelle Unterstützungsangebote selten nutzen964, wobei besonders Angehörige Demenzkranker965 und speziell Ehefrauen966 zurückhaltend zu sein scheinen. Für einen Zusammenhang zwischen emotions-fokussiertem Coping und negativen psychischen Zuständen der pflegenden Angehörigen sowie eine Verbindung von Neurotizismus und emotions-fokussiertem Coping sprechen viele Befunde; die Verbindung zwischen problem-fokussiertem Coping und positiven Folgen dagegen ist weniger aufgeklärt967. Selbstwirksamkeit (self-efficacy) und Fähigkeit zur Selbstkontrolle Persönlichkeitsmerkmale, Demenzkranker die begünstigen (self-control erfolgreiches 968 . Die Fähigkeit skillfulness) Coping von sind bei Ehegatten Paaren, sich neuen Anforderungen anzupassen, erwies sich ebenfalls als bedeutender Faktor für das Coping969. Besonders belastet erschien eine Subgruppe pflegender Ehegatten mit den Merkmalen: fortgeschrittene Demenz des Patienten, geringe Anpassungsfähigkeit des Pflegenden und Festhalten an der Ehegattenrolle970. Ob die Versorgung eines dementen Menschen belastender ist im Vergleich zur Pflege eines nicht dementen pflegebedürftigen älteren Menschen, kann nach der Forschungslage nicht eindeutig beantwortet werden, solange der Demenzkranke keine sogenannten Verhaltensstörungen zeigt. Letztere gelten konsistent als 961 vgl. George & Gwyther 1986; Harper & Lund 1990 962 vgl. Wilz 2002 963 vgl. Fiore, Becker & Coppel 1983; MaloneBeach & Zarit 1995 964 vgl. z.B. Übersicht bei Murray & Livingstone 1998, 668; Murray et al. 1999, 663; O’Connor 1999, 212 965 vgl. Übersicht bei O’Connor 1999, 212 966 vgl. Übersicht bei Perry & O’Connor 2002, 61 967 vgl. Übersicht bei Rose et al. 1997 968 vgl. Gallant & Connell 1998 969 vgl. Majerovitz 1994, 1995 970 vgl. Majerovitz 1994, 1995 189 belastungsfördernd. Auch der Vergleich der Belastungen von Ehegatten und Kindern Demenzkranker erbringt bisher keine eindeutigen Ergebnisse. Hier scheint es wesentlich zu sein, Belastung nicht allgemein, sondern gezielt verschiedene Belastungsdimensionen zu vergleichen. Eindeutig dagegen ist, dass Demenz-Paare im Vergleich zu gesunden älteren Paaren deutlich schlechtere Gesundheit aufweisen. Positives Erleben häuslichen Pflege und sind Lebenszufriedenheit unterschiedlich im Zusammenhang konzeptualisiert worden. der Häufig verwendete Kategorien sind: positive Veränderung familiärer Beziehungen; Freude am Zusammensein mit dem Patienten; Gefühl der Liebe gegenüber dem Patienten; Erfüllen einer Pflicht; an Erfahrung wachsen; neue Dinge lernen und das Gefühl, eine gute Pflege zu leisten971. Die Befundlage ist weitgehend uneinheitlich. Als konsistent relevante Einflussgrößen haben sich lediglich die Persönlichkeit des Pflegenden und Coping-Stile erwiesen972. Bei pflegenden Ehegatten wird die Bedeutung der früheren und der aktuellen Ehebeziehung für positives Erleben in der Pflege betont973. Da die Ehe eine derart zentrale Beziehung ist, scheinen Zufriedenheit und Unzufriedenheit in der Pflege weit reichende Auswirkungen auf das allgemeine Wohlbefinden des pflegenden Gatten zu haben974. Es gibt Hinweise, dass Ehegatten sich häufiger als andere Angehörige bewusst dazu entscheiden, eine positive Haltung gegenüber der Pflegesituation einzunehmen975. 971 vgl. Meinders 2001 972 vgl. Meinders 2001 973 vgl. Kramer 1993a; Lawton et al. 1991; Motenko 1989; Narayan 2001 974 vgl. Lawton et al. 1991 975 vgl. Farran et al. 1991 190 5 Zusammenfassende Darstellung der Forschungslage Die Veränderungen der Ehebeziehung, die eine Demenz mit sich bringt, können unter vier Stichworten umrissen werden: (1) Auf einer augenscheinlichen Ebene gerät mit der Demenz ein jahrelang gefestigtes, sehr individuelles und gleichzeitig gesellschaftlich geprägtes Gefüge von Aufgaben, Rollen und Funktionen in Bewegung976. (2) Daneben erodieren die emotionale Intimität, die Gefährtenschaft und die Reziprozität der Partner977. (3) Ein drittes Charakteristikum der Paarveränderungen ist die Asymmetrie der individuellen Entwicklungen der beiden Partner978. (4) Im sexuellen Bereich kommt es bei den meisten Paaren zu einem Nachlassen sexueller Kontakte979 und auch von Gesten der Zuneigung und Zärtlichkeit980. Selten ist ein gesteigertes sexuelles Interesse des Erkrankten981. Für die Situation des gesunden Partners kann der allmähliche Verlust des Ehegatten eine Bedrohung des eigenen Selbst bedeuten982. Der Gesunde wird auf einer existenziellen Ebene mit den Themen Tod, Einsamkeit, Freiheit und Sinn konfrontiert983. Emotionale Unterstützung und auch gelegentliche Pflegeleistungen sind in Ehebeziehungen normal. Wenn sich allerdings die Pflege im Verlauf der Demenz imperialistisch984 immer weiter ausdehnt, dann nimmt die Ehe allmählich den Charakter einer Pflegebeziehung an. Manche Ehegatten integrieren die Pflegerolle in ihre Ehebeziehung; anderen gelingt das nicht und sie trauern der als verloren erlebten alten Beziehung nach; wieder andere betonen den Pflegecharakter der neuen Beziehung und manche heben die Gewinne der 976 977 vgl. Wright 1993; Faust-Jacoby & Kling 1991 vgl. Barusch & Spaid 1996; Blieszner & Shiftlett 1990; Gallagher-Thompson et al. 2001; Kramer & Lambert 1999; Morris, Morris & Britton 1988; Owens 2000; Pearlin et al. 1990; Rakin, Haut & Keefover 2001; Siriopoulos, Brown & Wright 1999; Wright 1993 978 vgl. Wright 1993 979 vgl. Ballard et al. 1997; Eloniemi-Sulkova et al. 2002a; Derouesné et al. 1996; Wrigth 1991, 1993, 1998 980 vgl. Wright 1998 981 vgl. Derouesné et al. 1996; Duffy 1995; Quayhagen & Quayhagen 1988; Wright 1998 982 vgl. O’Connor 1993 983 vgl. Levine et al. 1984 984 vgl. Pearlin et al. 1990 191 neuen Situation hervor985. Charakteristisch für pflegende Ehegatten scheint zu sein, dass sie besonderen Wert darauf legen und stolz darauf sind, die Bedürfnisse des Partners gut zu kennen und ihnen gerecht zu werden986, und dass ihnen der Schutz der Persönlichkeit und Würde des Partners besonders am Herzen liegt987. Ehefrauen und Ehemänner haben unterschiedliche Zugänge in die Pflegerolle und eine unterschiedliche Praxis. Das Thema „Gewalt in ehelichen Pflegekonstellationen“ kann einerseits als Ausdruck von Belastungen betrachtet werden988, sollte aber auch unter dem Aspekt allgemeiner Gewalt in Ehen untersucht werden989. Die belastenden Auswirkungen der häuslichen Demenzpflege sind in der Literatur vielfach belegt, insbesondere gesichert sind negative Einflüsse auf die seelische Gesundheit990. Weniger eindeutig und insgesamt schwächer als bei den psychischen Störungen sind nach dem gegenwärtigen Forschungsstand die Zusammenhänge zwischen häuslicher Demenzpflege und körperlicher Krankheit991. Diese Befunde sind auch bei pflegenden Ehegatten Demenzkranker dokumentiert worden. Die soziale Integration pflegender Ehegatten erweist sich als labil. Einerseits belegen empirische Studien zu den sozialen Netzwerken älterer Menschen in der Regel tragfähige Beziehungsstrukturen, in denen die Familie mit dem häufig anzutreffenden Muster der „Intimität auf Abstand“992 eine herausragende Rolle einnimmt993. Andererseits ist Einsamkeit ein Problem der Ehegatten dementer Menschen994. Das subjektive Belastungserleben der Betroffenen, das sich in einer Vielzahl negativer emotionaler Reaktionen äußert, gilt als schwieriger zu bewältigen als die eher objektiven Konsequenzen der Pflege. Für pflegende Ehegatten spielen in diesem Zusammenhang vor allem Ängste vor dem eigenen Älterwerden eine Rolle, die durch das Erleben der Demenz des Partners frei gesetzt werden können995. Zusätzlich sind sie mit 985 vgl. Hepburn et al. 2002 986 vgl. Corcoran 1993b 987 vgl. Perry 2002; Perry & O’Connor 2002; Wright 1993 988 vgl. Übersicht bei Williamson et al. 2001, 217 989 vgl. Butell 1999 990 vgl. Übersicht bei Schulz et al. 1995 991 vgl. Schulz et al. 1995 992 vgl. Rosenmayr & Köckeis 1965 993 vgl. Fooken 1997 994 vgl. Beeson 2003 995 vgl. Scroggin Wullschleger 1996 192 anderen kritischen Lebensereignissen und Verlusten konfrontiert996, die in der Altersphase wahrscheinlich werden997. Als relevante Einflussgrößen auf das Belastungserleben der pflegenden Ehegatten wurden auf Seiten des Demenzkranken der Faktor Problemverhalten und auf Seiten des pflegenden Gatten insbesondere die Faktoren Gesundheitsstatus, höheres Alter, weibliches Geschlecht und Persönlichkeit identifiziert. Auch die Qualität der früheren Ehebeziehung sowie Kontrollerleben, Bewältigungsstile und Bewältigungskompetenz des Pflegenden nehmen Einfluss im Stressprozess. Im Vergleich zu anderen Gruppen pflegender Angehöriger werden die Ehegatten von Demenzkranken immer wieder als besonders belastet dargestellt. Die Befundlage in dieser Frage ist allerdings nicht eindeutig. Als gesichert kann allenfalls gelten, dass sie belasteter sind als altersgleiche Paare, die nicht mit Demenz oder Pflegebedürftigkeit konfrontiert sind. Positives Erleben und Lebenszufriedenheit scheint bei Ehegatten stark mit der Qualität der Ehebeziehung verknüpft zu sein. Einerseits beeinflusst die Beziehungsqualität die Wahrnehmung positiver Aspekte der Pflege und andererseits beeinflussen Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit in der Pflegesituation wiederum weit reichend das allgemeine Wohlbefinden des pflegenden Gatten. Diese Zusammenhänge verdeutlichen die zentrale Rolle, die die Ehebeziehung für das Erleben der Menschen hat998. Es gibt Hinweise, dass Ehegatten häufiger als andere Angehörige bewusst die Entscheidung treffen, eine positive Haltung gegenüber der Pflege einzunehmen999, möglicherweise auch deshalb, weil sie es sich nicht „leisten“ wollen, eine derart zentrale Beziehung wie die Ehe durch negative Pflegeerfahrungen zu gefährden. 996 vgl. Russo & Vitaliano 1995 997 vgl. Radebold 1994a; Teising 1997 998 vgl. Kramer 1993a; Lawton et al. 1991; Motenko 1989; Narayan 2001 999 vgl. Farran 1991 193 TEIL II ERKUNDUNG DES FELDES 194 Im Teil II der Arbeit wird eine explorative Untersuchung im Feld der Beratung von Ehegatten Demenzkranker dargestellt: das Untersuchungsdesign im Kapitel 6, die Analysen von 18 Beratungsfällen im Kapitel 7 und eine fallübergreifende Zusammenfassung der Ergebnisse im Kapitel 8. 6 Untersuchungsdesign 6.1 Erkenntnisinteresse, Forschungsansatz und Ort der Untersuchung 6.1.1 Erkenntnisinteresse Der gesamten Arbeit liegt übergreifend ein aktionales Erkenntnisinteresse1000 zugrunde, denn sie wurde von dem Interesse an neuen Möglichkeiten hilfreichen Handelns in der psychosozialen Beratung von Ehegatten Demenzkranker angestoßen. Da es über die Beratung dieses speziellen Personenkreises noch keine Literatur gibt, erschien es sinnvoll, dieses Beratungsfeld zunächst mit einer explorativen Untersuchung zu erkunden. Diesen Arbeitsschritt leitete also ein phänomenales Erkenntnisinteresse1001. Die explorative Untersuchung soll einen orientierenden Überblick über das Feld der Beratung von Ehegatten Demenzkranker schaffen, erstens über die Breitendimension und zweitens über die Tiefendimension. Die Frage, welche typischen und welche Sonderfälle in dem Feld auftauchen, erfasst die Breitendimension. Die Frage nach den Themen, mit denen die Ehegatten in die Tiefendimension des Feldes aus. 1000 vgl. Eberhard 1999, 19 1001 vgl. Eberhard 1999, 17 Angehörigenberatung kommen, lotet die 195 6.1.2 Forschungsansatz Eine dezidierte Beratungsforschung, deren Anliegen der Ausbau von Wissen über Akzeptanz und Wirkung angebotener Beratungsformen ist und auf die sich die vorliegende Arbeit beziehen könnte, gibt es heute erst in Ansätzen1002. Die hier dargestellte Untersuchung hat einen qualitativen Forschungsansatz. Flick schreibt Folgendes über die Aktualität dieses Forschungsparadigmas: „Qualitative Forschung gewinnt besondere Aktualität für die Untersuchung sozialer Zusammenhänge, da die Pluralisierung der Lebenswelten in modernen Gesellschaften – im Sinne der ‚neuen Unübersichtlichkeit’1003, der zunehmenden ‚Individualisierung von Lebenslagen und Biographiemustern’1004 oder der Auflösung alter sozialer Ungleichheiten in die neue Vielfalt der Milieus, Subkulturen, Lebensstile und Lebensweisen1005 - eine neue Sensibilität für empirisch untersuchte Gegenstände erforderlich macht. Nachdem Vertreter der Postmoderne erklären, dass die Zeit der großen Erzählungen und Theorien zu Ende sei1006, sind eher lokal, zeitlich und situativ begrenzte Erzählungen zeitgemäß.“1007 Die theoretischen Grundannahmen qualitativer Forschung reflektieren diesen Hintergrund. Flick, von Kardorff & Steinke nennen im einzelnen folgende theoretischen Grundannahmen1008: • Soziale Wirklichkeit wird als gemeinsame Herstellung und Zuschreibung von Bedeutungen verstanden. • Der Prozesscharakter und die Reflexivität sozialer Wirklichkeit wird betont. • Es wird angenommen, dass „objektive“ Lebensbedingungen durch subjektive Bedeutungen für die Lebenswelt relevant werden. 1002 Als ursächlich hierfür können Straus & Stiemert zufolge u.a. die methodische Künstlichkeit und Alltagsferne der Behandlungsforschung in der Tradition der „experimentellen“ empirisch analytischen Tradition gelten, daneben ein erschwerter Zugang zum Feld und eine schwer handhabbare Untersuchungsklientel sowie außerdem die auseinander driftenden Erkenntnisinteressen und Verwendungslogiken der vor allem quantitativ orientierten Forschung auf der einen Seite – nämlich allgemeine Aussagen über wahrscheinliche Zusammenhänge und Verallgemeinerungen – und der Beratungspraxis – nämlich Orientierung am Fall als Einzelschicksal – auf der anderen Seite. Vgl. Straus & Stiemert 1995, 323f. 1003 vgl. Habermas 1985 1004 vgl. Beck 1986 1005 vgl. Hradil 1992 1006 vgl. Lyotard 1986 1007 Flick 1996, 9 1008 vgl. Flick, v. Kardorff & Steinke 2003, 22 196 • Der kommunikative Charakter sozialer Wirklichkeit lässt die Rekonstruktion von Konstruktionen sozialer Wirklichkeit zum Ansatzpunkt der Forschung werden. Die wissenschaftlichen Konstruktionen der Wirklichkeit sind Konstruktionen „zweiter Ordnung“1009. Sie bauen auf den Konstruktionen „erster Ordnung“1010, d.h. den alltäglichen, soziohistorisch verankerten Typen, Modellen, Routinen, Plausibilitäten, Wissensformen, Wissensbeständen und (oft impliziten) Schlussverfahren, auf und unterscheiden sich von jenen durch die für wissenschaftliches Verstehen geforderte Reflexivität, d.h. die Forderung, dass Wissenschaftler sich Klarheit verschaffen über die Voraussetzungen und Methoden ihres Verstehens. Sie sind damit „kontrollierte, methodisch überprüfte und überprüfbare, verstehende Rekonstruktionen der Konstruktionen ‚erster Ordnung’“1011. Die Praxis qualitativer Forschung hat nach Flick, von Kardorff & Steinke folgende Kennzeichen: • ein methodisches Spektrum statt einer Einheitsmethode • die Forderung der Gegenstandsangemessenheit von Methoden • die Orientierung am Alltagsgeschehen und/oder Alltagswissen • den Leitgedanken der Kontextualität • das Bemühen um Erfassung der Perspektiven der Beteiligten • die Betonung der Reflexivität des Forschers • das Verstehen als Erkenntnisprinzip • das Prinzip der Offenheit • Fallanalysen als Ausgangspunkt • Konstruktion der Wirklichkeit als Grundlage • qualitative Forschung als Textwissenschaft und • Entdeckung und Theoriebildung als Ziel. 1012 Für den Gegenstand der hier vorliegenden Arbeit empfiehlt sich ein qualitatives Herangehen aus drei Gründen. Erstens ist dieser Gegenstand in besonderer Weise von den oben skizzierten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen betroffen. Sowohl das Verhältnis von Mann und Frau im Allgemeinen als auch die Ehe als gesellschaftliche Institution im Speziellen sind hiervon nachhaltig 1009 vgl. Soeffner 2003, 167 1010 vgl. Schütz 1971, 3-54; zit. nach Soeffner 2003, 167 1011 Soeffner 2003, 167 1012 vgl. Flick, v. Kardorff & Steinke 2003, 24 197 beeinflusst1013. Stichworte sind die Wandlung der Ehe von einer Arbeits- zu einer Gefühlsgemeinschaft1014, die Bedeutung von Privatheit und Intimität1015 und die Funktion der Ehe als zentrale Instanz für die soziale „Konstruktion der Wirklichkeit“1016 und für die Entwicklung und Stabilisierung der Identitäten der Partner1017 in einer Welt, in der sich gewachsene, traditionelle Bindungen, Glaubenssysteme und Sozialbeziehungen auflösen. Ebenso ist das Feld der Beratung durch diese gesellschaftlichen Bedingungen gekennzeichnet. Die zunehmende Individualisierung Probleme1018 sozialer erhöht den Beratungsbedarf ebenso wie die Unübersichtlichkeit und Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Strukturen1019. Der Pluralisierung der Lebensverhältnisse entspricht die Vielfalt möglicher Beratungsanlässe und –themen. Zweitens sind heute besonders für das Feld der häuslichen Pflege, zu dem die Betreuung Demenzkranker durch ihre Ehegatten gehört, qualitative Forschungsmethoden angebracht. Gubrium1020 stellt in seiner Bestandsaufnahme zum Stand der Forschung in diesem Bereich fest, große Teile der Wissensbestände seien mit Hilfe von Modellen der Pflege generiert worden, welche die gelebte Erfahrung der Betroffenen aus zweiter Hand einschätzten. Diese Modelle mit klar definierten Komponenten, arrangiert in hoch rationalen kausalen Beziehungen, produzierten allerdings Ergebnisse, „that belie the often fuzzy contents and borders of caregiving encounters and the identities of the participants.“1021 Diese Forschung habe wenig Sinn dafür, dass häusliche Pflege etwas Subjektives auf der Basis der Alltagswahrnehmung der betroffenen Akteure sei, und dass sich die Qualität des Phänomens verändern könne entsprechend der Wandelbarkeit der Identitäten und der sich entwickelnden Beziehungen der Beteiligten. Qualitative Forschungsmethoden eignen sich, wie oben zu den Kennzeichen und Grundsätzen ausgeführt wurde, in besonderer Weise, um subjektive Perspektiven der Akteure zu erfassen. Drittens sprechen auch methodologische Gesichtspunkte für die Gegenstandsangemessenheit eines qualitativen Forschungsansatzes, da dessen 1013 vgl. Beck & Beck-Gernsheim 1990 1014 vgl. Beck-Gernsheim 1990, 69 1015 vgl. Beck-Gernsheim 1990, 69 1016 Berger & Kellner 1965; zit. nach Beck-Gernsheim 1990, 72 1017 vgl. Ryder 1979, 365; zit. nach Beck-Gernsheim 1990, 72 1018 vgl. Flick 1992, 278f. 1019 vgl. Giese & Retaiski 1993, 136 1020 vgl. Gubrium 1995 1021 Gubrium 1995, 267 198 Vorgehensweisen besonders für explorative Zwecke geeignet sind. Hierzu tragen einige der oben bereits erwähnten Kennzeichen qualitativer Forschungspraxis bei, die in meiner Untersuchung handlungsleitend wurden: Das Prinzip der Offenheit: Auf theoretischer Ebene bezeichnet es den Verzicht strenger Hypothesengeleitetheit in der Forschung1022, auf der methodischen Ebene den Verzicht subsumptionslogischen Vorgehens. Die Auswertung der Daten meiner Studie habe ich aus diesen Gründen ohne a priori theoretisch formulierte Analysekriterien vorgenommen. Das Prinzip der Reflexivität: Bei qualitativen Methoden wird die Kommunikation des Forschenden mit dem jeweiligen Feld und den Beteiligten zum expliziten Bestandteil der Erkenntnis1023. Die Reflexion dieses Bestandteils gilt als Kennzeichen und Gütekriterium qualitativer Forschung. In der vorliegenden Arbeit sind deshalb in allen Arbeitsphasen (Sichtung und Aufarbeitung des Forschungsstandes, Datenerhebung, Datenauswertung, Diskussion) fortlaufend sogenannte Memos nach Vorgabe von Strauss & Corbin1024 geschrieben worden. Die geforderte Reflexivität bezieht sich auch auf die Vorannahmen des Forschenden, die den Erkenntnisprozess mit steuern. In vielen Darstellungen zur qualitativen Forschung wird betont, wie wesentlich eine gewisse Fremdheitshaltung des Forschenden gegenüber dem Feld sei, um zu Ergebnissen zu kommen, die nicht mehr als nötig durch Vorannahmen und implizite Vorstellungen verstellt sind. Eine solche Fremdheitshaltung ist für mich als jemanden, der seit 10 Jahren in dem untersuchten Feld berufstätig ist, aber unrealistisch. Deshalb gilt umso mehr, die Vorerfahrungen zu erkennen - und zu nutzen. Weiterführend war an dieser Stelle das Konzept der Theoretischen Sensibilität von Strauss & Corbin1025, das theoretische Sensibilität als Kompositum aus persönlicher Erfahrung, beruflicher Erfahrung und Theoriewissen definiert. Die Autoren sagen ausdrücklich, theoretische Sensibilität verbessere die Dichte und Tiefe der Erkenntnisse, sei also eine Ressource für die Forschung. Gleichzeitig können Vorerfahrungen und theoretisches Wissen aber auch Quellen für Vorannahmen und damit für eine verzerrte Wahrnehmung der Gegebenheiten im Feld sein. Strauss & Corbin haben einige Techniken zur 1022 vgl. Mayring 2002, 28 1023 vgl. Flick 1996, 15 1024 vgl. Strauss & Corbin1996, 169ff. 1025 vgl. Strauss & Corbin 1996, 25ff. 199 Entwicklung des Reflexionsvermögens entwickelt, um dieser Gefahr zu begegnen1026. Verstehen als Erkenntnisprinzip: „Verstehen können wir jenen Vorgang nennen, der einer Erfahrung Sinn verleiht. Fremdverstehen können wir jenen Vorgang nennen, bei dem wir einer Erfahrung den Sinn verleihen, dass sie sich auf ein Ereignis der Welt bezieht, dem Alter Ego bereits einen Sinn verliehen hat.“1027 Während Verstehen prinzipiell ein unzweifelhafter Akt ist, ist Fremdverstehen ein prinzipiell zweifelhafter Akt, nur diskontinuierlich und partiell möglich. Deshalb kann sozialwissenschaftliches Verstehen, so Soeffner, immer nur „rekonstruktivhermeneutische“ Handelnden Möglichkeitsmodelle entwerfen1028. Eine der Annäherung nachvollziehbares Verstehen erfordert Folgendes • Handlungsabläufe 1029 an ein und der intersubjektiv : das Prinzip der Reflexivität als bewusstes und kontrolliertes Abstrahieren des Interpreten von den eigenen kulturellen Fraglosigkeiten und der eigenen historischen Perspektive (Reflexion der eigenen Vor-Urteile); • die Rekonstruktion der Struktur des „fremden“ Milieus und dessen historischer Bindung, so weit wie das möglich ist („das Fremde zum Sprechen bringen“); • die Zuordnung der eigenen und der fremden Erfahrungsstrukturen sowie der eigenen Deutung wissenschaftlichen intersubjektiv und „universe des of nachvollziehbarer Deutungsgegenstandes discourse“ Milieus, objektiv Kontexte zu einem möglicher, und d.h. Bedeutungen (Verortung im Bedeutungsraum). Fallanalysen als Ausgangspunkt: Qualitativ orientierte Fallanalysen sollen die „Ganzheit“ eines Falles erfassen, komplexe Variablenzusammenhänge sichtbar machen und ggf. auch eine längsschnittliche Betrachtungsweise erlauben1030. Qualitative Fallanalysen setzen auf wenige einzelne Fälle, „die aber in ihrer konkreten Fülle dokumentiert und auf ihre konstituierenden Prinzipien interpretiert werden, um so zu interessanten, d.h. theoretisch relevanten, Einsichten zu gelangen.“1031 Für die vorliegende Arbeit wurde ein von Mayring vorgeschlagenes 1026 vgl. Strauss & Corbin 1996, 57ff. 1027 Soeffner 2003, 165 1028 vgl. Soeffner 2003, 168 1029 vgl. Scheler 1923; Srubar 1981; zit. nach Soeffner 2003, 171f. 1030 vgl. Mayring 1996, 132 1031 Bude 2003, 60 200 Ablaufmodell für qualitative Fallanalysen zugrunde gelegt. Mayrings Schema sieht folgende Schrittfolge vor: • Fragestellung (vgl. Kapitel 6.1.1 ), theoretische Anbindung (vgl. Teil I) • Falldefinition, Fallsuche (vgl. Kapitel 6.2) • Methodisch kontrollierte Materialsammlung (vgl. Kapitel 6.2) • Fallzusammenfassung, Fallstrukturierung, Fallinterpretation (vgl. Kapitel 7) • Fallverallgemeinerung, Kontexteinbettung, Vergleichsfälle (vgl. Teil III)1032. 6.1.3 Ort der Untersuchung Die Untersuchung fand in der Gerontopsychiatrischen Beratung in Münster statt. Diese Beratungsstelle ist Teil des Clemens-Wallrath-Hauses, des Gerontopsychiatrischen Zentrums des Alexianer Krankenhauses. Neben der Beratungsstelle besteht es aus Ambulantem Pflegedienst, Ambulanz, einem Tagesklinik, ehrenamtlichen Tagespflege, häuslichem Unterstützungsdienst namens LichtBlick, dem Verein Lichtblick e.V. und einer Akademie für Psychiatriepflege. Die Beratungsstelle existiert seit 1992 und hat zwei Aufgabenschwerpunkte. Einerseits werden betroffene Münsteraner Bürger beraten. Dabei handelt es sich in erster Linie um die Angehörigen von psychisch kranken älteren Menschen, vorwiegend Angehörige von Demenzpatienten. Mit dem zweiten Arbeitsschwerpunkt wendet sich die Beratung an Münsteraner Institutionen, die mit Fortbildungen, Fallbesprechungen und konzeptioneller Beratung bei der Versorgung psychisch kranker älterer Menschen unterstützt werden. Die Beratungsstelle hat 2,5 Personalstellen, die von vier Mitarbeiterinnen aus dem Bereich der Sozialen Arbeit, darunter der Autorin, besetzt sind (zwei Sozialpädagoginnen, eine Soziotherapeutin und eine Sozialarbeiterin/ Sozialgerontologin). 6.2 Sample und Datenerhebung Es wurden zwei Sorten von Beratungsdokumenten ausgewertet: Akten von langandauernden Beratungsprozessen und Protokolle von Erstberatungen. Erstere sind „akzidentale“ Dokumente im Sinne von Atteslander1033, d.h. es sind 1032 Mayring 1996, 132 1033 vgl. Atteslander 1975, 65 201 Daten, die nicht eigens für die Forschung erstellt worden sind. Es handelt sich um Akten, in denen die Beraterinnen Beratungsprozesse für das laufende Geschäft der Beratungsstelle dokumentiert haben. Demgegenüber sind die Protokolle der Erstberatungen eigens zum Zweck der Analyse produziert worden, demnach „systematische“ Dokumente im Sinne von Atteslander1034. Die Daten aus den Akten der langandauernden Beratungsprozesse haben den Vorzug, das Themenspektrum eines Beratungsprozesses in einer längsschnittlichen Perspektive darzustellen. Da diese Akten nicht für Forschungszwecke erstellt worden sind, haben sie aber den Nachteil, Themen meist nur grob, entsprechend der Dokumentationsgewohnheiten der einzelnen Beraterinnen, anzudeuten. Um mehr in die Tiefendimension des Beratungsfeldes vorzudringen, erschien es deshalb als wesentlich, einzelne Beratungsgespräche mit ihren Themen detailliert zu erfassen. Dafür sind Erstgespräche aus verschiedenen Gründen erste Wahl. Sie sind die häufigste Beratungsform1035, und man kann annehmen, dass die Ratsuchenden in Erstberatungen einen besonderen Handlungs- und auch Leidensdruck haben und folglich ihre Situation eindrucksvoll zur Sprache bringen. Deshalb wurden einzelne Erstberatungen eigens für die Auswertung innerhalb dieser Studie protokolliert. 6.2.1 Langandauernde Beratungsprozesse Für die Auswahl der Fälle wurden folgende Kriterien zugrunde gelegt: Allgemeine Kriterien (Falldefinition): 1. Es sollten Beratungsdokumentationen von ratsuchenden Ehegatten Demenzkranker erfasst werden. 2. Die Beratungsprozesse sollten mehrere Beratungskontakte umfassen und über mehr als ein Kalenderjahr angedauert haben. 3. Die Dokumentationen der Fälle sollten einen gewissen Grad an Ausführlichkeit und Verständlichkeit aufweisen (mehr als nur Stichworte). 4. Die Dokumentationen sollten Hinweise auf unterschiedliche Themen der ratsuchenden Ehegatten enthalten (Tiefendimension des Feldes) mit einem Schwerpunkt bei den psychosozialen Fragestellungen gegenüber den rein informationsorientierten Fragen. Das bedeutet, Fälle, in denen es 1034 1035 vgl. Atteslander 1975, 72 Etwa 50 % der Klienten der Münsteraner Beratungsstelle wenden sich innerhalb eines Jahres nur einmal an die Beratungsstelle. Vgl. Dirksen et al.: Jahresberichte der Gerontopsychiatrischen Beratung Münster 202 ausschließlich um eine einzige Spezies von Sachfragen wie z.B. die Klärung von sozialrechtlichen Ansprüchen gegangen war, wurden nicht einbezogen. Mit diesen Kriterien sind alle Ehegattenfälle gesichtet worden, die innerhalb der letzten fünf Jahre (2000-2004) in der Beratungsstelle abgeschlossen worden waren bzw. solche, die im Jahr 2004 noch andauerten. Den Kriterien Nr. 1-4 entsprachen zwölf Beratungsdokumentationen. Aus diesen sind sechs Fälle für die Auswertung ausgewählt worden. Die Kriterien für diesen Auswahlschritt waren: 5. Es sollten drei ratsuchende Ehefrauen und drei Ehemänner erfasst werden. 6. Die Fälle sollten sich, bezogen auf ihre Schwerpunktthemen und weitere qualitative Merkmale, deutlich voneinander abheben, um eine gewisse Bandbreite (Breitendimension des Feldes) zu erfassen. Spezifische Kriterien (Breitendimension des Feldes): 1. Der Fall von Frau A. zeigt eine Younger-onset-Demenz und die Auseinandersetzung der Ehefrau mit dem Tod des Partners. 2. Im Fall von Frau B. wird eine hochgradig belastende häusliche Pflegesituation mit Gewalttätigkeit des dementen Ehemannes sichtbar. 3. Der Fall von Frau C. gibt Einblick in eine schwerwiegende Akzeptanzproblematik hinsichtlich der Demenz des Partners und demonstriert Schwierigkeiten der Ehefrau nach der Heimunterbringung des dementen Partners. 4. Der Fall von Herrn D. ist einer der längsten Beratungsverläufe, der in der Beratungsstelle aufgetreten ist, und erlaubt damit den Blick auf einen langen Zeitverlauf einer Ehegattenpflege mit verschiedenen Wandlungen. 5. Der Fall von Herrn E. zeigt die Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen (Heimaufnahme, lebensverlängernde Maßnahmen). 6. Der Fall von Herrn F. präsentiert einen spezifischen Stil der häuslichen Pflege (zweckrational anmutende Herangehensweise) und einen bestimmten Typus der Inanspruchnahme von Beratung (Klärung von diversen eng definierten Sachfragen). Die Akten dieser sechs langandauernden Beratungsprozesse, die von verschiedenen Beraterinnen durchgeführt worden waren, wurden wörtlich 203 abgeschrieben und ausgewertet. Zum Schutz der Klienten und Beraterinnen wurden die Daten unkenntlich gemacht, d.h. sämtliche Namen wurden anonymisiert und alle signifikanten Merkmale, die einen Rückschluss auf die Person des Klienten zulassen würden, ausgelassen. Die Beraterinnen gaben ihr informiertes Einverständnis. 6.2.2 Erstberatungen Die Datenerhebung in den Erstberatungen musste den Bedingungen des Feldes angepasst werden. Vorgabe war, dass sich das Forschungsinteresse der Zielsetzung, die Ratsuchenden angemessen zu beraten, stets unterordnen sollte. Mit Blick auf das in Erstberatungen noch nicht vorhandene Vertrauensverhältnis zwischen Berater und Ratsuchendem wurde deshalb auf die Aufzeichnung der Beratungsgespräche mit einem Tonaufzeichnungsgerät verzichtet. In der Eigenschaft als Beraterin machte ich während des Gesprächs mit den Ratsuchenden die in der Beratungsstelle üblichen schriftlichen Notizen für die Falldokumentation1036. In der Eigenschaft als Forschende stenographierte ich darüber hinaus während des Gesprächs möglichst alle Aussagen der Ratsuchenden, in denen sie Selbstauskünfte zu ihrer eigenen Situation gaben, als wörtliche Zitate. Daneben machte ich weitere Notizen über die Entfaltung der Erzählung des Ratsuchenden und über den weiteren Verlauf der Beratung. Direkt im Anschluss an das Beratungsgespräch schrieb ich ein Protokoll. Dafür ging ich die wörtlichen Zitate chronologisch durch und bettete sie jeweils wieder in den Kontext ein, an den ich mich anhand der Notizen über den Beratungsverlauf erinnerte. Zum Schutz der Klienten wurden die Daten unkenntlich gemacht, d.h. sämtliche Namen wurden anonymisiert und alle signifikanten Merkmale, die einen Rückschluss auf die Person des Klienten zulassen würden, ausgelassen. Anschließend schrieb ich zu jeder der Erstberatungen ein Memo, in dem ich den Protokolltext auf „richtungsweisende Begriffe“ und sich aufdrängende Fragen durchging. Dieser Schritt ist der Grounded Theory entlehnt. „Sensitizing concepts“ bzw. „richtungsweisende Begriffe“1037 und das permanente Stellen von Fragen sollen zu Beginn einer Untersuchung als Richtschnur für das erste Sammeln und Analysieren von Daten dienen. 1036 vgl. hierzu den Dokumentationsbogen der Gerontopsychiatrischen Beratungsstelle im Anhang 1 1037 vgl. Wester 1995; zit. nach Bosch 1998, 15 204 Das hier verwendete Verfahren der Datengewinnung ist anschlussfähig an zwei verschiedene Forschungstraditionen. Erstens haben Kasuistiken in der Medizin eine lange Tradition. Besonders in der Psychiatrie war es immer ein zentrales methodisches Vorgehen, einzelne Patientengeschichten zu beschreiben und solche Aufzeichnungen systematisch zu sammeln, um über den Vergleich mit ähnlich gelagerten Fällen zu allgemeineren Schlussfolgerungen über die richtige Behandlung zu gelangen1038. Zweitens gibt es in der Sozialen Arbeit eine Tradition ethnographischer Sichtweisen, auf die Schütze hinweist1039. Er führt aus, die Problembestände der Sozialen Arbeit seien der Gesellschaft und den Fachkräften in der Sozialen Arbeit prinzipiell fremd, und auch die Betroffenen selbst durchschauten ihre Problemlagen kaum oder gar nicht. Deshalb sei in der Sozialen Arbeit eine methodische Fremdheitshaltung angebracht, die gleichwohl auf Verstehen abziele. Diese könne am besten im Rahmen der ethnographischen Sichtweise hergestellt werden1040. Mit verschiedenen ethnographischen Verfahren, u.a. dem Verfahren des narrativen Interviews, lasse sich 1041 Lebensperspektive der Problembetroffenen erfassen die Weltsicht und . „In narrativen Interviews rekonstruieren die Problembetroffenen die systematischen Prozesselemente ihrer Leidensgeschichten, d.h. insbesondere Mechanismen von Verlaufskurven der biographischen und sozialen Unordnung und der erzwungenen Verstrickung in diese Verlaufskurven, die in entsprechenden Problemlagen in Gang gesetzt und in Bewegung gehalten werden (Riemann 1987; Riemann/Schütze 1990)“1042. Die von Schütze festgestellte prinzipielle Fremdheit der Lebensrealität der Klienten trifft meines Erachtens in besonderer Weise auf die häusliche Pflege zu, welche die Betroffenen häufig in eine abgeschiedene, öffentlich nicht mehr sichtbare und nachvollziehbare dyadische Exklusivbeziehung zwischen Pflegebedürftigem und pflegendem Angehörigen bringt. Deshalb ist gerade in der psychosozialen Beratung pflegender Angehöriger eine ethnographische Haltung angezeigt. Das methodische Vorgehen in der Explorationsphase einer psychosozialen Beratung hat deshalb eine große Nähe zu dem, wie in narrativen Interviews1043 vorgegangen wird. Nach einer Erzählaufforderung folgt als erster Teil die Haupterzählung des Ratsuchenden, die von diesem autonom, ohne 1038 vgl. Mayring 1996, 129; vgl. z.B. Jaspers 1912; Tölle 1987; zit. nach Mayring 1996, 129 1039 vgl. Schütze 1994, 196ff. Schütze weist u.a. nach, dass bereits die fallanalytischen Überlegungen von Mary Richmond, einer Begründerin der modernen professionellen Sozialen Arbeit, quasi-ethnographische Konsequenzen haben. 1040 vgl. Schütze 1994, 189 1041 vgl. Schütze 1994, 194f. 1042 Schütze 1994, 195 1043 vgl. z.B. Schütze 1983, 285f.; Fischer-Rosenthal & Rosenthal 1997, 414ff. 205 Unterbrechungen und Nachfragen des Beraters, als Stehgreiferzählung gestaltet wird. Erst nachdem der Ratsuchende durch eine entsprechende Koda („Und deshalb bin ich zu Ihnen gekommen...“, „und jetzt frage ich Sie,...“, o.ä.) andeutet, dass er seine Haupterzählung beendet, beginnt der zweite Teil mit erzählgenerierenden Nachfragen des Beraters. Dem kann der dritte Teil folgen, der mit beschreibenden und theoretisch-argumentativen Fragen auf die Eigentheorien des Erzählers zielt. Mit dem Verzicht auf direkte Fragen und der Aufforderung zu einer sich frei entfaltenden Stehgreiferzählung wird es dem Ratsuchenden ermöglicht, Gedanken, Erfahrungen und Erinnerungen in das Beratungsgespräch einzubringen, auf die er bei direkten Fragen möglicherweise nicht gekommen wäre. Dass dies funktioniert, begründet Schütze mit gewissen Zugzwängen, unter die der Erzähler während des Erzählens gerät. Es sind vor allem die Mechanismen des Gestaltungschließungs-, Kondensierungs- und Detaillierungszwangs, die ihn veranlassen, reichhaltige Versionen eines Geschehens und seiner Erfahrungen zu erzählen1044. Auch die Prinzipien der Gesprächsführung sind im narrativen Interview und in der psychosozialen Beratung ähnlich. Hoffmann-Riem1045 fordert für die interpretative Sozialforschung das „Prinzip der Offenheit“, mit dem der Verzicht auf eine hypothesengeleitete Datengenerierung gemeint ist, und das „Prinzip der Kommunikation“, bei dem es um die Orientierung am Regelsystem der Alltagskommunikation geht. Rosenthal nennt ergänzend folgende Prinzipien für die Gesprächsführung in narrativen Interviews: offene Erzählaufforderung, Raum zur Gestaltentwicklung, Förderung von Erinnerungsprozessen, Förderung der Verbalisierung heikler Themenbereiche, aufmerksames und aktives Zuhören, sensible und erzählgenerierende Nachfragen, Hilfestellung beim szenischen Erinnern. All dies sind Prinzipien, die auch in der diagnostisch orientierten Anfangsphase einer psychosozialen Beratung Geltung haben können1046. Eine Schwäche des oben beschriebenen Verfahrens der Datenerhebung liegt im Verzicht auf Tonaufzeichnungen der Gespräche. Dadurch sind die Vollständigkeit der erhobenen Daten und die nach dem Beratungsgespräch vorgenommen Einbettungen der Aussagen in die Erzählkontexte nicht nachprüfbar. Dieser Problematik wurde auf verschiedene Weise entgegengewirkt. Einerseits wurden die Selbstaussagen komplett und die übrigen Erzählteile stichwortartig 1044 vgl. Schütze 1977, 10; Kallmeyer & Schütze 1977, 188ff.; zit. nach Hopf 2003, 357; vgl. auch Flick 1996, 118 1045 vgl. Hoffmann-Riem 1980; zit. nach Rosenthal 1995, 186 1046 vgl. beispielsweise bei Sickendiek, Engel & Nestmann 2002, 129ff. 206 stenographiert, so dass die chronologische Entfaltung der Erzählung relativ vollständig nachvollzogen werden konnte. Andererseits wurde das Protokoll in direkter zeitlicher Nähe zum Gespräch verfasst. Das Design der Untersuchung, zwei unterschiedliche Datensorten – Akten von langandauernden Beratungsprozessen und Protokolle von Erstberatungen - zu benutzen, ermöglichte darüber hinaus die wechselseitige Validierung der Erkenntnisse aus der einen Datensorte mit denen aus der zweiten. Das entscheidende Kriterium für die Abwägung der Schwächen und des Nutzens dieses Verfahrens bleibt das Ziel dieser Studie: Es geht hier nicht um Theoriebildung im engeren Sinne oder um die Überprüfung von Hypothesen, sondern darum, einen orientierenden Überblick über das Feld der Ehegattenberatung zu erreichen und dabei Hypothesen zu generieren. Für die Auswahl der Fälle wurden folgende Kriterien zugrunde gelegt: Allgemeine Kriterien (Falldefinition): 1. Es sollten Erstberatungen von ratsuchenden Ehegatten Demenzkranker erfasst werden. Im Zeitraum Mitte 2002 bis Ende 2003 habe ich dreiundzwanzig Erstberatungen für Ehegatten Demenzkranker durchgeführt und protokolliert. Von diesen entsprachen elf Fälle den folgenden Kriterien des zweiten Auswahlschritts: 2. In den Beratungen sollten möglichst unterschiedliche Themen angesprochen worden sein (Tiefendimension des Feldes) mit einem Schwerpunkt bei den psychosozialen Fragestellungen gegenüber den rein informationsorientierten Fragen. Das bedeutet, Fälle, in denen es ausschließlich um eine einzige Spezies von Sachfragen, wie z.B. die Klärung von sozialrechtlichen Ansprüchen gegangen war, wurden nicht einbezogen. 3. Es sollten möglichst ratsuchende Ehefrauen und Ehemänner vertreten sein. 4. Die Fälle sollten sich, bezogen auf ihre Schwerpunktthemen und weitere qualitative Merkmale, deutlich voneinander abheben, um eine gewisse Bandbreite (Breitendimension des Feldes) zu erfassen. 207 5. Ich selbst sollte nicht in den weiteren Beratungsprozess des Falles involviert gewesen sein, um ein „In-der-Situation-Sein“1047 auszuschließen und damit die für die Analyse notwendige Distanz zum Fall zu gewährleisten. Es handelt sich bei den ausgewerteten Fällen also entweder um Fälle, bei denen es bei der einmaligen Beratung geblieben ist, oder um Fälle, welche ich an andere Beraterinnen abgeben konnte. Ein zwölfer Fall (Frau S.) wurde zu einem späteren Zeitpunkt noch in die Stichprobe aufgenommen, weil er einen weiteren, bis dahin nicht aufgetauchten Sonderfall repräsentiert. Zwei dieser zwölf Fälle waren keine Erstberatungen, sondern Folgeberatungen1048. Sie wurden in die Stichprobe aufgenommen, weil sie ebenfalls spezifische Aspekte des Feldes für die Auswertung beitragen konnten (es handelt sich wiederum um den Fall von Frau S. sowie um den Fall von Frau Q.). Spezifische Kriterien (Breitendimension des Feldes): 1. Der Fall von Frau G. zeigt die Situation einer Ehefrau kurz nach Erhalt der Diagnose. 2. Der Fall des Ehepaares H. ist einer der seltenen Fälle, in denen die Ehepaare gemeinsam zur Beratung kommen. Der Fall illustriert, wie schwer sich das Paar mit der Verschiebung der Rollen, Einfluss- und Aufgabensphären tut. 3. Der Fall von Frau J. zeigt ein starkes Kommunikationsbedürfnis der Ratsuchenden und die Bedeutung der Präsenz des Erkrankten für das Wohlbefinden der Ehefrau. 4. Der Fall von Frau K. dreht sich um den Verlust des erkrankten Ehegatten als Lebensgefährten und Gesprächspartner. 5. Im Fall von Frau L. geht es um die Unterstützung des Partners in seiner Krise und um Loyalität und Vertrauen als bindende Wertvorstellungen für die Ehe. 6. Der Fall von Frau M. wirft ein Licht auf eine langjährige Pflegesituation mit einer hochgradig belasteten pflegenden Ehefrau. 7. Der Fall von Herrn N. demonstriert Verwicklungen, die entstehen können, wenn eine Demenz in einer „schwierigen Ehe“ auftritt. 1047 1048 vgl. Soeffner 2003, 168 Diese beiden Fälle sind aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht zu einer dritten Gruppe, neben langandauernden Beratungsprozessen und Erstberatungen, zusammengefasst worden, sondern sind in die Gruppe der Erstberatungen eingeordnet worden. 208 8. Im Fall von Frau O. zeigt sich eine spezielle Problematik in Fortsetzungsfamilien. 9. Der Fall von Herrn P. demonstriert eine besondere Problematik, wenn bei einem chronisch psychisch kranken Ehegatten im Alter zusätzlich eine Demenz auftritt. 10. Der Fall von Frau Q. und Tochter wirft die Frage nach der Gerechtigkeit zwischen den Generationen auf. 11. Der Fall von Frau R. illustriert eine spezifische Interaktion zwischen pflegender Ehefrau und besorgtem Sohn. 12. Der Fall von Frau S. präsentiert den Fall einer außerehelichen Liebesbeziehung, bei der einer der Partner dement wird. 6.3 Auswertung Insgesamt sind 18 Beratungen ausgewertet worden, darunter 12 für pflegende Ehefrauen bzw. Partnerinnen und 6 für pflegende Ehemänner. Von den 18 Beratungen waren 6 langandauernde Beratungsprozesse und 12 Erstberatungen. Abbildung 12: Verteilung der Fälle nach Geschlecht und Beratungsform Langandauernde Beratungsprozesse Erstberatungen Summe Ehefrauen/Partnerinnen 3 9 12 Ehemänner 3 3 6 Summe 6 12 18 In einem ersten Durchlauf wurden die Daten der langandauernden Beratungsprozesse und der Erstberatungen unter zwei Gesichtspunkten ausgewertet: • Themen: Um für die Erfassung der in den Beratungen auftauchenden Themen einen möglichst offenen Zugang zu gewährleisten, habe ich das Verfahren des offenen Kodierens1049 der Grounded Theory angewendet. Wenngleich die Grounded Theory sich als gegenstandsverankerten Theoriebildung versteht 1050 ein Verfahren zur , so können einzelne 1049 vgl. Strauss & Corbin 1996, 43ff.; Strauss 1998, 90ff.; Glaser & Strauss 1998, 107ff.; Bosch 1998 1050 vgl. z.B. bei Strauss & Corbin 1996, 7 209 Schritte auch angewendet werden, ohne diese weitreichende Zielsetzung zu verfolgen. Strauss & Corbin schreiben: „Nicht jeder Anwender von Vorgehensweisen der Grounded Theory hat das Ziel, eine dicht konzeptualisierte Theorie oder überhaupt eine Theorie zu erstellen. Diese Vorgehensweisen werden oft benutzt für das, was wir ‚konzeptionelles Ordnen’ unterschiedlicher Art nennen“1051. Dies genau ist das Ziel des Arbeitsschrittes in der Auswertung der Beratungsdaten gewesen. Strauss & Corbin empfehlen für das Auffinden von Themen explizit den Schritt des offenen Kodierens1052. Beim offenen Kodieren werden die in den Daten aufgefundenen Phänomene zunächst konzeptualisiert und in einem weiteren Schritt kategorisiert1053. Hierzu habe ich die Texte der Beratungsdokumentationen aufgebrochen, d.h. alle entdeckten Phänomene in einem Prozess des permanenten Vergleichens unter den Phänomenen, die in den verschiedenen Fällen auftauchten, mit konzeptuellen Bezeichnungen versehen. • Zeitstruktur: Bei den langandauernden Beratungsprozessen habe ich darüber hinaus die zeitliche Struktur des Falles in einem Zeitstrahl dargestellt. Im zweiten Durchlauf erfolgten Fallzusammenfassung, Fallstrukturierung und Fallinterpretation nach den Kriterien Zugang, Zeitstruktur, Themen sowie Besonderheiten des Falls. Ziel dieses Arbeitsschrittes war die Deskription der Fälle („das Fremde zum Sprechen bringen“1054) in Form von „dichten Beschreibungen“1055. „Dichte Beschreibungen“ sind – so Friebertshäuser - „eine Form der schriftlichen Darstellung von Feldforschungsergebnissen, bei der Szenen, Ereignisse, Erfahrungen und Dialoge literarisch verdichtet und im Kontext des Gesamtzusammenhangs der untersuchten Kultur präsentiert werden. Dabei gilt es, aus der Fülle von Daten und Beobachtungen (‚dünne Beschreibungen’) mit Hilfe von hermeneutischen Rekonstruktionen die intendierten Bedeutungen und den sozialen Sinn herauszuarbeiten und in einer Weise darzustellen, die den Lesenden mitten hinein versetzt in das Geschehen, ihnen einen Zugang zur Gedankenwelt und Alltagserfahrung der untersuchten Subjekte eröffnet und dabei den kulturellen Gesamtkontext erschließt. Um zur 1051 Strauss & Corbin 1996, 17 1052 vgl. Strauss & Corbin 1996, 48 1053 vgl. Strauss & Corbin 1996, 43ff. 1054 vgl. Scheler 1923; Srubar 1981; zit. nach Soeffner 2003, 172 1055 vgl. Geertz 1983, 294; zit. nach Friebertshäuser 2003, 33ff. 210 dichten Beschreibung zu gelangen, werden verschiedene Datenmaterialien (...) durch die analytische und theoretische Arbeit zum Sprechen gebracht. Eine dichte Beschreibung basiert auf Selektions-, Rekonstruktions- und Interpretationsprozessen, um auf diesem Weg zum Verstehen einer Kultur zu gelangen.