Demenz in der Ehe - Publications at Bielefeld University

Transcrição

Demenz in der Ehe - Publications at Bielefeld University
1
Demenz in der Ehe
Über die verwirrende Gleichzeitigkeit von Ehe- und Pflegebeziehung in der
psychosozialen Beratung für Ehepartner Demenzkranker
Dissertation
zur Erlangung des Doktorgrades
an der Fakultät für Pädagogik
der Universität Bielefeld
Vorgelegt
von Luitgard Franke
am 31.05.2005
Gutachterinnen
Prof. Dr. Katharina Gröning
Prof. Dr. Sabine Andresen
2
An dieser Stelle möchte ich all denjenigen danken, die mich bei der Anfertigung
dieser Arbeit unterstützt haben.
Mein besonderer Dank gilt Frau Professor Dr. Katharina Gröning, die mir die
Möglichkeit gegeben hat, als Praktikerin einen Ausschnitt meines Arbeitsfeldes
wissenschaftlich zu bearbeiten. Ich danke ihr für die Freiheit, die sie mir gelassen
hat, dabei meinen eigenen Weg zu finden, und gleichzeitig für ihre
entscheidenden Hinweise, mit denen sie Weichenstellungen in der Arbeit
begleitet hat.
Ich danke meinem Mann Michael Franke für seinen emotionalen Rückhalt, den
Zuspruch und für seine kritischen Nachfragen, die für das Ergebnis der Arbeit so
wichtig gewesen sind. Meinem Freund Georgy Behr sage ich Dank für seinen
Beistand und sein unerschütterliches Vertrauen in das Gelingen der Arbeit. Bei
meiner Schwester Barbara Limberg bedanke ich mich für ihr sorgfältiges
Redigieren des Textes.
Dank sage ich den Frauen im Doktorandinnen-Kolloquium, besonders Andrea
Hötger, für ihre kollegiale Unterstützung.
Meinen Kolleginnen Wilma Dirksen, Cornelia Domdey und Hilke Prahm-Rohlje
danke ich für die Bereitschaft, ihre Beratungsdokumentationen für die
Auswertung zur Verfügung zu stellen, und für die scheinbar belanglosen
Gespräche am Rande, die mich davor bewahrt haben, bei allen Verlockungen
der theoretischen Diskurse den Anwendungsbezug meiner Arbeit in der
Angehörigenberatung aus den Augen zu verlieren.
3
Inhalt
Einleitung. ............................................................................................................................................... 8
TEIL I
FORSCHUNGSLAGE ZUR SITUATION VON EHEGATTEN DEMENZKRANKER..............13
1
Demenz und Pflegebedürftigkeit.................................................................................................. 14
1.1
Demenz........................................................................................................................................................14
1.2
Demenz und Pflegebedürftigkeit ..............................................................................................................18
1.2.1
Zahlen und Fakten zur Pflegebedürftigkeit bei Demenz ..........................................................................18
1.2.2
Zahlen und Fakten zu ehelichen Pflegekonstellationen...........................................................................20
1.3
2
Zusammenfassung Kapitel 1.....................................................................................................................25
Entwicklung und Gebiete des Forschungsinteresses ............................................................... 26
2.1
Fragestellungen der Forschung ...............................................................................................................26
2.2
Theoretische Bezugsrahmen der Forschung ..........................................................................................33
2.3
Zusammenfassung Kapitel 2.....................................................................................................................34
3
Demenz in der Ehe ........................................................................................................................ 35
3.1
Veränderungen der Ehebeziehung ...........................................................................................................35
3.1.1
Erstes Wahrnehmen der Demenz ............................................................................................................35
3.1.2
Veränderungen im weiteren Verlauf der Demenz ....................................................................................40
3.1.2.1
Veränderungen des Rollengefüges ....................................................................................................40
3.1.2.2
Beziehungsdeprivation .......................................................................................................................41
3.1.2.3
Asymmetrie der Entwicklung ..............................................................................................................50
3.1.2.4
Sexualität ............................................................................................................................................52
3.1.3
Situation des gesunden Ehegatten ..........................................................................................................59
3.1.3.1
Bedrohung des Selbst ........................................................................................................................59
3.1.3.2
Auseinandersetzung mit existenziellen Themen ................................................................................62
3.2
3.2.1
Besonderheiten der ehelichen Pflegekonstellation ................................................................................72
Übernahme der Pflegerolle und Motivation zur Pflege.............................................................................72
3.2.1.1
Erklärungsansätze aus Theorien des Helfens ....................................................................................72
3.2.1.2
Erklärungsansätze aus der Ethik ehelicher Verpflichtung ..................................................................74
3.2.1.3
Erklärungsansätze aus der Geschlechterperspektive ........................................................................77
3.2.2
Pflegealltag...............................................................................................................................................78
3.2.2.1
Pflegerolle und Aufgaben ...................................................................................................................78
3.2.2.2
Zielsetzungen bei der Betreuung des erkrankten Gatten ...................................................................83
3.2.3
Geschlechtsspezifische Aspekte der Ehegattenpflege ............................................................................87
3.2.3.1
Geschlechtsrollenunterschiede im Alter .............................................................................................88
3.2.3.2
Ausfüllen der Pflegerolle und Bewältigungsmuster ............................................................................89
3.2.3.3
Ehemänner mit demenziell erkrankten Frauen...................................................................................93
3.2.3.4
Ehefrauen mit demenziell erkrankten Männern ..................................................................................98
3.2.4
Gewalt in ehelichen Pflegekonstellationen.............................................................................................101
3.2.4.1
Begriffsklärung und empirische Befunde zum Ausmaß des Problems.............................................101
3.2.4.2
Hintergründe des Problems ..............................................................................................................104
3.3
Zusammenfassung Kapitel 3...................................................................................................................106
4
4
Belastung und Lebenszufriedenheit der pflegenden Ehepartner ........................................... 112
4.1
Theoretische Grundlagen der Forschung..............................................................................................112
4.1.1
Das Konstrukt Belastung........................................................................................................................112
4.1.2
Stresstheoretisch orientierte Forschung ................................................................................................115
4.1.2.1
Die Stress-Coping-Theorie von Lazarus et al...................................................................................116
4.1.2.2
Das Zwei-Faktoren-Modell von Lawton et al. ...................................................................................120
4.1.2.3
Das Double-ABCX-Modell von McCubbin et al. ...............................................................................122
4.1.2.4
Das Alzheimer-Pflegestress-Modell von Pearlin et al.......................................................................123
4.2
Auswirkungen des Pflegestresses .........................................................................................................126
4.2.1
Gesundheit .............................................................................................................................................126
4.2.1.1
Seelische Gesundheit........................................................................................................................126
4.2.1.2
Geistige Gesundheit ..........................................................................................................................129
4.2.1.3
Körperliche Gesundheit .....................................................................................................................130
4.2.2
Soziale Integration..................................................................................................................................132
4.2.3
Subjektives Belastungserleben ..............................................................................................................135
4.3
Einflussgrößen im Stressprozess ..........................................................................................................139
4.3.1
Demenzsymptomatik und Merkmale des Patienten ...............................................................................139
4.3.1.1
Kognitive Symptomatik der Demenz..................................................................................................141
4.3.1.2
ADL-Beeinträchtigungen....................................................................................................................142
4.3.1.3
Problemverhalten und psychiatrische Symptomatik ..........................................................................142
4.3.2
Merkmale des pflegenden Ehegatten ....................................................................................................145
4.3.2.1
Alter und Gesundheit .........................................................................................................................146
4.3.2.2
Geschlecht.........................................................................................................................................147
4.3.2.3
Persönlichkeitsmerkmale...................................................................................................................151
4.3.3
Qualität der vergangenen Ehebeziehung...............................................................................................154
4.3.3.1
Die „schlechte“ Ehe ...........................................................................................................................156
4.3.3.2
Die „gute“ Ehe....................................................................................................................................157
4.3.4
Merkmale der Umwelt ............................................................................................................................159
4.3.4.1
Lebensbedingungen ..........................................................................................................................159
4.3.4.2
Soziale Unterstützung........................................................................................................................159
4.3.4.3
Inanspruchnahme formeller Dienste des Gesundheits- und Sozialsystems .....................................166
4.3.5
Bewältigungsreaktion .............................................................................................................................170
4.3.5.1
Effekte unterschiedlicher Coping-Strategien .....................................................................................170
4.3.5.2
Persönlichkeitsmerkmale und Coping ...............................................................................................172
4.3.5.3
Frühere Ehebeziehung und Coping...................................................................................................175
4.4
Belastungen der Ehegatten im Vergleich zu anderen Gruppen ..........................................................176
4.4.1
Pflege Demenzkranker versus Pflege nicht dementer Pflegebedürftiger...............................................176
4.4.2
Pflegende Ehegatten versus pflegende Kinder ......................................................................................177
4.4.3
Mit Demenz konfrontierte Paare versus gesunde Paare .......................................................................180
4.5
Positives Erleben und Lebenszufriedenheit im Zusammenhang mit der Pflege ...............................181
4.5.1
Konzeptualisierungen positiver Aspekte der Pflege...............................................................................181
4.5.2
Empirische Befunde zu positivem Erleben und Lebenszufriedenheit ....................................................183
4.6
5
Zusammenfassung Kapitel 4...................................................................................................................184
Zusammenfassende Darstellung der Forschungslage ............................................................ 190
5
TEIL II
ERKUNDUNG DES FELDES................................................................................................193
6
Untersuchungsdesign ................................................................................................................ 194
6.1
Erkenntnisinteresse, Forschungsansatz und Ort der Untersuchung .................................................194
6.1.1
Erkenntnisinteresse................................................................................................................................194
6.1.2
Forschungsansatz ..................................................................................................................................195
6.1.3
Ort der Untersuchung.............................................................................................................................200
6.2
Sample und Datenerhebung....................................................................................................................200
6.2.1
Langandauernde Beratungsprozesse ....................................................................................................201
6.2.2
Erstberatungen.......................................................................................................................................203
6.3
7
Auswertung...............................................................................................................................................208
Fallanalysen................................................................................................................................. 211
7.1
Themen in langandauernden Beratungsprozessen..............................................................................211
7.1.1
Beratungsprozess Frau A.......................................................................................................................211
7.1.2
Beratungsprozess Frau B.......................................................................................................................215
7.1.3
Beratungsprozess Frau C. .....................................................................................................................221
7.1.4
Beratungsprozess Herr D.......................................................................................................................226
7.1.5
Beratungsprozess Herr E. ......................................................................................................................231
7.1.6
Beratungsprozess Herr F. ......................................................................................................................233
7.2
Themen in Erstberatungen......................................................................................................................236
7.2.1
Erstberatung Frau G...............................................................................................................................236
7.2.2
Erstberatung Ehepaar H.........................................................................................................................238
7.2.3
Erstberatung Frau J................................................................................................................................242
7.2.4
Erstberatung Frau K. ..............................................................................................................................245
7.2.5
Erstberatung Frau L. ..............................................................................................................................247
7.2.6
Erstberatung Frau M. .............................................................................................................................251
7.2.7
Erstberatung Herr N. ..............................................................................................................................255
7.2.8
Erstberatung Frau O...............................................................................................................................259
7.2.9
Erstberatung Herr P. ..............................................................................................................................261
7.2.10
Beratung Frau Q.....................................................................................................................................265
7.2.11
Erstberatung Frau R...............................................................................................................................267
7.2.12
Beratung Frau S. ....................................................................................................................................271
8
Zusammenfassung der Ergebnisse........................................................................................... 277
8.1
Breitendimension des Feldes .................................................................................................................277
8.2
Tiefendimension des Feldes ...................................................................................................................278
6
TEIL III
ESSENZEN UND DESIDERATE FÜR EINE PSYCHOSOZIALE BERATUNG DER
EHEGATTEN DEMENZKRANKER ......................................................................................283
9
Demenz als Krise der Ehe .......................................................................................................... 284
9.1
Gefährtenschaft und Intimität .................................................................................................................288
9.2
Loyalität und Vertrauen ...........................................................................................................................296
9.3
Souveränität, Gleichberechtigung, Alltagsorganisation und Macht ...................................................301
9.4
Gerechtigkeit und Liebe ..........................................................................................................................306
9.5
Beziehungsgeschichte und Paardynamik .............................................................................................311
10 Ehebeziehung und Pflegebeziehung ......................................................................................... 315
10.1
Ehebeziehung und Pflegebeziehung in der Forschungslage ..............................................................315
10.2
Verhältnis von Ehe- und Pflegebeziehung.............................................................................................317
10.3
Ein hypothetisches Modell: Ehebeziehung und Pflegebeziehung als Kippfigur ...............................321
11 Konsequenzen für die Beratung ................................................................................................ 324
11.1
Fokus und Zielsetzung der Beratung .....................................................................................................324
11.1.1
Zielsetzungen psychosozialer Beratung ................................................................................................324
11.1.2
Paarproblematik als Fokus in der Beratung ...........................................................................................325
11.1.2.1
Tendenz zur Fokussierung der Einzelperson ....................................................................................327
11.1.2.2
Tendenz zur Fokussierung der Pflegebeziehung ..............................................................................329
11.1.3
11.2
Ehebeziehung und Pflegebeziehung als Kippfigur in der Beratung .......................................................331
Eckpunkte für eine psychosoziale Beratung der Ehegatten................................................................333
11.2.1
Das „Ich“ - die persönliche Situation des ratsuchenden Ehegatten .......................................................334
11.2.2
Das „Du“ – die Veränderungen des dementen Partners........................................................................336
11.2.3
Das „Wir“ – die Situation des Paares .....................................................................................................337
11.2.4
Die „Anderen“ – die Rolle des sozialen Umfeldes..................................................................................338
11.2.5
Die Sonderfälle.......................................................................................................................................340
12 Zusammenfassung und Ausblick .............................................................................................. 341
Literatur… ........................................................................................................................................... 342
Anhang
Anhang 1:
Dokumentationsbogen der Gerontopsychiatrischen Beratungsstelle
Anhang 2:
Abschriften der Beratungsdokumentationen
Anhang 3:
Übersicht über alle in den Beratungsdokumentationen kodierten Themen sowie
über deren Zuordnung zu Kategorien und Unterkategorien
7
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Diagnostische Kriterien der Demenz nach ICD-10 ................................................................. 14
Abbildung 2:
Prävalenz und Inzidenz von Demenzen nach dem Alter ........................................................ 17
Abbildung 3:
Familienstand der Frauen und Männer nach Altersgruppen (1999) ....................................... 21
Abbildung 4:
Hauptpflegepersonen von Pflegebedürftigen in Privathaushalten.......................................... 22
Abbildung 5:
Hauptpflegepersonen von Pflegebedürftigen ......................................................................... 23
Abbildung 6:
Anteil der von Ehegatten geleisteten Hilfen............................................................................ 23
Abbildung 7:
Themen der Forschung über Ehegatten, deren Partner an Demenz erkrankt ist................... 30
Abbildung 8:
Modell der Entwicklung in einer Ehe, in der Demenz auftritt (Wright 1993, 9) ....................... 50
Abbildung 9:
Terminologie ......................................................................................................................... 113
Abbildung 10:
Bestimmungsgrößen des Zwei-Faktoren-Modells ................................................................ 121
Abbildung 11:
Modell des Pflegebelastungsprozesses nach Wilz 2002...................................................... 125
Abbildung 12:
Verteilung der Fälle nach Geschlecht und Beratungsform ................................................... 208
Abbildung 13:
Themen im Beratungsprozess von Frau A. .......................................................................... 212
Abbildung 14:
Themen im Beratungsprozess von Frau B. .......................................................................... 216
Abbildung 15:
Themen im Beratungsprozess von Frau C. .......................................................................... 222
Abbildung 16:
Themen und Phasen im Beratungsprozess von Herrn D. .................................................... 227
Abbildung 17:
Themen im Beratungsprozess von Herrn E.......................................................................... 231
Abbildung 18:
Themen im Beratungsprozess von Herrn F.......................................................................... 234
Abbildung 19:
Themen in der Erstberatung von Frau G. ............................................................................. 236
Abbildung 20:
Themen in der Erstberatung des Ehepaares H. ................................................................... 239
Abbildung 21:
Themen in der Erstberatung von Frau J. .............................................................................. 243
Abbildung 22:
Themen in der Erstberatung von Frau K. ............................................................................. 245
Abbildung 23:
Themen in der Erstberatung von Frau L............................................................................... 248
Abbildung 24:
Themen in der Erstberatung von Frau M.............................................................................. 252
Abbildung 25:
Themen in der Erstberatung von Herrn N............................................................................. 255
Abbildung 26:
Themen in der Erstberatung von Frau O. ............................................................................. 259
Abbildung 27:
Themen in der Erstberatung von Herrn P............................................................................. 261
Abbildung 28:
Themen in der Beratung von Frau Q. ................................................................................... 265
Abbildung 29:
Themen in der Erstberatung von Frau R. ............................................................................. 267
Abbildung 30:
Themen in der Beratung von Frau S. ................................................................................... 272
Abbildung 31:
Themenfelder in der Beratung von Ehegatten Demenzkranker ........................................... 278
Abbildung 32:
Themenkategorien und Unterkategorien .............................................................................. 279
Abbildung 33:
Ehebeziehung und Pflegebeziehung als Kippfigur ............................................................... 321
Abbildung 34:
Beratungsfokus ..................................................................................................................... 327
Abbildung 35:
Eckpunkte einer psychosozialen Beratung für Ehegatten Demenzkranker.......................... 334
8
Einleitung
Wenn von häuslicher Altenpflege und pflegenden Angehörigen die Rede ist,
dann hat man schnell pflegende Töchter und Schwiegertöchter vor Augen.
Dieses Phänomen korrespondiert mit der äußerst selektiven Aufmerksamkeit1,
mit der sich der wissenschaftliche Diskurs über pflegende Angehörige in
Deutschland
auf
diese
Personengruppe
konzentriert.
Da
Töchter
und
Schwiegertöchter tatsächlich einen beträchtlichen Teil der häuslichen Pflege
leisten2, geschieht dies auch mit einer gewissen Berechtigung. Andererseits liegt
in diesem Alters- und Geschlechterbias die Gefahr, Ergebnisse aus der
Forschung über Töchter und Schwiegertöchter verallgemeinernd auf andere
Gruppen pflegender Angehöriger zu übertragen und den Blick auf deren
spezifische Situation zu verstellen. Die Ehegattenpflege ist ein solches Feld, das
von der Forschung in der Bundesrepublik weitgehend ignoriert wird3 und deshalb
wenig transparent ist.
Die häusliche Pflege, die durch Ehegatten erbracht wird, verdient jedoch aus
verschiedenen Gründen eine eigene wissenschaftliche Bearbeitung.
Erstens unterscheidet sich die Situation in der Ehegattenpflege qualitativ
erheblich von derjenigen pflegender Kinder. Ein augenfälliger Unterschiede ist
die grundsätzliche Verschiedenartigkeit der Beziehung – die Ehebeziehung als
ein auf Gegenseitigkeit angelegtes Verhältnis auf der einen und die Eltern-KindBeziehung als prinzipiell asymmetrisches Verhältnis auf der anderen Seite. Auch
der andere Zeitpunkt im Lebenszyklus, an dem Ehegatten bzw. Kinder mit
Pflegeaufgaben konfrontiert werden, zieht verschiedenartige Konsequenzen
nach sich. Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass eheliche Pflegeverhältnisse
sehr stark als dyadische Konstellationen angelegt sind, während pflegende
Kinder zumindest grundsätzlich neben der Beziehung zum pflegebedürftigen
Elternteil noch weitere wesentliche Beziehungen, beispielsweise eine eigene
Partnerschaft oder berufliche Beziehungen, haben.
1
Vgl. Jansen 1999
2
vgl. Schneekloth & Leven 2003, 19
3
Es gibt nur wenige deutsche Arbeiten, die Befunde über Ehegatten Demenzkranker berichten. Meist sind es
Arbeiten, die bestimmte Fragestellungen an verschiedenen Angehörigengruppen untersucht haben und in
diesem Zusammenhang unter anderem auch Befunde zur Situation der Ehegatten berichten, so etwa Adler,
Wilz & Gunzelmann 1996; Adler et al. 1996; Gunzelmann et al. 1996; Lambrecht et al. 1992; Schacke & Zank
2002; Wilz 2002. Deutsche Beiträge, die sich dezidiert auf die Situation pflegender Ehegatten von
Demenzkranken beziehen, sind noch seltener: Pullwitt, Seibert & Fischer 1996; Zintl-Wiegand 1995.
9
Zweitens ist die Ehegattenpflege quantitativ eine heute häufig anzutreffende
Pflegekonstellation. Dabei sind sowohl Ehen als auch ein erheblicher Anteil alter
nichtehelicher Lebensgemeinschaften zu berücksichtigen4. Knapp ein Drittel der
Pflegebedürftigen, die Ende 2002 Leistungen der Pflegeversicherung erhielten,
wurden von einem (Ehe-)Partner gepflegt5. Nach dem Geschlecht differenziert
finden sich 20% (Ehe-)Partnerinnen und 12% (Ehe-)partner unter den
Hauptpflegepersonen in Privathaushalten6. Die Konstellation „Frau pflegt
Ehemann“ ist die zweithäufigste hinter dem Muster „Frau pflegt eigene Mutter“7.
Ein dritter Grund für eine verstärkte wissenschaftliche Hinwendung sollte der
Umstand sein, dass die Ehegattenpflege mit dem demographischen Wandel ein
Zukunftsmodell sein kann. Es wird zukünftig mehr ältere Menschen geben, die
noch einen lebenden (Ehe-)Partner haben8, und damit einhergehend könnte
auch die häusliche Pflege durch (Ehe-)Partner zunehmen9.
Darüber hinaus sind eheliche Pflegekonstellationen vor dem Hintergrund des
Modernisierungsdiskurses von Interesse. Zentrale Werte der modernen Ehe sind
Zuneigung,
Attraktivität,
Kommunikation
und
die
Emotionalität
ebenso
Kompatibilität
der
wie
Fähigkeiten
Bedürfnisse
der
der
Partner10.
Charakteristisch für die moderne Ehe ist die Trennung von Erwerbsarbeit und
Hausarbeit, womit die Funktionstrennung der Geschlechter und die Trennung
psychischer Ebenen - die Arbeitswelt wurde immer zweckrationaler, der Familie
wuchs das „Monopol auf emotionale Belange“11 zu – verbunden sind.
Kennzeichnend sind zudem die Kindzentrierung sowie Intensivierung und
Intimisierung der persönlichen Beziehungen12 als Konzentration auf die
Kernfamilie und starke Bezogenheit der Ehepartner aufeinander13. Die
gesellschaftlichen Veränderungen nach dem zweiten Weltkrieg haben diese
Entwicklungen vorangetrieben, indem Wirtschaftswachstum, Mobilität und
4
vgl. Stat. Bundesamt 2001; zit. bei BMFSFJ 2002, 123 (4. Altenbericht)
5
Exakt waren es 28%. Dieser Wert bezieht sich auf Pflegebedürftige ohne Ansehen des Lebensalters (vgl.
Schneekloth & Leven 2003, 19). Jüngere Pflegebedürftige werden zu höheren Anteilen von (Ehe-)Partnern
gepflegt, bei den 65-79-Jährigen sind es 61% (vgl. Schneekloth et al. 1996, 135). Mit zunehmendem Alter
nimmt das Pflegepotenzial der (Ehe-)Partner dann aber ab, insbesondere bei den 80-jährigen und älteren
Pflegebedürftigen sind erwartungsgemäß deutlich weniger (Ehe-)Partner, nämlich nur noch 17% an der
Versorgung beteiligt (vgl. Schneekloth et al. 1996, 135).
6
vgl. Schneekloth & Müller 2000; zit. bei KDA (Kleiber) 2003, 94
7
vgl. Fuchs 1998; zit. bei BMFSFJ 2002, 196 (4. Altenbericht)
8
vgl. Dinkel, Hartmann & Lebok 1997, 51ff.
9
vgl. Fischer et al. 1995; zit. bei BMFSJ 2002, 194 (4. Altenbericht)
10
vgl. Vogt 2001
11
vgl. Luhmann 1982; zit. nach Nave-Herz 2004, 99
12
vgl. Jaeggi & Hollstein 2000
13
vgl. Allan 1985; zit. bei Davidson, Arber & Ginn 2000, 538
10
finanzielle Ressourcen dazu führten, dass die Kernfamilie von der weiteren
Verwandtschaft unabhängiger wurde14.
„Die Liebe wird wichtiger denn je“ – so überschreibt Elisabeth Beck-Gernsheim in
dem Buch „Das ganz normale Chaos der Liebe“ das Kapitel über das Verhältnis
von Mann und Frau in der individualisierten Gesellschaft15. Die Autorin führt darin
aus, die Individualisierung als Herauslösung des Menschen aus gewachsenen,
traditionellen Bindungen, Glaubenssystemen und Sozialbeziehungen bedeute
einerseits die Befreiung des Einzelnen aus Kontrolle und Zwängen, führe
andererseits jedoch zu einem tiefgreifenden Verlust an Halt und Sicherheit, zu
einem Zustand der ‚inneren Heimatlosigkeit’16. Für Beck-Gernsheim übernimmt
der Binnenraum der Familie Ausgleichsfunktionen, indem er Ersatz für verlorene
Deutungsmuster und Sozialbeziehungen schafft. Historisch entstehe eine neue
Form von Identität, die sie als „personenbezogene Stabilität“17 bezeichnet. Deren
Herzstück sei ein neues Verständnis von Liebe, das „Leitbild der zugleich
romantischen und dauerhaften Liebe, die aus der engen gefühlsmäßigen
Bindung zwischen zwei Personen erwächst und ihrem Leben Inhalt und Sinn
gibt“18. Die Ehe werde zur zentralen Instanz für die „Konstruktion der
Wirklichkeit“19 und für die Entwicklung und Stabilisierung der Identitäten der
Partner20. Diese Betonung der Beziehung aber macht die moderne Familie und
Ehe zu einem äußerst fragilen Gebilde. Darauf weist Jacques Donzelot hin, der
die fortgeschrittene liberale Familie mit einer Drehspindel vergleicht, „die mit
jeder Umdrehung die Familie stärker auf sich konzentriert; eine unstabile
Zusammenfügung, die jeden Augenblick vom Ausfall ihrer Mitglieder bedroht
wird, durch das Beziehungsfieber, das sie den Versuchungen des Außen
aussetzt, und die Überbewertung des Innen, die sie zur Flucht treibt;...“ 21.
Beides, die Bedeutung der Ehe für die Identität des Einzelnen und die prinzipielle
Instabilität dieser Lebensform, wirft viele Fragen für den Fall auf, dass eine
Demenzerkrankung in einer Ehe auftritt. Wie verträgt sich ein derart fragiles
Gebilde mit einer Demenz? Was passiert mit der Ehe, wenn einer der Partner
14
vgl. Allan 1985, zit. bei Davidson, Arber & Ginn 2000, 538
15
Vgl. Beck & Beck-Gernsheim 1990, 66ff.
16
Berger, Berger & Kellner 1975 ; zit bei Beck-Gernsheim 1990, 67
17
Beck-Gernsheim 1990, 70
18
Beck-Gernsheim 1990, 70
19
Berger & Kellner 1965; zit. bei Beck-Gernsheim 1990, 72
20
vgl. Ryder 1979, 365; zit. bei Beck-Gernsheim 1990, 72
21
Donzelot 1980, 237f.; zit. bei Jaeggi & Hollstein 2000, 33
11
den modernen Werten nicht mehr genügen kann, weil er dement wird und dabei
nach und nach seinen Verstand verliert, seine Sprache, seine Fähigkeit zur
Gestaltung der Beziehung, zur empathischen Übernahme der Perspektive des
anderen oder einfach seine Attraktivität für den anderen? Wenn ihn die Demenz
aus dem gemeinsamen Universum aus Interpretationen, Bewertungen und
Erwartungen herauskatapultiert, mit dem das Paar bisher „das Bild unserer Welt
verhandelt, zurechtgerückt und verschoben, in Frage gestellt und bekräftigt“22
hat. Wie verkraftet eine moderne Ehe das? Verkraftet sie es überhaupt?
Bedeutet die Demenz eines Partners das Ende der Ehe? Verwandelt sie sich so
allmählich, wie die Krankheit fortschreitet, in etwas anderes? Was ist dieses
andere? Und was passiert mit dem gesunden Partner? Was macht ihm die
„innere Heimatlosigkeit“23 der Moderne erträglich, wenn diese wichtige Säule
seiner „personenbezogenen Stabilität“24 zerbricht?
Die hier vorgelegte Arbeit ist im Kontext der psychosozialen Beratung von
Ehegatten, die einen dementen Partner pflegen, entstanden. Der konkrete
Anlass für die Beschäftigung mit dem Thema ist ein wachsendes Unbehagen
gewesen, das ich als langjährige Mitarbeiterin in einer gerontopsychiatrischen
Beratungsstelle bei mir selbst beobachtete, wenn ich in der Beratung von
Ehegatten – anders als bei ratsuchenden Kindern, die einen demenziell
erkrankten Elternteil betreuen – zunehmend den Eindruck hatte, mit meinem
professionellen Wissensvorrat über pflegende Angehörige und über die
spezifische Situation bei einer Demenzerkrankung die Problemlagen dieses
Personenkreises nicht zutreffend erfassen und den ratsuchenden Ehegatten in
der Beratung nicht wirklich gerecht werden zu können. Nachdem eine erste
Suche
nach
Publikationen
im
deutschsprachigen
Raum
zu
keinem
überzeugenden Ergebnis geführt hatte, fasste ich den Entschluss, die
Problemstellung innerhalb einer Dissertation aufzugreifen.
An erster Stelle stand die Aufgabe, den Stand der aktuellen Forschungslage
aufzuarbeiten. Der Teil I, in dem ich die Ergebnisse dieses Arbeitsschrittes
referiere, gliedert sich in vier Kapitel. Im Kapitel 1 sind Zahlen und Fakten zur
Verbreitung
von
Demenz
und
Pflegebedürftigkeit
sowie
von
ehelichen
Pflegekonstellationen zusammengestellt. Das Kapitel 2 gibt einen Überblick über
die Entwicklung und die Gebiete des Forschungsinteresses bezogen auf
22
Beck-Gernsheim 1990, 72
23
vgl. Berger, Berger & Kellner 1975; zit. nach Beck-Gernsheim 1990, 67
24
Beck-Gernsheim 1990, 69
12
Ehegatten Demenzkranker. Im dritten Kapitel stelle ich Forschungsergebnisse
über die Veränderungen der Ehebeziehung und Aspekte der ehelichen
Pflegekonstellation vor. Das Kapitel 4 beschäftigt sich mit den Belastungen und
der Lebenszufriedenheit der pflegenden Ehegatten. Kapitel 5 enthält eine
zusammenfassende Darstellung der Forschungslage.
Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die aktuelle Forschungslage keine
Literatur zur Thematik der psychosozialen Beratung der betroffenen Ehegatten
enthält, ergab sich als zweiter notwendiger Arbeitsschritt, einen orientierenden
Überblick über das Feld der Beratung von Ehegatten Demenzkranker zu
schaffen. Dazu sollte erstens die Breitendimension des Feldes erfasst werden,
d.h. die Frage nach typischen Fällen und Sonderfällen, und zweitens die
Tiefendimension, d.h. die Frage nach den Themen, mit denen die Ehegatten in
die Angehörigenberatung kommen. In einer explorativen, an der Grounded
Theory25 orientierten, qualitativen Untersuchung wurden achtzehn Beratungsfälle
ausgewertet. Das Untersuchungsdesign beschreibe ich im Kapitel 6, die
Fallanalysen stehen im Kapitel 7 und die Zusammenfassung der Ergebnisse im
achten Kapitel von Teil II.
Im dritten Arbeitsschritt habe ich die Ergebnisse der Untersuchung im Hinblick
auf die in ihnen enthaltenen Essenzen und Desiderate für die psychosoziale
Beratung aufbereitet. Das Ziel war es, einen Beitrag zum Abbau des
Theoriedefizites hinsichtlich der Paarthematik in der Angehörigenberatung zu
leisten. Hierzu habe ich die Ergebnisse meiner Untersuchung jeweils in Bezug
zur bestehenden Forschungslage gesetzt und darüber hinaus Verknüpfungen zu
Theorien
und
Befunden
über
Paare
und
Paarentwicklung
aus
der
Sozialpsychologie, Soziologie und Psychoanalyse hergestellt. Der Teil III gliedert
sich in vier Kapitel. Im Kapitel 9 begründe ich, dass die Demenz als Krise der
Ehe zu verstehen ist. Im Kapitel 10 führe ich ein hypothetisches Modell über das
Verhältnis von Ehe- und Pflegebeziehung ein und im Kapitel 11 ziehe ich
Schlussfolgerungen für die Beratung der Ehegatten. Kapitel 12 enthält eine
knappe Zusammenfassung der ganzen Arbeit.
25
vgl. Strauss & Corbin 1996; Strauss 1998; Glaser & Strauss 1998; Bosch 1998
13
TEIL I
FORSCHUNGSLAGE ZUR SITUATION VON
EHEGATTEN DEMENZKRANKER
14
Im ersten Kapitel gebe ich eine knappe Einführung in Merkmale, Verlauf und
Auftreten von Demenzerkrankungen und referiere anschließend Fakten über den
Zusammenhang von Demenz und Pflegebedürftigkeit sowie Zahlen zu ehelichen
Pflegekonstellationen. Im zweiten Kapitel gebe ich einen Überblick über die
Entwicklung und die Gebiete des Forschungsinteresses an den Ehegatten
Demenzkranker. Im dritten Kapitel habe ich Befunde über die Auswirkungen
einer Demenz für die Ehe und im vierten Kapitel Befunde über Belastungen und
Lebenszufriedenheit der pflegenden Ehegatten aufgearbeitet.
1
Demenz und Pflegebedürftigkeit
Im ersten Kapitel werden zunächst Symptomatik, Ätiologie, Verlauf und
Behandlungsmöglichen von Demenzen kurz umrissen. Im zweiten Teil des
Kapitels sind Zahlen, Daten und Fakten zur Pflegebedürftigkeit bei Demenz und
zu ehelichen Pflegekonstellationen zusammengestellt worden.
1.1
Demenz
Demenz bezeichnet als Oberbegriff die Minderung erworbener intellektueller
Fähigkeiten in der Folge einer Erkrankung des Gehirns. In der ICD-10 wird die
Diagnose einer Demenz an folgende Bedingungen geknüpft:
Abbildung 1:
A
Diagnostische Kriterien der Demenz nach ICD-10
Nachweis aller folgenden Bedingungen
1.
Eine objektiv verifizierbare Abnahme des Gedächtnisses, die am deutlichsten beim Lernen neuer Informationen und in
besonders schweren Fällen auch bei der Erinnerung früher erlernter Informationen auffällt. Die Beeinträchtigung betrifft
verbales und nonverbales Material.
2.
Eine Abnahme anderer kognitiver Fähigkeiten, charakterisiert durch eine Verminderung der Urteilsfähigkeit und des
Denkvermögens, wie z.B. der Fähigkeit zu planen und zu organisieren und der Informationsverarbeitung.
B
Eine Eintrübung des Bewusstseins fehlt.
C
Die Verminderung der Affektkontrolle, des Antriebs und des Sozialverhaltens manifestiert sich in mindestens einem der
folgenden Merkmale: emotionale Labilität, Reizbarkeit, Apathie, Vergröberung des Sozialverhaltens.
D
Für eine sichere klinische Diagnose solle A mindestens 6 Monate vorhanden sein.
Quelle: ICD-1026
26
vgl. Dilling, Mombour & Schmidt 1994, 45f.
15
Als sekundäre Symptome können Wahn, Halluzinationen und depressive
Verstimmung
im
amerikanische
Diagnoseschlüssel
Klassifikation
der
DSM-IV
ICD-10
kodiert
fordert
für
werden27.
die
Die
Diagnose
Gedächtnisstörungen, sogenannte Hirnwerkzeugstörungen (Apraxien, Agnosien
oder Aphasien) und einen Ausprägungsgrad in einem Ausmaß, dass der Alltag
des Patienten nachhaltig beeinträchtigt ist28.
Die wichtigsten ätiologischen Gruppen sind: (a) Alzheimer-Krankheit; (b)
vaskuläre Demenzen und (c) Demenzen aufgrund anderer medizinischer
Krankheitsfaktoren (u.a. Pick-Krankheit, Creutzfeld-Jacob-Krankheit, HuntingtonKrankheit, Parkinson-Krankheit, HIV, sonstige). Die ätiologischen Gruppen
lassen sich weiter in reversible und irreversible Formen ordnen. Zu den
irreversiblen Formen der Demenz zählen die vaskulären und die primär
degenerativen Demenzen. Zu letzteren gehört unter anderen die AlzheimerDemenz (AD). Sie stellt mit etwa 60% aller prävalenten Fälle die häufigste Form
aller Demenzen, gefolgt von den vaskulären Formen (inklusive vaskulär
degenerativen Mischformen) mit ca. 30%29. Der Verlauf dieser irreversiblen
Demenzen
ist
fortschreitend
bis
zu
körperlicher
Hinfälligkeit
und
Pflegebedürftigkeit im Endstadium. Der Schweregrad lässt sich auf der Ebene
der Fähigkeiten zur Durchführung von Alltagsaktivitäten und des Sozialverhaltens
einschätzen.
Die
ischämischen
vaskulären
Hirnschädigungen
Demenzen
mit
basieren
vielfältigen
pathogenetisch
Ursachen
oder
auf
auf
Hirnblutungen30. Unter welchen Bedingungen sich innerhalb eines vaskulären
Prozesses aber eine Demenz entwickelt und wann nicht, ist heute nicht geklärt.
Diskutiert werden das Volumen, die Lokalisation und die Dauer der vaskulären
Schädigung31. Die Ursachen der Alzheimer-Krankheit sind heute nicht geklärt.
Die Grundlagenforschung32 befasst sich derzeit mit typischen Veränderungen im
Gehirn Alzheimerkranker: der Umwandlung von normalen Zellproteinen in
nutzlose, schädliche Endprodukte (Amyloid-Protein und Neurofibrillenbündel), der
Verminderung der kortikalen Synapsendichte, den Hinweisen auf chronischentzündliche
bzw.
immunologische
veränderungen.
27
vgl. Dilling, Mombour & Schmidt 1994, 47
28
vgl. Saß, Wittchen & Zaudig 1996, 184 ff.
29
vgl. Bickel 1997, 7
30
vgl. Hennerici 1997, 314
31
vgl. Wetterling 1998, 37.
32
Übersichten z.B. bei Beyreuther 1997, 31ff.
Vorgänge
und
Neurotransmitter-
16
Die durchschnittliche Erkrankungsdauer liegt zwischen 4,7 und 8,1 Jahren bei
der Alzheimer-Demenz und einem Jahr weniger bei vaskulären Demenzen. Die
Überlebensdauer in den mittleren und schweren Stadien wird bei starker
interindividueller Streuung auf etwa 4 Jahre beziffert. Die Alzheimer-Demenz gilt
in den industrialisierten Ländern heute als vierthäufigste Todesursache.
Demenzerkrankungen
sind
mit
einem
deutlich
erhöhten
Mortalitätsrisiko
verbunden. In Abhängigkeit vom Erkrankungsalter und Schweregrad liegt es 2
bis 5fach höher als in altersgleichen Kontrollgruppen33.
Die reversiblen, sogenannten sekundären Demenzen sind teils behandelbar und
u.U. auch heilbar. Nach Bickel und Schreiter34 gibt es mehr als 60 Erkrankungen,
die zu Demenzsymptomen führen können. Ursächlich sind hierbei nach einer
Übersicht
von
Allard
u.a.35
mechanische
Einwirkungen,
Intoxikationen,
Mangelzustände, metabolisch/endokrinologische Störungen und Infektionen. Der
Anteil dieser Demenzformen beträgt nach Bickel ca. 10% aller Prävalenzfälle36.
Differentialdiagnostisch
sind
depressive
Störungen,
Delir
und
die
unterschiedlichen Formen sekundärer, reversibler Demenzen von den primären
abzugrenzen und entsprechend der Grunderkrankung zu behandeln. Für
vaskuläre
und
Alzheimer-Demenzen
fehlen
gegenwärtig
kausale
Therapiemöglichkeiten. Damit kommt der sozialen Betreuung der Patienten heute
vordringlichste Bedeutung zu. Kanowski37 unterscheidet sechs Säulen der
Demenztherapie: (1) Internistische Basistherapie (kausal bei sekundären
Demenzen, ergänzend und stabilisierend bei primären Demenzen). (2)
Zerebrales
Training
(Selbständigkeits-
und
Selbsthilfetraining,
Hirnfunktionstraining in Form von Gedächtnistraining, Realitäts-OrientierungsTraining, Wahrnehmungstraining für alle Sinne, psychosoziales Training). (3)
Bewegungstherapie und körperliche Aktivität. (4) Medikamentöse Therapie
(Nootropika;
Psychopharmaka
begleitend
bei
nicht-kognitiven
Verhaltensstörungen, Depressionen, Schlafstörungen, Wahnsymptomatik). (5)
Vermittlung sozialer Hilfen. (6) Psychotherapeutische Beratung und Führung des
Patienten
und
seiner
Angehörigen,
Vermittlung
Selbsthilfegruppen.
33
vgl. Bickel 1997,1f.
34
vgl. Bickel & Schreiter 1987; zit. nach Gunzelmann 1991, 21
35
vgl. Allard, Signoret & Stalleiken 1988; zit. nach Gunzelmann 1991, 22
36
vgl. Bickel, 1997, 7
37
Kanowski 1995,16
von
Angehörigen-
17
Abschließend einige epidemiologische Daten: Europäische Querschnittstudien
an Zufallsstichproben aus der Altenbevölkerung kommen übereinstimmend zu
dem Ergebnis, dass fast ein Viertel der über 65-Jährigen an einer psychischen
Störung leidet; dabei sind die Demenzen die verbreitetsten psychischen
Alterserkrankungen38. In Deutschland leben gegenwärtig (1999) etwa 900.000
Demenzkranke. Zwei Drittel dieser Personen sind von der Alzheimer-Krankheit
betroffen. Jährlich treten 200.000 Neuerkrankungen auf. Nach vorsichtigen
Schätzungen wird sich die Zahl der Betroffenen in den nächsten vier Jahrzehnten
auf wenigsten 1,4 Mio erhöhen, sofern kein Durchbruch in Prävention und
Therapie gelingt39. Prävalenz- und Inzidenzraten der Demenz steigen mit dem
Alter an (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2:
Altersgruppe
Prävalenz und Inzidenz von Demenzen nach dem Alter
Mittlere Prävalenzrate (%)
Mittlere Inzidenzrate pro Jahr (%)
65-69
1,2
0,33
70-74
2,8
0,84
75-79
6,0
1,82
80-84
13,3
3,36
85-89
23,9
5,33
90 und älter
34,6
8,00
65 und älter
7,2
1,61
40
Quelle Bickel 1999
Quelle Gao et al. 199841
Sowohl bei Neuerkrankungen als auch bei den bestehenden Demenzen liegt das
Verhältnis der Geschlechter bei 70% Frauen zu 30% Männern. Diese
Überrepräsentation der Frauen hängt mit der deutlich höheren Lebenserwartung
der Frauen zusammen, die insbesondere in den höchsten Altersstufen vorliegt42.
38
soweit nicht anders vermerkt, sind die epidemiologischen Daten aus der Übersichtsarbeit von Bickel
entnommen, vgl. Bickel 1997, 1 ff.
39
Bickel 1999b (Veröffentlichung der DALZ)
40
Bickel 1999b, 1 (Veröffentlichung der DALZ)
41
Gao et al. 1998; zit. nach Bickel 1999b, 1 (Veröffentlichung der DALZ)
42
vgl. Bickel 1999b, 2 (Veröffentlichung der DALZ)
18
1.2
Demenz und Pflegebedürftigkeit
1.2.1
Zahlen und Fakten zur Pflegebedürftigkeit bei Demenz
Anzahl
der
Pflegebedüftigen:
Pflegestatistik43
Die
weist
für
1999
in
Deutschland 2,02 Mio. Pflegebedürftige aus, von denen 1,44 Mio. (72%) zu
Hause und 573.000 (28%) in Heimen versorgt wurden. Von den zu Hause
Versorgten wurden 1,03 Mio. ausschließlich durch Angehörige und 415.000 unter
Mithilfe
von
professionellen
Pflegediensten
gepflegt44.
Leistungen
der
Pflegeversicherung bezogen zum Jahresende 2002 1,4 Mio. in Privathaushalten
lebende Personen45. Differenziert nach Pflegestufen gemäß § 15 SGB XI waren
780 Tsd. (56%) dieser Personen erheblich pflegebedürftig (Pflegestufe 1), 460
Tsd. (33%) schwerpflegebedürftig (Pflegestufe 2) und weitere 150 Tsd. (11%)
schwerstpflegebedürftig (Pflegestufe 3)46.
Wie hoch der Anteil von Demenzerkrankten an der Gesamtzahl der älteren
Pflegebedürftigen ist, lässt sich derzeit schwer beurteilen47. In seiner jüngsten
Repräsentativerhebung über Hilfe- und Pflegebedürftige in privaten Haushalten
hat Infratest Sozialforschung48 im Jahr 2002 ein Screening-Instrument49
eingesetzt, das kognitive Beeinträchtigungen auffinden konnte. Danach wiesen
48%
der
in
Privathaushalten
lebenden
Bezieher
von
Leistungen
der
Pflegeversicherung kognitive Beeinträchtigungen auf, die auf eine beginnende
oder bereits ausgeprägte demenzielle Erkrankung hinwiesen. Im Einzelnen: in
Pflegestufe 1 waren es 42%, in Pflegestufe 2 waren es 57% und in Pflegestufe 3
waren es 53% der Personen. Zusammenfassend stellen die Autoren fest:
„Kognitive Beeinträchtigungen, die bei Pflegebedürftigen mehrheitlich auf eine
demenzielle Erkrankung zurückzuführen sein dürften, stellen neben den
vorrangig
körperlich
wesentliche
verursachten
Profilmerkmal
auch
Mobilitätseinschränkungen
bei
in
Privathaushalten
das
zweite
betreuten
43
vgl. Kurzbericht Pflegestatistik 1999, Bonn 2001 (www.destatis.de); zit. nach Kuratorium Deutsche Altershilfe
(Kleiber) 2003,73
44
vgl. Kurzbericht Pflegestatistik 1999, Bonn 2001 (www.destatis.de); zit. nach Kuratorium Deutsche Altershilfe
(Kleiber) 2003,73
45
Schneekloth & Leven 2003, 7
46
vgl. Schneekloth & Leven 2003, 8
47
vgl. Bickel 1999a
48
vgl. Schneekloth & Leven 2003, 15f.
49
Kognitiver Screeningtest-6CIT, Brooke & Bullock 1999; vgl. bei Schneekloth & Leven 2003, Anhang
19
Pflegebedürftigen dar“50. Bei diesen Zahlen ist allerdings zu beachten, dass hier
nur diejenigen Personen erfasst worden sind, die nach den engen Kriterien des
Pflegeversicherungsgesetzes pflegebedürftig waren und bereits Leistungen
erhielten. Ein großer Teil des durch die typischen kognitiven Einbußen der
Demenz verursachten Betreuungs-, Anleitungs- und Aufsichtsbedarfs ist in den
leistungsbegründenden
Kategorien
der
gewöhnlichen
und
regelmäßig
wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens (§ 14 SGB XI) nicht
erfasst51. Priester führt dazu an, während die Verrichtungen des täglichen Lebens
nach §14 SGB XI vorwiegend antrainierte bzw. konditionierte Handlungen
darstellten, die häufig erst relativ spät im Krankheitsverlauf verloren gingen,
träten
(allein
keine
Versicherungsleistungen
begründende)
Hirnleistungs-
und/oder Verhaltensstörungen bei Desorientierung oder Umtriebigkeit vielfach
bereits in frühen Krankheitsstadien auf und schafften einen teilweise erheblichen
allgemeinen
Betreuungsbedarf52.
Busse
et
al.
fanden
in
einer
Repräsentativerhebung über ein Drittel der Demenzkranken im Rahmen der
Leistungen der Pflegeversicherung unterversorgt, d.h. sie hatten entweder
keinen Antrag gestellt oder waren bei Antragstellung unangemessen eingestuft
worden53. Priester schlussfolgert aus eigenen Berechnungen, gegenwärtig
erhalte nur die knappe Hälfte aller in Privathaushalten lebenden kognitiv
Beeinträchtigten, ob pflegebedürftig im engeren Sinne oder bloß vorwiegend
hauswirtschaftlich hilfebedürftig, Leistungen aus der Pflegeversicherung54. Bickel
schließt aus den wenigen verfügbaren Studien, insgesamt seien mehr als 60%
der älteren Pflegebedürftigen an einer Demenz erkrankt, und dieser Anteil liege
bei den Schwerstpflegebedürftigen sogar bei 80% 55.
Im Zusammenhang mit der Angehörigenthematik ist der Umfang der Pflegeund Hilfebedürftigkeit wichtig, da er unmittelbar das Zeitbudget der Pflegenden
berührt. Schneekloth & Leven56 erhoben bei kognitiv beeinträchtigten SGB-XILeistungsempfängern folgende Daten: Die kognitiven Beeinträchtigungen gehen
charakteristischerweise mit Mobilitätseinschränkungen einher, welche den
Pflegebedarf im Sinne des SGB XI begründen. Daneben zeigt sich ein
50
Schneekloth & Leven 2003, 16
51
vgl Freter 1997, 66ff. und Schwarz 1996
52
vgl. Priester 2004, 102f.
53
vgl. Busse et al. 2000
54
vgl. Priester 2004, 104 und Anmerkung 1. Er bezieht sich mit seinen Berechnungen auf Infratest
Sozialforschung (Schneekloth & Leven 2003, 15) und Statistisches Bundesamt (lfd.).
55
vgl. Überblick bei Bickel 1999a, 17
56
vgl. Schneekloth & Leven 2003, 16
20
erheblicher Schweregrad an instrumentellen Beeinträchtigungen. 31% der
kognitiv beeinträchtigten Pflegebedürftigen konnten tagsüber unmöglich mehrere
Stunden allein gelassen werden, weitere 25% konnten dies nur unter
Schwierigkeiten. 35% konnten nicht alleine telefonieren, 28% nur unter
Schwierigkeiten. 56% konnten sich außerhalb ihrer Wohnung nicht zurecht
finden, 28% nur unter Schwierigkeiten. Und 67% konnten ihre finanziellen
Angelegenheiten nicht mehr regeln, weitere 23% nur unter Schwierigkeiten. Die
Autoren rechnen daneben mit einem erheblichen, in dem vorliegenden
Schnellbericht nicht weiter quantifizierten Ausmaß psychischer Störungen57. Eine
Untersuchung in Mannheimer Sozialstationen58 erbrachte, dass dort bei Drei
Viertel der Patienten mit mittelschwerer oder schwerer Demenz ständiger Pflegeund Beaufsichtigungsbedarf bestand. Man benötigte bei den Demenzkranken
den drei- bis sechsfachen Zeitaufwand für Hilfen bei Aktivitäten des täglichen
Lebens im Vergleich zu nicht kognitiv beeinträchtigten Patienten.
Anteil der häuslichen Pflege bei Demenzkranken: Bickel zufolge kann nur
eine Minderheit der Demenzkranken bis zum Lebensende in der häuslichen
Umgebung versorgt werden. Zwei Drittel bis Drei Viertel der Dementen
übersiedeln
im
Laufe
der
Erkrankung
in
ein
Heim.
Frühere
Prävalenzschätzungen, nach denen nur 10% bis 20% der Betroffenen
institutionell versorgt würden, seien überholt. Der Anteil müsse auf wenigstens
40% beziffert werden59.
1.2.2
Zahlen und Fakten zu ehelichen Pflegekonstellationen
Die Familie spielt nach wie vor die Hauptrolle bei der Versorgung der
Pflegebedürftigen. 92% der Pflegebedürftigen und 85% der Hilfebedürftigen
werden privat in der Regel von Familienangehörigen betreut; bei 36% ist es eine
einzelne Person, bei 29% sind es zwei Personen und bei 27% drei oder mehr
Personen, die als private Helferinnen und Helfer an der Betreuung beteiligt
sind60.
57
vgl. Schneekloth & Leven 2003, 16
58
vgl. Schäufele 1994, 645; zit. nach Freter 1997, 66
59
vgl. Bickel 1997, 9; 1999, 17f.
60
vgl. Schneekloth & Leven 2003, 18
21
Für die Untersuchung der Rolle von Paarbeziehungen bei Pflegebedürftigkeit
im Alter sind zum einen Geschlechtsunterschiede bedeutsam und zum anderen
unterschiedliche Formen von Paarbeziehungen, d.h. formell geschlossene Ehen
und nichteheliche Lebensgemeinschaften.
Zur Geschlechterperspektive: Der Anteil alter Männer, die verheiratet sind, ist
erheblich größer als der alter Frauen, und je älter sie werden, desto mehr geht
die Schere zwischen den Geschlechtern auseinander (vgl. Abbildung 3). Die
Feminisierung des Alters61 – bedingt durch die höhere Lebenserwartung der
Frauen und die nachwirkenden Kriegsfolgen – ist hierfür verantwortlich.
Abbildung 3:
Familienstand der Frauen und Männer nach Altersgruppen (1999)
65-70
70-75
75-80
80+
Frauen
Männer
Frauen
Männer
Frauen
Männer
Frauen
Männer
5,9%
4,7%
7,7%
3,5%
8,8%
2,9%
7,8%
3,8%
Verheiratet
60,9%
83,8%
46,9%
82,0%
29,3%
77,2%
9,5%
54,7%
Verwitwet
26,9%
6,7%
39,9%
11,1%
56,8%
17,4%
79,0%
39,3%
6,3%
4,8%
5,5%
3,3%
5,1%
2,6%
3,6%
2,2%
Ledig
geschieden
Quelle: Stat. Bundesamt 2001
62
Zu den nichtehelichen Beziehungen: Es gab 1999 nach Angaben des
Statistischen Bundesamtes rund 145.000 in gemeinsamen Privathaushalten
wohnende nichteheliche Lebensgemeinschaften, bei denen der Mann oder die
Frau 65 Jahre oder älter waren63.
Im späten Alter ist die Ehe eine Hauptquelle für soziale Unterstützung, und es ist
üblich, dass beim Auftreten von Pflegebedürftigkeit zunächst der Ehegatte die
Pflege des Partners übernimmt64. Unter den allgemein pflegebedürftigen
Personen, die in der eigenen Häuslichkeit leben, haben ohne Ansehen des Alters
32% einen Ehegatten65. Je älter die pflegebedürftigen Personen allerdings sind,
desto eher sind sie verwitwet. Bei den über 80-Jährigen leben nur noch 18% als
Verheiratete mit einem Partner zusammen66.
61
vgl. Tews 1996
62
vgl. Stat. Bundesamt 2001; zit. nach KDA (Kleiber) 2003, 72
63
Stat. Bundesamt 2001; zit. nach BMFSFJ 2002, 123 (4. Altenbericht)
64
vgl. Übersicht bei Hooker et al. 1992, 372; für Deutschland vgl. Schneekloth & Leven 2003, 19
65
vgl. Schneekloth & Leven 2003, 9
66
vgl. Schneekloth & Leven 2003, 9
22
Ehegatten sind in 28% der Fälle die Hauptpflegepersonen von Pflegebedürftigen
in Privathaushalten67 (vgl. Abbildung 4). Eine ältere Untersuchung von
Schneekloth & Müller gibt Auskunft über die Geschlechtsverteilung bei den
Ehegattenpflegen: 20% der pflegebedürftigen Menschen wurden von der eigenen
(Ehe-)partnerin und 12% vom (Ehe-)partner gepflegt68. Die Pflegekonstellation
„Frau pflegt Ehemann“ ist die zweithäufigste nach der Konstellation „Frau pflegt
eigene Mutter“69. Durch die Veränderung der Verwandtschaftssysteme vom
Stammbaum hin zur langen vertikalen, auf den einzelnen Ebenen schmal
besetzten
„Bohnenstangen-Verwandtschaft“70
wird
das
Risiko
von
Mehrfachpflegen größer, so dass die Konstellation „Frau pflegt zuerst die eigene
Mutter und später den eigenen Ehemann“ immer häufiger auftreten dürfte.
Abbildung 4:
Hauptpflegepersonen von Pflegebedürftigen in Privathaushalten
Hauptpflegepersonen von Leistungsbeziehern der Sozialen und Privaten Pflegeversicherung zum Jahresende 2002
(Ehe-)Partner/in
28 %
Nachbar/Bekannte
7%
Tochter
26 %
Schwiegertochter
6%
Mutter
12 %
Vater
2%
Sohn
10 %
Enkel
2%
Sonst. Verwandte
7%
Quelle: Schneekloth & Leven 2003
71
Überraschend ist die Beteiligung der pflegenden Ehemänner im Vergleich der
alten und neuen Bundesländer. Während sie im Westen mit etwa 11% die
Hauptpflegepersonen stellen, sind es im Osten Deutschlands 22%72 Der Autor
diskutiert Sozialisationsunterschiede und höhere Arbeitslosigkeit im Osten als
Hintergründe.
Mit zunehmendem Alter des Pflegebedürftigen nimmt aber die Pflegebeteiligung
der (Ehe-)Partner ab. Es kommt zu einem
Generationensprung der
Hauptpflegenden, der in der unten stehenden Abbildung 5 sichtbar wird, die aus
einer etwas älteren Untersuchung von Schneekloth et al. stammt. Während in der
Gruppe
der
65-79-jährigen
Pflegebedürftigen
überwiegend
Ehe-
und
Lebenspartner (61%), aber auch Töchter (24%) die Rolle der Hauptpflegeperson
67
vgl. Schneekloth & Leven 2003, 19
68
vgl. Schneekloth & Müller 2000; zit. nach KDA (Kleiber) 2003, 94
69
vgl. Fuchs 1998; zit. nach BMFSFJ 2002, 196 (4. Altenbericht)
70
vgl. Bengtson & Schütze 1994, 499; zit. nach Fooken 1997, 14/9
71
vgl. Schneekloth & Leven 2003, 19
72
vgl. Halsig 1995; zit. nach BMFSFJ 2002, 196 (4. Altenbericht)
23
einnehmen, sind es bei den hochaltrigen Pflegebedürftigen vor allem Töchter
(44%) und Schwiegertöchter (17%) und nur noch in 17% der Fälle (Ehe-)Partner.
Abbildung 5:
Hauptpflegepersonen von Pflegebedürftigen
verschiedener Altersgruppen in Privathaushalten
Lebens-/Ehepartner (w.)
65-79 Jahre
80 und älter
39%
12%
Lebens-/Ehepartner (m.)
22%
5%
Tochter
24%
44%
Sohn
2%
6%
Schwiegertochter
6%
17%
andere Verwandte
6%
9%
Freunde, Nachbarn
2%
7%
73
Quelle: Schneekloth, Piekara, Potthoff & v. Rosenbladt 1996
In eine ähnliche Richtung weisen die Ergebnisse von Blinkert & Klie74, die den
Anteil der von Ehegatten geleisteten Hilfen an allen Hilfen bei verheirateten
Pflegebedürftigen nach deren Alter ermittelten. Ohne Ansehen des Alters liegt
der Anteil der von Ehegatten geleisteten Hilfen bei 58%. Differenziert man nach
dem Alter des Pflegebedürftigen, dann kommt es mit zunehmendem Alter
kontinuierlich zu einer Verlagerung der Hilfen von den Ehegatten zu den Kindern,
wobei ab dem Alter 80 und älter erwartungsgemäß eine besonders deutliche
Abnahme zu sehen ist.
Abbildung 6:
Anteil der von Ehegatten geleisteten Hilfen
an allen Hilfen bei verheirateten Pflegebedürftigen nach deren Alter
Altersgruppen
60-65
65-70
70-75
75-80
80 und
älter
insgesamt
Anteil der vom Ehegatten
geleisteten Hilfen
74%
73%
66%
63%
40%
58%
Quelle: Blinkert & Klie 1999, 125
Es gibt Blinkert & Klie zufolge Geschlechtsunterschiede bei der Ablösung der
Gatten als Helfer durch die Kinder. Die Ablösung der Gattin als Helferin erfolgt im
Durchschnitt später als die Ablösung der pflegenden Ehemänner. Pflegende
Ehefrauen werden sehr deutlich erst bei 80-85-jährigen Pflegebedürftigen
abgelöst, während bei pflegebedürftigen Frauen der Altersgruppe 70-75 Jahre
73
Schneekloth, Piekara, Potthoff & v. Rosenbladt 1996, 135
74
vgl. Blinkert & Klie 1999, 125; zit. nach BMFSFJ 2002,. 196 (4. Altenbericht)
24
bereits sehr stark Kinder als Helfer in Erscheinung treten. Die Autoren führen
diese Unterschiede auf die unterschiedliche Lebenserwartung von Frauen und
Männern und auf die Kriegsfolgen zurück.
Der demographische Wandel wird – einer Modellrechnung von Dinkel et al.
zufolge - zu einem steigenden Anteil älterer Menschen führen, die einen
lebenden Ehegatten haben. Vor allem bei den Frauen werde der Anteil der
Verheirateten gegenüber den Verwitweten in den nächsten Jahrzehnten stark
ansteigen. Die sinkende Sterblichkeit trage dazu ebenso bei wie der nach dem
Auslaufen der heutigen kriegsbedingten Verzerrungen steigende Männeranteil in
den oberen Altersstufen75. Selbst wenn dieses in der Zukunft gewonnene
zusätzliche Pflegepotenzial nur zu einem Teil „nutzbar“ gemacht werden könne,
weil es Fälle geben wird, in denen beide Ehepartner gleichzeitig pflegebedürftig
sind, könne grundsätzlich eher von einer Verbesserung als von zusätzlicher
Anspannung für das häusliche Pflegepotenzial ausgegangen werden76. Die
Zunahme der Lebenserwartung bedeutet also auch, dass in Zukunft noch
häufiger als heute häusliche Pflege durch (Ehe-)Partner geleistet werden
könnte77.
Daten über die Pflegebeteiligung von Ehegatten Demenzkranker fehlen im 4.
Altenbericht der Bundesregierung, der sogar einen besonderen Schwerpunkt bei
den Demenzerkrankungen hat78. Wojnar erwähnt in einem neueren Beitrag, 50%
der Demenzkranken würden von ihrem (Ehe-)Partner gepflegt79. Gräßel erhob in
einem größeren Sample (1275 Pflegepersonen von Demenzpatienten), dass
70% der zu Hause gepflegten Demenzkranken zwischen 70 und 89 Jahre alt
waren, zwei Drittel davon Frauen. Unter den weiblichen pflegenden Angehörigen
dieses
Samples
waren
28%
Ehefrauen
und
unter
den
männlichen
Pflegepersonen bildeten die Ehemänner mit 68% die größte Gruppe80.
75
vgl. Dinkel, Hartmann & Lebok 1997, 51ff.
76
vgl. Dinkel, Hartmann & Lebok 1997, 54
77
vgl. Fischer et al. 1995; zit. nach BMFSFJ 2002, 194 (4. Altenbericht)
78
vgl. BMFSFJ 2002 enthält keine Angaben
79
vgl. Wojnar 2004, 66. Er gibt allerdings keine Quelle für diesen Befund an.
80
vgl. Gräßel 2001, 216
25
1.3
Zusammenfassung Kapitel 1
Demenzerkrankungen kennzeichnen Gedächtnisstörungen, Denkstörungen
sowie Veränderungen der Affektkontrolle, des Antriebs und des Sozialverhaltens.
Sekundäre Symptome können Wahn, Halluzinationen und depressive Störungen
sein81. Viele Demenzen verlaufen progredient, sind heute nicht heilbar und
machen die Betroffenen zunehmend abhängig von der Fürsorge anderer.
Prävalenz- und Inzidenzraten steigen mit dem Alter. Frauen sind häufiger
betroffen als Männer, was mit der höheren Zahl hochaltriger Frauen zu tun hat.
Demenz ist eine der Hauptursachen für Pflegebedürftigkeit im Alter.
Schätzungsweise sind 50-80% der alten Pflegebedürftigen an einer Demenz
erkrankt82. Der zeitliche Aufwand der häuslichen Pflege dementer Menschen ist
im Vergleich zu kognitiv nicht beeinträchtigten Pflegebedürftigen drei- bis
sechsfach erhöht83. Nur eine Minderheit der Betroffenen kann bis zum
Lebensende zu Hause versorgt werden, zwei Drittel bis Drei Viertel übersiedeln
im Laufe der Krankheit in ein Heim84.
Bei der Frage nach der Pflegebeteiligung der Ehegatten sind sowohl Ehen als
auch ein erheblicher Anteil alter nichtehelicher Lebensgemeinschaften zu
berücksichtigen85. Unter den Hauptpflegepersonen für Pflegebedürftige in
Deutschland bilden Ehe- und Lebenspartner mit 28% eine große Gruppe86. Die
Konstellation „Frau pflegt Ehemann“ ist die zweithäufigste hinter dem Muster
„Frau pflegt eigene Mutter87“. Über die Pflegebeteiligung von Ehegatten
Demenzkranker berichtet eine Untersuchung, dass etwa ein Drittel der weiblichen
Pflegepersonen Ehefrauen und etwa zwei Drittel der männlichen Pflegepersonen
Ehemänner sind88. Mit zunehmendem Alter nimmt allerdings das Pflegepotenzial
der (Ehe-)Partner ab, insbesondere bei 80-jährigen und älteren Pflegebedürftigen
sind erwartungsgemäß deutlich weniger (Ehe-)Partner an der Versorgung
beteiligt. Mit dem demographischen Wandel ist die Ehegattenpflege ein
Zukunftsmodell. Es wird zukünftig mehr ältere Menschen, vor allem mehr alte
Frauen als heute geben, die noch einen lebenden (Ehe-)Partner haben.
81
vgl. Dilling, Monbour & Schmidt 1994, 45f.
82
vgl. Schneekloth & Leven 2003; und Überblick bei Bickel 1999a, 17
83
vgl. Schäufele 1994, 646; zit. nach Freter 1997, 66
84
vgl. Bickel 1997, 9; 1999, 17f.
85
vgl. Stat. Bundesamt 2001; zit. nach BMFSFJ 2002, 123 (4. Altenbericht)
86
vgl. Schneekloth & Leven 2003, 19
87
vgl. Fuchs 1998; zit. nach BMFSFJ 2002, 196 (4. Altenbericht)
88
vgl. Gräßel 2001
26
2
Entwicklung und Gebiete des
Forschungsinteresses
In diesem Kapitel zeichne ich eine „Landkarte“ der Forschungstätigkeit über
Ehegatten Demenzkranker, sowohl topographisch als auch thematisch (Kapitel
2.1) und schließe dann einen kurzen Abriss der theoretischen Bezugsrahmen
dieser Forschung an (Kapitel 2.2). Ausführlicher werden einzelne theoretische
Bezüge im Zusammenhang der empirischen Befunde in den Kapiteln 3 und 4
dargestellt.
2.1
Fragestellungen der Forschung
Für den Bericht über den aktuellen Stand der Forschung habe ich empirische
Befunde und theoretische Beiträge zur Situation der Ehegatten Demenzkranker
ausgewertet. Die Literaturanalyse beruht auf Recherchen in den Datenbanken
GeroLit, MEDLINE, PsycINFO und PSYNDEX. Gesucht wurden Publikationen
aus dem Zeitraum 1993 – 2003. Suchstrategien in GeroLit waren: Familiale
Altenpflege und Ehepartner; Demenz oder Alzheimer und Ehepartner; Demenz
oder Alzheimer und Partnerschaft; Demenz oder Alzheimer und Ehe; Demenz
oder Alzheimer und Ehepaar. Suchstrategien in MEDLINE: dementia oder
Alzheimer’s Disease und spouse oder marriage oder marital relation.
Suchstrategien in PsycINFO und PSYNDEX: dementia und spouse; dementia
und marriage; Alzheimer und spouse; Alzheimer und marriage. Zusätzliche
Hinweise stammen aus den Literaturangaben der bearbeiteten Studien und aus
manuellen Recherchen an der Universität Bielefeld und an der Westfälischen
Wilhelms-Universität
Münster.
Der
Zeitraum
der
Literaturrecherche
war
November 2002 bis Dezember 2003.
Mit der Recherche wurden grob überschlagen 350 Publikationen gefunden, die
zu rund drei Vierteln aus den USA stammten. Da der Fokus dieser Arbeit auf der
psychosozialen Situation der Ehegatten von Demenzpatienten und auf der
häuslichen Versorgungssituation liegt, wurden drei Kategorien von Publikationen
ausgeschlossen: (1) Arbeiten über die Situation der Ehegatten bei institutioneller
Versorgung des Kranken und Publikationen über Prädiktoren im Hinblick auf das
27
Risiko der Heimunterbringung des Patienten, (2) Arbeiten, die über somatische
Aspekte der Angehörigenbelastung im Zusammenhang der häuslichen Pflege
Demenzkranker berichten und (3) Berichte und Evaluationen über Interventionen
(Angehörigengruppen, entlastende Hilfen, psychoedukative Gruppenprogramme
oder Multi-Komponent-Interventionen), mit Ausnahme von Arbeiten, die darüber
berichten, inwiefern Ehegatten professionelle Hilfen in Anspruch nehmen bzw.
Arbeiten über psychosoziale Einzelberatung für Ehegatten. Publikationen über
die psychosoziale Einzelberatung speziell für Ehegatten Demenzkranker wurden
allerdings nicht gefunden, weder Erfahrungsberichte noch kontrollierte Studien.
Unter den verbliebenen Publikationen war ein Teil empirischer Studien, die mit
gemischten Samples gearbeitet haben; Samples, die unter anderen pflegenden
Familienangehörigen auch Ehegatten enthielten, deren Daten jedoch nicht
gesondert ausgewertet wurden. Solche Studien liefern Erkenntnisse, die
allgemein auf pflegende Familienangehörige zutreffen und damit teilweise auch
relevant sind für die Beurteilung der Situation pflegender Ehegatten. Im Einzelfall
sind solche Befunde deshalb mit in den Bericht zur Forschungslage
eingegangen. Die Spezifika der ehelichen Pflege sind allerdings eher mit
Untersuchungsdesigns zu erfassen, die mit homogenen Ehegattensamples
arbeiten. Deshalb sind für den Kontext dieser Arbeit bevorzugt Studien
ausgewertet
worden,
die
sich
entweder
ausschließlich
auf
Ehegatten
Demenzkranker beziehen, oder die die Daten der Ehegatten als Subgruppe des
jeweiligen Untersuchungssamples gesondert ausgewertet
haben.
Dies sind
insgesamt 165 Arbeiten. Von diesen Arbeiten sind 75% Veröffentlichungen aus
den USA, 11% aus Großbritannien, 7% aus Deutschland und 7% aus anderen
Ländern (Kanada 5%, Skandinavien 1% und Irland 1%).
Erste Arbeiten über die familiale Altenpflege in den USA datieren aus den 60er
Jahren89. Mit der Situation pflegender Ehegatten beschäftigten sich frühe
Arbeiten von Klein, Dean & Bogdonoff (1967)90 und Fengler & Goodrich (1979)91.
Die Briten Grad und Sainsbury (1963)92 gelten als eine der ersten
Forschergruppen93, die die Belastungen von pflegenden Angehörigen psychisch
89
vgl. Shanas 1960
90
vgl. Klein, Dean & Bogdonoff 1967
91
vgl. Fengler & Goodrich 1979
92
vgl. Grad & Sainsbury 1963
93
vgl. Vitaliano, Young & Russo 1991
28
kranker Menschen beschrieben haben. Zarit, Reever und Bach-Peterson (1980)94
werden als Pioniere der Demenz-Angehörigen-Forschung bezeichnet95. Bereits
diese frühen Arbeiten rücken die Belastungen der Angehörigen in den
Mittelpunkt. Fengler & Goodrich96 beispielsweise bezeichneten die Ehefrauen
von pflegebedürftigen älteren Männern als „hidden patients“. Klein et al.97
beschrieben Rollenkonflikte der pflegenden Ehegatten. Grad & Sainsbury98
führten aus, dass ältere psychisch kranke Menschen ihre Familien mit doppelt so
vielen Problemen konfrontieren wie jüngere und Zarit et al.99 entwickelten das
„burden interview“, eines der ersten und bis heute häufig verwendeten
Instrumente zur Erfassung der Belastungen der Angehörigen dementer
Patienten.
Belastungen
sind
auch
im
weiteren
Verlauf
der
Forschungsgeschichte
konkurrenzlos die meist untersuchte Fragestellung geblieben. Dies gilt auch für
die Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker, wie die folgende Übersicht in
Abbildung 7 zeigt. In diese Übersicht sind 165, überwiegend empirische Arbeiten
eingegangen, die sich entweder ausschließlich auf Ehegatten Demenzkranker
beziehen, oder die aus gemischten Samples Daten über pflegende Ehegatten
dementer Patienten berichten.
Knapp die Hälfte (44%) dieser Arbeiten beschäftigen sich mit den Belastungen
und Bewältigungsversuchen der Pflegenden. Das subjektive Belastungserleben
der pflegenden Ehegatten sowie objektivierbare Folgen, v.a. auf die körperliche
und seelische Gesundheit, stehen dabei im Zentrum des Erkenntnisinteresses.
Weitere Zweige in diesem Gebiet sind Studien zu den Zusammenhängen von
Belastungen mit anderen Variablen. Hier geht es um Fragen wie zum Beispiel
„Was
haben
die
kognitiven
Störungen
oder
Problemverhalten
des
Demenzkranken mit Belastungen der Ehegatten zu tun? Welche Beziehungen
gibt es zwischen der Qualität der Ehebeziehung, der Persönlichkeit des
Pflegenden, Motiven zur Übernahme der Pflege und Belastungen? Gibt es
unterschiedliche Belastungen bei
Ehegatten und pflegenden Kindern?“ Im
Bereich der Bewältigungsversuche interessieren einerseits die Erfolgsaussichten
verschiedener
Coping-Strategien,
94
vgl. Zarit, Reever & Bach-Peterson 1980
95
vgl. Vitaliano, Young & Russo 1991
96
vgl. Fengler & Goodrich 1979, 175
97
vgl. Klein, Dean & Bogdonoff 1967
98
vgl. Grad & Sainsbury 1963
99
vgl. Zarit, Reever & Bach-Peterson 1980
die
meist
gemessen
werden
an
29
objektivierbaren Resultaten, z.B. körperlicher oder seelischer Gesundheit der
Pflegenden. Andererseits wird nach Zusammenhängen zwischen CopingMustern und anderen Variablen, z.B. der Persönlichkeit des Pflegenden oder der
Qualität der Ehebeziehung gesucht. Der Vielzahl der Belastungsstudien steht nur
eine sehr kleine Gruppe von Arbeiten (2%) gegenüber, welche die positiven
Aspekte und Gewinne der Ehegattenpflege thematisieren.
Einen weiteren Forschungsschwerpunkt (ca. 14%) bildet die Frage nach den
Veränderungen der Ehebeziehung infolge der Demenz. Hierzu zählen Studien,
die den Alltag der betroffenen Paare aus deren Perspektive untersuchen,
Untersuchungen zur Kommunikation der Paare, zur Sexualität oder Vergleiche
mit der Situation gesunder Ehepaare.
Arbeiten, die das Thema „Pflege“ bei von Demenz betroffenen Paaren
thematisieren, machen etwa 25% der gefundenen Publikationen aus. In diesem
Bereich gibt es zwei größere Gebiete: Das sind zum einen meist qualitative
Untersuchungen, die nach den alltäglichen Erfahrungen und der Alltagspraxis
der pflegenden Ehegatten fragen, und zum anderen Arbeiten, denen es um die
geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Pflege geht. Untersucht werden
hierbei die Unterschiede zwischen Frauen und Männern bezüglich der
Pflegebelastung bei der Gestaltung der Pflegearbeit. Ein relativ junges
Forschungsgebiet setzt sich mit der häuslichen Pflegearbeit von Männern
auseinander. Daneben gibt es eine kleinere Gruppe von Publikationen, die sich
mit der Auseinandersetzung der Ehegatten mit existenziellen Themen und
Verlusten in der Pflegesituation beschäftigt, und einen kleinen Bereich, der
Gewalt und Missbrauch in ehelichen Pflegekonstellationen erfasst.
Die Rolle sozialer Unterstützung durch informelle Helfer und durch Interventionen
formeller Dienste macht 7% der gefundenen Literatur aus.
Die
übrigen
7%
der
Forschungsarbeiten
decken
ein
weites
Gebiet
unterschiedlicher Themen ab, darunter Beiträge, die ganz neue, bisher wenig
untersuchte Fragestellungen aufgreifen (z.B. die Problematik der Younger-onsetDemenzen für Ehegatten oder die besonderen Schwierigkeiten von späten
Patchwork-Familien in Bezug auf das Auftreten einer Demenz).
30
Abbildung 7:
Themen der Forschung über Ehegatten, deren Partner an Demenz erkrankt ist
Thema
1.
Jahr
Sample
Diagnose
Publiziert
E = pflegende Ehegatten
des Pflegebedürftigen
in
Barusch
1988
E
Demenz + div.
USA
2.
Braekhus et al.
1998
E
Demenz
Norw
3.
Fuller-Jonap & Haley
1995
E
Demenz
USA
4.
Gallant & Connell
1997
E
Demenz
USA
5.
Gallant & Connell
1998
E
Demenz
USA
6.
Lawton et al.
1991
E + Kinder
Demenz
USA
7.
Meier et al.
1999
E + Kinder
Demenz
D
8.
Moritz, Kasl & Berkman
1989
E
USA
9.
Murray et al.
1999
E
Kogn. Störung +
div.
Demenz
10.
O’Rourke & Cappeliez
2002
E
Demenzverdacht
Kanada
11.
Russo & Vitaliano
1995
E
Demenz
USA
12.
Schneider et al.
1999
E
Demenz
GB
13.
Teel & Press
1999
E
Demenz + div.
USA
14.
Thommessen et al.
2002
E
Demenz + div.
GB
15.
Vitaliano et al.
1991
E
Demenz
USA
16.
Scroggin Wullschleger et al.
1996
E + div.
Demenz
USA
17.
Zarit, Reever & Bach-Peterson
1980
E + div.
Demenz + div.
USA
Beeson
2000
E + Töchter
Demenz
USA
19.
Beeson
2003
E
Demenz
USA
20.
O’Connor
1993
E
Demenz
USA
21.
O’Rourke et al.
1996
E
Demenzverdacht
Kanada
22.
Pruchno et al.
1990
E
Demenz
USA
23.
2001
E
1995
E
Demenz +
Depression
Demenz
GB
24.
Ptok, Papassotiropoulos &
Heun
Russo et al.
25.
Steffen & Berger
2000
E + Töchter
Demenz
USA
18.
Belastung : allgemein
Autoren
Belastung : spez. seelische Gesundheit
GB
USA
26.
Belastung : spez. kognitiver Status
Caswell et al.
2003
E
Demenz
USA
27.
Belastungskorrelate:
Bauer et al.
2001
E
Demenz
ÛSA
28.
Merkmale des Patienten
Croog et al.
2001
E
Demenz
USA
29.
Deimling & Bass
1986
E + Kinder
Demenz
USA
30.
Gallagher-Thompson et al.
1992
E
Demenz
USA
31.
Pruchno & Resch
1989b
E
Demenz
USA
32.
Pullwitt, Seibert & Fischer
1996
E
Demenz
D
33.
Belastungskorrelate:
Gallant & Connell
2003
E
Demenz
USA
34.
Merkmale des Pflegenden
Hooker et al.
1992
E
Demenz
USA
35.
Monahan & Hooker
1995
E
Demenz
USA
36.
Nunley
2002
E
Demenz
USA
37.
Shifren & Hooker
1995
E
Demenz
USA
Adler, Wilz & Gunzelmann
1996
E + div.
Demenz
D
39.
Collins & Jones
1997
E
Demenz
GB
40.
Lutzky & Knight
1994
E
Demenz
USA
41.
Rose-Rego, Strauss & Smyth
1998
E
Demenz
USA
42.
1997
E
Demenz
USA
38.
Belastungskorrelate: Gender
43.
Belastungskorrelate:
Robinson-Whelen & KiecoltGlaser
Hepburn et al.
2002
E
Demenz
USA
44.
Merkmale der Ehebeziehung
Kramer
1993a
E
Demenz
USA
45.
Morris, Morris & Britton
1988
E
Demenz
GB
46.
O’Rourke & Wenaus
1998
E
Demenz
Kanada
47.
Rankin, Haut & Keefover
2001
E
Demenz
USA
48.
Tower, Kasl & Moritz
1997
E
Demenz
USA
49.
Belastungskorrelate:
Adler et al.
1996
E + Kinder
Demenz
D
50.
Rolle (Kinder vs. Ehegatten)
Barber & Pasley
1995
E + Kinder
Demenz
USA
51.
Chumbler et al.
2003
E + div.
Demenz
GB
52.
Cox & Albisu
2003
E + Kinder
Demenz
USA
53.
Krach
1998
E + Kinder
Demenz
USA
54.
Li, Seltzer & Greenberg
1997
E + Töchter
Demenz + div.
USA
55.
Schacke & Zank
2002
E + div.
Demenz
D
56.
Belastungskorrelate:
Barusch & Spaid
1996
E
Dem + div.
USA
57.
Demenz vs. and. Diagnosen
Leinonen et al.
2001
E
GB
Murray, Manela & Shuttleworth
1997
E
Demenz +
Depression
Demenz +
Depression
58.
GB
31
Abbildung 7:
59.
Themen der Forschung über Ehegatten, deren Partner an Demenz erkrankt ist
George & Gwyther
1986
E + div.
Demenz
USA
60.
Motenko
1989
E
Demenz
USA
61.
Narayan et al.
2001
E
Demenz
USA
Buffum
1998
E
Demenz
USA
63.
Burton & Sistler
1996
E
Demenz
USA
64.
Hinrichsen & Niederehe
1994
E + div.
Demenz
USA
65.
Lewin & Lundervold
1990
E
Demenz
USA
66.
Majerovitz
1994
E
Demenz
USA
67.
Majerovitz
1995
E
Demenz
USA
68.
Pollmann
2000
E
Demenz
USA
69.
Pruchno & Resch
1989a
E
Demenz
USA
70.
Quayhagen & Quayhagen
1988
E + div.
Demenz
USA
71.
Wilz
2002
E + Töchter
Demenz
D
Butt et al.
2002
E
Demenz
USA
73.
Hooker, Frazier & Monahan
1994
E
Demenz
USA
74.
Hooker et al.
1998
E
USA
62.
72.
Positive Aspekte, Gewinne
Coping / allgemein
Coping / Rolle der Persönlichkeit
Rose et al.
1997
E
Demenz +
Parkinson
Demenz
Knop, Bergman-Evans &
McCabe
Blieszner & Shiftlet
1998
E
Demenz
USA
1990
E + Kinder
Demenz
USA
1994
E + Kinder
Demenz
USA
79.
Chesla, Martinson &
Muwaswes
DeVugt et al.
2003
E
Demenz
GB
80.
Gunzelmann et al.
1996
E + Kinder
Demenz
D
81.
Hendryx-Beladov
1999
E
Demenz
USA
82.
Murray & Livingstone
1998
E
GB
83.
Owens
2000
E
84.
Roberto et al.
1998
E
Demenz + psych.
Störungen
Demenz +
Parkinson
Demenz
USA
85.
Wright
1993
E
Demenz
USA
86.