“1056 Die Ergebnisse der ersten beiden Durchläufe der Auswertung finden sich im Kapitel 7. Im dritten Durchlauf der Auswertung wurden die im ersten Schritt des offenen Kodierens aufgetauchten und mit konzeptionellen Bezeichnungen versehenen Themen fallübergreifend kategorisiert. Das Ergebnis dieses Auswertungsschrittes findet sich im Kapitel 8. 1056 Friebertshäuser 2003, 33 211 7 Fallanalysen 7.1 Themen in langandauernden Beratungsprozessen 7.1.1 Beratungsprozess Frau A. Zugang Die ratsuchende Ehefrau eines 59-jährigen, seit etwa 4 Jahren an der AlzheimerKrankheit leidenden Mannes findet den Zugang zur Beratung über einen Kursus für pflegende Angehörige Demenzkranker, den die Beratungsstelle in der Zeitung angekündigt hatte. Zeitstruktur Der Beratungsprozess Einzelberatungskontakten. erstreckt Der sich Prozess über beginnt 5 im Jahre ersten mit Jahr mit 15 3 Beratungskontakten, dann folgen drei Jahre mit sporadischen Kontakten (je 1-2 pro Jahr); das letzte Jahr hat einen deutlichen Schwerpunkt mit 7 Kontakten. Der Überblick über den zeitlichen Verlauf dieses Beratungsprozesses findet sich im Anhang 2. Themen Der Beratungsschwerpunkt des letzten Jahres ist die Auseinandersetzung mit der Unterbringung des Partners in einem Altenpflegeheim und mit dem Tod des Partners. Eine Übersicht über alle in diesem Beratungsprozess aufgetauchten Themen gibt die folgende Abbildung. 212 Abbildung 13: Themen im Beratungsprozess von Frau A. Thema Fundstelle Auseinandersetzung mit der Unterbringung des Partners in einem Altenpflegeheim A140, 151, 161ff., 183 Auseinandersetzung mit dem Tod des Partners A175ff., 191, 196, 203 Seelische Belastung: hier Weinen A40, 119 Bedeutung der eigenen Berufstätigkeit, Konflikt Berufstätigkeit vs. Pflege A24, 85, 129 Allgemeines Befinden A111, 128 Erste Anzeichen der Demenz wahrnehmen A21 Auseinandersetzung mit dem Verfall des Partners: hier Niedergang des Denkvermögens A177, 182 Problemverhalten des Patienten: Klammern A26 Problemverhalten des Patienten: Bewegungsdrang A83 Problemverhalten des Patienten: Verlaufen A84 Problemverhalten des Patienten: aggressives Verhalten A139 Ressourcen des Patienten: noch allein sein können A25 Körperliche Komplikationen beim dementen Partner A54 Unsicherheit, in die Sphäre des dementen Mannes eingreifen zu dürfen A41ff. Bedeutung des Einverständnisses des kranken Partners bei wesentlichen Entscheidungen A184 Entscheidung über existenzielle Fragen für den Partner: lebensverlängernde Maßnahmen A179f. Mit dem Partner über die Krankheit sprechen A41ff. Loyalität A44 Sorge um das Wohlergehen des Partners A151 Rolle der Kinder: Stütze A23 Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor A56, 76, 140, 144, 151f., 161 Hilfeoptionen aus dem Medizinsektor A137f. Hilfeoptionen aus dem Bereich ehrenamtlicher Hilfen A120 Hilfeoptionen aus dem Bereich technischer Hilfen A86, 101, 109 Erfahrungen mit Hilfen aus dem Medizinsektor A22, 138 Erfahrungen mit Hilfen aus dem Altenpflegesektor A59 Pflegeversicherung A57, 75 Expertenwissen als pflegende Angehörige an andere Betroffene weitergeben A110 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. Analyse des Falles Dieses Ehepaar ist das jüngste unter den ausgewerteten Fällen. Er ist 55 Jahre alt, als die Demenzdiagnose bei ihm gestellt wird, eine sogenannte Youngeronset-Demenz mit charakteristischen Umständen: noch volle Berufstätigkeit zum Zeitpunkt der Diagnose, Berentung wegen der Demenz, relativ junge Kinder (in diesem Fall schon aus dem Elternhaus ausgezogen), die Ehepartnerin berufstätig, beide Partner im späten mittleren Lebensalter (zu Beginn des Beratungsprozesses ist er 59 Jahre alt, sie in ähnlichem Alter, vermutlich sogar jünger). 213 Mit dem Merkmal der Berufstätigkeit der Ehefrau verdeutlicht dieser Fall, dass die Wirklichkeit weitaus differenzierter ist als das Klischee der hochaltrigen Ehefrau, die sich - selbst multimorbid - mit letzter Kraft allein auf die Versorgung ihres pflegebedürftigen Mannes konzentriert. Frau A. steht in ihrem Alter an einer anderen Stelle im Lebenszyklus als eine hochaltrige Ehefrau. Sie hat u.a. eine längere Zeitperspektive noch vor sich und andere typische aktuelle Lebensthemen. Ihre Situation ist in manchem, nicht in allem, eher vergleichbar mit derjenigen von pflegenden Töchtern und Schwiegertöchtern, die häufig an einer ähnlichen Stelle im Lebenszyklus stehen wie sie. Wie diese hat sie mit Mehrfachbelastungen und Rollenkonflikten aus verschiedenen Richtungen zu tun, und die Konflikte werden mit dem Fortschreiten der Demenz und dem wachsenden Hilfebedarf des Erkrankten immer drängender. Nachdem die Phase der Kindererziehung weitgehend abgeschlossen ist, steht sie wie viele Töchter pflegebedürftiger alter Eltern erneut vor der Aufgabe, eine Balance zwischen der Solidaritätsnorm, d.h. hier konkret dem Engagement für die Familie, und der Individualisierungsnorm, d.h. dem Verwirklichen eigener Ziele1057, zu finden, einer typisch weiblichen gesellschaftlichen Zerreißprobe, für die Modernisierungsprozesse vor dem immer Hintergrund seltener der vorgefertigte Lösungen bereitstehen. Gleichzeitig ist ihre Situation nicht vergleichbar mit derjenigen von pflegenden Töchtern, denn ihr bricht durch die Demenz des Ehegatten eine frei gewählte Bezugsperson weg, ein Mensch, mit dem sie vor vielen Jahren eine Beziehung eingegangen ist. Anders als das Eltern-KindVerhältnis ist diese Beziehung prinzipiell auf Gegenseitigkeit angelegt, und sie ist auf die Verwirklichung gemeinsamer Ziele ausgerichtet. Mit ihren Ehepartner verbindet sie ein gemeinsames, auf Zukunft ausgerichtetes Lebensprojekt. Das ist in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern nicht so. In ihrer persönlichen Auseinandersetzung mit der Demenz des Partners steht am Anfang des Beratungsprozesses ebenso wie am Ende dasselbe Thema. Sie kreist um die Frage, inwieweit sie als Ehefrau in die Souveränität ihres Partners eingreifen darf, und wie sie es vermeiden kann, ihre Loyalität ihm gegenüber aufgeben zu müssen. Im ersten Beratungskontakt geht es um einen Familienkonflikt und damit verbunden um Fragen von Souveränität und Loyalität. Der demente Ehemann, der die Beziehung zu seinen Geschwistern vor Jahren im Streit abgebrochen hat, äußert vermehrt den Wunsch, diesen Kontakt wieder 1057 vgl. Backes 1994, 149 214 aufleben zu lassen (41ff.)1058. Die Ehefrau ist unsicher, ob sie die Geschwister ohne Wissen des Mannes über dessen Krankheit aufklären soll. Mit ihm selbst spricht sie offenbar nicht über seine Krankheit. Würde sie seine Geschwister über seine Demenz informieren, dann bedeutete das zweierlei. Sie würde ihnen ohne sein Einverständnis etwas sehr Persönliches anvertrauen – was einen Eingriff in seine Souveränität bedeutete. Und sie würde hinter seinem Rücken mit seinen Gegnern (er ist immerhin noch mit ihnen zerstritten) kollaborieren – was einem Verrat gleichkäme. Sie befindet sich in einem Dilemma, denn auch wenn sie es nicht täte, würde sie seine Interessen verraten. Sie ahnt, dass ihm jetzt, in seiner letzten Lebensphase, die Aussöhnung mit seinen Geschwistern viel bedeuten könnte, dass er hier etwas in Ordnung bringen möchte. Seine Demenz macht ihn aber äußerst verletzlich und seine Bemühungen um Versöhnung könnten vollkommen fehlschlagen, wenn seine Geschwister nicht über seinen Zustand informiert würden, seine Absichten missverstehen und ihn dann mit ihrer weitaus überlegenen Rhetorik demütigen würden. Was sie auch tut, sie muss das Gefühl haben, sich ihm gegenüber illoyal zu verhalten. In den letzten Beratungsgesprächen geht es wieder um Loyalität und Souveränität. Sie setzt sich mit der Unterbringung ihres Mannes in einem Altenpflegeheim auseinander, einer weitreichenden Entscheidung, die sie für ihn treffen muss. Im vorletzten Gespräch, nach dem Tod des Partners, resümiert sie noch einmal, wie es zu der Heimaufnahme gekommen war. Sie erzählt in diesem Zusammenhang eine Begebenheit, die sich kurz vor seinem Tod zugetragen hatte. Er hatte schon lange nicht mehr gesprochen, habe sie aber plötzlich, als sie ihn in dem Altenpflegeheim besucht habe, gefragt: „Was ist das hier für ein Haus“. Sie habe ihren Ohren nicht getraut, ihn sprechen zu hören, und habe geantwortet: „Eine Art Krankenhaus“ und „Du fühlst dich nicht sehr wohl hier, nicht wahr?“. Er daraufhin: „Ja“. Sie: „Aber was sollen wir denn machen? Wir haben keine Alternative.“ Er: „Ja, du kannst das auch nicht, Maria.“1059 (184) Sie wirkt in dem Beratungsgespräch deutlich wahrnehmbar berührt von dieser Antwort ihres Mannes. Es scheint so, als hätte er ihr in einem letzten klaren Augenblick sein Einverständnis gegeben, dass sie richtig gehandelt hatte. Neben dem erstaunlichen Phänomen, dass ein dementer Patient in diesem fortgeschrittenen Krankheitsstadium, kurz vor seinem Tod, derart zutreffend 1058 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Aktes des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. 1059 Name anonymisiert 215 seine und die Situation seiner Ehefrau erfassen und zur Sprache bringen kann, wird hier deutlich, dass das Paar weiterhin als Paar existiert. Obwohl sie allein die Entscheidung zur Heimaufnahme hatte treffen müssen, spricht sie zu ihm in der „Wir-Form“: „Was sollen wir denn machen?“, nicht „Was soll ich denn machen?“. Sie spricht auch nicht in der Vergangenheitsform, sie sagt nicht „Was sollte ich denn machen?“ sondern „Was sollen wir denn machen?“. Das heißt, sie fragt ihn in diesem Augenblick und bezieht ihren Mann noch einmal tatsächlich in die Entscheidung mit ein. Und sie wirkt wie erlöst durch seine Zustimmung. Damit ist es nicht mehr ihre alleinige Entscheidung, sondern er zeigt ihr, dass er hinter ihr steht, und dass sie als Paar diese Entscheidung tragen. 7.1.2 Beratungsprozess Frau B. Zugang Die ratsuchende Ehefrau, die mit ihrem 85-jährigen, seit langem an einer Demenz erkrankten Ehemann zusammen lebt, findet den Kontakt zur Beratungsstelle über die Vermittlung durch eine Kirchengemeinde. Zeitstruktur Der Fall erstreckt sich über einen Zeitraum von 13 Monaten mit insgesamt 11 Beratungskontakten für die ratsuchende Ehefrau und 17 Kooperationskontakten zwischen der Beraterin und anderen professionellen Akteuren aus dem Altenpflege- und Medizinsektor. Im Vergleich zu den anderen ausgewerteten Fällen ist dies der kürzeste, gleichzeitig mit der Vielzahl der Kontakte der dichteste Fall. Der Überblick über den zeitlichen Verlauf dieses Beratungsprozesses findet sich im Anhang 2. Themen In den ersten Kontakten geht es darum, eine Betreuung für den kranken Ehemann zu organisieren, damit die Ehefrau an einem über elf Wochen laufenden Kursus teilnehmen kann, den die Beratungsstelle für pflegende Angehörige Demenzkranker anbietet. Organisatorische Fragen rund um dieses Problem bestimmen weite Teile des Beratungsprozesses (71, 78, 85, 92, 100, 107, 114, 119, 130, 152, 161, 169, 179, 186). Die Arbeit der Beraterin nimmt 216 hierbei Case-Management-Qualitäten an, in dem sie die Betreuung organisiert, die Ausführung überwacht und bei Schwierigkeiten regulierend eingreift. Abbildung 14: Themen im Beratungsprozess von Frau B. Thema Fundstelle Sorge um das eigene Wohl der Ratsuchenden B122, 196f., 264, 305 Allgemeines Befinden B246 Eigene Erkrankungen der Ratsuchenden B288 Seelische Belastung, hier: Weinen, Zittern B121 Angst vor dem Ehemann B116 Mit dem Ehemann „nicht fertig werden“ B275 Scham für das Verhalten des Ehemannes B118, 261 Den Mann schützen wollen B216 Eigene Interessen wieder aufnehmen B305 Kognitive Störungen des Erkrankten: situative Orientierungsstörung B172 Problemverhalten des Erkrankten: Ungeduld B171 Problemverhalten des Erkrankten: herrisches, aggressives Verhalten B8, 150, 171, 257 Problemverhalten des Erkrankten: Schlagen der Ehefrau B117, 151, 170, 213, 275 Problemverhalten des Erkrankten: Schlagen anderer Personen B204f. Problemverhalten des Erkrankten: Affektlabilität B150 Problemverhalten des Erkrankten: Verlassen des Hauses bei Desorientiertheit B258 Problemverhalten des Erkrankten: Unruhe B256, 274 Problemverhalten des Erkrankten: nächtliche Unruhe B273 Problemverhalten des Erkrankten: situative Verkennung B172 Auseinandersetzung mit der Situation nach der Unterbringung des Ehemannes im Altenpflegeheim B303f. Stete Anwesenheit des dementen Partners, hier: nicht ungestört telefonieren können B47 Entscheidungen dem Ehemann gegenüber begründen B287 Den Patienten nicht unbeaufsichtigt lassen können, hier: wohin mit dem Patienten während der Beratungsgespräche B57, 71, 247, 255 Hilfeoptionen aus dem Medizinsektor B10, 24-28, 56, 64, 239, 272, 248 Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor B64, 259 Altenpflegeheim B123, 153f., 289, 291 Motivation des Erkrankten zur Inanspruchnahme von Hilfen B13, 21, 189 Erfahrungen mit der Inanspruchnahme von professionellen Diensten B186f., 195, 204f., 214, 238, 248, 272, 276, 286, 299ff. Ansprüche aus der Pflegeversicherung, Krankenversicherung B9, 35, 46, 149, 277ff. Überforderung mit Schriftverkehr B120 Ohne Unterstützung allein zurechtkommen wollen B262, 265 Gewissermaßen unbeabsichtigt, auf dem Weg zu einer anderen Stelle des Gerontopsychiatrischen Zentrums, in der Beratungsstelle auftauchen B115 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. Ein zweiter Schwerpunkt ist das gewalttätige Verhalten des dementen Ehemannes: ungeduldiges (171), herrisches, aggressives Verhalten (8, 150, 171, 257); Schlagen der Ehefrau (117, 151, 170, 213, 275), Schlagen anderer Personen (204f.); weiteres Problemverhalten des Ehemannes: Affektlabilität (150), Unruhe (256, 274), Verlassen des Hauses bei Desorientiertheit (258), 217 situative Verkennung (172), nächtliche Unruhe (273). Mit diesem Komplex sind weitere Themen assoziiert: Angst vor dem Ehemann (116), mit dem Ehemann „nicht fertig werden“ (275); Scham für das Verhalten des Ehemannes (118, 261), Entscheidungen dem Ehemann gegenüber begründen (287); den Mann schützen wollen (216); seelische Belastung, hier: Weinen, Zittern (121). Neben diesen Fragen tauchen eine Reihe weiterer Themen im Laufe des Beratungsprozesses auf. Eine Übersicht über alle in diesem Beratungsprozess angesprochenen Themen gibt die oben stehende Abbildung. Analyse des Falles Die ratsuchende Ehefrau, die mit ihrem 85-jährigen, seit langem an einer Demenz erkrankten Ehemann zusammen lebt, wird vom Diakon einer Kirchengemeinde betreut, der den Kontakt zur Beratungsstelle herstellt. Der Diakon beschreibt als vordringliches Problem das „herrische und aggressive Verhalten“ des dementen Ehemannes. Das Ehepaar hat zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Hilfen (2ff.). Ein erstes auffälliges Merkmal dieses Falles sind die vielen Kooperationskontakte zwischen professionellen Akteuren „rund um das Ehepaar herum“. Bevor es überhaupt zum ersten Kontakt zwischen Beraterin und der ratsuchenden Ehefrau kommt, liegen mehrere Kooperationen zwischen Beraterin und Diakon bzw. Beraterin und Ärztin. Es scheint, die Professionellen haben zu diesem Zeitpunkt bereits eine vorläufige Diagnose des Hilfebedarfs und auch eine erste Hilfeplanung aufgestellt: Der demente Ehemann soll in ärztliche Behandlung, die Ehefrau in den Kursus „Verwirrtheit im Alter“, den die Beratungsstelle für betroffene Angehörige anbietet. Der Diakon fungiert als Vermittler zwischen Beraterin und Klientin, was immer wieder zu komplizierten Kommunikationsformen führt, wenn die Beraterin ihrerseits zur Vermittlerin zu weiteren Stellen wird (z.B. zur Ärztin oder zum ambulanten Pflegedienst). Der Kontakt zwischen Beraterin und ratsuchender Ehefrau baut sich sehr langsam auf. Nicht von der Klientin selbst initiiert, bleibt dieser Beratungsprozess lange Zeit durch indirekte, über den Diakon vermittelte Kontakte gekennzeichnet. Die Verbindung zwischen Beraterin und Klientin wird erst dann direkter, als die Ehefrau am Kurs teilnimmt und dort die Beraterin (die den Kurs leitet) näher kennenlernt. Ab diesem Zeitpunkt tritt der Diakon in den Hintergrund. Parallel dazu vollzieht sich eine qualitative Verschiebung der Themenschwerpunkte in 218 den Beratungen, von zunächst sachbezogenen, organisatorischen Fragen über die Thematisierung der vielfältigen Belastungen bis hin zur persönlichen Auseinandersetzung mit Verlusten im letzten Beratungsgespräch. Ein weiteres Merkmal dieses Falles ist die Schwere der Problematik. Die Dokumentation verzeichnet eine Bandbreite verschiedener schwieriger Verhaltensweisen des dementen Mannes, mit denen die Ehefrau im Alltag zurecht kommen muss: ungeduldiges, herrisches, aggressives Verhalten, Schlagen der Ehefrau, Unruhe, Verlassen des Hauses bei Desorientiertheit, nächtliche Unruhe. Die Ehefrau erlebt im Verlauf des Beratungsprozesses, wie mehrere professionelle Dienste an den problematischen Verhaltensweisen des Mannes scheitern. Die Mitarbeiterin eines ambulanten Pflegedienstes flüchtet vor den Schlägen des Mannes und weigert sich, weiter bei ihm tätig zu sein; die Ärzte wechseln innerhalb des kurzen Zeitraumes von gut einem Jahr mehrfach (zwei Psychiater, Hausarzt, Notarzt, Klinik); ein erster Altenheimaufenthalt wird bereits nach 4 Tagen abgebrochen. Die Gewalttätigkeit des dementen Mannes ist durchgehend Thema in diesem Beratungsprozess. „Herrisches und aggressives Verhalten“ wird schon im ersten Kooperationskontakt zwischen Diakon und Beraterin als vordringliches Problem wahrgenommen (8). Zum 2. Beratungskontakt Mitte Februar erscheint die Ehefrau mit einem blauen Auge. Die Beraterin dokumentiert: „...vermutlich ist sie von ihrem Mann geschlagen worden“ (117) und „Ihr ist es auch peinlich, dass jemand anderes ihren Mann so aggressiv erlebt“ (118). Die Dokumentation lässt nicht erkennen, auf welche Weise die Problematik in den Beratungsgesprächen besprochen worden ist. Erkennbar sind aber die Strategien der Beraterin. Sie versucht zunächst, die Frau zur Sorge um sich selbst zu ermutigen (119, 122) und scheint darauf zu setzen, dass eine Altenheimaufnahme des Mannes unmittelbar bevor steht (123). Darüber hinaus wird sie hoffen, dass die Ehefrau in dem Kurs, der am selben Abend beginnt (133 ff.), einiges über den Umgang mit Demenzkranken lernen wird, um kritische Situationen zukünftig besser deeskalieren zu können. Als die Beraterin zwei Monate später, im Juni, erneut von einem Gewaltausbruch des Mannes erfährt, bei dem sogar der Einsatz eines Notarztes erforderlich gewesen war, bemüht sie sich darum, den Mann zu einer stationären Krankenhausbehandlung einweisen zu lassen (228, 235). Dazu kommt es dann jedoch nicht, wobei die Dokumentation nicht hergibt, ob die Ärztin keine Indikation gesehen hat, oder, was wahrscheinlicher ist, ob sich die Ehefrau 219 letztlich dagegen entschieden hat (239). Als die Ehefrau im August in einem Beratungsgespräch erneut über Ausbrüche und Problemverhalten des Mannes klagt (256ff.), präsentiert die Beraterin Entlastungsmöglichkeiten, angefangen von einer ihr unterschiedliche Putzhilfe über ambulante psychiatrische Pflege bis hin zur Heimunterbringung (259), ohne dass die Ehefrau auf eines dieser Angebote eingehen mag (260ff.). Die Beraterin notiert eine deutliche Ambivalenz der Ehefrau: „Die ‚Ja-abers’ bleiben bestehen“ (265) und „...ihre größte Sorge ist es, dass ihr Mann sich bei Fremden schlecht benimmt“ (261). Der Fall nimmt einen ambivalenten Ausgang. Die Situation muss sich in den letzten Monaten des Fallverlaufs enorm zugespitzt haben, die „Unruhe des Mannes ... ein offenbar bis dahin nicht gekanntes Ausmaß angenommen haben. Sie sei nicht mehr mit ihm fertig geworden, auch vermehrt geschlagen worden“ (273ff.). Nach zwei Krankenhausaufenthalten und einem gescheiterten Aufenthalt in einem Münsteraner Altenheim wird der Mann in einem Heim in einer weiter entfernten Stadt untergebracht. Im letzten Beratungsgespräch weint Frau B. einerseits darüber, dass ihr Mann so weit von ihr entfernt lebt. Andererseits deutet sich im letzten Kontakt an, dass sie sich dem Leben ohne den Mann stellt und diesem Leben durchaus Positives abgewinnen kann. Sie spricht von Urlaub, Ausschlafen, Gymnastik und sucht konkret sozialen Anschluss (305). Es wirkt ein wenig so, als würden ihre Lebensgeister wieder wach. Der ganze Fall wirft die Frage auf, weshalb diese Frau so lange eine derart belastende und für sie persönlich sogar gefährliche Situation ertragen hat. Für eine Antwort wäre es notwendig, vieles über die einmalige Geschichte der Ehe dieser beiden Menschen zu erfahren, denn vermutlich wird die Vergangenheit des Paares für das Ausharren eine wesentliche Rolle gespielt haben. Umso bemerkenswerter ist es, dass in dem Beratungsprozess an keiner Stelle die Ehegeschichte zum Thema geworden ist – zumindest gibt die Dokumentation keine entsprechenden Hinweise. Angehörigenberatung, diese Vermutung drängt sich hier auf, ist so stark an der Demenzproblematik und an der Wahrnehmung der Ratsuchenden als „pflegenden Angehörigen“, also allein in ihrer Funktion und nicht in ihrer Beziehung, orientiert, dass die Dimension der Ehe nicht in den Horizont der Beratung gelangt. 220 Eine zweite Erklärung kann man aus Äußerungen der Ehefrau schlussfolgern. Es sei ihr peinlich, wenn jemand ihren Mann aggressiv erlebe (118) bzw. ihre größte Sorge sei, der Mann könne sich vor Fremden schlecht benehmen (261). Diese Aussagen lassen sich in zwei Richtungen interpretieren. Die Ehefrau erträgt das aggressive Verhalten ihres Mannes, weil sie ihn auch anders aus früheren Tagen kennt, während Fremde ihn nur in diesem Zustand kennen lernen. Es geht ihr darum, das Bild des Mannes, das er in der Welt hinterlässt, nicht zu beschädigen. Es geht ihr um seine Würde. Der Mann steht kurz vor dem Ende seines Lebens, und er soll als derjenige in Erinnerung bleiben, der er vor der Demenz gewesen ist. In einer anderen Lesart fürchtet die Ehefrau, das Verhalten des Mannes könne auch auf sie selbst zurückfallen. Sie sieht sich und ihren Mann als Einheit. Was immer einer der beiden tut, tut er als Teil des Paares. Die Wirkungen nach innen sind für sie nicht so bedeutend wie die Wirkungen nach außen. Einen dritten erklärenden Hinweis für die Zurückhaltung der Ehefrau, Hilfen in Anspruch zu nehmen, geben ihre Erfahrungen mit professionellen Diensten. Die Frau erlebt an mehreren Stellen, dass ihre Befürchtung sich bewahrheitet, professionelle Hilfen würden nicht funktionieren und sogar kontraproduktiv sein, indem sie den Mann noch mehr gegen sie aufbringen. An der entscheidenden Stelle in diesem Fall, als die Beraterin ihr den vermeintlichen Rettungsring in Form der Krankenhauseinweisung des Mannes zuwirft, verhält sich Frau B. eigentlich kompetent und folgerichtig, als sie ihn zurückweist. Wenn Sie einer Krankenhausbehandlung zustimmen würde, riskierte sie, ihren Mann erneut gegen sich aufzubringen. Sie hat keinerlei Garantie, dass er gebessert entlassen wird. Sicher ist nur, dass er entlassen wird. Im schlimmsten Fall hätte sie ihn dann aggressiver als zuvor wieder zu Hause. Sie setzt darauf, den Mann so wenig wie möglich zu beunruhigen, und wenn es hart auf hart kommen sollte, den Notarzt zu rufen. Sie stimmt erst dann einer Krankenhauseinweisung zu, als die Lage derart zugespitzt ist, dass offenbar auch der nächste Schritt, die Heimunterbringung, unausweichlich ist (272 ff.). Diese Überlegungen provozieren die Anforderung, bei der besonders von Ehegatten so häufig berichteten Zurückhaltung gegenüber professionellen Diensten sehr genau nach den gemachten Erfahrungen mit Diensten zu schauen und nach den tatsächlichen Wirkungen, Nebenwirkungen und Mitbedeutungen, die sie in der Lebenssituation des betroffenen Paares entfalten. 221 Einen weiteren denkbaren Erklärungsansatz für die Ablehnung der Krankenhauseinweisung liefert Frau B. in einem der späten Beratungstermine. Nach der Einweisung ihres Mannes kommt sie in die Beratungsstelle und fragt besorgt, wer die Behandlung bezahlen werde, und ob sie Pflegegeld zurückzahlen müsse (277ff.). Sollte hier ein schlichtes Informationsdefizit vorgelegen haben, das sie so lange ausharren ließ, weil sie befürchtete, für die Kosten der psychiatrischen Krankenhausbehandlung aufkommen zu müssen? Ganz abwegig ist dieser Gedanke nicht, denn psychiatrische Kliniken werden in der Bevölkerung auch heute noch häufig nicht als Krankenhäuser, sondern als Anstalten wahrgenommen, deren Finanzierung man nicht unbedingt im Zuständigkeitsbereich der Krankenkassen vermutet. 7.1.3 Beratungsprozess Frau C. Zugang Als die ratsuchende Ehefrau erstmalig die Beratungsstelle aufsucht, leidet der 80-jährige Ehemann seit etwa 2 Jahren an ersten Anzeichen einer AlzheimerDemenz. Über den Zugangsweg zur Beratung gibt die Dokumentation keine Auskunft. Zeitstruktur Der Beratungsprozess erstreckt sich über 5 Kalenderjahre mit insgesamt 17 Beratungskontakten. Die Kontakte verteilen sich ziemlich gleichmäßig auf die Jahre, meist 3-5 pro Jahr, mit Ausnahme des vorletzten Jahres, in das nur 1 Kontakt fällt. Innerhalb der Jahre liegen die Kontakte dicht bei einander. Es gibt also Beratungsphasen, zwischen denen jeweils etliche Monate ohne Beratungsbedarf liegen. Der Überblick über den zeitlichen Verlauf dieses Beratungsprozesses findet sich im Anhang 2. 222 Themen Abbildung 15: Themen im Beratungsprozess von Frau C. Thema Fundstelle Belastung der Ratsuchenden C15, 83, 179 Allgemeines Befinden C55 Sorge der Ratsuchenden um das eigene Wohl C14, 56f., 65, 88, 98, 129, 186, C193, 250 Umgang mit dem Tabu Demenz C131 Umgang mit Schuldgefühlen C178, 216 Trauer C85, 216 1060 Problemverhalten des Erkrankten : Weinen bei Anforderungen C47 Problemverhalten des Erkrankten: wiederholtes Fragen C47, 173 Problemverhalten des Erkrankten: Aggression C120, 175 Problemverhalten des Erkrankten: Schreien C155 Problemverhalten des Erkrankten: Inaktivität C174 Problemverhalten des Erkrankten: Schweigen C154, 176 Problemverhalten des Erkrankten: Hilfe verweigern C121 Problemverhalten des Erkrankten: Orientierungsstörung C47 Krankheitsverlauf C119 Akzeptanz der Demenz des Ehemannes C11, 13, 21, 44, 84, 128, 131 Umgang mit Schwankungen der Symptomatik C12, 45, 73 Veränderung der Beziehung: Übernahme einer Haltung fürsorglicher Autorität C100, 130 Beschäftigung, Alltagsgestaltung mit dem dementen Partner C124 Auseinandersetzung mit der Unterbringung des Partners im Altenpflegeheim C203, 211 Auseinandersetzung mit der Situation nach der Unterbringung des Ehemannes im Altenpflegeheim C203, 211, 213f. Sorge um das Wohl des Partners C204, 212, 219. 227, 241 Verstehen des Erkrankten, Umgang C97, 192, 217 Stete Anwesenheit des Erkrankten: nicht ohne Beisein des dementen Ehemannes telefonieren können C82, 156 Hilfeoptionen aus dem Altenhilfesektor C23, 99, 125ff., 153, 157ff., 187, 201, 202, 250 Hilfeoptionen aus dem Medizinsektor C74, 101, 118, 123, 146, 191 Hilfeoptionen aus dem Bereich niedrigschwelliger Angebote C24 Hilfeoption Gesprächskreis/Kurs „Verwirrtheit im Alter“ C22, 72, 240, 257, 261ff. Hilfeoption Psychotherapie für die Ratsuchende C233, 258 Erfahrungen mit der Inanspruchnahme von Hilfen C46, 74, 190 Konflikte mit Personal im Heim C215, 218, 227ff., 241f., 253ff. Konflikte mit Personal eines ambulanten Dienstes C190 Motivation des Erkrankten zur Nutzung von Hilfen C101, 157, 177 Pflegeversicherung C102 Familienberatung: Aufklärung der Tochter C116f. Umgang mit normativen Erwartungen aus der Umwelt die Pflege betreffend C188f. Gewissermaßen unbeabsichtigt, auf dem Weg zu einer anderen Stelle des Gerontopsychiatrischen Zentrums, in der Beratungsstelle auftauchen C64, 81, 200 Zurückhaltung gegenüber Beratungsangebot C87 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. 1060 zu einem früheren Zeitpunkt, als oben unter Schwerpunktthemen angegeben 223 Durch die ersten beiden Jahre dieses Falles zieht sich das Thema „Akzeptanz der Demenz des Ehemannes“ (11, 13, 21, 44, 84, 128, 131). Damit verknüpft sind Themen wie „Umgang mit Schwankungen der Symptomatik“ (12, 45, 73) und Trauer (85). Im dritten Jahr stehen problematische Verhaltensweisen des Ehemannes wie Aggressionen (120, 175), Schweigen (154, 176), Schreien (155), Inaktivität (174), wiederholtes Fragen (47, 173) im Zentrum. In den letzten beiden Beratungsjahren nimmt die Auseinandersetzung mit der Unterbringung des Partners im Altenpflegeheim (203, 211) breiten Raum ein, damit verbunden die Sorge um das Wohl des Partners im Heim (204, 212, 219, 227, 241), Konflikte mit Mitarbeitern des Heimes (215ff., 227ff., 242, 253ff.) und eigene Gefühle wie Trauer und Schuldgefühle (216). Die Übersicht über alle in diesem Fall angesprochenen Themen zeigt die oben stehende Abbildung. Analyse des Falles Der rote Faden in diesem Fall ist die Auseinandersetzung der Ehefrau mit der dramatischen und fortschreitenden Veränderung ihres Mannes und ihr Kampf dagegen. In den ersten Beratungskontakten zweifelt sie daran, ob ihr Mann tatsächlich an einer Demenz erkrankt ist (11). Ihre Zweifel werden immer wieder dadurch genährt, dass der Erkrankte „zwischendurch so normal ist“ (12) und eine „gute Fassade“ (45) zeigt, Merkmale, die allerdings für die Anfangsphase einer Demenz typisch sind. Auch den Umstand, dass die Alzheimer-Demenz nicht direkt nachgewiesen, sondern nur auf dem Wege eines Ausschlussverfahrens diagnostiziert werden kann, und folglich die Diagnose immer mit der Formulierung „vermutliche Alzheimer-Demenz“ ausgesprochen wird, nimmt diese Ehefrau als Beleg für die Berechtigung ihrer Zweifel (46). Der Boden, auf dem ihre Zweifel wachsen, ist aber vermutlich noch vor diesen äußeren Umständen ihre innere Gefühlslage zu der damaligen Zeit. Sie wird Zeugin einer tiefgreifenden Veränderung ihres Mannes, und das macht sie wütend und ohnmächtig zugleich. Sie offenbart diese Gefühle, als sie am ersten Abend des Kurses für Angehörige Demenzkranker ihre Erwartungen an den Kursus formuliert: Sie möchte einen „Umgang mit eigener Wut/Ohnmacht [finden], ruhiger werden, mit der Situation umgehen können“ (48). Zu einem späteren Zeitpunkt spricht sie über ihre Trauer (85). Im weiteren Verlauf der Beratung thematisiert sie ihre Zweifel nicht mehr, allerdings weiterhin, bis in das zweite Beratungsjahr hinein ihre Schwierigkeiten, die Situation zu akzeptieren (11, 13, 21, 44, 64, 128). 224 Im dritten Jahr „beweist“ ihr Mann ihr mit zahlreichen Verhaltensstörungen, dass er dement ist (154, 155, 173, 174, 175, 176). In familientheoretischen Arbeiten über die Demenz wird das Maß an Ambiguität, die sich immer dann ergibt, wenn eine Diskrepanz zwischen physischer und psychologisch erlebter Präsenz des Kranken wahrgenommen wird, als ein wesentliches Merkmal betrachtet, das den Interaktionsstil zwischen Angehörigen und Patienten kennzeichnet1061. Dem Merkmal Ambiguität wird auch prädiktiver Wert für das Auftreten von zugesprochen1062, Verhaltensstörungen wobei Verhaltenssymptome des Demenzkranken nicht monokausal aus familiären Interaktionsstilen abgeleitet werden, sondern komplexe, bisher offenbar wenig erforschte Interdependenzen angenommen werden müssen1063. Auf den Fall von Frau C. bezogen können diese theoretischen Überlegungen dazu führen, die Vielzahl der problematischen Verhaltensweisen des Ehemannes als einen Hinweis darauf anzusehen, dass seine Frau auch im dritten Beratungsjahr weiter gegen die Krankheit ankämpft. Dass sie diesen Kampf auch in den letzten beiden Jahren des Beratungsprozesses nicht aufgibt, illustriert eine kleine Begebenheit in einer Beratungssitzung1064. Der Ehemann ist inzwischen in einem Altenpflegeheim untergebracht und Frau C. thematisiert in der Beratung vielerlei Konflikte mit dem Pflegepersonal. Unter anderem erzählte sie folgenden Streitpunkt: Ihr Mann habe sein Haar stets zu einer bestimmten Seite hin gescheitelt. Die Pflegerinnen allerdings frisierten sein Haar nun zur anderen, zur „falschen“ Seite hin, was Frau C. sehr ärgere. Sie habe bei ihrem letzten Besuch deshalb den Mann wieder auf die herkömmliche Weise frisiert und dies den Pflegerinnen gegenüber mit dem Satz kommentiert: „Das ist mein Theo1065 C. wieder!“. Vordergründig geht es hier um die Frage, ob der Mann gut gepflegt wird. Die Sorge von Frau C. ist auch durchaus berechtigt. Sie ist diejenige, die ihren Mann seit Jahrzehnten kennt. Sie weiß, was ihm gut tut, wie er die Dinge haben möchte, welche Prioritäten er setzt. Die unzähligen kleinen alltäglichen Dinge, die das Leben dieses Mannes angenehm machen, kennt nur sie. Eigentlich ist dies ein Punkt, an dem eine intensive Kooperation zwischen Pflegepersonal und Angehöriger ansetzen könnte. Doch das geschieht hier nicht, hier kommt es zu einem Machtkampf. Frau C. liefert in der Beratung einige Hinweise, dass dabei unter anderem auch 1061 vgl. Boss, Caron & Horbal 1988; Boss et al. 199;0, zit. nach Gunzelmann 1991, 50 1062 vgl. Gunzelmann 1991, 55f. 1063 vgl. Gunzelmann 1991, 56 1064 Diese Begebenheit ist in der Akte nur angedeutet (229, 232). Die Einzelheiten wurden der Verfasserin in einem mündlichen Gespräch von der Beraterin mitgeteilt. 1065 Der Name wurde anonymisiert. 225 ein strukturelles Problem zum Tragen kommt. Sie klagt mehrfach, in dem Heim keine Ansprechpartner zu finden (228, 254). Heime tun oft zu wenig dafür, um Angehörige dabei zu unterstützen, nach der Heimaufnahme eine neue Rolle in der Versorgung des erkrankten Familienmitgliedes und eine Rolle in der Institution zu finden. Darüber hinaus zeigt die Begebenheit aber noch andere Ebenen des Problems, die wiederum das Hauptthema dieses Falles, die Auseinandersetzung mit der Veränderung des Ehemannes, aufnehmen. Frau C. erlebt, wie die Demenz fortschreitet und ihren Mann weiter verändert. Doch nicht nur die Krankheit macht ihn ihr fremd, sondern auch die neue Lebenssituation nach der Heimaufnahme. Er wird ihr dadurch fremd, dass sie den Alltag nicht mehr mit ihm teilt, sie sind „getrennt von Tisch und Bett“. Und sie muss erleben, wie andere Frauen ihrem Mann sehr nahe kommen und obendrein sein Erscheinungsbild verändern. In dem Akt des „Frisierens“ schafft sie sich wieder „ihren“ Mann und begehrt gegen all das auf. Der Ausruf „Das ist mein Theo C. wieder!“ ist ein kleiner, allerdings vergänglicher Triumph. Das Thema, von ihm Abschied nehmen zu müssen, ist am Ende des Beratungsprozesses immer noch so virulent, dass es Frau C. sogar schwer fällt, ganz real am Ende ihrer Besuche im Altenheim sich von ihrem Mann zu verabschieden. Sie thematisiert das in einem der Gespräche und erhält von der Beraterin Verstehenshilfen und Umgangshinweise (217). Aus einer anderen Perspektive betrachtet zeigt dieser Fall, wie die Ehefrau in der Begegnung mit der Umwelt, hier besonders mit Institutionen der Altenpflege, zur Anwältin ihres Mannes wird. An verschiedenen Stellen in den letzten beiden Jahren berichtet sie über ihre Sorge, dass es dem Mann in dem Heim nicht gut gehe. Sie erlebt, dass er häufig eingenässt ist (227, 253) oder fixiert wird (241). Sie überlegt, ihn innerhalb des Heimes oder in ein anderes Heim verlegen zu lassen (214), entschließt sich dann doch, ihn dort zu belassen. Sie übernimmt dann die Rolle der Interessenvertretung für ihn, indem sie in die Konfrontation mit den Pflegekräften geht. Sie spricht mit der Beraterin über ihre alte Schwierigkeit, eigene Belange durchsetzen zu können (231), eine Schwäche, die ihr vermutlich jetzt, wo sie nicht nur für die eigenen Interessen eintreten muss, sondern sich auch für ihren Mann verantwortlich fühlt, besonders gravierend erscheint. In der Beratung holt sie sich Rüstzeug für die Auseinandersetzungen im Heim (230, 256). Gleichzeitig sorgt sie sich darum, dass ihre Beschwerden und Eingaben von dem Personal als „Meckerei“ (242) aufgefasst werden, und sie hat „Angst vor schlechtem Image, das sie und ihr Mann bekommen könnten“ (255). Solange es 226 in Heimen keine konzeptionell abgesicherte Angehörigenarbeit gibt, die weit über ein formelles Beschwerdemanagement hinausgehen müsste, muss sich diese Ehefrau wie auf einer Gratwanderung vorkommen. Der Absturz zur einen Seite besteht darin, Beschwerden offensiv vorzutragen, dabei aber das kaum kalkulierbare Wohlwollen der Pflegenden aufs Spiel zu setzen und letztlich die Versorgung und das Wohl ihres Mannes zu gefährden. Der Absturz, der sie zur anderen Seite hin bedroht, besteht darin, den Mund zu halten, aber dadurch die Interessen ihres Mannes zu verraten. 7.1.4 Beratungsprozess Herr D. Zugang Als Herr D. erstmals in die Beratungsstelle kommt, ist er 70 Jahre alt. Seine um ein Jahr ältere Ehefrau zeigt seit etwa einem Jahr erste Anzeichen einer Demenz. Über den Zugangsweg zur Beratung gibt die Dokumentation keine Auskunft. Zeitstruktur Der Beratungsprozess umfasst bis heute 41 Beratungskontakte in 8 Kalenderjahren und ist einer der längsten Prozesse, die in der Beratungsstelle vorgekommen sind. Der Prozess beginnt langsam mit je 1 Kontakt in den ersten beiden Jahren (Phase 1), hat dann über die folgenden 3 Jahre einen Schwerpunkt mit je 8-12 Kontakten pro Jahr (Phase 2) und flacht ab Mitte des 5. Jahres wieder ab: im 6. Jahr 3, im Jahr darauf 4 und im letzten Jahr bisher nur 1 Kontakt (Phase 3). Der Überblick über den zeitlichen Verlauf dieses Beratungsprozesses findet sich im Anhang 2. Themen Die psychoedukative Beratung zu Fragen des Umgangs mit problematischen Verhaltensweisen der dementen Ehefrau bildet einen Themenschwerpunkt in diesem Fall. Ein weiterer häufiger Gesprächsgegenstand sind Informationen über diverse Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor und die Beratung zum Themenkomplex Pflegeversicherung. Den Überblick über alle Themen, die in diesem Beratungsprozess aufgetaucht sind, gibt die folgende Abbildung. 227 Abbildung 16: Themen und Phasen im Beratungsprozess von Herrn D. Merkmal Phase 1 Phase 2 Phase 3 2 Kontakte / 2 Jahre Abschnitt 1-32 31 Kontakte / 3 Jahre Abschnitt 33-397 8 Kontakte / 3 Jahre Abschnitt 398-509 Belastung, Erschöpfung des Ratsuchenden D262, 374 D406, 410, 435 Eigene Gesundheit/Erkrankungen des Ratsuchenden D157, 164, 217, 261, 301 D405, 476, 485, 505 Sorge des Ratsuchenden um das eigene Wohl D37, 219 D490 Auseinandersetzung mit Verlusten D375 Auseinandersetzung mit dem bevorstehenden Tod des Gatten D489, 508, 509 Positive Einschätzung der Situation durch den Ratsuchenden D317, 348, 388, 396 Erzählen vom Alltag Erste Anzeichen der Demenz wahrnehmen D431, 483, 504 D10 Krankheitsverlauf D299, 387 Verhalten des Erkrankten D38, 52 Problemverhalten des Erkrankten: Verstecken von Gegenständen D23 Problemverhalten des Erkrankten: Verkennen des Ehegatten D24 Problemverhalten der Erkrankten: sich zu Hause nicht mehr vertraut fühlen D81, 84, 101, 110, 119, 128, 137, 166 D102, 111, 120, 129, 138, 242 Problemverhalten der Erkrankten: Verlaufen Problemverhalten der Erkrankten: Angst, vom Partner verlassen zu werden D103, 112, 121, 130, 139 D25 Problemverhalten der Erkrankten: unzeitgemäße Erinnerungen D84 Problemverhalten der Erkrankten: selbstgefährdendes Verhalten D187 Problemverhalten der Erkrankten: nächtliche Unruhe D363 Problemverhalten der Erkrankten: destruktives Verhalten D371 Problemverhalten der Erkrankten: unkooperatives Verhalten D86 Entscheidungen der dementen Gattin als verbindlich nehmen D407, 434, 443, 460 D87 Entscheidungen gegenüber der dementen Gattin begründen D309 Alltagsgestaltung, Beschäftigung D167, 168 Sorge um das Wohlergehen der Erkrankten D208, 330 Ohne die kranke Gattin nichts unternehmen wollen (Freizeit, Entspannung etc.) D411 Erkrankte Gattin spricht wieder mehr D484 Umgang D15 Pflegeproblem: Inkontinenz D218, 296 Pflegeproblem: Nahrungsaufnahme D243, 384 Pflegeproblem: mangelnde Kooperation bei der Körperpflege D244, 265, 382 Pflegeproblem: Verabreichen der Medikamente D383 Rolle der Kinder, nicht näher bezeichnet D59, 246 Rolle der Kinder als Stütze D85 D409, 486, 507 Sorgen um die Kinder D436 Kontakte außerhalb der Familie D488 Hilfeoption aus dem Medizinsektor D15 D140, 397 D408 Hilfeoption aus dem Altenpflegesektor D15, 30 D37, 263, 264, 267, 271, 278, 281, 285, 297, 298, 308, 329, 332, 337, 372, 373, 385 D420, 421 228 Abbildung 16: Themen und Phasen im Beratungsprozess von Herrn D. Merkmal Phase 1 Phase 2 Phase 3 2 Kontakte / 2 Jahre Abschnitt 1-32 31 Kontakte / 3 Jahre Abschnitt 33-397 8 Kontakte / 3 Jahre Abschnitt 398-509 Hilfeoption aus dem Bereich niedrigschwelliger Angebote D28 D186, 194, 198, 205, 300 D412 Hilfeoption: Kursus D29 Motivation der Kranken zur Nutzung von Hilfen Erfahrungen mit Hilfen aus dem Medizinsektor D45, 185 D27 D156 Erfahrungen mit Hilfen aus dem Altenpflegesektor D165, 245, 331 Erfahrungen mit niedrigschwellige Hilfen D216 Sozialrechtliche Ansprüche: Pflegeversicherung D15, 26 D169, 176, 226, 233, 241, 253, 266, 295, 318, 327, 349, 350, 362, 386, 395 D430, 445, 461 Rechtliche Fragen: gesetzliche Betreuung D468, 487, 494 Expertentum des pflegenden Ehegatten D404, 469 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. Analyse des Falles Der Verlauf dieser Beratung zerfällt, wie oben ausgeführt, bezogen auf die zeitliche Dichte der Beratungstermine in drei Phasen. Diese Phasen lassen sich auch bezogen auf die Themen, die in den Beratungssitzungen besprochen worden sind, nachvollziehen. Die beiden Beratungstermine in der ersten Phase scheinen, so wie das häufig in Erstberatungen der Fall ist, dem Ratsuchenden einen ersten kursorischen Überblick über mögliche Hilfeoptionen, Grundlagenwissen zum Umgang mit der Erkrankten und erste Hinweise auf Ansprüche in der Pflegeversicherung gegeben zu haben. In der ersten Hälfte der mittleren Phase dominiert die psychoedukative Beratung, es werden ausgiebig problematische Verhaltensweisen der dementen Ehefrau thematisiert. Diese Fragestellungen verschwinden vollständig, als in der zweiten Hälfte der mittleren Phase körperliche Pflegeprobleme auftreten. Etwa ab dieser Zeit nimmt die Beratung zur Durchsetzung von Ansprüchen in der Pflegeversicherung breiten Raum ein, und auch die informative Beratung über Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor beginnt jetzt. In der Mitte der mittleren Phase beginnt Herr D. auch über eigene gesundheitliche Probleme, u.a. eine schwerwiegende eigene Erkrankung zu sprechen. Die dritte Phase schließlich ist durch das Besprechen der persönlichen Situation einerseits und die zunehmende Verselbständigung des Ratsuchenden sowie andererseits gekennzeichnet. durch positive Einschätzungen seiner Lage 229 Auffällig in diesem Fall sind die zahlreichen Beratungen rund um das Problemverhalten der Ehefrau. Über ein knappes Jahr hinweg (84-166), zeitweise in monatlichen Gesprächen, spricht Herr D. darüber, dass seine Frau ihn nicht mehr als ihren Ehemann erkennt. Die Beraterin dokumentiert beispielsweise in fünf aufeinander folgenden Beratungssitzungen gleichlautend diese Themen: „Nichterkennen, ‚Rauswerfen wollen’ (die Frau versuchte ihren Mann aus dem gemeinsamen Schlafzimmer zu werfen; Anmerkung Franke), ‚Du bist nicht mein Mann’“ (101ff.). Man möchte annehmen, dass hier nicht nur die demente Frau ihren Mann nicht mehr erkennt, sondern umgekehrt auch der Mann seine Frau nicht mehr. Das immer wieder neue Durchsprechen dieser Thematik vermittelt einen Eindruck davon, wie tiefgreifend der Mann die Veränderung seiner Ehebeziehung erlebt. Thema sind hier nicht nur die wahrnehmbaren Verhaltensweisen der Frau, sondern als weitere Dimension dahinter die Beziehung, die Veränderung der Ehe. Eine Beratung, die hier vordergründig auf das „Management“ der Verhaltens-„Störungen“ der Ehefrau setzen würde, indem sie ausschließlich die Perspektive „Wie lässt sich das Verhalten der dementen Frau verstehen, und wie kann man pragmatisch damit umgehen?