Zarit
2001
E
USA
Gallagher-Thompson et al.
1997
E
Demenz + psych
Störungen
Demenz
88.
Gallagher-Thompson et al.
2001
E
Demenz
USA
89.
Hendryx-Beladow
1999
E
Demenz
USA
90.
Kemper et al.
1994
E
Demenz
USA
91.
1995
E
Demenz
USA
92.
Kemper, Lyons &
Anagnopoulos
Orange et al.
1998
E
Demenz
USA
93.
Roberto et al.
1998
E
Demenz
USA
Ballard et al.
1997
E
Demenz
GB
95.
Derouesné et al.
1996
Pat.
Demenz
USA
96.
Duffy
1995
E
Demenz
USA
97.
Eloniemi-Sulkova et al.
2002a
E
Demenz
USA
98.
Litz, Zeiss & Davies
1990
E
Demenz
USA
99.
Wright
1998
E
Demenz
USA
100. Pflegealltag: Erfahrungen der
Ehegatten
101.
Eloniemi-Sulkava et al.
2002b
E + div.
Demenz
GB
2001
E
Demenz
GB
102.
Jansson, Nordberg &
Grafström
Lewis
1998
E
Demenz
GB
103.
Lewis et al.
2000
E
Demenz
USA
104.
Lindgren
1993
E
Demenz
USA
105.
O’Donnell
1998
E
Demenz
USA
106.
O’Donnell
2000
E
Demenz
USA
107.
Paun
2003
E
Demenz
USA
108.
Perry
2002
E
Demenz
USA
109.
Perry & O’Connor
2002
E
Demenz
USA
110.
Pollitt, Anderson & O’Connor
1991
E
Demenz
GB
111.
Purcell
2000
E
Demenz
Kanada
112.
Smerglia & Deimling
1997
E + div.
Demenz + div.
USA
113.
Wright, Lore K.
1991
E
Demenz
USA
114. Geschlechtsspezifische Praxis der
Pflegearbeit
115.
Davidson, Arber & Ginn
2000
E
Demenz + div.
Kanada
Dobrin
1998
E
Demenz
USA
116.
Harris
1993
E
Demenz
USA
75.
76.
Coping / Rolle der Ehebeziehung
77.
Veränderung der Ehebeziehung infolge
der Demenz
78.
87.
94.
Kommunikation
Sexualität
USA
USA
GB
32
Abbildung 7:
Themen der Forschung über Ehegatten, deren Partner an Demenz erkrankt ist
117.
Harris
2002
E + Söhne
Demenz
USA
118.
Hooker et al.
2000
E
USA
119.
Kirsi, Hervonen & Jylhä
2000
E
Demenz +
Parkinson
Demenz
120.
Lambrecht et al.
1992
E
Demenz + div.
D
121.
Miller
1987
E
Demenz
USA
122.
Miller & Kaufman
1996
E
Demenz
USA
123.
Parsens
1997
E + Söhne
Demenz
USA
124.
Russel
2001
E
Demenz
USA
125.
Shanks-McElroy & Strobino
2001
E
Demenz
USA
126.
Siriopoulos, Brown & Wright
1999
E
Demenz
USA
127.
Zintl-Wiegand
1995
E
Demenz + div.
D
128. Misshandlung, Gewalt in der Pflege
Buttell
1999
E
Demenz
USA
129.
Grafström, Nordberg &
Winblad
Grafström, Nordberg &
Hagberg
Williamson et al.
1993
E + div.
Demenz
Schweden
1993
E + div.
Demenz
GB
130.
131.
USA
2001
E + div.
Demenz + div.
USA
132. Auseinandersetzung mit existenziellen
Themen/Spiritualität/Religion
133.
Bourgard
1995
E
Demenz
USA
Farran et al.
1991
E + Kinder
Demenz
USA
134.
Levine et al.
1984
E
Demenz
USA
135.
Navon & Weinblatt
1996
E
Demenz + div.
USA
136.
Stuckey
2001
E
Demenz
USA
137. Verarbeitung von Verlusten
Lindgren, Connelly & Gaspar
1999
E + Kinder
Demenz
USA
138.
Meuser & Marwit
2001
E + Kinder
Demenz
USA
139.
Mayer
2001
E
Demenz
USA
140.
Rudd, Viney & Preston
1999
E
Demenz
USA
141.
Wright et al.
1999
E
USA
142. Soziale Unterstützung
Carlson & Robertson
1993
E
Demenz +
Apoplex
Demenz
143.
Carlson & Robertson
1994
E
Demenz
Kanada
144.
Fiore, Becker & Coppel
1983
E
Demenz
USA
145.
Mathews
1996
E
Demenz
USA
146.
Miller & Guo
2000
E
Demenz
USA
147.
Monahan & Hooker
1997
E
USA
148. Inanspruchnahme formeller Dienste
Commissaris et al.
1995
E
Demenz +
Parkinson
Demenz
149.
Miller & Mukherjee
1999
E
Demenz
USA
150.
O’Connor
1995
E
Demenz
USA
151.
O’Connor
1999
E
Demenz
Kanada
152.
Straw, O’Bryant & Meddaugh
1991
E
Demenz + div.
USA
153.
Winslow
1998
E
Demenz
USA
154. Sonstiges: Einstellung zum
Diagnoseprozess
155.
Connell & Gallant
1996
E
Demenz
USA
Layman
2002
E
Demenz
USA
156. Sonstiges: Die ersten 6 Monate nach
der Diagnose
157. Sonstiges: Ethische Fragen
Morgan & Laing
1991
E
Demenz
USA
Jecker
1995
E
Demenz + div.
USA
Mezey et al.
1996
E
Demenz
USA
Vitaliano et al.
1989a
E
Demenz
USA
Vitaliano et al.
158. Sonstiges: Antizipierte Haltung zu
Entscheidungen über lebenserhaltende
Maßnahmen
159. Sonstiges: Einfluss von
Angehörigenverhalten auf
Krankheitsverlauf
160.
Kanada
Irland
1993
E
Demenz
USA
161. Sonstiges: Prämorbide Qualität der Ehe
und Demenzentwicklung
162.
Bauer et al.
1995
Pat.
Demenz
D
Bauer et al.
1998
Pat.
Demenz
D
163.
Kropiunigg
1999
Pat.
Demenz
USA
164. Sonstiges: Younger-onset-Demenz
Williams, Keady & Nolan
1995
E
Demenz
GB
165. Sonstiges: Probleme von späten
Patchwork-Familien
Kuhn, Morhardt & MonbrodFramburg
1993
E
Demenz
USA
33
2.2
Theoretische Bezugsrahmen der Forschung
Die Forschung über die häusliche Pflege älterer Menschen und über pflegende
Angehörige schneidet mit ihren Fragestellungen quer durch die Gebiete
unterschiedlicher
wissenschaftlicher
Sozialwissenschaften,
Disziplinen,
vor
allem
Pflegewissenschaften,
der
Psychiatrie,
Gesundheitswissenschaften, Pädagogik, aber auch der Geschichts- und
Geisteswissenschaften. Die Literatur aus diesen unterschiedlichen Quellgebieten
ist inzwischen so umfangreich, dass es unmöglich ist, einen kohärenten
theoretischen Verstehenszugang zu erwarten100.
So
sind
auch
die
Arbeiten
zur
Situation
pflegender
Ehegatten
von
Demenzkranken unterschiedlich theoretisch eingebunden. Es finden sich
Zugänge aus der Rollentheorie101, den Theorien der Geschlechterfragen102, aus
der Familientheorie103, den Theorien der sozialen Netzwerke und sozialen
Unterstützung104,
Kommunikationstheorie105,
der
Entwicklungspsychologie
Zugänge
Psychotherapie111
Konstruktivismus
theoretischen
100
, Theorien des
108
, Theorien über Trauer und Verlust109, und
aus
dem
der
107
, der Persönlichkeitspsychologie
psychischen Wohlbefindens
schließlich
aus
106
dem
Existentialismus110,
symbolischen
der
existenziellen
Interaktionismus112
und
dem
113
. Rein numerisch bilden Arbeiten mit den genannten
Hintergründen
eine
kleine
Minderheit.
Das
konkurrenzlos
vgl. Gubrium 1995
101
vgl. z.B. in den Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker von Klein, Dean & Bogdonoff 1967; Mui & MorrowHowell 1993; Skaff & Pearlin 1992
102
vgl. z.B. in den Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker von Cossette, Lévesque & Laurin 1995; Davidson,
Arber & Ginn 2000; Kirsi, Hervonen & Jylhä 2000; Kramer 1997b; Miller & Cafasso 1992; Miller & Kaufman
1996; Paun 2003; Russel 2001; Stoller 1992
103
vgl. z.B. in den Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker von Duffy 1995; Gunzelmann et al. 1996;
Majerovitz 1995; Rankin, Haut & Keefover 2001
104
vgl. z.B. in den Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker von Fiore, Becker & Coppel 1983; Miller & Guo
2000; Spitze & Ward 2000
105
vgl. z.B. in der Arbeit über Ehegatten Demenzkranker von Gallagher-Thompson et al. 2001
106
vgl. z.B. in den Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker von Lewis 1998; Wright 1993, 1994
107
108
vgl. z.B. in den Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker von Hooker et al. 1992, 1994, 1998; O’Connor
1993; Shifren & Hooker 1995
vgl. z.B. in der Arbeit über Ehegatten Demenzkranker von Kramer 1997b
109
vgl. z.B. in den Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker von Garner 1997; Lindgren, Connelly & Gaspar
1999; Meuser & Marwit 2001; Rudd, Viney & Preston 1999
110
vgl. z.B. in den Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker von Bourgard 1995; Farran 1997; Farran et al.
1991, 1999; Paun 2003
111
vgl. z.B. in der Arbeit über Ehegatten Demenzkranker von Levine et al. 1984
112
vgl. z.B. in der Arbeit über Ehegatten Demenzkranker von Deimling & Bass 1986
113
vgl. z.B. in der Arbeit über Ehegatten Demenzkranker von Perry & O’Connor 2002
34
dominierende Paradigma ist – ebenso wie in der gesamten Literatur zur
häuslichen Pflege - die Stresstheorie114.
Näheres zu einzelnen theoretischen Zugängen findet sich in den folgenden
Kapiteln im Zusammenhang der Darstellung der einzelnen Forschungsbefunde.
2.3
Zusammenfassung Kapitel 2
Das Gros der gefundenen Publikationen über Ehegatten Demenzkranker stammt
aus den USA. Thematisch dominiert deutlich die Frage nach Belastungen.
Daneben hat sich in der Forschungslandschaft aber ein breites Spektrum
unterschiedlicher Themen etabliert, das die Vielschichtigkeit der Situation der
Ehegatten zu erkennen gibt.
114
vgl. u.a. in den Arbeiten über Ehegatten Demenzkranker von Barusch 1988; Bookwala & Schulz 2000;
Braekhus et al. 1998; Butt et al. 2002; Croog et al. 2001; Gallant & Connell 1997, 1998; Hooker et al. 1992,
1994, 1998; Kramer 1993a; Lawton et al. 1991; Lutzky & Knight 1994; Narayan et al. 2001; O’Rourke &
Cappeliez 2002; Pruchno & Resch 1989a, 1989b; Rose et al. 1997; Rose-Rego, Strauss & Smyth 1998;
Russo et al. 1995; Schneider et al. 1999
35
3
Demenz in der Ehe
In diesem Kapitel habe ich zwei Phänomene analytisch voneinander getrennt, die
in der Wirklichkeit eng miteinander verwoben sind: auf der einen Seite die
Veränderungen, welche die Demenz eines Partners für die Ehebeziehung und für
die Person des anderen Partners mit sich bringt, und auf der anderen Seite das
Auftreten von Merkmalen einer Pflegebeziehung. Für die Aufarbeitung der
empirischen Befunde über die Wirkungen der Demenz in der Ehe habe ich die
beiden Phänomene in diesem Kapitel getrennt betrachtet, die Veränderungen der
Ehebeziehung und die Auswirkungen auf die Person des gesunden Partners im
Kapitel 3.1, die Befunde zur ehelichen Pflegekonstellation im Kapitel 3.2. Die
Vorstellung, die dieser analytischen Trennung zugrunde liegt, ist die, dass es
einen fundamentalen Unterschied ausmacht, ob das Paar oder einer der Partner,
ständig oder zeitweise, die Beziehung als Ehebeziehung definiert oder als
Pflegebeziehung.
3.1
Veränderungen der Ehebeziehung
Veränderungen der Ehebeziehung betreffen einerseits die Identität des Paares
als Einheit und andererseits die Identitäten der beiden Partner, wobei im Rahmen
dieser Arbeit nur die Situation des gesunden Partners betrachtet wird.
3.1.1
Erstes Wahrnehmen der Demenz
Demenzen,
insbesondere
die
Alzheimer-Erkrankung,
verlaufen
häufig
schleichend, und die ersten Anzeichen werden meist nur von den Betroffenen
selbst wahrgenommen und liegen oft jahrelang vor einer formellen Diagnose. Für
viele Patienten sind diese Veränderungen derart bedrohlich, dass sie sich mit
verschiedenen
Abwehrmechanismen,
Vermeiden
komplexer
Aufgaben
beispielsweise oder Rückzug aus sozialen Kontakten, vor Erfahrungen des
Versagens zu schützen suchen. Viele bauen regelrecht eine Fassade auf, hinter
der das wahre Ausmaß der Defizite selbst für nahe Angehörige lange Zeit
verborgen bleibt. Wenn die Demenz chronisch progredient verläuft, dann treten
aber zu irgendeinem Zeitpunkt die Krankheitssymptome offen zu Tage. Es hat
36
dann weitreichende Folgen für den Umgang des Paares miteinander, ob und in
welcher Weise der gesunde Ehegatte die Veränderungen des Patienten und die
Wandlung der Beziehung wahrnimmt, und ob er oder sie die Entwicklungen in
den Kontext einer Erkrankung stellen kann. Perry115 beschreibt, wie Ehefrauen
für erste Veränderungen ihrer erkrankten Männer zunächst Erklärungen aus
ihrem vertrauten Erfahrungshorizont suchten (er ist durcheinander, weil er die
Pensionierung nicht verkraftet, o.ä.), bevor ihnen, mal schlagartig, mal allmählich
klar wurde, dass solche Erklärungen hier nicht griffen, und sie den Mann zu
einem Arztbesuch bewegten.
Pollitt
und
Kollegen116
fanden
bei
Ehegatten
drei
verschiedene
Wahrnehmungsformen der Demenz des Gatten:
•
Eine Gruppe nahm die Demenz des Partners nicht wahr und präsentierte
das Verhalten des Partners im Interview auch nicht als Problem. Sie
identifizierten sich nicht als Pflegende und betrachteten ihre Rolle als
Unterstützende
des
Partners
bei
normalen
altersbedingten
Einschränkungen.
•
Eine zweite Gruppe nahm körperliche Beschwerden beim Partner wahr und
präsentierte diese als Hauptproblem. Der Fokus ihrer Berichte lag auf dem
kranken Körper. Diese Ehegatten verneinten oder unterschätzten die
kognitiven Defizite des Dementen, betrachteten seine Persönlichkeit als
weitgehend intakt und unverändert und erwarteten von ihm korrektes,
angemessenes Verhalten. Manche unternahmen große Anstrengungen, um
den Glauben aufrecht erhalten zu können, der Partner leide nur unter einer
vorübergehenden, reversiblen Störung („He’s not mental, you know“117). Ihre
eigene Rolle sahen sie als Pflegende eines körperlich Kranken, eine Rolle,
die klare Vorteile bietet. Sie ist greifbar, klar umschrieben und sozial
anerkannt.
•
Die dritte Gruppe nahm die Demenz des Partners wahr und präsentierte sie
als Hauptproblem. Die Patienten dieser Gruppe waren am stärksten
beeinträchtigt. Die gesunden Partner hatten die Demenz und die
Irreversibilität akzeptiert. Alle empfanden, dass sie den Partner auf eine
Weise verloren hatten. Sie beschrieben Gefühle der Wut, Frustration und
Erschöpfung.
115
vgl. Perry 2002
116
vgl. Pollitt, Anderson & O’Connor 1991
117
ein Befragter in der Studie von Pollitt, Anderson & O’Connor 1991, 454
37
Über Drei Viertel der Befragten eines größeren Ehegattensamples dementer
Patienten118 betrachteten den Prozess und den Erhalt der Diagnose als
außerordentlich wichtig. Die Diagnose ist die Basis für unterschiedliche
Bewältigungsoptionen: zu wissen, dass es sich um eine Krankheit handelt,
andere Gründe für die Störungen ausschließen zu können, nach der Diagnose
die Möglichkeit zu haben, Informationen über die Krankheit zu sammeln, die
medikamentöse Behandlung zu beginnen und Pläne für die Zukunft machen zu
können. Die Frage, ob Ehegatten es für richtig halten, den Patienten über seinen
Zustand aufzuklären, untersuchte Layman119. In seiner Studie sprachen sich ein
Drittel der Ehegatten gegen die Aufklärung des Patienten aus, mehr Ehemänner
als Ehefrauen. Befragte, die gute soziale Unterstützung hatten, tendierten eher
zur Aufklärung.
Morgan & Laing120 beobachteten ein Ehegattensample während der ersten sechs
Monate nach Diagnosestellung und fanden zwei Arten von Reaktionen:
•
Die „Trauergruppe“ erlebte die Diagnose als Schock und reagierte zunächst
mit Verleugnung. Die vorherige Beziehung war tendenziell eng, durch
gegenseitige Liebe geprägt. Die Motivation zur Pflege des Partners war
Liebe. Sie zeigten gute Empathie in die Lage des Kranken. Im Laufe der
sechs Monate fand ein Prozess der allmählichen Akzeptanz und des
Anpassens an die neue Realität statt. Die Ehegatten verringerten die
Anforderungen an den Kranken und versuchten, die Situation weitgehend
zu
normalisieren.
Sie
begannen,
sich
selbst
auf
eine
weitere
Verschlechterung vorzubereiten.
•
Die „Rollenbelastungsgruppe“ fühlte sich bei der Diagnose bestätigt in dem,
was sie selbst schon vermutet hatte. Die vorherige Beziehung war
tendenziell konflikthaft, durch ungleiche Machtverteilung und Mangel an
Intimität gekennzeichnet. Die Motivation zur Pflege resultierte aus
Verpflichtung und Verantwortungsgefühl oder aus ambivalenten Motiven.
Die Ehepartner zeigten Schwierigkeiten, sich in die Lage des Kranken zu
versetzen. Im Laufe der ersten sechs Monate erschienen sie zunehmend
überwältigt von den wachsenden Aufgaben und Verantwortlichkeiten.
Deutlich zeigten sie eine Ambivalenz hinsichtlich der Pflege. Strategien zur
118
vgl. Connell & Gallant 1996: sie untersuchten 233 Ehegatten Demenzkranker
119
vgl. Layman 2002
120
vgl. Morgan & Laing 1991
38
Bewältigung der Situation waren Abwarten, Ignorieren von Problemen oder
Delegation von Verantwortung. Einige
machten ihrem Ärger und ihrer
Frustration durch Enttäuschung und Unzufriedenheit mit den professionellen
Diensten des Gesundheitswesen Luft.
Wie das Paar kurz nach Erhalt der Diagnose mit dem Wissen umgeht, hängt
vermutlich sehr stark davon ab, wie die Partner früher mit kritischen Ereignissen
und Problemen umgegangen sind. Ob die Partner sich gegenseitig unterstützen
können, oder ob es zu Entfremdung, Einsamkeit und mangelnder gegenseitiger
Anteilnahme kommt, wird unter anderem davon abhängen, inwieweit das Paar
beispielsweise Erfahrungen damit hat, Konflikte oder Bedürftigkeiten zu
thematisieren und zu bearbeiten. Empirische Arbeiten zu diesen Fragestellungen
fehlen.
Wenn die kognitiven Symptome der Demenz zum Zeitpunkt der Diagnose noch
nicht sehr ausgeprägt sind, dann ist der Kranke, zumindest eine Zeit lang,
grundsätzlich noch in der Lage, seine Situation kritisch zu reflektieren und
Zukunftspläne zu machen. Insofern ist die Situation des von Demenz betroffenen
Paares zumindest eine mehr oder weniger kurze Zeit lang vergleichbar mit der
anderer älterer Paare, die sich mit chronischer Erkrankung oder mit dem Prozess
des Sterbens auseinander setzen müssen. Kruse121 hat hierzu Ergebnisse aus
verschiedenen
chronischen
empirischen
Krankheit
Studien
leidenden
zusammengetragen.
Patienten
belasten
Den
an
Unsicherheit
einer
und
Schamgefühle gegenüber dem Partner; die Sorge, den anderen psychisch zu
stark zu belasten; die Zunahme von alten oder neuen Konflikten; die Sorge, dass
der Partner die eigene psychische Ausnahmesituation nicht versteht und
zunehmende Hemmungen, den anderen um Unterstützung zu bitten. Positiv
getönte Erfahrungen können das Gefühl des Angenommenseins sein, die
Entdeckung neuer Gemeinsamkeiten und emotionaler Nähe, das Gefühl, dem
anderen trotz der eigenen Krankheit etwas geben zu können, oder die
Entwicklung gemeinsamer Pläne und Vorsätze. Auf Seiten des Angehörigen
entstehen Belastungen durch die Veränderung der Beziehung und die
Veränderungen des Kranken sowie durch die Zunahme von Konflikten. Gefühle
der Einsamkeit, Entfremdung, ggf. auch Gefühle der Aggression oder des Ekels
und in der Folge oft Schuldgefühle treten auf. Positive Aspekte können
Angehörige erleben, wenn sie den Eindruck haben, den Partner wirksam
121
vgl. Kruse 1991
39
unterstützen zu können, Dankbarkeit erfahren, emotionale Nähe oder eigene
Kompetenz
erleben.
Kruse
sieht
auch
bei
chronischer
Erkrankung
Entwicklungspotenziale für die Partnerschaft, etwa wenn es zu einer Vertiefung
des partnerschaftlichen Erlebens kommt, oder zu der Erfahrung, sich in der
kritischen Situation gegenseitig stützen zu können. Ob derartige paarbezogene
Entwicklungspotenziale auch im Falle einer Demenz – zumindest auf längere
Sicht gesehen – möglich sind, ist meines Erachtens allerdings zweifelhaft.
Die empirischen Befunde sprechen dafür, dass es zu einer gegenseitigen
Beeinflussung der Partner bei der Auseinandersetzung mit der chronischen
Krankheit kommt122. In der ersten Zeit herrschen vielfältige, schnell wechselnde
Auseinandersetzungsformen vor, die sehr verschiedenartige Stimmungen und
Gefühle widerspiegeln, z.B. „Niedergeschlagenheit“, „Leistung“, „Suche nach
Unterstützung“,
kristallisieren
„Leugnung“,
sich
nach
„Hoffnung“.
Kruse
Auseinandersetzungsformen
vier
heraus:
Mit
längerer
verschiedene,
(a)
dann
Krankheitsdauer
relativ
leistungsbezogenes
stabile
Verhalten:
Bemühen um Veränderung der Situation; (b) kognitiv-emotionales Verhalten:
Bemühen um Veränderung der eigenen Einstellung gegenüber der Situation; (c)
Niedergeschlagenheit: Resignation und abnehmendes Engagement und (d)
Hadern mit dem Schicksal: nach innen und außen gerichtete Aggression. Die
Ehepartner gleichen mit der Zeit ihre Auseinandersetzungsstile aneinander an.
Als Gründe sieht Kruse das enge Zusammenleben der Partner und fehlende
externe Korrekturen aufgrund der häufigen Abgeschiedenheit des Paares an. Er
betrachtet die Annäherung der Auseinandersetzungsstile aber auch als
Konfliktvermeidung der Partner.
Blieszner & Shiftlett123 analysierten die Reaktionen von Familienangehörigen in
den ersten 18 Monaten nach Erhalt der Demenzdiagnose. Vor der Diagnose
waren die Angehörigen frustriert, ärgerlich, verletzt und verwirrt. Zum Zeitpunkt
der Diagnose empfanden die Angehörigen häufig Entlastung dadurch, dass sie
eine Möglichkeit erhalten hatten, die Veränderungen des Erkrankten zu
verstehen. Gleichzeitig äußerten sie aber auch Angst, Trauer und Verlust. Sechs
Monate später fokussierten sie auf den Verlust der vormals bestehenden
Beziehung zum Kranken und eineinhalb Jahre nach Erhalt der Diagnose traf man
sie mitten im Bewältigungsprozess einer dramatisch veränderten, aber weiterhin
122
123
vgl. Kruse 1991
vgl. Blieszner & Shifftlett 1990. Sie untersuchten in ihrem Sample nicht ausschließlich Ehegatten, sondern
auch andere Familienangehörige
40
bestehenden Beziehung an. Die Befragten bemühten sich um neue Definitionen
der Erwartungen an die Beziehung, äußerten das Bedürfnis, einen Schlussstrich
unter das alte Verhältnis zu ziehen und suchten Wege, in Verbindung zu bleiben
mit einer Person, die sie als physisch anwesend, aber emotional wenig
erreichbar wahrnahmen.
3.1.2
3.1.2.1
Veränderungen im weiteren Verlauf der Demenz
Veränderungen des Rollengefüges
Wenn auch in der ersten Zeit der Demenz die Situation des betroffenen Paares
noch in Teilen vergleichbar ist mit der Situation anderer alter Paare, die
chronische Krankheiten bewältigen müssen, so verändert sich die Lage doch
entscheidend
mit
dem
Fortschreiten
der
Demenz.
Auf
einer
sehr
augenscheinlichen Ebene kommt es zu Veränderungen in der Verteilung der
Aufgaben, Rollen und Funktionen der Partner. Dabei gerät einerseits ein sehr
individuelles Gefüge in Bewegung, welches das Paar über lange Zeiträume,
manchmal in Jahrzehnten der gemeinsamen Ehe, geschaffen hat. Andererseits
ist die Verteilung von Aufgaben und Rollen in der Ehe nicht nur eine individuelle
Angelegenheit
des
einzelnen
Paares,
sondern
ist
auch
Ausdruck
komplementärer weiblicher und männlicher Vergesellschaftungsformen124. Die
Kohorten der heute alten Menschen sind in der Regel deutlich zu einer
geschlechtsspezifischen
Aufgabenverteilung
sozialisiert
worden,
mit
der
Erwerbsarbeit als Domäne des Mannes und der Reproduktionsarbeit als Bereich
der Frau. Auch dieses Gefüge gerät mit der Demenz in Bewegung. Ehemänner
von dementen Frauen lernen zum Beispiel zu kochen, zu waschen und zu
putzen. Gesunde Ehefrauen arbeiten sich in Aufgaben ein, die zuvor der Mann
übernommen hatte, beispielsweise das Autofahren oder die Korrespondenz mit
Behörden. Wright125 fand heraus, dass die gesunden Ehegatten wesentlich mehr
Haushaltsaufgaben übernahmen als die dementen, während sich die gesunden
alten Ehepaare der Kontrollgruppe ihres Samples die Verantwortung für das Geld
124
125
„Vergesellschaftung meint die Art und Weise, wie Menschen in die Gesellschaft eingebunden sind und sich
einbinden, wie ihre alltäglichen Interaktionen, ihre Tätigkeiten und sozialen Kontakte und somit ihre soziale
und materielle Existenzgrundlage untereinander vermittelt sind. Es geht um die Integration des Menschen in
gesellschaftliche Bezüge und Zusammenhänge, um seine motivationale, leistungs- und kontaktmäßige
Einbindung und materielle wie immaterielle Existenzsicherung. Diese wird über Interaktion und institutionelle
Anbindung vermittelt (über jeweils gesellschafts- und lebenslaufspezifische Vergesellschaftungsmedien, wie
Erwerbsarbeit, sonstige Arbeit, Familie, Freundschaft, Vereine etc.“ (Backes 1999, 453)
vgl. Wright 1993
41
häufig
teilten
und
die
anderen
Haushaltsaufgaben
entsprechend
der
Geschlechtsrollenstereotype verteilten. Probleme gab es für die „Demenzpaare“
bei der Finanzverwaltung, wenn dieser Bereich zuvor von dem kranken Partner
verantwortet worden war. Aber selbst wenn es zu einem totalen Rollenwechsel in
diesem Bereich gekommen war, berichtete ein substanzieller Teil der Befragten
keine Probleme, sondern genoss im Gegenteil den Zuwachs an Kontrolle. Neben
solchen handgreiflichen Veränderungen verschieben sich Rollen auch auf
subtileren Ebenen, etwa in der Frage, wer in der Familie für die „Gefühlsarbeit“
zuständig ist126, oder wer die Kontakte zur Verwandtschaft pflegt – traditionell
eine Domäne der Frauen127. Die neuen Aufgaben und Rollen müssen dabei nicht
unbedingt belastend sein, sie werden manchmal auch als Bereicherung erlebt128.
3.1.2.2
Beziehungsdeprivation
Über die Entwicklung der Liebesbeziehung in einer langjährigen Ehe kursieren
zwei entgegengesetzte Vorstellungen: einerseits der Mythos der vollkommenen
ehelichen Eintracht alter Paare, andererseits die Vorstellung, alte Ehen seien
durch Erstarrung, Sprachlosigkeit und leere Gewohnheit gekennzeichnet. Aus
kulturhistorischer Perspektive fallen zwei Vorbilder ins Auge: Philemon & Baucis
und Xantippe129. Das antike Paar Philemon und Baucis, über das Ovid in den
Metamorphosen erzählt, sie wünschten sich von Jupiter, zur selben Zeit sterben
zu dürfen, repräsentiert das Bild harmonischer Verbundenheit. Demgegenüber
stehen Xantippe und der Pantoffelheld für Paare, die sich in langen Jahren der
Ehe in einen alltäglichen Kleinkrieg verstrickt haben.
Die Liebesbeziehung als Konstitutiv der Ehe ist historisch betrachtet ein relativ
junges Phänomen. In der vorkapitalistischen Ehe ging es nicht um Liebe,
sondern um wirtschaftliche Gesichtspunkte. „Bis cirka zur Mitte des 18.
Jahrhunderts dominierte im deutschen Bürgertum, ebenso wie bei Handwerkern,
Bauern, aber auch dem Adel, die traditionelle, sehr sachliche Einstellung zur
Ehe... Wollte man eine Ehe eingehen, so waren weitaus wichtiger als
Liebesbeteuerungen ein einträgliches Amt oder eine gesegnete Nahrung oder
126
vgl. Faust-Jacoby & Kling 1991
127
vgl. Übersicht bei Stoller & Cutler 1992
128
vgl. Bauer et al. 2001; Wright 1993
129
vgl. Fooken 1997, 16
42
ein reiches Erbteil.“130 In der Familie liefen alle Fäden eines Menschen
zusammen: Arbeit, Konsum, Feier, Liebe, Herrschaft und Geselligkeit131. Mit der
Entstehung des Kapitalismus veränderte sich die Bedeutung der Sexualität.
Zuvor als Funktion der Fortpflanzung betrachtet, geriet die Sexualität zunehmend
in ein System von Arbeit, Kontrolle, Wissen und Rationalität132. Foucault
beschreibt diese Veränderungen: „...man muß vom Sex sprechen wie von einer
Sache, die man nicht einfach zu verurteilen oder zu tolerieren, sondern vielmehr
zu verwalten und in Nützlichkeitssysteme einzufügen hat.“133 In der letzten Hälfte
des 18. und vor allem im 19. Jahrhundert entwickelte sich das moderne,
bürgerliche Familienideal, das auch heute noch unser Denken beeinflusst.
Charakteristisch sind zum einen die Trennung von Erwerbsarbeit und Hausarbeit
sowie die Funktionstrennung der Geschlechter und zum anderen Kindzentrierung
und Intensivierung und Intimisierung der persönlichen Beziehungen134. Dies
impliziert, dass Werte wie Zuneigung, Attraktivität und Emotionalität an
Bedeutung gewinnen, ebenso wie Fähigkeiten der Kommunikation und die
Kompatibilität der Bedürfnisse der Partner. Damit „ist ein Zugewinn an
Lebensqualität zu verzeichnen, zugleich zählen die affektiv-emotionalen Faktoren
aber zu den empfindlichsten und anfälligsten Gütern schlechthin“135. Die Ehe ist
so ein fragiles Gebilde geworden, das Donzelot als „unstabile Zusammenfügung“
oder „halböffentlichen Raum“ voller innerer Widersprüche und ständiger
Gefährdungen darstellt136.
In empirischen Untersuchungen zeigt sich häufig ein u-förmiger Verlauf der
Ehezufriedenheit über die Lebensspanne mit einem Gipfel zu Beginn der
Beziehung, einer Talsohle in der Lebensmitte und wieder besserer Zufriedenheit
in den späten Ehejahren137. Als Schlüsselmerkmal erfolgreicher Langzeitehen
wird unter anderem der Fortbestand der emotionalen Intimität der Partner
hervorgehoben138. Befragte nannten als besonders belohnende Aspekte ihrer
Altersehe die Gefährtenschaft und die Möglichkeit, dem Partner gegenüber die
eigenen Gefühle wahrhaftig ausdrücken zu können139. Zur emotionalen Nähe
130
Rosenbaum 1982; zit. nach Jaeggi & Hollstein 2000, 30
131
vgl. Jaeggi & Hollstein 2000
132
vgl. Jaeggi & Hollstein 2000
133
Foucault 1983, zit. nach Jaeggi & Hollstein 2000, 31
134
vgl. Jaeggi & Hollstein 2000
135
Vogt 2001, 34
136
vgl. Donzelot 1980, 237f.; zit. nach Jaeggi & Hollstein 2000, 33
137
vgl. Fooken 1997, 14/16
138
vgl. Lauer & Lauer 1986; Lauer, Lauer & Kerr 1990; zit. nach Gallagher-Thompson et al. 2001, S140
139
vgl. Stinnett, Carter & Montgomery 1972; zit. nach Depner & Ingersoll-Dayton 1985, 761
43
trägt auch bei, dass die Partner in ihrer langen gemeinsamen Geschichte gelernt
haben, wie sie dem anderen am besten beistehen, Rat geben oder ihn trösten
können140. Neben der emotionalen Unterstützung betrachten alte Paare den
gegenseitigen Respekt als wesentlich für eine gute Ehe141, wobei zwei
Grundlagen für Respekt unterschieden werden können, nämlich einerseits
Ehrerbietung, d.h. dass jemand zum Beispiel Hochachtung oder Bewunderung
ausdrückt, und andererseits Beachtung, d.h. dass die eigenen Gefühle,
Gedanken und Wünsche von jemandem wahrgenommen werden142. Hinsichtlich
des Respekts sind alte Ehepartner zunehmend aufeinander angewiesen, wenn
im Alter statusbezogene Rollen aufgegeben werden müssen und dadurch viele
Quellen für Respekt verloren gehen143.
Eine Demenz führt gerade in diesem für die Ehezufriedenheit so zentralen
Bereich der emotionalen Verbundenheit zu tiefgreifenden Veränderungen. Der
Schwund der Gefährtenschaft in der Ehe, die Erosion der Intimität, fehlende
Reziprozität und Gefühle der Entfremdung werden an vielen Stellen der
empirischen Literatur hervorgehoben144. Neben Störungen der emotionalen Nähe
führt die Demenz auch dazu, dass der gesunde Partner allein steht mit vielen
Entscheidungen und mit der Verantwortung, die er sonst gemeinsam mit dem
Gatten getragen hätte. Betroffene berichten immer wieder in dem gleichen
Wortlaut, sie seien noch verheiratet, ohne sich noch so zu fühlen; oder sie seien
weder verheiratet noch verwitwet. Es verwundert nicht, dass viele das Bedürfnis
nach Kontakten und Austausch mit anderen Menschen äußern145. Dabei können
Ehegatten neben der Wahrnehmung der verschlechterten Beziehung gleichzeitig
eine engere Bindung an den Partner spüren146. Dieses scheinbare Paradox kann
dadurch zustande kommen, dass beide in derselben Lage sind, mit der sie
zurecht kommen müssen, dass sie die Beziehung nicht mehr als fraglos
garantiert betrachten können, was die Aufmerksamkeit für die Zuneigung zum
Partner erhöhen kann, oder dass sie angesichts der Hilflosigkeit des Partners
empathisch den Wunsch entwickeln, ihn beschützen zu wollen147. Andererseits
140
vgl. Depner & Ingersoll-Dayton 1985
141
vgl. Stinnett, Collins & Montgomery 1970; zit. nach Depner & Ingersoll-Dayton 1985, 762
142
vgl. Depner & Ingersoll-Dayton 1985
143
vgl. Stinnett, Collins & Montgomery 1970; zit. nach Depner & Ingersoll-Dayton 1985, 762
144
vgl. z.B. Barusch & Spaid 1996; Blieszner & Shiftlett 1990; Gallagher-Thompson et al. 2001; Kramer &
Lambert 1999; Morris, Morris & Britton 1988; Owens 2000; Pearlin et al. 1990; Rakin, Haut & Keefover 2001;
Siriopoulos, Brown & Wright 1999; Wright 1993
145
vgl. Wright 1993
146
vgl. DeVugt et al. 2003
147
vgl. DeVugt et al. 2003
44
beschreiben Ehegatten auch das Bedürfnis, zumindest zeitweise aus der
Beziehung zu fliehen, besonders dann, wenn die Patienten anklammerndes
Verhalten zeigen148. Viele distanzieren sich bewusst von dem gegenwärtigen
Charakter des Gatten, sie sehen ihn als leere Hülle oder nicht als die Person, die
sie geheiratet haben149.
Eheliche Spannungen brachten die gesunden Ehegatten von Demenzkranken in
einer Studie von Wright150 durchgängig mit der Demenz in Verbindung, während
ein erheblicher Teil der erkrankten Partner (40%) solche Spannungen nicht als
problematisch wahrnahm. Die gesunden alten Paare der Kontrollgruppe hatten
keinen speziellen Fokus bei der Wahrnehmung ehelicher Spannungen.
Insgesamt wurde in beiden Gruppen ein niedriges Maß ehelicher Spannungen
berichtet, wobei Wright beobachtete, dass die Ehegatten der Demenzkranken
sich selbst intensiver emotionaler Kontrolle unterzogen, um Spannungen
abzubauen, etwa durch Zielverschiebung (z.B. Schreien in ein Kissen) oder
durch Herausgehen aus dem Konflikt (z.B. sich im Badezimmer einschließen).
Die Autorin schlussfolgert, die ehelichen Spannungen würden deshalb von den
gesunden Partnern als niedrig eingestuft, weil sie selbst größte Anstrengungen
unternehmen, sie niedrig zu halten. Bei den demenzkranken Partnern waren die
vorherrschenden Strategien im Umgang mit Spannungen, die Situation als nicht
problematisch zu definieren (40%) und selbst aus dem Konflikt zu gehen (33%),
sowie Ruhe zu bewahren. Nur 13% der Erkrankten berichteten, Konflikte
auszudiskutieren. Die gesunden Paare gingen anders mit Spannungen um.
Vorherrschende
Strategien
bei
ihnen
waren,
die
eigene
Befindlichkeit
auszudrücken und den Partner zu konfrontieren.
Chesla und Kollegen151 stießen in einer Langzeitstudie auf drei Muster, mit denen
die gesunden Familienangehörigen auf die Veränderungen reagierten:
(1) Die Kontinuität der Beziehung wird betont: Der Patient wird weiterhin als
präsent in der Beziehung wahrgenommen, Reziprozität wird erlebt, und der
Patient definiert in gewohnter Weise die Welt des gesunden Gatten. Die
gesunden Angehörigen interpretierten viele kleine Gesten und Äußerungen des
Kranken als Belege ihrer Sichtweise, selbst wenn diese für Außenstehende
148
vgl. Wright 1993
149
vgl. Lewis 1998
150
vgl. Wright 1993, 31ff.
151
vgl. Chesla, Martinson & Muwaswes 1994. Das Sample bestand neben 15 Ehegatten aus 15 Kindern
dementer Patienten.
45
zufällig und bedeutungslos erschienen. Die Verluste und Veränderungen in der
Beziehung wurden nicht verneint, auch durchaus betrauert, doch empfanden
diese Angehörigen weiterhin ein Gefühl der Verbindung und Kontinuität mit dem
Kranken. Das Beispiel einer Ehefrau illustriert dieses Verhaltensmuster: „Despite
the Alzheimer’s disease, she finds access to his person, his intelligence, and his
capacity to comfort her..., the man with whom she built a life and a family, the
person that comprised her world prior to the illness, continues to define her world
and focus her daily concerns… feels his presence very strongly in her life”152.
(2) Die Beziehung wird als kontinuierlich, aber transformiert wahrgenommen: Die
Angehörigen dieses Musters erlebten den Erkrankten weitgehend verloren an die
Demenz. Sie sahen nur wenige und flüchtige Zeichen seiner früheren
Persönlichkeit, und sie zweifelten daran, ob sie ihn erreichen könnten.
Reziprozität wurde wenig wahrgenommen. Was dennoch blieb, war eine starke
Verpflichtung an die Beziehung, den Kontakt zu der Person zu halten, die der
Kranke durch die Demenz geworden war. Die vergangene Beziehung wurde
betrauert und die bestehende Beziehung auf einem neuen Fundament erlebt.
Ehegatten empfanden diese Situation als doppelwertig, weil sie den Gatten nicht
mehr als Vertrauten oder Sexualpartner sehen konnten, und dennoch mit ihm
verheiratet blieben. Diese Angehörigen veränderten ihr eigenes Verhalten analog
zum Verlauf der Erkrankung. Beispiel eines Ehemannes: „... his greatest fear was
that his wife would no longer recognize him. In the abstract, he feared that her
lack of recognition would break the thin continuity that he felt with her. … Then in
the last interview, his wife increasingly did not recognize him. He then found a
new way to stay connected to her in her current capacities. He no longer worried
that she recognize him but found it essential that she appreciate him and accept
his care. Her willingness to eat what he prepared and her cooperation … were
taken as signs of her acceptance of his care.”153
(3) Die Beziehung wird als radikal verändert wahrgenommen: Diese Angehörigen
fanden keine Kontinuität zu der Persönlichkeit des Kranken vor der Demenz. Die
Beziehung wurde als emotional distanziert, weniger persönlich und klinischer
wahrgenommen.