“ in den Blick nähme, würde an den Bedürfnissen ihres Mannes vorbei gehen. Herr D. zeigt uns hier, wie wesentlich es ist, die Ehethematik theoretisch wie methodisch in den Kanon der gerontopsychiatrischen Angehörigenberatung aufzunehmen. Auffälligerweise verschwindet dieses Thema zu dem Zeitpunkt, als körperliche Pflegeprobleme bei der Frau auftreten. Kann es sein, dass die Veränderungen der Ehefrau für den Mann dadurch eindeutiger und akzeptabler werden? Mit dem Konzept der Ambiguität1066 wäre das zu erklären. Die Diskrepanz zwischen physischer und psychologisch erlebter Präsenz wird hier dadurch geringer, dass neben dem Geist nun auch der Körper schwächer wird. Kann es darüber hinaus sein, dass der Ehemann mit dem Auftreten der körperlichen Pflegebedürftigkeit sein Verständnis von der Beziehung zu seiner Frau verändert, dass er die Rolle des Ehemannes nun verlässt und eine neue Rolle als Pflegender einnimmt? Das Verschwinden des Themas „Verkennen des Ehemannes“ bedeutet allerdings nicht, dass es Herr D. ab jetzt leichter hat. In die Zeit des Auftretens erster körperlicher Pflegeprobleme (ab 218) fällt die Beratung, in der er erstmalig über eine Unterbringung im Altenpflegeheim nachdenkt (263). 1066 vgl. Boss, Caron & Horbal 1988; Boss et al. 1990; zit. nach Gunzelmann 1991, 50 Vor allem die 230 Inkontinenz seiner Frau stellt ein großes Problem für ihn dar. „Er weiß nicht, ob er es sich noch zutraut“ (296). Und eigene gesundheitliche Probleme treten wieder auf (217, 261, 301), nachdem er ein Jahr zuvor bereits eine Krebserkrankung durchgemacht hatte (157). Die Beraterin reagiert, indem sie Herrn D. diverse Hilfeangebote unterbreitet. Hierbei entsteht der Eindruck, dass sie immer etwas mehr an Hilfe für sinnvoll hält und ihm anbietet, als er dann annimmt. Wenn Herr D. sich für ein bestimmtes Angebot entschieden hat, unterstützt die Beraterin dies jedes Mal, indem sie dann durch Kooperationskontakte mit den Anbietern den Einstieg in die Hilfe absichert. Daneben kümmert sie sich um die Durchsetzung sozialrechtlicher Ansprüche in der Pflegeversicherung, dies mit erheblichem Aufwand an instrumenteller Unterstützung, sie stellt z.B. Anträge und setzt Schriftsätze gemeinsam mit Herrn D. auf. Ab dem fünften Jahr gibt es erneut eine Wende in dem Fall. Die Beratungskontakte werden seltener, Herr D. berichtet erstmalig und mehrfach positive Einschätzungen seiner Situation (317, 348, 388, 396, 434). Er scheint die Pflegeversicherungsangelegenheiten selbst in die Hand genommen zu haben (oder seinem Sohn übergeben zu haben). Er präsentiert sich verstärkt als Experte in der Betreuung seiner Frau, berichtet zum Beispiel von Tricks und Tipps, die er gefunden hat (404), oder dass er mit den Verhaltensauffälligkeiten seiner Frau besser zurecht komme (404). Er erzählt ausführlich aus seinem Alltag (431, 483, 504). Die Beratung sucht er jetzt auf, um gezielt abgrenzte Fragen zu klären, z.B. die Finanzierung einer gesetzlichen Betreuung (468). Allerdings ist die Situation keineswegs durchgängig entspannt. Wie prekär sie immer noch ist, zeigt die Dokumentation für ein Beratungsgespräch im fünften Jahr: „Selbst hat er stark abgenommen. Sein Hausarzt spricht von Nervosität. Herr D. sieht seine Situation zur Zeit aber ganz positiv, wenn’s so bleibt. Auch hofft er, dass das Medikament ... einen Stillstand bringt. Auch kommt die Tochter jetzt regelmäßig, kocht und achtet auf die Mutter. Herr D. sagt aber auch immer wieder: ‚Ich habe nicht gedacht, dass es mal so schlimm wird’“ (405ff.). Die Schwankungsbreite, in der Herr D. seine Lage beurteilt, wird hier deutlich. Er bewegt sich von positiver Einschätzung („wenn’s so bleibt“) über den Bericht zu seinen eigenen gesundheitlichen Problemen (Gewichtsverlust, Nervosität), Hoffnung auf Erfolge neuer Medikamente bis hin zum wiederholten, fast ungläubigen Feststellen seiner schlimmen Lage. Am vorläufigen Ende der 231 Beratung (sie ist möglicherweise noch nicht beendet) ist die Ehefrau in einem Altenpflegeheim und Herr D. thematisiert in der Beratung die Frage, wie es sein wird, wenn sie stirbt (489, 508f.). 7.1.5 Beratungsprozess Herr E. Zugang Der ratsuchende Ehemann, dessen 74-jährige, an einer Demenz leidende Frau eine Tagespflege besucht, wird von dort an die Beratungsstelle vermittelt. Über das Stadium der Demenz gibt die Dokumentation keine Auskunft. Zeitstruktur Der Beratungsprozess erstreckt sich über 4 Jahre mit insgesamt 11 Einzelberatungskontakten. Der Überblick über den zeitlichen Verlauf dieses Beratungsprozesses findet sich im Anhang 2. Themen Abbildung 17: Themen im Beratungsprozess von Herrn E. Thema Fundstelle Sorge des Ratsuchenden um das eigene Wohl E13 Eigene Erkrankungen des Ratsuchenden E70, 117, 124 Existenzielle Entscheidung, die er für seine Frau treffen muss E71, 76ff., 81ff., 93ff. Spiritualität E105 Auseinandersetzung mit Sterben und Tod E126 Körperliche Komplikationen beim Demenzpatienten E21 Abschiednehmen von der Ehefrau E24f., 40 Bezugnahme auf langjährige Ehe, gemeinsame Geschichte E26 Darstellung der Ehefrau, bevor sie dement wurde, das alte Bild der Ehefrau vermitteln, bewahren E27 Von der dementen Ehefrau nicht erkannt werden E38 Von der dementen Ehefrau nicht beachtet werden, Auseinanderklaffen der Relevanzen E39 Auseinandersetzung mit der Heimaufnahme der dementen Ehefrau E11, 22, 42, 43, 62 Auseinandersetzung mit den Konsequenzen der Heimaufnahme der Ehefrau E42 Pflegeproblem Sicherheit der Erkrankten, hier Sturzprophylaxe E23 Verstehen der Erkrankten E41 Rolle der Kinder als Stütze E125 Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor E10, 20 Hilfeoption aus dem Bereich psychoedukativer Gruppenangebote E109, 127 Kooperation mit dem Pflegepersonal im Heim E43, 62, 97 Expertenwissen als pflegender Angehöriger an andere Betroffene weitergeben E110 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. 232 Das weite Strecken durchziehende Thema ist die Auseinandersetzung mit der Heimaufnahme der dementen Ehefrau (11, 22, 42, 43, 62). Im dritten Jahr geht es um eine existenzielle Entscheidung, die er für seine Frau treffen muss (71, 76ff., 81ff., 93ff.). Die Übersicht über alle in diesem Beratungsprozess angesprochenen Themen gibt die oben stehende Abbildung. Analyse des Falles Der Fall vermittelt einen Eindruck davon, mit welch weitreichenden und existenziellen Fragen Ehegatten im Verlauf der Erkrankung ihres Partners konfrontiert sind. Herr E. muss zunächst für seine Frau entscheiden, sie in einem Altenpflegeheim unterzubringen. Das bedeutet tiefgreifende Veränderungen, für die er allein verantwortlich zeichnet: einerseits Veränderungen der Lebensumstände seiner Frau, andererseits das Getrenntleben als Paar und schließlich weitreichende Veränderungen seines eigenen Alltags. Später obliegt ihm die Entscheidung, ob seine Frau künstlich ernährt werden soll oder nicht. Nach ausführlicher Aussprache mit der Beraterin, auf Vermittlung der Beraterin auch mit einem Arzt und einer anderen betroffenen Angehörigen, entscheidet er gegen das Legen einer PEG. Die Beraterin notierte in der Dokumentation: „Er habe sich sehr schwer mit der Entscheidung getan, aber es wäre jetzt gut so.“ (96) Einige Monate später scheinen er und seine Frau sich mit spirituellen Fragen zu beschäftigen, er bittet die Beraterin um entsprechende Literaturhinweise (105). Am vorläufigen Ende des Beratungsprozesses (er dauert möglicherweise noch weiter an) macht sich Herr E., nachdem er selbst schwerwiegend krank geworden ist, Gedanken über das Sterben und die Endlichkeit des Lebens (126). Ein bemerkenswertes Detail findet sich am Rande. Herr E. erzählt im zweiten Beratungskontakt ausführlich über seine Frau und ihre Vergangenheit und auch über ihre 50-jährige Ehe (26f.). Hier lässt sich anknüpfen an den Fall von Herrn D. Dieser beschäftigt sich über ein Jahr hinweg in der Beratung mit der tiefgreifenden Veränderung seiner Ehebeziehung, indem er immer wieder das Problem bespricht, dass seine demente Frau ihn nicht mehr als ihren Ehemann erkennt. Er bleibt dabei gedanklich in der Gegenwart der Beziehung, die dominant durch die Demenz der Frau gekennzeichnet ist. Es gibt für sein Verlusterleben in der Gegenwart keine Heilung. Seine Lösung scheint darin zu liegen, dass er zu einem späteren Zeitpunkt, als die Krankheit seiner Frau noch weiter fortgeschritten ist, aus der Ehebeziehung eine Pflegebeziehung macht. Herr E. beschreitet einen anderen Weg, indem er nicht nur die Gegenwart seiner 233 Ehe, sondern intensiv auch die gemeinsame Vergangenheit reflektiert. Er gibt uns einen Hinweis, dass Ehegatten in der Beratung einen Raum brauchen, um sich ihrer Ehegeschichte zu vergewissern, damit sie die aktuelle Erfahrung der Demenz in diese Geschichte einbetten können. In einer weiteren Lesart könnte seine ausführliche Erzählung über die Vergangenheit seiner Frau andeuten, wie sehr Ehegatten Wert darauf legen, Fremden gegenüber ein vollständiges Bild ihres Gatten zu vermitteln, ein Bild, das mehr aussagt, als die Demenz, die heute alles Gewesene zu verdrängen scheint. Ein drittes Charakteristikum dieses Falles liegt in einer kooperativen Haltung, die Herr E. gegenüber der Beraterin und anderen Professionellen einnimmt. Er präsentiert sich nicht nur als Ratsuchender, sondern als jemand, der sein eigenes Expertenwissen den Professionellen und anderen betroffenen Angehörigen zur Verfügung stellt, und der um eine konstruktive Zusammenarbeit mit ihnen bemüht ist. Er bringt der Beraterin Fachliteratur für den Gesprächskreis (61), kopiert auch Artikel für den Heimleiter (62), begründet in einem Brief an den Heimleiter seine Entscheidung bezüglich der PEG, stellt diesen Brief auch der Beraterin zur Verfügung (97f.) und schreibt einen Zeitungsartikel über seine Teilnahme an einer Urlaubsmaßnahme für pflegende Angehörige (110). 7.1.6 Beratungsprozess Herr F. Zugang Der Ratsuchende findet über die Öffentlichkeitsarbeit Zugang zur Beratungsstelle. Seine Frau ist zum Zeitpunkt der Erstberatung 66 Jahre alt und leidet seit 7 Jahren an einer Demenz. Zeitstruktur Der Beratungsprozess erstreckt sich über 3 Jahre mit insgesamt 10 Beratungskontakten. Der Schwerpunkt liegt im ersten Jahr mit 6 Kontakten, in den beiden folgenden Jahren liegen 1 bzw. 2 Kontakte. Der Überblick über den zeitlichen Verlauf dieses Beratungsprozesses findet sich im Anhang 2. 234 Themen Die beiden Schwerpunkte in diesem Beratungsprozess sind rechtliche und pflegerische Fragen. Im ersten Jahr sind es Fragen rund um die Pflegeversicherung (10, 28, 36, 44), daneben ab dem ersten Jahr und in den beiden folgenden Verhaltensproblemen: Jahren überwiegend Schluckstörungen (37), Fragen zu Pflege- und Flüssigkeitsaufnahme (45), Schreien und Erregung (55), Bewegungsfähigkeit (81ff.). Den Überblick über alle Themen dieses Falls gibt die folgende Abbildung. Abbildung 18: Themen im Beratungsprozess von Herrn F. Thema Fundstelle Erleben des massiven Abbaus der Fähigkeiten bei der Partnerin F54 Problemverhalten der Erkrankten: Schreien und Erregung F55 Pflegeproblem: Schluckstörungen F37 Pflegeproblem: Flüssigkeitsaufnahme F45 Pflegeproblem: Bewegungsfähigkeit F81ff. Auseinandersetzung mit der Heimaufnahme der dementen Partnerin F47, 58 Hilfeoption aus dem Medizinsektor F46, 56, 66, 74 Hilfeoption ambulante Pflege F57, 67 Pflegeversicherung F10, 28, 36, 44 Gewissermaßen unbeabsichtigt, auf dem Weg zu einer anderen Stelle des Gerontopsychiatrischen Zentrums, in der Beratungsstelle auftauchen F65 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. Analyse des Falles Herr F. steht am Anfang des Beratungsprozesses vor der Entscheidung, ob er nach dem erfolglosen Durchlaufen eines Widerspruchsverfahrens gegen die Pflegekasse klagen soll, um die Einstufung seiner Ehefrau in die Pflegestufe III durchzusetzen. Er präsentiert sich als gut informierter Ratsuchender, der bereits viele Erfahrungen mit der Pflegekasse gemacht hat. Er legt eine umfangreiche, bestens geführte Akte mit dem Schriftverkehr mit der Pflegekasse vor (10). Er nutzt das Fachwissen der Beraterin, um eine Entscheidung in seiner aktuellen Frage zu treffen. Diese Art, die Beratung zu nutzen, bleibt auch für den gesamten weiteren Prozess charakteristisch. Er wendet sich in Abständen an die Beratungsstelle, häufig telefonisch, um dann jeweils abgegrenzte alltagspraktische Fragen, meist zur pflegerischen Versorgung seiner Frau, zu klären. Beispielsweise hat seine Frau im dritten Beratungsjahr die Kontrolle über den Körper soweit verloren, dass 235 sie nur noch in einer vornüber geneigten Stellung sitzen kann. Herr. F. erkundigt sich, wie er pflegerisch damit umgehen könne, ob es bestimmte Handgriffe oder Hilfsmittel gebe, die hier eingesetzt werden könnten (81). Er nutzt die Beratungsstelle als Informationsquelle: Er fokussiert eng das von ihm vorgetragene Problem und holt Informationen ein. Die Beraterin reagiert auf dieses Informationsbedürfnis, indem sie an mehreren Stellen in diesem Fall den Ratsuchenden an andere Fachleute weitervermittelt, die seine speziellen Fragen kompetenter als sie selbst beantworten können (46, 74, 83, 91). Charakteristisch ist weiterhin, dass dieser Ratsuchende ggf. notwendige Entscheidungen stets allein trifft. Der Entscheidungsprozess selbst wird nicht Gegenstand der Beratung. Er erkundigt sich beispielsweise über die Finanzierung eines Altenheimplatzes (47) und über das Verfahren der Heimaufnahme (58), ohne weiter in den Beratungsgesprächen zu offenbaren, wie fortgeschritten er in diesem Entscheidungsprozess ist, oder welche Bedeutung eine derartige Entscheidung für ihn und seine Frau hätte. Auch über seine persönliche Situation spricht er nie1067. Dass er ausgesprochen belastet sein muss, lässt sich nur aus Nebensätzen herauslesen. Im ersten Beratungsjahr berichtet er beiläufig über Erregungszustände seiner Frau, die so stark gewesen sein müssen, dass sie sich ein Stück ihrer Zunge abgebissen hatte (55). Im letzten Beratungsjahr hat er seine Frau neun Jahre lang in ihrer Demenz begleitet und zu Hause gepflegt. Die Demenz ist so weit fortgeschritten, dass jetzt körperliche Pflegebedürftigkeit ganz im Vordergrund steht. Die Beratungsstelle ist jedoch für ihn kein Ort, über seine persönlichen Erfahrungen zu sprechen. Es stellt sich die Frage, ob er überhaupt einen solchen Ort hat. Oder ob er die Betreuung seiner Frau einschließlich aller sich daraus für ihn ergebenden Konsequenzen als etwas ansieht, das nur sie beide etwas angeht? Oder ob er seine persönliche Auseinandersetzung mit der Situation als Ausdruck eines männlich geprägten Pflegestils nicht in die Öffentlichkeit trägt? 1067 mit einer Ausnahme: Im ersten Beratungsgespräch wurde dokumentiert, dass auch über Belastungen des Ratsuchenden gesprochen worden ist. Vermutlich ist dies aber auf Initiative der Beraterin geschehen, da dies in der Erstberatung „standardmäßig“ getan wird, damit die Beraterin sich ein Bild von der Situation des Ratsuchenden machen kann. 236 7.2 Themen in Erstberatungen 7.2.1 Erstberatung Frau G. Zugang Frau G. kommt auf Empfehlung von Bekannten, die früher einmal Kontakt zur Beratungsstelle gehabt haben. Sie selbst ist 66 Jahre alt. Sie hat vor vier Wochen die Diagnose einer Alzheimer-Demenz bei ihrem 73-jährigen Ehemann erfahren. Themen Abbildung 19: Themen in der Erstberatung von Frau G. Thema Fundstelle Erleben der Diagnose als einschneidende Wende im Leben G18 Eigene Gefühlsreaktionen der Ratsuchenden: Vernichtungsgefühl G8 Eigene Gefühlsreaktionen der Ratsuchenden: Angst vor der Zukunft G24 Auseinandersetzung mit existenziellen Themen: Sinnfrage G19 Auseinandersetzung mit existenziellen Themen: Antizipieren des Todes des Mannes G10 Bezugnahme zur Erfahrung früherer existenziell bedrohlicher Erkrankungen des Ehegatten G28 Suizidalität der ratsuchenden Ehefrau, erhöhtes Risiko durch Depression in der Vorgeschichte G13ff., 34 Bedeutung der eigenen Berufstätigkeit G26 Wahrnehmen erster Krankheitszeichen G22 Bezugnahme zur langjährigen Ehebeziehung, gemeinsame Geschichte G11 Einssein mit dem Mann, Mann als Zentrum des Lebens G9 Entscheidung des dementen Partners hinsichtlich einer Paarangelegenheit als verbindlich nehmen G15 Verlust des Gesprächspartners, fehlender Austausch mit dem Partner G20 Rolle der Kinder: Stütze, Rolle von Freunden G30 Allein zurechtkommen wollen G31 Hilfeoption: psychiatrische Behandlung für die ratsuchende Ehefrau G34 Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor G36 Hilfeoptionen aus dem Bereich niedrigschwelliger Angebote G36 Hilfeoptionen aus dem Bereich psychoedukativer Angebote G36 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. Der Schwerpunkt dieser Erstberatung liegt in der Auseinandersetzung mit der vor kurzem erhaltenen Diagnose: Vernichtungsgefühl (8), Einssein mit dem Mann, Mann als Zentrum des Lebens (9), Antizipieren des Todes des Mannes (10), Suizidalität der ratsuchenden Ehefrau (13ff., 34), erhöhtes Risiko durch Depression in der Vorgeschichte (16), Erleben der Diagnose als einschneidende Wende im Leben (18), Sinnfrage (19), Angst vor der Zukunft (24). Einen 237 Überblick über alle Themen, die in dieser Beratung angesprochen worden sind, gibt die oben stehende Abbildung. Analyse des Falles Obwohl die Frau schon einige Jahre geahnt hat, dass etwas mit ihrem Mann nicht stimmt (22), trifft sie die endgültige Diagnose schwer. Gleich zu Beginn des Gespräches und später mehrfach wiederholt äußert sie: „Mein Leben ist damit aus.“ (8) Auch ihren Mann stellt sie so dar, als sei er bereits nicht mehr existent: „Ohne ihn ist alles aus.“ (10) Sie empfindet die Diagnose als etwas, das sie beide vernichtet. Ihr eigenes Leben ist so stark verbunden mit dem des Mannes, das sie auch ihre eigene Existenz als bedroht erlebt. Sie präzisiert das, indem sie sagt: „Mein Mann ist mein Leben, mein ein und alles.“ (9) Ihr Leben, das ist das gemeinsame Leben mit ihrem Mann; er ist das Wichtigste in ihrem Leben; ohne den Mann, den sie kennt, ist es nicht mehr ihr Leben. Es scheint so, als erwarte sie ab jetzt ein fremdes Leben, über das sie nicht mehr verfügen kann. Ihr bleibt, sich in ihr Schicksal zu fügen und abzuwarten, bis beide sterben. Sie erlebt diese Bedrohung so intensiv, dass sie in der Beratung dezidiert über Suizidabsichten spricht (13). Als wolle sie die Begründung für ihre Empfindung geben, dass ohne ihren Mann alles aus sei, erwähnt sie, sie seien seit fast 50 Jahren verheiratet (11). Der Satz klingt so, als sei er die gekürzte Version einer detailreichen Erzählung, die etwa so lauten könnte: „Wir sind seit fast 50 Jahren verheiratet und haben in diesen vielen Jahren so vieles gemeinsam erlebt, genossen, durchgemacht, bewältigt, geplant, entschieden, verworfen und wieder neu begonnen ...“. Von pflegenden Kindern würde so ein Satz über ihre dementen Eltern nicht gesagt: „Wir kennen uns nun schon seit meiner Geburt, und wir haben so vieles gemeinsam...“. Dieser Satz macht ein Kennzeichen von Ehen sichtbar. Es sind Gemeinschaften, die auf die gemeinsame Bewältigung von Lebensaufgaben und auf die Verwirklichung gemeinsamer, selbst gewählter Lebenspläne (z.B. Kinder groß ziehen, Haus bauen, Karriere machen o.ä.) ausgerichtet sind. Hierin zeigt sich der Aspekt der Liebe, der als Pragma bezeichnet wird1068. Die Betonung liegt 1068 vgl. Lee 1976; zit. nach Bierhoff 2003, 262f. Lee unterscheidet sechs Liebesstile: (1) Romantische Liebe (Eros), welche die unmittelbare Anziehung zwischen zwei Personen betrifft; (2) besitzergreifende Liebe (Mania), welche die Exklusivität der Beziehung betont; (3) freundschaftliche Liebe (Storge), welche sich aus gemeinsamen Interessen und Aktivitäten entwickelt; (4) spielerische Liebe (Ludus), welche die Verführung, sexuelle Freiheit und sexuelle Abenteuer betont; (5) pragmatische Liebe (Pragma), welche die längerfristige Bindung zum Zwecke der Verwirklichung bestimmter Ziele betont; und (6) altruistische Liebe (Agape), welche das Wohl des Geliebten über das eigene Wohlergehen stellt. 238 dabei auf der gemeinsamen Bewältigung. Mit der Demenz eines Partners wird dieses Merkmal der Ehe in Frage gestellt und letztlich zerstört. Das Paar handelt nicht mehr gemeinsam, der gesunde Partner ist mehr und mehr auf sich allein gestellt. In diesem Zusammenhang lässt sich auch die Äußerung von Frau G. verstehen, besonders schlimm sei es, dass der Gedankenaustausch mit ihrem Mann nicht mehr möglich sei: „Die Unterhaltung ist hin.“ (20) 7.2.2 Erstberatung Ehepaar H. Zugang Das Ehepaar wird von der Hausärztin in die Beratungsstelle geschickt, da sie die soziale Situation als „grenzkompensiert“ (5) betrachtet und entlastende Hilfen für den pflegenden Ehemann sucht. Die 73-jährige Ehefrau leidet an einer Demenz. Themen Der Charakter dieser Erstberatung wird entscheidend dadurch bestimmt, dass das Ehepaar gemeinsam in die Beratungsstelle kommt. Das Protokoll zeigt zahlreiche Kränkungen, welche die demente Ehefrau durch das Ansprechen ihrer krankheitsbedingten Defizite in der Beratungssituation erfahren muss (20, 28, 40, 43). Der Ehemann stellt ausführlich die im Alltag auftretenden Schwierigkeiten dar (14ff., 17f., 19ff., 24, 30, 40, 49, 60). Die Beraterin gibt einen Überblick über unterschiedliche Hilfeoptionen für das Ehepaar bzw. die Erkrankte. Den Überblick über alle in dieser Beratung angesprochenen Themen gibt die unten stehende Abbildung. 239 Abbildung 20: Themen in der Erstberatung des Ehepaares H. Thema Fundstelle Aufgeben eigener Interessen im Dienste der Pflege der Ehefrau H31 Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen: Bezugnahme zur Erfahrung früherer existenziell bedrohlicher Erkrankungen der Ehefrau H68, 69 Kognitive Einbußen der Patientin: Gedächtnisstörungen H14, 24 Kognitive Einbußen der Patientin: Apraxien H17 Problemverhalten der Patientin: fehlende Krankheitseinsicht H10, 12, 30, 60, 61 Problemverhalten der Patientin: Verlieren von Gegenständen H16 Problemverhalten der Patientin: untaugliche Bewältigungsversuche der Patientin H18 Problemverhalten der Patientin: Misstrauen H71 Ressourcen der Patientin H23, 25 Scheu des Ehemannes, in die Privatsphäre der Frau einzugreifen H15 Scheu des Ehemannes, Entscheidungen für seine Frau zu treffen H44, 54 Entscheidungen der dementen Ehefrau als verbindlich nehmen H44, 55 Gereizte Stimmung, Missverständnisse, Streit H10, 21, 30 Veränderung der Macht- und Einflusssphären H37 Übernahme von Aufgaben durch den Ehemann, für die zuvor die Kranke zuständig gewesen ist H19 Motiv: Verpflichtungsgefühl gegenüber der Familie, Loyalität H32, 34 Motiv: Zuneigung zur Ehefrau H34 Motiv: Reziprozität H36 Ohne Unterstützung Dritter zurechtkommen H33 Hilfeoptionen aus dem Medizinsektor H26 Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor H39, 42, 52 Hilfeoptionen aus dem Bereich niedrigschwelliger Angebote H46, 48, 64 Hilfeoptionen aus dem Bereich psychoedukativer Gruppenangebote H58, 66 Kränkungen der Patientin in der Beratungssituation H20, 28, 40, 43 Kränkungen der Patientin außerhalb der Beratungssituation H40, 49 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. Analyse des Falles Die Schilderungen des Ehemannes und die Interaktionen des Paares in der Beratungssituation geben einen Einblick in die zahllosen kleinen Widrigkeiten und Herausforderungen, die den Alltag des Paares bestimmen: das ständige, zermürbende Suchen nach verlorenen Gegenständen; Verständigungsprobleme und Missverständnisse aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht der Ehefrau; ihre alles nur schlimmer machenden Bewältigungsversuche; das Ringen des Paares um angestammte Aufgabenverteilung und Einflusssphären; die hilflosen Versuche des Mannes, Lösungen und diplomatische Wendungen zu finden, um seine Frau nicht allzu sehr zu kränken, und gleichzeitig die Erfahrung, dass das nie gelingt. Über all dem liegt eine Atmosphäre offener Gereiztheit. 240 Ähnlich wie andere Ehegatten hat auch Herr H. Bedenken, in die Privatsphäre seiner Frau einzugreifen oder Entscheidungen für sie zu treffen. Da er sich scheut, „in ihren Sachen herumzukramen“ (15), bleiben beispielsweise viele der verloren gegangenen Gegenstände unauffindbar. Oder er traut sich nicht, eine Entscheidung hinsichtlich der Anmeldung seiner Frau in einer Tagespflege zu treffen: „Das musst du entscheiden“, sagt er während der Beratung zu seiner dementen Frau, die mit einer solchen Entscheidung ganz offensichtlich überfordert ist (54). An verschiedenen Stellen dieses Beratungsgespräches zeigt sich, wie schwer sich das Paar damit tut, die Verschiebung des Rollengefüges und die seitens der dementen Ehefrau erforderliche Abgabe angestammter Aufgabenbereiche an den Mann zu bewältigen. Die Ehefrau reagiert jedes Mal empört, wenn ihre Hausfrauenrolle in Frage gestellt wird (20, 28, 40, 43, 49). Ein „hot spot“ scheint für sie zu sein, dass sie nicht mehr allein kochen kann. Das Kochen ist gewissermaßen der Prototyp ihrer Hausfrauenrolle, es repräsentiert ihre Fähigkeit, die Familie zu nähren und für sie zu sorgen. Die Arbeiten im Haushalt abzugeben, bedeutet weit mehr als nur die Entpflichtung von bestimmten Aufgaben. Die Arbeit im Haushalt war über Jahrzehnte ein wesentlicher Grundpfeiler ihrer Identität, und diese Arbeit war ihr Beitrag zu dem gemeinsamen Leben als Familie und als Paar. Verliert sie diese Rolle, dann gefährdet das ihren Stand in der Partnerschaft. Wäre ihr kritisches Denkvermögen intakt, dann könnte sie die Rolle einer Kranken annehmen, dabei sogenannte sekundäre Krankheitsgewinne verbuchen und aus dieser Rolle heraus die Entpflichtung – wenn auch immer noch unter Schwierigkeiten hinnehmen. Doch infolge ihrer Demenz gelingt ihr die Krankheitseinsicht nicht, und sie hat auch kognitiv nur noch sehr eingeschränkte Möglichkeiten, sich mit der veränderten Situation konstruktiv auseinander zu setzen. Deshalb muss es sie enorm kränken, wenn nun der Mann die Aufgaben im Haushalt übernimmt. Auch der Ehemann tut sich schwer mit diesen Veränderungen. Obwohl ihm die Hausarbeiten nicht leicht von der Hand gehen, traut er sich nicht, in diesem Bereich Hilfen zu organisieren (42ff.). Er resigniert vor den Protesten seiner Frau, möglicherweise aus Sorge, sie noch weiter zu kränken, oder aus Furcht vor weiteren belastenden Streitereien mit ihr. Der Fall des Ehepaares H. lässt verschiedene Motive für die Ehegattenpflege erkennen, die Herr H. in dem Satz „Ich will ja, ich muss ja!“ (34) zusammenfasst. 241 Da ist einerseits die Zuneigung zu seiner Frau und ein Verpflichtungsgefühl ihr gegenüber aufgrund eines von ihm so wahrgenommenen Wiedergutmachungsanspruchs: „Sie hat mir stets den Rücken für den Beruf frei gehalten“ (36), und sie hat die Kinder groß gezogen (37), aus denen etwas geworden ist (36). Andererseits nennt er als Motiv den abstrakten Wert der Loyalität zur Familie: „Die Familie geht vor.“ (32) Im Hintergrund wird hier das Versprechen der Eheleute, in guten und in schlechten Tagen füreinander da zu sein, eine wesentliche Rolle spielen. Dieser Fall illustriert besonders deutlich, wie sehr Konzepte für die Beratung von Ehegatten fehlen. Das Ehepaar kommt gemeinsam in die Erstberatung. Der Ehemann hat offenbar ein großes Bedürfnis, über die vielfältigen Widrigkeiten zu sprechen, mit denen er täglich konfrontiert ist. Als Beraterin würde ich an dieser Stelle üblicherweise mit ihm über seine persönliche Auseinandersetzung mit der neuen Lebenssituation und seine Belastungen sprechen. In dieser Beratung verzichtete ich dezidiert darauf. Ich zog mich auf das Feld der informativen Beratung über verschiedene Hilfemöglichkeiten zurück, und selbst dort konnte es mir nicht gelingen, Kränkungen der anwesenden dementen Ehefrau zu vermeiden (20, 28, 40, 43). Die Beraterin muss sich ein Bild von der Situation machen und muss dafür über demenzbedingte Defizite sprechen. So taktvoll man dabei aber auch vorzugehen versucht, Kränkungen sind kaum zu vermeiden. Die Patientin reagierte entsprechend: „Ich bin scheinbar doof.“ (28) Das Memo, das ich kurz nach dieser Beratung schrieb, enthält angesichts der vielen Verletzungen, welche die demente Ehefrau in der Beratungssituation hinnehmen musste, die Bemerkung: „...habe mich selten so hilflos gefühlt“. Es fehlt ein Leitbild dafür, was in solchen gemeinsamen Ehegattenberatungen überhaupt Ziel sein kann, was besprochen werden sollte und was nicht, wie Berater sich als Dritte zu dem Paar positionieren können. Die Beratung nimmt einen bemerkenswerten Ausgang. Am Schluss erzählt der Ehemann, dass die Hausärztin vor Jahren seiner Frau das Leben gerettet habe (68). Seine Frau sei nach einem Schlaganfall in sehr kritischem Zustand gewesen, und die Ärztin, damals Assistenzärztin in einem Krankenhaus, habe sie zu sich in das Dienstzimmer geholt, um sie ständig überwachen zu können. Frau H. scheint an dieser Stelle das erste Mal in der Beratungssituation ihre Anspannung zu verlieren. Sie kommentiert mehrmals: „Das weiß ich ja gar nicht mehr.“ Sie lächelt dabei und scheint sichtlich berührt zu sein (69). Das 242 Grundthema, das sich durch die gesamte Beratungssitzung gezogen hat, ist das Thema „Fürsorge“, die Notwendigkeit, dass Frau H. sich mit fortschreitender Demenz der Obhut und Fürsorge ihres Mannes überlassen muss. Sie hat das in unserem Gespräch an vielen Stellen als Kränkung aufgefasst und dagegen opponiert. Hier, bei der Erzählung ihres Mannes über die außergewöhnliche Fürsorge der Ärztin in einer extremen, existenziell bedrohlichen Situation, scheint sie eine Erinnerung an eine wohltuende Erfahrung von Fürsorge zu haben. Die Beraterin bestärkt sie darin (69). 7.2.3 Erstberatung Frau J. Zugang Die 65-jährige Ehefrau, deren ein Jahr älterer Mann an einer fortgeschrittenen Demenz leidet, kommt auf Empfehlung eines Krankenhaussozialdienstes in die Beratungsstelle. Themen Der dominierende Eindruck, den diese Erstberatung hinterlässt, ist das ausgeprägte Bedürfnis der Ehefrau, einen Zuhörer zu finden. Im Anschluss an die Erstberatung schrieb ich das folgende Memo: „Mein erster Eindruck: Sie ist anstrengend, erzählt ohne Punkt und Komma, berichtet ausführlich jedes Detail. Die Themen wechseln in freier Assoziationskette. Immer wieder fällt: ‚Das muss ich Ihnen auch noch sagen...’ und, wenn es um sehr private, familiäre Dinge geht: ‚Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das sagen darf?’. Sie tut es jedes Mal. Mit wem redet sie sonst? Sie wirkt so, als bräuchte sie vor allem jemanden, der ihr endlich einmal zuhört. Sie vermittelt immer wieder, dass sie mich ins Vertrauen zieht (sie beugt sich vor, rückt näher, senkt die Stimme, ‚...ob ich Ihnen das sagen darf?’). Sachliche Informationen sind in dieser Beratung völlig nebensächlich.“ Soweit das Memo. Einen Überblick über alle in dieser Beratung angesprochenen Themen gibt die folgende Abbildung. 243 Abbildung 21: Themen in der Erstberatung von Frau J. Thema Fundstelle Seelische Belastung der Ehefrau J4, 28 Zusätzliche Belastung durch Todesfall einer nahestehenden Person J6 Angst vor der Zukunft J26 Reißen des Geduldsfadens J29, 30 Sorge um das eigene Wohl der Ratsuchenden J35 Bezugnahme zu früherer Erfahrung mit existenziell bedrohlicher Erkrankung des Gatten J9 Erste Zeichen der Demenz wahrnehmen J11 Kognitive Störungen des Erkrankten: Gedächtnis-, Orientierungs-, Wortfindungsstörungen J13 Problemverhalten des Patienten: Interesselosigkeit J13 Problemverhalten des Patienten: Anhänglichkeit J13 Problemverhalten des Patienten: fehlende Kooperation J15 Problemverhalten des Patienten: Unruhe J16 Problemverhalten des Patienten: wirklichkeitsfremde Überzeugung J30 Ressourcen des Patienten, u.a. Krankheitseinsicht J14 Vorstellungen und Pläne des Paares für die Altersphase J8 Veränderung der Beziehung: Gestaltung der Beziehung nach dem Muster der Mutter-KindBeziehung J16 Veränderung der Macht- und Einflusssphären J18 Nicht allein sein wollen J43 Motiv: Loyalität J22, J33f. Motiv: Reziprozität J23 Resumėe des bisherigen Lebens J24 Motiv: Liebe J25 Rolle der Kinder: Sorgen, Distanz J20 Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor J37 Hilfeoptionen aus dem Bereich niedrigschwelliger Angebote J37 Hilfeoptionen aus dem Bereich psychoedukativer Gruppenangebote J40, 45 Erfahrungen mit Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor J26 Pflegeversicherung J38 Ohne Unterstützung durch Dritte zurechtkommen J44 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. Analyse des Falles Diese Ehefrau wirkt seelisch sehr belastet. Neben der Demenz ihres Mannes setzt sie sich mit dem Tod einer anderen nahestehenden Person auseinander. Bald kommt sie darauf zu sprechen, dass ihr Mann vor einigen Jahren eine schwere Herzoperation hatte. „Danach habe ich ihn wieder hoch gepäppelt.“ (9) Auffällig viele Ehegatten sprechen über frühere Erfahrungen mit schwerwiegenden Erkrankungen ihres jetzt dementen Gatten und stellen dar, wie sie dazu beigetragen haben, dass er damals wieder gesund werden konnte (vgl. auch G28, H68f., L5). Offen bleibt, ob sie sich an diese Erfahrungen erinnern, weil sie sie für vergleichbar mit der aktuellen Situation halten und daraus 244 Zuversicht schöpfen, oder ob sie die Demenz als vollkommen anders gelagerte, noch größere Bedrohung erleben, welche die Mühen von damals gewissermaßen sinnlos macht. Das Thema der Veränderung der Macht- und Einflussbereiche ist in dieser Beratung an verschiedenen Stellen gegenwärtig. Frau J. schildert ihren Mann als lieb, umgänglich, aber willensstark (18). „Ich hatte nicht viel zu sagen. Er bestimmte alles, wo wir hingingen, was getan wurde. Das war so unser Leben.“ (18) Die Verhältnisse müssen sich durch die Demenz des Mannes gewaltig verändern. Frau J. berichtet in mehreren Beispielen, dass sie große Mühe hat, ihren dementen Mann zur Kooperation zu bewegen („Da hilft nur noch Schreien“ 15, 30). Sie greift aber das Angebot der Beraterin, hierüber vertieft zu sprechen, nicht auf (18). Betrachtet sie diese Schwierigkeiten als Eheproblem, das ihrer Auffassung nach nicht in diese Beratung gehört? Hat sie schon früher in ihrer Ehe Wege gefunden, mit seiner Willensstärke zurechtzukommen? Sie scheint die Strategie zu verfolgen, ihn möglichst wenig zu reizen (30) – möglicherweise eine schon vor der Demenz erprobte und bewährte Vorgehensweise. Neu mit der Demenz entstanden ist wahrscheinlich ihr Versuch, mit ihm nach dem Modell der Kindererziehung umzugehen. Als er sich bei einer Beerdigung unpassend benimmt (er fragt laut in die Trauergemeinde hinein: „War’s das jetzt?“), ruft sie ihn mit den Worten „Bist Du wohl still!“ zur Ordnung (16). Ausführlich setzt sich Frau J. mit der Beziehung zu ihrem Mann auseinander und mit den Verpflichtungen, die sie vor dem Hintergrund ihrer gemeinsamen Lebensgeschichte ihm gegenüber verspürt. Sie spricht von Reziprozität („Er hat mich ein Leben lang verwöhnt“, 23, „Wir hatten ein gutes Leben“, 24), von Liebe (25) und von Loyalität („Der Mann ist mir zu schade, um ihn wegzugeben“, 22, 34). Doch die Motive, für den Mann zu sorgen, sind nicht sämtlich altruistisch. Ganz zum Schluss, im letzten Satz dieses Beratungsgespräches nennt sie unter Tränen noch einen anderen Grund, weshalb sie den Mann nicht in ein Heim oder eine andere Betreuung geben will: „Ich kann mir das nicht vorstellen. Dann bin ich alleine. Ich brauche ihn doch auch. Ich will ihn um mich haben.“ (43) Hier wird ihr Dilemma besonders sichtbar. Sie meint hier den Ehemann, d.h. den Gesprächspartner, den Lebensgefährten, den sie an ihrer Seite haben möchte. Arrangieren muss sie sich jedoch mit einem Mann, der durch die Krankheit verändert ist und vermutlich nicht durchgängig präsent ist als Ehemann. Wenn man bedenkt, dass sie beide alte Menschen sind, wirft das die Frage auf, welche 245 Bedeutung die Ehe in der Altersphase hat, wie die Paarbeziehung den Einzelnen bei der Bewältigung altersassoziierter Entwicklungsaufgaben und –konflikte stützt, welche Vorstellungen und Pläne die Paare in Bezug auf das gemeinsame Altern hatten, und welche Verluste sie aus dieser Perspektive hinnehmen, wenn einer von ihnen dement wird. 7.2.4 Erstberatung Frau K. Zugang Die 81-jährige Ratsuchende, bei deren 82-jährigem Mann vor 2 Jahren eine Demenz diagnostiziert worden ist, kommt auf Anraten einer Bekannten, die über die Angebote der Beratungsstelle informiert ist. Themen Frau. K. thematisiert vor allem den Verlust ihres Mannes als Gesprächspartner und Gefährten (9, 32f., 38f.) und ihre Schwierigkeiten, Aufgabenbereiche übernehmen zu müssen, die traditionell in seiner Verantwortung gelegen haben (19, 26ff.), damit verbunden ihre Scheu, in seine Sphären einzugreifen (29). Die Übersicht über alle in diesem Fall angesprochenen Themen gibt die folgende Abbildung. Abbildung 22: Themen in der Erstberatung von Frau K. Thema Fundstelle Seelische Belastung der Ratsuchenden 7, 9 Schwierigkeiten mit der Akzeptanz der Demenz K13 Sich allein fühlen K39 Kognitive Einbußen des Patienten: Gedächtnis-, Orientierungsstörungen K18 Ressourcen des Patienten K20 Krankheitsverlauf K23 Darstellung des Gatten, bevor er dement wurde K15 Mit dem dementen Gatten über die Krankheit sprechen K21 Verstehen des Kranken, Umgang K24, 30 Übernahme von Aufgaben, in zuvor im Verantwortungsbereich des Partners gelegen hatten K19, 26ff. Scheu, in seine Sphären einzugreifen K29 Versuch, das Verhalten des Partners zu interpretieren K38 Rolle der Kinder: Stütze K1, 12 Verlust des Ehegatten als Gesprächspartner und Gefährten K9, 32f., 38f. Empfinden, dass die Kinder sich nicht wirklich in die Situation hineinversetzen können K12 Hilfeoptionen aus dem Bereich psychoedukativer Angebote K35 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. 246 Analyse des Falles Frau K. schildert ausführlich, wie schwer ihr die Übernahme der Verantwortung für einen Aufgabenbereich gefallen sei, für den früher ihr Mann zuständig gewesen sei. Sie habe sich in Steuerangelegenheiten, Rente und Finanzverwaltung einarbeiten müssen. Ihr Mann sei sehr irritiert gewesen und habe gereizt reagiert, als er gemerkt habe, dass sie sich an „seinem“ Schreibtisch (28) zu schaffen gemacht habe. Sie tue diese Dinge jetzt heimlich, sogar nachts, damit er nichts davon mitbekomme. Sie sagt: „Ich komme mir vor, als ob ich etwas Unerlaubtes tue, wie ein Einbrecher.“ (29) Hier kommen verschiedene Schwierigkeiten zusammen. Erstens muss sie sich in eine fremde Materie einarbeiten, dies zusätzlich neben allen anderen Aufgaben. Allein das ist belastend. Dazu kommt aber als weitere Anforderung, dass ihr als Ehefrau das Wohlbefinden ihres Mannes am Herzen liegt. Sie achtet deshalb darauf, ihren Mann möglichst wenig zu kränken und zu reizen, indem sie es nachts tut, wenn sie vermutlich eigentlich Schlaf bräuchte. Besonders belastend dürfte aber sein, dass sie selbst Zweifel an der Berechtigung ihres Tuns hat. Sie verspürt selbst eine Scheu, in seinen angestammten Aufgabenbereich einzugreifen („etwas Unerlaubtes“ 29). Das zweite Hauptthema, das dieses Beratungsgespräch wie eine Klammer umschließt, ist ihre Erfahrung, dass ihr Mann zwar physisch noch präsent ist, sie ihn durch die Demenz jedoch in seiner Eigenschaft als Ehegefährten verliert. Zu Beginn des Gesprächs sagt sie: „Das Schlimmste ist, dass keine Unterhaltung mehr mit ihm möglich ist.“ (9), und sie schließt das Gespräch mit der Bemerkung: „Man möchte sich auch mal bei jemandem anlehnen können.“ (39) Dazwischen präzisiert sie an verschiedenen Stellen den Verlust ihres Mannes als Ehegefährten. Einerseits verliert sie den Gesprächspartner, dem sie die vielen täglichen Kleinigkeiten erzählen und mit dem sie ihre täglichen Erlebnisse teilen kann. Sie spreche mit ihm über etwas Alltägliches, und nach wenigen Minuten habe er bereits vergessen, worum das Gespräch gegangen sei (9). Daneben hat der Ehemann eine emotionale Funktion für sie, die mit der Demenz erodiert. Ihr kommt das Gegenüber abhanden, das ihr emotional antwortet, das auf der Gefühlsebene mit ihr schwingt und sie emotional unterstützen kann. Sie sagt hierzu: „Er bekommt so gar nicht mit, wie es mir geht. Ich erwarte keinen Dank, aber er scheint überhaupt nichts mehr zu empfinden.“ (32) Als Beispiel berichtet sie, wie sie abgehetzt und bepackt mit tausend Sachen vor ihm gestanden habe und ihm gesagt habe, sie müsse nun noch dies und das und jenes erledigen, und 247 er nur ungerührt „Ja“ geantwortet habe (32). Darüber hinaus hat ihr Mann auch eine kognitive Funktion für sie. Mit der Demenz verliert sie den Lebensgefährten, mit dem sie ihre Lebensentscheidungen und Pläne reflektieren kann. Sie sagt, ihr fehle der Gesprächspartner, mit dem sie die Zukunft besprechen könne, „was noch auf uns zukommen wird, was vernünftig wäre zu tun, wovor wir Angst haben.“ (33) Bemerkenswert ist, dass sie hier die „Wir“-Form wählt. Damit markiert sie einen weiteren wesentlichen Aspekt ihrer Situation. Sie sieht sich nicht als Einzelne, nicht als pflegende Angehörige mit einer spezifischen Angehörigenproblematik, sondern sie betrachtet ihre Lage als etwas, das sie und ihren Mann als Paar betrifft. Hier klingt auch an, dass sie die Demenzerkrankung und die damit zusammenhängende Betreuung ihres Mannes nicht als einen unter vielen anderen Sektoren ihres Lebens auffasst – wie dies etwa eine Tochter tun kann, die neben der Pflege ihrer dementen Mutter noch die eigene Familie hat und eventuell einen Beruf und vieles andere. Frau K. vermisst es, „die Zukunft“ (33), etwas sehr Umfassendes, mit ihrem Mann besprechen zu können. Ihr Dilemma liegt gerade darin, dass er hierfür ausfällt. Damit betrifft die Demenz nicht einen Ausschnitt, sondern sie trifft mitten ins Zentrum ihres Lebens. 7.2.5 Erstberatung Frau L. Zugang Frau L., die ihren 73-jährigen Ehemann seit einer Prostataoperation im Jahr zuvor verändert erlebt und vor 8 Wochen die Diagnose einer Demenz erfahren hat, kommt über die Öffentlichkeitsarbeit der Beratungsstelle in die Sprechstunde. Themen Frau L. kommt mit praktischen Problemen in die Beratung. Sie fragt, wie sie ihren Mann vom Autofahren abhalten kann (18), und wie sie verhindern kann, dass er ständig Geld mit seiner Kreditkarte abhebt (21ff.). Anhand dieser Fragestellungen beschäftigt sie sich mit der Frage, inwieweit sie als Ehefrau das Recht hat, in seine Angelegenheiten einzugreifen (22, 27ff., 34). Den Überblick über alle Themen in diesem Fall gibt die Abbildung. 248 Abbildung 23: Themen in der Erstberatung von Frau L. Thema Fundstelle Angst vor dem dementen Ehemann L10 Seelische Belastung L16 Erste Anzeichen der Demenz wahrnehmen L6, 7 Veränderung der Persönlichkeit des Patienten L9 Problemverhalten des Patienten: Gereiztheit L9, 18 Problemverhalten des Patienten: fehlende Krankheitseinsicht L18, 21 Problemverhalten des Patienten: Selbst- und fremdgefährdendes Verhalten L18, 21 Bewältigungsversuche des Erkrankten L13 Verlust des Gesprächspartners, fehlender Austausch L15 Übernahme von Aufgaben, für die zuvor der Patient zuständig gewesen war L11 Scheu, in die Sphäre des Erkrankten einzugreifen L22, 27ff., 34 Entscheidungen gegenüber dem Erkrankten begründen L12 Bedeutung des Einverständnisses des Erkrankten bei wesentlichen Entscheidungen L30 Veränderung der Ehebeziehung durch das erforderliche Eingreifen in die Sphäre des Mannes L25, 34 Versuch, das Verhalten des Erkrankten zu interpretieren L14 Verstehen des Erkrankten, Umgang L24, 32, 34 Rolle der Kinder als Stütze L28 Sorge, dass sich das Verhältnis zwischen Erkranktem und Kindern verschlechtert L19 Vollmacht, gesetzliche Betreuung L26 Hilfeoption aus dem Bereich psychoedukativer Gruppenangebote L36 Bezugnahme zu früherer Erfahrung mit existenziell bedrohlicher Erkrankung des Gatten L5 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. Analyse des Falles Ähnlich wie bei Frau K. kreisen auch die Gedanken von Frau L. um den Verlust ihres Mannes als Gefährten und um die Frage seiner Souveränität. Beide Frauen illustrieren jedoch unterschiedliche Aspekte dieser Themen. In der Erzählung von Frau K. wird besonders deutlich, dass sie ihren Partner als wesentliche Bezugsperson für sich selbst entbehrt, als jemanden, der sie emotional und als Gesprächspartner im Alltag unterstützen und von dem sie etwas empfangen kann. Demgegenüber betont Frau L., sie vermisse es gerade, ihrem Mann etwas geben zu können. Sie beobachtet die Veränderung ihres Mannes: Wie er sich ohne Begründung aus seinem Kegelclub zurückzieht (7), wie er nun häufig in gereizter Stimmung ist, „wegen nichts sofort unter der Decke“ (9), wie er oft stundenlang mit dem Fahrrad herumfährt (13), dann wieder ganz still wird und nur da sitzt (13). Sie bemüht sich, seine Verhaltensweisen zu interpretieren und glaubt, auf diese Weise versuche er die dramatischen Veränderungen, die er durchmacht, zu bewältigen. Sie sagt, wenn er ganz still werde und dasitze, habe sie den Eindruck, „dann arbeitet es in ihm“ und er versuche, „die Dinge wieder 249 zusammen zu bekommen“ (14). Auch das Fahrradfahren rückt sie in den Kontext der Stressbewältigung, da er das immer schon getan habe, wenn er belastet gewesen sei (13). Jetzt bleibe er allerdings oft stundenlang verschwunden (13); für sie muss dies ein Hinweis auf die Schwere seiner psychischen Belastung sein. Sie tut damit genau das, was zu einer guten Ehe gehört, nämlich das Befinden des anderen wahrzunehmen und sich Gedanken über sein Wohlbefinden zu machen. Doch das Entscheidende einer guten Partnerschaft fehlt ihr. Sie kann mit ihrem Mann nicht mehr über seine Not und über ihre eigenen Überlegungen dazu sprechen. Sie sagt in der Beratung: „Das Schlimmste ist, dass er nicht darüber redet“ (15), und sie registriert, dass ihr Mann keinerlei Reaktion gezeigt habe, als der Arzt ihm die Demenzdiagnose mitgeteilt habe (16). Sie bringt sein Schweigen nicht in den Zusammenhang seines krankheitsbedingten Unvermögens. Doch an einer anderen Stelle in dem Beratungsgespräch wird deutlich, wie wenig er noch in der Lage ist, sich sprachlich differenziert über seine Situation zu äußern. Sie berichtet, wie er seiner Tochter gegenüber gesagt habe, er wolle „zunächst mit dem jetzt fertig werden“ (29), womit er offenbar seine Demenz gemeint hat. Diese unbeholfene Äußerung zeigt, dass er vermutlich nicht so sehr aufgrund eines emotionales Rückzuges, sondern wegen seines schwer eingeschränkten Reflexions- und Artikulationsvermögens für seine Frau unerreichbar wird. Sie möchte ihm helfen, sie möchte ihn emotional auffangen, wie es sich in einer guten Partnerschaft gehört, doch er entzieht sich ihr, indem er nicht spricht. Noch fremder wird er ihr dadurch, dass ihre Interpretationsbemühungen an Grenzen stoßen, der Mann ihr zunehmend unverständlich bleibt und unkalkulierbar wird, weil er sich in seiner Persönlichkeit verändert, so dass sie „manchmal richtig Angst vor ihm“ (10) habe. Dass sie über seine stundenlangen Abwesenheiten, wenn er mit dem Fahrrad herumfährt, erzählt, kann nach diesen Überlegungen als Metapher dafür gelten, dass sie ihn Lichtjahre von sich entfernt empfindet, unerreichbar. Auch beim Thema der Souveränität des Partners zeigt Frau L. andere Aspekte als zuvor Frau K. Frau K. scheute sich, in einen Aufgabenbereich einzudringen, der zuvor eindeutig in die Verantwortung ihres Mannes gefallen war. Man hat bei ihr den Eindruck, dass es zumindest in diesem Bereich zwischen ihrem Mann und ihr eine klare hierarchische Grenze gegeben hat, die sie jetzt – wie sie glaubt – unbefugt überschreitet. Die Bedenken von Frau L., in die Souveränität ihres dementen Mannes einzugreifen, scheinen sich eher vor dem Hintergrund einer früher gleichberechtigten Partnerschaft abzuspielen. Sie sagt: „Ich weiß, dass 250 das eine ganz fiese Tour ist, aber ich habe heimlich in seinem Portemonnaie nachgesehen und festgestellt, dass er die Karte zusammen mit dem PIN-Code aufbewahrt.“ (22) Sie habe vorsichtshalber den Dispokredit storniert und den Bankangestellten eingeweiht. Sie kommentiert auch das: „Auch ganz link von mir!“ (22). Ihre Motive sind ganz integer, dennoch hat sie den Eindruck, ihren Mann hier zu hintergehen. Gleich gegen mehrere wesentliche Werte einer guten Ehe glaubt sie zu verstoßen: Erstens greift sie in seine Souveränität ein (sie schaut in sein Portemonnaie und storniert den Kredit), zweitens glaubt sie, sich illoyal zu verhalten (sie hat mit dem Bankangestellten Geheimnisse vor ihm), und drittens vertraut sie ihm nicht mehr (sie kontrolliert ihn). Gegenseitiges Vertrauen aber ist eine Grundvoraussetzung für eine gute Beziehung. Ebenso wie sein oben beschriebenes Schweigen bringt sie auch hier die Dinge nicht in den Kontext seiner Demenzerkrankung, sondern sie versucht zunächst, die Ereignisse im Rahmen ihres Alltagsverständnisses von einer guten Ehebeziehung zu interpretieren: Man spioniert einfach nicht hinter seinem Partner her, und man redet nicht hinter seinem Rücken über ihn mit einem Fremden. Im Licht dieses Alltagsverständnisses hat sie sich als schlechte Ehefrau erwiesen, und sie muss sich deswegen schuldig fühlen. Wie bindend diese Alltagsvorstellungen sind, zeigt noch ein weiteres Beispiel aus diesem Fall. Als Frau L. eine weitreichende Entscheidung (Zustimmung oder Ablehnung einer Operation) für ihren Mann treffen muss, ist sie ähnlich wie Frau A. erleichtert, als ihr Mann ihr zu verstehen gibt, wie seine Entscheidung in dieser Frage aussieht, und dass sie beide hierin übereinstimmen. Sie war gegen die Operation, weil sie hierdurch eine weitere Verschlechterung seiner Demenzsymptomatik befürchtete, und er äußerte der Tochter gegenüber, er wolle zunächst „mit dem jetzt fertig werden“, bevor er sich operieren lassen wolle (29). Sie sagt in der Beratung: „Ich war so froh, es aus seinem Munde zu hören“, wenn auch – das räumt sie in einem gemurmelten Selbstgespräch ein – „nicht im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte.“ (30) Frau L. ist sich also vollauf darüber im Klaren, dass seine Entscheidung nicht nach reiflicher Überlegung und mit kritischem Urteilsvermögen gefallen ist. Dennoch ist es ihr sehr wichtig, dass er entschieden hat. Die Vorstellung, derart weitreichende Entscheidungen nur gemeinsam mit ihrem Partner treffen zu dürfen, ist so wesentlich für sie, dass sie es in Kauf nimmt, sich selbst etwas vorzumachen. Wenn sie aus diesem Dilemma herauskommen wollte, müsste sie das Alltagsverständnis der Ereignisse überschreiten. Sie müsste sich hundertmal am Tag klar machen, dass 251 das Verhalten ihres Mannes jetzt wesentlich durch seine Demenz beeinflusst ist. Das mag einigermaßen gut gelingen, wenn es allein bestimmte Verhaltensweisen betrifft. Wenn sie sich also beispielsweise klar machen muss, dass er sie zum wiederholten Male dasselbe fragt, nicht etwa, weil er ihr nicht zuhören will, sondern weil er die Antwort immer wieder vergisst. Schwieriger wird das jedoch, wenn sie nicht nur einzelne Verhaltensweisen neu interpretieren, sondern die ganze Ehebeziehung vor einen neuen Interpretationshorizont rücken muss. Die Antwort auf die Frage „Wann bin ich eine gute Ehefrau und wann eine schlechte?“ muss sie ganz neu konstruieren, indem sie ihre Alltagsvorstellungen von einer guten Ehe mit den Bedingungen der Demenz abgleichen müsste, um dann zu einem neuen, anderen Verständnis zu kommen. 7.2.6 Erstberatung Frau M. Zugang Frau M., deren 81-jähriger Mann seit dem Krieg körperbehindert, seit einigen Jahren auf den Rollstuhl angewiesen und seit 15 Jahren nach einem Unfall dement ist, kommt auf Anraten des Arztes ihres Mannes in die Beratungsstelle. Themen Das übergreifende Thema dieser Erstberatung ist die Frage nach der Gerechtigkeit zwischen den Ehegatten, die für Frau M. aktuell wird, nachdem sie seit Jahren erstmals wieder etwas Entlastung erlebte, als ihr dementer Mann anlässlich einer Krankenhausbehandlung mehrere Wochen außer Haus war (24ff., 31, 37). Den Überblick über alle in diesem Fall angesprochenen Themen gibt die folgende Abbildung. 252 Abbildung 24: Themen in der Erstberatung von Frau M. Thema Fundstelle Zusätzliche seelische Belastung durch den Tod naher Angehöriger M15 Belastung M23, 38 Entlastungsmöglichkeiten im Alltag M36 Problemverhalten des Patienten: nächtliche Unruhe M6 Problemverhalten des Patienten: Interesselosigkeit M13 Problemverhalten des Patienten: fehlende Kooperation bei der Körperpflege M20 Problemverhalten des Patienten: Antriebslosigkeit M13 Problemverhalten des Patienten: verbale Aggressionen M20 Veränderung der Persönlichkeit M13 Reaktion auf Entlastung durch Krankenhausaufenthalt des Partners M24ff. Gerechtigkeit zwischen den Partnern M31, 37 Vom Partner zurückgewiesen werden M14 Fehlender Austausch M14 Fehlende emotionale Resonanz M14, 21 Fehlende Anerkennung der Pflegeleistung durch den pflegebedürftigen Partner M21 Aggressiv getönte Pflege M20, 27 Inkontinenz nicht verzeihen können M28 Wunsch, der Partner möge sterben M29f. Pflegemotiv: finanzielle Gründe M31 Den Kindern nicht zur Last fallen wollen M17 Empfinden, dass die Kinder sich nicht wirklich in die Situation hineinversetzen können M18 Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor M33 Hilfeoptionen aus dem Bereich niedrigschwelliger Angebote M39 Hilfeoptionen aus dem Bereich psychoedukativer Gruppenangebote M39 Erfahrungen mit der Inanspruchnahme professioneller Hilfen M7 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. Analyse des Falles Unter den für diese Arbeit ausgewerteten Fällen hat diese Frau die längste Zeit häuslicher Pflege hinter sich. Ihr Mann, der schon seit dem Krieg beinamputiert war, erlitt vor etwa 15 Jahren, nach seiner Pensionierung, einen Unfall, in dessen Folge er einen schweren Hirnschaden mit Demenz davontrug. Die Ehefrau berichtet, seine Persönlichkeit habe sich mit dem Hirnschaden vollständig verändert. Früher lebenslustig, freundlich und gesellig sei er seither nicht mehr an Geselligkeit interessiert, überhaupt in allem antriebs- und interesselos geworden (13). Sie schildert seine fehlende emotionale Resonanz, er zeige keinerlei Regungen, spreche so gut wie nicht mehr, sitze meist teilnahmslos da (14). Die Ehefrau betreut ihn in diesem Zustand seit 15 Jahren. 253 In dem Memo, das ich direkt im Anschluss an diese Beratung geschrieben habe, hielt ich den ersten subjektiven Eindruck fest, den dieses Gespräch auf mich gemacht hatte: „Mein erster Eindruck: Sie berichtet ganz sachlich über ihre Situation. Einmal weint sie, doch nur ganz kurz und mit dem Hinweis, sie sei „normalerweise nicht nah am Wasser gebaut“. Sie spricht über die fehlende emotionale Resonanz ihres Mannes („Die Gefühle sind weg.“, 14), doch auch sie selbst wirkt emotionslos, wenn sie über ihn berichtet. Vor mir entsteht das Bild einer grau-braunen Wohnung, in welcher der Mann stumm in seinem Rollstuhl sitzt, und die Frau wortlos Pflegeverrichtungen an ihm vornimmt. Das alles seit Jahren, in einem immer gleichen, allein von der Notwendigkeit angetriebenen Tagesablauf, gelegentlich nur unterbrochen durch kurzfristiges Aufbäumen, wenn der Mann sich der Pflege widersetzt und wüst schimpft (20), und die Frau zurückschreit (27). Ganz anders wirkt sie, wenn sie über sich selbst spricht. Zum Beispiel als sie von der dritten Woche während seines Krankenhausaufenthaltes erzählt, als sie seit langem wieder einmal etwas Schönes für sich selbst tun konnte (26). Da wirkt sie plötzlich emotional präsent. Sie richtet sich in ihrem Stuhl auf, ihre Sprachmelodie wird munterer. Ich spüre deutlich ihre Sehnsucht, wieder etwas vom Leben zu haben. Auch als sie über ihre Angst spricht, später ein Sozialfall zu sein, ist sie emotional für mich wahrnehmbar (31).“ Diese beiden Stellen, an denen sie in der Beratungssituation emotional präsent wirkt, markieren das Hauptthema, das sie während des Gespräches allmählich aufrollt. Frau M. erzählt zunächst, ihr Mann sei kürzlich für fünf Wochen wegen nächtlicher Unruhe in einer psychiatrischen Klinik behandelt worden. In der ersten Woche sei sie ganz „kribbelig“ (24) gewesen, sei „wie ein Tiger im Käfig herumgelaufen“ (24), und sie erklärt: „Mein Regelwerk war weg“ (24). In der zweiten Woche sei sie krank geworden. Sie habe seit Beginn der Pflegetätigkeit eine chronische Magenentzündung. In dieser Woche habe sie sich ständig übergeben müssen (25). In der dritten Woche habe sie dann plötzlich gedacht: „Es gibt da noch ein Leben für dich!“ (26) Sie habe in Ruhe ihren Haushalt machen können, habe sich mal auf eine Bank gesetzt, sogar ein Buch genommen. Doch dann seien schon die Vorbereitungen auf die Krankenhausentlassung auf sie zu gekommen, und der Stress habe wieder eingesetzt (26). Vermutlich erstmals seit Jahren hat sie ein wenig Entlastung erlebt. Sie spürt den Kontrast zwischen diesem Stückchen eigenen Leben und 254 ihrem Pflegealltag jetzt offenbar sehr stark, so stark, dass sie ihren Alltag nicht als Leben bezeichnet. Leben gab es nur während seiner Abwesenheit. Nach dieser Erzählung geht sie sofort dazu über, von Momenten aggressiv getönter Pflege zu sprechen. Sie sei manchmal ungerecht ihrem Mann gegenüber, schreie zurück (27), wenn er sich ihren Hilfen widersetze und sie seinerseits wüst beschimpfe („Da kann er plötzlich reden!“, 20). Oder sie könne ihm nicht verzeihen, wenn er inkontinent sei (28). Schnell kommt sie dann zum zentralen Punkt: Sie will ihn dennoch weiter zu Hause pflegen. Sie sei „ganz nüchtern in diesem Punkt“ (31). Sie hätten etwas Erspartes. Wenn sie das nun für seine Heimunterbringung (31) oder für die Finanzierung weiterer ambulanter Hilfen (37) ausgeben würde, „dann bin ich später ein Sozialfall“ (31). Das Grundthema in diesem Fall ist also die Frage der Gerechtigkeit zwischen den Partnern. Sie pflegt ihn seit Jahren, verzichtet auf eigenes Leben, und der Lohn all dessen soll dann sein, dass sie selbst später mittellos sein könnte. Das empfindet sie als ungerecht. Von Reziprozität, Loyalität zum Partner oder Liebe, d.h. von den Motiven, die andere Ehegatten in dieser Untersuchung an vielen Stellen als Antrieb für ihr fragloses Engagement für den kranken Partner genannt haben, ist in diesem Fall nichts zu erkennen. Wenn diese Motive vorhanden gewesen sind, dann scheinen sie nach 15 Jahren der Pflege aufgebraucht zu sein. Es bietet sich hier an, an die Vorstellung von Boszormenyi-Nagy & Spark1069 anzuknüpfen, wonach Familienbeziehungen sich unter dem Aspekt der Gerechtigkeit formieren, und es in Familien eine unsichtbare Kontoführung über die vergangenen und gegenwärtigen Verbindlichkeiten der Familienmitglieder gibt. Das Konto des kranken Herrn M. ist nach 15 Jahren der Pflegebedürftigkeit leer, und seine Frau ist der Ansicht, er schulde ihr etwas. Deshalb beklagt sie, er sage nur mechanisch „Danke“ (21), und deshalb vermisst sie, dass er einmal sagt: „Es ist gut, dass es Dich gibt.“ (21) Deshalb kann sie ihm nicht verzeihen (man kann einem anderen dessen Schuld verzeihen), und sie macht das Thema des Nicht-Verzeihen-Könnens konkret an seiner Inkontinenz fest (28). Sie ist in einem Dilemma, das sie seit der erlebten Entlastung während seines Krankenhausaufenthaltes besonders deutlich spürt. Entweder gibt sie ihrer Sehnsucht, etwas vom Leben zu haben, jetzt nach, muss dafür Geld ausgeben und riskiert eigene finanzielle Bedürftigkeit für später – oder sie verzichtet jetzt auf ihre eigenen Bedürfnisse, hält weiter durch und hofft, sich später mit dem 1069 vgl. Boszormenyi-Nagy & Spark 2001 255 Ersparten etwas gönnen zu können. Konsequent zu Ende gedacht heißt das, sie muss darauf setzen, dass der Mann nicht mehr allzu lange leben wird. Genau das spricht sie auch in der Beratung an: Manchmal denke sie, er möge bald sterben (29). Dies sofort wieder zurücknehmend fügt sie hinzu: ... doch das wolle sie nicht (30). 7.2.7 Erstberatung Herr N. Zugang Herr N., dessen 72-jährige Ehefrau seit mindestens zwei Jahren an einer inzwischen fortgeschrittenen Demenz erkrankt ist, kommt auf Anraten von Bekannten in die Beratungsstelle. Themen In dieser Beratung geht es schwerpunktmäßig um eine seit Jahrzehnten schwierige Ehe, in der nun eine Demenz auftritt. Die Übersicht über alle in dieser Erstberatung angesprochenen Themen gibt die Abbildung. Abbildung 25: Themen in der Erstberatung von Herrn N. Thema Fundstelle Zukunftsperspektive: über die Runden kommen N30 Erste Anzeichen der Demenz wahrnehmen N8 Misstrauen der dementen Partnerin N11 Problemverhalten: Sprachstörungen N13 Krankheitsverlauf N32 Charakteristikum der Ehe vor Auftreten der Demenz: Leben in getrennten Sphären N10, 27 Rückblick auf die Ehe N17ff. Darstellung der Partnerin, bevor sie dement wurde N15 Unsicherheit, in die Sphäre der dementen Partnerin eingreifen zu dürfen N9 Kontakte der Partner N28 Kommunikationsprobleme aufgrund der Sprachstörungen der dementen Partnerin N13 Mitleid mit der dementen Partnerin N24 Motiv zur Betreuung der dementen Partnerin: Loyalität? N26 Motiv zur Betreuung der dementen Partnerin: Mitleid N24ff. Rolle von Freunden N7 Rolle der Kinder: Stütze N25 Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor N33 Hilfeoptionen aus dem Medizinsektor N34 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. 256 Analyse des Falles Herr N. beginnt seine Erzählung in der Gegenwart. Am Tag zuvor ist bei seiner Frau eine fortgeschrittene Demenz diagnostiziert worden. Er selbst bemerke Veränderungen bei ihr seit etwa zwei Jahren. Herr N. stellt sofort klar, seine Frau dürfe keinesfalls erfahren, dass er von ihrer Diagnose weiß (eine gemeinsame Freundin habe ihn informiert), oder dass er deswegen die Beratungsstelle aufgesucht habe. Er dürfe sich nicht in die Angelegenheiten seiner Frau einmischen, sonst „rastet sie aus“ (9). Selbst wenn er sich nur nach ihrem Befinden erkundige, sei sie sofort misstrauisch und gerate außer sich (11). Auf die Frage, wie man sich dieses „Ausrasten“ vorstellen muss, beschreibt er, ihre Sprache sei inzwischen beeinträchtigt, sie rede dann stereotyp und äußere zum Beispiel „Keine Fragen! oder „Jetzt greift er schon wieder ein“ oder auch für ihn völlig unverständlich „Du bist Soldat gewesen, du sollst für den Frieden kämpfen“ (13). Mit der einleitenden Bemerkung, „Meine Frau ist immer eine dominante Person gewesen“ (15), wendet er sich dann ausführlich der Vergangenheit seiner Ehebeziehung zu. Er beschreibt seine Frau als sehr beliebt, witzig, geistreich, auch heute noch außergewöhnlich attraktiv, sie sei „eine tolle Frau“ gewesen (15). Er schildert auch ausführlich den Lebenslauf seiner Frau (15)1070. In der ersten Zeit ihrer Ehe in den 50er Jahren hätten sie eine „schöne Zeit“ (17) gehabt. Sie habe unbedingt Kinder haben wollen, „sie hat mich regelrecht ins Bett gezerrt“ (17). Nach der Geburt der Kinder habe ihr Interesse an ihm schlagartig aufgehört. „Wir haben im Grunde in zwei getrennten Sphären gelebt“, sie zuständig für Haus und Kinder, daneben vielfältig engagiert in Vereinen, Gremien und auch wieder im Beruf, er im Beruf, als Freizeitmusiker und zeitweise mit einer Geliebten. Vor 13 Jahren sei er in den Ruhestand eingetreten. Seither seien viele ihrer Bekannten und Verwandten gestorben. Er resümiert: „Am Ende war nur noch ich da, der ihr nicht reichte.“ (21) Seine Frau habe all ihre Frustration in den letzten Jahren an ihm ausgelassen. Er sagt: „Ich war der Prellbock“ (22) und „Ich hab’ viel gefressen“ (22). Bekannte hätten seine Frau darauf aufmerksam gemacht, so könne sie nicht mit ihm umgehen (22), und die Kinder hätten ihm geraten, sich von ihr zu trennen (25). 1070 Diese Schilderungen sind aus Gründen der Anonymisierung des Falles weitgehend aus der Dokumentation entfernt worden. 257 Zum Abschluss seiner Erzählung kommt Herr N. in die Gegenwart zurück. Er könne sie nicht verlassen (26), sie tue ihm Leid, so wie sie sich jetzt verändere (24, 30). Sie lebten in ihrem gemeinsamen Haus in zwei getrennten Haushalten, wirtschafteten jeder für sich (27). Er habe sich ein „Refugium“ (27) im Haus geschaffen, und er erwähnt zweimal, dass er auch einen eigenen Telefonanschluss habe. Inwieweit die beiden im Alltag miteinander zu tun haben, wird aus seinem Bericht nicht klar. Einerseits sagt er, es gebe im Grunde keinerlei Kommunikation zwischen ihnen (27), andererseits erwähnt er Streitereien bei einem gemeinsamen Fahrradausflug, einem gemeinsamen Fernsehabend oder beim Zusammentreffen in der Küche (28). Auf die Frage, wie er sich die weitere Zukunft vorstelle, antwortet er: „Ich möchte alles tun, damit wir beide einigermaßen über die Runden kommen“ und „Sie tut mir Leid“ (30). Dieser Fall steht für einen bestimmten Typus von Sonderfällen in der Ehegattenberatung: eine langjährig zwiespältige, komplizierte Beziehung, die nun, mit dem Auftreten der Demenz, noch einmal komplizierter wird. Auf den ersten Blick fällt auf, dass hier das Thema der Souveränität der beiden Partner, das bei vielen anderen Ehegatten in den hier ausgewerteten Fällen mit dem Auftreten der Demenz zur Frage wurde, bei diesem Paar schon seit Jahrzehnten virulent ist. Herr N. schildert eine Beziehung, die jahrelang durch ein bestimmtes Abgrenzungsprinzip im Sinne von Willi1071 gekennzeichnet ist, nämlich durch einen intradyadisch starren und extradyadisch diffusen Grenzverlauf. Aus dem Blickwinkel des Modells der Gegensatzeinheit von Duss von Werdt1072 war die zentrifugale Komponente, d.h. Abgrenzung, Widerstand und Autonomie, bei diesem Paar stets sehr ausgeprägt. Gleichzeitig muss es sehr starke zentripetale Kräfte geben, die seit Jahren dafür sorgen, dass das Paar trotz der starken inneren Abgrenzung und der zusätzlich diffusen Außengrenzen nicht auseinander gebrochen ist. Was die Kohäsion dieses Paares gestützt hat, lässt sich mit den wenigen Informationen aus dem Erstgespräch nur mutmaßen. Es gibt aber einige Hinweise1073, dass ein narzisstisches Kollusionsmuster im Sinne von Willi1074 nach dem Prinzip „Ich bin so schwärmerisch-verehrend, weil du so grandios bist“ und „Ich bin so grandios, weil du so schwärmerisch-verehrend 1071 vgl. Funktionsprinzipien von Paarbeziehungen bei Willi 2002, 16ff. 1072 vgl. Modell der Gegensatzeinheit von Duss von Werdt 1973, 18 1073 Herr N. nimmt sich viel Zeit, seine „tolle Frau“ (15) darzustellen und ihre Lebensgeschichte ausführlich zu schildern (15). Er resümiert : „Am Ende war nur noch ich da, der ihr nicht reichte.“(21) 1074 vgl. Kollusionskonzept von Willi 2002, 65ff. 258 bist“1075 bei diesem Paar einige Bedeutung hat. Unklar bleibt, in welcher Form die Rollen der beiden miteinander verzahnt sind, ob und in welcher Kombination die von Richter1076 beschriebenen Möglichkeiten des Partner-Substituts, des Abbildes, des idealen oder negativen Selbst oder des Bündnisgenossen hier bedeutsam sind. Fest steht aber, alle diese Funktionsprinzipien des Paares - Grenzregelung, Gegensatzeinheit von zentrifugalen und zentripetalen Kräften, Kollusionsmuster und Rollenverzahnung - geraten nun unter den Bedingungen der Demenz in Bewegung. Es ist deshalb fraglich, ob die beiden weiter „über die Runden kommen“ werden (30), wie es sich Herr N. für die Zukunft wünscht. Ihre bisherigen, fein justierten Bewegungen und Strategien jedenfalls werden mit dem Fortschreiten der Demenz zunehmend dysfunktional werden. Eine Angehörigenberatung, die sich jetzt vornehmlich psychoedukativ verstehen, also eng an die Krankheitsfragen der Demenz halten würde, richtete hier wenig aus. Wie wenig, lässt sich an einem Punkt dieses Falles illustrieren. Es gibt Zweifel, ob Herr N. überhaupt in der Lage ist, die demenzbedingten Defizite seiner Frau realistisch einzuschätzen. Er berichtet, seine Frau regele noch vollkommen selbständig ihren Haushalt einschließlich aller finanziellen, administrativen und sonstigen damit zusammenhängenden Angelegenheiten (27). Das passt nicht zu der Diagnose einer fortgeschrittenen Demenz (6), und es passt auch nicht zu dem winzigen Einblick, den er auf ihre Defizite gewährt, als er zu Beginn des Gespräches ihre stereotypen und teils überhaupt nicht in den Gesprächskontext passenden Antworten mit einigen wörtlichen Zitaten schildert (13). Die Nachfrage der Beraterin, ob seine Frau das alles tatsächlich noch bewältigen könne, kann er nicht konkret beantworten. Er sagt, Details könne er nicht nennen, aber er glaube, sie könne das noch (27). Man kann hier den Verdacht haben, dass er gar nicht so genau hinschauen mag, weil er sie immer noch bewundern will, und sie immer noch seine „tolle Frau“ ist und bleiben soll. Möglicherweise ahnt er, dass das ganze fragile Arrangement seiner Ehe nur dann zu retten wäre, wenn alles genauso bliebe, wie es war. Eine solche Haltung allerdings lässt sich allein durch Information über das Wesen einer Demenz und Schulung im angemessenen Umgang mit der psychotherapeutische 1075 Willi 2002, 81 1076 vgl. Richter 2001, 50ff. Erkrankten Interventionen schwerlich angezeigt. verändern. Die Hier wären gerontopsychiatrische 259 Angehörigenberatung kommt hier an Grenzen, selbst dann, wenn sie sich nicht nur eng als psychoedukative, sondern als psychosoziale Beratung versteht. 7.2.8 Erstberatung Frau O. Zugang Frau O. lebt seit einigen Jahren mit ihrem Lebensgefährten zusammen, der aus erster Ehe drei erwachsene Kinder hat und inzwischen fortgeschritten dement ist. Sie kommt auf Empfehlung der Tagesklinik, in der er behandelt worden ist. Themen Schwerpunkt sind Fragen zur Finanzierung eines Kurzzeitpflegeaufenthaltes (11). Die folgende Abbildung gibt eine Übersicht aller Themen dieses Falles. Abbildung 26: Themen in der Erstberatung von Frau O. Thema Fundstelle Eigene Erkrankungen der ratsuchenden Partnerin O7 Rolle der Kinder: Distanz O9,13 Rolle der Kinder: Entscheidungsträger O9 Rolle der Kinder aus erster Ehe: Konflikte O12 Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor O11 Sozialhilfe O11 Pflegeversicherung O11 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. Analyse des Falles Frau O. betreut ihren dementen Lebenspartner rund um die Uhr. Da sie selbst bald wegen einer Operation ins Krankenhaus gehen muss, sucht sie nach Möglichkeiten einer Ersatzbetreuung für ihn. Konkret möchte sie sich darüber informieren, wie ein Aufenthalt in einer Kurzzeitpflegeeinrichtung finanziert wird. Sie werde sich mit dem ältesten Sohn ihres Partners treffen, um mit ihm zu überlegen, wie ihr Lebenspartner während ihrer Abwesenheit versorgt werden soll. Ein Anruf beim Sozialamt ergibt folgendes: Allein für sich betrachtet hätte ihr Lebenspartner wegen seiner sehr niedrigen Rente Anspruch auf Sozialhilfe. Doch da sie selbst eine hohe Rente hat, und das Sozialamt die beiden als 260 „eheähnliche Gemeinschaft“ einstufen wird, könnte es sein, dass sie sich an den Kosten, die über den Zuschuss der Pflegeversicherung hinausgehen, beteiligen muss. Bis zu diesem Punkt war das Beratungsgespräch stringent an dem Thema „Finanzierung der Kurzzeitpflege“ geblieben. Als klar wird, dass sie für ihn zahlen muss, weicht sie ab und berichtet, es sei schwer für sie gewesen, mit seinen Kindern umzugehen. Sie habe mehrere Jahre lang offene Ablehnung gespürt. Man habe ihr zu verstehen gegeben, dass sie nicht die angemessene Frau für den Vater sei. Sie sagt dann: „Dabei komme ich doch auch aus einer ordentlichen Familie.“ (12) Sie endet mit der Bemerkung, die Kinder kümmerten sich überhaupt nicht um den Vater, nur der Älteste sei im Notfall ansprechbar (13). Auch dieser Fall steht für einen Typus von Sonderfällen in der Ehegattenberatung: eheähnliche Gemeinschaften oder Zweit-/bzw. Folgeehen, die erst im Alter geschlossen werden. Frau O. thematisiert das Verhältnis zu den Kindern ihres Lebenspartners und stellt indirekt die Frage nach der Gerechtigkeit. Mit dem gedanklichen Ausflug in die Vergangenheit legt sie ihre unsichtbare Kontenführung1077 offen: Sie fühlt sich von seinen Kindern in der Vergangenheit herabwürdigend behandelt (12), das zu Unrecht, da sie doch auch aus „einer ordentlichen Familie“ kommt. Heute kümmern sich die Kinder, so wie sie das sieht, nicht genügend um den Vater (9, 13) - sie kümmert sich dagegen rund um die Uhr um den Mann (7). Die Kinder entscheiden, wie der Vater versorgt werden soll (9) - sie soll zahlen (11). Sie entscheidet zumindest nicht allein, sondern berät sich mit dem Sohn, was während ihrer Abwesenheit geschehen soll. Indirekt gibt sie damit zu verstehen, wie ungerecht sie diese Verteilung findet. Offen spricht sie es aber nicht an. Der Fall illustriert, wie kompliziert die Verhältnisse werden können, wenn die sogenannten Fortsetzungsfamilien oder Patchwork-Familien ins Spiel kommen, die Kinder und anderen Verwandten aus den vorangegangenen Beziehungen der beiden Partner. Wie wird die Verantwortung für die Versorgung des Kranken verteilt? Wer hat welche Kompetenzen? Wer darf sich zu Recht als Anwalt des Erkrankten bezeichnen? Spezifisch für diese Sonderfälle ist außerdem, dass die Dauer der gemeinsamen Geschichte, auf die das Paar zurückblickt, weitaus 1077 vgl. Boszormenyi-Nagy & Spark 2001 261 kürzer ist als bei langjährigen Ehen. Das stellt viele der in den bisher ausgewerteten Fällen auftauchenden Themen in ein besonderes Licht: Wie sieht es zum Beispiel mit der Reziprozität und der Loyalität aus, wenn ein so „junges“ Paar mit einer Demenz konfrontiert wird? Wie wirkt sich eine Demenz auf die Entwicklung einer Partnerschaft aus, wenn sie in einer sehr frühen Phase der Beziehung auftritt? Die einzige Arbeit, die ich zu dieser Problematik gefunden habe, ist die von Kuhn, Morhardt & Monbrod-Framburg1078, die im Kapitel 3.1.2.2 näher beschrieben worden ist. 7.2.9 Erstberatung Herr P. Zugang Herr P., selbst 79 Jahre alt, hat eine 78-jährige Ehefrau, die seit 30 Jahren an einer affektiven Psychose mit depressiven und manischen Episoden leidet. Seit kurzem ist bekannt, dass sie nun auch dement ist. Herr P. findet über seine Tochter den Weg in die Beratung. Themen Die Tochter bringt den Vater in die Beratungsstelle, weil sie ihm Hilfen bei der Betreuung seiner kranken Frau erschließen möchte. In dem Telefonat zur Terminabsprache sagt sie, bisher habe er stets Hilfen von außen abgelehnt, doch nun Unterstützungsbedarf signalisiert (9f.). Eine Übersicht über alle in dieser Erstberatung angesprochenen Themen gibt die Abbildung. Abbildung 27: 1078 Themen in der Erstberatung von Herrn P. Thema Fundstelle Eigene Erkrankungen des ratsuchenden Ehemannes P21 Auseinandersetzung mit der Zukunftsperspektive P37 Selbstschutz P38 Disziplin P39 Belastungen P45, 47 Einbußen der Erkrankten: Agnosie P8 Problemverhalten der Erkrankten: Interesselosigkeit P24 Problemverhalten der Erkrankten: mangelnde Kooperation P27f., 30, 34 Verhalten der Erkrankten: Schläfrigkeit P23 Weitere Erkrankungen der Partnerin P19 Symptomatik und Verlauf der Demenz P44 vgl. Kuhn, Morhardt & Monbrod-Framburg 1993 262 Abbildung 27: Themen in der Erstberatung von Herrn P. Thema Fundstelle Vorgeschichte: chronische psychische Erkrankung der Ehefrau P5, 18 Von der dementen Frau nicht als Ehemann erkannt werden P25 Übernahme von Aufgaben, für die bisher die Ehefrau zuständig gewesen war P31 Sich für die kranke Partnerin verantwortlich fühlen P40 Pflegeproblem: Nahrungsaufnahme P26 Pflegeproblem: Inkontinenz P29 Verstehenshilfen und Umgang mit der dementen Frau P46, 66 Rolle der Kinder: Initiative ergreifen P3 Rolle der Kinder: Stütze P11, 49, 62 Allein ohne Unterstützung Dritter zurechtkommen wollen P9 Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor P51, 63 Hilfeoptionen aus dem Bereich niedrigschwelliger Angebote P51 Hilfeoptionen aus dem Bereich psychoedukativer Gruppenangebote P51 Pflegeversicherung P42, 48, 62, 67 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. Analyse des Falles Der Fall von Herrn P. zeigt einerseits einen spezifischen Stil, mit dem dieser Mann die Betreuung seiner Frau bewältigt. Andererseits steht dieser Fall auch für einen Typus von Sonderfällen in der Ehegattenberatung: Paare, deren Beziehung schon seit Jahren, lange vor dem Auftreten der Demenz, von chronischer Krankheit bei einem der Partner gekennzeichnet war. In dem Memo, das ich direkt im Anschluss an die Beratung geschrieben habe, hielt ich meinen subjektiven ersten Eindruck fest: „Er wirkt seltsam heiter, unangemessen heiter. Er berichtet meist mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. Galgenhumor? Spielt er den Gegenpart zu seiner depressiven Frau? Oder scheut er sich, seine wirklichen Gefühle in der Beratungssituation zu zeigen? Vor seiner Tochter? Vor mir, einer fremden Frau?“ Er berichtet ausführlich über tägliche Komplikationen bei der Pflege seiner Frau, die meist entstehen, weil sie aufgrund ihrer fehlenden Einsicht in die Notwendigkeit bei Pflegemaßnahmen nicht kooperiert. Mehrmals beschreibt er die Schwierigkeiten mit dem Bild „Das ist, als ob sie vier Hände hätte“ (28) und erzählt dann weiter: „Sie will immer raus: raus aus der Badewanne, wenn sie sich waschen soll; raus aus der Küche, wenn sie essen soll; raus aus dem Schlafzimmer, wenn sie sich anziehen soll.“ (34) Er fährt fort: „Ich sage dann immer: ‚Nee, Männeken, Du kommst hier nicht raus!’“ (35) In meinem Memo findet sich zu dieser Beratungssequenz ein Eintrag, der diesen Betreuungsstil charakterisiert: „Er 263 nimmt es sportlich. Er erzählt das wieder mit seinem verschmitzten Lächeln. Es hört sich so an, als sei das Ganze ein Spiel für ihn, bei dem es darum geht, seine Frau immer wieder neu zu überlisten. Von seiner Belastung wird nichts deutlich.“ Dieser Mann betrachtet die alltäglichen Anforderungen und Schwierigkeiten bei der Pflege als Herausforderung, gewissermaßen als einen Wettkampf, bei dem mal er, mal seine Frau siegt. Ihm ist deutlich sein Ehrgeiz anzumerken und sein Stolz, dass er viele Strategien entwickelt hat, „um das Spiel zu gewinnen“. Neben dieser spielerischen, verschmitzten Seite zeigt Herr P. aber auch resignative Züge. Auf die Frage, wie er sich die weitere Zukunft vorstelle, macht er zuerst eine wegwerfende Handbewegung und antwortet dann: „Da hat man sich ein dickes Fell zugelegt.“ (38) Mit der Handbewegung scheint er zu sagen, die Zukunft ist nicht der Rede wert, und mit dem Bild des dicken Felles spielt er auf das seit Jahrzehnten durch die psychische Krankheit seiner Frau gekennzeichnete gemeinsame Leben an. Das „dicke Fell“ steht für den Selbstschutz, den er sich zugelegt hat, dafür, die Dinge nicht mehr so nah an sich herankommen zu lassen, und auch seine Frau auf Sicherheitsabstand zu halten – eine Strategie, die für Angehörige von depressiv erkrankten Menschen sehr funktional sein kann, um sich nicht von der depressiven Stimmung des Patienten anstecken zu lassen. Anders als bei den anderen Paaren in den hier ausgewerteten Fällen ist bei diesem Paar die Gefährtenschaft schon seit langem verloren gegangen, und ihr Verlust scheint bitter als Tatsache hingenommen zu werden. Auch die Übernahme von Aufgaben, die früher die kranke Partnerin innehatte, ist längst kein Konfliktthema mehr („da ist man drin geübt“, 31). Möglicherweise verschwimmt sogar das Bild der Frau immer mehr zu einer geschlechtsneutralen pflegebedürftigen Person (er spricht sie mit „Männeken“ an, 35). Mit dem Hinweis auf das dicke Fell sagt Herr P. sich selbst, seiner Tochter und der Beraterin, nur auf diese Weise und nur in dieser Art der Beziehungsgestaltung lasse sich Zukunft für sie als Paar überhaupt vorstellen. Auf die Frage, ob er schon einmal daran gedacht habe, seine Frau in ein Heim zu geben, gibt er keine direkte Antwort, sondern führt seine Disziplin ins Feld: „Da gibt man sich einen Ruck, und dann geht's weiter.“ (39) Er mache sich nur Sorgen, „was passiert, wenn ich mal ausfalle“ (40). Es könnte sein, dass hier die Anwesenheit der Tochter eine Rolle spielt. Will er vor ihr über solche Überlegungen nicht sprechen. Die Tochter jedenfalls wechselt genau an dieser Stelle das Thema und beginnt Pflegeversicherungsleistungen zu sprechen (42). über den Antrag auf 264 Bisher ist deutlich geworden, die Demenz kann bei diesem Paar viele der Wirkungen, die sie bei anderen Paaren im Hinblick auf die Beziehungsqualität entfaltet, gar nicht mehr zeitigen, denn die Ehebeziehung ist längst durch die vorher bestehende psychische Erkrankung verändert. Herr P. scheint auch lange Zeit gar nicht bemerkt zu haben, dass seine Frau nun zusätzlich dement wird. Er berichtet, der Arzt habe ihm vor vierzehn Tagen „eröffnet“, seine Frau habe eine „schwergradige“ Demenz (20). Wenn die Demenz derart weit fortgeschritten ist, dann verwundert es, dass er die Diagnose des Arztes als „Eröffnung“ einer Neuigkeit und nicht als Bestätigung dessen, was er längst beobachtet hatte, auffasst. Hierfür können zwei Ursachen verantwortlich sein. Die Symptomatik einer Demenz kann durchaus mit depressiven Symptomen verwechselt werden. Die Unterscheidung einer Demenz von einer sogenannten Pseudo-Demenz, d.h. einer Depression, die sich in ihrer Symptomatik wie eine vermeintliche Demenz darstellt, gehört zu den manchmal schwierigen Aufgaben der Diagnostik. Man kann nun einwenden, ein Ehemann, dessen Frau seit Jahrzehnten manischdepressiv erkrankt ist, müsste die Symptome dieser Erkrankung bei ihr sehr gut kennen und deshalb kleinste Veränderungen in Richtung einer anderen Störung gut registrieren können. Dies ist in diesem Fall aber offenbar nicht geschehen. Das spricht für ein anderes Phänomen als Ursache. Sicherlich wird der Mann die Symptome seiner Frau gut kennen, jedoch ist er kein Arzt und deshalb nicht an der differenzialdiagnostischen Unterscheidung verschiedener Krankheits- symptome interessiert. Sein Fokus ist das alltägliche Zusammenleben als Ehepaar. Und in diesem Alltag könnte die Wahrnehmung des Mannes, „Ich habe eine kranke Frau“, als Deutungsmuster so dominant für alle ihre Äußerungen und Verhaltensweisen und für die Interaktionen der beiden sein, dass er nicht mehr so genau hinschaut, wie sich die Krankheitssymptomatik jeweils im Einzelnen darstellt. Dann wäre die Ehebeziehung, der Alltag des Paares und auch die Wahrnehmung, die der gesunde vom erkrankten Partner hat, so nachhaltig durch die allgemeine Zuschreibung „krank“ bestimmt, dass das Auftreten einer weiteren Erkrankung gar nicht auffällt. Doch auch wenn die Beziehung schon vorher verändert war, entsteht durch die Demenz nun noch einmal eine neue Dynamik. Auf Gedächtnisstörungen und kognitive Defizite seiner Frau muss sich Herr P. nun anders einstellen als zuvor auf ihre depressiven oder manischen Symptome. Wie wesentlich es ist, dem Ehemann Möglichkeiten zu bieten, Wissen über die Demenz zu erwerben, zeigt 265 eine Bemerkung der Tochter, die sich einige Tage nach der Erstberatung noch einmal telefonisch meldet. Sie erwähnt, der Vater habe in den Informationsbroschüren zum Umgang mit Demenzkranken gelesen, und sie habe den Eindruck, er sei dadurch ruhiger im Umgang mit seiner Frau geworden (66). Weitere Veränderungen werden aber vermutlich auch dadurch vorangetrieben, dass Herr P. selbst älter wird, selbst schwer krank ist (er hat Krebs, 21) und dadurch nicht mehr denselben Elan wie früher haben wird, seinen Betreuungsalltag als sportliche Herausforderung zu nehmen. 7.2.10 Beratung Frau Q. Zugang Frau Q., deren etwa 60-jähriger Ehemann seit einigen Jahren an einer Alzheimer-Demenz leidet, kam im Jahr 2000 schon zweimal in die Beratungsstelle und nahm auch an dem Kursus „Verwirrtheit im Alter“ teil. Somit handelt es sich bei der jetzt ausgewerteten Beratungssitzung nicht um eine Erstberatung. Doch kommt Frau Q. zu diesem Termin erstmals in Begleitung ihrer Tochter. Der Zugang zur Beratung ist über den behandelnden Arzt des Mannes erfolgt. Themen Im Fall von Frau Q. geht es um die Frage der Heimunterbringung des dementen Ehemannes. Alle Themen, die in dem Beratungsgespräch besprochen worden sind, finden sich in der folgenden Abbildung. Abbildung 28: Themen in der Beratung von Frau Q. Thema Fundstelle Körperliche Komplikationen beim dementen Partner Q17 Rolle der Kinder: Stütze Q21 Rolle der Kinder: Verpflichtungen gegenüber den Eltern Q24 Rolle der Kinder: Frage der Gerechtigkeit zwischen den Generationen Q25 Rolle der Kinder: Loyalitätskonflikt der pflegenden Ehegattin Q26 Auseinandersetzung mit der Heimunterbringung Q18ff., 23 Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor Q16 Hilfeoptionen aus dem Medizinsektor Q16 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. 266 Analyse des Falles Der Ehemann von Frau Q. erkrankte bereits vor seinem 60. Lebensjahr an einer Alzheimer-Demenz. Im Jahr 2000 war Frau Q. zweimal kurz aufeinander folgend in der Beratungsstelle und setzte sich in den Gesprächen damit auseinander, die Erkrankung ihres Mannes zu akzeptieren. Die Beraterin dokumentierte: Schwanken zwischen Hoffnung („dass es doch nicht die Krankheit ist“) und Wut und Trauer über das eigene Schicksal („Wenn mein Mann tot wäre, fände ich es, glaube ich, nicht so schlimm“, 7). Auch in dem Kursus „Verwirrtheit im Alter“ beschäftigte sie sich mit dieser Thematik. Fast drei Jahre später kommt sie nun zusammen mit ihrer Tochter wieder in die Beratungsstelle. Sie berichtet, ihr Mann besuche inzwischen eine Tagespflegeeinrichtung (16ff.). Nachdem er mehrmals zu Hause kollabiert sei, befinde er sich zur Zeit im Krankenhaus, wo man aber keine Ursache habe finden können. Sie sei sehr besorgt, ob sie unter diesen Bedingungen die Betreuung zu Hause weiter bewältigen könne. Sie wolle ihn deshalb vorsorglich in einem Pflegeheim anmelden und wünscht über Vorgehensweise und Finanzierung informiert zu werden. Während der Beratung schwankt sie immer wieder hin und her zwischen dem Wunsch, ihn zu Hause zu behalten, und der Sorge, es wegen neuerlicher körperlicher Zusammenbrüche des Mannes nicht zu schaffen ( „Wir haben eine steile Treppe“, 20). Die Tochter, schätzungsweise zwischen 20 und 30 Jahre alt, ermutigt die Mutter, die Heimunterbringung ins Auge zu fassen. Sie sagt mehrfach an die Mutter gewandt: „Du musst auch an dich denken“ und „Du schaffst das so nicht mehr mit ihm“ (21). Als über die Finanzierung einer Heimunterbringung gesprochen wird, erkundigt sich die Tochter detailliert nach der Unterhaltspflicht, die sie als Tochter gegenüber dem Vater hat. Sie habe zusammen mit ihrem Verlobten für den Bau eines Eigenheims Vermögen angespart. Zur Mutter gewandt sagt sie: „Das gebe ich nicht her.“ (25) Die Mutter daraufhin ratlos: „Was können wir denn tun?“(26) Die Tochter antwortet vage: „Wir müssen uns was einfallen lassen.“ (27) Es geht hier um die Frage der Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Die Tochter ist in einem Konflikt. Sie möchte einerseits die Mutter entlasten, sieht andererseits aber ihre eigene Zukunft zur Disposition gestellt. Die Mutter gerät in einen doppelten Konflikt. Sie muss einerseits entscheiden zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und ihrer Loyalität zum Ehegatten, andererseits zwischen ihren eigenen Interessen und ihrer Loyalität zum Kind. Eine Lösung finden die 267 beiden innerhalb der Beratung nicht. Der weitere Fallverlauf zeigt aber, dass der Mann später in einem Heim untergebracht worden ist. Um das Zusammenspiel der Generationen bei der Versorgung eines pflegebedürftigen alten Menschen besser zu verstehen, wäre es auch notwendig mehr darüber zu wissen, wie Familien die Entscheidungsprozesse um die Gerechtigkeitsfrage handhaben. 7.2.11 Erstberatung Frau R. Zugang Frau R. kommt in Begleitung ihres Sohnes und auf Anraten des behandelnden Arztes ihres Mannes zur Erstberatung. Der Ehemann von Frau R. ist 76 Jahre alt. Er ist seit etwa 15 Jahren nach einem Schlaganfall pflegebedürftig und hat im Laufe der Jahre eine Demenz entwickelt. Themen Das Schwerpunktthema dieser Beratung sind Hilfen und Entlastung bei der häuslichen Versorgung des Mannes. Alle in dieser Beratung angesprochenen Themen finden sich in der folgenden Abbildung. Abbildung 29: Themen in der Erstberatung von Frau R. Thema Fundstelle Belastung R8, 14f. Problemverhalten des Erkrankten: Klammern R11f.,18 Problemverhalten des Erkrankten: nächtliche Unruhe R13 Problemverhalten des Erkrankten: fehlende Einsicht R33 Bedeutung des Einverständnisses des Partners bei wesentlichen Entscheidungen R20, 43 Loyalität gegenüber dem Partner R36, 39 Tagesstruktur, Beschäftigung für den Erkrankten R12 Rolle der Kinder: Initiative ergreifen R5, 9 Rolle der Kinder, nicht näher bezeichnet R44 Motivation des Patienten, Hilfen und Behandlung zuzulassen R22, 24 Hilfeoptionen aus dem Medizinsektor R16, 30, 34, 42 Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor R26, 29, 38 Hilfeoptionen aus dem Bereich niedrigschwelliger Angebote R32 Pflegeversicherung R27 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. 