Die
Sorgen
waren
abstrakter,
objektiver
und
weniger
zugeschnitten auf die individuellen Bedürfnisse des Kranken. Die Narrative dieser
Angehörigen
fokussierten
152
Chesla, Martinson & Muwaswes 1994, 5
153
Chesla, Martinson & Muwaswes 1994, 6
das
Pflegearrangement
und
die
damit
46
zusammenhängenden Probleme. Dennoch sorgten sich diese Angehörigen um
eine gute Pflege. Beispiel eines Ehemannes: „The worst possible life for him
would be if his wife were to continue to live, and hold him in this ‘limbo’ of being
‘married, but not married’” 154.
Neben den oben dargestellten empirischen Befunden gibt es verschiedene
theoretische Ansätze zur Erklärung der Veränderungen der Paarbeziehung. Lore
K. Wright argumentiert, das von Demenz betroffene Paar verliere das, was G.H.
Mead als „shared meaning“155 bezeichnet. „The disease, simply put, affects the
mind. But it is precisely mental capacity for shared meaning, thinking, and selfconsciousness as part of a ‘mind’ that is the essence of human interactions
(Mead, 1977). Mind156, according to Mead, is the capacity ‘to take the attitude of
the other’ or to have shared meaning in social interactions (Mead, 1977, p.
34)“157. Der Geist ordne die Erfahrungen über andere und über die Umgebung
und verleihe ihnen Bedeutung, und dieses Ordnen führe dazu, dass Situationen
definiert werden könnten158. In dem Maße, in dem dieses Ordnen und Definieren
dem dementen Partner nicht mehr gelingt, verliert das Paar die gemeinsam
geteilte Bedeutung von Erfahrungen und Wahrnehmungen.
Auch
Ansätze aus der systemischen Familientheorie bieten sich für ein
Verstehen der Situation der betroffenen Paare an. Olson159 beschreibt ein
Circumplex-Modell der Funktionsfähigkeit von Paaren oder Familien. In diesem
Modell sind drei Kernkategorien zentral für die Funktionsfähigkeit:
•
Kohäsion, d.h. der Grad emotionaler Verbundenheit und gegenseitiger
Unterstützung der Partner. Ausprägungsgrade reichen von disengagiert
(emotionale Isolation) über separiert (einige gemeinsame Interessen und
Unterstützung)
und
verbunden
(emotionale
Unterstützung
und
Zusammengehörigkeit) bis hin zu verklammert oder verwoben (Betonung
der Zusammengehörigkeit und Loyalität unter Ausschluss aller anderen
Beziehungen).
•
Adaptabilität,
d.h.
Rollenbeziehungen
Anforderungen
und
die
und
Fähigkeit
des
Beziehungsregeln
entsprechend
154
Chesla, Martinson & Muwaswes 1994, 7
155
vgl. Mead 1977, zit. nach Wright 1993, 10
156
Hervorhebung bei Wright 1993, 10
157
Wright 1993, 10
158
vgl. Coser 1977, 521; zit. nach Wright 1993, 10
159
vgl. Olson 1989
Paares,
Machtstrukturen,
entsprechend
situativer
Entwicklungsnotwendigkeiten
zu
47
verändern. Ausprägungsgrade sind rigid (sehr gering), strukturiert (gering
bis mittel), flexibel (mittel bis hoch) und chaotisch (sehr hoch).
•
Die eheliche Kommunikation als Dimension, welche die Veränderungen in
den beiden anderen Bereichen erleichtert.
Am besten – so das bogenförmige Modell - ist die Funktionsfähigkeit bei mittleren
Ausprägungsgraden, während extreme Ausprägungen eher dysfunktional sind,
z.B. Kohäsion und Adaptabilität mit den Merkmalen: disengagiert & rigid oder
verwoben & chaotisch. Die Funktionsfähigkeit des Paares wird dynamisch
gesehen, d.h. das Paar verändert bei verschiedenen Anforderungen im
Lebenszyklus die jeweiligen Ausprägungsgrade in den drei Dimensionen. Wird
einer der Partner dement, dann wird er sich immer weniger aktiv in diesen
Prozess einbringen können, so dass die Funktionsfähigkeit des Paares dadurch
in Frage gestellt wird.
Das Konstrukt der „boundary ambiguity“ ist ein anderer theoretischer Beitrag aus
der Familientheorie, der für das Verstehen der Paardynamik im Falle der Demenz
hilfreich ist. Es handelt sich dabei um ein von Boss160 im Rahmen der
Militärforschung an Frauen, deren Männer im Krieg als vermisst gelten,
entwickeltes Konstrukt. „Boundary ambiguity“ ist definiert als Zustand, in dem die
Familienmitglieder nicht sicher darüber sind, wer innerhalb und wer außerhalb
des Familiensystems steht und wer welche Rollen und Aufgaben hat161. Es gibt
hierfür zwei Indikatoren :
•
die physische Abwesenheit eines Familienmitglieds, obwohl die Familie es
psychologisch präsent hält und
•
die physische Präsenz eines Mitglieds, das aber psychologisch nicht
präsent ist (z.B. ein Mitglied, das emotional gegangen ist oder das an einer
psychischen Störung, z.B. einer Psychose leidet).
Das Letztere ist auch die Situation bei einer Demenz. Der Patient ist körperlich
anwesend, aber psychologisch, emotional nicht mehr erreichbar. „Boundary
ambiguity“ kann die Fähigkeit einer Familie zur Reorganisation und Anpassung
an chronischen Stress blockieren. Wenn die Familie nicht deutlich klären kann,
wer innerhalb und wer außerhalb des Systems ist, kann sie die Systemgrenzen
nicht halten. Der Prozess der morphogenetischen Restrukturierung des Systems
ist blockiert, die Familie immobilisiert162. Boss und Kollegen belegten dieses
160
vgl. Übersicht bei Boss et al. 1990, 246
161
Boss et al. 1990, 246
162
Boss et al. 1990, 246
48
Phänomen
auch
in
einer
Langzeitstudie
Familienangehörigen demenzkranker Patienten
mit
einem
Sample
aus
163
. „Boundary ambiguity“ erwies
sich als mediierende Variable zwischen dem gesundheitlichen Status des
Patienten auf der einen und den Kontrollüberzeugungen und depressiven
Symptomen bei den Familienangehörigen auf der anderen Seite. Besonders
drastische
Persönlichkeitsveränderungen
des
Patienten,
deutlich
in
problembehafteten Verhaltensweisen, scheinen die „boundary ambiguity“ zu
erhöhen.
Einen weiteren Zugang zum Erfassen der Beziehungsveränderungen bieten die
Überlegungen von Blieszner & Shiftlett164, die an die Erfahrungen vieler
Ehegatten dementer Menschen anknüpfen, weder wirklich verheiratet noch
wirklich getrennt zu sein. Die Autorinnen greifen auf ein Modell von Duck165
zurück, das fünf Stadien der Beendigung enger Beziehungen beschreibt:
•
Unzufriedenheit mit der Beziehung
•
Konfrontation und Verhandlung der Partner
•
Konfrontation mit dem weiteren sozialen Umfeld
•
Entscheidung, die Beziehung zu beenden
•
Aktivitäten, die den Partnern über den Verlust hinweg helfen.
Sie schlagen vor, die Paarsituation bei Demenz als inkomplette Beendigung der
Beziehung anzusehen. Sie beziehen sich hier auf Van Gennep166, der
Statuspassagen beschrieben und die inkomplette Statuspassage eingeführt hat,
in der eine Person unfähig ist, von einem Status in einen anderen zu wechseln.
Um zu verstehen, wie Angehörige in der Beziehung verharren, bietet sich das
Modell
von
Rusbult167
an,
das
Reaktionsweisen
in
unbefriedigenden
Beziehungen darstellt:
•
„exit“: Taktieren, um die Beziehung zu beenden oder mit dem Ende zu
drohen
•
„voice“: aktives und konstruktives Kommunizieren der Probleme
•
„loyality“: passives, jedoch optimistisches Abwarten in der Hoffnung, dass
sich die Beziehung wieder verbessern möge
•
„neglect“: passives Verwelken lassen der Beziehung.
163
vgl. Boss et al. 1990
164
vgl. Blieszner & Shiftlett 1990
165
vgl. Duck 1982, zit. nach Blieszner & Shiftlett 1990, 57
166
vgl. Van Gennep 1908, 1960; zit. nach Blieszner & Shiftlett 1990, 57
167
vgl. Rusbult 1987; zit. nach Blieszner & Shiftlett 1990, 57
49
Blieszner & Shiftlett argumentieren, diese Modelle über die Beendigung von
Beziehungen oder über den Rückzug aus Beziehungen seien nur bedingt auf die
Demenzsituation anwendbar. In Partnerschaften ohne Demenz bleibe immer die
Option für beide Partner, die Beziehung zu beenden oder wieder aufzunehmen.
Die Demenz hingegen führe zu einem Verlust der persönlichen Kontrolle über
den Status und den weiteren Verlauf der Beziehung und ebenfalls zu der
Unfähigkeit der beiden Partner, gemeinsam über die Veränderungen der
Beziehung in Verhandlungen zu treten. Es gebe auch keine spezifischen Marker
der Transition, wie etwa eine Scheidung oder ein Begräbnis, die den Weg in
einen neuen Lebensstil vereinfachen würden. Die Demenz mache die Ehe zu
einer Beziehung mit unvorhersagbarer Dauer, unvorhersagbaren Typen und
Häufigkeiten von Wechseln und mit einem kontinuierlichen Verlust der Kontrolle.
Deshalb halten die Autorinnen das Konzept der inkompletten Statuspassage von
Van Gennep für eine zutreffende Beschreibung der Situation eines Paares mit
Demenz168.
Mit besonderen Problemen im Falle einer Demenz sind Paare konfrontiert, die
sich im Alter verheiraten, nachdem zuvor andere Partnerschaften zu Ende
gegangen waren169. Dies ist eine Beziehungsform, die angesichts steigender
Scheidungsziffern (auch bei alten Ehen) wahrscheinlich zukünftig häufiger sein
wird. Meist sind die Partner vorher ein- oder mehrmals verheiratet gewesen, sind
geschieden oder verwitwet, und haben oft erwachsene Kinder, Enkel oder sogar
Urenkel. Unterschiedliche Kombinationen von Patchwork-Familien sind denkbar.
Allen gemeinsam ist, dass in jedem Fall komplizierte Familienstrukturen
entstehen, und dass diese Familien bestimmte Aufgaben zu lösen haben, oft
über eine Periode von mehreren Jahren hinweg, um eine neue Familienidentität
hervorzubringen170. Nach Kuhn et al. gehört dazu, Verluste zu betrauern, die alle
Patchwork-Familien durch Tod, Scheidung oder ähnliches erlitten haben, neue
Traditionen zu etablieren, eine solide eheliche Verbindung zu entwickeln und
neue innerfamiliäre Beziehungen zu formen. Ein dementer Partner kompliziert
alle diese Aufgaben171: Seine Demenz, die fortschreitend Verluste mit sich bringt,
triggert Verlusterfahrungen der anderen Familienmitglieder. Bei der Entwicklung
neuer Familientraditionen bleibt er oft außen vor, weil er Neues nicht mehr lernt.
Für die junge Ehebeziehung bedeutet die Erkrankung, dass Reziprozität nicht
168
Blieszner & Shiftlett 1990
169
vgl. Kuhn, Morhardt & Monbrod-Framburg 1993
170
vgl. Übersicht bei Kuhn, Morhardt & Monbrod-Framburg 1993, 157
171
vgl. Kuhn, Morhardt & Monbrod-Framburg 1993
50
entstehen kann, und es auch keine Wiedergutmachungsansprüche aus der
Vergangenheit gibt. In den innerfamiliären Beziehungen können Konflikte
dadurch entstehen, wenn sich erwachsene Kinder als Advokaten des erkrankten
Elternteils verstehen und damit in Konkurrenz geraten zum neuen Ehepartner.
Diese Familien brauchen Wissen über diese typischen Aufgaben und Dynamiken
und über die Zeit, die dafür notwendig ist, damit sie keine unrealistischen
Erwartungen an harmonische Entscheidungen haben. Ggf. brauchen sie formelle
Mechanismen der Konfliktlösung und des Interessenausgleichs.
3.1.2.3
Asymmetrie der Entwicklung
Lore K. Wright hat das folgende konzeptuelle Modell der Entwicklung einer von
Demenz betroffenen Ehe vorgestellt:
Modell der Entwicklung in einer Ehe, in der Demenz auftritt (Wright 1993, 9)
Abbildung 8:
Past marital Relationsship
(prior to the illness)
Present marital
Relationship
Asynchrony
(Illness)
Coping
Developmental Outcomes:
- Control / disorder
- Adaption / Distortion
- Concordance / Discordance
- Acculturation / Exploitation
Anticipated Future of the
Relationship
Support
Formal
informal
Die Autorin bezieht sich auf die dialektische Theorie der menschlichen
Entwicklung von Riegel172. Für Riegel vollzieht sich menschliche Entwicklung
über die gesamte Lebensspanne, und die dialektischen Interaktionen zwischen
Menschen
und
mit
dem
größeren
soziokulturellen
Umfeld
sind
dabei
173
essenziell
. Riegel betrachtet Lebenskrisen und Lebensschwierigkeiten als
Voraussetzung, um die Entwicklung im Erwachsenenalter überhaupt in Gang zu
setzen174. Er nennt sie Asynchronien: die Erfahrung von asynchronen
Lebensdimensionen
zwischen
biologischen,
kulturellen und soziologischen Aspekten des Lebens.
172
vgl. Riegel 1979; zit. nach Wright 1993, 7, 117
173
vgl. Übersicht bei Wright 1993, 7
174
vgl. Übersicht bei Wright 1993, 7
individualpsychologischen,
51
Lore K. Wright argumentiert mit den Ergebnissen ihrer Untersuchung an
Ehepaaren, dass die Entwicklungsbewegungen der beiden Partner mit dem
Auftreten der Demenz asymmetrisch verlaufen. Für die gesunden Gatten sei die
Demenz ein zentraler Umwelteinfluss, der zentrale Reorganisationen ihres
Lebens erfordere. Wenn man Entwicklung definiere als „a process of interactions
which from the outside transforms the organism as he transforms the external
conditions through his own acitivities“175, dann – so Wright – entwickeln sich die
gesunden Ehegatten in der Auseinandersetzung mit der Demenz persönlich
weiter. Die Ergebnisse ihrer Studie bestätigten, dass die gesunden Ehegatten
vielfältigen Veränderungen ihrer Ehebeziehung und ihres ganzen Lebens
ausgesetzt
waren und vielfältige Aktivitäten ergriffen, um mit diesen
Veränderungen umzugehen. „Overall, then, it can be stated with confidence that
something new emerges from person-environment interactions...“, und zwar
Entwicklung176.
Anders verhalte es sich bei den dementen Partnern. Diese – so entdeckte Wright
in ihrer Untersuchung – lebten überwiegend in einer Welt, die sie selbst als
unproblematisch definierten. Nur etwa ein Drittel der Erkrankten war in der Lage,
„to take the attitude of the other spouse“177. Bei fehlender Wahrnehmung von
Lebensschwierigkeiten, Krisen oder Asynchronien entfalle aber nach Riegels
Annahme der notwendige Motor für Entwicklung. Zusätzlich verlören die Kranken
immer mehr Energie-Input aus der Umgebung, da ihre kognitive Kapazität
abnehme, Umgebungsstimuli zu interpretieren, und sie insgesamt weniger mit
der Umwelt interagierten, so dass auch aus diesen Gründen Entwicklung bei
ihnen stagniere. Auch der Verlust des Selbst – mit G.H. Mead178 argumentiert
Wright, das Selbst existiere nur durch einen entwickelten Geist innerhalb des
Kontextes sozialer Erfahrung – führe bei dem demenziell erkrankten Menschen
dazu, dass Entwicklung aufhört.
Rückhalt für diese Argumentation gibt es in der Untersuchung von Lewis179.
Mehrere der von ihr befragten Ehegatten sprachen darüber, sich selbst weiter zu
entwickeln und den dementen Partner zurückzulassen. Sie sprachen von
Gefühlen der Schuld und des Ungenügens, wenn sie den Dementen nicht
verstehen, oder dass sie sich illoyal fühlen, wenn sie ihm offensichtlich abwegige
175
Riegel 1973, 5; zit. nach Wright 1993, 118
176
Wright 1993, 119
177
Wright 1993, 119
178
vgl. Mead 1977, 161; zit. nach Wright 1993, 120
179
vgl. Lewis 1998
52
Aussagen nicht glauben. Manche sprachen auch von Bedauern, alte Konflikte mit
dem Partner nicht mehr bereinigen zu können.
3.1.2.4
Sexualität
Hinsichtlich der Sexualität im Alter herrscht heute Übereinstimmung darüber,
dass das sexuelle Interesse erhalten bleibt, während die Frequenz sexueller
Kontakte im Vergleich zu früheren Jahren zurückgehen kann180. Dabei muss
allerdings bedacht werden, dass Befunde zur Alterssexualität in aller Regel in
Querschnittstudien erhoben worden sind, und wir deshalb nicht sicher wissen
können, ob hier tatsächlich Altersphänomene abgebildet worden sind oder
möglicherweise Kohorteneffekte181. Eine Langzeitstudie von George & Weiler182
beispielsweise fand über einen Zeitraum von 6 Jahren stabile sexuelle Aktivität
bei drei Alterskohorten (46-55, 56-65 und 77-71 Jahre alte Probanden). Für die
Alterssexualität sind zudem verschiedene Krankheiten bedeutsam, die im Alter
häufig sind und die sexuelle Funktionsfähigkeit beeinträchtigen können, z.B.
cardiovaskuläre
Erkrankungen,
Krebs,
Arthritis,
Diabetes
oder
die
Probleme
bei
Nebenwirkungen von Medikamenten.
Veränderungen
des
Sexualverhaltens
und
sexuelle
Demenzkranken können im Zusammenhang der nicht-kognitiven Symptomatik
der Demenz eingeordnet werden183. Die Veränderungen können entweder ein
Nachlassen oder eine Steigerung des sexuellen Interesses und der sexuellen
Aktivität sein. Derouesné und Kollegen184 weisen auf eine grundsätzliche
methodische Schwierigkeit der Forschung über die Sexualität Demenzkranker
hin, die darin liegt, dass alle Angaben von den gesunden Ehegatten gemacht
werden. Man kann nicht ausschließen, dass die so erhobenen Daten verfälscht
sind, nachdem sie durch den Filter der Wahrnehmung der Ehegatten gegangen
sind – einer Wahrnehmung, die infolge ihrer allgemeinen Pflegebelastung
möglicherweise selektiv ist .
Im Folgenden werden zunächst einige empirische Befunde zu quantitativen
Aspekten der Veränderungen rezipiert, daran anschließend Befunde zu eher
180
vgl. Übersicht bei Wright 1998, 167
181
vgl. Wright 1998
182
vgl. George & Weiler 1981; zit. nach Wright 1998, 167f.
183
vgl. Derouesné et al. 1996
184
vgl. Derouesné et al. 1996
53
qualitativen Fragen, insbesondere zu den Problemen, mit denen sich die Partner
der Demenzpatienten konfrontiert sehen.
(a) Quantitative Befunde zu Veränderungen des Sexualverhaltens
Derouesné et al.185 stellten in ihrem Sample bei Drei Viertel der Demenzpatienten
Veränderungen des Sexualverhaltens im Vergleich zu der Zeit vor dem Auftreten
der Demenz fest, wobei sie das Ausmaß der Veränderungen als moderat
bezeichnen. 70% der Ehegatten berichteten sexuelle Indifferenz des Patienten,
50% berichteten Veränderungen der sexuellen Praxis. Es gab keine Verbindung
zum kognitiven Status des Patienten, aber zu affektiven und allgemeinen
Faktoren wie Anhedonie, emotionalen Defiziten, Rückgang des Antriebs,
Schwere von Verhaltensstörungen und Stimmungsstörungen. Es gab auch keine
Korrelation zum früheren sexuellen Verhältnis der Gatten, aber zu einer guten
affektiven Beziehung und auch zu intimen, aber verdeckten sexuellen Kontakten.
Männer zeigten mehr Veränderungen als Frauen; Männer zeigten öfter
gesteigertes Sexualinteresse und enthemmtes Verhalten; aber umgekehrt
zeigten auch mehr Männer sexuelle Berührungsangst. 46% der gesunden
Ehegatten betrachteten die Veränderungen der Sexualität als mangelhafte
Bewältigung des Paares.
Wright186 verglich im Querschnitt Demenzpaare mit gesunden älteren Paaren und
fand Folgendes: Sie untersuchte die Häufigkeit von Gesten der Zuneigung (z.B.
Streicheln, Küssen, im selben Bett schlafen) und sah in beiden Gruppen im
Durchschnitt eine recht hohe Zuneigung, wobei sie allerdings in beiden Gruppen
eine breite Streuung feststellte. Keinerlei sexuelle Kontakte zu haben, berichteten
63% der Demenzpaare und nur 12% der gesunden Paare. 10% der DemenzPaare und 6% der Gesunden berichteten „occasional tries, attempts,
snuggles“187. Mindestens einmal monatlichen Sexualverkehr gaben 82% der
gesunden Paare und nur 27% der Demenz-Paare an. Die Häufigkeit unterschied
sich bei den beiden Gruppen: Bei den Demenz-Paaren reichte die Frequenz der
Kontakte von 1-2, 3-4, 6-8,10-, 14-mal und öfter pro Monat, bei den Gesunden
von weniger als einmal, bis 10-mal pro Monat. Sexuelle Kontakte waren deutlich
häufiger bei den Demenz-Paaren als bei den gesunden Paaren, insgesamt bei
den Demenz-Paaren etwa zweimal so häufig wie bei den Gesunden (im
185
vgl. Derouesné et al. 1996
186
vgl. Wright 1993, 1991
187
Wright 1993, 75
54
Durchschnitt 8-mal pro Monat vs. 4-mal). Wenn nur die älteren Paare über 60
Jahre
berücksichtigt
werden,
dann
hatten
die
älteren
Demenz-Paare
durchschnittlich 7,2-mal im Monat, die gesunden Paare durchschnittlich 2,4-mal
im Monat Geschlechtsverkehr. Entscheidend dabei ist aber, dass dieser
Unterschied allein auf das Konto einer kleinen Gruppe geht, nämlich einiger
weniger dementer Männer mit besonders hoher sexueller Aktivität (14%).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit Ausnahme weniger DemenzPaare, bei denen der demente Mann sexuell äußerst aktiv ist, Demenz-Paare im
Vergleich
zu
gesunden
Paaren
weniger
sexuelle
Kontakte
Übereinstimmend hierzu berichten auch Derouesné et al.
188
haben.
von sexuell
enthemmtem Verhalten bei einem geringen Prozentsatz der Demenzpatienten.
Wright untersuchte auch, wie hoch die Übereinstimmung der Partner in den
Bereichen der Affektion und der sexuellen Intimität war, d.h. ob sie z.B. immer
oder nie darin übereinstimmten, Sex zu haben oder sich zu müde dazu zu fühlen.
Für die Affektion stellte sie keine Unterschiede zwischen den Demenz-Paaren
und den gesunden alten Paaren ihrer Kontrollgruppe fest. Hinsichtlich der
Übereinstimmung bei sexuellen Themen gaben dagegen die dementen Männer
signifikant mehr Übereinstimmung an als ihre pflegenden Ehefrauen.
Die Art und Weise, wie die Demenz-Paare sich hinsichtlich Zuneigung und
sexueller Aktivität verhielten, war insgesamt äußerst vielgestaltig. Wright ordnete
sie 7 Mustern zu: (1) keine oder wenig Zuneigung, kein sexuelles Interesse
beider Partner; (2) mittlere bis hohe Zuneigung, kein sexuelles Interesse; (3)
keine oder wenig Zuneigung, verbal geäußertes sexuelles Interesse; (4) mittlere
bis hohe Zuneigung, verbal geäußertes sexuelles Interesse; (5) niedrige bis hohe
Zuneigung, Versuche sexueller Intimität („tries, attempts or snuggles“); (6)
niedrige bis hohe Zuneigung, regelmäßiger Sexualverkehr und (7) hohe
Zuneigung, Sexualverkehr von 10-mal pro Monat oder öfter.
In einer neueren Langzeitstudie verfolgte Wright189 die Veränderungen der
Sexualität bei Demenzpaaren und einer Kontrollgruppe gesunder alter Paare
über einen Zeitraum von 5 Jahren. Der Ausdruck von Affektion (z.B. den Gatten
küssen, streicheln, umarmen, im selben Bett schlafen) war nicht verschieden in
den beiden Gruppen für die Zeit vor Ausbruch der Demenz, hatte sich aber bei
den
Demenz-Paaren
nach
fünf
Jahren
Krankheitsverlauf
signifikant
verschlechtert. In der gesunden Gruppe blieb die Affektion stabil. Nach 5 Jahren
188
vgl. Übersicht bei Derouesné et al. 1996, 91
189
vgl. Wright 1998
55
waren weniger Demenz-Paare als gesunde Paare sexuell aktiv. Aber auch die
sexuelle
Aktivität
einiger
gesunder
Paare
nahm
während
des
Untersuchungszeitraums ab, während andere unverändert aktiv blieben.
Hypersexuelles Verhalten, das wenige männliche Patienten zeigten, ebbte
innerhalb von 2 Jahren ab. Wright schlussfolgert, die mittlere Phase der Demenz
kann die schwierigste sein hinsichtlich sexuellen Problemverhaltens. Wenn der
demente Partner in einem Heim untergebracht worden war, sah Wright einen
Anstieg der Affektion. Sie vermutet, dass vielleicht der Stress der häuslichen
Pflege aufgehört hat und positive Gefühle wieder auftauchen können.
Ballard et al.190 untersuchten Paare, bei denen ein Partner leicht bis mittelschwer
dement war. 22,5% der Paare gaben an, weiterhin sexuelle Beziehungen
zueinander
zu
haben.
Es
wurde
allerdings
nicht
konkret
nach
Geschlechtsverkehr gefragt. Es können somit auch andere Formen der
Sexualität hier inbegriffen sein. Alle sexuell noch aktiven Paare äußerten
Zufriedenheit. Auch die Mehrheit derjenigen, die nicht mehr sexuell aktiv waren,
äußerte sich zufrieden. Aber eine substanzielle Minorität (38,7%) äußerten
Unzufriedenheit. Unzufriedenheit war assoziiert mit vaskulärer Demenz und
jüngerem Patientenalter. Es gab einen Trend, dass männliche Pflegende eher
sexuell involviert blieben und einen inversen Trend zwischen sexueller Aktivität
des Paares und Halluzinationen des Patienten. Patienten mit besserem
abstrakten Denkvermögen waren signifikant eher sexuell aktiv.
Eloniemi-Sulkova et al.191 berichten, 10% der gesunden Ehegatten hätten einen
positiven Wandel der sexuellen Beziehung festgestellt. Von den zu Hause
gemeinsam lebenden Paaren praktizierten 5 Jahre nach Ausbruch der Demenz
noch 41% Geschlechtsverkehr, nach 7 Jahren Demenz nur noch 28%. Ein Drittel
der gesunden Gatten erlebte mehr Zärtlichkeit des Partners, seitdem dieser
dement war.
(b) Probleme im Bereich der Sexualität
Im folgenden Teil dieses Kapitels werden nun Ergebnisse berichtet über
Probleme, mit denen die gesunden Ehegatten im Bereich der Sexualität
190
vgl. Ballard et al. 1997
191
vgl. Eloniemi-Sulkova et al. 2002a
56
konfrontiert sind. Eine Klassifikation sexueller Probleme bei Alzheimer-Demenz
legten Haddad & Benbow192 vor, die drei Gruppen unterscheiden:
•
Probleme, die den vorhandenen Partner involvieren
•
Probleme, die neue Partner involvieren
•
Probleme, die unabhängig von einem Partner auftreten. Hierunter fallen
unangemessenes sexuelles Verhalten in der Öffentlichkeit, unangebrachtes
Sprechen über sexuelle Themen oder falsche sexuelle Anschuldigungen,
also z.T. Phänomene, die häufig als sexuelle Enthemmung bezeichnet
werden.
Aus einer neueren finnischen Querschnittstudie berichten Eloniemi-Sulkova et
al.193,
dass
60%
der
befragten
Ehegatten
zumindest
ein
sexuelles
Problemverhalten des Patienten während des Krankheitsverlaufs angegeben
hatten. Das häufigste negative Verhalten: Der Demente war nicht mehr in der
Lage, den sexuellen Bedürfnissen des Partners Beachtung zu schenken. 45%
der Ehegatten berichteten das.
Duffy194 untersuchte in einer Langzeitstudie über einen Zeitraum von 2 Jahren
die Muster des Sexualverhaltens von Demenz-Paaren. Die Autorin diskutiert ihre
Ergebnisse in einem familientheoretischen Bezugsrahmen.
Die Ehe als
Institution kontrolliert – so die Autorin – sexuelles Verhalten, indem sie es auf die
Ehebeziehung begrenzt. Vor diesem Hintergrund sei nachvollziehbar, dass die
von ihr befragten gesunden Ehegatten hypersexuelles Verhalten der Patienten
zwar als stressig einstuften, nicht aber als bizarr. Distress erlebten sie auch,
wenn Kranke ungewöhnliche Sexualpraktiken forderten. Ehefrauen hatten
Probleme, Grenzen zu setzen und Nein zu sagen, wenn sie keinen Verkehr mit
dem dementen Mann haben wollten. Dabei sei zu bedenken, diese Kohorte
heute alter Frauen habe oft ein Gefühl der Pflicht gegenüber den sexuellen
Wünschen des Mannes. Viele der befragten Ehefrauen sprachen in den
Interviews so auch von ehelicher Pflicht. Andere gaben den Wünschen nach, weil
sie Sex wie ein Therapeutikum einsetzten, denn sie hatten die Erfahrung
gemacht, dass es den Mann beruhigte. Wieder andere hatten Angst vor
Katastrophenreaktionen (Wut, Feindseligkeit) des Mannes, wenn sie sich ihm
verweigerten. Hypersexuelles Verhalten von dementen Männern zeitigte bei den
192
vgl. Haddad & Benbow 1993; zit. nach Derouesné et al. 1996, 91
193
vgl. Eloniemi-Sulkova et al. 2002a
194
vgl. Duffy 1995
57
Ehefrauen Gefühle des Stresses, der Angst und der Frustration, die von milder
Irritation bis zu starker Aversion reichen konnten. Andere berichteten ihre
Irritation, dass der Mann nicht mehr sexuell mit ihnen verkehrte, wie sie es
gewohnt waren. Sie beschrieben das Verhalten des Mannes als abrupt, roh und
ohne Rücksicht auf ihre Befriedigung oder ihr Vergnügen. Bei den pflegenden
Ehemännern gab es keinerlei derartige Aussagen. Keiner äußerte Probleme, den
sexuellen Wünschen der dementen Frau Grenzen zu setzen.
Dass
etliche
Frauen
wie
Männer
Unbehagen
empfanden,
mit
ihrem
195
zufolge
hilfebedürftigen Partner genitalen Sexualverkehr zu haben, weist Duffy
auf das Inzestverbot hin. Die gesunden Partner haben ihre Beziehung neu
definiert und betrachten sie nicht mehr als Ehe-, sondern als Mutter/Vater-KindBeziehung oder Pflegender-Patient-Beziehung. Aus der Perspektive des
Symbolischen Interaktionismus lässt sich erklären, dass dieselben sprachlichen
Ausdrücke (z.B. Kosenamen oder die Aussage „ich liebe dich“) und dieselben
Gesten (z.B. umarmen, streicheln, küssen), die vormals innerhalb der
Ehebeziehung als sexuelle Symbole erkannt worden waren, in dem neuen
Kontext der Beziehung zu Symbolen der Fürsorglichkeit oder Mütterlichkeit
werden. In diesem Zusammenhang sind die Berichte anderer Untersuchungen zu
verstehen, die über besondere Schwierigkeiten von Ehegatten berichten, wenn
sie den Partner im Genitalbereich waschen oder pflegerisch versorgen
müssen196. Oder umgekehrt, dass sich beispielsweise pflegebedürftige Männer in
ihrer sexuellen Identität bedroht fühlen, wenn ihre Frau bei ihnen Intimpflege
leisten muss197.
Aus der Perspektive der Exchange-Theory gerät das Austauschsystem zwischen
dem dementen und gesunden Gatten in ein Ungleichgewicht. Ehefrauen
berichteten in Duffys Studie, dass sie sexuelle Avancen des dementen Mannes
nicht mehr als Ausdruck der Liebe oder des Gebens ansahen. Sie betrachteten
sie als Kosten der Beziehung. Die gesunden Ehemänner berichteten solches
nicht.
Spezifische Probleme von Ehemännern dementer Frauen schildert eine
psychotherapeutische Fallstudie von Litz, Zeiss & Davies198. Der Mann klagte
195
vgl. Duffy 1995
196
vgl. Parker 1993; Lewis 1998
197
vgl. Zintl-Wiegand 1995
198
vgl. Litz, Zeiss & Davies 1990
58
über Erektionsprobleme, die erst seit der Demenzerkrankung seiner Frau
aufgetreten
waren.
Er
beschrieb
dramatische
Veränderungen
des
Sexualverhaltens seiner Frau. Sie seien ein „old-fashioned“ Ehepaar gewesen, er
habe früher die sexuelle Initiative ergriffen. Die stärkste Veränderung sei, wie
seine Frau jetzt sexuelle Wünsche artikuliere. Sie nehme beispielsweise seine
Hand und führe sie in ihren Genitalbereich und fordere ihn auf, sie sexuell zu
stimulieren. Die Psychotherapie brachte zwei Themen zu Tage: Die Angst des
Mannes, sie könne so etwas auch in der Öffentlichkeit tun, vor allem dann, wenn
er sie nicht genügend sexuell befriedigen könnte. Und zweitens das Gefühl des
Mannes, er könne seine Frau sexuell missbrauchen, wenn er mit ihr verkehre,
weil er nicht sicher von ihr erfahre, ob sie es auch wolle.
Basierend auf ihren klinischen Erfahrungen stellen die Autoren199 folgende
allgemeine Hypothesen über Ehemänner dementer Frauen auf: Viele Ehemänner
sind zurückhaltend, über sexuelle Probleme zu berichten. Sie halten es einerseits
für ein Tabuthema, andererseits befürchten sie, ihre sexuellen Probleme könnten
als egoistische Sorgen angesehen werden,
partner“
„taking advantage of one’s
200
. Oder sie glauben, Sex habe eine geringe Bedeutung. D.h. es sind im
allgemeinen Ängste, die Partnerin sexuell nicht befriedigen zu können oder
Ängste, es sei nicht angemessen, sich um die eigenen sexuellen Bedürfnisse zu
kümmern.
Der Krankheitsverlauf kann zu Veränderungen führen, wie sexuelle Wünsche
ausgedrückt werden, und zu Veränderungen der Erregungsmuster. Es kann nötig
sein, dass nicht-koitus-orientierte Sexualpraktiken angewendet werden (wie
manuelle Stimulation, Masturbation). Wenn beide miteinander sexuell verkehren,
dann wird der nicht-demente Partner mehr verantwortlich sein für den Fortgang
des Verkehrs. Dies kann den Gesunden in eine dysfunktionale Rolle bringen, wie
sie von Masters und Johnson beschrieben worden ist: „the involuntary
assumption of a spectator’s role during active sexual participation“201. Schließlich
kann die Krankheit sehr praktische Probleme erzeugen, wenn der Kranke sich
nicht einmal mehr wenige Minuten konzentrieren kann. Oder auch wenn der
Schwerkranke nicht mehr attraktiv ist für den Partner aufgrund seiner
Veränderungen des Aussehens, der Hygiene, ggf. Inkontinenz.
199
vgl. Litz, Zeiss & Davies 1990
200
Litz, Zeiss & Davies 1990, 115; Baikie 2002
201
Masters & Johnson 1970; zit. nach Litz, Zeiss & Davies 1990, 115
59
3.1.3
Situation des gesunden Ehegatten
3.1.3.1
Bedrohung des Selbst
Meist wird die Situation pflegender Angehöriger aus der Stress- bzw. BelastungsPerspektive betrachtet. Es fehlt in der Literatur weitgehend ein Verstehen der
psychodynamischen Aspekte, die sowohl dem Angehörigen die Bewältigung
seiner Situation erschweren als auch die Interaktion mit dem demenziell
Erkrankten beeinträchtigen können. Eine Ausnahme bildet die Arbeit von
O’Connor202, die aus der Perspektive der Psychologie des Selbst von Heinz
Kohut203 unbewusste Konflikte der Angehörigen demenziell erkrankter Menschen
beschreibt.
Der
Psychoanalytiker
Heinz
Kohut
trennte
sich
von
der
traditionellen
psychoanalytischen Prämisse, dass alles Verhalten und jede Entwicklung
unbewusst durch aggressive oder libidiöse Triebe motiviert sei. Stattdessen
schlug er die Entwicklung des Selbst als zentralen Fokus vor. Das Selbst ist für
Kohut der Kern der Persönlichkeit. Er definiert es als „experience of being one
who experiences“204. Wolf205 bezeichnet es als die schwer fassbare Essenz, die
verantwortlich ist für die psychische Struktur. Ihre Präsenz sei bewiesen durch
den gesunden Sinn eines Menschen für das Selbst, für Selbstachtung und
Wohlbefinden206. Die Entwicklung einer Selbst-Struktur hängt nach Kohut von
Selbstobjekt-Beziehungen ab. Das Selbstobjekt ist „an intrapsychic experience
which evokes, maintains or positively effects the sense of self”207. In der Kindheit
wird die Selbstobjektfunktion typischerweise von einer Person erfüllt, sie kann
aber auch in einem Objekt oder einem Symbol liegen (z.B. Musik). Kohut208
unterscheidet drei Typen von Selbstobjektbeziehungen:
•
Spiegeln: bezieht sich auf das Bedürfnis, dass jemand die eigenen Werke
und Taten wertschätzt.
•
Das idealisierte Selbstobjekt: bezieht sich auf das Bedürfnis, geschützt und
unterstützt zu sein in Zeiten des Stresses und der Spannung.
202
vgl. O’Connor 1993. Die Ausführungen in diesem Kapitel orientieren sich eng an O’Connor, soweit nicht
anders gekennzeichnet.
203
vgl. Kohut & Wolf 1978; zit. nach O’Connor 1993, 115
204
Kohut & Wolf 1978; zit. nach O’Connor 1993, 115
205
Wolf 1988; zit. nach O’Connor 1993, 115
206
Wolf 1988, 27; zit. nach O’Connor 1993, 11
207
Bacal & Newman 1990, 230; zit. nach O’Connor 1993, 116
208
Kohut & Wolf 1978; zit. nach O’Connor 1993, 116
60
•
Das Alterego oder Zwillings-Selbstobjekt: bezieht sich auf das Bedürfnis,
als jemandes Verwandter oder Zugehöriger erkannt zu werden209.
Wenn die Selbstobjektbeziehung adäquat ist, übernimmt das Selbst allmählich
Teile der Selbstobjektfunktionen. Das Kind entwickelt allmählich ein Gefühl des
Selbstvertrauens und Stolzes, wenn seine Spiegelungsbedürfnisse angemessen
erfüllt werden. Wenn ihm ein angemessenes idealisiertes Selbstobjekt zur
Verfügung steht, wird es sich allmählich selbst beruhigen und trösten können.
Kohut nennt diesen Prozess „transmuting internalization“ (umwandelnde
Internalisierung). Er nimmt an, dass kleine, nicht-traumatische Ausfälle der
äußeren Selbstobjekte die Fähigkeit des Kindes entwickeln, die Funktionen des
Selbstobjekts zu internalisieren. Dennoch bleibt auch bei Erwachsenen der
Bedarf an Selbstobjekten erhalten, besonders in Zeiten der Krise.
Das Altwerden an sich kann eine Bedrohung des Selbst darstellen. Für Radebold
stellt das Altern die vorletzte und nicht auszugleichende große narzisstische
Kränkung vor dem Sterben dar210. Lazarus schreibt „the greatest test of
narcissism is aging or old age“211. Die Auseinandersetzung mit körperlichen und
seelischen Einschränkungen, chronischer Krankheit und vor allem Trennungen
und Verlusten konfrontiert das Größen-Selbst mit der zerbrechlichen, begrenzten,
sterblichen Natur des Menschen212. „Die im Alter zu bewältigenden Verluste
betreffen neben körperlichen Phänomenen generative Funktionen, soziale Werte
und die realen Objektbeziehungen. Wenn die Repräsentanzen der verlorenen
Objekte überwiegend narzisstische Qualität hatten, lösen die Verluste Gefühle
tiefer Hilf- und Hoffnungslosigkeit aus. Verluste werden dann so empfunden, als
ob ein Teil des Selbst verloren oder zerstört ist, ohne die Chance zu sehen,
Ersatz zu schaffen.“213 Eine Demenz trifft Paare in der Regel im fortgeschrittenen
Alter. Das bedeutet, dass beide Partner, wenn sie alt sind, bereits unabhängig
von der Demenz mehr oder minder verletzlich hinsichtlich ihres Selbst sind. Die
Erfahrung der Demenz ist dann innerhalb einer Kette von Verlusterfahrungen
eine zusätzliche Herausforderung.