268 Analyse des Falles Der Fall von Frau R. und ihrem Sohn gewährt einen Einblick in die Interaktion zwischen Mutter und Sohn und in die unterschiedlichen Vorstellungswelten, aus denen heraus die beiden handeln. Der Sohn ergreift in der Beratung sofort das Wort und hält während des gesamten Gespräches etwa 80% der Redeanteile1079. In seinem Anfangsstatement führt er aus, der Vater sei seit Jahren pflegebedürftig, jetzt müsse etwas geschehen, weil „das Nervenkostüm meiner Mutter nicht mehr lange hält. Darüber sind wir einig“ (8f.). Man möchte an dieser Stelle sofort fragen, worüber die beiden denn nicht einig sind. Und genau diese Unterschiedlichkeit der Wahrnehmungen und Interessen charakterisiert dann auch diesen Fall. Der Sohn beschreibt dann ausführlich die Belastungen, die er bei seiner Mutter feststellt (11ff.): Der Vater weiche nicht mehr von ihrer Seite, „sie kann eigentlich nur noch alleine zur Toilette gehen“. Sie gebe ihm kleine Aufträge, „er hat seine sechzehn Aufträge“, Mülleimer wegbringen und ähnliches, die er auf Aufforderung hin erledige. „Dann steht er ihr wieder im Rücken.“ Kritisch sei es, dass er neuerdings auch nachts nicht mehr durchschlafe und dann umherirre. Frau R. bestätigt auf Nachfrage alle Punkte, die ihr Sohn beschrieben hat. Der Sohn spricht dann über die Schwierigkeiten, den Vater zum Besuch einer Tagespflege oder ähnlichem zu motivieren (22). Der Vater akzeptiere nur Ärzte als Autorität. Man könne ihm eine Tagespflege nur nahe bringen, wenn er den Aufenthalt dort als eine medizinisch indizierte Behandlung betrachten könne. Der Sohn: „Da muss ein ‚Weißkittel’ sein, der ihn dreimal mit dem Stethoskop abhört und ihm dann sagt: ‚Das und das machen wir jetzt!’“ (22) Frau R. wirft ein, ihr Mann könne, wenn überhaupt nur die Tagespflege im Gerontopsychiatrischen Zentrum akzeptieren, da er das Haus aus früheren Zusammenhängen her kenne und schätze (24). Im weiteren Verlauf der Beratung werden verschiedene Hilfemöglichkeiten durchgespielt (Tagespflege, Tagesklinik, häuslicher Betreuungsdienst, 26ff.). Der Sohn präferiert die „großen Lösungen“, Tagespflege oder Tagesklinik, während seine Mutter, die ansonsten wenig in dem Gespräch sagt, hier sehr deutlich zu verstehen gibt, dass sie beides zur Zeit noch nicht möchte. So belastet sei sie nicht (31). Auf den Vorschlag, ihren Mann einmal in der Woche in eine ambulante Ergotherapiegruppe für Demenzkranke zu schicken, reagiert sie dagegen sofort positiv: „Die ambulante Gruppe, das ist das Richtige. Da hab’ ich nicht das 1079 Dies hielt ich als eines der hervorstechenden Merkmale dieser Beratung in dem Memo fest, das ich direkt im Anschluss an das Gespräch schrieb. 269 Gefühl, dass ich ihn abschiebe.“ (35f.) Zum Abschluss des Gespräches wiederholt sie dies noch einmal: „Jetzt sind wir ein ganzes Stück weiter. Die ambulante Gruppe ist das Richtige. Da hab’ ich nicht das Gefühl, dass ich ihn abschiebe.“ (39) Einige Tage später meldet sich Frau R. telefonisch und berichtet, ihr Mann sei sehr motiviert, an der Ergotherapie teilzunehmen. Er frage sogar von sich aus danach. Sie möchte ihrem Mann deshalb möglichst bald die Teilnahme ermöglichen und bittet, rasch einen Kontakt zu dem Ergotherapeuten herzustellen. Sie erwähnt noch, außerdem komme ihr Sohn am Wochenende zu Besuch, „dann kann ich ihm Rede und Antwort stehen“ (44). Deutlich lässt sich in dieser Beratungssequenz die Interaktion zwischen Mutter und Sohn nachzeichnen. Der Sohn beobachtet seit Jahren, wie belastet seine Mutter ist, und er möchte, dass es ihr besser geht. Er dominiert mit seinen Redeanteilen eindeutig das Gespräch, gibt seiner Mutter Anweisungen (er weist seine Mutter an, der Beraterin ärztliche Unterlagen vorzulegen, 10) und macht insgesamt den Eindruck, dass er jetzt durchgreifen und Lösungen in die Tat umsetzen will. Seine Mutter lässt ihm sehr viel Raum, ausführlich seine Einschätzungen und Vorstellungen darzustellen. Sie bestätigt die eigene Belastung, verfolgt aber sonst weitgehend passiv die Überlegungen zu verschiedenen Hilfe- und Entlastungsmöglichkeiten. In meinem Memo kurz nach der Beratung schrieb ich: „Sie sitzt regungslos auf dem Sofa und blickt vor sich hin.“ Andererseits weiß sie sehr genau, was sie will. Wenn die Dinge in eine Richtung laufen, die ihr nicht zusagt, dann interveniert sie deutlich, etwa bei der Idee, den Mann in tagesklinische Behandlung einweisen zu lassen (31). Die Entscheidungen, die in dieser Sitzung fallen, werden ohne Ausnahme von ihr getroffen. Sie sagt, was nicht passieren soll (Tagesklinik, ehrenamtlicher Dienst), und was passieren soll (ambulante Ergotherapie, weitere Beratung zu Pflegeversicherungsfragen). Zu der Option „Tagespflege“ gibt sie eine bedingte Zustimmung, indem sie ihren Mann auf die Warteliste setzen lässt (38), ohne dass diese Option wegen der längeren Wartezeit (29) in allernächster Zeit konkret für sie werden wird. Von sich aus ergreift sie etwa fünfmal das Wort: einmal, um mitzuteilen, dass ihr Mann von ihrem Besuch in der Beratungsstelle weiß und damit einverstanden ist (20); einmal, um darzulegen, dass er das Gerontopsychiatrische Zentrum kennt und schätzt (24); ein weiteres Mal, um noch einen weiteren Termin zu vereinbaren, bei dem sie sich über die Pflegeversicherung informieren will (38), und zweimal, um ihrer Erleichterung 270 Ausdruck zu geben, dass sie mit der gefundenen Lösung nicht das Gefühl haben muss, ihren Mann „abzuschieben“ (36, 39). Solange Lösungen verfolgt werden, denen sie zustimmt, kann sie dann auch ihrem Sohn das Gefühl lassen, er habe die Fäden in der Hand: Sie wird ihm bei seinem nächsten Wochenendbesuch „Rede und Antwort stehen“, was sie unternommen hat, um die geplante ergotherapeutische Behandlung zu realisieren. In Wahrheit ist sie dabei die Entscheidungstragende, die im Einvernehmen mit ihrem Mann handelt, nachdem er durch sein aktives Nachfragen seine Zustimmung signalisiert hat (43). Ein zweites Charakteristikum dieser Beratung sind die grundlegend unterschiedlichen Wahrnehmungen desselben Sachverhaltes. Der Sohn sieht die Belastung seiner Mutter und möchte, dass es ihr besser geht. Den Vater betrachtet er dabei als Objekt, als Ursache für die Belastung seiner Mutter und als einen Faktor, der zumindest zeitweise irgendwo anders hin verschoben werden muss, um die Belastung der Mutter zu reduzieren. Der Sohn schätzt ganz rational ein, dass der Vater aufgrund seiner Demenz nur sehr eingeschränkt in der Lage ist, seine Situation und die seiner Frau angemessen zu beurteilen. Deshalb steht es für ihn nicht zur Diskussion, ihn in die Entscheidung über mögliche Lösungen des Problems einzubeziehen. Er denkt ganz zweckrational darüber nach, wie das „Objekt Vater“ so manövriert werden kann, dass es der Mutter wieder besser gehen kann. Er kalkuliert dabei durchaus Widerstände des Vaters ein, doch nicht in einer Weise, solche Widerstände durch Überzeugungsarbeit zu beseitigen, sondern sie durch geschicktes Manövrieren außer Kraft zu setzen. In diesem zweckrationalen Kalkül ist es für ihn legitim, den Vater zu manipulieren, indem man seinen Autoritätsglauben gegenüber Ärzten ausnutzt (23) und ihn auf diese Weise für den Besuch einer Tagespflegeeinrichtung motiviert. Das sind überhaupt nicht die Gedankengänge seiner Mutter. Solche Gedanken laufen geradezu konträr zu den Bestrebungen der Ehefrau. Sie betont, ihren Mann in Entscheidungen einzubinden. Sie sagt eigens, ihr Mann wisse von ihrem Besuch in der Beratungsstelle und sei damit einverstanden gewesen (20). Sie spricht so wenig in dieser Beratung, da muss es ihr offenbar wichtig sein, dies zu sagen. Das heißt zum einen, sie will nichts hinter seinem Rücken tun. Und das sagt zum anderen, anders als ihr Sohn sieht sie ihren Mann nicht als Objekt. Sie führt ihn als Subjekt in das Gespräch ein, als Individuum, das mit einer Handlung einverstanden ist, also über einen Willen und Entscheidungsfreiheit verfügt. Ähnlich wie viele andere Ehegatten in den hier ausgewerteten Fällen will auch 271 sie Entscheidungen gemeinsam mit dem Gatten treffen. Anders als der Sohn, der den Vater auf dem Wege einer Manipulation zum Besuch der Tagespflege bringen will, überlegt sie, ihren Mann mit einem Argument zu motivieren, von dem sie annimmt, dass er es akzeptieren kann (er kennt die Einrichtung von früher und schätzt sie). Auch wenn sie die Symptome seiner Demenz täglich erlebt und wahrscheinlich viel deutlicher als der Sohn sehen kann, was ihr Mann alles nicht mehr kann, ist für sie dennoch die rationale Überlegung, ihn deshalb aus dem Entscheidungsprozess auszuschließen, nicht vorstellbar. Sie hält daran fest, dass sie als Paar gemeinsam Entscheidungen treffen, und sie nichts hinter seinem Rücken tut. Konsequent organisiert sie die ergotherapeutische Behandlung auch erst in einem Telefonat einige Tage nach der Beratung, nachdem sie mit ihrem Mann darüber gesprochen und von ihm sein Einverständnis erhalten hat. Sie selbst hatte die ambulante Ergotherapie deshalb präferiert, weil sie dabei nicht das Gefühl hat, „ihn abzuschieben“ (36, 39). Diese Sorge, die von vielen Ehegatten zu hören ist, bekommt nach den obigen Überlegungen eine spezielle Bedeutung. Abschieben, verschieben, hin und her manövrieren, das tut man mit einer Sache. Das entspricht dem zweckrationalen Herangehen des Sohnes. Sie aber möchte ihren Mann nicht als Sache verstanden wissen. Sie möchte daran festhalten, dass er ein Subjekt ist. Mit diesem Festhalten tut sie auch etwas für sich selbst. Sie stellt damit sicher, selbst noch Teil eines Paares zu sein, denn ein Paar kann nur aus zwei Subjekten bestehen, nicht aus einem Subjekt und einem Objekt. So gesehen muss sie das zweckrationale Betrachten der Situation auch um ihrer selbst willen zurückweisen. 7.2.12 Beratung Frau S. Zugang Frau S. war Anfang 2004 einmal zusammen mit ihrem damals 75-jährigen, demenziell erkrankten Bekannten in der Beratungsstelle. Es ging damals um die Organisation verschiedener therapeutischer Maßnahmen (ambulante Ergotherapie und Logopädie). Nach etwa einem Jahr, Anfang 2005, meldet sie sich telefonisch erneut und bittet um ein Beratungsgespräch, in dem es um ihre persönliche Situation gehen solle. 272 Themen Der Schwerpunkt dieser Beratung liegt in der Auseinandersetzung mit dem bevorstehenden Abschied von dem erkrankten Geliebten. Abbildung 30: Themen in der Beratung von Frau S. Thema Fundstelle Seelische Belastung der Ratsuchenden S18, 21, 50, 54, 60 Abgrenzung gegenüber dem Partner S43 Eigene gesundheitliche Probleme der Ratsuchenden S53 Sorge um das eigene Wohlbefinden S56f. Wahrnehmen erster Anzeichen der Demenz S9 Patientenverhalten: Vergessen von Terminen S33 Patientenverhalten: Abnahme kognitiver Funktionen S34 Patientenverhalten: Niedergeschlagenheit S35 Ansprechen der langjährigen gemeinsamen Liebesbeziehung S4 Rückblick auf die Beziehung S6, 7, 45, 47 Arrangement der Beziehungen; Rollen- und Aufgabenverteilung zwischen Ehefrau und Geliebter S10, 12, 16, 19, 24, 29, 42, 48, 52 Gewissheit, dem Partner helfen zu können S37 Verlust des Partners als Gesprächspartner S30, 38f. Verlust des Partners S32, 46, 59 Mit dem Erkrankten über die Demenz sprechen S11 Loyalität zum Partner S20, 29, 41, 51 Sorge um das Wohlergehen des Partners S12, 15f., 23, 28, 41, 48 Wunsch, der Partner möge bald erlöst werden S22 Alltagsgestaltung S36 Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt. Analyse des Falles Frau S. kommt allein zur Beratung und berichtet, sie habe seit über 30 Jahren zu dem verheirateten Herrn X. eine geheime Liebesbeziehung, von der nur sehr wenige Menschen wüssten. Auch die Ehefrau von Herrn X. wisse nichts davon. Zunächst der Kinder wegen habe Herr X. sich nicht von seiner Familie getrennt. Das Problem sei immer gewesen, dass „zu Hause“, d.h. in der Familie von Herrn X., niemals über Probleme gesprochen worden sei. Die Frau sei „regieführend“ (6) gewesen, er habe sich ihr untergeordnet. Er habe es stets auch vermieden, mit ihr, d.h. der Geliebten, über das Thema „Ehefrau“ zu sprechen. Sie sagt: „Wir hatten ein sehr schönes Verhältnis“ (7) und „ich habe ihn auch nicht gedrängt, sich von seiner Frau zu trennen“(7). Er sei ein „edler, friedliebender Mensch“ (7). Vor etwa vier Jahren seien erste Gedächtnisstörungen bei ihm aufgetreten. 273 Sie habe dafür gesorgt, dass er in Behandlung gekommen sei. Sie sei „mit ihm bei all den Ärzten gewesen, ich habe das alles mit ihm durchgezogen“(10). Es sei eine Demenz diagnostiziert worden. Er kenne seine Diagnose, und sie sprächen offen darüber. Sie habe dafür gesorgt, dass er in ergotherapeutische und logopädische Behandlung gekommen sei, und sie achte noch heute darauf, dass er die Termine dieser Behandlungen wahrnehme, indem sie ihn daran erinnere und ihn bedarfsweise dorthin begleite. Sie vermutet, in der Familie X. werde über das Problem der Erkrankung nicht gesprochen, so wie dort überhaupt über Probleme nicht gesprochen werde. Sie habe Herrn X. geraten, Informationsbroschüren über Demenz offen in der Wohnung auszulegen, damit die Ehefrau darauf stoßen könne. Doch wisse sie nicht, ob er das getan habe. Er habe erwähnt, seine Frau beschwere sich wegen der Belastungen, die er ihr nun bereite. Sie beendet diese Eingangserzählung weinend mit den Sätzen: „Ich weiß nicht mehr weiter, ich gehe dabei zugrunde. Wenn ich ihn von morgens bis abends bei mir hätte, könnte ich ihm helfen. Ich mag ihn nicht fallen lassen. Das tut so weh.“ (18ff.) Sie fragt, ob es die Möglichkeit gebe, dass die Beratungsstelle die Ehefrau aufsuche, um diese über die Krankheit des Mannes zu informieren und sie dabei zu unterstützen, den Mann angemessen zu betreuen. Sie wolle aber nicht, dass ihr Name dabei genannt werde. Nachdem geklärt ist, dass dies nicht möglich ist, überlegt sie, sich selbst an die Ehefrau zu wenden, kommt im Laufe des Gespräches jedoch zu dem Ergebnis, damit würde sie ihrem Geliebten in den Rücken fallen. Er habe all die Jahre die Beziehung geheim halten wollen, und jetzt sei es zu spät, „vernünftig“ (30) mit ihm darüber zu sprechen. Sie träfen sich seit seiner Berentung vor einigen Jahren etwa zweimal in der Woche. In der letzten Zeit würden die Treffen jedoch seltener. Er verliere die Orientierung, vergesse die Treffen. Er komme häufig sehr niedergeschlagen zu ihr. Sie sprächen dann miteinander, sie mache Gedächtnisübungen mit ihm oder sie sähen gemeinsam fern. Es sei „so erbauend, wenn er geht, und es ihm besser geht“ (37). Doch seine Störungen würden immer deutlicher. Gespräche seien einsilbiger, und er erinnere sich von einem zum anderen Treffen nicht mehr an das, was besprochen worden sei. Sie habe ihm damals, als die Demenzdiagnose gestellt worden sei, angeboten, seine Frau zu verlassen und zu ihr zu ziehen. Doch das habe er abgelehnt. „Das wollte er mir nicht antun.“ (42) Jetzt, so deutet sie in einem gemurmelten Nebensatz an, könne sie das auch nicht mehr. 274 Die wenigen Bekannten, die von ihrer Beziehung wüssten, sagten: „Das mit euch beiden, das muss etwas ganz Besonderes sein.“ (45) Sie spüre jetzt aber ganz deutlich: „Der Abschied rückt näher.“ (46) Auf die Frage der Beraterin, ob sie den Eindruck habe, ihn jetzt ganz zu seiner Ehefrau entlassen zu müssen, antwortet sie, das sei es nicht. Das habe sie all die Jahre immer wieder tun müssen. Das Schwere daran jetzt sei, „dass ihm dort nicht geholfen wird“ (48). Sie sagt noch einmal, sie möge ihn nicht fallen lassen. Sie sei „seine einzige Anlaufstelle“ (52). Doch habe sie selbst gesundheitliche Probleme, und die Sorgen um Herrn X. gingen jetzt „an den Rand meiner Kräfte“ (54). Sie äußert, es würde ihr gut tun, wenn die Beraterin ihr klar sagte, sie solle jetzt mehr an sich selbst denken. Auf die Bemerkung der Beraterin, sie dürfe sich durchaus auch selbst die Erlaubnis geben, für sich zu sorgen, manchmal stecke man allerdings in so verzwickten Situationen und brauche dann jemanden, der das, was man selbst tun möchte, erlaubt, antwortet sie: „Genau so ist das.“ (57) Sie habe eine enge Freundin, die ihr auch immer sagte, sie solle jetzt an sich denken, und es tue ihr gut, wenn die Freundin das sage. Sie wiederholt noch einmal, der Abschied rücke näher, er werde bald vermutlich den Weg zu ihr vergessen haben. Sie weint. Sie bittet die Beraterin, das Gespräch damit zu beenden und noch ein paar Minuten allein in dem Beratungszimmer bleiben zu dürfen, um sich wieder zu beruhigen. Dieser letzte Fall steht wieder für einen Typus von Sonderfällen: außereheliche Liebesbeziehungen, bei denen einer der Partner demenziell erkrankt. Sehr eindrucksvoll zeigt die Erzählung von Frau S., wie das Arrangement der Beziehungen, welches diese drei Personen über einen so langen Zeitraum aufrecht erhalten haben, nun nicht mehr lange halten wird, da der Mann mit fortschreitender Demenz hierzu nicht mehr in der Lage sein wird. Ganz praktisch nicht mehr, weil er vermutlich tatsächlich in absehbarer Zeit den Weg zu seiner Geliebten vergessen haben wird, aber vor allem kognitiv nicht mehr, weil er das Geflecht der Geheimhaltungen, unterschiedlichen Loyalitäten und Rollenzuschreibungen nicht mehr überblicken und gestalten können wird. Vordergründig thematisiert die ratsuchende Geliebte zwei Themen, nämlich Loyalität und Abschied. Sie sorgt sich um sein Wohlbefinden, empfindet sich selbst als „seine einzige Anlaufstelle“ (52) und befürchtet, dass er von seiner Ehefrau nicht angemessen versorgt wird (14ff.,23). Gleichzeitig spürt sie den Abschied näher rücken (46), möchte den Mann jedoch „nicht fallen lassen“ (20, 275 51). Sie stellt in ihrer Erzählung die Rollen- und Aufgabenverteilung zwischen sich selbst als Geliebter und der Ehefrau sehr klar her. Sich selbst sieht sie zuständig für das emotionale Wohlbefinden des Mannes, sie ist seine Vertraute und seine Gesprächspartnerin. Die Ehefrau ist diejenige, mit der er den Alltag verbringt. Frau S. sieht sie aber keinesfalls in der Rolle der Gefährtin des Mannes. Sie unterstellt, die Ehefrau dominiere ihn, verschließe sich seinen Nöten und denke vor allem an sich selbst (sie beschwere sich zum Beispiel über die Belastungen, die er ihr bereite, 16). Es ist mit den Informationen dieser Einzelberatung nicht zu klären, ob dies alles so den Tatsachen entspricht, wichtig ist aber, dass dies die Wahrnehmung von Frau S. ist. Und in dieser Wahrnehmung sieht sie sich selbst als die einzige Anwältin, die das Wohl des Mannes im Auge hat. Ihr Dilemma ist, dass sie diese Funktion bald nicht mehr wird erfüllen können. Einen Hinweis auf eine unter all diesem liegende Ebene gibt ein Nebensatz von Frau S. Etwa in der Mitte des Gespräches erwähnt sie, sie habe dem Mann, als die Diagnose der Demenz gestellt worden sei, angeboten, sich von seiner Ehefrau zu trennen und zu ihr zu ziehen (41ff.). Das habe er abgelehnt, weil er ihr das nicht habe antun wollen – und sie murmelt dann in einem Nebensatz „und jetzt kann ich das auch nicht mehr“. Man könnte nun annehmen, nachdem die Demenz zwischenzeitlich einige Jahre vorangeschritten ist, ist ihr deutlicher vor Augen, was die Betreuung des Kranken bedeuten könnte, und sie schreckt deshalb jetzt davor zurück. Der Satz kann aber auch darauf deuten, dass sie es nicht mehr kann, weil sich die Beziehung zwischen den beiden inzwischen entscheidend verändert hat. In der Gesprächssequenz zuvor hatte sie beschrieben, wie ihre Treffen heute aussehen (35ff.). Er komme oft sehr niedergeschlagen zu ihr und es tut ihr offenbar gut, wenn sie ihn wieder aufrichten kann (37). Solange sie als seine Gesprächspartnerin und Vertraute fungieren, sein emotionales Wohlbefinden fördern kann, bewegt sie sich im vertrauten Muster dieser Beziehung. Doch sie schildert dann, dass seine Störungen immer deutlicher würden, die Gespräche einsilbiger verliefen und er sich von einem zum anderen Treffen nicht mehr an das, was sie besprochen hätten, erinnern könne. Die Demenz zerstört hier also die spezifische Substanz dieser Beziehung, Gesprächspartnerin indem und die Geliebte Vertraute den Mann nicht erreichen kann. Anders mehr als als in Zweierbeziehungen bleibt der Frau in diesem Dreier-Arrangement mit geteilten Aufgaben und Rollen nun nichts mehr, was ihre Beziehung zu dem Mann tragen 276 könnte. Ihre Sorge, dem Mann könne es an etwas fehlen, wenn er zukünftig von seiner Ehefrau allein betreut wird, ist nach diesen Überlegungen einleuchtend. Nachdem der Mann über Jahrzehnte bestimmte Anteile, die zu einer Zweierbeziehung gehören, systematisch in die außereheliche Liebesbeziehung ausgelagert hat, ist kaum zu erwarten, dass die Ehefrau diese jahrzehntelang nicht gelebten Beziehungsanteile übernehmen wird, wenn die Geliebte wegfallen wird. Für eine Klärung der Verhältnisse ist es tatsächlich zu spät, weil der Mann hierzu kognitiv nicht mehr in der Lage sein wird. 277 8 Zusammenfassung der Ergebnisse Das Ziel der explorativen Studie, die in den vorangegangenen Kapiteln dargestellt worden ist, war es, einen orientierenden Überblick über das Feld der Beratung von Ehegatten Demenzkranker zu schaffen: 1. in der Breitendimension anhand der Frage nach typischen Fällen und Sonderfällen; 2. in der Tiefendimension anhand der Frage nach den Themen, mit denen die Ehegatten in die Angehörigenberatung kommen. Bisher sind die Ergebnisse jeweils bezogen auf den einzelnen Fall dargestellt und diskutiert worden. Im folgenden Abschnitt werden sie fallübergreifend zusammengefasst. Fallübergreifend diskutiert werden die Ergebnisse im Teil III der Arbeit. 8.1 Breitendimension des Feldes Als typische Fälle können nach der Erkundung des Feldes ältere Ehepaare oder langjährige nichteheliche Lebensgemeinschaften gelten, die das Erwerbsleben weitgehend hinter sich gelassen haben, deren Kinder erwachsen sind und bei denen die Demenz weitreichende Umbrüche in einer Beziehung bewirkt, die zuvor noch nicht dominant durch eine chronische Erkrankung eines der Partner gekennzeichnet war. Als Sonderfälle tauchen bei der Exploration des Feldes folgende Typen auf: • Paare, die zu einem früheren Zeitpunkt im Lebenszyklus als die typischen Fälle mit der Demenz konfrontiert werden (Younger-onset-Demenzen); • Zweit- oder Folgeehen bzw. Zweit- oder Folgelebensgemeinschaften, d.h. junge Beziehungen, bei denen einer der Partner demenziell erkrankt; • Paare, deren Beziehung durch langjährige Konflikte und Eheprobleme gekennzeichnet ist; • außereheliche Beziehungen, bei denen einer der Partner demenziell erkrankt; • Paare, bei denen seit Jahren eine chronische Erkrankung eines der Partner die Beziehung dominant gekennzeichnet hat, und bei denen dieser chronisch Kranke im Alter zusätzlich demenziell erkrankt; 278 • Fälle von schwerer Gewalt in einer durch die Demenz veränderten Partnerschaft. 8.2 Tiefendimension des Feldes Das Ergebnis des Kodierens, d.h. die Konzeptualisierungen aller in den Beratungen aufgetauchten Themen und die Kategorien, zu denen ich sie gruppiert habe, ist im Anhang 3 aufgeführt. Ich habe vier Hauptkategorien von Themenfeldern entwickelt, mit denen sich die Ehegatten in der Beratung auseinander setzen: das „Ich“ - die persönliche Situation des Ratsuchenden, das „Du“ - die demenzbedingten Veränderungen des Partners, das „Wir“ - die Situation als Paar und die „Anderen“ - die Rolle von Kindern, Freunden und dem weiteren informellen sozialen Umfeld sowie von professionellen Diensten und gesellschaftlich bereitgestellten Unterstützungsangeboten im weitesten Sinne. Abbildung 31: Themenfelder in der Beratung von Ehegatten Demenzkranker Themenfelder in der Beratung von Ehegatten Demenzkranker das „Ich“ das „Du“ die persönliche Situation des Ratsuchenden die Veränderungen des dementen Partners das „Wir“ die „Anderen“ die Situation des Paares die Rolle des sozialen Umfeldes 279 (a) Das „Ich“ - die persönliche Situation In diesem Themenfeld werden zwei Unterkategorien gebildet: (1) Erleben und Belastungen des ratsuchenden Ehegatten im Kontext der Demenzerkrankung des Partners und der häuslichen Pflege sowie (2) Erleben des ratsuchenden Ehegatten im Kontext anderer alterstypischer Entwicklungsaufgaben und Krisen. (vgl. Abbildung 32 und Anhang 3). Abbildung 32: Themenkategorien und Unterkategorien Kategorien Unterkategorien Das „Ich“ • • Erleben und Belastungen des ratsuchenden Ehegatten im Kontext der Pflege Erleben im Kontext anderer alterstypischer Entwicklungsaufgaben und Krisen • Symptomatik der Demenz Veränderungen der Persönlichkeit des Kranken Problemverhalten des Kranken Körperliche Komplikationen und Pflegeprobleme Die persönliche Situation des ratsuchenden Ehegatten Das „Du“ Die Veränderungen des dementen Partners • Das „Wir“ • Die Situation des Paares • Die „Anderen“ • Die Rolle des sozialen Umfeldes • Veränderungen der Ehebeziehung Gefährtenschaft und Intimität Loyalität und Vertrauen Souveränität, Gleichberechtigung, Alltagsorganisation und Macht Gerechtigkeit und Liebe Beziehungsgeschichte und Paardynamik Aspekte einer Pflegebeziehung Die Rolle der Kinder und weiterer Personen Kinder weitere Personen Information über informelle und formelle Hilfeangebote Auseinandersetzung mit Hilfeoptionen Erfahrungen mit der Inanspruchnahme professioneller Dienste sozialrechtliche Fragen vgl. Anhang 3 Zu der ersten Unterkategorie zählen die Sorge um das eigene Wohlbefinden, das Sprechen über die vielfältigen Belastungen und die Erschöpfung sowie das Ventilieren der eigenen Gefühlsreaktionen angesichts der Erkrankung des Partners. Auch Schwierigkeiten, die Krankheit zu akzeptieren, gehören in dieses Feld. Weitere Themen sind die Auseinandersetzung mit den eigenen Interessen und Bedürfnissen auf der einen und Verzicht und Verlusten auf der anderen Seite. Zudem sind es Berichte über die Schwierigkeiten, aber auch die Befriedigung darüber, sich vielen neuen Herausforderungen stellen zu müssen. Themenbereiche, die eine Auseinandersetzung der Ehegatten mit anderen, nicht direkt mit der Demenz verbundenen alterstypischen Entwicklungsaufgaben und Krisen anzeigen, sind Gedanken zur eigenen Zukunftsperspektive, die 280 Beschäftigung mit existenziellen Fragen wie beispielsweise der Sinnfrage oder dem gedanklichen Antizipieren des Todes. Die Übersicht über alle in diesem Themenfeld angesprochenen Themen findet sich im Anhang 3. (b) Das „Du“ - die Veränderungen des dementen Partners In diesem Themenfeld werden 4 Unterkategorien gebildet: (1) Symptomatik der Demenz, (2) Veränderungen der Persönlichkeit des Partners, (3) Problemverhalten des Demenzkranken und (4 ) körperliche Komplikationen und Pflegeprobleme (vgl. Abbildung 32 und Anhang 3). In diesem Themenfeld erzählen die ratsuchenden Ehegatten häufig sehr ausführlich, wie sie die ersten Krankheitszeichen bei ihrem Partner wahrgenommen haben, und sie beschreiben anhand beispielhafter Szenen, wie sie den allmählichen Verfall seiner mnestischen, kognitiven und alltagspraktischen Fähigkeiten sowie die Veränderung seiner Persönlichkeit im Alltag erlebt haben. Sie werden über Krankheitssymptomatik und –verlauf informiert und erörteren mit den Beraterinnen, auf welche Weise sie mit problematischen Verhaltensweisen des dementen Partners umgehen können. Die Liste dieser Problemverhaltensweisen, die in den Beratungen zur Sprache kommen, ist beachtlich lang und vielfältig und wirft, ebenso wie vielfältige Pflegeprobleme im körperlichen Bereich, ein Licht auf die alltäglichen Herausforderungen, mit denen die Paare zu kämpfen haben. Die Übersicht über die Themen dieses Feldes findet sich im Anhang 3. (c ) Das „Wir“ - die Situation des Paares Die in den beiden oberen Abschnitten zusammenfassend beschriebenen Themen zeigen noch nichts Spezifisches der Situation von Ehegatten. Auch ratsuchende Kinder setzen sich mit ihrer persönlichen Situation und den demenzbedingten Veränderungen des betroffenen Elternteils auseinander. In welcher Weise sich Kinder und Ehegatten hierbei unterscheiden, wäre interessant zu wissen, lässt sich jedoch mit den Daten dieser explorativen Untersuchung nicht beantworten. Anders ist das bei dem im Folgenden darzustellenden Themenfeld. Wenn die Ehegatten sich in der Beratung mit den Veränderungen ihrer Beziehung zum Kranken beschäftigen, dann bringt dies viele Besonderheiten der Situation einer von Demenz betroffenen Ehe zu Tage. 281 Dieses Themengebiet lässt sich in zwei Gebiete unterteilen: (1) die Veränderungen der Ehebeziehung und (2) Aspekte einer Pflegebeziehung. Für das Gebiet der „Ehebeziehung“ werden 5 Unterkategorien gebildet: (1) Gefährtenschaft und Intimität, (2) Loyalität und Vertrauen, (3) Souveränität, Alltagsorganisation und Macht, (4) Gerechtigkeit und (5) Beziehungsgeschichte und Paardynamik (vgl. Abbildung 32 und Anhang 3). Als besonders schwerwiegendes Problem wird von vielen Ratsuchenden der Verlust des Partners in seiner Rolle als Gefährte, der fehlende Austausch und die fehlende emotionale Resonanz beschrieben, daneben auch das EinanderFremd-Werden, manchmal konkretisiert in dem Unvermögen des dementen Partners, den Gesunden noch als Ehegatten zu erkennen. Die Treue gegenüber dem Ehegatten ist Thema in mehreren Beratungen. Sie zeigt sich beispielsweise als starkes Motiv für die Betreuung des erkrankten Partners oder wird im Zusammenhang mit dem Bestreben und den Schwierigkeiten reflektiert, sich dem Partner gegenüber als vertrauenswürdig erweisen zu wollen. Das Thema Loyalität taucht auch als Konflikt bei der Abwägung eigener Interessen mit denen des Partners auf, ganz konkret in den vielen Beratungen, in denen sich die Ehegatten mit der bevorstehenden oder bereits erfolgten Unterbringung ihres Gatten in einem Pflegeheim auseinander setzen. Auf vielfältige Weise machen sich die Ehegatten Gedanken darüber, inwieweit sie das Recht haben, in die Angelegenheiten des erkrankten Partners einzugreifen, Entscheidungen für ihn zu treffen oder ihm gegenüber Autorität auszuüben. Thema in manchen Beratungen ist die Verschiebung der Macht- und Einflusssphären, die Übernahme von Aufgaben, für die zuvor der Erkrankte zuständig war, und die damit einhergehenden Auseinandersetzungen des Paares. Das Thema der Gerechtigkeit zwischen den Partnern ist in einem Fall dominant, in einem anderen wird die Trauer über das notwendige Abschiednehmen von gemeinsamen Plänen für die Altersphase deutlich. Etliche Ratsuchende nehmen in den Beratungsgesprächen Bezug auf ihre langjährige Ehebeziehung, geben ihrer starken Verbundenheit mit dem Partner Ausdruck oder nutzen die Beratung für einen ausführlichen Rückblick auf ihre Ehe. Einigen ist es wichtig, den Beraterinnen ihren Partner zu beschreiben, wie er oder sie vor der Erkrankung gewesen ist. Die bisher beschriebenen Themen beziehen sich schwerpunktmäßig auf die Veränderungen der bisherigen Ehebeziehung. Daneben sprechen die ratsuchenden Ehegatten auch über Aspekte ihrer durch die Demenz veränderten 282 Beziehung, die mehr den Charakter einer Pflegebeziehung ins Licht rücken. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit verschiedenen Motiven, die Pflege des anderen zu übernehmen. Die Ehegatten sprechen über ihre Zielsetzungen bei der Betreuung des Partners, zum Beispiel den Wunsch, den kranken Partner schützen zu wollen, die Sorge um sein Wohlergehen oder das Bemühen, ihm eine befriedigende Alltagsgestaltung und sinnstiftende Beschäftigung zu geben. In diesen Themenbereich gehören auch ihre Versuche, das Verhalten des Kranken zu interpretieren, ihre vielfältigen Fragen zum Umgang mit dem Erkrankten, ihre Bewältigungsversuche bei der Pflege und die Probleme, die auftreten, etwa aggressiv getönte Pflege oder die ständige Präsenzpflicht aufgrund des Aufsichtsbedarfs des Kranken. Die Übersicht über alle in diesem Feld angesprochenen Themen findet sich im Anhang 3. (d) Die „Anderen“ - die Rolle des sozialen Umfeldes Dieses Themengebiet wird unterteilt in (1) die Rolle von Kindern und weiteren Personen und (2) die Rolle von formellen Hilfeangeboten. Der Bereich der Hilfeangebote enthält folgende Unterkategorien: (1) Auseinandersetzung mit Hilfeoptionen, (2) Erfahrungen mit der Inanspruchnahme professioneller Dienste und (3) sozialrechtliche Fragen (vgl. Abbildung 32 und Anhang 3). In zwei Dritteln der ausgewerteten Fälle erwähnen die ratsuchenden Ehegatten in der Beratung die Rolle ihrer erwachsenen Kinder bei der Betreuung des dementen Ehegatten. In den meisten Fällen werden die Kinder als Quelle der Unterstützung wahrgenommen, doch auch Konflikte, hier besonders die Frage der Gerechtigkeit zwischen den Generationen, und Sorgen um die Kinder werden angesprochen. Kaum Erwähnung findet dagegen die Rolle von anderen Verwandten, Freunden, Bekannten oder dem weiteren informellen sozialen Umfeld. Ausführlich wird in den Beratungen über mögliche Hilfen durch professionelle Dienste aus dem Medizinsektor, dem Altenpflegesektor, über niedrigschwellige Hilfeangebote oder psychoedukative Gruppenangebote für die Angehörigen wie Gesprächskreise oder Kurse und über sozialrechtliche Ansprüche gesprochen. Ein eigener Themenbereich sind die Berichte der Ehegatten über ihre Erfahrungen mit der Inanspruchnahme formeller Dienste. Hierbei werden Probleme der Passung von Hilfen in die Lebenswelt der Paare deutlich, die auch in Konflikten zwischen Ehegatten und professionellen Helfern erkennbar sind. Die Übersicht über alle Themen dieses Feldes findet sich im Anhang 3. 283 TEIL III ESSENZEN UND DESIDERATE FÜR EINE PSYCHOSOZIALE BERATUNG DER EHEGATTEN DEMENZKRANKER 284 Im vorangegangenen Teil II habe ich die Ergebnisse der Felderkundung fallübergreifend zusammengefasst, indem ich einerseits für die Erfassung der Breitendimension des Feldes typische Fälle und Sonderfälle definiert und andererseits für die Auslotung der Tiefe des Feldes alle in den Beratungsfällen aufgetauchten Themen vier unterschiedlichen Themenfeldern zugeordnet habe. Diese Themenfelder, mit denen sich die Ehegatten in der Beratung auseinandersetzen, sind das „Ich“ - die persönliche Situation des ratsuchenden Ehegatten, das „Du“ – die Veränderungen des erkrankten Partners, das „Wir“ – die Situation des Paares und die „Anderen“ – die Rolle der Umwelt (vgl. Abbildung 32). In der nun folgenden Diskussion der Ergebnisse konzentriere ich mich auf das Themenfeld „Wir“, denn dieses Feld zeigt am deutlichsten die Besonderheiten der Problemlagen betroffener Paare sowie auch die Erfordernisse, die sich aus diesen Eigenarten für die Beratung der pflegenden Ehegatten ergeben. Das Themenfeld „Wir“ zerfällt in die zwei Bereiche „Aspekte der Ehebeziehung“ und „Aspekte der Pflegebeziehung“ (vgl. Abbildung 32). Im Kapitel 9 befasse ich mich mit dem Bereich der Ehebeziehung und führe als zentrales Ergebnis meiner Untersuchung aus, dass die Demenz eine Krise der Ehe darstellt, indem sie fundamentale Dimensionen einer Paarbeziehung angreift. Im Kapitel 10 wende ich mich Aspekten der Pflegebeziehung zu und entwickele ein hypothetisches Modell über das Verhältnis von Ehe- und Pflegebeziehung. Kapitel 11 enthält Konsequenzen für die Beratung und Kapitel 12 eine kurze Zusammenfassung der ganzen Arbeit. 9 Demenz als Krise der Ehe Die Fallanalysen zeigen, in welch vielfältiger Weise die Demenz eines Partners wesentliche Merkmale der Ehe angreift1080. Bis auf zwei Ausnahmen1081 beschäftigen sich alle Ehegatten in der Beratung mit ihrer Beziehungssituation und mit den Umbrüchen, die infolge der Demenz in ihrer Partnerschaft entstanden sind. Dabei entsteht nicht der Eindruck, sie hielten an einer 1080 1081 vgl. Anhang 3, Punkt 3 Die Ausnahmen sind Herr F. und Frau O. Herr F. nutzt die Beratung nur für das Einholen von Informationen und spricht in dem gesamten Beratungsprozess nicht über seine persönliche Situation oder über die Beziehung. Frau O. ist die Lebensgefährtin eines dementen Mannes. In dem Beratungstermin stand ebenfalls die informative Beratung ganz im Vordergrund. 285 Beziehung fest, die eigentlich schon nicht mehr existent ist, indem sie die eingetretenen Veränderungen konsequent leugnen. Sie thematisieren stattdessen sehr realistisch die Verluste an Gefährtenschaft und Nähe, die Schwierigkeiten, sich mit dem Partner über die Neuverteilung von Aufgaben und Kompetenzen zu verständigen, sowie den Wandel in den Macht- und Einflusssphären1082. Vor allem aber, wenn sie ihrer Liebe zum Partner Ausdruck geben, sich Gedanken darüber machen, wie sie sich ihm gegenüber loyal und vertrauenswürdig erweisen oder ihn in seiner Souveränität und Würde weiterhin achten können, wird deutlich, dass sie hier keinesfalls eine Beziehung zu Grabe tragen, sondern ganz im Gegenteil darum bemüht sind, sie lebendig zu erhalten und Wege zu finden, wie sie auch unter den veränderten Bedingungen der Demenz weiterhin als Paar zusammen sein können. In der Beratung suchen sie oft nicht für sich als Einzelne Rat, sondern kommen gewissermaßen stellvertretend für das Paar in die Beratungsstelle und betrachten viele der Fragen, die sie stellen, nicht als ihre persönlichen Probleme, sondern als Angelegenheiten des Paares1083. Hier liegt ein Unterschied zur Beratung pflegender Kinder. Wenn es in der Beratung um die Beziehung zum dementen Elternteil geht, sind die Fragen der Kinder eher ich-bezogen: Wie kann ich mich gegenüber der vereinnahmenden dementen Mutter abgrenzen? Wie kann ich kindliche Abhängigkeit überwinden und Autorität gegenüber dem dementen Vater ausüben? Die Auseinandersetzung der Kinder mit der Pflegebedürftigkeit der alten Eltern ist in vielem bestimmt durch eine Gegenüberstellung eines „eigenen Lebens“ auf der einen und der Verantwortung für die alten Eltern auf der anderen Seite. Im Kern geht es bei den pflegenden Kindern um Anerkennungs- und Gerechtigkeitskonflikte zwischen den Generationen1084, d.h. um die Anerkennung der Identitäts- und Selbstverwirklichungsansprüche der beteiligten Personen1085 und um Ansprüche auf Unterstützung bzw. um den reziproken Austausch von Fürsorge, Zuwendung und Liebe in Familien1086. Die Fragen der Ehegatten sind dagegen häufig paar-bezogen: Wie können wir die Situation bewältigen1087? Sie grenzen die Betreuung des kranken Partners nicht von einem daneben existierenden eigenen Leben ab. Die Ehe ist eine Lebensgemeinschaft, und zwar 1082 vgl. Anhang 3, Punkt 3.1 1083 Besonders deutlich wird das im Fall von Frau R., die in der Beratung Informationen einholt, diese zu Hause mit ihrem dementen Mann bespricht und dann erst zusammen mit ihm die Entscheidung trifft. 1084 vgl. Gröning, Kunstmann & Rensing 2004, 63ff. 1085 vgl. Honneth 1992; zit. nach Gröining, Kunstmann & Rensing 2004, 70 1086 vgl. Honneth 1995, 995; zit. nach Gröining, Kunstmann & Rensing 2004, 87 1087 vgl. z.B. Frau A., die fragt: „Was sollen wir denn machen?“ (A184); oder Frau K., die überlegt, „was noch auf uns zukommen wird, was vernünftig wäre zu tun, wovor wir Angst haben.“ (K33) 286 sowohl in zeitlicher Hinsicht1088 als auch in dem, was sie inhaltlich ausmacht. Als Lebensgemeinschaft ist sie umfassend, sie schließt grundsätzlich alles ein, was in einem Leben in guten und in schlechten Tagen passieren kann. Damit ist die Betreuung des dementen Partners für die pflegenden Ehegatten ganz wesentlich ihr Leben. Anerkennungs- und Gerechtigkeitskonflikte, wie sie für pflegende Kinder typisch sind, können auch bei den Ehegatten eine Rolle spielen1089, doch sie bilden nicht den Kern ihrer Problematik. Im Zentrum steht bei ihnen das Bemühen, die Paarbeziehung zu retten, d.h. die Lebensform, die sie vor vielen Jahren gewählt haben und die ein wesentliches konstituierendes Moment ihrer Identität ist. Die Durchschlagskraft, mit der die Demenz wesentliche Pfeiler der Paarbeziehung angreift, verdeutlichen die Themenkategorien des Themenfeldes „Wir“1090. Es setzt sich aus folgenden Themenkategorien zusammen: (1) Gefährtenschaft und Intimität; (2) Loyalität und Vertrauen; (3) Souveränität, Gleichberechtigung, Alltagsorganisation und Macht; (4) Gerechtigkeit und Liebe sowie (5) Beziehungsgeschichte und Paardynamik (vgl. Abbildung 32). Ohne Ausnahme sind dies Themen, die Konstitutionsmerkmale von Paarbeziehungen betreffen; sie alle sind zentrale Sujets der Paartheorie, was ich in den weiteren Abschnitten dieses Kapitels zeigen werde. Wenn in der Folge der Demenz solche konstitutiven Dimensionen der Paarbeziehung in Mitleidenschaft gezogen werden, dann zeigt das, wie sehr diese Krankheit das Fundament der Lebensform als Paar erschüttert. In diesem Sinn sind die Krisen, die sie hervorruft, immer auch Krisen des Paares bzw. Krisen der Ehe1090. Lenz nennt in seiner Definition einer Partnerschaftskrise drei Kriterien: „Als Krise wird eine subjektiv als belastend wahrgenommene Veränderung der Beziehung bezeichnet, die eine Unterbrechung der Kontinuität des Handelns und Erlebens und eine Destabilisierung im emotionalen Bereich zur Folge hat.“1091 Die durch die Demenz hervorgerufenen Beziehungsveränderungen erfüllen alle drei Kriterien. (1) Die Veränderungen werden von den gesunden Ehegatten als subjektiv belastend erlebt. Das belegt die Forschungslage, die konsistent die 1088 Selbst wenn heute jede dritte Ehe geschieden wird, ist sie dennoch zum Zeitpunkt der Eheschließung als Lebensgemeinschaft ohne zeitliche Begrenzung gedacht. Man heiratet keinen Lebensabschnittspartner. 1089 vgl. z.B. den Fall von Frau M. 1090 vgl. Anhang 3, Punkt 3 1091 Lenz 2003, 114 287 Bedeutung des subjektiven Belastungserlebens hervorhebt1092. Als subjektive Belastung werden Hilflosigkeit und Ohnmacht, Überforderung, Ausgebranntsein, Verlassenheit, Selbstmitleid, Selbstzweifel, Sorgen, Angst vor der Zukunft, Schuld, Trauer, Sinnlosigkeit u.ä. beschrieben. Auch meine Untersuchung weist solche subjektiv belastenden Gefühle nach; die ratsuchenden Ehegatten schildern ihre Wahrnehmung der Beziehungsveränderungen als 1093 Sorgen, Angst, oder Unsicherheit Verluste, . (2) Die demenziell bedingten Defizite des Patienten stellen eine Unterbrechung der Kontinuität des Handelns und Erlebens des Paares und damit auch des gesunden Ehegatten dar. (3) Die Veränderungen haben eine emotionale Destabilisierung der gesunden Ehegatten zur Folge, wie der Blick in die Ergebnisse der Belastungsforschung eindrucksvoll zeigt: Auswirkungen der häuslichen Pflege eines Demenzkranken auf die seelische Gesundheit des pflegenden Ehegatten sind konsistent nachgewiesen1094. Auch in meiner Untersuchung gibt es zahlreiche Hinweise auf eine emotionale Destabilisierung der ratsuchenden Ehegatten, die im Fall von Frau G. sogar bis zu offener Suizidalität reicht1095. Wenn ein zentraler Aspekt der psychosozialen Situation der pflegenden Ehegatten darin besteht, dass die Demenz eine Krise der Ehe heraufbeschwört, dann gehört die Ehekrise als ein wesentliches Themenfeld in die psychosoziale Beratung der Ehegatten. Das zieht zweierlei nach sich: Erstens sind ratsuchende Ehegatten dann in der Beratung nicht Einzelpersonen, sondern Teil eines Paares, auch dann, wenn der demente Partner nicht als Klient in Erscheinung tritt. Das bedeutet, Berater dürfen sie nicht nur in ihrer Funktion als „pflegende“ Angehörige, sondern müssen sie ganz wesentlich in ihrer Beziehung - als Teil eines Paares - sehen. Für die Diagnose und Deutung der Paarkrise benötigen die Berater zweitens eine Wissensbasis aus dem Bereich der Paartheorie. Ich habe aus diesen Gründen wissenschaftliche Theorien und Befunde zu Paaren und Paarentwicklung aus der Sozialpsychologie, der Soziologie und der Psychoanalyse gesichtet, Themenkategorien des dort nach Themenfeldes Arbeiten „Wir“ im Bereich recherchiert der und fünf solche theoretischen Beiträge aufgegriffen, die für die Demenzproblematik relevante Erkenntnisse bieten können. Eine Verknüpfung der Demenzproblematik in Paarbeziehungen mit der Paartheorie stellt dann, wenn die Demenz als Paarkrise 1092 vgl. Überblick im Kapitel 4.2.3 1093 vgl. Anhang 3, Punkt 3.11 – 3.1.4 1094 vgl. Überblick in den Kapiteln 4.2.1.1 und 4.2.3 1095 vgl. Anhang 3, Punkt 1.1 288 aufgefasst wird, eine für die Belange der psychosozialen Angehörigenberatung notwendige, bislang systematisch noch nicht vorgenommene Perspektivenerweiterung dar. In den folgenden Abschnitten dieses Kapitels werde ich einen ersten Beitrag zu einer solchen Verknüpfung leisten, indem ich zunächst jeweils die Ergebnisse meiner Felduntersuchung in den fünf Themenkategorien des Themenfeldes „Wir“ kurz fallübergreifend vorstelle, sie danach in Bezug Demenzkranker zur setze bestehenden und in Forschungslage einem dritten über Schritt Ehegatten jeweils eine Perspektivenerweiterung durch die Hinzunahme von relevanten Beiträgen aus der Paartheorie vornehme. 9.1 Gefährtenschaft und Intimität Den Ehepartner als Gefährten zu verlieren, ist eine Empfindung, die von vielen Ehegatten in den Beratungsgesprächen zum Ausdruck gebracht wird1096. Dabei werden verschiedene Facetten dieses Verlusterlebens sichtbar. Frau G. erlebt diesen Verlust geradezu existenziell. Sie sagt: „Ohne ihn ist alles aus.“ Für Frau J. ist das letztlich alles entscheidende Kriterium, dass sie ihren Mann einfach um sich haben will, trotz aller Einschränkungen und alltäglichen Belastungen, die gerade das ausmacht. Im Fall von Frau K. zeigen sich verschiedene Dimensionen der partnerschaftlichen Nähe. Sie vermisst ihren Mann als den Menschen, der die vielen kleinen Erlebnisse des Alltags mit ihr teilt, der emotional für sie da ist und der ihr schließlich auf einer kognitiven Ebene als Gesprächspartner für die gemeinsame Reflexion von Plänen und Lebensentscheidungen zur Seite steht. Frau L. dagegen betont weniger die empfangende als die gebende Seite der Gefährtenschaft, indem sie vor allem bedauert, ihren Mann emotional nicht erreichen und ihm deswegen in seiner psychischen Krise nicht beistehen zu können. Die bestehende Forschungslage bestätigt die herausragende Bedeutung dieses Verlustes. Der Schwund der Gefährtenschaft in der Ehe, die Erosion der Intimität, fehlende Reziprozität und Gefühle der Entfremdung werden an vielen Stellen 1096 der empirischen vgl. Anhang 3, Punkt 3.1 Literatur als diejenigen Folgen der Demenz 289 hervorgehoben, unter denen die Ehegatten besonders leiden1097. Lore K. Wright argumentiert, das von Demenz betroffene Paar verliere das, was G.H. Mead als „shared meaning“ bezeichnet1098. Einsamkeit wird in verschiedenen Studien1099 als bedeutendes soziales Problem der Ehegatten Demenzkranker erörtert. Beeson beispielsweise führt aus, Teil einer Ehegemeinschaft zu sein und Erfahrungen mit dem Ehegatten über die Lebensspanne hinweg zu teilen, befriedige das menschliche Grundbedürfnis nach menschlicher, interpersonaler Intimität, den Wunsch „to be related to another self while experiencing a feeling that one is yet seperate“1100. Das Wegbrechen dieser Beziehung im Falle der Demenz eines Partners bedrohe auch die Identität des anderen, da ihm ein signifikanter Anderer als Quelle für die Validation und Konfirmation des selbstbezogenen Wissens verloren gehe1101. Der Verlust muss für die meist langjährigen Paare besonders gravierend sein, denn gerade die Gefährtenschaft gilt als ein wesentlicher und belohnender Aspekt der Altersehe1102. Zur emotionalen Nähe alter Paare trägt bei, dass die Partner in ihrer langen gemeinsamen Geschichte gelernt haben, wie sie dem anderen am besten beistehen, Rat geben oder ihn trösten können1103. Ehefrauen scheinen die Deprivation der Beziehung zu ihrem dementen Mann besonders schlecht zu verkraften1104, worin Miller Gilligans Vorstellung bestätigt sieht, dass Frauen zu einer Moral der Fürsorge sozialisiert werden, welche auf die Beziehung zwischen Individuen fokussiert1105. Eine Erweiterung der Perspektiven zur Betrachtung von Gefährtenschaft und Intimität im Falle einer Demenz versprechen sozialpsychologische Ansätze der Paartheorie. (a) Bindungstheoretische Ansätze Stöcker et al. definieren Bindung als „evolutionär angelegte Neigung, stark emotional geprägte und überdauernde Beziehungen zu ausgewählten und nicht 1097 vgl. z.B. Barusch & Spaid 1996; Blieszner & Shiftlett 1990; Gallagher-Thompson et al. 2001; Kramer & Lambert 1999; Morris, Morris & Britton 1988; Owens 2000; Pearlin et al. 1990; Rankin, Haut & Keefover 2001; Siriopoulos, Brown & Wright 1999; Wright 1993 1098 vgl. Mead 1977; zit. nach Wright 1993, 10 1099 vgl. Beeson 2003; Murray, Mantela & Shuttleworth 1997 1100 Mijuskovic 1996; zit. nach Beeson 2003, 141 1101 vgl. Beeson 2003 1102 vgl. Stinnett, Carter & Montgomery 1972; zit. nach Depner & Ingersoll-Dayton 1985, 761 1103 vgl. Depner & Ingersoll-Dayton 1985 1104 vgl. Beeson et al. 2000; Bookwala & Schulz 2000; Hooker et al. 2000; Miller 1987; O’Connor 1999 1105 vgl. Miller 1987; Gilligan 1982; zit. nach Miller 1987, 452 290 austauschbaren Personen zu entwickeln, d.h. ein gefühlstragendes Band, das Personen über Raum und Zeit hinweg miteinander verbindet“1106. Eckpfeiler für eine Bindungsbeziehung sind nach Bowlby, dem Begründer der Bindungstheorie, die Aspekte Aufrechterhaltung von Nähe zur Bindungsperson, Protest bei Trennung von ihr, Nutzung der Bindungsperson als sichere Basis für die Exploration der Umwelt sowie das Aufsuchen der Bindungsperson als sicheren Hafen bei Bedrohung1107. Diese Funktionen von Bindungen, die Bowlby zunächst auf die Entfaltung des kindlichen Bindungs- und Explorationsverhaltens bezogen hat, sind bei Erwachsenen noch dieselben und können auch auf Bindungsbeziehungen zwischen erwachsenen Partnern übertragen werden1108. Weiss führt beispielsweise an, gerade die Tatsache, dass eine Person durch den Partner Beruhigung und Sicherheit erfahre, vor allem in Stresssituationen bei ihm sein wolle und dagegen protestiere, wenn der Partner nicht verfügbar sei, sei bei den meisten Paaren zu finden1109. Im Gegensatz zu dem prinzipiell asymmetrischen Beziehungsgefüge zwischen Eltern und Kind zeichnen sich Liebesbeziehungen dadurch aus, dass beide Partner gegenseitig als Quelle der Sicherheit für die emotionalen Bedürfnisse des anderen agieren1110. Im Falle der Demenzerkrankung eines der Partner treten zwei Entwicklungen gleichzeitig auf, welche den gesunden Partner in eine Lage mit abnehmenden Ressourcen bei steigenden Anforderungen bringen. Der Kranke verliert mit fortschreitendem Krankheitsprozess seine sicherheitsspendenden Funktionen für den Gesunden. Er ist emotional und kognitiv immer weniger erreichbar, er kann für den anderen nicht mehr die sichere Basis für dessen Auseinandersetzungen mit den Anforderungen der Umwelt bieten, und er kann auch nicht mehr der sichere Hafen bei Bedrohungen sein. Gleichzeitig erhöht der fortschreitende Krankheitsverlauf aber für den gesunden Partner zunehmend die Anforderungen zur Auseinandersetzung mit der Umwelt: Neue Aufgaben müssen übernommen, vielfältige Probleme gelöst werden. Zudem muss die Demenz in ihrer Eigenschaft als heute in den meisten Fällen nicht heilbare Krankheit mit im Einzelfall nicht vorhersagbarem Verlauf eine enorme Bedrohung auch für den gesunden Partner darstellen. Darüber hinaus kann die Erfahrung des Wegbrechens des Ehegatten als wichtiger Bindungsperson ähnliche Erfahrungen aus der Bindungsgeschichte 1106 Stöcker, Strasser & Winter 2003, 139 1107 vgl. Bowlby 1988; zit. nach Stöcker, Strasser & Winter 2003, 145 1108 vgl. Feeney & Noller1996, 90; zit. nach Schneewind & Wunderer 2003, 229 1109 vgl. Weiss 1996; zit. nach Stöcker, Strasser & Winter 2003, 145f. 1110 vgl. Berlin & Cassidy 1999; zit. nach Stöcker, Strasser & Winter 2003, 146 291 heraufbeschwören und eine psychische Destabilisierung auslösen. Die gesunden Ehegatten erleben Einsamkeit in einem existenziellen Sinn1111. Aus Sicht der Bindungstheorie entstehen Forschungsfragen zur Situation der Ehegatten Demenzkranker: • Wie verarbeiten Menschen in Abhängigkeit von ihren unterschiedlichen Bindungsgeschichten und Bindungsstilen die Erfahrung, dass der Ehepartner als wichtige Bindungsperson wegbricht? Hazan & Shaver unterscheiden beispielsweise folgende Bindungsstile bei Erwachsenen: sicherer, ängstlicher, abweisender (vermeidender) und besitzergreifender Bindungsstil1112. • Wie verarbeiten Paare mit unterschiedlichen Bindungsgeschichten und Bindungsstilen ihre Situation bei Demenz? Cohn et al. unterscheiden beispielsweise drei Paarkonstellationen: zwei sicher gebundene Partner, zwei unsicher gebundene Partner und eine Konstellation zwischen einem sicher und einem unsicher gebundenen Partner1113. (b) Sozialpsychologische Arbeiten zum Thema Nähe/Intimität Suchen nach Nähe gilt als eines der grundlegenden menschlichen Motive1114. In Umfragen danach, was das Wichtigste im Leben sei, nennen Befragte stets nahe Beziehungen1115. Ina Grau definiert: „Nähe ist ein subjektiv erlebtes, relativ stabiles Merkmal einer Beziehung zu einer anderen Person, das gegenseitige persönliche Kommunikation und positive Emotionen umfasst.“1116 Reis & Shaver benutzen nicht den Begriff „closeness“, sondern „intimacy“. Wörtlich bedeutet Intimität „das Innerste“; dazu gehören Emotionen, Einstellungen, Interessen oder Aspekte des Selbstkonzepts1117. Selbstöffnung ist danach ein entscheidendes Merkmal intimer Interaktionen. „Von Nähe kann aber erst dann gesprochen werden, wenn Selbstöffnung, Verstehen, Wertschätzung und Unterstützung zusammentreffen“1118. Prager nennt Selbstöffnung, Verstehen und positive 1111 vgl. hierzu auch die Überlegungen von Yalom im Kapitel 3.1.3.2; Yalom 1980; zit. nach Levine et al. 1984, 216 1112 vgl. Hazan & Shaver 1987; zit. nach Schneewind & Wunderer 2003, 229 1113 vgl. Cohn et al. 1992 ; zit. nach Schneewind & Wunderer 2003, 229 1114 vgl. McAdams 1980; zit. nach Grau 2003, 287 1115 vgl. Caldwell & Peplau 1982; zit. nach Grau 2003, 287 1116 Grau 2003, 290 1117 vgl. Reis & Shaver 1988; zit. nach Grau 2003, 292 1118 Grau 2003, 294 292 Emotionen als drei Faktoren der Nähe1119. Darüber hinaus münden intime Interaktionen nur dann in nahe Beziehungen, wenn die Kriterien Reziprozität und Dauer dazu kommen1120. Nähe beginnt, wenn man einen Menschen kennen lernt, stets in einer speziellen Situation, einer intimen Interaktion. Eine häufige Wiederholung intimer Interaktionen über längere Zeit führt zu einem Prozess der Annäherung. Ist dieser Prozess fortgeschritten, spricht man von einer nahen Beziehung. Intime Interaktionen sind demnach an konkrete Situationen gebunden, während Nähe als Beziehungsmerkmal relativ stabil und unabhängig von der momentanen physischen Distanz zwischen zwei Personen ist.1121 Derartig entstandene nahe Beziehungen zeichnen sich durch folgende Merkmale aus: Commitment (Bindungsbereitschaft), eine geteilte Identität (Wir-Gefühl), eine Behandlung als Einheit durch andere Personen (z.B. gemeinsame Einladungen), stabile Erwartungen und Interaktionsmuster sowie Vertrauen1122. Chelune et al. charakterisieren eine nahe Beziehung mit folgenden Merkmalen: Wissen um das Innerste des Anderen (Selbstöffnung, Verständnis, Akzeptanz); Gegenseitigkeit (Involviertheit in die einzigartige Beziehung); Interdependenz (gegenseitige Beeinflussung, Macht); Vertrauen (im Interesse des anderen handeln, ihn nicht verletzen); Commitment (langfristige Perspektive) und füreinander sorgen (gegenseitige Unterstützung, sich kümmern)1123. Ich selbst habe den Begriff der Gefährtenschaft gewählt, um die Bedeutung des Zeitfaktors für die Betrachtung von Nähe und Intimität bei alten Paaren zu betonen. Lang verheiratete Paare sind eine lange Strecke des Lebensweges gemeinsam gegangen und haben häufig in jahrzehntelanger Beziehungsarbeit ihre ganz eigene Nähe, d.h. eine Paar-Einheit mit entsprechendem Rückgriff auf die gemeinsame Geschichte, mit Beziehungsmythen, Beziehungssymbolen, Beziehungskalender und oft sogar einer eigenen Sprache ausgebildet1124. Nahe Beziehungen 1125 Anteile. haben Verhaltensanteile, emotionale und kognitive Verhaltenskomponenten sind nonverbale Verhaltensweisen wie nah beieinander zu stehen oder sich zu berühren. Die emotionale Nähe umfasst 1119 vgl. Prager 2000; zit. nach Grau 2003, 294 1120 vgl. Grau 2003, 295 1121 vgl. Grau 2003, 289 1122 vgl. Reis & Shaver 1988; zit. nach Grau 2003, 295 1123 vgl. Chelune et al. 1984 ; zit. nach Grau 2003, 295f. 1124 zur Konstruktion der Wirklichkeit in Zweierbeziehungen aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive vgl. Lenz 2003, 167ff.; aus einer psychoanalytischen Perspektive vgl. Buchholz 1995, 155f. (siehe weiter unten in diesem Kapitel) 1125 vgl. Hatfield 1984; zit. nach Grau 2003, 295 293 Lieben, Mögen und Vertrauen. Zur kognitiven Nähe zählt das Wissen um die Geschichte, die Werte, Stärken, Schwächen, Einzigartigkeiten, Hoffnungen und Ängste des Anderen. Genau an dieser Stelle greift eine Demenz eine intime Beziehung an. Sie zerstört die Nähe, weil vor allem die kognitiven Aspekte vom Kranken nicht mehr gelebt werden können. Die Demenz zerstört aber nicht nur die Nähe, sie kann auch zu viel Nähe bringen. Viele Demente entwickeln ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Nähe, das so weit gehen kann, dass sie ihrem Gegenüber nicht mehr von der Seite weichen. Erklärbar wird das, wenn man sich vor Augen führt, in welch tiefgreifender Weise die Krankheit die Betroffenen in ihrem Verständnis des Alltags und in ihrer Identität verunsichert. Viele Demenzkranke suchen oder rufen ihre Mutter, was als Mechanismus der Regression, d.h. hier als Suche nach einer Trost und Geborgenheit versprechenden Person aufgefasst werden kann1126. Viele Angehörige berichten, wie sehr diese ständige Nähe des Kranken zur Belastung werden kann. Anklammerndes Verhalten des erkrankten Ehegatten wird an vielen Stellen in den ausgewerteten Beratungsfällen als Problem geschildert (vgl. Anhang 3, Punkt 2.3). Der Sohn von Frau R. beschreibt die belastenden Aspekte für seine Mutter sehr treffend: „Sie kann eigentlich nur noch alleine zur Toilette gehen.“ Die Theorien über Paarbeziehungen weisen darauf hin, dass Menschen unterschiedliche Nähebedürfnisse haben und Beziehungen häufig dann scheitern, wenn unterschiedliche Nähebedürfnisse nicht kompatibel sind1127. Alte Paare haben in dem langen Zeitraum ihres Zusammenseins eine individuelle Regulierung für Nähe und Distanz geschaffen, die nun, mit dem krankheitsbedingt verstärkten Nähebedürfnis des dementen Partners aus der Balance gerät. Ina Grau meint, die Diskrepanz zwischen Nähebedürfnis (Sollwert) und tatsächlich erlebter Nähe (Istwert) sei in Paarbeziehungen relativ unkompliziert zu lösen, wenn ein Partner zuviel Nähe empfinde. Er könne dann einfach mehr Distanz schaffen, indem er einseitig die gemeinsamen Unternehmungen, die Intimität der Gesprächsinhalte oder die Unterstützung des anderen reduziere. Schwieriger sei es dagegen, mehr Nähe zu einer Person herzustellen, da hierfür das Einverständnis beider notwendig sei1128. Im Falle der Demenz stimmt das nicht mehr in dieser Weise. Dann wird es auch schwierig, zu viel Nähe zu verringern, denn der Gesunde kann den Kranken nicht mehr unbeaufsichtigt lassen. Aus dieser Perspektive sind die Klagen von Ehegatten 1126 vgl. Kipp 1992 1127 vgl. Grau 2003, 287f. 1128 vgl. Grau 2003, 304f. 294 über ihre ständige Präsenzpflicht und über anklammerndes Verhalten des erkrankten Partners auch als Hinweis auf die grundsätzliche Verschiebung der Nähe-Distanz-Regulierung des Paares zu verstehen, die von dem Gesunden als bedrohlich wahrgenommen werden kann. (c) Sozialpsychologische Arbeiten zum Thema Verstehen Verständnis ist das zentrale Merkmal, das Menschen sich in Partnerschaften erhoffen1129. Neben anderen Faktoren1130 spielt die Fähigkeit zur Perspektivübernahme bzw. die Empathie hierfür eine Rolle. In der Bereitschaft und Fähigkeit dazu wird ein zentrales Merkmal gesehen, das einen guten Partner ausmacht. In diesem Bereich jedoch verliert der demente Partner aufgrund seiner kognitiven Störungen zunehmend an Kompetenz. Partner in langjährigen Beziehungen, so könnte man annehmen, kennen und verstehen sich besonders gut. Doch gibt es eine Reihe von Befunden, die dies nicht bestätigen. Analysen von Kenny zeigen, dass die Dauer der Bekanntschaft nur einen geringen Effekt auf das Verstehen hat1131. Thomas et al. konnten belegen, dass jüngere Paare sogar wesentlich zutreffender erkannten, was der jeweils andere Partner gerade dachte oder fühlte1132. Als Grund wird angenommen, langjährige Partner entwickelten eingefahrene Interaktionsmuster, gerade weil sie sich so gut kennen und sich in der Folge weniger genau beobachten. Allzu großes Zutrauen in die eigene Expertise verschlechtert eher die Vorhersagegenauigkeit anstatt sie zu verbessern1133. Für die Demenzproblematik in Ehen wirft das die Frage auf, ob langjährige Partner das krankheitsbedingt veränderte Verhalten und die veränderte psychische Situation des Kranken gar nicht so genau wahrnehmen, weil sie sich an ihre in langen Jahren gefertigten Erkenntnisse halten. Herr P., der die Demenz seiner seit langem manisch-depressiv erkrankten Frau offenbar lange nicht bemerkt hat, gibt ein Beispiel dafür ab. Andererseits lässt sich mit der Attributionstheorie dagegen halten, vor allem unerwartete, überraschende oder extreme Ereignisse verlangen nach Erklärung1134. Demenztypisches Verhalten, 1129 vgl. Hassebrauck 1995; zit. nach Felser 2003, 355 1130 vgl. Felser 2003, 355ff. 1131 vgl. Kenny & Acitelli 2001; zit. nach Felser 2003, 362 1132 vgl. Thomas, Fletcher & Lange 1997 ; zit. nach Felser 2003, 362 1133 vgl. Swann & Gill 1997; zit. nach Felser 2003, 362 1134 vgl. Kalicki 2003, 379 295 insbesondere Problemverhalten, kann man in diesem Sinne als erklärungsbedürftig ansehen, was dann doch eine erhöhte Aufmerksamkeit der langjährigen Partner zur Folge hätte. Das sind Fragen für weitere Forschung. (d) Ein psychoanalytischer Ansatz zum Thema Nähe/Intimität Als letzte theoretische Perspektivenerweiterung möchte ich die Überlegungen von Buchholz nutzen, der beschreibt, wie Paare im Laufe des Zusammenlebens eine gemeinsame Paar-Wirklichkeit und Tiefe der Beziehung erschaffen1135. Buchholz erläutert, Interaktionen sei ein Zwang zur Bildung von Regeln inhärent. Diese Regeln wiederum ordneten die Realität, schafften Erlebnisse des Wiedererkennens und überformten die Realität: „Es entsteht eine Wirklichkeit zweiter Ordnung, die als ‚Wirklichkeit der interaktiven Regelsysteme’ bezeichnet werden kann. Auch diese kann noch einmal überstiegen werden, wenn menschliche Individuen beispielsweise in Ehepartner, differenzierter ihre in Interaktionserfahrung, Regeln also sedimentierten Beziehungserfahrungen einander konfrontieren. Die Konfrontation solcher Wirklichkeiten zweiter Ordnung ist eine unabdingbare Voraussetzung, wenn Beziehungen zwei Bedingungen erfüllen sollen: a) wenn sie auf Dauer angelegt sind und b) wenn sie über eine nur schmale Bandbreite interaktiver Bereiche, wo Konsens problemlos gefunden werden kann, hinausgehen. Beide Bedingungen müssen für intime familiäre Interaktionen angenommen werden.“1136 Buchholz erläutert weiter, in diesem Prozess der Konfrontation von interaktiven Wirklichkeiten zweiter Ordnung komme ein Prinzip zur Geltung, das er mit Schülein1137 als „Relationierung von Relationen“ bezeichnet: „Die Konfrontation von in Regeln sedimentierten Beziehungserfahrungen schafft dann eine neue, nur den Interaktionspartnern Komplexität.“1138 erworbenen gemeinsame Wirklichkeit von höherer Dies geschehe dadurch, dass die Beziehungspartner ihre Interaktionsregeln in ihrer Abhängigkeit von bisherigen Beziehungserfahrungen deuten und damit prinzipiell bereit seien, sie zur Disposition zu stellen. Erst mit dieser Bereitschaft und/oder Fähigkeit zur prinzipiellen Dispositivierung könnten Beziehungen entstehen, die in der Lage sind, „über das, was räumlich und zeitlich präsent ist, hinauszugehen; dieses Moment der Dauer gibt ihnen eine gewisse Unabhängigkeit von äußeren 1135 vgl. bei Buchholz 1995, 155f. 1136 Buchholz 1995, 156 1137 vgl. Schülein 1987; zit. nach Buchholz 1995, 156 1138 Buchholz 1995, 156 296 Einflüssen. Die Realität der Beziehung erhält eine Schichtung in die Tiefe; es entsteht eine interaktive Tiefenstruktur. “1139 Tiefe in einer Beziehung entstehe dann, wenn die Beziehungspartner das versuchen, was Buchholz als Perspektivität durch ‚Relationierung von Relationen’ bezeichnet: „Die Abhängigkeit der Erfahrung (d.h. der ‚Beschreibungen’) von Perspektiven zu erkennen, bringt die Beziehung auf eine neue Stufe, relationiert Relationen und öffnet neue Handlungs- und Erlebnismöglichkeiten.“1140 Diese Überlegungen auf die Situation der von Demenz betroffenen Paare angewandt bedeuten zweierlei. Erstens geben sie eine Erklärungsmöglichkeit ab für die schwindende Nähe der Partner, wenn der Demente aufgrund seiner Gedächtnisstörungen und kognitiven Defizite immer weniger in der Lage ist, an der hoch komplexen, gemeinsam erschaffenen Wirklichkeit zu partizipieren. Zu Ende gedacht bedeutet Buchholz’ „Relationierung von Relationen“, dass von Demenz betroffene Paare sich nicht mehr gemeinsam weiterentwickeln können. Zweitens stellt sich die Frage, ob Paare, die eine interaktive Tiefenstruktur aufgeschichtet haben, d.h. die in der Relationierung der Relationen geübt sind, es auch leichter haben, mit den neuen Bedingungen unter dem Einfluss der Demenz umzugehen, indem sie auch hier ihre Regeln zur Disposition stellen können und zu neuen gelangen. Wobei diese Aufgaben größtenteils nur von dem gesunden Partner geleistet werden können. Auch dies sind Fragen für weitere Forschung. 9.2 Loyalität und Vertrauen Mehrere Ehegatten bringen in den Beratungen zum Ausdruck, dass die Loyalität zum Partner und das Bestreben, sich ihm gegenüber als vertrauenswürdig zu erweisen, für sie wesentliche Orientierungen darstellen1141. Herr H., Frau J. und Herr N. nennen Treue als Motiv für die Übernahme der Betreuung und Pflege des kranken Partners. In formell geschlossenen Ehen ist dies ein sehr starkes Motiv, das in dem Versprechen, „in guten und in schlechten Tagen füreinander zu sorgen“, welches sich die Eheleute während der Trauung gegeben haben, angelegt ist. 1139 Buchholz 1995, 156 1140 Buchholz 1995, 156 1141 vgl. A44, D25, H32, H34, J22, J33f., N26, P40, Q26, R36, R39; S20, S29, S41, S51 297 Die Demenz kann die gesunden Partner in unterschiedliche Loyalitätskonflikte und -dilemmata hineinführen. Frau A. möchte sich ihrem Mann gegenüber loyal verhalten, indem sie ihn bei der Umsetzung seiner Interessen unterstützt, und indem sie nicht hinter seinem Rücken mit seinen zerstrittenen Geschwistern kollaboriert. Da beides einander aber in der konkreten Situation ausschließt, gerät sie in ein Dilemma. Auch Frau L. möchte Schaden von ihrem Mann fernhalten, kann dies aber nur dadurch erreichen, dass sie sich ihm gegenüber – zumindest aus ihrer Alltagsvorstellung heraus – illoyal verhält. In Loyalitätskonflikte geraten auch die vielen Ehegatten, die in den Beratungen über die Unterbringung ihres Gatten in einer Pflegeeinrichtung nachdenken1142. Hierbei geht es um die Loyalität zum Partner, d.h. um die Wahrung seiner Interessen auf der einen Seite und um die eigenen Bedürfnisse und Interessen auf der anderen Seite. Frau C. gibt ihrer Loyalität Ausdruck, indem sie zur Anwältin ihres Mannes wird. Sie gerät in Loyalitätskonflikte ihrem Mann gegenüber, weil die Institution Altenheim nur ungenügend auf die Rolle von Angehörigen vorbereitet ist. Ein anderer Loyalitätskonflikt zeigt sich im Fall von Frau Q. Sie steht einerseits im Konflikt zwischen den eigenen Bedürfnissen und ihrer Loyalität als Ehefrau dem Mann gegenüber und andererseits im Konflikt zwischen den eigenen Bedürfnissen und ihrer Loyalität als Mutter der Tochter gegenüber. Das Thema der Loyalität scheint auch auf, wenn einige der Ehegatten Wert darauf legen, den Beratern gegenüber ein vollständiges Bild des erkrankten Partners zu vermitteln. Im Fall von Frau B. wurde deutlich, dass es ihr dabei um die Würde des Mannes geht. Sie möchte, dass er als derjenige in Erinnerung bleibt, der er vor der Demenzerkrankung gewesen ist. Die bestehende Forschungslage liefert keine empirischen Befunde zur Problematik der Loyalität von Ehegatten Demenzkranker. Allein Jecker1143 beschäftigt sich theoretisch mit dieser Thematik. In meiner Untersuchung konnten, wie oben kurz skizziert, vielfältige Konfliktlagen herausgearbeitet werden, die sich in diesem Bereich für die Ehegatten ergeben. Das Fehlen von Forschung zu diesen Fragen ist deshalb als großer Mangel anzusehen. Theoretische Perspektivenerweiterung: Idealvorstellungen von Partnerschaften lassen sich Fletcher et al. zufolge in zwei Dimensionen beschreiben: Intimität und Loyalität sowie Spaß und Leidenschaft; der ideale Partner zeichnet sich durch die 1142 A110, A151, A161ff., A183, B303ff., C203, C211, C213f., E11, E22, E42f., E62, F47, F58, Q18ff, Q23 1143 vgl. Jecker 1995; vgl. Kapitel 3.2.1.2 298 Dimensionen Vitalität und Attraktivität, Wärme und Vertrauenswürdigkeit sowie Status und Vermögen aus1144. Hassebrauck fand Vertrauen als Merkmal, das Befragte als zentral für eine „gute Beziehung“ ansehen1145. Emotionale Sicherheit und Loyalität in der Ausrichtung auf eine gemeinsame Zukunft scheinen besonders wesentlich für alte Paare zu sein1146. (a) Vertrauen Intime Beziehungen sind Beziehungen, in denen Menschen einander ihr Innerstes öffnen. Hatfield1147 weist auf die Gefahren zu großer Nähe hin. Sie nennt die Gefahr, verlassen zu werden, die Gefahr ärgerlicher Angriffe, die Gefahr, Kontrolle zu verlieren, und die Gefahr, vereinnahmt zu werden, wenn man sich jemanden gegenüber öffnet. Daraus ergibt sich, dass Selbstöffnung von Verstehen, Wertschätzung, Unterstützung und von gegenseitigem Vertrauen begleitet sein muss1148, wenn in einer nahen Beziehung die Gefahr von Machtmissbrauch und die Gefahren der Selbstöffnung gebannt werden sollen1149. Die Demenz macht den erkrankten Menschen hilflos und in hohem Maße verletzlich für schädigende Übergriffe anderer. Das Gebot, als Ehepartner das Vertrauen nicht zu missbrauchen, welches der andere entgegenbringt, ist deshalb im Falle der Demenz hochaktuell. In diesem Kontext sind die Gedanken zu verstehen, die sich die Ehegatten in den Beratungen über Vertrauen und Vertrauensbrüche machen. In Einzelfällen kann das Gebot auch eine Bastion sein zur Abwehr aggressiver Impulse, die der pflegende Gatte dem Kranken gegenüber hegen kann. (b) Loyalität Burkart schreibt, bei dem Versuch einer bibliographischen Suche nach dem Stichwort „Treue“ mache man die merkwürdige Erfahrung, oft auf staats- und arbeitsrechtliche Texte oder Literatur zu Herren- und Vasallentreue zu stoßen, selten dagegen auf familiensoziologische oder psychologische Abhandlungen zur 1144 vgl. Fletcher et al. 1999; zit. nach Felser 2003, 364 1145 vgl. Hassebrauck 1995; zit. nach Felser 2003, 365 1146 vgl. Reedy, Birren & Schaie 1981; zit. nach Olbrich 1991, 47 1147 vgl. Hatfield 1984; zit. nach Grau 2003, 294 1148 vgl. Grau 2003, 294 1149 vgl. Chelune et al. 1984; zit. nach Grau 2003, 296 299 Treue in Paarbeziehungen1150. Seine soziologische Definition von Treue in Paarbeziehungen umfasst drei Aspekte, nämlich Folge- und Hilfsbereitschaft, Ausschließlichkeitscharakter und Dauer. • Folge- und Hilfsbereitschaft („Loyalität“) gegenüber einer Person: Dies schließt die Bereitschaft zur Unterstützung in jeglicher Hinsicht ein sowie die Bereitschaft zur Akzeptanz auch extramoralischer Eigenschaften und Handlungen. Da weder Macht noch ein Vertrag, sondern Liebe die Quelle der Treue ist, ist diese Solidarität unabhängig vom Tauschwert und kann nicht eingeklagt werden. • Die Exklusivität der Person: Der Partner ist derjenige, den man allen anderen vorzieht. ausschließlichen Deshalb Anspruch hat auf der Treue. Partner Die privilegierten Exklusivität hat und zwei Dimensionen, nämlich sexuelle Treue und umfassende persönliche Loyalität. • Anspruch auf Dauerhaftigkeit: „Ewige 1151 grundsätzlich zeitlich nicht befristet Treue“, der Anspruch ist . Burkart stellt fest, der Anspruch auf Exklusivität sei in den letzten zwanzig Jahren auf der sexuellen Ebene zurückgegangen, dagegen sei der Anspruch auf umfassende Loyalität (Folge- und Hilfsbereitschaft) eher gestiegen. Er sieht diese Entwicklung im Zusammenhang von Ent- und Remoralisierungstendenzen der ehelichen Treue1152. Loyalität kann auch aus der Sicht austauschtheoretischer Modelle von Paarbeziehungen betrachtet werden. Diese Modelle sehen die Zufriedenheit in einer Partnerschaft und die Aufrechterhaltung oder Beendigung einer Beziehung als Produkt von Kosten-Nutzen-Abwägungen, bei denen beide Partner prüfen, ob die eigenen Bedürfnisse vom anderen befriedigt werden, und welche Kosten in Form von mentalem und körperlichem Aufwand, damit verbundenen Ängsten, Erschwernissen oder Konflikten dabei entstehen1153. Neben Belohnungen und Kosten der Interaktionen hängt die Zufriedenheit von dem zugrunde gelegten Bewertungsmaßstab und dem Grad der Abhängigkeit vom Partner ab. Letzterer zeigt an, inwieweit der eine den anderen Partner braucht, weil seine Bedürfnisse anderweitig nicht erfüllt werden. Dementsprechend betonen Thibaut & Kelley das 1150 vgl. Burkart 1997, 191f. 1151 vgl. Burkart 1997, 194f. 1152 vgl. Burkart 1997, 207 1153 vgl. Thibaut & Kelley 1959; zit. nach Lösel & Bender 2003, 51 300 Vergleichsniveau für Alternativen, insbesondere die erwarteten eigenen Chancen auf dem wahrgenommenen „Partnermarkt“1154. Eine Erweiterung der AustauschTheorie bildet das Investment-Modell von Rusbult, das im Rahmen der KostenNutzen-Abwägung einer Beziehung die Investitionen betont, welche beide Partner im Laufe der Jahre in die Beziehung getätigt haben, beispielsweise Zeit und Gefühle, Aufbau eines Freundeskreises, Arbeit, Eigenheim u.v.m. Rusbult et al.1155 fassen subjektive Zufriedenheit in einer Beziehung, Verfügbarkeit und Attraktivität von Alternativen und das Ausmaß an Investitionen zusammen als Commitment: „Wie sehr erlebe ich mich als Teil einer Partnerschaft, wie loyal, verpflichtet und gebunden fühle ich mich dem Partner gegenüber.“1156 Das Commitment könnte in alten Ehen, vor allem aufgrund der langjährigen Investitionen, besonders hoch sein. Dagegen sprechen allerdings neuere empirische Daten, nach denen die Scheidungshäufigkeit langjähriger Ehen in den letzten Jahren zunimmt1157. Nach der Logik des Investment-Modells müssten im Falle solcher späten Scheidungen die aktuelle Unzufriedenheit mit der Ehe und die Aussichten auf Alternativen die Investitionsseite aufwiegen. Was allerdings im Falle einer Demenzerkrankung den gesunden Partner zum Festhalten an der Beziehung veranlasst, obwohl zwar in der einen Waagschale gewichtige, langjährige Investitionen liegen, in der anderen Waagschale jedoch eine infolge der Demenz massiv belastete aktuelle Partnerschaft, das können austauschtheoretische Modelle auf den ersten Blick nicht beantworten. Sollte Loyalität einem nahestehenden Menschen gegenüber doch nicht allein das Produkt einer Kosten-Nutzen-Abwägung sein? Es stellt sich die Frage, ob hier andere Faktoren eine Rolle spielen und welche dies sind. Interessant wäre Wissen über Scheidungsraten von Paaren, die mit Demenz konfrontiert sind. Hilfreich für das Verstehen der Situation der betroffenen Paare sind aber auf jeden Fall die Vorstellungen des Investment-Ansatzes über die Strategien und Mechanismen, die zum Einsatz kommen, um eine Beziehung bei hohem Commitment aufrechtzuerhalten1158. Dazu zählen Anpassungstendenzen, d.h. Tendenzen, destruktives Verhalten des Partners durch eigenes konstruktives Verhalten abzufedern, sowie Opferbereitschaft, d.h. die Bereitschaft, eigene Interessen zugunsten der Beziehung oder des anderen zurückzustellen. Wer sich 1154 vgl. Thibaut & Kelley 1959; zit. nach Lösel & Bender 2003, 52 1155 vgl. Rusbult, Drigotas &Verette 1994; zit. nach Schneewind & Wunderer 2003, 231 1156 Schneewind & Wunderer 2003, 231 1157 1995 war das Scheidungsrisiko zwischen dem 20. und 30. Ehejahr etwa doppelt so hoch wie 1980; vgl. Dobritz & Gärtner 1998, 431; zit. nach Kuhlmey & Hitzblech 2002, 36 1158 vgl. Scheewind & Wunderer 2003, 231f. 301 der Partnerschaft verpflichtet fühlt, nimmt höhere Kosten in Kauf, ist bereit, in die Beziehung zu investieren und wertet Alternativen ab. 9.3 Souveränität, Gleichberechtigung, Alltagsorganisation und Macht Die Frage der Souveränität des dementen Partners wird von vielen Ehegatten in den Beratungsgesprächen reflektiert1159. Mehrere Ratsuchende beschäftigen sich in der Beratung ausführlich mit der Frage, ob sie das Recht haben, in die Sphäre ihres dementen Partners einzugreifen und/oder Entscheidungen für ihn zu treffen1159. Diese Frage betrifft die ganze Spanne denkbarer Reichweiten von Eingriffen und Entscheidungen. Sie stellt sich bei alltäglichen Kleinigkeiten - Herr H. beispielsweise traut sich nicht, in den Sachen seiner Frau „herumzukramen“, wenn sie wieder einmal Dinge verlegt hat. Sie stellt sich ebenso bei weitreichenden Beschlüssen - Frau L. beispielsweise muss über eine Operation bei ihrem dementen Mann entscheiden - und schließlich bei existenziellen Fragen - etwa dem Legen einer PEG im Falle der dementen Ehefrau von Herrn E. Manche Ehegatten thematisieren diese Frage, indem sie über ihre Schwierigkeiten sprechen, dem dementen Gatten gegenüber notwendige Entscheidungen zu begründen, oder indem sie Entschlüsse des dementen Partners als verbindlich nehmen, selbst dann, wenn man annehmen muss, dass dieser die Konsequenzen krankheitsbedingt gar nicht mehr überblicken kann. Dies geschieht beispielsweise im Fall von Herrn und Frau H., als er seiner dementen Frau die Entscheidung überlässt, ob sie eine Tagespflege besuchen möchte. Andere Ehegatten betonen, wie wesentlich es für sie ist, dass der demente Partner Entscheidungen zumindest mitträgt. Frau A. beispielsweise wirkt wie erlöst, nachdem ihr schwer dementer Mann ihr kurz vor seinem Tod zu verstehen gibt, dass er ihre Entscheidung, ihn in einem Pflegeheim unterzubringen, richtig findet. Frau L. hält an der Vorstellung fest, ihr Mann könne bezüglich der anstehenden Operation noch mitentscheiden, und sie ist sich dabei sogar bewusst, dass sie sich etwas vorgaukelt. Die letzten Beispiele zeigen das gemeinsame Treffen von Entscheidungen als wesentliches Merkmal in Ehen. Schon der Beginn einer Ehe ist von einer 1159 vgl. A41ff., A184, B287, C100, C130, D87, D309, G15, H15, H44, H54f., K29, L12, L22, L25, L27ff., L34, N9, R20, R43 302 gemeinsamen Entscheidung geprägt1160. Ehen sind im Unterschied zu verwandtschaftlichen Beziehungen frei gewählt, man entscheidet sich füreinander. Und Ehen sind auch im weiteren Verlauf stets auf gemeinsamen Entscheidungen gegründet, denn sie sind auf die Zukunft ausgerichtet1161. Man heiratet jemanden, um mit ihm Lebensprojekte zu verwirklichen, zum Beispiel Kinder zu bekommen, ein Haus zu bauen, das Alter gemeinsam zu gestalten. Die Lebensprojekte nehmen durch gemeinsame Entscheidungen und gemeinsames Handeln Gestalt an. Das Dilemma der Betroffenen besteht darin, dass die Demenz einerseits den Vollzug dieser Vorstellung von Ehe zerstört, weil der Erkrankte sich nicht mehr einbringen kann, andererseits aber die Idee des gemeinsamen Entscheidens und Handelns derart konstitutiv für die Ehe ist, dass bei ihrem Fehlen die Beziehung eigentlich nicht mehr als Ehe gedacht werden kann. Die bestehende Forschungslage zur Situation der Ehegatten Demenzkranker hat nur sehr wenige Beiträge, die sich der Fragen des Eingreifens in die Souveränität des erkrankten Ehegatten systematisch angenommen haben. Einige Autoren berichten, vor allem für Ehefrauen stelle es ein Problem dar, sich gegenüber dem dementen Mann durchzusetzen1162. Miller argumentiert, die Autorität, die Frauen aus der Kindererziehung kennen, bereite wenig darauf vor, Autorität gegenüber einem erwachsenen Menschen auszuüben. Männer hingegen seien es eher gewohnt, Autorität über Erwachsene zu haben, in der Familie oder im Beruf, und für sie bedeute die Betreuung der dementen Ehefrau deshalb nur eine Ausweitung dieser bekannten Struktur1163. In den hier ausgewerteten Beratungsgesprächen berichteten auch Ehemänner über Schwierigkeiten, in die Souveränität ihrer dementen Frauen einzugreifen (Herr E., Herr H.) oder Autorität ihnen gegenüber auszuüben (Herr D., Herr P.). Die Zurückhaltung der Forschung gegenüber dem Thema der Souveränität von dementen Ehegatten erstaunt angesichts der Dringlichkeit, mit der gerade diese Frage von den gesunden Ehegatten in den hier ausgewerteten Beratungsgesprächen vorgetragen wurde. 1160 Dies gilt für die moderne Ehe, die von den Einflüssen Dritter (Verwandtschaft, Lehnsherren usw.) weitgehend freigesetzt worden ist und als Begründung die gegenseitige Zuneigung und den freien Willen der beiden Partner voraussetzt. 1161 Der Zukunftsbezug von Paarbeziehungen lässt sich evolutionstheoretisch ableiten. Aus dieser Sicht sind dauerhafte Paarbeziehungen als menschliche Universalie entstanden, weil die Entwicklung des Homo sapiens mit seiner Vergrößerung des Neokortex, dem aufrechten Gang und der Sprachentwicklung lange Aufzuchtszeiten des Nachwuchses bedingte – ein Selektionsnachteil, der nur dadurch aufgefangen werden konnte, dass der Erfolg der Aufzucht des vergleichsweise wenigen Nachwuchses möglichst sicher gestellt werden musste. Vgl. Lösel & Bender 2003, 46ff. 1162 vgl. Miller 1987; Perry 2002; Perry & O’Connor 2002; Wright 1993 1163 vgl. Miller 1987 303 Für die Situation von erwachsenen Kindern demenzkranker Eltern gibt es das Konzept der „fürsorglichen Autorität“1164, das pflegende Kinder dazu anhält, aktiv, wohlwollend und bestimmt in die Belange der dementen Eltern einzugreifen, um sie zu schützen oder zu fördern. Dies setzt bei den erwachsenen Kindern voraus, dass sie sich endgültig aus kindlicher Abhängigkeit von den Eltern abgelöst haben, Verantwortung für die alten Eltern übernehmen und damit eine neue Rolle ihnen gegenüber einnehmen. Für Ehegatten stellt sich die Situation anders dar. Es handelt sich hier nicht um ein Verhältnis, das früher aus einem unmündigen Kind und einem erziehungsberechtigten Erwachsenen bestanden hat. Bei Ehepartnern vollzieht sich deshalb auch nicht eine Umkehr der früheren Rollen. Es geht eher um die Verschiebung eines bei jedem Paar anders gelagerten, sehr individuellen und über Jahre austarierten Gefüges verschiedenartiger Rollen. Dies wird noch dadurch kompliziert, dass die Demenz nicht alle Rollenbereiche eines Paares in gleicher Weise und zu gleicher Zeit tangiert und deshalb die Verschiebungen in verschiedenen Rollenbereichen nicht gleichzeitig passieren. Theoretische Perspektivenerweiterung: Mit ihren Gedanken rund um die Frage der Souveränität zeigen die Ehegatten, dass die Demenz die Stellung der beiden Ehepartner zueinander nachhaltig verändert. Damit sind Fragen der Gleichberechtigung, der Alltagsorganisation und der Macht berührt. (a) Gleichberechtigung Bei Paaren, die der Vorstellung eines hierarchischen Gefälles zwischen Ehemann und Ehefrau anhängen, stellen notwendige Eingriffe der gesunden Frau in die Souveränität des dementen Ehemannes eine besonders hohe Hürde dar. Frau J. gibt ein Beispiel dafür ab. Das Dilemma dieser Frauen liegt darin, dass sie ihrem eigenen Eheverständnis nach eigentlich nicht in die Kompetenzbereiche des Mannes eingreifen dürfen, es aufgrund seiner Demenz aber tun müssen. Partnerschaften, für die das Modell der Gleichberechtigung verbindlich ist, erleben mit der Demenz eine Bedrohung dieses Selbstverständnisses. Das Dilemma dieser Betroffenen liegt darin, dass die Demenz dem Erkrankten die Fähigkeit nimmt, als gleichberechtigter Partner zu agieren, gleichzeitig aber der Wert der Gleichberechtigung weiterhin als 1164 vgl. Bruder 1988 304 verbindliche Orientierung für die gelebte Beziehung gilt. Für dieses Dilemma bieten die Fallanalysen zahlreiche Beispiele. (b) Alltagsorganisation Die Frage der Souveränität des dementen Partners berührt auch die Alltagsorganisation und Arbeitsteilung des Paares. Wie kompliziert es für das Paar wird, wenn der gesunde Partner notwendigerweise solche Aufgaben übernehmen muss, die zuvor eindeutig im Kompetenzbereich des anderen gelegen haben, wird in mehreren Fällen deutlich. Frau H. beispielsweise, die demente Ehefrau, empfindet es als kränkend, dass ihr Mann nun kocht und den Haushalt führt, und es scheint einigen Streit um dieses Thema zu geben. Der Rückzug aus einem angestammten Arbeitsbereich und einer Rolle ist für die Betroffenen weit mehr als die Entpflichtung von bestimmten Aufgaben. Aufgaben und Rollen waren seit Jahrzehnten eng mit ihrer Identität verflochten. Frau K., die die Verantwortung für die finanziellen und administrativen Angelegenheiten an sich genommen hat, will ihrem Mann diese Verlusterfahrung ersparen, indem sie die Arbeiten heimlich nachts erledigt. Ähnliche Beispiele berichten auch andere Autoren über pflegende Ehefrauen, die den dementen Mann vor Erfahrungen des Versagens schützen wollen1165. Ein Dilemma ist es, dass die Erkrankten aufgrund ihrer eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten in der Regel keine Krankheitseinsicht entwickeln und folglich nicht mehr in der Lage sind, die Rolle eines Kranken einschließlich der damit verbundenen sekundären Krankheitsgewinne anzunehmen und aus dieser Rolle heraus die Entpflichtung zu akzeptieren bzw. ihre veränderte Stellung innerhalb des Paares konstruktiv zu gestalten. (c) Macht Die Abkehr des Erkrankten von Aufgaben und damit verbundenen Rollen bedeutet auch eine Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb des Paares. Damit berührt die Frage der Souveränität des demenzkranken Partners mittelbar auch die Machtfrage in der Beziehung. Dies lässt sich unter Rückgriff auf soziologische Theorien über Machtverhältnisse in Paarbeziehungen nachvollziehen. Macht bedeutet nach der Definition von Weber „jede Chance innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen durchzusetzen, gleichviel 1165 vgl. Perry 2002; Perry & O’Connor 2002; Wright 1993 305 worauf diese Chance beruht“1166. Die Durchsetzungsmöglichkeiten sind vielfältig und reichen von Zwang über materielle Belohnungen, Überredung oder Überzeugung, bis hin zu gewohnheitsmäßiger oder traditioneller, nicht reflektierter Anerkennung des Anderen in seiner Position des „Mächtigeren“ u.a.m.1167. Über- und Unterordnungsverhältnisse in Ehen werden soziologisch u.a. mit der Ressourcen-Theorie zu erklären versucht. Diese geht davon aus, Macht zeige sich darin, wie viele und vor allem welche wichtigen Entscheidungen die einzelnen Partner in der Ehe treffen. Nach den Vorstellungen der Ressourcen-Theorie hat derjenige, der die meisten Ressourcen (Einkommen, Vermögen, Berufsprestige, Schulbildung) einbringt, die größere Macht. Eine Erweiterung der Ressourcen-Theorie ist die AustauschTheorie, die nicht nur externe, vor allem materielle Werte einbezieht, sondern auch immaterielle (wie z.B. Attraktivität, Gefühle der Geborgenheit, sexuelle Befriedigung u.v.m.). Der machtlosere Partner ist nach dieser Theorie derjenige, der am stärksten bei der Auflösung der Beziehung verliert.1168 Wesentlich ist auch, dass Machtprozesse von sogenannten Balance-Strategien, das sind bewusste Handlungsstrategien eines Partners, beeinflusst werden. Das können z.B. die Verhinderung von Entscheidungen sein oder das Nachgeben zum Zwecke eines anderen Vorteils1169. Ehepaare sind immer auch Arbeitsgemeinschaften, die gemeinsam ihren Alltag bewältigen und bestimmte Projekte umsetzen. Wird einer der beiden dement, entfällt dessen Beitrag zum gemeinsamen Arbeitspensum. Muss der Kranke dauerhaft einen Aufgabenbereich, der traditionell in seine Verantwortung gefallen war, abgeben, dann gefährdet dies im Sinne der Austausch-Theorie seinen Stand in der Ehe, denn damit gibt er seinen Beitrag für das gemeinsame Leben als Familie bzw. als Paar auf. Dies scheinen viele Demenzkranke zu spüren, und sie beharren darauf, den angestammten Bereich nicht aufzugeben (siehe Frau H.). Aus dieser Sicht erscheinen die Versuche der gesunden Ehegatten, dem Kranken diese Erfahrungen zu ersparen, nicht mehr nur altruistisch motiviert. Würden sie unverblümt in die Kompetenzbereiche des Kranken eingreifen, dann wäre die Schieflage in der Machtbalance des Paares augenfällig. Dadurch drohten möglicherweise offene Auseinandersetzungen um 1166 Weber 1922/1956, 28; zit. nach Nave-Herz 2004, 158 1167 vgl. Nave-Herz 2004, 158 1168 vgl. Nave-Herz 2004, 163 1169 vgl. Nave-Herz 2004, 163 306 die Machtverhältnisse, die das Paar weiter destabilisieren würden (vgl. Ehepaar H.). 