Für
den
Erkrankten
bedeutet
das
Auftreten
der
Demenz,
dass
das Selbst vergänglich wird, wenn mit zunehmenden Gedächtnisstörungen die
209
Basch 1988; zit. nach O’Connor 1993, 116
210
Radebold 1994a
211
Lazarus 1980, 74; zit. nach O’Connor 1993, 117
212
Kernberg 1978, 354f.; zit. nach Teising 1997, 74
213
Teising 1997, 75
61
Kontinuität der Erfahrung verloren geht. Zunächst gibt es Abwehrmechanismen,
wenn diese aber nicht mehr greifen, Katastrophenreaktionen. Kohut nennt eine
solche Reaktion „narcissistic rage“214, eine andere kann die Entwicklung
depressiver Symptome sein. Der Kranke braucht zunehmend Energie, um ein
Gefühl des Selbst aufrechtzuerhalten.
Der gesunde Ehegatte erfährt andere unbewusste Konflikte, wenn der Partner
demenziell erkrankt. Er ist konfrontiert mit dem Verlust eines bedeutenden
Selbstobjekts. Kohut zufolge zeichnet sich eine gute Ehe dadurch aus, dass die
Partner genau die Selbstobjektfunktionen bereitstellen, die der andere bei einer
vorübergehenden Beeinträchtigung des Selbst-Gefühls in einem bestimmten
Moment braucht. Aber selbst in einer schlechten Ehe kann die Beziehung helfen,
dass die Partner psychische, wenn auch möglicherweise pathologische Stabilität
haben215.
Die Auswirkungen des Verlustes hängen davon ab, wie gut der gesunde Partner
die Selbstobjektfunktionen des Partners in seine eigene Selbststruktur hat
integrieren können. Dabei spielt einerseits die seelische Gesundheit des nichtdementen Ehegatten als auch die Qualität der Partnerschaft eine Rolle.
Mit dem Konzept der „transmuting internalization“ von Kohut kann man
annehmen,
dass
in
einer
langandauernden
positiven
Beziehung
die
Selbstobjektfunktionen des Partners internalisiert worden sind. Dann würde die
Demenz der Partners keine gravierenden Beschädigungen des Selbst nach sich
ziehen.
Wenn
aber
in
der
vorangegangenen
Ehebeziehung
die
Selbstobjektfunktionen nicht internalisiert worden sind, weil sie die Bedürfnisse
nicht angemessen beantworten konnten, dann wird der betreffende Partner
weiter abhängig bleiben von den externalen Selbstobjekten, die der andere
bereitstellen könnte. Im Falle der Demenz bedeutet das dann eine ernsthafte
Gefahr für das Selbst des gesunden Partners. Er wird an den dementen Partner
klammern als Bereitsteller von Selbstobjekten. Folgen können sein, dass er die
Krankheit verleugnet, es ihm nicht gelingt, seine Erwartungen an den Dementen
und seine Interaktionsmuster zu verändern, oder dass er sein eigenes
Ungenügen auf den Kranken projiziert und ihn beschuldigt. Das alles wird noch
dadurch kompliziert, dass der gesunde Partner wenig Gelegenheit hat, mit den
eigenen Verlusten umzugehen und sie zu verarbeiten. Gerade in der Zeit, wo er
214
Kohut 1972, 147; zit. nach O’Connor 1993, 118
215
Solomon 1989, 121; zit. nach O’Connor 1993, 119
62
selbst vielleicht besonders verletzlich ist, lastet auf ihm ein enormer Druck, für
den dementen Partner zu sorgen und dessen wachsende Ansprüche an
Selbstobjekte zu befriedigen. Außerdem wird die herkulische Natur dieser
Aufgabe das verletzte Selbst weiter erodieren.
3.1.3.2
Auseinandersetzung mit existenziellen Themen
Die Angehörigen demenziell erkrankter Menschen sind nicht allein damit
beschäftigt, die alltäglichen Aufgaben der Betreuung zu meistern und dabei
tiefgreifende Belastungen in Kauf zu nehmen, die Situation konfrontiert sie auch
mit existenziellen Themen. Verlusterfahrungen, Trauer und Versuche der
Sinnfindung in einer extrem widrigen Lage kennzeichnen ihre Situation.
(a) Verlusterfahrungen und Trauer
Empirische Befunde zu Trauerreaktionen von Ehegatten dementer Menschen
sind selten. Während sich Hunderte von Studien mit
den Belastungen
pflegender Angehöriger beschäftigt haben, gibt es nur eine Handvoll Studien
über Trauer216.
Trauer (grief), die aus der Erfahrung einer chronischen Krankheit resultiert, ist als
chronischer Schmerz (chronic sorrow) bezeichnet worden217. Das Konzept
stammt ursprünglich von Olshansky218, der es für die Reaktionen von Eltern
behinderter Kinder entwickelte. Der Schmerz dieser Eltern bestand während des
gesamten Lebens fort, wenngleich die Schwere intra- und interindividuell je nach
den Umständen variierte. Der Unterschied zwischen einem akuten Trauerprozess
und
chronischem seelischem Schmerz, der durch eine chronische Krankheit
ausgelöst wird, liegt darin, dass die ständige Präsenz der Krankheit den
Trauernden daran hindert, die Trauer durchzuarbeiten und abzuschließen219,
etwa in der Weise, wie Kübler-Ross das für die einzelnen Phasen eines akuten
Trauerprozesses beschreibt220. Bestätigt wird dies in der Studie von Mayer221:
Die befragten Ehegatten von Demenzpatienten berichteten, sie stürzten
216
vgl. Meuser & Marwit 2001.
217
Lindgren 1996; zit. nach Mayer 2001, 49
218
Olshansky 1962; zit. nach Mayer 2001, 49
219
vgl. Lindgren 1996; zit. nach Mayer 2001, 50
220
vgl. Kübler-Ross 1969; zit. nach Mayer 2001, 50
221
vgl. Mayer 2001
63
besonders in der ersten Zeit von einer Trauerphase in die nächste und zurück.
„One day I was in denial and the following day I was back to shock“222. Die
Trauerreaktionen des gesunden Gatten auf die graduellen, aber unerbittlichen
Verluste durch die Demenz ebben ab und schwellen im Wechsel wieder an223.
Charakteristika chronischen Schmerzes sind nach Lindgren224:
•
„A sensation of sorrow or sadness over time in a setting that has no
predictable outcome.
•
The sorrow is repetitive and progressive in nature and ist likely to intensify
following the primary feelings of disillusionment, loss or apprehension.
•
The sorrow is caused by internal or external circumstances and includes the
individual’s feelings of disillusionment, loss or apprehension.”
Einen anderen theoretischen Zugang zu Trauerreaktionen bieten Rudd, Viney &
Preston225
an.
Sie
entwickelten
ein
konstruktivistisches
Modell
der
Verlusterfahrung von pflegenden Ehegatten, das auf der „personal construct
psychology“ von Kelly226 basiert. Danach versuchen die pflegenden Partner,
ihren aktuellen Erfahrungen einen Sinn zu verleihen, indem sie sie auf dem
Hintergrund ihrer vergangenen Erfahrungen interpretieren. Ihre bestehenden
Konstruktsysteme versagen jedoch angesichts der „pre-death-losses“, welche
durch die Demenz verursacht werden. Sie erleben dann einen Zustand der
Dislokation, der vier unterschiedliche Ausprägungen haben kann:
•
Sie werden ängstlich, wenn die Erfahrungen hinter dem Erfahrungshoriziont
ihrer Konstruktsysteme liegen227.
•
Sie erleben Trauer, wenn sie gewahr werden, dass Teile oder ihr gesamtes
Konstruktsystem nicht mehr zutreffend sind228.
•
Sie werden wütend, wenn Versuche fehlschlagen, ihr Konstruktsystem
aufrecht zu erhalten229.
•
Sie erleben Schuldgefühle, wenn sie erfahren, dass ihr eigenes Verhalten
nicht zu ihren Konstrukten, wie man sich üblicherweise anderen gegenüber
verhält, passt230.
222
Mayer 2001, 55
223
vgl. Lindgren, Connelly & Gaspar 1999
224
Lindgren 1996, zit. nach Mayer 2001, 50
225
vgl. Rudd, Viney & Preston 1999
226
vgl. Kelly 1955; zit. nach Rudd, Viney & Preston 1999, 220
227
vgl. Kelly 1955; zit. nach Rudd, Viney & Preston 1999, 222
228
vgl. McCoy 1977; zit. nach Rudd, Viney & Preston 1999, 222
229
vgl. Viney 1990 ; zit. bei Rudd, Viney & Preston 1999, 222
64
Mit den Konzepten der antizipierten Trauer und der partiellen Trauer, die in der
Literatur häufig mit dem Erleben von Angehörigen Demenzkranker in Verbindung
gebracht werden, setzt sich Garner231 in einer theoretischen Arbeit kritisch
auseinander. Der Begriff der antizipierten Trauer wurde von Theut et al.232 in den
Demenzdiskurs eingebracht. Freud233 schrieb von der Möglichkeit, dass
unbewusstes Trauern auftreten und zu einem gewissen Grad den Tod einer
nahestehenden Person vorwegnehmen könne, so dass der tatsächliche Verlust
weniger schmerzhaft sei. In der Literatur über Terminalpflege wird vom „livingdying-Intervall“
gesprochen,
einer
Zeit
mit
wechselndem
Befinden
des
Sterbenskranken, in welcher der Abbau progressiv voranschreitet und der
Wunsch nach einem baldigen Ende auftreten kann234. Dies alles könne auf die
Situation bei Demenz zutreffen. Garner argumentiert aber, das Phänomen der
antizipierten Trauer sei dennoch nicht zutreffend, denn in der Demenzsituation
erlebe
der
Angehörige
nicht
antizipierte,
sondern
aktuelle
Verluste,
beispielsweise Verluste der gemeinsamen Erinnerungen, des Kerns der
Beziehung usw. Obwohl Elemente antizipierter Trauer bei Angehörigen
Demenzkranker eine Rolle spielen, so liege das Schwergewicht doch auf
aktueller Trauer über aktuelle Verluste. Auch fehle ein ganz entscheidendes
Moment antizipierter Trauer im Falle der Demenz: Antizipierte Trauer gebe eine
Zeitspanne, in welcher der Trauernde seine persönliche Beziehung mit dem
Sterbenden ins Reine bringen könne235. Mit einem Demenzkranken sei dies aber
nicht mehr möglich, weil ihm die kognitiven Fähigkeiten dazu fehlten. Da sei nicht
länger ein Partner, mit dem man die Antizipation eines Verlustes verhandeln
könne, deshalb sei auch eine Bereinigung der persönlichen Beziehung mit ihm
nicht mehr möglich, oder sie werde zu einer Solitäraufgabe.
Das von Berezin236 beschriebene Konzept der partiellen Trauer hält Garner nur
für teilweise auf die Demenzsituation zutreffend. Es gebe zwar eine Zahl
partieller Verluste im Falle der Demenz (die Hausfrau, den Gärtner, den
Fahrer...), aber das Konzept sei unpassend, um den Verlust der Persönlichkeit
des Kranken vor seinem physischen Tod zu beschreiben.
230
vgl. Kelly 1955 ; zit. nach Rudd, Viney & Preston 1999, 222
231
vgl. Garner 1997. In diesem Absatz orientiere ich mich eng an Garner, sofern nicht anders vermerkt.
232
vgl. Theut et al. 1991; zit. nach Garner 1997, 178
233
vgl. Freud 1899, 1916; zit. nach Garner 1997, 179
234
vgl. Pattison 1978; zit. nach Garner 1997, 179
235
vgl. Rando 1986; zit. nach Garner 1997, 180
236
vgl. Berezin 1970, 1972; zit. nach Garner 1997, 179
65
Abschließend einige empirische Befunde zu Trauerreaktionen von Ehegatten
demenzkranker Menschen: Farran et al.237 beschrieben Trauerreaktionen der
Angehörigen,
die
mit
dem
Verlust
der
Beziehung,
der
veränderten
Kommunikation, dem Verlust der Freiheit des Pflegenden und dem Verzicht auf
Zukunftspläne
sowie
zusammenhingen.
dem
Meuser
Beobachten
&
Marwit
des
238
Verfalls
sahen
bei
des
Patienten
Ehegatten
von
Demenzpatienten einen linear mit dem Fortschreiten der Krankheit verlaufenden
Trauerprozess. Die Trauer der gesunden Ehegatten war paar-fokussiert, nicht
ich-bezogen und verwandelte sich in Frustration und Wut, wenn eine
Heimaufnahme erfolgte. Für Mayer239 ist wesentlich, dass die Reaktion auf
Verluste, welche die Ehegatten zeigen, mehr ist als das reine Gefühl der Trauer.
Trauer war in ihrem Sample begleitet von Angst, Zukunftsangst, Ungeduld und
Intoleranz, Wut, Verlust der Autonomie, Verlust der Interaktion mit dem Partner
sowie Schlafproblemen und begrenzten Erholungs- und Kontaktmöglichkeiten.
Die Probanden versuchten die Trauer mit unterschiedlichen Mitteln zu
bewältigen: Verleugnung, Wut, Verzweiflung, Vermeidung, manche aber auch mit
einer positiven Haltung. Rudd, Viney & Preston240 fanden Trauer und
Schuldgefühle
besonders
bei
Ehegatten,
deren
demenzkranker
Partner
institutionalisiert war, und insgesamt mehr Trauerreaktionen bei den pflegenden
Ehefrauen. Die häuslich pflegenden Ehegatten drückten mehr Wut aus,
besonders die Frauen. Lindgren, Connelly & Gaspar241 ermittelten Beziehungen
zwischen Trauer und emotionaler Gesundheit. Trauer variierte in ihrem Sample
nicht über die Spanne der Krankheit, mit Ausnahme der Komponente „Schuld“,
die besonders stark in der Anfangsphase auftrat. Eine vorher gute Beziehung
konnte Ehegatten offenbar ein Stück weit vor Trauer schützen. Zusammenhänge
zwischen
dem
Verlusterleben
der
aktuellen
Gefährtenschaft
und
Trauerreaktionen wurden merkwürdigerweise, und für die Autoren auch nicht
erklärlich, nicht gefunden. Ob das Trauern über die fortschreitende Demenz vor
dem Tod des Erkrankten den Tod, wenn er dann tatsächlich eintritt, für den
überlebenden Gatten leichter macht, ist umstritten242. Ehegatten äußern
manchmal den heimlichen, von starken Schuldgefühlen begleiteten Wunsch, der
demente Gatte möge bald sterben; ein Wunsch, der verständlich wird als
237
vgl. Farran et al. 1991. Sie untersuchten ein gemischtes Sample aus Ehegatten und anderen
Familienangehörigen Demenzkranker.
238
vgl. Meuser & Marwit 2001
239
vgl. Mayer 2001
240
vgl. Rudd, Viney & Preston 1999
241
242
vgl. Lindgren, Connelly & Gaspar 1999. Sie untersuchten ein gemischtes Sample aus Ehegaten und Kindern
Demenzkranker.
vgl. Überblick bei Meuser & Marwit 2001, 659; und Tower, Kasl & Moritz 1997
66
Ausdruck der Sehnsucht, den psychologisch erlebten Verlust endlich real
betrauern zu dürfen243, mit den dazu gehörigen Trauer- und Übergangsritualen,
in der für Trauernde vorgehaltenen Rolle und mit der dann zu erwartenden
Unterstützung durch die Umwelt.
(b) Der Situation einen Sinn verleihen
Der kleine Forschungsbereich, der sich diesen Phänomenen gewidmet hat,
grenzt sich von dem in der Angehörigenforschung vorherrschenden
Stress-
Coping-Paradigma ab und stellt die eigenen Ergebnisse oft in den Kontext
positiver Auswirkungen der Pflegesituation244. Es geht diesen Studien darum zu
verstehen, wie Angehörige ihrer Situation Bedeutung und Sinn verleihen. Dabei
wird das Konzept „caregiver meaning“ unterschiedlich gehandhabt, was auf die
Komplexität des Phänomens verweist245.
Pearlin et al.246 beispielsweise
unterscheiden in ihrem Modell der häuslichen Demenzpflege das Management
der Situation, der Symptome und der Bedeutung. Bei Wrigth et al.247 werden
problem-fokussiertes, emotionsfokussiertes und „appraisal-fokussiertes“ Coping
differenziert. Guiliano et al. definieren Sinn als “positive beliefs one holds about
one’s self and one’s caregiving experience such that some benefits or gainful
outcomes are construed from it.” 248 Diese Autoren sehen drei Aspekte von Sinn:
•
„reordering
priorities“:
Veränderung
der
Prioritäten
oder
der
Lebensphilosophie
•
„relationship fidelity“: sich nützlich oder gebraucht fühlen
•
„transcendent beliefs“: die Pflegeerfahrung mit höheren Überzeugungen
verknüpfen.249
Noonan, Tennstedt & Rebelski250 unterscheiden eine kognitive und eine
emotionale Dimension von Sinn. Die kognitive Dimension umfasst die
Überzeugungen, die Angehörige über ihre Situation haben; die emotionale
Dimension besteht aus der Befriedigung, den Belohnungen und Anerkennungen,
die sie aus ihrer Situation beziehen. Darüber hinaus sehen diese Autoren zwei
243
vgl. Gwyther & Blazer 1990; zit. nach Gunzelmann et al. 1996, 23
244
vgl. Farran et al. 1991, 1997; Noonan, Tennstedt & Rebelsky 1996
245
vgl. Noonan, Tennstedt & Rebelsky 1996
246
vgl. Pearlin et al. 1990
247
vgl. Wrigth et al. 1991; zit. nach Noonan, Tennstedt & Rebelsky 1996, 314
248
Giuliano et al. 1990, 2; zit. bei Noonan, Tennstedt & Rebelsky 1996, 314
249
vgl. Giuliano et al. 1990; zit. bei Noonan, Tennstedt & Rebelsky 1996, 315
250
vgl. Noonan, Tennstedt & Rebelsky 1996. Sie untersuchten ein gemischtes Sample aus Ehegatten und
anderen Familienangehörigen pflegebedürftiger Menschen.
67
unterschiedliche Dynamiken, nämlich einerseits „searching meaning“, d.h.
Versuche, einer Situation Sinn zu verleihen; und andererseits „finding meaning“,
d.h. eine Situation als sinnvoll zu erleben.
Farran et al.251 fanden in einer Studie zwei Gruppen existenzieller Themen, mit
denen Angehörige von Demenzpatienten sich beschäftigten:
•
Der Themenkomplex Macht und Machtlosigkeit: Hier ging es einerseits um
die Auseinandersetzung mit Verlusten bezogen auf die eigenen Gefühle
und bezogen auf den Kranken, andererseits um Gefühle der Machtlosigkeit
in verschiedenen Dimensionen, z.B. hinsichtlich der Wahlfreiheit zur Pflege,
Verstrickung in die Pflegesituation und Bewertung der Situation (z.B. nichts
Positives mehr in ihr entdecken zu können).
•
Der Themenkomplex Werte, Wahl und Sinn: Die Befragten nutzten
verschiedene Strategien, um der Pflegesituation einen Sinn zu verleihen.
Hierzu gehörten persönliche Entscheidungen (eine positive Haltung
einnehmen, sich auf die eigene seelische Kraft stützen, von Tag zu Tag
leben u.a.); die Wertschätzung der positiven Aspekte der Beziehung
(Familienbande betonen, Liebe und Zuneigung des Pflegebedürftigen
erleben, eine gute Beziehung mit ihm aufrecht erhalten u.a.); die Suche
nach einem provisorischen Sinn (z.B. Altruismus oder die Überzeugung,
das alles einen Grund haben müsse) und einem ultimativen Sinn (z.B.
Verknüpfung
der
Pflegeerfahrungen
mit
religiösen
oder
spirituellen
Überzeugungen).
Diese Autoren stützen sich theoretisch auf den Existenzialismus und speziell auf
die Logotherapie von Viktor Frankl252. Frankl beschreibt die ungeheure Kraft von
Menschen, Hoffnung zu schöpfen, und die Fähigkeit, inmitten schwierigster
Lebensumstände zu transzendieren und einen Sinn zu finden. Er bezeichnet die
Fähigkeit, über die aktuelle Situation hinauszuwachsen, als Willen zur
Sinnfindung253 oder Sinnfindung durch Leiden. Er nimmt an, dass Menschen in
einer konkreten Situation Sinn stiften, indem sie Entscheidungen treffen. Farran
und Kollegen schließen sich dieser Vorstellung an und argumentieren, wenn
pflegende Angehörige in ihrer Situation einen Sinn sehen, dann könne das aus
der Perspektive der Stresstheorie als Neubewertung der Situation angesehen
251
vgl. Farran et al. 1991. Sie untersuchten ein gemischtes Sample aus Ehegatten und anderen
Familienangehörigen Demenzkranker.
252
vgl. Übersicht bei Farran et al. 1997
253
Frankl 1963, 1967, 1978; zit. bei Farran et al. 1997, 254
68
werden. Aus der Perspektive des Existenzialismus handele es sich aber um eine
„transcendence or transformation of mind and affect“254. Die Angehörigen gingen
dabei
einen
Schritt
weiter
als
eine
Neubewertung
vorzunehmen,
sie
transformierten die Situation und kreierten dabei etwas Neues255. So sei zu
verstehen, dass Angehörige berichten, durch die Pflegeerfahrung persönlich
gewachsen oder ein anderer Mensch geworden zu sein256.
Bourgard257, deren theoretischer Bezugsrahmen ebenfalls der Existenzialismus
ist, betont in ihren Ergebnissen die Bedeutung des Zeitfaktors hinsichtlich des
persönlichen Wachstums der pflegenden Ehegatten. Im Vergleich zwischen drei
Gruppen (Ehefrauen, die nicht pflegten; Ehefrauen, die erst kurz pflegten, d.h.
weniger als 1 Jahr, und pflegeerfahrenen Ehefrauen, d.h. mehr als 2 Jahre
Pflegeerfahrung) berichteten die Erfahrenen mehr Kontrolle über ihr Leben und
weniger Gefühl der Machtlosigkeit. Verglichen mit Ehefrauen, die nicht pflegten,
empfanden die Pflegeneulinge mehr Machtlosigkeit und mehr existenzielles
Vakuum, ein geringeres Gefühl von Sinnhaftigkeit und Kontrolle über ihr Leben,
sowie mehr Verlustgefühle, sowohl bezogen auf den Gatten als auch auf die
eigene Person. Die erfahrenen pflegenden Ehefrauen unterschieden sich von
den Nicht-Pflegenden durch mehr Gefühle der Machtlosigkeit und mehr
Verlustgefühle bezogen auf den Gatten und die eigene Identität.
Eine andere Forschergruppe um Levine258 bezieht sich theoretisch auf die
existenzielle
Psychotherapie
von
Irvin
Yalom259,
der
vier
existenzielle
Hauptthemen beschreibt, nämlich Tod, Isolation, Freiheit und Sinn. Levine und
Kollegen diskutieren diese Themen in einer deskriptiven Arbeit in Bezug auf die
Ehegatten demenziell erkrankter Menschen:
Tod
Die Demenz sei wie ein schleichender Tod, die Persönlichkeit des Kranken
sterbe jeden Tag ein Stück mehr. Die Ehegatten erlebten die Situation wie eine
vorgezogene Verwitwung und seien in einen Trauerprozess involviert, der nicht
wirklich stattfinden könne, weil der demente Partner noch lebt („dead personality
254
Reker 1991; zit. nach Farran et al. 1997, 254
255
vgl. Cartwright et al. 1994, 254; zit. nach Farran et al. 1997, 254
256
vgl. Farran et al. 1991
257
vgl. Bourgard 1995
258
vgl. Levine et al. 1984
259
vgl. Yalom 1980; zit. nach Levine et al. 1984, 216
69
lingers in a surviving body“260). Die existenzielle Erfahrung sehen die Autoren
darin, dass der Tod eine unbewusste Furcht sei, die sich in vielerlei neurotischem
Vermeidungsverhalten oder in tod-aufschiebenden Ritualen manifestiere. Der
schleichende Tod des Dementen könne die unbewusste Furcht vor dem Tod bei
dem gesunden Gatten heraufbeschwören. Abwehrmechanismen wie die
Verleugnung der Krankheit können in diesem Kontext verstanden werden.
Isolation
In einer existenziellen Bedeutung zeigt der Begriff Isolation die „ultimative
unbridgeable separateness of each individual – the experience of separateness
from others in a deeply personal sense“261. Die Autoren ziehen den Vergleich zu
einem Astronauten, der vom Mutterschiff getrennt wird, und allein im Weltall ist,
„float alone in space forever“262. Der gesunde Ehepartner eines dementen
Menschen mache ähnliche Erfahrungen. Er fühle sich getrennt vom Partner, es
gebe
keine
Kommunikation,
er
finde
keine
Verbindung.
Dies
könne
lebensgeschichtliche Erfahrungen von Trennung und Konflikte in diesem
Zusammenhang wieder wach werden lassen, Erfahrungen der Trennung bei der
Geburt etwa263, den Separation-Individuations-Konflikt in der frühen Kindheit264
oder Trennungserfahrungen, die der Ausformung der Identität inherent sind265.
Freiheit
In einem existenziellen Sinn beinhaltet Freiheit – so Levine et al. - auch einen
Geschmack von Furcht: Wir sind frei, alles zu tun und alles zu unterlassen. Die
Gesellschaft beschränke uns mit ihren Regeln nicht nur, sie gebe uns damit auch
einen Rahmen und Sicherheit zum Leben. Obsessive Verpflichtung und
Unterwerfung unter Rituale sei eine Abwehr gegen diese furchteinflößenden
Aspekte der Freiheit. Auch die Ehe als gesellschaftliche Institution beschränke
auf der einen Seite die Freiheit, andererseits biete sie eben durch diese
Einschränkung Sicherheit. Im Falle der Krankheit eines Gatten stehe die Ehe
wieder auf dem Prüfstand: zusammen bleiben, sich trennen? Die Überlegung,
einen dementen Gatten zu verlassen, sei dabei keineswegs akademisch: Der
Gesunde habe den Eindruck, der Kranke habe ihn bereits verlassen. Zudem
werde der Kranke voraussichtlich vor dem Gesunden sterben. Das lade Letzteren
260
Levine et al. 1984, 217
261
Levine et al. 1984, 218
262
Levine et al. 1984, 218
263
vgl. Rankin o.A.; zit. nach Levine et al. 1984, 218
264
vgl. Mahler o.A. ; zit. nach Levine et al. 1984, 218
265
vgl. Erikson o.A.; zit. nach Levine et al. 1984, 218
70
ein, die Aussicht auf ein Leben allein zu betrachten, lange bevor der Kranke
wirklich tot ist. Und drittens erlebe der Gesunde immer wieder, dass andere ihn
aufforderten: „Denk an dich“, „Sorge auch für dich“ ... Das erinnere eine
“Alzheimer–Witwe“ an die „terrifying new series of choices that await her“266.
Yalom spricht von existenzieller Schuld und meint die Sünde der Unterlassung
aus einer Furcht heraus. Für Demenz-Ehegatten bedeute das eine Falle. Sie
seien immer schuldig: Entweder sie sorgen nicht genug für den kranken Gatten,
oder sie sorgen nicht genug für sich selbst. Für Interventionen bedeute das: Hilfe
geben, um eine „true choice“267 zu treffen, im Gegensatz zu einer Wahl aus
Furcht.
Sinn
Aus existenzieller Perspektive ist Sinn „something we inject into an inherently
meaningless universe“268. Für Ehegatten Demenzkranker sei es ein zentrales
Thema, der Krankheit und der Pflege einen Sinn zu verleihen.
Eine israelische Studie von Navon & Weinblatt269 illustriert, ohne sich auf ihn zu
beziehen, die von Levine theoretisch diskutierten Phänomene mit empirischen
Daten. Die Autorinnen interviewten pflegende Ehegatten in deren Wohnung und
beobachteten während des Interviews gleichzeitig die Interaktionen zwischen
Pflegenden und Pflegebedürftigen. Sie stießen auf drei Phänomene, die sie
Puppenspiel, Ritualismus und Vertigo nannten.
Puppenspiel
Die Beobachtung: Alle gesunden Ehepartner redeten, handelten und fühlten
sogar für die Erkrankten. „Suzy makes a habit of speaking to John about day-today things, even though he does not respond. She frequently turns to him with
questions, and when no answer is given, she answers for him. When her gaze
rests upon him she comments, ‘He’s tired’ or ‘He’s cold, we should close the
window’. When she ‚feels’ he is cold, she covers him, and when she ‚feels’ he is
hungry, she feeds him.”270 Die Autorinnen bezeichnen dieses Verhalten als
Puppenspiel und sehen darin einen Versuch, dem todgeweihten Partner wieder
Leben einzuhauchen und die Wahrnehmung des drohenden Todes zu
266
Levine et al. 1984, 220
267
Levine et al. 1984, 220
268
Levine et al. 221
269
270
vgl. Navon & Weinblatt 1996. Sie untersuchten ein Ehegattensample, das teilweise demente Patienten
enthielt, aber auch Pflegebedürftige mit anderen Diagnosen.
Navon & Weinblatt 1996, 333
71
verdrängen. Ein ähnliches Kommunikationsverhalten der Ehegatten wurde auch
in der Studie von Jansson271 et al. beobachtet.
Ritualismus
Die Beobachtung: Alle Partner zeichneten sich dadurch aus, dass sie einen
absolut geregelten Tagesablauf einhielten. Die Autorinnen bringen das mit
Ritualismus in Verbindung. Ritualismus habe die Funktion, über die Zeit eine
Konstanz zu erhalten. Wenn der heutige Tag genauso ist wie der gestrige, dann
wird der morgige voraussichtlich auch so sein wie der heutige. Die Autorinnen
sehen darin einen Versuch der gesunden Ehegatten, den drohenden Tod zu
verdrängen und die Kontrolle über die Situation zu behalten.
Vertigo
Beobachtung: Alle Partner hatten ihren gesamten Tagesablauf, das gesamte
„Leben“ auf den kranken Partner ausgerichtet. Sie nahmen sich kaum einmal
eine freie Minute für sich selbst. Sie lehnten Hilfe ab. Navon & Weinblatt
interpretieren dies dahingehend, dass diese Partner den Blick von Dritten nicht
zulassen können, weil dann der Illusionscharakter ihres Arrangements offenbar
würde. Sie können keine Zuschauer bei ihrem Puppenspiel gebrauchen. Meines
Erachtens ist dies eine interessante Erklärung für die Abgeschiedenheit, in der
Demenz-Paare oft leben. Hier wird soziale Isolation nicht simpel als Belastung
betrachtet, der die Ehegatten aufgrund ihrer Einbindung in die Pflege ausgeliefert
sind, sondern als psychodynamischer Mechanismus, den sie zu ihrem eigenen
Schutz wählen, und der selbstverständlich auf einer anderen Ebene auch mit
Belastungen einhergeht.
271
vgl. Jansson, Nordberg & Grafström 2001
72
3.2
3.2.1
Besonderheiten der ehelichen Pflegekonstellation
Übernahme der Pflegerolle und Motivation zur Pflege
„Decision? Decision? There was no decision. When it came time, I had no
choice. It’s like falling in love, no one has to tell you. You know.”
272
In Befragungen unter verheirateten Paaren, wen sie sich für den Fall des Falles
als Pflegeperson wünschen, rangieren die Ehegatten und die Kinder an erster
Stelle273. Die Ehe gilt im späten Alter als Hauptquelle für soziale Unterstützung274.
In der Rangliste der Personen, die familiäre Pflege für ältere Menschen leisten,
stehen an erster Stelle die Ehegatten des Pflegebedürftigen; erst wenn sie
erschöpft sind oder nicht zur Verfügung stehen, übernehmen Töchter an zweiter
Stelle die Verantwortung275. Immer wieder wird in der Literatur darüber berichtet,
wie selbstverständlich und fraglos Ehegatten die Pflege ihres Partners
übernehmen276. Was bringt diese Selbstverständlichkeit hervor? Hinweise
können soziologische und sozialpsychologische Theorien über das Helfen liefern,
ein anderer Zugang zu Motiven der Pflege sind ethische Aspekte der
Verpflichtung zwischen Eheleuten. Einen dritten Beitrag zu Erklärungen bietet die
Betrachtung geschlechtsspezifisch geformter Zugänge zur häuslichen Pflege.
3.2.1.1
Erklärungsansätze aus Theorien des Helfens
Soziale Normen motivieren die Bereitschaft zu helfen. Die Reziprozitätsnorm
besagt, zurückgeben zu müssen, wenn man etwas empfangen hat. Die
Gerechtigkeitsnorm betont das ausgewogene Verhältnis von Kosten und Nutzen,
und die Norm der sozialen Verantwortung besagt, dass man anderen helfen soll,
wenn sie krank, schwach oder sehr jung sind.277 Die Existenz solcher Normen
erklärt aber noch nicht, warum Menschen sich im Einzelfall daran halten.
Soziobiologische Theorien betrachten Helfen im Kontext der Evolution. Anderen
272
sagt eine befragte Ehefrau in der Studie von Orana 1990, 1248
273
vgl. Spitze & Ward 2000
274
vgl. Tower & Kasl 1996
275
vgl. Übersicht bei Seltzer & Li 2000, 165
276
vgl. z.B. Übersicht bei Hooker et al. 1992, 372; Orana 1990;
277
vgl. Brickman et al. 1982; zit. nach Schulz et al. 1990, 111
73
zu helfen sorge dafür, dass die Gattung und die eigenen Gene überleben
können278. Bezogen auf familiale Pflege kann dies die Sorge für jüngere
Personen erklären helfen, nicht jedoch für ältere demenziell erkrankte Ehegatten.
In sozialpsychologischen Theorien des Helfens werden egoistische und
altruistische Motive des Helfens unterschieden. Egoistische bzw. selbstdienliche
Motive sind u.a. soziale Anerkennung, Wertschätzung des Hilfeempfängers,
sozialen Normen genügen zu wollen, Bezahlung, Vermeidung von Tadel, sich
selbst
als
guten
Schuldgefühlen
Menschen
ansehen
zu
können,
Vermeidung
von
279
. Vor allem Gefühle der Verpflichtung spielen in familiären
Pflegekonstellationen eine große Rolle. Verpflichtungsgefühle entstehen nach
Greenberg280 bei einem Individuum, wenn es etwas von einem anderen
empfangen hat. Sie wachsen in dem Maße, in dem das Individuum spürt, dass
der andere aus altruistischen Gründen gegeben hat, oder auf Wunsch des
Empfängers, oder der Gebende Kosten investiert hat.
Verpflichtunsgefühle
erzeugen Erregung und Diskomfort und anschließend ein Bemühen des sich
verpflichtet Fühlenden, diese Regungen zu reduzieren281. Die „Exchange“Theorie von Duck282 besagt, wenn die Balance der Gerechtigkeit von Geben und
Nehmen in einer Beziehung nicht stimmt, dann werden die Partner versuchen, zu
einem neuen Gleichgewicht zu kommen. Wenn dies durch Taten nicht gelingt,
werden sie es über eine neue Bewertung der Leistungen versuchen, und wenn
dies für die gegenwärtige Situation nicht möglich ist, werden sie Bezug nehmen
auf den Ausgleich vergangener Leistungen. Boszormenyi-Nagy & Spark283 haben
die Bedeutung familiärer Verpflichtungen untermauert und den Begriff der
Gerechtigkeit als einen Hauptbegriff der Familientheorie eingeführt. Sie haben
die Existenz einer unsichtbaren familiären Kontoführung beschrieben, in der die
vergangenen und gegenwärtigen Verbindlichkeiten der Familienmitglieder
untereinander über lange Zeiträume, sogar generationsübergreifend erfasst sind.
Theorien über altruistische Motive des Helfens gehen davon aus, dass Menschen
helfen, weil sie fähig sind, die Perspektive des anderen einzunehmen, und dabei
eine emotionale Reaktion, Empathie, entwickeln. Die Stärke der altruistischen
278
vgl. Übersicht bei Schulz et al. 1990, 111
279
vgl. Übersicht bei Schulz et al. 1990, 109
280
vgl. Greenberg 1980; zit. nach Schulz et al. 1990, 109
281
vgl. Greenberg 1980; zit. nach Schulz et al. 1990, 109
282
vgl. Duck 1983; zit. nach Lewis 1998, 223
283
vgl. Boszormenyi-Nagy & Spark 2001
74
Motivation zu helfen wird als direkte Funktion der Größe der empathischen
Emotion angesehen.284
Bekannt ist aus sozialpsychologischen Arbeiten zum Helfen im öffentlichen Raum
der sogenannte „bystander effect“: Je mehr Zeugen und Zuschauer bei einem
Übergriff, Unfall oder einem ähnlichen Ereignis zugegen sind, desto geringer die
Chance, dass einer von ihnen dem Opfer beispringt285. Bezogen auf die
Ehegattenpflege könnte man vermuten, dass die Notwendigkeit zu helfen sehr
groß ist, weil es in monogamen Ehen keine „bystander“ in derselben Position wie
der Gatte gibt.
3.2.1.2
Erklärungsansätze aus der Ethik ehelicher Verpflichtung
Was schulden Eheleute einander im Alter? Mit dieser Frage analysierte Jecker286
ethische Dimensionen der Pflege demenziell erkrankter Ehepartner. Die
offensichtlichste Quelle ethischer Verpflichtungen in der Ehe ist das Versprechen,
das sich Eheleute während der Trauungszeremonie geben. Sie erklären dabei
öffentlich, einander zu achten und zu ehren, sowohl in guten als auch in bösen
Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis der Tod sie scheidet. Jecker
argumentiert, es gehe bei einer ethischen Analyse nicht darum, dieses Gelöbnis
wörtlich zu nehmen, sondern nach der tieferen Bedeutung und Signifikanz zu
suchen, die es repräsentiert. Sie unterscheidet dabei drei Quellen, aus denen
ethische Verpflichtungen unter Eheleuten hervorgehen:
(a) Verpflichtung zu einer persönlichen Beziehung
Die Ehe sei, anders als verwandtschaftliche Beziehungen, das Resultat einer
freiwilligen Entscheidung. Das Eheversprechen bringe zum Ausdruck, dass es
sich hierbei um eine Verpflichtung zu einer persönlichen Beziehung handelt, um
die Verpflichtung, diese Art der Beziehung zu unterstützen und zu fördern. „…one
holds a particular individual’s good as one’s own.“287 Persönliche Beziehungen
involvierten intimen Austausch in vielfältiger Form, z.B. Teilen, Pläne, Hilfe,
Geheimnisse, Problemgespräche, usw. Im Falle der Demenz eines Ehepartners
stellt sich die Frage, was mit der ethischen Verpflichtung geschieht, wenn eine
persönliche Beziehung mit dem demenzkranken Partner nicht mehr existiert?
284
vgl. Übersicht bei Batson & Coke 1983; zit. nach Schulz et al. 1990, 110
285
vgl. Latane & Darley 1970; zit. nach Schulz et al. 1990, 109
286
vgl. Jecker 1995
287
Jecker 1995, 159
75
Wenn der Kranke den Partner zum Beispiel nicht mehr erkennt, oder wenn mit
ihm das Gros intimen Austauschs nicht mehr möglich ist? Kann man eine
persönliche Beziehung zu jemandem haben, der einen nicht kennt? Jecker
antwortet nein, und folgert, aus der Verpflichtung zu einer persönlichen
Beziehung ließe sich eine Erklärung für ethische Verpflichtungen geben, solange
eine persönliche Beziehung zwischen den Eheleuten existiere. Wenn dies nicht
mehr der Fall sei, müssten andere Erklärungen greifen. Dies sei die Verpflichtung
aus Liebe und Freundschaft.
(b) Verpflichtung aus Liebe und Freundschaft
Nach anfänglicher Verliebtheit entsteht Liebe, so Jecker, mit der Zeit zumindest
teilweise aufgrund einer Vielzahl intimer Begegnungen, u.a. Besitz und Zeit
teilen, in gemeinsame Projekte involviert sein, Kontakt mit dem Körper des
anderen haben, Versprechen geben und Verpflichtungen eingehen288. Eine Ethik,
die auf Liebe gründet, bestehe nicht aus Rechten und Pflichten, sondern sei am
besten charakterisiert mit Tugenden wie Loyalität, Ehrlichkeit oder Vertrauen. In
Liebesbeziehungen seien die Grenzen zwischen den Individuen zu einem
gewissen Grad irrelevant. „…the lives of those who are close are not separable,
to be close is no longer to have a life entirely your own to live entirely as you
choose“289. Zu Ende gedacht, bedeutet dies einen spirituellen Charakter dieser
Beziehung. In der christlichen Auffassung von Ehe werden Mann und Frau eine
heilige Einheit, und ihre früheren, getrennten Leben hören auf zu existieren290. Es
stellt sich die Frage, was mit ethischen Verpflichtungen geschieht, wenn die
Liebe aufgehört hat zu existieren? Jecker schlussfolgert, dass in diesem Fall eine
weitere Quelle ethischer Verpflichtungen greift, nämlich die Verpflichtung
aufgrund der Bindung an eine spezielle Person.
(c) Verpflichtung aufgrund der Bindung an eine spezielle Person
Wenn weder eine persönliche Beziehung noch Liebe die ethische Verpflichtung
untermauern, dann kann es die Bindung an eine bestimmte Person sein, was in
der Ehe der Fall ist. Man kann nun anführen, dass auch diese Quelle ethischer
Verpflichtung im Falle der Demenz labil wird, da die Krankheit auch die
Persönlichkeit des Kranken nachhaltig verändert. Jecker hält dem entgegen, die
288
vgl. Graham & LaFollette 1989, zit. nach Jecker 1995, 162
289
Hardwig 1990, 6; zit. nach Jecker 1995, 163
290
vgl. Graham 1989; zit. nach Jecker 1995, 163
76
Persönlichkeit bestehe nicht nur aus intrinsischen Qualitäten, sondern auch aus
sozialen (man ist jemandes Ehefrau, Nachbar usw.). Es gelinge Ehegatten nur
dann, die Pflege des dementen Partners mit Dankbarkeit und Würde auszuüben,
wenn sie ihr Bedeutung verleihen im Licht der vergangenen Beziehung. Das
könne überdauernde Liebe sein oder die Referenz des Pflegenden an die
gemeinsame Geschichte und Beziehung.