9.4 Gerechtigkeit und Liebe Die Frage der Gerechtigkeit wird in den ausgewerteten Beratungen an drei Stellen angesprochen. Die Tochter von Frau Q. stellt sie, als es um ihre finanziellen Unterhaltsverpflichtungen dem Vater gegenüber geht. Mittelbar ist dadurch die Gerechtigkeitsfrage auch für ihre Mutter gestellt, denn diese muss zwischen ihren eigenen Ansprüchen, denen des Mannes und denjenigen ihrer Tochter abwägen. Frau O. stellt die Frage indirekt, als sie sich zaghaft über das mangelnde Engagement der Kinder ihres Lebensgefährten beklagt. Im Hintergrund ihrer Klage steht ein Ungleichgewicht zwischen dem Engagement einerseits und den Ansprüchen auf Entscheidungsbefugnisse bezüglich der Versorgung des Erkrankten andererseits. Am deutlichsten wird das Thema im Fall von Frau M., der hoch belasteten, seit 15 Jahren ihren Mann pflegenden Ehefrau, die es ungerecht findet, selbst später zum „Sozialfall“ zu werden, wenn sie heute das gemeinsame Vermögen für die Pflege des Mannes ausgäbe. Auffälligerweise kommt das Thema der Gerechtigkeit zwischen den Ehepartnern in keinem der anderen ausgewerteten Fälle offen zur Sprache. Dennoch ist es häufig im Hintergrund, beispielsweise immer dann, wenn Reziprozität als Motiv für die Übernahme der Pflege genannt wird, oder wenn es um Fragen der Loyalität geht, die austauschtheoretisch auch als Fragen der Gerechtigkeit gesehen werden können. Die bestehende Forschungslage spiegelt die Abwesenheit des Themas wider. In den von mir ausgewerteten Studien gibt es keine Befunde zur Frage der Gerechtigkeit in ehelichen Demenz-Pflege-Konstellationen. Theoretische Perspektivenerweiterung: Die Equity-Theory, Ansätze der Familienökonomik, soziologische Studien zur Semantik der romantischen Liebe sowie ein Blick auf geistesgeschichtliche Grundlagen der heutigen Auffassungen von Ehe und Partnerschaft können für das Verstehen der Situation der von Demenz betroffenen Paare weiterführend sein. 307 (a) Equity-Theorie Mit Fragen der Verteilungsgerechtigkeit in Paarbeziehungen beschäftigt sich die den austauschtheoretischen Ansätzen verwandte Equity-Theory1170. Dieser Theorie zufolge beurteilen die Partner bei ihren Kosten-Nutzen-Abwägungen nicht nur die Netto-Erträge der Partner, sondern es kommt auch auf die erlebte Ausgewogenheit an. Nehmen die Partner das Verhältnis von Kosten und Belohnungen als fair oder gerecht wahr, dann sind sie mit der Beziehung zufrieden. Die Bedeutung des Begriffs „equity“ wird im Kontrast zu dem Begriff „equality“ deutlich. Das Gleichheitsprinzip der Verteilungsgerechtigkeit geht davon aus, dass alle Beteiligten den gleichen Betrag erhalten. Das Equity-Prinzip dagegen rechnet die Vorleistungen der Beteiligten ein, und es gilt, dass diejenigen, die mehr geleistet haben, auch mehr erhalten1171. Dies ist besonders wesentlich in langjährigen Ehen. Das Engagement für den erkrankten Gatten wird nicht nur im Heute begründet, sondern auch als Wiedergutmachung für frühere Leistungen des heute Kranken betrachtet. Ein Beispiel dafür gibt Herr H. ab, der darauf verweist, seine Frau habe ihm früher stets den Rücken für den Beruf freigehalten und habe die Kinder erzogen. (b) Commodities in der Familienökonomik Der familienökonomische Ansatz unterstellt, Menschen gingen enge Paarbeziehungen ein, um ihren subjektiven Nutzen zu maximieren. Eine besondere Rolle spielen dabei Güter, die nur innerhalb enger Beziehungen produziert und konsumiert werden können, sogenannte Commodities1172. Dies sind zum Beispiel Zuwendung, Liebe, Anerkennung, Sinnesfreuden, Erholung, Sozialkontakt. Solche Güter sind nicht beliebig auf dem Markt zu erwerben, sondern entstehen häufig erst im Rahmen stabiler Beziehungen. Ehen sind in der Logik des familienökonomischen Ansatzes „langfristige Verträge, mit denen hochbewertete Güter wie Zuwendung und Liebe auf eine sichere Basis gestellt werden sollen“1173. Der Ansatz geht davon aus, dass Paare bei defizitären Nutzenströmen Anpassungsprozesse in Gang setzen, indem sie durch die Umverteilung von Commodities Ausgleichszahlungen zwischen den Partnern erzielen. 1170 vgl. Walster, Walster & Berscheid 1978, Kap. 11; zit. nach Lösel & Bender 2003, 51 1171 vgl. Rohmann 2003, 316 1172 vgl. Becker 1976; zit. nach Lösel & Bender 2003, 54 1173 Lösel & Bender 2003, 54 308 Im Falle der Demenzerkrankung eines Partners ist zu fragen, welche Commodities der demente Partner trotz seiner Erkrankung weiterhin in die Beziehung einbringt. Ich gehe davon aus, dass er das kann. Denn bei den Commodities handelt es sich um Güter, deren Herstellung nicht unbedingt von den geistigen Fähigkeiten der Beteiligten abhängig ist, sondern besonders auf emotionale Qualitäten angewiesen ist. Vielfach wird in der Literatur über Demenzerkrankungen die bis in fortgeschrittene Krankheitsstadien hinein erhaltene emotionale Ansprechbarkeit der Patienten betont. Kora van der Kooij schreibt beispielsweise: „Demenzbetroffene benehmen sich und kommunizieren auf der Basis ihrer Emotionen1174.“1175 Aus dieser Sicht ist der demente Partner nicht nur ein Hilfe empfangendes und Belastungen verursachendes Objekt, sondern ein Subjekt, das weiterhin an der Gestaltung der Beziehung aktiv beteiligt ist, wenn auch in einer im Vergleich zu früher veränderten Form. Für die Beratung wäre es wichtig mehr darüber zu wissen, wie die dementen und gesunden Partner Transfers von Commodities vornehmen, und ob sie dadurch die Nutzenströme innerhalb der Beziehung zumindest teilweise ausbalancieren können. (c) Semantik der Liebe und Semantik der Partnerschaft Ich möchte nun darauf zurückkommen, dass Gerechtigkeit in den Ehegattenberatungen in den von mir ausgewerteten Beratungen selten offen angesprochen wird. In Bezug auf das Verhältnis von erwachsenen Kindern und ihren pflegebedürftigen Eltern ist Gerechtigkeit durchaus ein öffentliches Thema, sichtbar beispielsweise in Äußerungen, Kinder „schöben“ ihre Eltern in Altenheime „ab“, oder Töchter „opferten“ sich für die alten Eltern „auf“. Auch ist Gerechtigkeit grundsätzlich kein Tabuthema in Ehen. Erinnert sei beispielsweise an die Auseinandersetzungen um die geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen in der Hausarbeit. Bedeutet das Fehlen des Themas, dass die jeweilige Gerechtigkeitsbilanz von den pflegenden Ehegatten als ausbalanciert wahrgenommen wird? Oder ist die Gerechtigkeitsfrage im Zusammenhang mit Pflegebedürftigkeit und Altersehe tabuisiert, so dass sie nur in besonders schweren Fällen, wie bei Frau M., an die Oberfläche kommt? Ich möchte hier die These vertreten, die Ehegatten betrachten ihre Situation nicht vorrangig aus dem Blickwinkel von Recht und Gerechtigkeit, sondern aus der Perspektive der Liebe. Begründen werde ich die These im Rückgriff auf eine philosophische Arbeit von 1174 vgl. Verwoerdt 1976, 1981; Feil 1990, 1997; zit. nach van der Kooij 2000, 68 1175 van der Kooij 2000, 68 309 Axel Honneth1176 und eine soziologische, dem symbolischen Interaktionismus nahestehende Arbeit von Cornelia Koppetsch1177. Honneth bietet einen Zugang zu Gerechtigkeitsfragen in der Ehe, indem er die Eheauffassungen von Kant und Hegel gegenüberstellt1178. Für Kant ist die Ehe eine Beziehung, deren innerster Kern ein Vertrag zwischen zwei autonomen Subjekten ist1179. Hegel hält dem entgegen, die Vorstellung der Ehe als ein Vertrag gehe am Kern vorbei. Liebe und gegenseitige Beihilfe sind für Hegel die zentralen Merkmale der Ehe1180. Honneth bezeichnet Kants Auffassung als Rechtsmodell, Hegels Vorstellung als Gefühlsmodell. Im Rechtsmodell von Kant stehen Rechte und Pflichten im Vordergrund, im Gefühlsmodell von Hegel das Gewähren von Fürsorge und Zuwendung1181. Bezogen auf die Gerechtigkeitsfrage in Ehen gilt in der Logik des Rechtsmodells als gerecht, was auch außerhalb der Familie als Prinzip der moralischen Autonomie gilt: Gerecht sind die Handlungen, die die moralische Autonomie des Anderen respektieren oder ihr zur Durchsetzung verhelfen. Nach dem Hegel’schen Gefühlsmodell sind Handlungen und Einstellungen gerecht, die der individuellen Bedürfnislage des einzelnen Familienmitgliedes angemessen zur Erfüllung verhelfen1182. Das Gefühlsmodell kann zu einer Einschränkung der individuellen Autonomie führen: Um den Bedürfnissen des anderen „gerecht“ zu werden, kann es erforderlich sein, auf die Verwirklichung der eigenen Interessen oder Lebenspläne zumindest zeitweise zu verzichten1183. Mit diesen Überlegungen befinden wir uns mitten im Bereich der häuslichen Pflege. 1176 vgl. Honneth 1995 1177 vgl. Koppetsch 2001 1178 Mit den nachfolgenden Ausführungen beziehe ich mich auf Honneth 1995. 1179 Die Begründung für die Notwendigkeit einer derartigen Vertragskonstruktion ergibt sich aus den Prämissen, die Kants Begriff der moralischen Autonomie zugrunde liegen: In einer sexuellen Beziehung machen sich beide Partner wechselseitig zu Objekten ihrer Begierden. Dies ist mit den „Rechten der Menschheit“ unvereinbar, und kann nur hingenommen werden, wenn die beiden sich wechselseitig als „Sache“ erwerben, weil sie sich beide als autonome Vertragspartner konstituieren und ihre „Persönlichkeit“ so wiederherstellen. Damit ist die Gefahr der gegenseitigen Instrumentalisierung gebannt. Im Hintergrund der Kant’schen Vorstellung findet sich eine alttestamentarische Rechtfertigung der Ehe als einer von Gott geschaffenen sozialen Einrichtung, die den Menschen die Befriedigung ihrer natürlichen Bedürfnisse ermöglicht. Vgl. Honneth 1995, 995 1180 Honneth skizziert Hegels Auffassung wie folgt: In einem Vertrag beziehen sich die Partner nur negativ aufeinander, indem sie jeweils gegenüber dem anderen auf ihren Rechten bestehen. Eine Ehe aber zeichnet sich dadurch aus, dass die individuellen Wünsche und Bedürfnisse nicht in Form von Ansprüchen eingeklagt werden müssen, sondern auf dem Weg der „gegenseitigen Liebe und Beihilfe“ (Hegel, Rechtsphilosophie, §164) zur Erfüllung gelangen. Im Hintergrund der Hegel’schen Vorstellung findet sich ein weiterer christlicher Traditionsbestand, der nicht an der Gefahr der sexuellen Lust ansetzt, sondern an der moralischen Qualität der emotionalen Beziehung. Danach entsteht in der Ehe etwas vollkommen Neues in der Welt, indem die wechselseitige Liebe zu einer Verschmelzung führt, die am Ende aus zwei Menschen eine höherstufige Einheit werden lässt. Vgl. Honneth 1995, 995f. 1181 vgl. Honneth 1995, 997 1182 vgl. Honneth 1995, 997 1183 vgl. Honneth 1995, 998 310 Ohne sich auf Kant oder Hegel zu beziehen, denkt Cornelia Koppetsch in eine ähnliche Richtung in ihrer Arbeit über Liebe und Partnerschaft1184. Zentrale soziologische Studien zur Semantik der romantischen Liebe1185 stellen die Gegensätzlichkeit von Liebe und Partnerschaft heraus. Die Liebessemantik besagt, dass sich aus Liebe keine Ansprüche ableiten lassen. Liebe, so Koppetsch, könne nicht moralisch, vernünftig oder durch Verdienst begründet werden. Sie sei nur als freiwillige, spontane, d.h. völlig unbedingte Gabe denkbar. „Sie scheint aus der Ökonomie gesellschaftlicher Tauschrelationen ausgenommen, überschreitet gewissermaßen den Horizont des Sozialen. Sie beruht nicht auf Berechnung, auch nicht auf Verpflichtung, sondern auf Verausgabung, auf der Bereitschaft, einem anderen unter Ausschluss anderer alles zu geben, d.h. auf der bedingungslosen und freiwilligen Hingabe. Je größer dabei das individuelle Opfer, desto größer wird im Allgemeinen die Liebe eingeschätzt. Das Opfer fungiert gemäß dem Code der romantischen Liebe deshalb als eine Art Bewährungsprobe für die Liebenden, als Liebesbeweis.“1186 Auf der Ebene der praktischen Umsetzung folgt die Liebe – so lautet die These von Koppetsch – der Austauschlogik des Gabentausches1187. „Die Liebenden – so will es der Code der romantischen Liebe – drängt es beständig zur Hingabe, zum Geben, zu Gesten der Zuneigung und Aufmerksamkeit und zur Übernahme von Verantwortung ohne Berechnung.“1188 Dennoch erfolge das Geben nicht ohne die mehr oder weniger bewusste Erwartung einer Gegengabe. Doch im Gegensatz zum Äquivalenztausch komme es nicht auf die Aufrechnung des Wertes der Gaben an, es gebe auch keine Möglichkeit, die Gegengabe einzuklagen. Der Gabentausch werde von Gefühlen der Zuneigung und Dankbarkeit begleitet, welche die Zeit zwischen Gabe und Gegengabe, gleichsam in Form eines emotionalen Platzhalters überbrückten.1189 1184 Mit den folgenden Ausführungen beziehe ich mich auf Koppetsch 2001. 1185 vgl. Übersicht bei Koppetsch 2001, 220 1186 Koppetsch 2001, 221 1187 vgl. Marcel Mauss (1989), zit. nach Koppetsch 2001, 223. Koppetsch erklärt, sie verwende den Begriff nicht umfassend wie Mauss, der den Gabentausch als sphärenübergreifendes, alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringendes Vergesellschaftungsprinzip zwischen Kollektiveinheiten auffasst, mit wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und magischen Funktionen. Sie begreife Gabentausch als eine auf persönliche Beziehungen beschränkte Form des Austausches zwischen Individuen. Für moderne Gesellschaften sei, im Unterschied zu archaischen Kulturen, das Prinzip des Gabentausches nur noch für die Bereiche diffuser, informeller und persönlicher Beziehungen relevant, während sich in den gesellschaftlichen Funktionssystemen eher vertrags- oder marktorientierte Formen des Austausches ausdifferenziert hätten. Die Funktion des Schenkens reduziere sich deshalb auf das Eingehen und die Aufrechterhaltung persönlicher Beziehungen. 1188 1189 Koppetsch 2001, 223 Das funktioniert, weil die Gabe mit der Persönlichkeit des Gegenden symbolisch verbunden ist. Die gegebene Sache oder der erwiesene Gefallen ist nicht nur ein „Ding an sich“, sondern ihr haftet eine Spur des Gebenden an. Mauss bezeichnet diesen Aspekt als den „Geist der gegebenen Sache“. Simmel spricht von Dankbarkeit als Platzhalter der Gegengabe, vgl. Simmel 1983, 214; zit. nach Koppetsch 2001, 224 311 In der Partnerschaftssemantik dagegen liege der Akzent auf der unmittelbaren Reziprozität und dem Primat individueller Interessen gegenüber der blinden Investition in die gemeinsame Bindung. Partnerschaft sei nicht symbiotische Einheit (in Abgrenzung zur romantischen Liebe), sondern ein Kommunikationszusammenhang zweier autonomer Individuen, die zwecks Maximierung ihrer individuellen 1190 miteinander stehen Gewinne in einem Austauschverhältnis . In der Austauschlogik der Partnerschaft gehe es um Rationalisierung des Austausches, Sicherstellen der Wechselseitigkeit von Rechten und Pflichten, Herstellen von Gerechtigkeit und Abbau von 1191 Asymmetrien. Nach diesen Überlegungen von Honneth und Koppetsch können wir unterstellen, die pflegenden Ehegatten bewegen sich gedanklich im Bereich der Liebessemantik bzw. im Gefühlsmodell Hegels, wenn sie nicht über Gerechtigkeit reden. In ihrem Engagement für den kranken Lebensgefährten ist Hingabe und Verausgabung angelegt. Es sind gerade die Belastungen, die Opfer und das „Ungerechte“, das die pflegenden Ehegatten auf sich nehmen, was nach dem Code der romantischen Liebe als Liebesbeweis bzw. was in Hegels Modell unter Umständen als gerecht gilt. Honneth wie Koppetsch gehen davon aus, dass in modernen Beziehungen beide Orientierungen – Gefühls- und Rechtsmodell bzw. Liebessemantik und Partnerschaftssemantik – nebeneinander existieren und in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. 9.5 Beziehungsgeschichte und Paardynamik Verschiedene Ehegatten nutzen die Beratung für einen Rückblick auf die vergangene Ehebeziehung (Frau J., Herr E. oder Herr N.). Dabei kann es um eine Vergewisserung gehen, inwieweit die Vergangenheit als tragfähige Basis für die heutigen Herausforderungen der Beziehung taugt, oder es kann um eine Relativierung und Einordnung der aktuellen belastenden Erfahrungen in das Gesamtbild einer alles in allem doch befriedigenden gemeinsamen Geschichte gehen. 1190 vgl. Giddens 1992, 63; zit. nach Koppetsch 2001, 221f. 1191 vgl. Koppetsch 2001, 225 312 In der bestehenden Forschungslage zur Situation der Ehegatten ist wenig über das Paar zu finden. In der Demenzforschung wird meist ausschließlich der Kranke betrachtet, die Forschung zur häuslichen Pflege nimmt sich in der Regel nur die Angehörigen vor. Auch in den Arbeiten über pflegende Ehegatten fehlt mit wenigen Ausnahmen die dyadische Perspektive1192. Der Demenzkranke erscheint als passiver Empfänger von Pflege, der wenig interpersonale Macht besitzt und nur Aufgaben setzt und Belastungen verursacht1193. Die Qualität der Ehebeziehung vor dem Auftreten der Demenz wird im stresstheoretischen Denken, in dessen Kontext das Gros der Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker entstanden ist, als Einflussgröße im Stressprozess angesehen. Die empirischen Arbeiten in diesem Bereich beschäftigen sich sehr holzschnittartig mit der „guten“ oder der „schlechten“ vergangenen Ehe. Die Einflüsse vergangener wie aktueller psychodynamischer Funktionsprinzipien der Ehe auf die Paarsituation im Falle der Demenz werden nicht berücksichtigt. Theoretische Perspektivenerweiterung: Der Fall von Herrn N. zeigt, wie kompliziert die Verhältnisse werden, wenn eine Demenz in einer langjährig gestörten Ehe auftritt. Alle Funktionsprinzipien des Paares – Grenzregelung, Gleichwertigkeitsbalance, progressiv-regressive Polarisierung1194, Gegensatzeinheit von zentrifugalen und zentripetalen Kräften1195, Kollusionsmuster1196 und Rollenverzahnung1197 - geraten nun unter den Bedingungen der Demenz in Bewegung. Ein extremer Fall wie der von Herrn N. ist geeignet, die Bedeutung der Paar-Funktionsprinzipien für das Verstehen der Paarsituation im Falle einer Demenz zu Tage zu fördern. Diese Funktionsprinzipien gelten jedoch nicht nur für „pathologische“ Paare, sondern sind allgemeine Prinzipien, denen jedes Paar unterliegt. Darauf weist ausdrücklich Willi hin, der für sein Kollusionskonzept ausführt, jedes Paar werde mit dieser Thematik konfrontiert und müsse die für 1192 Es gibt nur eine Handvoll Studien, die sowohl den gesunden als auch den demenzkranken Ehegatten untersucht haben: Das ist eine Arbeit von Wright (vgl. Wright 1993), sowie einige weitere Arbeiten, denen es jedoch nicht um das Spezifische der Ehesituation geht, sondern um allgemeine Fragen der Kommunikation mit Demenzkranken (vgl. z.B. Gallagher-Thompson et al.1997, 2001; Hendryx-Beladov 1999; Kemper et al. 1994, 1995; Orange et al. 1998) 1193 vgl. Chesla, Martinson & Muwaswes 1994 1194 vgl. Funktionsprinzipien von Paaren bei Willi 2002, 16ff.: Er zählt dazu das Abgrenzungsprinzip, die Gleichwertigkeitsbalance des Paares und das progressive bzw. regressive Abwehrverhalten. 1195 vgl. Duss von Werdt 1973, 18; zit. nach Vogt 2001, 23 1196 Kollusion meint ein uneingestandenes, voreinander verheimlichtes Zusammenspiel zweier oder mehrerer Partner auf Grund eines gleichartigen, unbewältigten Grundkonfliktes. Dieser wird in verschiedenen Rollen ausgetragen, wobei die Paare sich in einen progressiven und einen regressiven Partner polarisieren. Der progressive Partner verhält sich aktiv, führend, überlegen oder fürsorglich, der regressive Partner dementsprechend passiv, unterlegen, hilfebedürftig, bewundernd. Vgl. Willi 2002, 20f., 59f. und 65ff. 1197 Richter beschreibt folgende Rollen, die bei Paaren in unterschiedlicher Kombination verzahnt sein können: das Partner-Substitut, das Abbild, das ideale oder negative Selbst, den Bündnisgenossen. Vgl. Richter 2001, 50ff. 313 beide Partner zuträglichste Lösung finden1198. Anlass zu pathologischen Entwicklungen seien progressiv-regressive Polarisierungen erst dann, wenn sie nicht flexibel und adaptiv gemäß den Erfordernissen der aktuellen Umweltsituation eingesetzt würden1199. Die Paar-Funktionsprinzipien können demnach auch erhellend sein, um die Situation „normaler“ von Demenz betroffener Paare zu verstehen, denn auch bei ihnen ist davon auszugehen, dass die jeweilige Ausprägung der einzelnen Funktionsprinzipien durch die Demenz verändert wird. Willi beschreibt in einem Aufsatz über die Altersehe die Auswirkungen der progressiv-regressiven Polarisierung im Falle von Funktionseinschränkungen durch Altersgebrechen. Er kommt zu dem Schluss, Gebrechen würden von dem Paar generell schlechter bewältigt, wenn der progressive Partner davon betroffen sei, weil in diesem Fall eine massive Veränderung der bisher verteilten Rollen erforderlich werde. Nicht selten sehe man aber bei den alten Paaren auch eine symmetrische Eskalation, in der Weise, dass beide Partner miteinander in ihrer regressiven Pflege- und Zuwendungsbedürftigkeit rivalisierten. Jeder wolle die Pflegefunktion dem anderen zuschieben, jeder weigere sich trotzig, sie zu übernehmen. Beim progressiven Rivalisieren gehe es um gegenseitiges Übertreffen in Jugendlichkeit, Fitness, Beliebtheit und ähnlichem1200. Als weitere Ausweitung der Perspektiven bieten sich lerntheoretische Ansätze der Paartheorie an. Deren zentrale Annahme ist, dass der tägliche Umgang der Partner miteinander Krisensituationen und die vor allem das Beziehungsqualität Verhalten und in Stabilität Konflikt- und bestimmen 1201 . Lerntheoretische Ansätze interessieren sich besonders für das Kommunikationsund Interaktionsverhalten der Partner und suchen funktionale und dysfunktionale Muster zu identifizieren. Forschungsfragen für die Situation von Demenz betroffener Paare aus diesem Hintergrund sind u.a.: • Wie verarbeiten unterschiedliche Typen von Paaren die Demenz? Gottman1202 unterscheidet fünf Typen von Paaren, davon drei relativ zufriedene und stabile (lebhaft-impulsive, konstruktive und konflikt- 1198 vgl. Willi 2002, 62 1199 vgl. Willi1986, 303f. 1200 vgl. Willi 1986, 304 1201 vgl. Lösel & Bender 2003, 57ff. 1202 vgl. Gottman 1993; zit. nach Lösel & Bender 2003, 59 314 vermeidende Paare) sowie zwei unglückliche, instabile Typen (feindseligverstrickte und feindselig-losgelöste Paare). • Unglückliche Paare übertreiben negative Aspekte des Partnerverhaltens und unterschätzen dessen positive Anteile. Sie attribuieren das negative Verhalten des Partners zunehmend als intendiert und hinsichtlich der Ursachen mehr als stabil, global und internal1203. Eine Forschungsfrage ist, inwieweit solche Attribuierungsgewohnheiten auch bei demenziell verursachtem Verhalten des Partners beibehalten werden – man kann annehmen, dass das so ist. Das hätte dann in der Angehörigenberatung Konsequenzen für die Wirksamkeit von Aufklärungsbemühungen die Krankheit betreffend. Als Perspektivenausweitung für die Demenzproblematik in Ehen kann schließlich das Modell der Liebesgeschichten von Sternberg1204 dienen. Dieses Modell basiert auf der Annahme, dass die Vorstellungen, die Menschen von der Liebe haben, nicht in einem luftleeren Raum entstehen, sondern von den Beziehungen der Verwandten und Bekannten, von Filmen, Erzählungen, Romanen, Witzen u.v.m. geprägt werden. Sternberg erwartet, dass Menschen auf der Basis dieser Einflüsse ihre eigenen Liebesgeschichten „schreiben“ und diejenigen Geschichten realisieren, die ihnen besonders nahe liegen. Als Beispiele solcher Liebesgeschichten nennen Sternberg et al. Liebe als Sucht, Liebe als Kunst, Liebe als Kochbuch1205. Für das Verstehen der Demenzproblematik in Ehen können aus diesem Ansatz Fragen abgeleitet werden, welche Liebesgeschichten das Paar bisher geschrieben hat und wie die Geschichte in der Vorstellung des gesunden Partners unter den Bedingungen der Demenz weiter fortgeschrieben wird. 1203 vgl. Bradbury & Fincham 1990; zit. nach Lösel & Bender 2003, 60 1204 vgl. Sternberg 1995; Sternberg et al. 2001; zit. nach Felser 2003, 367ff. 1205 vgl. Sternberg et al. 2001; zit. nach Felser 2003, 368 315 10 Ehebeziehung und Pflegebeziehung Im vorangegangenen Kapitel wurde erläutert, wie eine Demenz auf vielfältige Weise konstituierende Merkmale der Ehebeziehung in Mitleidenschaft zieht, dadurch das Fundament dieser Beziehungsform erschüttern und als Krise der Ehe aufgefasst werden kann. Diese Veränderungen der Ehebeziehung sind das eine Gebiet im Themenfeld „Wir“. Daneben gibt es in diesem Themenfeld als zweites Gebiet die Aspekte einer Pflegebeziehung. Hier setzen die Ehegatten sich mit Fragen der Pflege ihres erkrankten Partners auseinander, d.h. mit ihren Motiven und Zielsetzungen bei der Betreuung des Kranken und mit ihren Bewältigungsversuchen, die Beziehung unter dem Vorzeichen der Pflege anders als die bekannte Ehebeziehung zu gestalten. 10.1 Ehebeziehung und Pflegebeziehung in der Forschungslage Ob die Ehegatten ihre Beziehung zum Kranken und ihre eigene Rolle unter dem Vorzeichen einer Ehebeziehung oder einer Pflegebeziehung sehen, ist Gegenstand in einigen Untersuchungen gewesen. Chesla und Kollegen1206 fanden bei pflegenden Ehegatten und Kindern Demenzkranker drei Varianten, wie sie die Beziehung im Vergleich zu früher wahrnahmen: Kontinuität, Transformation oder Bruch. Lewis1207 beschreibt zwei Gruppen von pflegenden Ehegatten Demenzkranker. Die einen sahen sich vorrangig als Ehegatten, die anderen als Pflegende. Lewis schreibt: „It would be wrong to subsume the role of the spouse carer automatically under the ‚carer’ umbrella, rather than that of a ‚spouse’.“1208 Stattdessen müsse man auf die eigene Interpretation der Betroffenen achten, und die hänge vom Kontext der Beziehung ab. O’Connor fand eine Verbindung zwischen der Interpretation der eigenen Rolle und der Bedeutung, mit der die Betroffenen die Pflege belegten. Diejenigen, die die Pflege als logische Konsequenz der Ehe ansahen, betrachteten sich als Ehegatten; diejenigen, die die Pflege des kranken Partners als ihren Beitrag zu 1206 vgl. Chesla, Martinson & Muwaswes 1994 ; das Sample bestand neben 15 Ehegatten aus 15 Kindern dementer Patienten. 1207 vgl. Lewis 1998 1208 Lewis 1998, 211 316 einer gesellschaftlichen Aufgabe sahen, als Pflegende1209. Perry & O’Connor1210 beschreiben in ihrer Arbeit vielfältige Strategien der pflegenden Ehegatten, um die Persönlichkeit des Dementen zu bewahren und ihn damit nicht als Empfänger von Pflege, sondern als Ehegatten zu positionieren. Einige Arbeiten beschäftigten sich mit dem Zusammenhang von Belastung und Wahrnehmung der Beziehung. Hepburn und Kollegen stellten fest, dass diejenigen Ehegatten, die stark die Ehebeziehung betonten und die Pflegerolle in die Eherolle integrierten, also die Pflege nicht als separate Aufgabe, sondern als Teil ihrer gesamten Lebensstruktur ansahen, weniger belastet waren als die anderen Ehegatten, die entweder die Veränderung der Beziehung betonten oder sich gar nicht mehr auf die Ehebeziehung bezogen1211. Demgegenüber fand Majerovitz eine Gruppe von Ehegatten besonders belastet, deren Gatten fortgeschritten dement waren und die an ihrer Rolle als Ehegatte festhielten und nicht in die Rolle als Pflegende wechselten1212. Die Fallanalysen meiner Feldexploration bestätigen das Vorkommen der beiden Varianten der Wahrnehmung der Beziehung als Ehebeziehung bzw. als Pflegebeziehung. An manchen Stellen versuchen die gesunden Ehegatten, die Beziehung zu ihrem dementen Partner in einer ähnlichen Weise aufrecht zu erhalten, wie sie es gewohnt sind. Sie interpretieren die Verhaltensweisen des Erkrankten im Rahmen der Deutungsmuster einer normalen Ehe und verhalten sich selbst nach diesen Mustern. Ein Beispiel für diese Variante liefert Herr N., der sich geradezu weigert, die demenzbedingten Defizite seiner Frau anzuerkennen und stattdessen an den gewohnten Umgangsformen seiner Ehe festzuhalten versucht. Auch Frau R. gibt deutlich zu verstehen, dass sie ihren dementen Mann weiterhin als ihren Ehegatten betrachtet, mit dem sie alle notwendigen Entscheidungen nur gemeinsam trifft. Frau L. demonstriert stellenweise sehr eindrucksvoll, wie sie versucht, sich gemäß ihrer Alltagsvorstellungen als „gute Ehefrau“ zu erweisen und dabei immer wieder scheitert. Ebenso versucht Frau A. zunächst, Situationen vor dem Deutungshintergrund der normalen Ehe zu verstehen, merkt aber, dass dies nicht mehr funktioniert und sie dadurch in Dilemmata gerät. Sie ist entsprechend unsicher in ihrem Verhalten. 1209 vgl. O’Connor 1999 1210 vgl. Perry & O’Connor 2002; Näheres zu dieser Arbeit im Kapitel 3.2.2 1211 vgl. Hepburn et al. 2002 1212 vgl. Majerovitz 1994, 1995 317 An anderen Stellen der Fallanalysen tritt die Krankheit so eindeutig in den Vordergrund, dass die Ehegatten den gedanklichen Bezugsrahmen der normalen Ehe aufgeben und sich für die Interpretation von Alltagssituationen und den Entwurf eigenen Handelns und Verhaltens an einem neuen Deutungsmuster orientieren, dem der Krankenpflege. Sie geben ihrer Beziehung dadurch das Gepräge einer Pflegebeziehung. Beispiele sind Herr F., Frau M. und Herr P, in der späten Beratungsphase auch Herr D. Auch Frau J. zeigt stellenweise diese Variante, wenn sie mit ihrem Mann nach dem Muster der Kindererziehung umgeht. 10.2 Verhältnis von Ehe- und Pflegebeziehung Diese empirischen Hinweise belegen zunächst einmal nur, dass beide Varianten vorkommen. Sie sagen noch nichts über die Bedingungen aus, unter denen sie auftreten. Grundsätzlich sind verschiedene Hypothesen zum Verhältnis von Eheund Pflegebeziehung denkbar: Erstens ist ein Prozess vorstellbar, in dem die gesunden Ehegatten analog zum Krankheitsverlauf der Demenz zunächst an dem vertrauten Deutungsmuster „normale Ehe“ festhalten, dann in eine irritierende Phase des Übergangs geraten und schließlich in fortgeschrittenen Stadien der Demenz mit dem Verständnis der Beziehung als Ehebeziehung brechen und sie als Pflegebeziehung wahrnehmen. Diese Annahme kann einige der Befunde in den ausgewerteten Fällen erklären. Das sind diejenigen Fälle, in denen die Variante „Pflegebeziehung“ dominant ist und die außerdem gemeinsam haben, dass die Patienten fortgeschritten dement und körperlich pflegebedürftig sind (die Fälle von Herrn F., Frau M. und Herrn P., in der späten Beratungsphase auch von Herrn D.). Es gibt in meiner Untersuchung aber auch Befunde, die durch die Annahme eines mit dem Krankheitsverlauf zwangsläufig einhergehenden Prozesses in Richtung Pflegebeziehung nicht erklärt werden können, so zum Beispiel das Verhalten von Frau C., die bis zum Schluss versucht, den Ehemann, so wie sie ihn kennt, wiederherzustellen, und sei es dadurch, dass sie ihm die vertraute Frisur macht; oder das Verhalten von Frau A., die ihren Mann in einer sehr späten Krankheitsphase eindeutig nicht als Pflegling, sondern als Ehemann anspricht. 318 Deshalb ist eine zweite Positionierung als Hypothese denkbar, die davon ausgeht, dass die Ehegatte oder als Pflegender nichts mit dem Krankheitsprozess zu tun hat, sondern mit anderen Variablen, beispielsweise bestimmten Funktionsprinzipien des Paares, Aspekten der individuellen Ehegeschichte oder der Persönlichkeit des gesunden Ehegatten. Diese Annahme könnte das Verhalten von Herrn N. erklären, der die Pflegebedürftigkeit seiner Frau verleugnet. Hier liegt die Vermutung nahe, dass die Paardynamik einen gewichtigen Einfluss darauf hat, dass er an der Wahrnehmung der Beziehung als Ehebeziehung in der ihm bekannten Form festhält. Eine dritte Hypothese geht davon aus, dass beide Deutungsmuster, „normale Ehe“ und „Krankheit“, und folglich beide Beziehungsformen, Ehe- und Pflegebeziehung, immer gleichzeitig existent sind. Sie werden nur jeweils unterschiedlich stark akzentuiert. Es handelt sich um eine Kippfigur1213: Je nach Blickwinkel tritt einmal die Beziehung in ihrem Charakter als Ehebeziehung in den Vordergrund, ein anderes Mal werden die Merkmale einer Pflegebeziehung dominant. Diese Annahme kann den Befund erklären, dass verschiedene Ehegatten in ihrer Wahrnehmung der Beziehung nicht festgelegt sind, sondern einen unablässigen Wechsel erkennen lassen. Frau K. beispielsweise sieht Defizite ihres Mannes in seinen Fähigkeiten, die Finanzverwaltung noch zu bewältigen, und nimmt ihm diese Aufgabe ab. Sie interpretiert an dieser Stelle die Situation mit dem Deutungsmuster „Krankheit“ und nimmt folgerichtig die Aufgabe an sich. In der anschließenden Bewertung der Aufgabenübernahme aber schwenkt sie wieder in das Deutungsmuster der normalen Ehe. Aus diesem Blickwinkel kommt sie zu dem Schluss, dass sie es „unbefugt“ tut, und entwickelt Schuldgefühle. Ähnliche Beispiele finden sich an vielen Stellen in den Fällen1214. Die Hypothese der Kippfigur ist anschlussfähig an theoretische Überlegungen, wonach es den Ehegatten stärker noch als anderen Angehörigen schwer fallen 1213 Die Kippfigur ist ein Begriff aus der Wahrnehmungspsychologie. Sie bezeichnet optische, meist graphische Darstellungen, die durch Änderung von Blickwinkel und Perspektive in ein anderes Bild „umkippen“ können. Kießling-Sonntag schreibt dazu: „In der Gestaltpsychologie zeigen Wolfgang Metzger und Wolfgang Köhler in den 20er-Jahren des 20.Jahrhunderts, dass unsere Wahrnehmung nicht eine gleichsam fotographische Abbildung dargebotener Sinnesreize darstellt, sondern dass Wahrnehmung ein Vorgang aktiver Bedeutungszuweisung ist. Dies lässt sich eindrücklich anhand mehrdeutiger Zeichnungen und sogenannter Kippbilder zeigen.“ (Kießling-Sonntag 2003, 61) Prominentes Beispiel ist die Zeichnung einer Frau, die je nach Blickwinkel einmal als junge und ein anderes Mal als alte Frau erscheint (abgedruckt bei Antons 2000, 49-51). 1214 Zum Beispiel Frau A., die die Schutzbedürftigkeit ihres dementen Mannes erkennt, aber aus der Sicht der „normalen Ehe“ die entsprechenden Schutzmaßnahmen, die sie ergreifen müsste, als Eingriff in seine Souveränität betrachtet. Frau J., die den Mann einmal wie ein Kind erziehen will, ihn an anderer Stelle aber unbedingt als Ehemann und Gefährten um sich haben will. Frau L., die auf der einen Seite eine Entscheidung für ihren kranken Mann trifft, sich andererseits aber der Illusion hingibt, er habe kompetent mitentschieden. 319 muss, die Verwandlung ihrer vertrauten Beziehung in eine Pflegebeziehung überhaupt zu registrieren. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Der eine Grund liegt in der Besonderheit der Demenzpflege. Für die Tätigkeiten und Fähigkeiten, die bei der Versorgung psychisch kranker alter Menschen notwendig sind, haben wir im Deutschen kaum einen treffenden Begriff. Das Wort „Pflege“ trifft nur einen Teil des Spektrums, am ehesten die handwerklichen Aspekte dieser komplexen Aufgabe1215. Die englische Sprache ist differenzierter. Sie unterscheidet zwischen „caregiving“ bzw. „caring for“ und „caring about“1216. „Caregiving“ bzw. „caring for“ bezeichnen die aufgabenbezogenen Aspekte der Pflege, den Bereich „hand-on-care“. „Caring about“ meint die affektiven Dimensionen. Die Letzteren zeigen sich in der emotionalen Präsenz des Pflegenden, die sich in einer Vielzahl unterschiedlicher Aktivitäten realisieren kann; zum Beispiel darin, den anderen beständig zu beobachten und seine Stimmungen zu registrieren; sich darüber Gedanken zu machen, wie es ihm besser gehen könnte; ihn bei der Organisation des Alltags oder in der Bereitschaft zur Krisenintervention zu unterstützen. Mason1217 meint Ähnliches mit der Unterscheidung zwischen „acitve sensibility“ und „sentient activity“. „Active sensibility“ arbeite hauptsächlich auf einer bewussten Ebene im Bereich der physischen Pflegearbeit und bei den Entscheidungen bezüglich der notwendigen Aufgaben. „Sentient activity“ dagegen arbeite auf einer weniger bewussten Ebene. Es handele sich darum, dass man sich Gedanken um jemanden macht, dass man mit der Zeit sensibel wird für seine Wünsche und Abneigungen und dass man die Bedürfnisse des Anderen zu erfüllen sucht. Dies sei ein Bereich der Pflege, der meist per „Auto-Pilot“ ausgeführt werde und deshalb weitgehend unsichtbar sei und folglich häufig unterschätzt und zu wenig wertgeschätzt werde. Er falle erst dann auf, wenn er fehle. Kennzeichnend für die Betreuung eines dementen Menschen sind vor allem diese affektiven Aspekte der Pflege, das „caring about“ oder die „sentient acitivity“. Die „pflegenden“ Angehörigen betrachten diese Aufgaben aber häufig nicht als Pflege, weil sie mit dem Begriff der Pflege nur die handwerklichen Aufgaben assoziieren. Ehegatten werden deshalb vermutlich vieles von dem, was sie für den dementen Partner tun, nicht als Pflege identifizieren. Sie werden möglicherweise auch versuchen, Veränderungen der Beziehung eher im Kontext 1215 vgl. Lüders 1994 1216 vgl. Dalley 1996 1217 vgl. Mason 1996 320 der Ehebeziehung zu verstehen und nicht im Zusammenhang einer sich entwickelnden Pflegebeziehung. Eine zweite Schwierigkeit, den Übergang einer Ehebeziehung in eine Pflegebeziehung zu registrieren, liegt in der Natur der Ehebeziehung. Beides, „caring for“ und „caring about“, sind unverzichtbare Bestandteile jeder engen Beziehung, in der Menschen versuchen, das Wohlergehen eines anderen zu schützen und zu erhöhen1218. Das „caring about“, d.h. die affektiven Dimensionen gehören heute zum Wesentlichen einer Ehebeziehung. Die personale Beziehung zwischen Mann und Frau bildet gerade den Kern einer heutigen Ehe, seit die ökonomische Funktion der vorkapitalistischen Ehe durch die emotionale Funktion der modernen Ehe ersetzt worden ist1219. Aber auch die pflegerische Unterstützung „mit der Hand“ kann in Krankheitsphasen ein normales Tun in einer Partnerschaft sein. Pflege ist also etwas Alltägliches in Partnerbeziehungen, das zunächst nichts mit Belastung und negativen Folgen zu tun hat. Deshalb ist zu klären, unter welchen Umständen Pflege in einer Ehe zur Belastung wird. Pearlin und Kollegen1220 argumentieren, Belastung komme dann ins Spiel, wenn sich die alltägliche Pflege in einer engen Beziehung unter bestimmten Umständen – dem Auftreten einer chronischen Krankheit wie einer Demenz zum Beispiel - aus dem normalen Zustand des gegenseitigen Austausches von Hilfe in einen anderen, ungleichgewichtigen Zustand verändere. Pflege, die zuvor eine unter vielen Komponenten der Beziehung gewesen sei, dehne sich „imperialistisch“ soweit aus, dass sie schließlich das Wesen der Beziehung vollständig in Besitz nehme. Ich möchte hier betonen, dass dadurch nicht nur Belastung aufkommt, sondern der Charakter der Beziehung sich vollständig verändert. Bei einem dementen Menschen ist zu Beginn der Erkrankung in der Regel noch keine handwerkliche Pflege im Sinne des „caregiving“ erforderlich1221. Imperialistisch ausdehnen wird sich vor allem der Bereich der affektiven Unterstützung. Da dieser Bereich aber weniger eindeutig mit dem Begriff der Pflege assoziiert ist, ist es gerade in Ehebeziehungen schwierig, den Übergang von der alltäglichen emotionalen Unterstützung zur pflegerischen Unterstützung zu erfassen. Man kann vermuten, dass genau aus dieser Schwierigkeit heraus 1218 vgl. Pearlin et al. 1990, 583 1219 vgl. zur historischen Entwicklung von der vorkapitalistischen zur modernen Ehe den Überblick bei BeckGernsheim 1990 oder Jaeggi & Hollstein 2000 1220 vgl. Pearlin et al. 1990, 583 1221 vgl. Haley & Pardo 1989 321 viele Ehegatten Probleme, die im Zuge der Demenz auftauchen, der Ehe „an sich“ zuordnen und nicht den durch die Demenz veränderten Umständen. Diese Schwierigkeiten, den Übergang von einer Ehe- zu einer Pflegebeziehung zu erkennen, stützen die Hypothese der Kippfigur. 10.3 Ein hypothetisches Modell: Ehebeziehung und Pflegebeziehung als Kippfigur Die unten stehende Abbildung zeigt das hypothetische Modell der Kippfigur. Die zentrale Annahme ist, dass jeder beliebige Augenblick im Alltag des Paares prinzipiell entweder im Rahmen der Ehebeziehung mit den Deutungsmustern einer „normalen Ehe“ oder im Rahmen einer Pflegebeziehung mit den Deutungsmustern „Krankheit und Krankenpflege“ wahrgenommen werden kann. Wohin die Wahrnehmung jeweils kippt, hängt von verschiedenen Faktoren ab, die Einfluss auf die Wahrnehmung des gesunden Ehegatten nehmen. Abbildung 33: Ehebeziehung und Pflegebeziehung als Kippfigur Beliebiger Augenblick im Alltag des von Demenz betroffenen Paares ↓ Merkmale der Demenz → Wahrnehmung ← Merkmale der Paardynamik und Paargeschichte ← Personbezogene Merkmale des gesunden Partners Situative Merkmale → Wahrnehmung im Rahmen einer Wahrnehmung im Rahmen einer Ehebeziehung Deutungsmuster „normale Ehe“ Pflegebeziehung Deutungsmuster „Krankheit“ Interpretation des Verhaltens des dementen Partners im Bezugsrahmen einer normalen Ehe Interpretation des Verhaltens des dementen Partners als Ausdruck der Krankheit ↓ ↓ Ausrichtung des eigenen Verhaltens und Handelns an den Rollenerwartungen als „Ehefrau/Ehemann“ Ausrichtung des eigenen Verhaltens und Handelns an Rollenerwartungen als „Pfleger/Pflegerin“ 322 Verschiedene Faktoren sind denkbar, die Einfluss auf die Wahrnehmung des gesunden Gatten nehmen und je nach ihrer unterschiedlichen Gewichtung und Kombination die Interpretation einer konkreten Situation einmal in Richtung „Ehebeziehung“ und ein anderes Mal in Richtung „Pflegebeziehung“ kippen lassen. Ein erster Einflussfaktor sind die Merkmale der Demenz, d.h. die jeweilige Symptomatik und ihr Schweregrad. Mit dem Fortschreiten der Krankheit wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Verhaltensweisen des Demenzkranken fremd erscheinen und die Wahrnehmung des gesunden Partners derart irritieren, dass er sie nicht mehr im Rahmen einer Ehebeziehung interpretiert, sondern im Rahmen einer Pflegebeziehung. Situative Merkmale haben Einfluss, indem bestimmte Situationsmerkmale die Wahrnehmung als Ehebeziehung und andere gerade die Wahrnehmung als Pflegebeziehung begünstigen. Erlebt eine Ehefrau ihren Mann beispielsweise morgens völlig überfordert mit der Aufgabe, sich zu rasieren, dann wird sie dies möglicherweise schnell in den Deutungszusammenhang der Krankenpflege einordnen, ihren Mann als krank und sich selbst als Pflegende sehen. Ganz anders wird sie die Situation wahrnehmen, wenn sie nachmittags mit ihrem Mann den Tanztee der Alzheimer-Gesellschaft besucht und sich von ihm, wie in früheren Zeiten, im Walzertakt über die Tanzfläche führen lässt. Auch ein Einfluss der Beziehungsgeschichte kann angenommen werden. Paare, die in ihrer Geschichte stets wenig Nähe hatten oder die sich im Laufe der Zeit auseinander gelebt haben, könnten schneller dazu neigen, Alltagssituationen in den Rahmen der Pflegebeziehung zu rücken. Ein Beispiel für einen Einfluss der Paardynamik ist ein pflegender Ehepartner, der in der Vergangenheit stets den regressiven Pol in der Beziehung eingenommen hat und nun ein Interesse daran haben kann, den bislang progressiven, jetzt aber dementen Partner möglichst lange als „funktionierenden“ Ehegatten zu betrachten. In den Bereich der personbezogenen Merkmale des Wahrnehmenden auf die Wahrnehmung der Situationen fallen geschlechtsspezifische Unterschiede oder auch Merkmale der Persönlichkeit des gesunden Ehegatten und sein aktuelles Belastungsniveau. Für das Verständnis der Deutungsmuster, die jeweils in der Wahrnehmung als Ehebeziehung psychologische oder Pflegebeziehung Skript-Konzept oder zum das Tragen kommen, soziologische kann das Rahmen-Konzept herangezogen werden. Skripte werden in der Psychologie von Cohen & Taylor 323 als „Drehbücher des Alltags“1222 aufgefasst. Sie sind nach Ginsburg „hypothesized cognitive and performative structures which organize a person’s comprehension of situated events and guide a person’s performance of a situated set of actions“1223. Das Rahmen-Konzept von Goffman1224 bezeichnet „Erfahrungs- und Handlungsschemata, mit deren Hilfe es den Akteuren in einer Situation gelingt, diese zu identifizieren, und die sie anleiten, in der Situation angemessen zu handeln. Rahmen verweisen auf einen impliziten Wissensbestand, der in die jeweilige Situation mitgebracht wird, ein Wissen, was man wann und wo zu tun und zu lassen hat“1225. Paare, die von Demenz betroffen sind, sind überwiegend alte Paare. Das Eheskript bzw. der Rahmen der Ehebeziehung sind bei diesen Paaren oft über Jahrzehnte eingeschliffen. Daraus resultiert vermutlich einerseits eine große Bestandskraft, die andererseits jedoch durch die tiefgreifenden Veränderungen infolge der Demenz massiv in Frage gestellt wird. Beides zusammen macht das Modell der Kippfigur plausibel. Aufgaben für weitere Forschung bestehen darin, das Verhältnis von Ehe- und Pflegebeziehung empirisch weiter zu prüfen. Forschungsfragen sind, wie sich eine Ehebeziehung in eine Pflegebeziehung verwandelt, unter welchen Bedingungen und mit welchem Tempo dieser Prozess verläuft, ob er gleichmäßig oder sprunghaft fortschreitet, ob es überhaupt eine Tendenz zum allmählichen Verdrängen der Ehe- durch die Pflegebeziehung gibt, oder ob die Paare dauerhaft zwischen den beiden Polen oszillieren. Mit Blick auf die Entwicklung sinnvoller und hilfreicher Unterstützungs- und Beratungsangebote muss auch interessieren, welche Folgen eine Festlegung auf die eine oder andere Beziehungsform bzw. das fortgesetzte Pendeln zwischen Ehe- und Pflegebeziehung für das Wohlbefinden des pflegenden Ehegatten, des Patienten und für die Identität des Paares haben. 1222 vgl. Cohen & Taylor 1977; zit. nach Lenz 2003, 217 1223 Ginsburg 1988, 29; zit. nach Lenz 2003, 217 1224 vgl. Goffman 1977; zit. nach Lenz 2003, 217 1225 Lenz 2003, 217 324 11 Konsequenzen für die Beratung 11.1 Fokus und Zielsetzung der Beratung 11.1.1 Zielsetzungen psychosozialer Beratung Verlässliche Zahlen über Verbreitung und methodische Ausrichtung von Beratungsstellen für Angehörige psychisch kranker alter Menschen in Deutschland fehlen1226. Derzeit etwa 60 Alten- und Angehörigenberatungsstellen haben sich in der BAGA, einer Arbeitsgemeinschaft auf Bundesebene, zusammengeschlossen. Mit jeweils unterschiedlichen methodischen Ansätzen liegt bei allen diesen Einrichtungen der Schwerpunkt in der psychosozialen Beratung1227. Aus pädagogischer Tradition heraus geht es diesem Ansatz um „Aufklärung und Hilfeleistung zu reflektierter Handlungsfähigkeit“1228 oder anders formuliert um die „Verbesserung der Bewältigungsmöglichkeiten und die Stärkung der Handlungskompetenz von Menschen in Belastungssituationen“1229. „‚Psychosozial’ impliziert ein Menschen- und Gesellschaftsbild, das psychische und soziale Befindlichkeiten in Verbindung zu sozialen Lebens- und Umweltbedingungen setzt. Die gesellschaftlichen Ansprüche, Normen und Werte werden in ihrem Zusammenhang mit persönlichen Bedürfnissen, Motivationslagen und Handlungsweisen betrachtet. Der Schwerpunkt der psychosozialen Perspektive liegt auf den Belastungen, die durch äußere Anforderungen an das Individuum (oder an Familien, Gruppen) herangetragen werden, und auf den individuellen und sozialen Bewältigungsformen für diese Belastungen. Das Augenmerk richtet sich dabei auf die Wechselwirkungen und Interaktionen zwischen Personen und ihrer Umwelt.