Nach Auffassung von Jecker endet die ethische Verpflichtung zur Pflege eines
Ehegatten dann, wenn der Selbstrespekt und die Würde des Pflegenden in
Gefahr geraten. Dies geschehe, wenn Pflege ausbeuterisch werde, was für
Jecker der Fall ist, wenn die Bedürfnisse des Pflegenden ständig und nachhaltig
durch die Bedürfnisse des Pflegebedürftigen verdrängt werden.
Zum Schluss noch ein empirischer Befund zum Thema der Ethik ehelicher
Verpflichtung: Wright291 verglich die Verpflichtungsgefühle von gesunden alten
Paaren und Paaren, die mit Demenz konfrontiert waren. Sie unterschied zwei
unterschiedliche
Motivationen, für den Partner da zu sein: zum einen die
Verpflichtung, weil man den Partner als einzigartige Person schätzt, und zum
anderen, weil man die Ehe als Institution ansieht und sich aus diesem Grunde
dem Partner verpflichtet fühlt. Den Paaren wurden diese beiden Varianten bei
den Fragen, warum sie den Partner geheiratet hatten und warum sie verheiratet
geblieben sind, vorgelegt. Der Großteil der Befragten aus beiden Gruppen gab
an, geheiratet zu haben, weil man den Partner als Person geschätzt habe.
Dieses Motiv war bei den gesunden Paaren im Laufe der Ehe sogar noch
angestiegen. Auf die Frage, warum man verheiratet geblieben sei, gaben mehr
gesunde Paare als in der ersten Frage die Wertschätzung der Person des
Partners als Grund an. Bei den von Demenz betroffenen Paaren blieben die
Werte konstant bei beiden Fragen, ein Ergebnis, das dahin interpretiert werden
muss, dass sich sehr viele Paare trotz der Demenz weiterhin der Person und
nicht der Institution Ehe verpflichtet fühlten.
291
vgl. Wright 1993
77
3.2.1.3
Erklärungsansätze aus der Geschlechterperspektive
Bei pflegenden Angehörigen aus der Kindergeneration ist die ungleiche
Verteilung der Geschlechter evident. Es gibt vor dem Hintergrund der Zahlen292
eine breite Forschungstätigkeit und Diskussion293 über die unterschiedlichen
gesellschaftlichen Erwartungen und daraus folgenden Entscheidungsdilemmata,
mit denen Töchter und Schwiegertöchter auf der einen Seite und Söhne bzw.
Schwiegersöhne auf der anderen Seite im Falle der Pflegebedürftigkeit eines
Elternteils konfrontiert sind. Bei Ehegatten liegt die Sache anders. Bei ihnen sind
die Geschlechtsunterschiede in der Pflegebeteiligung weniger drastisch: In der
Altersgruppe 65-79 Jahre wurden 39% der Pflegebedürftigen von Ehefrauen und
22% von Ehemännern zu Hause gepflegt, bei den Älteren (80 aufwärts) waren es
12% bzw. 5%294. Eine vergleichbare Debatte über geschlechtsspezifisch
geformte Zugänge zur Pflege, wie sie bei pflegenden Kindern geführt wird, findet
sich in der Literatur über pflegende Ehegatten nicht. Es wird eher bei beiden
Geschlechtern von einer großen Selbstverständlichkeit ausgegangen, die Pflege
zu übernehmen295. Gelegentlich gibt es Hinweise, dass auf Ehefrauen ein
höherer Erwartungsdruck lastet296, und dass Ehemänner eher Chancen haben,
eine schwierige häusliche Betreuung aufzukündigen, ohne Sanktionen fürchten
zu müssen297.
Aus einer frühen qualitativen Studie gibt es Hinweise darauf, dass Männer ihre
Motivation zur Pflege eher mit Begriffen der Liebe, Frauen eher mit Begriffen der
Pflicht beschreiben298. In einer vergleichenden Studie zwischen Ehefrauen,
Ehemännern und Töchtern von Demenzkranken bewerteten die Ehemänner die
frühere und die aktuelle Beziehung zum Erkrankten am positivsten299. Aus diesen
beiden Befunden lässt sich der Hinweis ableiten, dass diejenigen Ehemänner,
die pflegen, wahrscheinlich solche sind, die besonders stark lieben, während
292
vgl. Schneekloth et al. 1996. Im Jahr 1994 wurden in Deutschland in Privathaushalten Pflegebedürftige im
Alter von 65-79 Jahren zu 30% von Töchtern oder Schwiegertöchtern, nur zu 2% von Söhnen gepflegt. Bei
älteren Pflegebedürftigen (80 aufwärts) waren es sogar 61% Töchter und Schwiegertöchter im Verhältnis zu
5% Söhnen.
293
vgl. z.B. Bracker et al. 1988; Backes 1994
294
vgl. Schneekloth et al. 1996
295
vgl. z.B. Übersicht bei Hooker et al. 1992, 372; Orana 1990
296
vgl. z.B. Faust-Jacoby & Kling 1991
297
vgl. z.B. Montgomery & Koslowski 1994, die für pflegebedürftige Frauen, die von ihren Ehemännern gepflegt
wurden, ein höheres Risiko der Heimunterbringung fanden als für pflegebedürftige Ehemänner.
298
vgl. Ungerson 1987
299
vgl. Beeson et al. 2000
78
diejenigen, die ihre Frau nicht (mehr) so sehr lieben, nicht pflegen. Bei den
Ehefrauen, die im Vergleich zu Ehemännern häufiger pflegen, scheinen
demgegenüber auch diejenigen sich zur Pflege verpflichtet zu fühlen, deren
Ehebeziehung weniger durch Liebe geprägt ist. Das bedeutet ein Bias in den
Samples,
z.B.
in
Bezug
auf
die
Interpretation
von
Ergebnissen
zur
unterschiedlichen Belastung von pflegenden Ehefrauen und Ehemännern (vgl.
Kapitel 3.2.3 und 4.3.2.2)
3.2.2
Pflegealltag
In diesem Kapitel werden Untersuchungen rezipiert, die sich um ein Verstehen
der Alltagsperspektive der häuslichen Pflege bemüht haben. Dies ist bezogen auf
die Ehegatten dementer Menschen ein sehr kleiner Forschungsbereich, der
überwiegend mit qualitativen Methoden arbeitet. Es geht darum zu beschreiben,
wie Ehegatten ihre Pflegerolle wahrnehmen, welche Aufgaben den gesunden
Ehegatten mit der Pflege des Dementen zuwachsen, und welche Zielsetzungen
sie bei der Betreuung verfolgen.
3.2.2.1
Pflegerolle und Aufgaben
In diesem Kapitel stelle ich zunächst Befunde dar, wie die Ehegatten ihre neue
Rolle wahrnehmen. Im zweiten Teil beschreibe ich, welche Typen von Aufgaben
mit der Betreuung des Demenzkranken für sie verbunden sind.
O’Donnell300 entdeckte in ihrer qualitativen Studie neun Themen, mit denen die
Ehegatten Demenzkranker ihre alltäglichen Pflegeerfahrungen beschrieben: Ein
allgemeines Gefühl der Unsicherheit: eine total bizarre Situation („There are no
guidelines“, „You can’t predict anything“). Es entsteht ein Klima der Treue zur
Pflege: Trotz schwerster Belastungen halten die Ehegatten durch. Je mehr sich
der Zustand der erkrankten Person verschlechtert, desto mehr Stärke gewinnt
der Angehörige. Deutlich wurde in den Berichten der Ehegatten eine ständige
Aufmerksamkeit auf die Veränderungen des Kranken und das Bemühen, ihn
möglichst gesund und sicher zu erhalten. Bei Hospitalisation entwickelten die
Ehegatten eine Anwaltsrolle. Sorgen um die Zukunft des Kranken tauchten auf,
300
vgl. O’Donnell 1998, 2000
79
wenn die eigene Gesundheit sich verschlechterte. Finanzielle Sorgen tauchten
auf, wenn der Gesunde Entscheidungen für das „couple as one“ treffen musste.
Humor spielte eine Rolle. Die Krankheit erscheint als Schicksal.
Purcell301 stieß in ihrem Ehegattensample auf folgende der Pflegeerfahrung
zugrundeliegende
Themen: Management der Umgebung, Disengagement,
Lernen zu bewältigen, Wechsel der Verantwortlichkeiten, Reaktion auf
Verwirrtheit des Ehegatten, Gefühl der Hilflosigkeit und Burning out. Die beiden
letztgenannten Themen waren am seltensten in diesem Sample. Am stärksten
betroffen waren die gesunden Ehegatten durch die Auseinandersetzung mit der
Verwirrtheit des Gatten und durch die Veränderungen der Verantwortlichkeiten
innerhalb ihrer Ehebeziehung.
Hepburn
und
Kollegen302
untersuchten
in
einer
qualitativ-quantitativen
Längsschnittstudie ein größeres Sample pflegender Ehegatten Demenzkranker
(132 Personen) und identifizierten vier verschiedene Framing-Kategorien, mit
denen die Ehegatten ihre Pflegerolle einordneten:
•
Die Kategorie „relational“: Die Ehegatten dieser Gruppe beschrieben die
Pflegesituation im Kontext ihrer Ehebeziehung (vergangen, gegenwärtig,
zukünftig). Sie integrierten die Pflegerolle in die Ehegattenrolle. Sie sahen
die Pflege nicht als separate Aufgabe, sondern als Teil ihrer gesamten
Lebensstruktur. In ihren Narrativen dominierte das Personalpronomen „wir“.
•
Die Kategorie „instrumental“: Diese Ehegatten bezogen sich nicht auf die
Ehebeziehung,
sondern
betonten
die
zusätzlichen
Aufgaben
und
Belastungen, die durch die Demenz des Partners auf sie zugekommen
waren.
Der Fokus der Narrative war ich-zentriert, die persönlichen
Fürwörter „ich“ bzw. „sie/er“ dominierten.
•
Die Kategorie „reaktiv“: Diese Ehegatten bezogen sich auf die Beziehung,
wobei sie die Veränderungen der Beziehung fokussierten. Sie beschrieben
häufig eigene Wut und Enttäuschung wegen des Verlustes der gewohnten
Beziehung. In ihren Berichten wechselten die persönlichen Fürwörter „wir“
und „ich“ bzw. „sie/er“ ab.
•
Die Kategorie „Rollenzuwachs“: Diese Gatten, eine kleine Gruppe,
beschrieben die Pflege als Gewinn von zusätzlichen oder neuen Rollen und
Fähigkeiten. Im Gegensatz zu der Kategorie „instrumental“ drückten sie
301
vgl. Purcell 2000
302
vgl. Hepburn et al. 2002
80
nicht nur Belastung, sondern auch persönlichen Gewinn, zum Beispiel
Zufriedenheit und Stolz aus. Ihr syntaktischer Fokus war das „ich“.
Die Gruppen unterschieden sich in den Outcomes: Die Relationalen waren am
besten dran, zeigten weniger Distress und positivere Coping-Statements. Die
Instrumentalen erschienen ichbezogener, zeigten wenig Sympathie zum Gatten
und mehr Distress und Frustration. Die Reaktiven erschienen ambivalenter als
instrumentelle und relationale Gatten. Sie drückten weiter eine bestehende
Beziehung zum Gatten aus, gleichzeitig ein Gefühl des Verlustes der Beziehung.
Die Gatten der Kategorie „Rollenzuwachs“ waren die traurigsten unter allen,
drückten aber auch Gefühle der Zufriedenheit über die eigene Entwicklung aus.
Wie die Reaktiven sprachen sie viel über den verlorenen Gatten, erwähnten aber
auch weiterhin gemeinsame Aktivitäten.
Aufgaben der häuslichen Pflege können allgemein unterteilt werden in physische
Arbeit, emotionale Arbeit und Verantwortung für das Management und die
Organisation der Pflege303. Jansson, Nordberg & Grafström304 beobachteten die
Interaktionen der gesunden und dementen Ehepartner zu Hause und berichten
vier allgemeine Aufgaben der Pflege, die neun Kategorien enthalten:
•
Aktivitäten des täglichen Lebens: (1) Hygiene, An- und Auskleiden;
(2) Mahlzeiten, Medizin
•
Kommunikation:
(3)
Kommunikation;
und
Beobachtung
(4)
Empathie,
Reflexivität;
(5) Nähe
•
Beaufsichtigung
des
Kranken:
(6)
Aufsicht;
(7) Erinnerungshilfen
•
Aktivität, Stimulation: (8) körperliche Aktivierung; (9) geistige Stimulation
Die Befunde demonstrieren die Komplexität und Multidimensionalität der
Pflegesituation. Die Aufgaben rangieren von Beobachtung des Kranken bis zu
anstrengender körperlicher Pflege. Die Ehegatten zeigten sich besorgt, Schaden
von dem Kranken abzuhalten, seine individuelle Integrität zu schützen, sein
Selbstbild und seine Identität zu erhalten. Sie versuchten, so weit wie möglich ein
„normales“ Leben weiter zu führen. Viele waren hoch engagiert, den Kranken zu
produktiver Beschäftigung anzuleiten.
303
vgl. Qureshi & Walker 1989
304
vgl. Jansson, Nordberg & Grafström 2001
81
Die Kommunikation stellt einen zentralen Aufgabenbereich des alltäglichen
Umgangs mit dem Kranken dar. 90-100% der Demenzkranken zeigen Störungen
der Sprache und der Kommunikation305. Muster der Störungen werden analog
der klinischen Demenzstadien beschrieben306. In der ersten Phase der Demenz
vom Alzheimer-Typ zeigen die Patienten subtile Wortfindungsstörungen und
Störungen des Verständnisses abstrakter Sprache (z.B. von Metaphern), in der
mittleren Phase benutzen sie weniger Substantive und Verben, haben LeseVerstehens-Probleme und signifikante Probleme des Verstehens in alltäglichen
Kommunikationssituationen. In der späten Phase verschwindet die Sprache
entweder vollständig, oder die Patienten produzieren bedeutungslose Worte, das
Sprachverständnis ist eingeschränkt. Trotz dieser Schwierigkeiten fand man in
Untersuchungen Hinweise, dass die Kommunikation mit Demenzkranken
generell bedeutungsvoll und produktiv sein kann307.
In
einer
Beobachtungsstudie
kommunikativer
Alltagssituationen zwischen
dementen Männern und ihren Ehefrauen beobachteten Gallagher-Thompson et
al.308 beispielsweise, dass die gesunden Paare der Kontrollgruppe zwar
wesentlich interaktiver waren und mehr Ideen austauschten, doch blieben einige
Aspekte der Kommunikation bei den Demenz-Paaren bemerkenswert intakt. Die
kranken Männer konnten die Form der Unterhaltung gut aufrecht erhalten. Sie
unterbrachen selten, sprachen auch nicht neben dem Thema oder zogen sich
nicht häufiger von der Konversation zurück als die nicht-dementen Ehemänner
der Kontrollgruppe. Aber sie brauchten weniger Worte und schienen viel von ihrer
Fähigkeit verloren zu haben, Dinge zu planen und langfristige Lösungen für
Aufgaben vorzuschlagen. Sie hatten eine gute Fähigkeit, Humor zu verstehen
und zu benutzen, und sie hatten eine gute Fähigkeit im Bereich des Rapports,
d.h. in ihrer Fähigkeit, eng an die Rede der Gattin anzuknüpfen oder Rapport
herzustellen über Lächeln. Die pflegenden Ehefrauen waren im Vergleich zu den
Ehefrauen der gesunden Kontrollgruppe weniger unterstützend hinsichtlich der
Ideen ihrer Ehemänner. Sie investierten mehr in Problemlösung und Erklärung
von Themen.
305
vgl. Kempler 1991; zit. nach Orange et al. 1998, 121
306
vgl. Übersicht bei Orange et al. 1998, 121
307
vgl. Übersicht bei Orange et al. 1998, 135
308
vgl. Gallagher-Thompson et al. 2001
82
Roberto et al.309 beobachteten ebenfalls Alltagskommunikation zwischen
dementen Patienten und ihren Ehegatten und fanden drei verschiedene Muster :
(1) Parallele Kommunikation: Der Gesunde redet ständig auf den Kranken ein.
Der antwortet anfänglich angemessen, allmählich gerät das Gespräch aber in
zwei parallele Verläufe, ist nicht mehr interaktiv. Diese Ehegatten berichteten
das höchste Ausmaß an Stress und Belastung. (2) Ständiges Fragen: Der
gesunde Partner richtet permanent Fragen an den Kranken, ohne auf die Antwort
zu warten. (3) Repetitive Kommunikation: Der gesunde Partner redet mehr als
der Kranke, ist direktiv und wiederholt vieles. Dieser Stil zeitigte die wenigstens
Verhaltensprobleme auf Seiten des Kranken und war am wenigsten mit Stress
und Belastung auf Seiten des gesunden Gatten verbunden.
Kemper et al. beobachteten die Bemühungen der gesunden Ehegatten, ihren
Kommunikationsstil
an
die
eingeschränkten
Möglichkeiten
des
Kranken
anzupassen. Sie variierten die Komplexität und den Gehalt ihrer Aussagen,
reduzierten die syntaktische und semantische Komplexität und bezogen sich
verstärkt auf Hauptaussagen310. In einer zweiten Studie wurden die Paare
aufgefordert, aus ihrem Leben zu erzählen. Dabei unterstützten die gesunden
Gatten die Kranken, indem sie bei Gedächtnislücken nicht einfach die fehlenden
Informationen ersetzten, sondern dem Kranken Schlüsselhinweise gaben, damit
er selbst die Erinnerungen wieder auffinden konnte. Die Patienten konnten auf
diese
Weise
wesentlich
länger,
elaborierter
und
mit
weniger
Wortfindungsstörungen erzählen, als sie dies in einer Solo-Situation gezeigt
hatten311.
Eine ganz andere Aufgabe, die auf die pflegenden Ehegatten zukommen kann,
greift eine Studie von Mezey et al.312 auf. Sie untersuchten die antizipierte
Entscheidung von Ehegatten hinsichtlich lebensverlängernder Behandlung bei
einer angenommenen zusätzlichen kritischen körperlichen Krankheit des
Dementen. Etwa zu gleichen Teilen sprachen sich die Befragten bei einer
angenommenen kritischen Krankheit ihres dementen Gatten für und gegen den
Einsatz von Reanimation, künstliche Beatmung oder PEG aus. Signifikant eher
bereit, auf Behandlung zu verzichten, waren die Ehegatten im Fall eines
irreversiblen Komas. Sie waren hier auch sicherer, dass ihre Entscheidung richtig
309
vgl. Roberto et al. 1998
310
vgl. Kemper et al. 1994
311
vgl. Kemper et al. 1995
312
vgl. Mezey et al. 1996
83
sei. Auch die Ehegatten fortgeschritten dementer Patienten waren eher bereit,
auf Behandlung zu verzichten. Es gab insgesamt eine Korrelation zwischen der
Sicherheit, eine richtige Entscheidung getroffen zu haben, und dem Trost, den
der Befragte empfand. Diejenigen, die einer Behandlung zustimmten, empfanden
mehr Trost, als diejenigen, die auf Behandlung verzichten wollten.
3.2.2.2
Zielsetzungen bei der Betreuung des erkrankten Gatten
Für Corbin & Strauss313 involviert eine chronische Erkrankung die Pflegenden in
eine Spirale von Arbeit, die während des Krankheitsverlaufs zu tun ist. Sie
unterscheiden dabei drei Arten von Arbeiten: Krankheitsarbeit (Prozesse und
Aufgaben, um direkt die Krankheit zu managen), biographische Arbeit
(Anstrengungen, die individuelle und Familienidentität zu definieren und zu
erhalten) und Alltagsarbeit (Routinen der täglichen Aufgaben). Diese drei
Aufgabenbereiche stehen in Spannung zueinander, weil der Pflegende nicht
genug Ressourcen hat, um alle gleichermaßen auszufüllen. Deshalb wechselt
der Fokus je nach Situation, und die Pflegenden treffen Entscheidungen
hinsichtlich der Zielsetzungen ihrer Arbeit.
Bowers314
unterscheidet
Pflegeaufgaben
fünf
nach
Typen:
der
Zielsetzung
antizipierende,
bzw.
präventive,
Bedeutung
von
supervisorische,
instrumentelle und protektive Pflege. Bowers nimmt an, dass Spannungen und
Belastungen bei der Pflege nicht so sehr wegen der Aufgabenperformance
auftreten, sondern resultieren, wenn der Pflegende das Ziel, das er mit der Pflege
erreichen wollte, nicht erreicht. Corcoran315 überprüfte dieses Modell an einem
Demenz-Ehegattensample
und
fand
es
weitgehend
bestätigt.
Demnach
unterscheiden Ehegatten folgende Zielsetzungen bei ihrer Pflege:
Antizipierende Pflege
Gemeint sind Verhaltensweisen oder Entscheidungen, die auf antizipierten,
möglichen Bedürfnissen des Erkrankten beruhen316. Die pflegenden Kinder in
Bowers’ Studie taten sich schwer mit dieser Art von Pflege für die Eltern, sie
glaubten zu sehr einzugreifen. Demgegenüber berichteten die Ehegatten in
313
vgl. Corbin & Strauss 1988; zit. nach Corcoran 1993b, 38
314
vgl. Bowers 1987; zit. nach Corcoran 1993b, 39
315
vgl. Corcoran 1993b
316
Bowers 1987, 25; zit. nach Corcoran 1993b, 41
84
Corcorans Studie besonders gern und oft über diese Pflege. Stolz war spürbar,
sie bezogen sich dabei auf die vielen gemeinsamen Jahre, die dazu geführt
hatten,
dass
sie
den
Partner
und
seine
Bedürfnisse
gut
kannten.
Präventive Pflege
Dies bedeutet aktives Beobachten des Patienten und der Umgebung, um
körperliche Verletzung oder mentale Verschlechterung zu vermeiden. Dazu
zählten mentale Übungen (nur wenige Pflegende nutzten dies), Orientierung des
Patienten in der Realität, gute Ernährung, Arztbesuche und ähnliches.
Supervisorische Pflege
Gemeint ist hoch aktives, direktes Beobachten des Patienten während seiner
Aktivitäten, um bei Schwierigkeiten eingreifen zu können, oft in Kombination mit
instrumenteller, antizipierender oder protektiver Pflege. Dazu gehören auch
vorbeugende Maßnahmen wie Abschließen von Räumen, Restriktion der Freiheit
des Patienten, Verstecken von Dingen.
Instrumentelle Pflege
Dies meint das, was traditionell in den Sinn kommt, wenn man an häusliche
Pflege denkt: Anziehen, Waschen, Baden, Mahlzeitenvorbereitung, Haushalt
usw.
Strategien
der
Ehegatten:
eindeutige
Anweisungen
geben
(von
Kommandos bis zu freundlicher Überredung), seltener: Modell sein.
Protektive Pflege
Schützen vor Verletzungen des Selbstbewusstseins oder des Wohlbefindens
oder der Würde. Hier gab es fünf Typen von Strategien:
•
produktive Arbeit anbieten
•
Ablenkung
•
Verhinderung
von
Misserfolgen
durch
Modifikation
von
Aufgaben,
Strukturierung von Aufgaben, teilweise Übernahme von Aufgaben...
•
strategische Zeitnutzung, vor allem dadurch, dass Zeit gestreckt wird, um
den Patienten beschäftigt zu halten und von Unwohlsein, Langeweile,
Problemverhalten abzuhalten
•
Aufrechterhalten von Kontakten zur Familie und zu Freunden.
85
Zusammenfassend: Die Ehegatten des von Corcoran untersuchten Samples
trafen täglich Entscheidungen zwischen den unterschiedlichen Zielrichtungen der
Pflege. Sie nutzen auch Strategien, die gleichzeitig mehreren Zielen dienten.
Aus einem anderen Blickwinkel beschäftigten sich die Autorinnen Perry &
O’Connor317 mit dem, was Bowers weiter oben als protektive Pflege, d.h. Pflege,
welche die Persönlichkeit des Dementen zu schützen sucht, bezeichnet hatte. In
der abendländischen Philosophie ist Persönlichkeit mit Bedingungen verbunden:
Bewusstsein, inklusive der Bewusstheit seiner selbst, Rationalität, Intentionalität
(Macht zu Handeln), Moralität und der Fähigkeit zur Kommunikation318. Wendet
man diese Bedingungen an, wird die Persönlichkeit eines demenzkranken
Menschen in Frage gestellt. Perry & O’Connor argumentieren mit Kitwood von
einem sozial-konstruktivistischen Standpunkt aus, das Personsein werde dem
Menschen von anderen Menschen zuerkannt319. Personsein ist für Kitwood
assoziiert mit Selbstwertschätzung, dem Ort eines Individuums in der Gruppe,
der Performanz gegebener Rollen und mit der Integrität, Kontinuität und Stabilität
eines „sense of self“320. Kitwood definiert Personsein als „standing or status that
is bestowed upon one human being by others, in the context of relationship and
social being. It implies recognition, respect and trust”321. Demenz erscheint aus
dieser Sicht in Addition zu den physiologischen Bedingungen der Krankheit auch
als eine interaktive, interpersonale Erfahrung.
Perry & O’Connor suchten in ihrer qualitativen Studie an einem DemenzEhegattensample nach diesem interaktiven Aspekt der Zuerkennung des
Personseins. Die Autorinnen berichten, es sei den Gesprächspartnern wichtig
gewesen, den Erkrankten gegenüber den Interviewern als „Ehepartner“ zu
positionieren, und sogar nicht einfach als Ehepartner, sondern als „mein
Ehepartner“. Schon allein dies begann – so die Autorinnen – die Persönlichkeit
des Kranken zu etablieren, weil so die Person als ein Individuum mit persönlicher
Geschichte deutlich gemacht wurde. Die Autorinnen fanden vier Strategien, mit
denen die gesunden Ehegatten versuchten, die Persönlichkeit des erkrankten
Partners zu bewahren:
317
vgl. Perry & O’Connor 2002
318
vgl. Quinton 1973; zit. nach Kitwood 2000, 27
319
vgl. Kitwood 2000, 29f.
320
vgl. Kitwood 1997; zit. nach Perry & O’Connor 2002, 55
321
Kitwood 1997, 8; zit. nach Perry & O’Connor 2002, 55
86
Kontinuität erhalten
•
Die
gesunden
Gatten
entwarfen
ein
kontextbezogenes
Bild
ihres
Ehepartners. Sie verwandten viel Zeit dafür, „telling the ways of his or her
partner“322, beschrieben, wie er oder sie früher gewesen waren. Es schien
wichtig, dass zunächst die Stärken und Fähigkeiten des Kranken und das
gemeinsame Leben wahrgenommen wurde, bevor man über Probleme
sprechen wollte.
•
Sie interpretierten Verhaltensweisen des Kranken auf dem Hintergrund des
vergangenen Lebens und der bekannten Gewohnheiten und persönlichen
Stile. Sie betonten, dass das Verhalten des Kranken verständlich sei auf
diesem Hintergrund.
•
Sie zeigten auf, wie die Demenz den Partner verändert hatte. Das erlaubt,
das aktuelle Verhalten als etwas dem Partner Wesensfremdes zu
interpretieren. Dadurch wird es möglich, zwischen der Krankheit und der
Person zu unterscheiden.
Kompetenzen unterstützen
Dazu sind zwei Schritte erforderlich, die von den gesunden Partnern gemacht
wurden: erstens erhaltene Fähigkeiten erkennen und zweitens Situationen
schaffen, in denen sie zum Einsatz kommen können. Dazu gehören zum
Beispiel, Erwartungen an den Kranken herabzuschrauben, Aufgaben zu geben,
um Erfolge zu ermöglichen, nicht selbst Aufgaben zu erledigen, die der Kranke
noch kann.
Vor Inkompetenz schützen
Dazu gehört zu identifizieren, was der Kranke nicht länger kann. Die gesunden
Ehegatten bedienten sich verschiedener Strategien:
•
Probleme im Gespräch mit dem Kranken relativieren, beschwichtigen.
•
Die Umgebung des Kranken so manipulieren, dass Versagenserfahrungen
unwahrscheinlich werden.
•
Inkompetenz
verdecken,
übernimmt,
ohne
indem
dass
der
es
Gesunde
der
heimlich
Kranke
Aufgaben
bemerkt.
Vor allem Ehefrauen berichteten über den Stress, ihre Männer vor
322
Perry & O’Connor 2002, 57
87
Inkompetenz zu schützen (Autofahren, Rechnungen bezahlen...), „a
constant balancing act“, „walking on eggshells“.323
•
Den Partner von Situationen und Personen fernhalten, wo das Risiko
besteht, dass er Herabsetzung erfährt.
Begegnungen strategisch vorbereiten
•
Eine gewisse Fassade der Normalität bei öffentlichen Auftritten des
Kranken aufrecht erhalten. Z.B. war es vielen Männern wichtig, dass ihre
kranken Ehefrauen ordentlich gekleidet und ggf. geschminkt wie früher in
der Öffentlichkeit auftraten.
•
Für Verständnis in der Umgebung sorgen: Verhaltensweisen des Kranken
erklären usw.
Zusammenfassend halten die Autorinnen fest: Mit diesen Bemühungen der
Ehegatten, die Persönlichkeit des Kranken zu bewahren, wird der Demenzkranke
als Person sichtbar. Auch fordern die Resultate die Vorstellung heraus, die
Pflege sei ein „one-way-process“. Den Kranken als Ehegatten und nicht einfach
als Pflegeempfänger zu positionieren, hat Vorzüge auch für den pflegenden
Gatten. Die Zurückhaltung von Ehefrauen, formelle Dienste in Anspruch zu
nehmen, wird erklärlich: Erstens sind sie ein Risiko, dem Kranken Inkompetenz
vorzuführen, und zweitens können sie den Ehegattenstatus des Kranken
gefährden.
3.2.3
Geschlechtsspezifische Aspekte der Ehegattenpflege
Forschung über die geschlechtsspezifische Praxis der häuslichen Pflege
interessiert sich für die soziale Kategorie Geschlecht (gender), nicht für die
biologische (sex). Gender wird aufgefasst als “behaviour which is socially
prescribed according to biological sex”324.
Viele der Arbeiten stehen in der
Tradition der Frauenforschung, der es um die Erarbeitung einer die Frauenfrage
umfassenden
Gesellschaftstheorie
geht.
Das
Interesse
in
diesem
Forschungsgebiet geht im Wesentlichen in drei Richtungen: (a) Wie geraten
Frauen und Männer in die informelle Pflegerolle hinein? (b) Unterscheiden sie
sich in der Art und Weise, wie sie die Rolle ausfüllen, und gibt es Differenzen in
323
Perry & O’Connor 2002, 59
324
Davidson, Arber & Ginn 2000, 538
88
den Bewältigungsstrategien? (c) Resultieren für Frauen und Männer jeweils
andere Konsequenzen aus der Pflege, vor allem unterscheiden sich ihre
Belastungen nach Art und Ausmaß?325
Die beiden ersten Fragen werden in
diesem Kapitel, die dritte Frage im Kapitel 4.3.2.2 behandelt.
3.2.3.1
Geschlechtsrollenunterschiede im Alter
Zur Frage der Bedeutung von Geschlechtsrollen im Alter gibt es zwei
entgegengesetzte
Positionen.
Verschiedene
Autoren
nehmen
an,
Geschlechtsrollenunterschiede ließen im Alter nach326. Sie stützen sich auf die
Theorie der sozialen Rollen und argumentieren, in der nachelterlichen und
nachberuflichen Phase verlören Geschlechtsrollenmerkmale, welche in Hinblick
auf Aufgaben in Beruf und Reproduktion sozialisiert worden sind, an Bedeutung.
Aus der Sicht dieser Position muss es verwundern, warum die Frage, inwiefern
das Geschlecht Einfluss auf den Stressprozess in der häuslichen Pflege hat,
besonders häufig an Ehegattensamples untersucht worden ist. In der Logik
dieser Position dürften Geschlechtsrollenunterschiede bei diesen Samples nur
noch in einem geringen Ausmaß zum Tragen kommen, da die Ehegatten
dementer Patienten häufig in einem fortgeschrittenen Alter sind. Ein ganz
pragmatischer Umstand führt vermutlich zu den häufigen Ehegattensamples, da
man unter informell pflegenden Männern kaum andere als Ehemänner findet327 –
Söhne pflegen selten und entferntere männliche Angehörige noch seltener328.
Aus der Sicht der Gegenposition sind diese methodologischen Bedenken
entkräftet. Denn die Vertreter der Geschlechtsrollensozialisation argumentieren,
Sozialisationseffekte mündeten in stabile Persönlichkeitsmerkmale und blieben
unabhängig von der aktuellen Situation und aktuellen sozialen Rollen bestehen.
„This framework assumes that childhood gender-role socialization and ongoing
reinforcement by cultural norms and the gender stratification system cause
gender roles to become internalized in stable personality orientations“329. Der
Mechanismus der Internalisierung wird von Theoretikern unterschiedlich
gesehen, doch besteht Einigkeit darin, dass in der Folge bei Frauen stärkere
325
vgl. Miller & Cafasso 1992
326
vgl. Übersicht bei Miller & Kaufman 1996, 192
327
Dies ist allerdings für den Kontext dieser Arbeit über Ehegatten nicht erheblich, jedoch bedeutsam, wenn die
Ergebnisse aus diesen Studien auf die allgemeine Situation aller Angehörigen, also auch der jüngeren
pflegenden Kinder und anderer, übertragen werden - was immer wieder geschieht.
328
vgl. Schneekloth et al. 1996
329
Miller & Cafasso 1992, 499
89
affiliative Orientierungen entstehen, bei Männern eine stärkere Betonung von
Autonomie, Differenzierung und instrumenteller Orientierung330. Manche Autoren
vermuten,
Geschlechtsrollenstereotype
seien
bei
den
heute
pflegenden
Ehegatten besonders stark ausgeprägt, da diese Kohorte zwischen 1930 und
1959 erwachsen wurde und deutlicher zu geschlechtsspezifischen Fertigkeiten,
psychischen Dispositionen und Arbeitsteilung sozialisiert worden sei als spätere
Kohorten331.
Generell sind Befunde zu Geschlechtsunterschieden in der häuslichen Pflege mit
einer gewissen Vorsicht zu bewerten. Immer wieder wird angemerkt, solche
Geschlechtsunterschiede könnten auf das Konto methodischer Aspekte der
Studiendesigns gehen, beispielsweise das Übergewicht von Frauen in fast allen
Samples oder die größere Neigung von Frauen, emotionale Probleme
wahrzunehmen und zu thematisieren332. Auch wird die gender-basierte Literatur
kritisiert, sie befördere eine simplizistische Dichotomie zwischen Männern und
Frauen333. Walker beispielsweise kommentiert: „While it is important to document
and describe caring labour, the gender difference approach tends to reify the
immutably distinct nature of women and men. Typically, in such an approach,
care-giving by women is defined as normative and men’s performance is
compared to it… This strategy of identifying gender differences unterstates both
the diversity within gender and the similarities between men and women.”334
3.2.3.2
Ausfüllen der Pflegerolle und Bewältigungsmuster
In einer frühen qualitativen Arbeit über Unterschiede, wie Frauen und Männer die
Pflegerolle für einen dementen Partner ausfüllen, kontrastiert Miller335 die
Fokussierung auf die Beziehung, die sie bei den befragten Ehefrauen erkannte,
und die Fokussierung auf Aufgaben und Projekte, die sie bei den Ehemännern
beobachtete. Keine der Frauen erklärte dysfunktionales Verhalten ihrer
dementen Männer im Kontext der Krankheit, obwohl viele berichteten, sich
intensiv über die Krankheit zu informieren. Sie erklärten Verhaltensweisen der
Männer stattdessen in Bezug auf die Veränderungen ihrer eigenen Beziehung
330
vgl. Übersicht bei Miller & Cafasso 1992, 499
331
vgl. Miller & Kaufman 1996
332
vgl. Hooker et al. 2000; Lutzky & Knight 1994; Rose-Rego, Strauss & Smyth 1998
333
vgl. Übersicht bei Ray 2000, 154
334
Walker 1992, 45; zit. nach Ray 2000, 154
335
vgl. Miller 1987
90
zum Gatten, wobei viele eine Analogie zur Mutter-Kind-Beziehung herstellten.
Die Ehemänner dagegen betrachteten problembehaftete Verhaltensweisen ihrer
dementen Frauen überwiegend im Kontext der Krankheit. Unklar blieb bei vielen,
wie sie ihre eigene veränderte Beziehung zur Ehefrau definierten. Manche
verglichen sie mit einer Lehrer-Schüler-Beziehung. Mit ihren Befunden sieht
Miller Gilligans336 Vorstellung bestätigt, dass Frauen eher zu einer Moral der
Fürsorge sozialisiert werden, die auf die Beziehung zwischen Individuen
fokussiert, während Männer eine Moral des Rechts entwickeln, welche die
Autonomie und Unterscheidung von anderen betont.
Aktuellere
Studien
bestätigen
den
besonderen
Stellenwert,
den
die
Ehebeziehung für die Frauen einnimmt. Beeson et al.337 entdeckten, dass die
Ehefrauen der Dementen unter der Deprivation der Beziehung, d.h. dem Verlust
des Partners als Gefährten, Vertrauten oder unterstützende Person, signifikant
mehr litten als die Ehemänner.
Hooker et al.338 bezogen sich auf Forschungsergebnisse über langandauernde
Ehen, in denen die seelische wie körperliche Gesundheit und das Wohlbefinden
von Frauen im Allgemeinen stärker mit der Ehezufriedenheit korrelierten als bei
Männern339. Die Autorinnen stellten auf dieser Basis die Loss-of-SharedMeaning-Hypothese auf, die besagt, dass Frauen den Verlust der ehelichen
Beziehung bei Demenz schwerer verkraften als Männer, und sie fanden sie in
ihrem Demenz-Ehegattensample bestätigt.
Bookwala & Schulz340 betrachten die schlechter werdende Beziehung in der
Pflegesituation als sekundären Stressor. Die Ehefrauen in ihrem Sample waren
hiervon mehr betroffen als die pflegenden Männer.
O’Connor341 berichtet aus einem Demenz-Ehegattensample, dass vor allem die
Ehefrauen ihre eigene Pflegekompetenz daran maßen, inwieweit es ihnen
gelang, die Beziehung zu ihrem erkrankten Mann aufrechtzuerhalten. Die Frauen
beurteilten dies u.a. an der Fähigkeit des kranken Mannes, sie noch zu
erkennen, wodurch das Gefühl des Selbst bei den gesunden Ehefrauen validiert
oder gestört werden konnte. Die Frauen unternahmen vielfältige Versuche, um
die Identität des Mannes zu erhalten und zu schützen. Die Autorin interpretiert
diese Ergebnisse im Zusammenhang der weiblichen Sozialisation, die bei Frauen
eine Auffassung fördere, das Selbst existiere primär in Relation zu anderen.
336
vgl. Gillligan 1982; zit. nach Miller 1987, 452
337
vgl. Beeson et al. 2000
338
vgl. Hooker et al. 2000
339
vgl. Übersicht bei Hooker et al. 2000, 569
340
vgl. Bookwala & Schulz 2000
341
vgl. O’Connor 1999
91
Wenn das „Ich“ definiert sei durch die Existenz eines „Du“, dann sei es
existenziell wichtig, die Präsenz des „Du“ sicherzustellen.
Einen zweiten Unterschied stellte Miller beim Thema Autorität fest. Für Frauen
sei es einer der schwierigsten Aspekte der Betreuung, Entscheidungen für den
dementen Ehemann bei ihm durchzusetzen. Auch andere Autoren berichten von
diesen Problemen der Ehefrauen und auch über die Sensibilität, mit der sie
versuchen, den Stolz und die Würde des Mannes nicht zu verletzen und ihm trotz
seiner Defizite das Gefühl zu lassen, Entscheidungen zu treffen und weiterhin
Autorität
in
der
Familie
zu
besitzen,
beispielsweise
indem
sie
Banküberweisungsträger vorab ausfüllen und sie dann von dem Mann
unterschreiben lassen342. Miller argumentiert, die Autorität, die Frauen aus der
Kindererziehung kennen, bereite wenig darauf vor, Autorität gegenüber einem
erwachsenen Menschen auszuüben. Männer hingegen seien es eher gewohnt,
Autorität über Erwachsene zu haben – in der Familie oder im Beruf -, und für sie
bedeute die Betreuung der dementen Ehefrau deshalb nur eine Ausweitung
dieser bekannten Struktur.
Ein dritter Unterschied betrifft die Kontrolle über Raum und Zeit. Miller führt hier
aus, das Zuhause habe unterschiedliche Bedeutungen für Frauen und Männer.
Für Frauen sei es traditionell der Ort der Arbeit, die Arena der Verantwortlichkeit
und auch der Selbstdarstellung343. Wenig sei hingegen bekannt darüber, wie sich
die Bedeutung des Zuhauses für Männer nach der Berentung verändere, vom
Zufluchts- und Erholungsort während der Erwerbstätigkeitsphase hin zu einem
Ort, der auch Aufgabenorientierungen beinhalte. Alle von ihr befragten
pflegenden Ehefrauen beklagten den Verlust der Kontrolle über ihr Zuhause,
indem sie darüber berichteten, wie der demente Mann ihre täglichen
Arbeitsabläufe störe oder Unordnung schaffe. Solche Klagen tauchten bei den
Männern nicht in demselben Maße auf. Sie schafften es im Gegensatz zu den
Frauen auch eher, sich Zeit und Raum für eigene Interessen zu erhalten.
Ein weiterer Unterschied betrifft die Art der Aufgaben, die von Frauen und
Männern bei der Pflege übernommen werden. Eine Meta-Analyse344 von 14
Studien zu Geschlechtsunterschieden in der häuslichen Pflege kommt zu dem
342
vgl. Perry 2002; Perry & O’Connor 2002; Wright 1993
343
vgl. Bernard 1981; zit. nach Miller 1987, 449
344
vgl. Miller & Cafasso 1992. Die Autorinnen haben in dieser Meta-Analyse allerdings nicht differenziert
zwischen Ehefrauen und anderen weiblichen Angehörigen.
92
Ergebnis, dass Frauen mehr in persönliche Pflegetätigkeiten (z.B. Baden, Hilfe
bei der Toilette, Essen anreichen u.ä.) und Hausarbeit involviert zu sein scheinen
und auch mehr Stunden an Pflege leisten als Männer, Umstände, die mit
erhöhter Belastung in Verbindung gebracht werden (vgl. weiter unten).
Mehrere Studien berichten, dass einige Männer mehr problem-fokussierte
Coping-Strategien einsetzen, die häufig als weniger belastungsrelevant gelten,
während andere keine bevorzugten Bewältigungsstile fanden345. Von Ehefrauen
wird häufiger der Einsatz emotions-fokussierter Strategien berichtet, die teils als
belastungsfördernd angesehen werden346. Es gibt aber auch Ergebnisse, die
keine verschiedenen Coping-Muster bei Ehemännern und –frauen sehen347.
Rose et al.348, die an einem Demenz-Ehegattensample den Zusammenhang von
Neurotizismus
und
Stressadaption
untersuchten,
stellten
Geschlechtsunterschiede in den Anpassungsstilen fest. Die Ehefrauen zeigten
häufiger einen Stil, der als „oversocialized“349 bezeichnet wird. Gemeint ist damit
eine Kombination aus u.a. Neurotizismus und Selbstbeherrschung, die zu einem
hohen Bedarf an Bestätigung durch andere tendiert und exzessiv mit den
Bedürfnissen
anderer
Anpassungsstile
befasst
ist.
„undersocialized“
Ehemänner
(geringer
Selbstbeherrschung)
und
„reactive“
(hoher
Selbstbeherrschung)
mit
Tendenzen
zu
zeigten
häufiger
die
Neurotizismus
und
geringe
Neurotizismus
und
geringe
Impulsivität
und
Reizbarkeit.
Geschlechtsunterschiede waren in dieser Studie auch bei den Coping-Strategien
zu finden, Frauen neigten eher zu Wunschdenken, Männer eher zu Akzeptanz.
Die Befunde über Geschlechtsunterschiede bei der Inanspruchnahme informeller
oder formeller Unterstützung sind gespalten. Einerseits wird darüber berichtet,
pflegende
Männer
erhielten
mehr
soziale
Unterstützung
als
Frauen350,
andererseits finden sich Hinweise, dass Männer eher stolz darauf sind, allein mit
Schwierigkeiten fertig zu werden351.
345
vgl. Übersicht bei Harris 1993, 551
346
vgl. Übersicht bei Rose-Rego et al. 1998, 225
347
vgl. Neundorfer 1991; zit. nach Rose et al. 1997, 100
348
vgl. Rose et al. 1997
349
vgl. Weinberger & Schwartz 1990; zit. bei Rose et al. 1997, 92. Es handelt sich um ein 6-Zellen Modell der
Anpassung, das unterschiedliche Kombinationen der Variablen „Distress“ (u.a. Neurotizismus) und
Selbstbeherrschung aufweist.
350
vgl. Übersicht bei Harris 1993, 551
351
vgl. Übersicht bei Harris 1993, 551
93
3.2.3.3
Ehemänner mit demenziell erkrankten Frauen
In den letzten Jahren sind zunehmend Arbeiten publiziert worden, welche speziell
die Situation informell pflegender Männer fokussieren352. Verschiedene Gründe –
so Kramer353 - spielen hierbei eine Rolle: Pflegende Männer seien lange Zeit in
der Forschung vernachlässigt worden, obwohl sie vermutlich zahlreicher seien
als bisher angenommen. In manchen Pflegekontexten bildeten sie keineswegs
eine Minderheit der informellen Pflegepersonen, dies besonders bei den
Personen, die einen AIDS-kranken Partner oder Freund versorgen – und ich
möchte hinzufügen auch unter den älteren pflegenden Ehegatten. Verschiedene
Trends, die demographischen Veränderungen infolge der Langlebigkeit und des
Geburtenrückgangs, die gesellschaftlichen Veränderungen der Familie oder der
Umbau der Sozial- und Gesundheitssysteme etwa, machten es zukünftig sogar
noch wahrscheinlicher, dass Männer Angehörige pflegen. Es gebe inzwischen
immer mehr Hinweise auf Belastungen der pflegenden Männer, und es sei
erforderlich, geschlechtssensible Angebote zu schaffen, so dass Männer Zugang
zu Hilfen finden.
Die Männer-Pflegeliteratur setzt sich an zwei Konfliktlinien mit der allgemeinen
Pflegeliteratur auseinander. Einerseits wirft man der bisherigen „genderbasierten“ Literatur vor, mit Vergleichsuntersuchungen sei außerhalb der
typischen „gender approaches“ nichts Neues gefunden worden, da Männer dabei
nicht als Individuen, sondern als Mitglieder einer homogenen Gruppe untersucht
würden. Letztlich perpetuiere dies auf sehr subtile Weise sogar die alten
Vorurteile, wonach häusliche Pflege Frauensache sei.354 Andererseits setzt man
sich dagegen zur Wehr, männliche Pflege am weiblichen Ellenmaß zu messen,
mit den Folgen, dass Männer entweder als deviante Pflegende betrachtet
werden, wenn sie nach Art und Umfang andere Pflege leisten als Frauen, oder
aber als deviante Männer, wenn sie genauso pflegen wie Frauen.355 Russel356
macht zwei gegenläufige Trends in der Wahrnehmung pflegender Männer in der
Forschung aus: Einerseits würden Männer im oben beschriebenen Stil als
352
vgl. z.B. Fuller-Jonap & Haley 1995; Harris 1993; Kirsi, Hervonen, Jylhä 2000; Kramer & Lambert 1999;
Kramer 2000; Litz et al. 1990; Parsons 1997; Russell 2001; Shanks-McElroy & Strobino 2001; Siriopoulos,
Brown & Wright 1999. Auch zwei der seltenen deutschen Arbeiten zu pflegenden Ehegatten beschäftigen
sich mit der Situation pflegender Männer: Lambrecht et al. 1992; Senf 1995. Einen aktuellen Überblick über
den Stand der Forschung gibt die Publikation von Sowarka, Au & Flascha 2004 und eine Bibliographie bei
Flascha 2004.
353
vgl. Kramer 2002
354
vgl. Thompson 2002.
355
vgl. Thompson 1997, nicht publiziert; zit. nach Russel 2001,354; Russel 2001
356
vgl. Russel 2001
94
inkompetente Pflegende betrachtet oder aber als fähigere Pflegende, die im
Vergleich zu Frauen effizienter pflegten und weniger belastet seien. In beiden
Fällen handelt es sich um Stereotypisierungen. Nach Einschätzung von Harris357
haben vor allem quantitative Studien ein eindimensionales Bild vom effizient und
vergleichsweise geringer belasteten pflegenden Mann geliefert, während neuere
qualitative Arbeiten das Wissen deutlich expandieren, indem sie unterschiedliche
Facetten der Pflegeerfahrung von Männern offen legen.
Zu kämpfen hat die Forschung über pflegende Männer damit, dass alte Männer
weitgehend unsichtbare Männer sind358, anderen in Vielem nur durch Stereotype,
Impressionen und Anekdoten bekannt359. Über sie gebe es – so Thompson360 abgesehen von biomedizinischen Fragen des Mannes im Alter, wenig Forschung,
mit der Folge, dass sie als rollenlose, geschlechtslose, homogene Gruppe
wahrgenommen würden. Wenn überhaupt außerhalb der Medizin Themen
aufgegriffen würden, dann seien das sogenannte „self-orientated issues“, wie
etwa die Wirkungen der Berentung oder der Verwitwung, kaum jedoch würden
bei alten Männern sogenannte „other-related issues“, wie zum Beispiel die
häusliche Pflege, erforscht.
Die Art und Weise, wie Männer pflegen, muss vor dem Hintergrund der
Vorstellungen von Männlichkeit in unserer Kultur betrachtet werden. Es gibt
zahlreiche Vorstellungen von Männlichkeit, „a matrix of masculinities that are
influenced by social institutions and the larger stratification system“361. Diese
Männlichkeitsmatrix, so Connell, sei für jeden einzelnen Mann geschneidert
entsprechend der Kultur, in der er lebt, seiner Klasse, seines Alters, seiner
Kohortenerfahrungen und seinen Interaktionen mit anderen. Sie organisiere das
Leben und orchestriere auch in subtiler Weise die häusliche Pflegearbeit eines
Mannes. Da sie durch Interaktion und Diskurs erfahren werde, erlebe jeder
einzelne
Mann
gleichzeitig
unterschiedliche
Männlichkeitsideen
in
unterschiedlichen Kontexten. Der für die amerikanische Kultur dominante
Männlichkeitsstandard ist nach Connell die „hegemonic masculinity“. Dieser
Standard, führt Thompson362 weiter aus, bringe bei der häuslichen Pflege Regeln
zum Umgang mit Gefühlen hervor, die den Mann emotionalen Abstand halten
357
vgl. Harris 2002
358
vgl. Thompson 1997, nicht publiziert; zit. nach Russel 2001, 352
359
vgl. Rubinstein 1986; zit. nach Russel 2001, 252
360
vgl. Thompson 1997, nicht publiziert; zit. nach Russel 2001, 352
361
Connell 1995; Hunter & Davies 1992; zit. nach Thompson 1992, 28
362
vgl. Thompson 2002
95
ließen und ihn eher zu den instrumentellen Aspekten der Pflege hin orientierten
und weniger zu den affektiven. Dieser Standard nähre auch die problemfokussierten Coping-Stile von Männern, ihre Aufmerksamkeit gegenüber den
eigenen
Erholungsbedürfnissen
und
gegenüber
eventueller
emotionaler
Überlastung sowie ihren Wunsch, die eigenen Erfahrungen der Pflege zu
kontrollieren.
Vor diesem Hintergrund können zwei typische Pflegestile von Männern
unterschieden werden363:
•
Das professionelle Modell: Viele Männer fassen die häusliche Pflege nach
dem Modell der Berufstätigkeit auf und organisieren sie entsprechend
aufgaben- und managementorientiert. Es geht darum, die Aufgaben in
möglichst effizienter Weise zu erledigen, bei möglichst geringem „role
engulfment“364. Die Ritualisierung der Pflege bringt ein Gefühl von
Kontrolle365, die Pflege wird zu einer unerwarteten Karriere366. Die
professionelle Haltung sorgt dafür, dass die Pflege nicht das gesamte
Leben des Mannes in Beschlag nimmt; „... as men, they never allow the
greedy institution of caregiving to intrude so thoroughly that caring becomes
the man’s entire world“367.
•
Das kombinierte Management-Fürsorge-Modell: Andere Männer versuchen,
das ihnen bekannte Berufsmodell mit affektiven Facetten der Pflege zu
kombinieren368.
Harris369 unterschied vier Typen pflegender Ehemänner von demenzkranken
Frauen: Der „worker“, der die häusliche Pflege nach dem Modell der Arbeitswelt
organisiert und sie zu seiner neuen Arbeitsidentität macht. Harris berichtet, dass
manche Männer „Mini-Büros“ in der Wohnung einrichteten. Der „labor of love“Typ, der aus Hingabe, weniger aus Pflicht heraus pflegt und in der Frau vor allem
diejenige sieht, die sie früher einmal war. Der „sense-of-duty“-Typ, der
hauptsächlich aus Verpflichtung und Verantwortung pflegt und über seinen vollen
Einsatz berichtet. Und schließlich der Typ „at the crossroad“, der am Beginn der
Pflegekarriere steht, sich noch orientiert und besonders gestresst erscheint.
363
vgl. Thompson 2002
364
vgl. Skaff & Pearlin 1992
365
vgl. Navon & Weinblatt 1996
366
Aneshensel et al. 1995; zit. nach Thompson 2002, 34
367
Thompson 2002, 34
368
vgl. Übersicht bei Thompson 2002, 34
369
vgl. Harris 1993
96
Empirische Befunde finden im Allgemeinen, dass Männer, wenn nötig, hoch in
die Pflegerolle investieren370. Die Bedeutung der Pflege für Männer ist noch
wenig verstanden371. Die Forschungslage zeigt hier eine große Vielfalt.
Ehemänner betrachten die Pflege in hohem Maße als ihre eheliche Pflicht und
Verantwortung372, als Ausdruck und Konsequenz ihrer Zuneigung und Liebe373,
oder als Möglichkeit, der Ehefrau etwas zurückzugeben im Gegenzug für die
Unterstützung, die sie in den Jahren zuvor von ihr empfangen haben374. Für
andere
liegt
die
Familienoberhaupt
Pflegerolle
auf
einer
Linie
mit
ihren
Aufgaben
als
375
, manche erleben sie als willkommenen Ersatz für die
verlorene Berufstätigkeit376 und wieder andere ergreifen sie bewusst als Chance,
fürsorgliche Persönlichkeitsmerkmale zu entwickeln und zu leben377.
Themen, welche die Erfahrungen pflegender Ehemänner spiegeln, sind vor allem
in qualitativen Studien zu Tage gefördert worden. Hier gibt es inzwischen
Themen, die in verschiedenen Untersuchungen gleichermaßen gefunden
wurden:
•
Commitment: selbstverständliches, hohes Engagement bei der Pflege378,
Reziprozität379 und eheliche Pflicht380 („love and dedication“)
•
Aushalten der Situation: im Kontext der Reziprozität381 oder aus einer
Haltung des Nicht-Aufgeben-Dürfens heraus („never say no, never say
die“382)
•
Auseinandersetzung
Vertrauten
384
mit
Verlust
Verlusten:
und der Kommunikation
der
Gefährtin383,
der
385
, („Women look at things differently,
I’m not talking about sex now, but I miss having a conversation with
women“386); Entbehrung der Gattin wie sie früher war387; Verlust
370
vgl. Thompson 2002
371
vgl. Kaye & Applegate; zit. nach Thompson 2002, 36
372
vgl. Dobrin 1998; Harris 2002; Lambrecht et al. 1992; Siriopoulos, Brown & Wright 1999
373
vgl. Dobrin 1998; Harris 1993; Siriopoulos, Brown & Wright 1999
374
vgl. Harris 1993; Lambrecht et al. 1992; Parsens 1997; Pruchno & Resch 1989a; Russell 2001; Siriopoulos,
Brown & Wright 1999
375
vgl. Miller 1987; Pruchno & Resch 1989a
376
vgl. Harris 1993; Miller 1987;
377
vgl. Russell 2001
378
vgl. Harris 1993
379
vgl. Lambrecht et al. 1992; Parsens 1997; Russell 2001; Siriopoulos, Brown & Wright 1999
380
vgl. Harris 2002; Lambrecht et al. 1992; Siriopoulos, Brown & Wright 1999
381
vgl. Parsens 1997
382
einer der befragten Ehemänner bei Parsens 1997, 396 im Zusammenhang des Themas „Aushalten“
383
vgl. Harris 1993, 2002; Siriopoulos, Brown & Wright 1999
384
vgl. Harris 2002
385
vgl. Harris 1993; Siriopoulos, Brown & Wright 1999
386
ein befragter Ehemann bei Harris 1993; 553
97
bedeutungsvoller
sexueller
Intimität388;
Einsamkeit
und
Alleinsein389;
fehlende Anerkennung; Unsichtbarkeit der häuslichen Pflege für andere390;
Verlust eigener Identität391; Zerbrechen von gemeinsamen Zukunftsplänen
und -träumen392; Zerstörung der gemeinsamen „Ruhephase des Lebens393“;
Verlust von Kontrolle394; Probleme, die Diagnose zu akzeptieren395
•
Bewältigungsversuche: Engagement teils aufgaben- und managementorientiert: Versuch, Kontrolle über die Situation zu bekommen396; Lösung
von Problemen, („I am a doer, I see what needs to be done and I do it“397);
Etablierung einer Routine und eines strukturiertes Regimes398, („setting up a
system
that
works“399);
Erlernen
vieler
neuer
Fertigkeiten400;
Aufrechterhaltung von Normalität und Kontinuität, z.B. indem die kranke
Frau möglichst viel am Alltag beteiligt wird401; Notwendigkeit der ständigen
Beaufsichtigung der Frau402; Suche nach eigenen Freiräumen403; aber auch
affektiv getöntes Engagement, wie z.B. Versuche, Erinnerungen an die
Vergangenheit festzuhalten und das Leid, die kranke Partnerin „gehen zu
lassen“404; Humor405; Schwierigkeiten des „taking away“, z.B. der Frau die
Verantwortung für den Haushalt wegnehmen zu müssen406; Bedarf an
Unterstützung durch andere407
•
Versuche, die Krankheit zu verstehen: Wissen über die Demenz erwerben
und herausfinden wollen, warum die eigene Frau erkrankte408
•
Persönliche Veränderungen durch die Pflege: persönliches Wachstum und
Chance, Fürsorge zu geben409; geduldiger, bedachtsamer geworden sein410
387
vgl. Parsens 1997; Siriopoulos, Brown & Wright 1999
388
vgl. Harris 2002
389
vgl. Harris 1993, 2002; Parsens 1997; Russel 2001; Siriopoulos, Brown & Wright 1999
390
vgl. Russel 2001
391
vgl. Harris 2002
392
vgl. Harris 2002
393
ein Befragter bei Lambrecht et al. 1992, 89
394
vgl. Harris 2002
395
vgl. Siriopoulos, Brown & Wright 1999
396
vgl. Harris 1993
397
ein Befragter bei Harris 1993; vgl. auch Harris 2002
398
vgl. Russel 2001
399
ein Befragter bei Harris 1993
400
vgl. Harris 2002
401
vgl. Lambrecht et al. 1992; Siriopoulos, Brown & Wright 1999
402
vgl. Parsens 1997
403
vgl. Harris 1993; Russel 2001
404
vgl. Siriopoulos, Brown & Wright 1999
405
vgl. Siriopoulos, Brown & Wright 1999
406
vgl. Parsens 1997
407
vgl. Parsens 1997
408
vgl. Parsens 1997
98
•
Wenig Erwartungen an die Kinder: „sie haben ihr eigenes Leben“411.
Einen Bedarf an Gesprächsgruppen für pflegende Ehemänner betonte Harris412.
Eine finnische Untersuchung413 legt nahe, dass solche Gruppen von Männern
geleitet werden sollten. Die Autoren konnten in ihrer diskursanalytischen Arbeit
nachweisen,
dass
der
Diskurskontext,
in
dem
Männer
über
ihre
Pflegeerfahrungen berichten, große Bedeutung hat. In Abhängigkeit davon, wie
sich die Probanden zu dem Forscher positionierten (als Laie, Experte,
Gleichrangiger oder Machtloser), wählten sie unterschiedliche Identitäten (als
Beobachter/Reporter, verantwortungsvoller Pflegender, unabhängiger Akteur
oder Opfer/Geworfener) und zeigten unterschiedliche Sprachrepertoires („factual
speech“, „famialistic speech“, „agency speech“ und „destiny speech“).
3.2.3.4
Ehefrauen mit demenziell erkrankten Männern
Interessanterweise gibt es in der umfangreichen Literatur über pflegende
Angehörige nur sehr wenige Arbeiten, die sich ausschließlich mit den Ehefrauen
dementer Männer beschäftigt haben414. Einigen Studien, die mit reinen DemenzEhefrauensamples gearbeitet haben, ging es zudem gar nicht darum, spezifische
Problematiken der Ehefrauen aufzuklären, sondern allgemeine Fragen der
Angehörigenpflege an einem homogenen Sample zu bearbeiten415.
Zwei
Arbeiten
haben
sich
mit
qualitativen
Forschungsmethoden
der
Erfahrungswelt der Ehefrauen dementer Männer angenommen. Perry416
kristallisierte die Kernkategorie „interpretatives Pflegen“ bei den von ihr
untersuchten Frauen heraus. Sie identifizierte aus den Berichten der Frauen
einen Pflegeverlauf mit unterscheidbaren Phasen:
•
Erste Anzeichen: In der ersten Phase nahmen die Frauen erste Anzeichen
einer Veränderung bei ihren Männern wahr, arbeiteten die Zeichen durch
und versuchten Erklärungen aus dem vertrauten Erfahrungshorizont zu
409
vgl. Russell 2001
410
vgl. Harris 1993
411
vgl. Harris 1993
412
vgl. Harris 1993
413
vgl. Kirsi, Hervonen & Jylhä 2000
414
dies sind u.a. Bauer et al. 2001; Bourgard 1995; Gallagher-Thompson et al. 1997, 2001; Kramer 1993a;
Lewin & Lundervold 1990; Lewis et al. 2000; Li, Seltzer & Greenberg 1997; Motenko 1989; Paun 2003; Perry
2002; Pullwitt, Seibert & Fischer 1996; Williams, Keady & Nolan 1995; Winslow & Carter 1999
415
vgl. z.B. Bauer et al. 2001; Gallagher-Thompson et al. 1997, 2001; Kramer 1993a; Winslow & Carter 1999
416
vgl. Perry 2002
99
finden, etwa dass der Mann die Berentung schlecht verarbeite. Sie
registrierten
auch
eigene
erste
Verhaltensänderungen
dem
Mann
gegenüber, z.B. indem sie schnell auf die Fahrerseite des Autos gingen,
damit er keine Gelegenheit bekäme, das Auto zu steuern.
•
Schlussfolgerungen: Teils als plötzliches Erkennen, teils als allmähliche
Gewissheit stellte sich die Erkenntnis ein, dass der Mann krank ist. In diese
Phase fiel der erste Besuch beim Arzt.
•
Übernahme
der
Pflege:
Diese
Phase
brachte
den
bedeutenden
Rollenwechsel für die Frau und einschneidende Veränderungen des
täglichen Ablaufs und die Übernahme neuer Aufgaben. Viele Frauen taten
alles Erdenkliche, damit der Mann an vielen Dingen weiter beteiligt blieb
und Erfolge verbuchen konnte. Manche Frauen gaben ihren Männern
„designed tasks“, von denen sie annahmen, dass sie ihm wichtig und
bedeutungsvoll wären.
•
Rekonstruktion der Identitäten: Dies geschah nach einiger Zeit des
Nachdenkens, durch das sie ein neues Verstehen der Situation erlangten
und eine Perspektive auf das, was ihnen bevorstehen würde. Für den Mann
definierten sie die Identität entsprechend seiner Krankheit, für sich selbst
ging es um eine neue Balance zwischen der eigenen Identität und der des
Mannes. Einige sahen sich als Mutter, andere weiter als Ehefrau. Viele
nutzten ihr Wissen aus der Kindererziehung, manche achteten aber sehr
auf ihre primäre Identität als Ehefrau. Ein Teil der neuen Identität bildete
auch das Wissen und die Fähigkeiten als Pflegende.
•
Die tägliche Arbeit tun: Ziel dabei war bei allen, dem Mann den Alltag so
sicher und so komfortabel wie möglich zu gestalten. Dazu gehörte auch die
Manipulation der Umgebung, z.B. Besuche nach seinen Bedürfnissen zu
dirigieren, evt. zu reduzieren. Ein weiterer wichtiger Faktor waren
Bemühungen, die Präsenz und die Würde des Mannes zu erhalten, dafür zu
sorgen, dass seine Leistungen und seine Persönlichkeit nicht in
Vergessenheit geraten. Die Frauen wurden zu Übersetzern ihres Mannes
für andere.
Zusammenfassend schreibt Perry, die Studie zeige deutlich eine kognitive
Dimension der Pflege, die in anderen Arbeiten, die eher emotionale und
aufgabenorientierte Fragen behandelten, nicht vorkommt. Außerdem sieht sie
einen paar-orientierten Aspekt: Die Frauen machten in ihren Erzählungen ihre
Ehemänner sehr sichtbar als Individuen und als Ehemänner. Sie legten Wert
darauf, dass er „da“ sei, sie sahen sich als Einheit mit dem Mann, als Familie.
100
Dies steht im Kontrast zu Studien, in denen Angehörige den Kranken als
weggegangen erleben417.
In
einer
weiteren
qualitativen
Untersuchung
beschreibt
Paun418
fünf
Hauptthemen, die ihr Ehefrauen von dementen Männern berichteten: Bemerken
von Veränderungen, Sorge, Anpassung/Coping, Sinnfindung und Ausblick in die
Zukunft. Die Autorin bespricht in ihrem Aufsatz das Thema „Sinnfindung“ näher.
Für die meisten Frauen stellte sich keine Wahl, alle fühlten ein starkes Band der
Verpflichtung, und die Pflege wurde in hohem Maße als selbstverständlich
angesehen. Sie identifizierten sich selbst als Pflegende ohne Ausbildung. Alle
stellten sich stark dar, als Überlebende, zeigten kaum Selbstmitleid. Die
überwältigende Message lautete, die Situation zu akzeptieren und das Beste
daraus zu machen, auch bei vormals schwierigen Ehebeziehungen. Die meisten
versuchten, die Erfahrung in eine Perspektive des Lebenslaufs einzuordnen, z.B.
indem sie sich auf frühere kritische Ereignisse bezogen, aus denen sie gestärkt
hervorgegangen waren.
Pullwitt,
Seibert
Verhaltensweisen
&
Fischer419
(Aggressivität,
heben
die
Bedeutung
Inkooperativität,
von
störenden
Rückzugsverhalten
und
gesteigerte körperliche Aktivität) für Beschwerden bei pflegenden Ehefrauen
hervor. Lewis et al.420 befragte Ehefrauen in Fokusgruppen und ermittelte eine
Vielzahl von alltäglichen Entscheidungen, welche die Ehefrauen bei der Pflege
treffen müssen. Die Mehrheit der Entscheidungen betraf dabei nicht die Pflege
des Kranken, sondern die Selbstpflege. In einer verhaltenstherapeutischen
Fallstudie beschreiben Lewin & Lundervold421 sogenannte „self-rules“, mit denen
eine Ehefrau, deren dementer Mann im Pflegeheim lebte, sich das Leben schwer
machte. Beispiel: „A loving spouse sees her mate every day, and if I do not see
him every day, I’m abandoning him”422.
Zintl-Wiegand423 berichtet, wie Ehefrauen, die zuvor in einer patriarchalischen
Beziehung gelebt hatten, zunächst ungläubig den Zuwachs an Macht und
Entscheidungsfreiheit erlebten, als der Mann dement wurde. Sie beschreibt, wie
diese Frauen in kleinen Schritten versuchten, sich „verstohlen“ durchzusetzen,
417
vgl. Wuest et al. 1994; zit. nach Perry 2002
418
vgl. Paun 2003
419
vgl. Pullwitt, Seibert & Fischer 1996
420
vgl. Lewis et al. 2000
421
vgl. Lewin & Lundervold 1990
422
Lewin & Lundervold 1990, 704
423
vgl. Zintl-Wiegand 1995
101
z.B. indem sie sich bei Tisch zuerst zu trinken nahmen, oder entschieden,
welches Essen gekocht werden sollte.424 Die Autorin bespricht außerdem das
von Frauen häufig gewählte Modell der Mutter-Kind-Beziehung für die
Versorgung
des
dementen
Mannes.
Damit
transportierten
sie massive
Regressionsangebote und –versuchungen, die von bestimmten Partnern als
gefährlich und kastrierend erlebt würden. Männer, die zeitlebens gegen eigene
Passivitätsbedürfnisse angekämpft und strikt für die eigene Dominanz gesorgt
hätten, neigten in dieser Situation zu Reaktionsbildungen. Radebold425 weist auf
den Überforderungscharakter hin, der dem Mutter-Kind-Pflegemodell innewohnt.
Dieses vertraute Gefüge biete beiden Parteien zunächst Sicherheit, doch
enthalte es auch die Gefahr der Unterforderung des Patienten und auf die Dauer
der Überforderung des pflegenden Angehörigen. Dies besonders deshalb, weil
dieses „Kind“ sich nicht mehr entwickele und nach Unabhängigkeit strebe,
sondern zunehmend mehr auf Versorgung angewiesen sei. Gröning426 legt dar,
die Gewissheit, nach dem Modell der Kindererziehung mit Liebe lebenserhaltend
zu wirken, sei in der Altenpflege häufig anzutreffen. Diese Auffassung sei aber
eine große Falle, denn die Pflege alter Menschen habe nicht Lebenserhaltung
zum Ziel, sondern das genaue Gegenteil, nämlich den Abschied. Pflege, die in
diesem Sinn als Liebe angelegt sei, stehe in Gefahr, sich zu entstrukturieren, sich
zu überfordern und auszubrennen.
3.2.4
3.2.4.1
Gewalt in ehelichen Pflegekonstellationen
Begriffsklärung und empirische Befunde zum Ausmaß des
Problems
Was unter Gewalt oder Missbrauch in einer häuslichen Pflegebeziehung zu
verstehen ist, ist schwer zu fassen. Grafström und Kollegen427, eine der wenigen
Forschergruppen, die sich mit Missbrauch in Familien mit Demenzkranken
beschäftigt haben, stellen fest, in der einschlägigen Literatur gebe es keinen
Konsens über die Definition von Missbrauch. Sie benutzen folgende Definition
von Johns et al.: „Abuse can be seen as a kind of interaction between two
424
Zintl-Wiegand 1995, 290
425
vgl. Radebold 1994b
426
vgl. Gröning 2001
427
vgl. Grafström, Nordberg & Bengt 1993
102
persons where one person is violating the boundaries of another person.“428
Dabei ist zu bedenken, dass die Verletzung der Grenzen von unterschiedlichen
Menschen unterschiedlich bewertet wird. Missbrauch kann demnach eigentlich
nur aus der Perspektive des Opfers definiert werden429. Schwerste Missbräuche
sind solche, die die Identität des Opfers beschädigen. Die Autoren führen aus,
dass Demenzkranke im Laufe ihrer Krankheit abhängig von anderen werden und
ihre Grenzen nicht mehr selbst kontrollieren können. Sie sind deshalb besonders
verletzlich gegenüber Respektlosigkeit, Dominanz und Missbrauch430. Sowarka
et al.431 unterscheiden in ihrer Überblicksarbeit über Gewalt gegen ältere
Menschen
im
häuslichen
Bereich
unterschiedliche
Gewaltformen:
(a)
körperlichen Missbrauch (Anwendung körperlicher Gewalt), (b) sexuellen
Missbrauch (jedweder sexuelle Kontakt ohne die Einwilligung des Opfers), (c)
emotionalen und psychologischen Missbrauch (Zufügen emotionaler Qualen,
Schmerzen oder Bekümmernis),
(d) Vernachlässigung (Verweigerung oder
Unterlassung irgendeines Teils der Verbindlichkeiten und Pflichten einer Person
gegenüber dem älteren Menschen, die für ihn lebensnotwendig sind), (e)
Verlassen/im Stich lassen (böswilliger Rückzug) und (f) finanzielle oder materielle
Ausnutzung (ungesetzliche oder ungeeignete Verwendung von Vermögen und
Besitz des älteren Menschen).
Eine aktuelle deutsche Übersichtsarbeit referiert Zahlen zur Gewalt gegen ältere
Menschen im häuslichen Bereich432. Ein Bericht des National Center of Elder
Abuse in den USA enthält – so
Inzidenzschätzungen
für
die Autorinnen – derzeit die besten
Missbrauch,
Vernachlässigung
und
Selbstvernachlässigung. Die Daten kommen aus offiziellen Berichten für lokale
Stellen in verschiedenen Bundesstaaten der USA. Es wird davon ausgegangen,
dass auf jeden berichteten und bestätigten Fall eine Dunkelziffer von fünf
weiteren nicht gemeldeten Fällen hinzukommt. Für die USA wurden im Jahr
1996 geschätzte 450.000 Personen, die älter als 60 Jahre waren, Opfer von
Gewalt im häuslichen Bereich. Für die bestätigten Fälle war Vernachlässigung
die
häufigste
Missbrauch
Form
(35,4%),
(48,7%),
finanzieller
gefolgt
von
Ausbeutung
emotionalem/psychologischen
(30,2%)
und
körperlichem
Missbrauch (25,6%). Besonders betroffen waren sehr alte Menschen (über 80),
428
Johns, Hydle & Aschjem 1991; zit. nach Grafström, Nordberg & Windblad 1993, 247
429
vgl. Grafström, Nordberg & Windblad 1993
430
vgl. Grafström, Nordberg & Windblad 1993
431
vgl. Sowarka, Schwichtenberg-Hilmert & Thürkow 2001, 2
432
vgl. Sowarka, Schwichtenberg-Hilmert & Thürkow 2001
103
ältere Frauen und der Personenkreis, der nicht mehr in der Lage war, für sich
selbst zu sorgen. Wesentlich für diese Arbeit: In 6 von 10 bestätigten Fällen
zeigten die Opfer in unterschiedlichem Maße Zeichen geistigen Abbaus. In 9 von
10 Fällen waren Familienangehörige die Täter, Ehegatten in 19,3% der Fälle433.
Buttell434 referiert Befunde über Gewalt gegenüber Demenzkranken und kommt
zu der Überzeugung, dass dieser Personenkreis weit häufiger betroffen ist als
andere ältere Menschen. Die Anteile dementer Personen, die Gewalt erleiden,
liegen je nach Studie bei 12%435, 23%436 oder 55%437, schwere Gewalt wurde in
einer Untersuchung in 5% der Fälle gefunden438. Gallagher et al.439 berichten,
Wut sei das häufigste negative Gefühl bei pflegenden Angehörigen von
Demenzpatienten. In ihrem Sample erlebten zwei Drittel der Angehörigen
Wutgefühle mit wenigstens mittlerer Frequenz. Mehr Befragte bestätigten Items,
die mit Wut (60%) zu tun haben, als Items, die mit Depression (50%) zu tun
haben. Vitaliano et al.440 registrierten, dass pflegende Ehegatten von Dementen
weniger Kontrolle über ihren Ausdruck von Wut fühlten als Nicht-Pflegende. Bei
Ehegatten und bei Pflegenden in höherem Lebensalter wurde ein höheres Risiko
zu körperlicher Gewalt gegenüber dem Pflegebedürftigen gefunden441. Hughes442
berichtet, von Demenzkranken scheine nicht öfter Gewalt auszugehen als von
anderen Pflegebedürftigen, doch zeigten die Angehörigen dieses Samples eine
größere Neigung, ihnen gegenüber gewalttätig zu sein.
433
erwachsene Kinder (47,3%), andere Angehörige und Enkelkinder (8,8% bzw. 8,6%), Freunde, Nachbarn
(6,2%) sowie Versorgungsdienste (4,2%)
434
vgl. Buttell 1999
435
vgl. Coyne et al. 1995; zit. nach Buttell 1999, 230
436
vgl. Cooney & Wrigley 1996; zit. nach Buttell 1999, 230
437
vgl. Cooney & Mortimer 1995; zit. nach Buttell 1999, 230
438
vgl. Paveza et al. 1992; zit. nach Buttell 1999, 230
439
vgl. Gallagher et al. 1990. Sie untersuchten ein gemischtes Sample aus Ehegatten und anderen
Angehörigen dementer Patienten.
440
vgl. Vitaliano et al. 1993
441
vgl. Pillemer & Suitor 1992
442
Hughes 1997. Das Sample bestand aus Ehegatten und pflegenden Kindern Demenzkranker.
104
3.2.4.2
Hintergründe des Problems
Häufig werden Zusammenhänge zwischen auf der einen Seite missbräuchlichem
oder gewalttätigem Verhalten der Pflegenden und auf der anderen Seite Stress
bzw. Überforderung durch die Pflegesituation, emotionalen Problemen der
Pflegenden,
schwierigen
ungelösten
Familienkonflikten
Beziehungsgeschichte
oder
gesehen
443
.
einer
Auch
vor
der
Demenz
Vorerfahrungen
mit
familiärer Gewalt vor dem Auftreten der Demenz444 und aggressives Verhalten
seitens des Dementen445 werden als Risikofaktor betrachtet.
Grafström, Nordberg & Winblad446 beispielsweise heben auf die Überforderung
durch die Pflegesituation bei Demenz ab. Sie bildeten ein Sample aus Personen,
die im Rahmen einer großen repräsentativen schwedischen Studie ungefragt
über missbräuchliches Verhalten gegenüber einem dementen Familienmitglied
berichtet hatten. Dieses Sample bestand aus 26 Personen, nach Auskunft der
Autoren überwiegend Ehegatten, die die eigene Gesundheit als schlecht
einschätzten. Die meisten Patienten waren in einem frühen Demenzstadium,
hoch abhängig von den Pflegenden und wurden von diesen als aggressiv
beschrieben. Dieselbe Gruppe wurde nach 2 Jahren erneut untersucht447 mit
dem Ergebnis, dass zu diesem zweiten Zeitpunkt keiner der Befragten noch
Gewalt berichtete. Die Autoren interpretieren ihre Ergebnisse dahin, dass zum
ersten
Untersuchungszeitpunkt
offenbar
die
missbräuchlich
agierenden
Pflegenden schweren Belastungen ausgesetzt waren, die später im Zuge der
fortschreitenden Demenzsymptomatik und der Anpassung an die Situation
abgeklungen waren.
Auch die Studie von Williamson et al.448 ist ein Beispiel für Zusammenhänge zu
Überforderung. Ihre Studie belegt Korrelationen zwischen Depression bei den
pflegenden Ehegatten dementer Menschen und schädlichem Pflegeverhalten,
und
zwar
unabhängig
von
anderen
Variablen
wie
demographischen
Charakteristika, interpersonaler Beziehung oder Schwere der Demenz.
443
vgl. Übersicht bei Williamson et al. 2001, 217
444
vgl. Hughes 1997. Das Sample bestand aus Ehegatten und anderen Familienangehörigen.
445
vgl. Pillemer & Suitor 1992
446
vgl. Grafström, Nordberg & Winblad 1993
447
vgl. Grafström, Nordberg & Hagberg 1993
448
vgl. Williamson et al. 2001
105
Kruse449 führt die objektive Isolation und subjektiv erlebte Einsamkeit von
Ehepaaren, die mit chronischer Krankheit konfrontiert sind, als Hintergrund für
aggressiv getönte Impulse an. Er verweist auf den von E. Durkheim hergestellten
Zusammenhang zwischen Anomie und Gewalt. Ist man aus der Gemeinschaft
ausgestoßen oder fühlt sich ihr nicht mehr zugehörig, sind Kontakte zu anderen
Menschen deutlich reduziert, so fallen normative Instanzen aus, die das
Verhalten steuern und kontrollieren (Anomie). Damit können aggressive Impulse
unkontrolliert auftreten und das Verhalten bestimmen.
Buttell450 vertritt die Meinung, viele Fälle von Gewalt in der Pflegebeziehung
müssten eigentlich als eheliche Gewalt verstanden werden. Er argumentiert
deshalb, dass Wissensbestände aus der Literatur über Missbrauch und Gewalt in
der Ehe herangezogen werden sollten, um mehr über Gewalt in Demenz-Ehen
zu verstehen. Einige dieser Wissensbestände: Die Hälfte aller Ehen erlebt
zumindest eine Episode von Gewalt451. Die überwältigende Mehrheit ehelicher
Gewalt geht von Männern aus452. Ein gewichtiger Risikomarker für eheliche
Gewalt ist die Erfahrung mit häuslicher Gewalt als Kind453. Täter verleugnen
typischerweise ihre Gewalt454, was zu hohen Dunkelziffern beiträgt. Dies dürfte
auch für Demenz-Paare gelten. Auch Interventionen für gewalttätige Pflegende –
so Buttell - können aus der Literatur zur ehelichen Gewalt lernen. Dort ist
bekannt, dass Täter oft mit Gewalt auf Situationen reagieren, in denen sie eine
gewisse Feindseligkeit oder latente Gewalt von Seiten des späteren Opfers
spüren. Sie sind nicht in der Lage, solche Situationen anders als gewalttätig zu
lösen455. Interventionsprogramme haben folglich das Ziel, diesen Tätern
alternative Konfliktlösemöglichkeiten in feindseligen oder latent gewalttätigen
Situationen beizubringen456. Dies könnte auch relevant für die Demenzsituation
sein, wo ebenfalls oft Aggression oder Problemverhalten zunächst vom Kranken
ausgehen457.
449
vgl. Kruse 1991
450
vgl. Buttell 1999
451
vgl. Stith, Williams & Rosen 1990; zit. nach Buttell 1999, 231
452
vgl. Carden 1994; zit. nach Buttell 1999, 231
453
vgl. Buttell 1999, 231
454
vgl. Rosenfeld 1992; zit. nach Buttell 1999, 231
455
vgl. Carden 1994; zit. nach Buttell 1999, 231
456
vgl. Gondolf 1997; zit. nach Buttell 1999, 232
457
vgl. Buttell 1999, 232
106
3.3
Zusammenfassung Kapitel 3
Die Auswirkungen der Demenz auf die Ehe lassen sich analytisch gliedern in
Veränderungen der Beziehung in ihrer Qualität als Ehebeziehung einerseits und
in die allmähliche Verwandlung der Ehebeziehung in eine Pflegebeziehung
andererseits.
Etwa Zwei Drittel der Demenzerkrankungen sind Alzheimer-Erkrankungen458, die
charakteristisch
schleichend
verlaufen.