“1230 1226 vgl. Hirsch 1994,10 1227 vgl. Homepage der Bundesarbeitsgemeinschaft der Beratungsstellen für ältere Menschen und ihre Angehörigen/BAGA: www.baga.de 1228 1229 1230 Mollenhauer 1964; zit. nach Sickendiek, Engel & Nestmann 2002, 18f. Bundesarbeitsgemeinschaft der Beratungsstellen für ältere Menschen und ihre Angehörigen/BAGA (ohne Datum), 2 Sickendiek, Engel & Nestmann 2002, 19 325 Christine Böckelmann stellt fest, im deutschsprachigen Raum tue man sich schwer, für die psychosoziale Beratung eine eigenständige konzeptionelle Identität zu entwickeln1231. Nach Sichtung einschlägiger Definitionsansätze und Grundpositionen schlägt sie eine Definition vor, welche die Ziele, den Beratungsprozess, die Beziehung zwischen Berater und Klienten, die Voraussetzungen auf Seiten des Klienten sowie das Setting der Beratung umfasst: „Psychosoziale Beratung ist ein zielgerichteter, situations- und lösungsorientierter Prozess, der sich an den Ressourcen der Klientinnen und Klienten ausrichtet und darauf abzielt, eine Situation zu ändern, eine Problemlage zu beseitigen, eine Neuorientierung zu ermöglichen und die Selbsthilfebereitschaft, Selbststeuerung und Problemlösungsfähigkeit zu verbessern. Weitere Ziele der Beratung sind, die Kompetenzen der Klienten zu erweitern bzw. sie zu einem Lernprozess anzuregen, die Wahrnehmungsfähigkeit in Bezug auf die eigene Problemlage und Situation zu verbessern sowie mit der Intervention auch präventiv zu wirken. Beratung findet in einer kooperativen, vertrauensvollen und stützenden Beziehung statt und wird von einem fachlich und methodisch geschulten und kompetenten Berater durchgeführt, welcher sich durch hohe soziale Kompetenz und Kooperationsbereitschaft auszeichnet. Beratung kann stattfinden, wenn die Klientin oder der Klient ebenfalls kooperationsbereit ist und die Beratung freiwillig und motiviert in Anspruch nimmt. Beratung erstreckt sich über einen vergleichsweise kurzen Zeitraum, und die Kommunikation findet hauptsächlich sprachlich statt.“1232 11.1.2 Paarproblematik als Fokus in der Beratung Nach der obigen Definition stellt das Anstoßen eines Lernprozesses zur Verbesserung der Wahrnehmungsfähigkeit in Bezug auf die eigene Problemlage und Situation ein wesentliches Ziel in der psychosozialen Beratung dar. Einen derartigen Prozess initiieren zu können, setzt auf Seiten der Berater voraus, dass sie selbst zu einer möglichst umfassenden Wahrnehmung der Situation des Ratsuchenden in der Lage sind. Dazu gehört einerseits ein entwickeltes Reflexionsvermögen hinsichtlich möglicher Gegenübertragungsphänomene und 1231 vgl. Böckelmann 2003, 205 1232 Böckelmann 2003, 208 326 eigener „blinder Flecken“. Die Fähigkeit, die Problemlagen der Ratsuchenden ganzheitlich erkennen zu können, hängt andererseits aber auch mit dem Vorrat an professionellem Wissen zusammen, über den Berater verfügen können. Ein wesentliches Merkmal der Situation pflegender Ehegatten sind die Auswirkungen der Demenz auf die Paarbeziehung. Im Kapitel 9 habe ich dargelegt, dass die Demenz als Krise der Ehe aufzufassen ist. Die Wahrnehmung und Bearbeitung dieser Krise sollte deshalb unverzichtbar Gegenstand in der psychosozialen Beratung sein. Ob es Beratern jedoch so selbstverständlich gelingt, die Paarproblematik in den von den Ratsuchenden vorgetragenen Fragen zu erkennen, oder ob sie nicht geneigt sind, die Ratsuchenden als Einzelpersonen zu sehen, möchte ich hier zur Diskussion stellen (vgl. Abbildung 34, Ebene 1). Die Sicht auf die Einzelperson wird schon dadurch gefördert, dass die ratsuchenden Ehegatten als Einzelne in der Beratungsstelle in Erscheinung treten. Meist muss man davon ausgehen, dass der demente Partner aufgrund seiner mnestischen und kognitiven Störungen nicht mehr aktiv und konstruktiv zu einer Bewältigung der Paarkrise beitragen kann. Die kreative Arbeit, nach neuen Wegen für die Beziehung zu suchen, liegt entscheidend bei dem gesunden Partner, der dann in der Regel allein der Klient in der Angehörigenberatung ist. Entscheidender noch als die Tatsache, dass die Ehegatten als Einzelne die Beratungsstelle aufsuchen, sind aber einige der zentralen theoretischen Grundlagen der Angehörigenberatung, die meines Erachtens die Berater dazu verleiten, ihren Blick auf die Einzelperson zu konzentrieren. Dies sind insbesondere (1) der Belastungsdiskurs auf dem Hintergrund der breiten stresstheoretischen Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet der Angehörigenforschung und (2) die Autonomiebetonung, die auf dem Konzept der filialen Reife beruht. Doch selbst wenn es Beratern gelingt, die Paarproblematik wahrzunehmen, bestehen weitere Gefahren darin, dass sie dann hauptsächlich die krankheits- und pflegebezogenen Aspekte, d.h. die Pflegebeziehung sehen und die Veränderungen der Ehebeziehung vernachlässigen (vgl. Abbildung 34, Ebene 2). Dazu trägt meines Erachtens auch (3) die psychoedukative Orientierung in der gerontopsychiatrischen Angehörigenberatung bei. 327 Abbildung 34: Beratungsfokus Beratungsfokus Paarbeziehung Ebene 1 Ehebeziehung Ebene 2 Einzelperson Pflegebeziehung In den beiden folgenden Abschnitten dieses Kapitels werde ich weiter ausführen, wie die drei oben angeführten theoretischen Grundlagen der Angehörigenberatung sich als Schablonen auf eine vom Klienten dargebotene Situationsschilderung legen und den Blick des Beraters richten können, indem sie bestimmte Merkmale der geschilderten Situation sichtbar machen und andere verdecken. 11.1.2.1 Tendenz zur Fokussierung der Einzelperson (1) Belastungsdiskurs Unter dem Einfluss des breiten wissenschaftlichen Diskurses über die Belastungen pflegender Angehöriger1233 konzentrieren sich die Berater stark auf die Überlastung der Ratsuchenden. Aus dieser Sicht erscheint der Demenzkranke als verursachender Faktor für vielfältige physische, psychische und soziale Beeinträchtigungen auf Seiten des pflegenden Angehörigen. Entlastende Angebote für den Pflegenden laufen in vielen Fällen darauf hinaus, den Kranken zumindest zeitweise aus dessen Verantwortungsbereich, zum Beispiel in eine Tagespflegeeinrichtung, zu manövrieren. Dass diese zweckrationale Herangehensweise den Subjektstatus des Demenzkranken gefährdet, damit auch die Existenz des Paares an sich in Frage stellt und folglich 1233 Die Forschung über Belastungen pflegender Angehöriger ist zu großen Teilen stresstheoretisch orientiert (vgl. Kapitel 4). In diesem Forschungsfeld gibt es zwar sehr viele Studien über Ehegatten Demenzkranker. Die Fülle ist allerdings nicht der Tatsache zu verdanken, dass sich so viele Untersuchungen tatsächlich für die Paarthematik und Beziehungsfragen im Falle der Demenzerkrankung eines der Ehepartner interessieren. Die meisten Studien wollen Grundfragen der Stresstheorie klären oder Fragen über die Situation pflegender Angehöriger im Allgemeinen und nutzen dafür Ehegattensamples, weil diese erstens homogen und zweitens bekanntermaßen stark belastet sind, und somit Samples sind, an denen sich stresstheoretische Fragen hervorragend erforschen lassen. Deshalb können Berater aus dieser Forschungsrichtung zwar viel über die Belastungen der pflegenden Angehörigen erfahren, wenig aber über die Paar- und Beziehungsthematik der Ehegatten. 328 auf Widerstände des ratsuchenden Ehegatten stoßen muss, konnte am Fall von Frau R. und ihrem Sohn deutlich gezeigt werden. Das Fazit daraus lautet: Ehegatten dürfen in der Beratung nicht nur in ihrer Funktion, d.h. als pflegende Angehörige, sondern müssen auch in ihrer Beziehung, d.h. als Teil eines Paares, wahrgenommen werden. Solange die Rettung der Beziehung das oberste Ziel der ratsuchenden Ehegatten ist, greifen entlastende Lösungen nur dann, wenn sie nicht nur auf den Pflegenden zugeschnitten sind, sondern für das Paar passen. (2) Autonomiebetonung Auch die größere Praxis der meisten Berater im Bereich der Beratung von Pflegenden aus der Kindergeneration und das entsprechende Wissen, das sie auf die Situation der Ehegatten übertragen, wirkt als Schablone und lenkt den Blick der Berater auf die Einzelperson. Für den Bereich der intergenerativen Pflege ist ein Beratungskonzept sehr einflussreich, das auf das Konzept der filialen Reife von Margret Blenkner1234 zurückgeht und das in Deutschland auf eine Weise rezipiert worden ist, die die Autonomiefrage stark in den Vordergrund stellt1235. Aus dieser Denkrichtung heraus ermutigen Berater die ratsuchenden Angehörigen, nicht nur für den Kranken, sondern auch für sich selbst zu sorgen und eine gewisse – innere oder äußere – Distanz zur Pflegesituation zu entwickeln. Für pflegende Kinder mögen solche Abgrenzungsstrategien weiterführend sein, doch nach den Ergebnissen der Fallanalysen und den Überlegungen im Kapitel 9 ist es fraglich, ob Ehegatten, denen es um die Rettung ihrer Beziehung geht, eine so verstandene Autonomie überhaupt 1234 Margret Blenkner nimmt an, dass Menschen im mittleren Erwachsenenalter in eine filiale Krise geraten können, wenn die alten Eltern hilfebedürftig werden. Sie schreibt: „Healthy resolution of the filial crisis means leaving behind the rebellion and emancipation of adolescence and early adulthood and turning again to the parents, no longer as a child, but as a mature adult with a new role and a different love, seeing him for the first time as an individual with his own rights, needs and limitations, and a life history that, to a large extent, made him the person he was long before his child existed. It is one of the ways in which they prepare themselves to their own old age through identification with the parents, as in childhood they similarly prepared for adulthood.” ( Blenkner 1965, 57f.) 1235 Jens Bruder hat das von Blenkner vorgestellte Konzept der filialen Reife aufgegriffen und hat es für die gerontopsychiatrische Angehörigenberatung weiterentwickelt. Bezogen auf die Demenzproblematik in Familien differenziert er drei Dimensionen der filialen Reife: die Fähigkeit zu emotionaler Autonomie, die Fähigkeit zu einem fürsorglich-autoritären Umgang mit dem dementen Elternteil und die Fähigkeit, unangemessene Schuldgefühle kontrollieren zu können (vgl. Bruder 1988, 95ff.). Hinsichtlich der Dimension der emotionalen Autonomie schreibt Bruder: „Nur eine emotional selbständige Persönlichkeit kann den schrittweisen Verlust ihrer Mutter oder ihres Vaters pflegend erleben und darüber trauern, ohne handlungsunfähig zu werden.“ (Bruder 1988, 97) Die Problematik der Autonomie, die Bruder hier eindeutig auf die Situation pflegender Kinder bezieht, wird von anderen Autoren undifferenziert auf die allgemeine Situation pflegender Angehöriger übertragen. So enthalten beispielsweise die Erfolgskriterien für die Beratung pflegender Angehöriger, die von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Alten- und Angehörigenberatung/BAGA formuliert worden sind, den Hinweis auf die Zunahme der Autonomie als Kriterium für den Erfolg der Beratung: „Die Angehörigen sollen durch die Beratung zunehmend in die Lage versetzt werden, in kritisch zugespitzten Pflegesituationen ... besonnen zu reagieren, an innerer Distanz zu gewinnen .... Darin kann sich z.T. eine Zunahme der emotionalen Autonomie (bei bisher eher unabgelösten) Pflegenden abzeichnen.“ (Bundesarbeitsgemeinschaft für Alten- und Angehörigenberatung 1996, 13) 329 suchen. Selbstverständlich gehören Nähe und Distanz, das beständige Ausbalancieren Paarbeziehung von 1236 . zentrifugalen Doch dafür und zentripetalen müssen beide Kräften Partner zu jeder erwachsene, zurechnungsfähige Persönlichkeiten sein. Wenn aber einer der Partner dement ist, dann würde eine Distanz schaffende Bewegung des gesunden Partners die Gefahr heraufbeschwören, dass der kranke Partner eben nicht mehr wie früher reagieren und durch eine entsprechende Gegenbewegung die Beziehung neu justieren kann. Die einseitige Distanznahme von Seiten des Gesunden zöge die Gefahr des Auseinanderbrechens der Beziehung nach sich. Solche Befürchtungen können ratsuchende Ehegatten hegen, wenn sie sich gegenüber den Ermunterungen der Berater nach dem Motto „Denken Sie auch an sich! Tun Sie etwas für sich!“ häufig so reserviert zeigen. Das Fazit lautet: Empfehlungen zur eigenen Entlastung können von den betroffenen Ehegatten als Aufforderung zu innerer oder äußerer Distanznahme aufgefasst werden, Befürchtungen um den Bestand des Paares auslösen und laufen damit ihrem zentralen Anliegen zuwider, die Paarbeziehung zu retten. Auf den ersten Blick versprechen systemische Ansätze in der Beratung von Angehörigen Demenzkranker1237, die Paarproblematik besser erkennen zu können. Hierbei werden jedoch Phänomene der häuslichen Pflege mit einem therapeutischen Vokabular belegt. Gröning weist darauf hin, das Geschehen in der häuslichen Pflege werde auf diese Weise der Gefahr der Pathologisierung ausgesetzt, ohne dass es grundsätzlich, abgesehen von gewissen Sonderfällen, pathologisch ist. Die Motive der pflegenden Angehörigen, Verantwortung für kranke und alte Familienangehörige zu übernehmen, würden in den Bereich des Krankhaften gerückt und so etwa als infantile Abhängigkeit oder als ungestillter Liebeshunger angesehen1238. Konsequenterweise muss das zu einer unangemessenen Therapeutisierung der Angehörigenberatung führen. 11.1.2.2 Tendenz zur Fokussierung der Pflegebeziehung Doch selbst wenn es gelingt, die Paarproblematik in den Blick zu bekommen, droht die Gefahr, dass sich das Augenmerk der Berater dann häufig auf die Seite 1236 vgl. Duss von Werdt 1973, 18; zit. nach Vogt 2001, 23 1237 vgl. Gunzelmann et al. 1996 1238 vgl. Gröning 2004, 296f. 330 der Pflegebeziehung richtet und die Veränderungen der Ehebeziehung vernachlässigt werden. (3) Psychoedukative Orientierung Dies wird meines Erachtens durch das psychiatrische Expertenwissen der Berater und ein psychoedukatives Beratungsverständnis in der Tradition psychiatrischer Angehörigenarbeit1239 gefördert. Berater haben hierbei das Ziel, die Angehörigen über die Symptomatik der Demenz aufzuklären, ihnen Hilfen an die Hand zu geben, um Problemverhalten der Patienten besser verstehen zu können, und sie im Umgang mit den Erkrankten, etwa einem angemessenen Kommunikationsstil, zu schulen. In ihren Ursprüngen haben psychoedukative Programme in der Psychiatrie nicht die Verbesserung der Situation der Angehörigen zum Ziel. Es geht ihnen vielmehr um den Gesundheitszustand des Patienten, der auf dem Wege der Schulung der Angehörigen in einem angemessenen Umgang mit dem Patienten stabilisiert werden soll. Doch selbst wenn wir unterstellen, dass eine psychoedukativ orientierte Beratung auch die Entlastung der Angehörigen anstrebt, dann liegt dennoch in diesem Arbeitsansatz die Gefahr, dass Berater die von den Angehörigen vorgetragenen Probleme in erster Linie in den Kontext der Demenz setzen und eine darunter liegende Beziehungsproblematik nicht in den Horizont der Beratung gelangt. Im Fall von Herrn D. konnte das gezeigt werden. Das Fazit lautet: Selbstverständlich brauchen die Ehegatten Informationen über die Krankheit und pragmatische Hilfen für den Umgang mit dem Erkrankten. Doch darf das nicht dazu führen, die Beziehungsfragen außer Acht zu lassen. Zusammenfassend haben die Überlegungen aus den beiden vorangegangenen Abschnitten folgende Konsequenz für die Beratung der Ehegatten: Das Theoriedefizit hinsichtlich paarbezogener Aspekte in der gerontopsychiatrischen Angehörigenberatung führt dazu, dass Berater sich bevorzugt auf „ihrem“ Gebiet bewegen, dem Expertenwissen über Psychiatrie, Pflege und pflegende 1239 Der Begriff „Psychoedukation“, so führen Bosshard, Ebert & Lazarus aus, taucht seit Beginn der 80er Jahre in der psychiatrischen Literatur auf und meint einen Hilfeansatz, bei dem Informationsvermittlung und Kompetenzerweiterung im Umgang mit einer psychischen Erkrankung im Mittelpunkt stehen. Psychoedukative Verfahren wurden vor allem für die Arbeit mit Angehörigen schizophrener Patienten und für die Arbeit mit abhängigen Menschen entwickelt. Das Ziel von Psychoedukation ist die Veränderung des Umganges mit seelischem Leid und seelischen Störungen und deren Folgen. Methodisch stützen sich psychoedukative Verfahren auf ein besonderes Expertenwissen von psychischen Störungen sowie auf lerntheoretische und pädagogische Konzepte zur Vermittlung von Informationen, sozialen Fertigkeiten und Bewältigungsstrategien (vgl. Bosshard, Ebert & Lazarus, 1999, 309ff.). Einen psychoedukativ orientierten Ansatz für die Beratung der Angehörigen Demenzkranker verkörpern die Grundzüge der Angehörigenberatung, die von Kurz et al. stammen (vgl. Kurz et al 1987). 331 Angehörige. Wichtige Theoriegrundlagen dieser Gebiete fördern die Wahrnehmung der Ratsuchenden als Einzelpersonen und die Betonung der krankheits- und pflegebezogenen Aspekte ihrer Situation. Gerade die Dimensionen, die für Ehegatten wesentlich sind – die durch die Demenz ausgelöste Paarkrise, die Selbstdefinition, nicht Einzelperson, sondern Teil eines Paares zu sein, und das Anliegen, die Paarbeziehung als Lebensgemeinschaft und zentralen Aspekt des eigenen Lebensentwurfes zu retten – werden hierbei tendenziell ausgeblendet. Wenn derart bedeutungsvolle Dimensionen in Gefahr stehen, gar nicht in den Horizont der Beratung zu gelangen, dann kann letztlich der Anspruch einer psychosozialen Beratung nicht eingelöst werden. Aus all dem folgt die Notwendigkeit, die bestehenden theoretischen Grundlagen der gerontopsychiatrischen Angehörigenberatung durch eine starke theoretische Fundierung im Bereich der Paartheorie zu ergänzen. 11.1.3 Ehebeziehung und Pflegebeziehung als Kippfigur in der Beratung Das von mir im Kapitel 10.3 eingeführte Modell der Kippfigur von Ehe- und Pflegebeziehung hilft nicht nur zu verstehen, wie die betroffenen Ehegatten ihre Situation wahrnehmen, sondern kann auch für die inhaltliche Ausrichtung der Angehörigenberatung genutzt werden. Ebenso wie die Ehegatten ihre Situation einmal im Rahmen1240 einer Ehebeziehung und ein anderes Mal im Rahmen einer Pflegebeziehung interpretieren, kann die jeweils von den Ratsuchenden geschilderte Problematik auch in den Augen der Berater in die eine oder andere Richtung kippen. Im vorherigen Abschnitt habe ich die Vermutung erörtert, dass die Schablonen des derzeit gängigen professionellen Wissens das Augenmerk der Berater häufig auf die Seite der Pflegebeziehung lenken. Selbstverständlich besitzt der Fokus auf Krankheit und Pflegebeziehung einen wesentlichen Stellenwert in der Beratung. Die ratsuchenden Ehegatten brauchen das Expertenwissen der Berater auf diesem Gebiet. Doch sollten Berater in der Lage sein, die Situation der Ehegatten vollständiger wahrzunehmen, d.h. neben den krankheits- und pflegebezogenen Aspekten auch die Auswirkungen der Demenz auf die Paarbeziehung zu erkennen, und professionell, d.h. reflektiert entscheiden zu können, wann sie mit ihren beraterischen Interventionen die Pflegeprobleme im Kontext einer Ehe und wann die Eheprobleme im Kontext einer Krankheit zum Gesprächsgegenstand machen. 1240 vgl. Goffman 1977; zit. nach Lenz 2003, 217 332 Das Modell der Kippfigur schärft den Blick für die beiden Seiten der Problematik und kann dabei helfen, eine reflektierte Entscheidung hinsichtlich des Beratungsfokus zu treffen. Anders als ein Prozessmodell, das von einer zwangsläufigen Verdrängung der Ehe- durch eine Pflegebeziehung im fortschreitenden Krankheitsverlauf ausgeht, bewahrt das Modell der Kippfigur davor, die Situation der Ehegatten normativ zu betrachten. Es erlaubt eher Fragen, ob die Wahrnehmung als Ehe- oder als Pflegebeziehung im Einzelfall adaptiv und funktional ist. Und für wen von den beiden Partnern sie es ist, ob für beide, oder ob einer der Partner mit seinen Bedürfnissen verkannt wird. Beratung bedeutet dann, im Einzelfall, wenn die Wahrnehmung und Bewertung der Situation nicht adaptiv ist, einzugreifen, indem die jeweils andere Perspektive fokussiert wird. Bei Frau K. beispielsweise, die genau das „Richtige“ tut, als sie ihren Mann von Aufgaben entlastet, die er nicht mehr bewältigen kann, die jedoch ihr Tun nicht wertschätzen kann, weil sie dabei aus ihrem Alltagsverständnis heraus als „gute Ehefrau“ versagt, hieße das, sie dabei zu unterstützen, das Skript einer Pflegebeziehung nicht nur für die Entscheidung anzuwenden, sondern es in diesem Fall auch für die Bewertung ihres Tuns beizubehalten. In einem Fall wie dem von Herrn P., der seine Beziehung zur Ehefrau weitgehend als Pflegebeziehung betrachtet, könnte Beratung bedeuten, dann, wenn es Hinweise darauf gäbe, dass er oder seine Frau unter dieser einseitigen Festlegung leiden, ihn dabei zu unterstützen, die Seite der Ehebeziehung wieder etwas mehr in den Blick zu bekommen. Dazu könnte der Berater die Aufmerksamkeit von Herrn P. dahin lenken, wo er die Beziehung weiterhin als ausgeglichen wahrnimmt, an die Stellen beispielsweise, an denen die demente Ehefrau durch Einbringen entsprechender Commodities ein Gleichgewicht in der Beziehung herstellt. Eine vollständigere Wahrnehmung seiner Situation könnte auch durch eine Ermutigung gefördert werden, die Vergangenheit der Beziehung ausführlich zu reflektieren, um die belastenden aktuellen Erfahrungen in einen größeren Gesamtzusammenhang einordnen und ggf. dadurch relativieren zu können. Für die Beurteilung, ob die Wahrnehmungen und Bewertungen der Beziehung adaptiv und funktional sind, ist das subjektive Wohlbefinden der Betroffenen entscheidend. Haben sie ein starkes Anliegen, die eheliche Verbundenheit lebendig zu halten, dann bedeutet Beratung, sie darin zu unterstützen, im wahrsten Sinne kreativ, d.h. im Umgang mit einer tief vertrauten und gleichzeitig 333 fremd werdenden Beziehung schöpferisch nach neuen Wegen zu suchen, wie das emotionale Band zwischen den Ehegatten unter den Bedingungen der Demenz erhalten werden kann. Wird dagegen die aktuelle Beziehung im krassen Kontrast zur früheren erlebt und bedeutet die Erinnerung an die vertraute alte Partnerschaft ständigen, unerträglichen Schmerz oder ist die Furcht stark, dass die gesamte Bilanz der gemeinsamen Ehe durch die Erfahrung der Demenzproblematik gewissermaßen absorbiert wird, dann können manche Ehegatten sich wohler damit fühlen, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen und die Beziehung zu dem erkrankten Gatten als ein ganz neues Kapitel der gemeinsamen Geschichte zu betrachten. Beratung kann dann heißen, sie in ihrer Selbstwahrnehmung als Pflegende darin zu unterstützen, dem kranken Partner eine möglichst gute Pflege geben zu können. 11.2 Eckpunkte für eine psychosoziale Beratung der Ehegatten In den bisherigen Kapiteln von Teil III hat die Paarthematik, d.h. das Themenfeld „Wir“ im Mittelpunkt gestanden. Ich habe die Demenz als Ehekrise und das Verhältnis von Ehe- und Pflegebeziehung erörtert und ein Plädoyer für eine paartheoretische Fundierung der gerontopsychiatrischen Angehörigenberatung gehalten. Abschließend möchte ich nun den Blick noch einmal weiten und alle in der Felderkundung gefundenen thematischen Felder der Beratung wieder einbeziehen, um Eckpunkte einer psychosozialen Beratung für die Ehegatten von Demenzpatienten zu formulieren. Diese Eckpunkte umfassen die vier in der empirischen Felderkundung gefundenen Themenfelder, die darin enthaltenen Beratungsthemenkomplexe und die für die Beratung jeweils notwendigen theoretischen Wissensgrundlagen (vgl. Abbildung 35). 334 Abbildung 35: Eckpunkte einer psychosozialen Beratung für Ehegatten Demenzkranker Themenfeld Beratungsthemenkomplexe Theoriegrundlagen Das „Ich“ Persönliches Erleben der Situation und Belastungen des ratsuchenden Ehegatten im Kontext der Pflege Forschungsbereich über pflegende Angehörige Alterstypische Entwicklungsaufgaben und Krisen Gerontologie Die persönliche Situation des ratsuchenden Ehegatten Information über die Krankheit Das „Du“ Die Veränderungen des dementen Partners Verstehenshilfen Hilfen zum Umgang mit dem Erkrankten Psychiatrie und Pflegewissenschaft Gefährtenschaft und Intimität Loyalität und Vertrauen Souveränität, Gleichberechtigung, Alltagsorganisation und Macht Das „Wir“ Die Situation des Paares Paartheorie Gerechtigkeit und Liebe Beziehungsgeschichte und Paardynamik Die „Anderen“ Die Rolle des sozialen Umfeldes 11.2.1 Die Rolle der Kinder Familientheorie Information über informelle und formelle Hilfeangebote Überblick über die regional verfügbaren Hilfeangebote Sozialrecht Das „Ich“ - die persönliche Situation des ratsuchenden Ehegatten Die Beratungsgespräche stellen für die Ehegatten einen Raum zur Verfügung, in dem sie sich mit ihrem persönlichen Erleben und den Erfahrungen angesichts der Krankheit des Partners auseinander setzen können. Dies schließt eine emotionale Dimension ein, d.h. die Beratung bietet Gelegenheit, die eigenen Gefühle auszudrücken und zu ordnen, ohne dass sie von dem Berater wertend aufgenommen werden. Daneben gibt es eine kognitive Dimension in dieser Auseinandersetzung, d.h. die Auswirkungen auf die eigenen Lebensplanungen können mit einem neutralen Gesprächspartner reflektiert werden. Neben positiven Erfahrungen geht es in diesem Themenkomplex vor allem um das Erkennen der vielfältigen Belastungen, das subjektive Erleben und die Bewertung dieser Belastungen sowie um Überlegungen zum Umgang mit den belastenden Aspekten. Häusliche Pflege vollzieht sich häufig in der engen Beziehung zwischen dem Pflegebedürftigen und einer einzigen Hauptpflegeperson. Das, was dort geschieht, die alltäglichen Abläufe, die Gesetzmäßigkeiten, die Erlebnisse und die Belastungen der Beteiligten 335 entziehen sich vielfach dem Blick der Umwelt. Wenn pflegende Angehörige eine Beratungsstelle aufsuchen, dann repräsentieren die Berater gewissermaßen den Blick der Öffentlichkeit auf diese Pflegesituation. Viele Angehörige benötigen deshalb zunächst breiten Raum für die Darstellung ihrer Alltagserfahrungen und suchen häufig Gehör für ausführliche Klagen. Berater können stellvertretend für die Öffentlichkeit Anerkennung aussprechen für das, was die pflegenden Angehörigen auf sich nehmen und täglich leisten. Neben dem subjektiven Erleben der Pflegesituation ist ein zweiter Themenkomplex für die persönliche Situation des Ehegatten bedeutsam. Dies sind die mit dem meist fortgeschrittenen Alter der pflegenden Ehegatten zusammenhängenden gesundheitlichen, psychischen und sozialen Aspekte des Alterns. Besonders deutlich wird die Bedeutung dieses Themenkomplexes am Beispiel des Gesundheitszustandes, der allein schon aufgrund des hohen Alters1241 und dann zusätzlich noch durch die Pflegebelastung angegriffen sein kann1242. Etliche der Ehegatten in der Stichprobe sind selbst ernsthaft krank und zwar in einer Schwere, die eigentlich für sie selbst die Rolle des Kranken mit entsprechenden Ansprüchen auf Schonung, emotionalen Beistand und ggf. sogar körperliche Pflege rechtfertigen würde1243. Aber nicht nur gesundheitliche Probleme, sondern auch soziale und psychische Aspekte der Altersphase stellen Entwicklungsaufgaben und –krisen bereit, welche die gesunden Ehegatten neben der Pflege des Partners in Anspruch nehmen können1244. Auch diese nicht direkt mit der Pflege, aber mit dem Alter der pflegenden Angehörigen zusammenhängenden Fragen können in der Beratung zum Gesprächsgegenstand werden. Allerdings kann die Angehörigenberatung auf diesem Gebiet nur auf wenig gesicherte Erkenntnisse zurückgreifen. Die Frage danach, welche Bedeutung die Phase innerhalb des Lebenszyklus hat, an der die Pflege bewältigt werden muss, wird in der bestehenden Forschungslage über Ehegatten Demenzkranker nur am Rande behandelt1245. Um besser verstehen zu 1241 vgl. Kapitel 4.3.2.1 1242 vgl. Kapitel 4.2.1 1243 Herr D., Herr E. und Herr P. haben Krebs. Herr E. und Frau O. müssen sich Operationen unterziehen. Frau M. hat eine chronische Magenerkrankung. Viele weitere Ehegatten klagen über nicht näher bezeichnete gesundheitliche Beschwerden (vgl. Anhang 3, Punkt 1.2) 1244 1245 vgl. Russo & Vitaliano 1995; näheres zu dieser Untersuchung im Kapitel 4.2.3 Adler et al. bemerken am Rande, den alten Ehegatten fehle die Zukunftsperspektive (vgl. Adler et al. 1996). Andere Autoren vermuten, möglicherweise litten alte Ehefrauen besonders, wenn sie am Ende eines Lebens, in dem sie stets für Mann und Kinder da gewesen seien, wieder einmal feststellten, die eigenen Bedürfnisse und Interessen zugunsten eines anderen zurückstellen zu müssen (vgl. Collins & Jones 1997; Zarit, Todd & Zarit 1986). Seltzer & Li heben hervor, alte Ehefrauen träten in einer Lebensphase in die Pflegerolle ein, in der ihre Ressourcen zur Bewältigung tendenziell geringer würden. In ihrer Lebensphase sei eher Rückzug als 336 können, wie hochaltrige Ehegatten die Demenz ihres Partners im Zusammenhang ihres eigenen Alters bewältigen und welche Auswirkungen diese Erfahrung auf ihre eigene Auseinandersetzung mit dem Altwerden hat, sind aus Sicht der Angehörigenberatung noch viele offene Fragen zu klären. Solche Forschungsfragen an die Adresse der Gerontologie sind u.a.: • In welcher Weise interferiert die Auseinandersetzung mit der Demenz des Partners mit anderen typischen Entwicklungsaufgaben und –krisen des Alters1246? Wie werden Objektbeziehungen und beispielsweise die Bewältigung die Veränderungen von von Objektverlusten, die Auseinandersetzung mit Zeitlichkeit und Vergänglichkeit oder mit Sinn- und Identitätsfindung hierdurch beeinflusst? Welche Bedeutung hat es, in dieser Lebensphase eigene Interessen und Lebenspläne zurückzustellen, d.h. aufgeben zu müssen? Welche Rolle spielt die Zukunftsperspektive, das kurze Zeitfenster, das alte Ehegatten haben? • Wie funktionieren Ehen und Liebesbeziehungen in der Altersphase? Welche Gefährdungen und Krisen haben sie? Verändert sich ihre Bedeutung gegenüber anderen Lebensphasen, und welchen Stellenwert hat dabei eine Demenz? • Wie stellen sich diese Fragen für Paare, die an unterschiedlichen Zeitpunkten innerhalb der Altersphase die Demenz erleben. Wie unterscheidet sich die Situation beispielsweise eines von einer Youngeronset-Demenz betroffenen Paares von derjenigen eines hochaltrigen Paares? 11.2.2 Beratung Das „Du“ – die Veränderungen des dementen Partners in diesem Themenfeld mit den drei darin enthaltenen Beratungsthemenkomplexen „Information über die Erkrankung“, „Verstehenshilfen“ und „Hilfen zum Umgang mit dem Erkrankten“ hat eine deutlich psychoedukative Ausrichtung. Zielsetzungen sind Informationsvermittlung und Kompetenzerweiterung im Umgang mit der Erkrankung des Partners. Kurz et al. nennen die wesentlichen Punkte eines solchen Beratungsansatzes für pflegende Angehörige Demenzkranker: (1) Wissen über die Krankheit erwerben, (2) die aktives Arbeitsengagement die Norm. Die soziale Unterstützung durch Gleichaltrige sei weniger erreichbar und gesundheitliche Probleme würden wahrscheinlicher (Übersicht bei Seltzer & Li 2000, 175). Scroggin Wullschleger et al. berichten einen deutlichen Zusammenhang zwischen subjektiver Belastung und der Angst vor dem Älterwerden bei Ehegatten Demenzkranker (vgl. Scroggin Wullschleger et al. 1996; näheres im Kapitel 4.2.3) 1246 Überblick über Entwicklungsaufgaben und –krisen im Alter z.B. bei Peters 2004 337 Krankheit als Tatsache annehmen, (3) den Kranken verstehen lernen, (4) das eigene Verhalten der Krankheit anpassen, (5) das Milieu anpassen und (6) für sich selbst sorgen1247. Großen Raum nehmen in der Beratung Fragen 1248 problematischem Verhalten der Erkrankten ein zum Umgang mit . Solche Verhaltensweisen, wie zum Beispiel das Festhalten an wirklichkeitsfremden Überzeugungen oder die Abwehr notwendiger pflegerischer Maßnahmen, sind selten mit rasch wirksamen Tipps und Tricks aus der Welt zu schaffen. Sie sind Ausdruck einer inneren Not des Kranken, die sich in verschiedenen Alltagssituationen immer wieder aktualisiert oder über einen längeren Zeitraum das Erleben des Kranken konstant bestimmt. In der Beratung muss deshalb viel Wert darauf gelegt werden, den Angehörigen zu ermöglichen, sich empathisch in das subjektive Erleben des Kranken hineinzuversetzen und seine Verhaltensweisen dann weniger als Verhaltens-„störungen“, sondern eher als - wenn auch oft misslingende – Bewältigungsversuche aufzufassen. Die Erwartung der Angehörigen, in der Beratung Umgangsformen kennenzulernen, die problematisches Verhalten des Kranken ein für alle Male abstellen können, muss häufig enttäuscht werden. Das vorrangige Ziel der Beratung ist dagegen oft, eine Neubewertung der Situation zu ermöglichen. Eine veränderte Haltung der Angehörigen gegenüber dem Problemverhalten des Kranken hat allerdings nicht selten eine Entspannung der ganzen Situation zur Folge, die dann wiederum auch Angst- und Katastophenreaktionen bei dem Erkrankten abbauen kann. Angesichts des konkreten Handlungsdrucks, mit dem Angehörige im Alltag aber konfrontiert sind (Wo zum Beispiel soll der Ehemann schlafen, wenn die demente Frau ihn nicht erkennt und aus dem Schlafzimmer wirft?), wird dieser Verstehensprozess immer wieder auf harte Proben gestellt. 11.2.3 Das „Wir“ – die Situation des Paares Teil eines Paares zu sein, stellt für die häufig seit Jahrzehnten mit dem jetzt dementen Partner verheirateten Ehegatten eine so wesentliche Dimension ihres Lebensentwurfes dar und ist in so hohem Maße identitätskonstituierend, dass die durch die Demenz verursachten Veränderungen der Paarbeziehung zu schweren 1247 vgl. Kurz et al. 1987 1248 vgl. Anhang 3, Punkt 2.3 338 Erschütterungen im Erleben der gesunden Ehegatten führen. Anders als bei pflegenden Kindern, deren Problematik im Kern häufig durch Anerkennungs- und Gerechtigkeitskonflikte zwischen den Generationen gekennzeichnet ist1249 und bei denen die Verteidigung eigener Lebensansprüche gegenüber den Anrechten der alten Eltern thematisiert wird, ist die Ehebeziehung für die ratsuchenden Ehegatten ein ganz wesentlicher Teil des eigenen Lebens, und die Rettung dieser Lebensgemeinschaft und damit des eigenen Lebensentwurfes bildet den Kern ihrer Problematik. Beratung stellt den Raum zur Verfügung, in dem die Ehegatten sich diesen Fragen stellen und die Krise ihrer Ehe zum Gegenstand der Reflexion machen können. Betroffen von der Krise sind prinzipiell alle grundlegenden Dimensionen einer Paarbeziehung: Gefährtenschaft und Intimität, Loyalität und Vertrauen, Souveränität der Partner, Gleichberechtigung, Alltagsorganisation und Macht, Gerechtigkeit und Liebe sowie auch die Paardynamik und Beziehungsgeschichte. Beratung bedeutet hier, den Blick der Ehegatten für die Veränderungen der Partnerschaft zu schulen, für die vielen kleinen Wechsel der Kippfigur im Alltag. Berater können Ehegatten darin ermutigen, nach den Aspekten zu suchen, in denen sie ihre Ehebeziehung als unverändert und ausgeglichen wahrnehmen, und sie können sie dabei unterstützen, diejenigen Momente davon unterscheiden zu lernen, in denen das „normale“ Eheskript nicht mehr greift. Auch die Rückbesinnung auf die vergangene Ehebeziehung und die Einordnung der aktuellen gemeinsamen Lebensphase in diese Geschichte kann Gegenstand der Beratung sein. 11.2.4 Die „Anderen“ – die Rolle des sozialen Umfeldes In diesem Themenfeld beschäftigt sich die Beratung mit der Rolle von Kindern, Freunden und dem weiteren informellen sozialen Umfeld sowie von professionellen Diensten und gesellschaftlich bereitgestellten Unterstützungsangeboten im weitesten Sinne. Vor allem die Kinder scheinen eine erhebliche Rolle in ehelichen Pflegearrangements zu spielen1250. In der Forschung zur häuslichen Pflege gibt 1249 1250 vgl. Gröning, Kunstmann & Rensing 2004, 63ff. Darauf weisen die vielen Andeutungen hin, mit denen die Ehegatten in den ausgewerteten Beratungen ihre Beziehung zu den erwachsenen Kindern erwähnt haben (vgl. Anhang 3, Punkt 4.1.1). Zwei Drittel der 339 es eine deutliche Tendenz, entweder allein pflegende Kinder oder allein pflegende Ehegatten zu betrachten oder in Untersuchungssamples beide Gruppen nicht weiter zu differenzieren. Das mögliche Zusammenwirken der Generationen bei der Betreuung eines demenzkranken Familienangehörigen bleibt dabei in jedem Fall unklar. Aus der Sicht der Angehörigenberatung besteht ein Interesse an gesicherten Kenntnissen über das Zusammenspiel der Generationen. Welche Art der Unterstützung seitens der Kinder wird von pflegenden Ehegatten als besonders entlastend wahrgenommen: emotionale, instrumentelle, materielle oder informationelle Unterstützung? Sind Kinder eher eine Art Hintergrundbereitschaft oder fester Bestandteil des Pflegearrangements? Trauen sich die Eltern nicht, ihre Kinder um Hilfe zu bitten, weil sie ihnen nicht zur Last fallen wollen? Oder befürchten sie, dass die Kinder unerwünschten Einfluss auf die häusliche Pflegesituation nehmen? Welche typischen Konflikte gibt es zwischen den Generationen über die Art und Weise, wie die Pflege organisiert und umgesetzt wird? Mit welchen unterschiedlichen Logiken und Bewertungsmaßstäben betrachten die Generationen die Pflegesituation? Gerade im Hinblick auf die zukünftige Absicherung der häuslichen Pflege dürfte es wesentlich sein, nicht nur Wissen darüber anzusammeln, wie sich die Situation darstellt, wenn die Betreuung durch die Ehegatten bereits kollabiert ist und die Pflege vollständig in die Verantwortung der Kindergeneration 1251 wohlfahrtspluralistisch übergegangen ist. Wenn häusliche Pflege sich als eine Mixtur aus eigener Vorsorgeleistung, familialen Hilfen, Solidarität kleiner Netzwerke und wohlfahrtsstaatlichen Maßnahmen organisieren soll, dann verdienen die Beiträge, die von den Generationen innerhalb der Familien gemeinschaftlich erbracht werden, weitere wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Der zweite Themenkomplex in diesem Themenfeld beinhaltet die Information über informelle und formelle Hilfeangebote, die pflegende Ehegatten zur ihrer Entlastung nutzen können. Die Ratsuchenden erhalten Auskünfte über mögliche Hilfen durch professionelle Dienste aus dem Medizinsektor, dem Altenpflegesektor, über niedrigschwellige Hilfeangebote oder psychoedukative untersuchten Ehegatten sprachen über ihre Kinder in den Beratungen, wobei die Kinder überwiegend als Quelle der Unterstützung wahrgenommen wurden. Doch daneben wurden auch Konflikte mit den Kindern und Sorgen thematisiert. Um mehr darüber zu erfahren, wie dieses Verhältnis sich darstellen und wie das Zusammenspiel bei der Betreuung aussehen kann, wäre eine anders angelegte Untersuchung notwendig als die vorliegende, deren Fokus allein die Ehegattenpflege ist. In der vorliegenden Untersuchung sind die Befunde über das Verhältnis der Kinder und Eltern ein Nebenprodukt. Doch schon dieses Nebenprodukt lässt eine Vielschichtigkeit von Dimensionen erkennen, die für weitere Forschung, aber auch praktisch für die Angehörigenberatung vielfältige Fragen aufwirft. 1251 vgl. Olk 2000 340 Gruppenangebote für die Angehörigen wie Gesprächskreise oder Kurse und über sozialrechtliche Ansprüche. Auch die Erfahrungen mit der Inanspruchnahme formeller Dienste und mögliche Passungsprobleme von professionell organisierten Hilfen in die Lebenswelt der Betroffenen sowie die daraus resultierenden Konflikte können Themen in der Beratung sein. 11.2.5 Die Sonderfälle Als typische Fälle in der Ehegattenberatung habe ich als Ergebnis der Felderkundung folgende definiert: ältere Ehepaare oder langjährige nichteheliche Lebensgemeinschaften, die das Erwerbsleben weitgehend hinter sich gelassen haben, deren Kinder erwachsen sind und bei denen die Demenz weitreichende Umbrüche in einer Beziehung bewirkt, die zuvor noch nicht dominant durch eine chronische Erkrankung eines der Partner gekennzeichnet war (vgl. Kapitel 8.1). Neben der Beratung dieser typischen Ehegatten muss die Angehörigenberatung auch für die in der Felderkundung zu Tage getretenen Sonderfälle gerüstet sein: • Paare, die von einer Younger-onset-Demenz betroffen sind • Paare, die in einer Zweit- oder Folgebeziehung zusammen leben sowie deren Patchwork-Familien • Paare, die auf eine lange konflikthafte Beziehungsgeschichte zurückblicken • außereheliche Beziehungen • Paare, deren Beziehung seit Jahren schon durch eine chronische Erkrankung des nun zusätzlich demenziell erkrankten Partners gekennzeichnet war und schließlich • Paare, bei denen Gewalt, sei es erst im Kontext der Demenz, sei es früher schon, eine Rolle spielt. Über deren spezifische Problematiken gibt es noch wenig abgesicherte Erkenntnisse, auf die sich die Angehörigenberatung stützen könnte1252. Will die Angehörigenberatung nicht dem Philemon-und-Baucis-Mythos1253 von einer idyllischen Altersehe erliegen, dann sind besonders Erkenntnisse über die Auswirkungen einer Demenz in problematischen Paarbeziehungen notwendig. 1252 Ausnahmen: zur Problematik der Younger-onset-Demenzen vgl. Williams, Keady & Nolan 1995; zur Demenzthematik in Patchwork-Familien vgl. Kuhn, Morhardt & Monbrod-Framburg 1993; zur Problematik von Gewalt und Misshandlung in ehelichen Pflegebeziehungen vgl. Buttell 1999; Grafström, Nordberg & Winblad 1993; Grafström, Nordberg & Hagberg 1993; Williamson et al. 2001, wobei sich die Arbeiten über Gewalt überwiegend auf solche Gewalt konzentrieren, die von den pflegenden Ehegatten ausgeht. 1253 vgl. Ovid, Metamorphosen, VIII, 207 341 Ebenso wichtig ist Wissen über die Demenz in ehelichen oder außerehelichen Lebensgemeinschaften und Patchwork-Familien, da angesichts der mit der gesellschaftlichen Modernisierung verbundenen Pluralisierung der Lebensformen damit zu rechnen ist, dass diese heute noch als Sonderfälle in der Beratung auftretenden Beziehungsformen zukünftig an Bedeutung gewinnen werden. 12 Zusammenfassung und Ausblick Sowohl die Forschungslage als auch die hier beschriebene Untersuchung zur Exploration des Feldes der Ehegattenberatung belegen eindrucksvoll die Spezifität der ehelichen Pflegekonstellation, ihren vielfach von der Situation pflegender Kinder abweichenden Charakter und die Vielschichtigkeit ihrer Problemlagen. Zentrale Ergebnisse der durchgeführten Untersuchung sind die Betrachtung der Demenz als Ehekrise und daraus folgend als Krise des Lebensentwurfes der Betroffenen sowie die Veränderungen der Paarbeziehung im Sinne einer Kippfigur aus Ehe- und Pflegebeziehung. Im Hinblick auf die Entwicklung sinnvoller und hilfreicher Unterstützungs- und Beratungsangebote gibt es einen erheblichen weiteren Forschungsbedarf, insbesondere bezogen auf das Verhältnis von Ehe- und Pflegebeziehung, die Paardynamik, die Lebenslaufund die Mehr-Generationen-Perspektive. Will die Beratung der Ehegatten Demenzkranker dem Anspruch eines psychosozialen Beratungsansatzes gerecht werden, dann gilt es, die Ausblendung der Paarthematik zugunsten der Betrachtung der Ehegatten als Einzelpersonen und die Ausblendung der Ehethematik zugunsten der Pflegethematik zu vermeiden. Voraussetzung dafür ist es, das bestehende Theoriedefizit bezüglich der Paarthematik in der Angehörigenberatung abzubauen. Das Anliegen meiner Arbeit ist es gewesen, hierzu einen Beitrag zu liefern. 342 Literatur Abramson, L.Y.; Metalsky, G.I. & Alloy, L.B. (1989) Hopelessness depression: A theory-based subtype of depression. In: Psychological Bulletin, Vol. 96, 358372 Adler, Corinne; Wilz, Gabriele & Gunzelmann, Thomas (1996) „Frei fühle ich mich nie“ – Frauen pflegen ihren an Demenz erkrankten Ehemann, Vater oder Mutter. In: Gesundheitswesen, 58, Sonderheft 2, 125-131 Adler, C.; Gunzelmann, T.; Machold, C.; Schumacher, J. & Wilz, G. (1996) Belastungserleben pflegender Angehöriger von Demenzpatienten. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 29, 143-149. Allan, G. (1985) Family life. Oxford: Blackwell Allard, M.; Signoret, J.-L. & Stalleiken, D.E. (1988) Alzheimer Demenz. Berlin Alloy, L.B.; Abramson, L.Y.; Metalsky, G.I. & Hartlage, S. (1988) The hopelessness theory of depression: Attributional aspects. 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