Entsprechend
setzen
auch
die
Veränderungen der Paarbeziehungen zunächst unmerklich ein. Es gibt einige
empirische Befunde darüber, wie die Angehörigen eines dementen Patienten die
erste Zeit der Demenz erleben und wie sie mit der Diagnose umgehen459. Nichts
dagegen ist empirisch belegt über die Art und Weise, wie das Paar als Einheit
diese erste Zeit erlebt. Die Wissensbestände darüber, wie alte Paare chronische
Krankheiten bewältigen460, sind nur bedingt auf die Situation bei Demenz
übertragbar. Die kennzeichnenden Veränderungen der Paarbeziehung im
weiteren Verlauf der Demenz sind auf einer augenscheinlichen Ebene zunächst
Rollenveränderungen461. Mit der Demenz gerät ein jahrelang gefestigtes, sehr
individuelles, und gleichzeitig gesellschaftlich geprägtes Gefüge von Aufgaben,
Rollen und Funktionen der Partner in Bewegung. Ein weiteres Merkmal ist die
Deprivation der Beziehung. Emotionale Intimität der Partner462 und gegenseitiger
Respekt463 gelten als Schlüsselmerkmale erfolgreicher Langzeitehen. Der
Schwund der Gefährtenschaft, die Erosion der Intimität, fehlende Reziprozität
und Gefühle der Entfremdung werden quer durch die Literatur als zentrale
Auswirkungen
der
Demenz
auf
die
Ehe
berichtet.
Empirisch
wurden
unterschiedliche Muster der Bewältigung gefunden: Paare, die die Kontinuität der
Beziehung noch finden und betonen; Paare, die die Beziehung als kontinuierlich,
aber radikal verändert wahrnehmen und Paare, die keinen Bezug zu der
Beziehung vor der Demenz herstellen können464. Ein drittes Charakteristikum der
Paarveränderungen ist die Asymmetrie der Entwicklung der beiden Partner465.
Theoretisch bezogen werden die Veränderungen der Beziehung auf die
458
vgl. Bickel 1999, 1
459
vgl. Perry 100; Pollitt, Anderson & O’Connor 1991 ; Morgan & Laing 1991
460
vgl. Kruse 1991
461
vgl. z.B. bei Wright 1993
462
vgl. Lauer & Lauer 1986; Lauer & Kerr 1990; zit. nach Gallagher-Thompson et al. 2001, 140
463
vgl. Stinnett, Collins & Montgomery 1970
464
vgl. Chesla, Martinson & Muwaswes 1994
465
vgl. Wright 1993; Lewis 1998
107
schwindende Fähigkeit des Dementen zu "shared meaning" im Sinne von G.H.
Mead466, familientheoretisch auf die abnehmenden Kompetenzen des Paares zu
Kohäsion, Adaptabilität und Kommunikation467 oder auf die mangelhafte
Anpassungsfähigkeit in der Folge einer Unsicherheit des gesunden Partners
bezüglich der Systemgrenzen des Paares ("boundary ambiguity")468. Oder der
Zustand des Paares wird als inkomplette Statuspassage im Sinne von van
Gennep469 betrachtet.
Im sexuellen Bereich sind zunächst Veränderungen des Verhaltens des
Patienten im Rahmen der nicht-kognitiven Demenzsymptomatik zu bedenken, die
sich entweder als Nachlassen oder seltener als Steigerung des sexuellen
Interesses und der sexuellen Aktivität äußern können. Veränderungen der
sexuellen Kontakte werden von der Mehrheit der Paare berichtet470. Mit
Ausnahme weniger Paare, bei denen der demente Mann sexuell äußerst aktiv ist,
haben die meisten Paare im Vergleich zu altersgleichen gesunden Paaren
weniger sexuelle Kontakte471, bei vielen gibt es keinen Geschlechtsverkehr
mehr472. Aber auch Gesten der Zuneigung und Zärtlichkeit nehmen mit der Zeit
ab473. Probleme liegen vor allem darin, dass der demente Partner immer weniger
in der Lage ist, den sexuellen Bedürfnissen des anderen Beachtung zu
schenken, aber auch das Inzestverbot wird aktualisiert, wenn der gesunde
Partner die Beziehung zum Ehegatten mehr und mehr im Sinne einer
Mutter/Vater-Kind-Beziehung definiert474. Frauen und Männer nehmen die
Probleme bezüglich der veränderten sexuellen Beziehung zum dementen Partner
sehr unterschiedlich wahr475.
Für die Situation des gesunden Partners kann der allmähliche Verlust des
Ehegatten eine Bedrohung des eigenen Selbst bedeuten, wobei die Schwere
dieser Bedrohung einerseits von der psychischen Stabilität des gesunden
Partners und andererseits von der Qualität der Ehebeziehung vor dem Auftreten
der Demenz abhängt476. Die gesunden Partner erleben, dass die ihnen
466
vgl. Mead 1977; zit. nach Wright1993, 10
467
vgl. Olson 1989
468
vgl. Boss et al. 1990
469
vgl. vgl. Van Gennep 1908; zit. nach Blieszner & Shiftlett 1990, 57
470
vgl. Ballard et al. 1997; Derouesné et al. 1996; Duffy 1995; Eloniemi-Sulkova et al. 2002a; Litz, Zeiss &
Davies 1990; Quayhagen & Quayhagen 1988; Wright 1991, 1993, 1998; Zintl-Wiegand 1995
471
vgl. Wright 1993
472
vgl. Wright 1993; Ballard et al. 1997
473
vgl. Wright 1998
474
vgl. Duffy 1995
475
vgl. Duffy 1995; Litz, Zeiss & Davies 1990
476
vgl. O'Connor 1993
108
vertrauten Bedeutungssysteme, mit denen sie sich orientieren konnten,
angesichts der Demenz versagen, und sie reagieren darauf mit Ängstlichkeit,
Trauer, Wut oder Schuldgefühlen477. Die Demenz konfrontiert sie auf einer
existenziellen Ebene mit den Themen Tod, Einsamkeit, Freiheit und Sinn478. An
vorderster Stelle steht die Auseinandersetzung mit Verlust und Trauer, im Falle
der Demenz ein chronischer Prozess ohne die Chance eines Abschlusses479.
Charakteristisch für Ehegatten ist, dass ihre Trauer paar-fokussiert ist, weniger
ich-bezogen als bei pflegenden Kindern480. Ein anderer Bereich existenzieller
Erfahrung sind die Versuche der Angehörigen, ihrer Situation einen Sinn zu
verleihen. Sie tun dies, indem sie Entscheidungen treffen, positive Aspekte der
Beziehung wertschätzen, provisorischen Sinn (z.B. die Überzeugung, es müsse
einen Grund für all das geben) oder ultimativen Sinn (z.B. Verknüpfung der
Pflegeerfahrung mit religiösen oder spirituellen Überzeugungen) suchen481.
Mit dem Fortschreiten der Demenz muss der gesunde Ehegatte für den Kranken
immer mehr Aufgaben übernehmen, die in den pflegerischen Bereich fallen.
Wenngleich gegenseitige emotionale Unterstützung und auch zu bestimmten
Zeiten
handgreifliche
Pflegeleistungen
für
normale
Ehebeziehungen
charakteristisch sind, so dehnt sich die Pflege innerhalb einer von Demenz
betroffenen Ehe nach und nach imperialistisch482 soweit aus, dass die Ehe
zunehmend Eigenschaften einer Pflegebeziehung aufweist. In der Literatur
wird an vielen Stellen darüber berichtet, wie selbstverständlich und fraglos
Ehegatten die Pflege für ihren Partner übernehmen483. Als Hintergründe für die
hohe Motivation zur Pflege können Normen betrachtet werden, z.B. die
Reziprozitätsnorm, die Gerechtigkeitsnorm oder die Norm der sozialen
Verantwortung.
Aus
psychologischer
Perspektive
spielen
zum
einen
selbstdienliche Motive eine Rolle, z.B. soziale Anerkennung oder Vermeiden von
Schuldgefühlen, besonders Gefühle der Verpflichtung aufgrund von früher vom
anderen empfangenen Leistungen. Zum anderen bestehen auch altruistische
Motive, die auf Empathie gründen. Ein besonders starker Grund, sich des
kranken Partners anzunehmen, liegt in der Ethik der ehelichen Verpflichtung, die
477
vgl. Rudd, Viney & Preston 1999
478
vgl. Levine et al. 1984
479
vgl. Lindgren 1996
480
vgl. Meuser & Marwit 2001
481
vgl. Farran et al. 1991
482
vgl. Pearlin et al. 1990
483
vgl. z.B. Übersicht bei Hooker et al. 1992; Orana 1990
109
repräsentiert ist in dem Versprechen, das sich die Eheleute während der
Trauungszeremonie gegeben haben.
Die Literatur, die sich mit dem Pflegealltag von Ehegatten Demenzkranker
beschäftigt hat, demonstriert die Komplexität und Multidimensionalität dieser
Pflegesituation.
Manche
Ehegatten
integrieren
die
Pflegerolle
in
ihre
Ehebeziehung, andere trauern der von ihnen als verloren erlebten Ehe nach,
andere betonen den Pflegecharakter der neuen Beziehung und fokussieren die
Belastungen, wieder andere fokussieren dabei die persönlichen Gewinne, die
ihnen die Pflege bringt484. Die Aufgaben der täglichen Betreuung des Dementen
reichen von Hilfen bei den Aktivitäten des täglichen Lebens, über Unterstützung
bei der Kommunikation, Beaufsichtigung und Beobachtung des Kranken, bis hin
zu Aktivierung und Stimulation. Die Zielsetzungen, die Ehegatten bei ihren
alltäglichen Pflegeentscheidungen verfolgen, lassen sich fünf Kategorien
zuordnen485: (1) mögliche Bedürfnisse des Kranken gedanklich antizipieren und
entsprechend entscheiden und handeln (antizipierende Pflege); (2) präventive
Pflege
hinsichtlich
Verletzungen
und
Verschlechterungen
des
Krankheitszustands; (3) Beobachten und Eingreifen bei Bedarf (supervisorische
Pflege), (4) Hilfen bei den Aktivitäten des täglichen Lebens, "hand-on-care"
(instrumentelle Pflege) und (5) Schützen des Selbstbewusstseins und der
Persönlichkeit des demenziell Erkrankten (protektive Pflege). Charakteristisch für
pflegende Ehegatten scheint zu sein, dass sie besonderen Wert darauf legen
und auch stolz darauf sind, die Bedürfnisse des Partners gut zu kennen und
ihnen gerecht zu werden486, und dass ihnen der Schutz der Persönlichkeit und
der Würde des Partners besonders am Herzen liegt487. Sie tun dies, indem sie
Kontinuität erhalten, Kompetenzen des Kranken schützen, ihn vor Erfahrungen
des Versagens bewahren und Begegnungen mit der Umwelt strategisch
vorbereiten488.
Geschlechtsunterschiede hinsichtlich des Erwartungsdrucks zur Übernahme
der Pflegeaufgabe werden bei Ehegatten in der Literatur wenig thematisiert,
wobei es Hinweise auf einen stärkeren Verpflichtungsgrad für Ehefrauen gibt.
Unterschiede der Geschlechter werden bei der Ausübung der Pflegerolle in den
484
vgl. Hepburn et al. 2002
485
vgl. Bowers 1987; Corcoran 1993b
486
vgl. Corcoran 1993b
487
vgl. Perry 2002; Perry & O'Connor 2002; Wright 1993
488
vgl. Perry & O'Connor 2002
110
Bereichen Fokussierung auf die Beziehung versus Fokussierung auf die
Krankheit489, Ausübung von Autorität gegenüber dem Erkrankten490, Kontrolle
von Raum und Zeit491, Übernahme unterschiedlicher Aufgaben492 und Einsatz
von Coping-Strategien gesehen493. Ob Ehefrauen weniger Unterstützung
erhalten und/oder abrufen als Männer, bleibt offen.
Pflegende Männer haben in den letzten Jahren Konjunktur in der Forschung.
Die entsprechende Literatur versucht einerseits, von stereotypisierenden
Wahrnehmungen der pflegenden Männer und andererseits vom Messen der
männlichen Pflege am weiblichen Ellenmaß wegzukommen494. Den Hintergrund
für Pflegestile von Männern bilden kulturelle Vorstellungen von Männlichkeit, die
in westlichen Gesellschaften dominiert sind vom Bild der hegemonialen
Männlichkeit. Typische Stile von Männern sind die Orientierung der häuslichen
Pflege am Modell der Berufstätigkeit und die Verknüpfung von Aufgaben- und
Managementorientierung mit affektiven Aspekten der Pflege495. Mit beiden Stilen
verbunden sind problem-fokussierte Coping-Strategien und die Haltung, eine
gewisse Distanz zur Pflegesituation zu wahren496. Über die Bedeutung der Pflege
für Ehemänner herrscht noch viel Unklarheit. Stichworte sind hier Liebe,
Verpflichtung,
Reziprozität,
Familienoberhaupt,
Ersatz
für
die
verlorene
Berufsrolle, persönliches Wachstum.
Die seltenen Arbeiten, die speziell die Situation pflegender Ehefrauen fokussiert
haben, berichten über andere Herangehensweisen an die Pflege. Perry497
bezeichnet das, was sie bei Ehefrauen sah, als „interpretatives Pflegen“, eine
kognitive Dimension der Pflege, ein ständiges Bemühen der Frauen darum, die
Situation des Mannes und die Bedeutung der Demenz für ihn und für die
Beziehung zu verstehen,
und entsprechend alles Erdenkliche zu tun, damit
Selbstbewusstsein und Wohlbefinden des dementen Ehemannes gestützt
werden. Gleichzeitig wird bei Ehefrauen eine starke Orientierung an der
Beziehung gesehen498, sowie häufig Bewältigungsversuche mit emotions-
489
vgl. Miller 1987; Beeson et al. 2000; Hooker et al. 2000; Bookwala & Schulz 2000; O’Connor 1999
490
vgl. Miller 1987
491
vgl. Miller 1987
492
vgl. Miller & Cafasso 1992
493
vgl. Harris 1993
494
vgl. Thompson 2002
495
vgl. Thompson 2002
496
vgl. Thompson 2002
497
vgl. Perry 2002
498
vgl. Kramer 1993a; Miller 1987; Motenko 1989 ; Perry 2002; Rose et al. 1997
111
fokussierten Coping-Strategien499 und Schwierigkeiten, Autorität gegenüber dem
dementen Ehemann zu erlangen500. Die Demenz des Mannes bedeutet für
Ehefrauen einschneidende Veränderungen des Zuhauses, eines Ortes, der für
Frauen dieser Kohorte über den gesamten Lebenslauf eine starke Bedeutung
als Ort der Arbeit, Arena der Verantwortlichkeit und auch der Selbstdarstellung
hatte501.
Einzuordnen
sind
diese
Befunde
auf
dem
Hintergrund
der
gesellschaftlichen Differenzierung der Geschlechtscharaktere, die u.a. dadurch
entsteht, dass Frauen auf eine Fürsorge- und Beziehungsorientierung hin
sozialisiert werden502.
Ein besonderes Phänomen ist Gewalt in ehelichen Pflegekonstellationen, das
möglicherweise verstärkt nicht im Kontext der Pflegesituation, sondern allgemein
im Zusammenhang mit Gewalt in der Ehe betrachtet werden sollte503. Zahlen zur
Inzidenz von Gewalt gegen ältere Menschen im häuslichen Bereich zeigen
Demenzkranke als Risikogruppe und Familienangehörige als die häufigsten
Täter, Ehegatten in 19% der Fälle in einer amerikanischen Untersuchung504. Als
Hintergründe werden häufig Stress bzw. Überforderung mit der Pflegesituation
gesehen, emotionale Probleme des Pflegenden, ungelöste alte Konflikte oder
eine vor der Demenz schon schwierige Beziehungsgeschichte505, sowie
Vorerfahrungen mit familiärer Gewalt506 und auch die Abgeschiedenheit der
Pflegesituation und ein daraus resultierender Zustand der Anomie507.
499
vgl. Übersicht bei Rose-Rego et al. 1998, 225
500
vgl. Miller 1987, Pullwitt, Seibert & Fischer 1996
501
vgl. Bernard 1981; zit. nach Miller 1987, 449
502
vgl. Gilligan 1982; Chodorow 1994
503
vgl. Buttell 1999
504
vgl. Sowarka, Schwichtenberg-Hilmert & Thürkow 2001
505
vgl. Übersicht bei Williamson et al. 2001, 217
506
vgl. Hughes 1997
507
vgl. Kruse 1991
112
4
Belastung und Lebenszufriedenheit der
pflegenden Ehepartner
Die weitaus meisten Studien über die Belastungen pflegender Angehöriger
haben ihren theoretischen Bezugsrahmen in der Stresstheorie. Was unter Stress
und Belastung allgemein und speziell bei der häuslichen Pflege eines dementen
Menschen zu verstehen ist, wird in den Forschungsbeiträgen unterschiedlich
konzeptualisiert. Kapitel 4.1 gibt hierzu einen Überblick. Die Stressforschung
betrachtet den Patienten bzw. dessen Demenzsymptomatik als chronischen
Stressor; es werden verschiedene Einflussgrößen in Betracht gezogen, welche
die Wirkung dieses Stressors verändern können; am Ende des Stressprozesses
stehen die „outcomes“, d.h. die objektiv fassbaren Auswirkungen auf die
pflegenden Angehörigen und das subjektive Belastungserleben. Im Kapitel 4.2
werden
empirische
Befunde
über
diese
„outcomes“
bei
Ehegatten
Demenzkranker dargestellt. Kapitel 4.3 beschäftigt sich mit Erkenntnissen über
die Bedeutung verschiedener Einflussgrößen auf die Belastung der Ehegatten:
die Schwere der Demenzsymptomatik und Merkmale des
Patienten (Kapitel
4.3.1), Merkmale des pflegenden Ehegatten (Kapitel 4.3.2), die Qualität der
Ehebeziehung vor dem Auftreten der Demenz (Kapitel 4.3.3), Merkmale der
Umwelt (Kapitel 4.3.4) und die Art des Copings (Kapitel 4.3.5). Im Kapitel 4.4
werden
die
Belastungen
pflegender
Ehegatten
verglichen
mit
anderen
Gruppierungen pflegender Angehöriger. Den Abschluss bildet das Kapitel 4.5,
das die wenigen Arbeiten über positive Aspekte der Ehegattenpflege darstellt.
4.1
4.1.1
Theoretische Grundlagen der Forschung
Das Konstrukt Belastung
In einem ersten Zugriff bezeichnet der Begriff Pflegebelastung umfassend die
physischen, psychischen oder emotionalen, sozialen und finanziellen Probleme,
die
Angehörige
bei
der
Versorgung
eines
pflegebedürftigen
älteren
Familienmitglieds erfahren können508. Als Forschungskonstrukt wurde Belastung
508
vgl. George & Gwyther 1986, 253
113
(burden) von Zarit, Reever & Bach-Peterson (1980)509 entwickelt, die in einer der
frühen Studien über Stress in der häuslichen Pflege Demenzkranker das „Burden
Interview“ konstruiert haben. Seither ist Belastung in der Forschung in
unterschiedlicher Weise konzeptualisiert und gemessen worden. Belastung wird
als
Stressor
oder
510
Stressprozess
als
Stressfolge
oder
als
abhängige
Variable
im
aufgefasst. Definitionen reichen von den emotionalen Kosten in
Form von Gefühlen der Überlastung und Verwicklung in einer unangenehmen
Lage511, über spezifische Veränderungen des Alltags512 zu finanziellen
Schwierigkeiten, Rollendruck und körperlicher Gesundheitsverschlechterung513.
Abbildung 9:
Terminologie
zur Untersuchung der Auswirkungen von Stressoren in der häuslichen Pflege
Konsequenzen für den Pflegenden
Beschreibung
Psychisches Wohlbefinden (psychological wellbeing)
Messung von positiven und negativen Emotionen
(George & Gwyther 1986; Lawton 1984)
Subjektive Belastung (subjective burden)
Emotionale Antworten auf die
Pflegeanforderungen (Montgomery et al. 1985)
Objektive Belastung (objective burden)
Aktuelle Anforderungen an Zeit und Ressourcen
des Pflegenden (Montgomery et al. 1985)
Belastung (burden)
Wahrgenommene Auswirkung der Pflege auf
verschiedene Bereiche wie physisches und
emotionales Wohlbefinden, persönliche
Aktivitäten, Familienleben, Finanzen (Zarit et al.
1986)
Anspannung (strain)
Manifestationen von Belastung wie psychische
Störungen, Reduktion sozialer Aktivitäten, Gefühle
von Hoffnungslosigkeit (Morycz 1985)
Misslichkeiten (inconvenience)
Das Ausmaß, zu dem die Pflege die Zeiten für
Erholung, die finanzielle Situation, die
Berufstätigkeit und die Gesundheit verändert
(Wilder et al. 1983)
Distress (distress)
Biopsychosoziale Antworten auf Stressoren wie
auch auf moderierende Faktoren wie Vulnerabilität
(z.B. Gesundheit, demographische Variablen) und
persönliche Ressourcen (z.B. Coping, soziales
Netz) (Vitaliano et al. 1989b)
Widrigkeiten und innerer Auftrieb (hassles and
uplifts)
Kleine, alltägliche Stressoren (hassles) und
Befriedigungen, Auftriebe (uplifts), die der
Pflegende erlebt (Kinney & Stephens 1989)
Reaktion (reaction)
Ausmaß, zu dem das individuelle Verhalten des
Patienten den Pflegenden stört oder aufregt (Teri
et al. 1992)
Quelle: Magai, Hartung & Cohen 1995
514
509
vgl. Vitaliano et al. 1991, 392 und Zarit, Reever & Bach-Peterson 1980
510
vgl. Winslow & Carter 1999, 276
511
vgl. Thompson & Doll 1982; zit. nach Poulshock & Deimling 1984, 230
512
vgl. Fatheringham et al. 1972; zit. nach Poulshock & Deimling 1984, 230
513
vgl. Robinson et al. 1983; Zarit et al. 1980; zit. nach Poulshock & Deimling 1984, 230
514
vgl. Magai, Hartung & Cohen 1995, 226 (Übersetzung Franke)
114
Einen Überblick über verschiedene Konzeptualisierungen und die Vielfalt der
berücksichtigten Dimensionen von Belastung geben Magai, Hartung & Cohen515
in der oben stehenden Abbildung 9.
Viele Autoren fordern eine Unterscheidung von subjektiver und objektiver
Belastung. Montgomery, Gonyea & Hooyman516 beispielsweise ordnen den
objektiven Belastungen das Ausmaß der Veränderungen im Lebensstil und in
den Beziehungen und die aktuellen Anforderungen an Zeit und Ressourcen des
Pflegenden zu. Zu den subjektiven Belastungen zählen sie die Einstellungen und
emotionalen Reaktionen des Pflegenden auf die Pflegesituation. Thompson &
Doll517 bezeichnen als objektiv belastend all das, was zu Veränderungen in den
finanziellen
Verhältnissen,
Rollen,
im
Familienleben
oder
den
Nachbarschaftsbeziehungen führt. Subjektive Belastungen beziehen sich auf
Gefühle, z.B. sich überlastet, an etwas gehindert, gefangen oder aufgebracht zu
fühlen. In eine ähnliche Richtung denken Poulshock & Deimling518, die zwischen
den Begriffen „impact“ und „burden“ unterscheiden. „Impact“ beschreibt die relativ
objektiven Veränderungen im Leben der Pflegenden, z.B. in den Bereichen
Gesundheit, soziale Aktivitäten, Berufstätigkeit oder Familienbeziehungen.
„Caregiving burden“ bezieht sich auf die subjektiven Erfahrungen, dass
bestimmte Pflegeaufgaben als belastend erlebt werden. In dieser Sichtweise wird
angenommen,
dass
subjektive
und
objektive
Aspekte
der
Belastung
unterschiedlich mit Variablen der Pflegenden und des Pflegebedürftigen
zusammenhängen. Stephens & Kinney519 differenzieren die Auswirkungen der
Pflege einerseits und die subjektiven und objektiven Quellen von Belastung
andererseits. Sie dringen darauf, die Quellen von Stress und die Wahrnehmung
von Stress zu unterscheiden.
Die unterschiedlichen Konzeptualisierungen von Pflegebelastung haben zur
Folge, dass die Ergebnisse verschiedener Studien schwer vergleichbar sind, und
die Forschungslage trotz der inzwischen unüberschaubaren Fülle an Arbeiten zur
Angehörigenbelastung in vielen Bereichen widersprüchlich bleibt520.
515
Magai, Hartung & Cohen 1995, 226 (Übersetzung: Franke)
516
vgl. Montgomery, Gonyea & Hooyman 1985
517
vgl. Thompson & Doll 1982
518
vgl. Poulshock & Deimling 1984
519
vgl. Stephens & Kenney 1989
520
vgl. Vitaliano, Young & Russo 1991
115
4.1.2
Stresstheoretisch orientierte Forschung
Die stresstheoretisch orientierten Beiträge betrachten die häusliche Versorgung
eines pflegebedürftigen Menschen als potenziell stressvolle Situation, die von
den betroffenen Personen und Familien unterschiedlich beantwortet wird. Der
Prozess der häuslichen Pflege wird erfasst, indem Stressoren und Stressfolgen
sowie
Ressourcen,
Bewertungen,
Kontext-
und
Hintergrundvariablen
beschrieben werden.
Dass verschiedene Pflegepersonen bei vergleichbaren Ausgangssituationen
unterschiedliche Stressfolgen erleben, wird mediierenden oder moderierenden
Faktoren zugeschrieben, welche die Beziehung zwischen Stressor und
Stressfolgen beeinflussen. Die Mediationshypothese521 betrachtet eine beliebige
Variable
im
Stressprozess
beispielsweise
die
Qualität
als
Mediator.
Die
mediierende
der
Beziehung
zwischen
Variable,
Pflegendem
und
Pflegebedürftigem, wird durch den Stressor, beispielsweise die Demenz,
verändert und diese Veränderung beeinflusst in der Folge die Stresswirkungen,
die der pflegende Angehörige erlebt. Die Moderationshypothese522 betrachtet
eine beliebige Variable als Moderator im Stressprozess. Im Gegensatz zu einer
mediierenden besitzt eine moderierende Variable ein aktives Potenzial; sie kann
aktiv die Auswirkungen eines Stressors verändern. Im Beispiel: Eine gute
Beziehungsqualität kann der Moderationshypothese zufolge die Wirkungen des
Stressors „Demenz“ auf den pflegenden Angehörigen abmildern. Daneben gibt
es als drittes hypothetisches Modell das Main-Effect-Model523, das eine beliebige
Variable im Stressprozess als Haupteffekt ansieht. Das bedeutet, diese Variable
hat immer dieselben Effekte, unabhängig von der Ausprägung der anderen
Variablen. Im Beispiel: Wäre die Beziehungsqualität ein Haupteffekt im
Stressprozess, dann hätte eine sehr gute Ehequalität stets dieselben positiven
Auswirkungen auf das Befinden des pflegenden Angehörigen ganz unabhängig
vom Schweregrad der Demenz und - konsequent zu Ende gedacht - auch
unabhängig davon, ob der Partner überhaupt demenziell erkrankt ist oder nicht.
Das Erkenntnisinteresse der Stressforschung richtet sich darauf, einerseits die
verschiedenartigen Auswirkungen des Stressors, insbesondere die Belastungen
der
pflegenden
Angehörigen
zu
inventarisieren,
und
andererseits
das
Zusammenspiel der beteiligten Variablen zu verstehen, um letztlich Prädiktoren
521
vgl. bei Lawrence, Tennstedt & Assmann 1998
522
vgl. bei Lawrence, Tennstedt & Assmann 1998
523
vgl. bei Pruchno & Resch 1989a
116
für bestimmte Auswirkungen identifizieren zu können bzw. Hinweise für hilfreiche
Interventionen zu erhalten.
In ihrem Literaturrückblick über theoretische Grundlagen und Messinstrumente in
der Demenz-Angehörigen-Forschung
ermittelten Kramer und Vitaliano524 drei
stresstheoretisch orientierte Hauptansätze, auf die sich Forschungsarbeiten in
diesem Bereich häufig stützen: (1) die kognitiv phänomenologische Theorie des
psychosozialen Stresses von Lazarus und Kollegen525, (2) das Double-ABCXModell von McCubbin und Kollegen526, und (3) das speziell für die Pflege
Demenzkranker entwickelte Prozessmodell des Alzheimer-Pflegestresses von
Pearlin et al.527. Ein weiteres Modell, das sich auf die Demenz-EhegattenSituation bezieht, ist das Zwei-Faktoren-Modell von Lawton et al.528.
4.1.2.1
Die Stress-Coping-Theorie von Lazarus et al.
Mit ihrer Theorie des psychosozialen Stresses versuchten Lazarus und
Kollegen529 die Frage zu beantworten, warum manche Menschen schwierige
Ereignisse gut bewältigen, während dies anderen in vergleichbaren Umständen
nicht gelingt. Frühere Arbeiten zum Stress530 hatten sich entweder auf
Stresszustände von Organismen („Response-Definitionen von Stress) oder auf
die
stresserzeugenden
Bedingungen
(Stimulus-Definitionen
von
Stress)
konzentriert. Mit den Response-Modellen, die vor allem in der Biologie und
Medizin entstanden sind, lassen sich Stressreaktionen gut erfassen, sie versagen
aber, wenn man nach den Ursachen dieser Reaktionen fragt. Die StimulusModelle fokussieren die Ursachen. Sie betrachten bestimmte Arten von
Situationen, z.B. Naturkatastrophen, kritische Lebensereignisse oder tägliche
Widrigkeiten, als normativ stresserzeugend; sie geben aber keine Antworten auf
die Frage nach individuellen Unterschieden in den Reaktionen auf derartige
Ereignisse. Lazarus und Folkman kommen zu der Auffassung, dass weder die
Art von Ereignissen, der Stimulus, noch die Art der Reaktion allein den Stress
definierten, sondern die Beziehung von Stimulus und Reaktion: „In short, all
524
vgl. Kramer & Vitaliano 1994; ähnliches Ergebnis im Überblick von Farran 1997
525
vgl. Lazarus 1966; Lazarus & Launier 1981; Lazarus & DeLongis 1983; Lazarus & Folkman 1984
526
vgl. McCubbin & Thompson 1987; zit. nach Farran 1997
527
vgl. Pearlin et al. 1990
528
vgl. Lawton et al. 1991
529
530
vgl. Lazarus 1966; Lazarus & Launier 1981; Lazarus & DeLongis 1983; Lazarus & Folkman 1984, 1987;
Lazarus 1991
Übersicht bei Lazarus & Folkman 1984,
117
stimulus-response approaches are circular and beg the crucial questions of what
is about the stimulus that produces a particular stress response, and what is
about the response that indicates a particular stressor. It is the observed
stimulus-response relationship, not stimulus or response, that defines stress.”531
In ihrer Stressdefinition betonen sie die Beziehung von Person und Umwelt,
indem sie für die Entstehung von Stress sowohl die Charakteristik der Person in
Betracht ziehen als auch die Besonderheiten des potenziell stressenden
Umweltereignisses. „Psychological stress, ..., is a relationship between the
person and the environment that is appraised by the person as taxing or
exceeding his or her resources and endangering his or her well-being.”532
Eine Schlüsselrolle für die Entstehung von Stress nimmt dabei die kognitive
Bewertung (cognitive appraisal) des Ereignisses ein. Bewertungen ergeben sich
aus der Beurteilung der Bedeutung eines Geschehens für das Wohlbefinden
einer Person. Die Autoren unterscheiden drei Formen von Bewertung, die
primäre, die sekundäre und die Neubewertung (primary appraisal, secondary
appraisal, reappraisal). In der primären Bewertung beurteilt das Individuum die
Qualität eines Ereignisses entweder als irrelevant für das eigene Wohlbefinden,
als günstig/positiv oder als stressend. Stressende Ereignisse treten in drei
Formen auf: als Herausforderung, als Bedrohung oder als Schädigung/Verlust. In
einer sekundären Bewertung beurteilt die Person das zur Verfügung stehende
Bewältigungsvermögen in Relation zum stressenden Ereignis. Dafür werden der
erwartete Ausgang möglicher Bewältigungsversuche (outcome expectancy533)
und der erwartete Erfolg (efficacy expectation534) gedanklich antizipiert. Primäre
und sekundäre Bewertungen finden als Prozess im Austausch mit der Umwelt
statt, wobei neue Informationen aus der Umwelt in neue Bewertungen
(reappraisal) eingehen. Die Bewertungsprozesse müssen nicht unbedingt
bewusst ablaufen. Die Bewertungen werden von verschiedenen Faktoren
beeinflusst. Dies sind einerseits Faktoren, die in der Person liegen, wie
Überzeugungen
(beliefs)
oder
Wertvorstellungen
und
Verpflichtungen
(commitments). Andererseits beeinflussen auch Merkmale des potenziell
stressenden Ereignisses die Bewertung. Solche Faktoren sind das Ausmaß an
Neuartigkeit einer Situation, die Vorhersagbarkeit, der Grad an Sicherheit bzw.
Unsicherheit und der Grad der Ambiguität. Dazu kommen zeitliche Faktoren: die
531
Lazarus & Folkman 1984, 15 (Hervorhebung: Lazarus & Folkman)
532
Lazarus & Folkman 1984, 21
533
Bandura 1977a, 1982; zit. nach Lazarus & Folkman 1984, 35
534
Bandura 1977a, 1982; zit. nach bei Lazarus & Folkman 1984, 35
118
verbleibende Zeitspanne bis zum Eintritt des Ereignisses, die Dauer und die
Absehbarkeit der Dauer eines Ereignisses sowie auch der Zeitpunkt des
Auftretens innerhalb des Lebenszyklusses und die zeitliche Nähe zu anderen
Ereignissen. Ereignisse, die an untypischer Stelle im Lebenslauf (time-off)
auftreten, werden als potenziell stressender angesehen, weil sie unerwartet sind
und den Betroffenen von der Unterstützung Gleichaltriger abschneiden.
Vulnerabilität entsteht, wenn die Relation zwischen den Ressourcen und den
Verpflichtungen bzw. dem, was einem Individuum wichtig ist (commitments),
nicht stimmt. „In short, psychological vulnerability is determined not just by a
deficit in resources, but by the relationship between the individual’s pattern of
commitments and his or her resources for warding off threats to those
commitments.“535
Die Bewältigungsreaktion des Individuums, das Coping bezeichnet die
„constantly changing cognitive and behaviorial efforts to manage specific external
and/or internal demands that are appraised as taxing or exceeding the resources
of the person”536. Coping ist demnach ein Prozess und ergebnisoffen. Es ist nicht
mit
Bewältigung (mastery) gleichzusetzen; es handelt sich vielmehr um
Bewältigungsversuche (efforts); auch erfolglose Bemühungen werden als Coping
bezeichnet. Coping kann vieles sein: eine stressvolle Situation minimieren,
vermeiden, tolerieren, akzeptieren oder überwinden537. Lazarus und Kollegen
unterscheiden zwei übergreifende Funktionen von Coping:
(a)
Problem-fokussiertes
Coping
bedeutet
Versuche,
das
den
Stress
verursachende Problem zu handhaben oder zu verändern. Hierunter fallen
typische
Problemlösungsstrategien
wie
Problemdefinition,
Suche
nach
Lösungsmöglichkeiten, Abwägen der Vor- und Nachteile von verschiedenen
Lösungen,
Entscheidungsfindung,
Durchführung.
unterscheiden in Anlehnung an Kahn et al.
538
Lazarus
und
Folkman
zwischen zwei Hauptgruppen
problemorientierter Strategien: erstens Bemühungen, die auf die Umgebung
gerichtet sind, wie Veränderung des Umgebungsdrucks, der Barrieren, der
Ressourcen, der Vorgehensweisen usw. und zweitens Bemühungen, die sich auf
das Selbst richten, auf motivationale oder kognitive Veränderungen. Hierunter
fallen Strategien, das eigene Anspruchsniveau zu verändern, die Ego-
535
Lazarus & Folkman 1984, 51 (Hervorhebung: Lazarus & Folkman)
536
Lazarus & Folkman 1984, 141
537
vgl. Pruchno & Resch 1989a
538
vgl. Lazarus & Folkman 1984, 152f.
119
Involviertheit zu reduzieren, alternative Quellen der Gratifikation zu finden, neue
Verhaltensstandards zu entwickeln oder neue Fähigkeiten und Vorgehensweisen
zu erlernen. Lazarus und Folkman nennen diese nach innen gerichteten
Strategien
problem-fokussierte
kognitive
Neubewertungen
(„cognitive
reappraisals that are problem-focused“539).
(b) Unter emotions-fokussiertem Coping verstehen sie Bemühungen, die
emotionale Reaktion auf eine problematische Situation zu regulieren. Hierzu
können unterschiedliche Strategien dienen, die den emotionalen Distress
minimieren
sollen,
wie
Vermeidung,
Minimieren,
Distanzieren,
selektive
Wahrnehmung, Gefühlsausbrüche, Wunschdenken oder Versuche, negativen
Ereignissen etwas Positives abzuringen. Aber auch Strategien, die den Distress
vorübergehend erhöhen, wie Selbstvorwürfe und Selbstbestrafung, gehören zum
emotions-fokussierten Coping, und schließlich auch kognitive Manöver, welche
die Bedeutung einer Situation verändern sollen, etwa Gedanken wie „Es könnte
noch schlimmer sein.“ Emotions-fokussierte Formen des Coping können, müssen
aber nicht Selbstbetrug und Realitätsverdrehung sein. Die Autoren sehen ein
Kontinuum mit den Polen Illusion auf dem einen und schwerwiegenden
Realitätsverdrehungen auf dem anderen Ende. Eine scharfe Trennlinie zwischen
gesunden und pathologischen Mustern ist ihrer Auffassung nach nicht zu finden,
und eine Bewertung kann - wenn überhaupt – nur unter Berücksichtigung des
Kontextes und der kurz- und langfristigen Kosten und Nutzen erfolgen.
Emotions-fokussiertes Coping tritt im Allgemeinen eher dann auf, wenn ein
stressendes Ereignis als außerhalb der eigenen Kontrolle liegend eingeschätzt
wird. Problemfokussierte Formen des Coping sind dagegen wahrscheinlicher in
Situationen, die als grundsätzlich veränderbar angesehen werden.
Neben den problem- bzw. emotions-fokussierten Strategien haben andere
Autoren noch weitere Coping-Strategien bedacht: spirituelles Coping, z.B. beten
oder mit dem Priester sprechen540, und beziehungs-fokussierte Strategien,
welche
die
Beziehung
verbessern,
etwa
Empathie,
Verhandeln,
Kompromisssuche, oder verschlechtern, wie Kritizismus, Ignorieren oder
Konfrontieren541.
539
Lazarus & Folkman 1984, 153
540
vgl. Quayhagen & Quayhagen 1988
541
vgl. DeLongis & O’Brien 1990; Kramer 1993b; beide zit. nach Kramer & Vitaliano 1994, 167f.
120
Auf das Stress-Coping-Modell von Lazarus und Kollegen ist in vielen Studien zur
Angehörigenbelastung zurückgegriffen worden542. So beziehen sich auch sehr
viele Arbeiten zur Situation der Ehegatten Demenzkranker darauf. Chiverton &
Caine543
beispielsweise untersuchten, inwieweit eine Bildungsmaßnahme für
Ehegatten deren Coping-Fähigkeiten verbessern konnte. Gallant & Connell544
konzipierten das Gesundheitsverhalten von pflegenden Ehegatten als Mediator
zwischen Stress und Stressfolgen. Hooker et al.545 untersuchten an Ehegatten
Demenzkranker den Einfluss der Persönlichkeit auf die Bewertungen innerhalb
des Stressprozesses. Kramer546 verglich Ehemänner, die ihre demente Frau im
Heim untergebracht hatten, mit solchen, die weiter zu Hause pflegten. Lewis et
al.547
erhoben
mit
einer
Grounded-Theory-Studie
Entscheidungssituationen von pflegenden Ehefrauen.
typische
Lutzky & Knight548
untersuchten im Rahmen der Stresstheorie geschlechtsspezifische Unterschiede
beim
Stress
pflegender
Demenz-Ehegatten.
O’Rourke
und
Cappeliez549
forschten an Ehegatten von demenz-verdächtigen Personen, um die Frage der
Entstehung negativer Stressfolgen infolge inadäquater Coping-Strategien zu
klären. Pruchno und Resch550 schließlich nutzten ein Ehegattensample zur
Erforschung der Rolle des Coping im Stressprozess.
4.1.2.2
Das Zwei-Faktoren-Modell von Lawton et al.
Das Zwei-Faktoren-Modell von Lawton et al.551 ist ein Stressmodell speziell für
die Demenz-Angehörigen-Situation, das auf der Basis der Stresstheorie von
Lazarus et al. und der Two-Factor Theory of
Happiness von Bradburn552
entwickelt wurde. Letztere betrachtet positiven und negativen Affekt als separate
Aspekte, die beide notwendig sind für das Verständnis des psychischen
Wohlbefindens. Im Rahmen dieser Arbeit ist das Modell bedeutsam, weil die
Autoren es eigens mit einem Subsample pflegender Ehegatten überprüft haben.
Das für die Ehegatten gefundene Modell enthält folgende Bedingungsgrößen: Als
542
vgl. Überblick bei Vitaliano et al. 1991
543
vgl. Chiverton & Caine 1989
544
vgl. Gallant & Connell 1997, 1998, 2003
545
vgl. Hooker et al. 1992, 1998
546
vgl. Kramer 2000
547
vgl. Lewis et al. 2000
548
vgl. Lutzky & Knight 1994
549
vgl. O’Rourke & Cappeliez 2002
550
vgl. Pruchno & Resch 1989a
551
vgl. Lawton et al. 1991
552
vgl. Bradburn 1969; zit. nach Lawton et al. 1991, P182
121
objektive Stressoren bezeichnen die Autoren die Symptome des Patienten und
das Ausmaß der vom Ehegatten geleisteten Hilfe. Ressourcen sind in diesem
Modell die Gesundheit des Pflegenden und die von Dritten erhaltene
Unterstützung. Stressfolgen werden in zwei Richtungen unterschieden, in
einerseits positiven Affekt und andererseits Depression. Der zentrale Mediator
zwischen Stressoren und Stressfolgen ist die Bewertung der Situation, die das
Individuum vornimmt. Lawton et al. unterscheiden bei der Bewertung zwei
Hauptrichtungen:
Zufriedenheit
(caregiving
satisfaction)
oder
Belastung
(caregiving burden), die sie auch als subjektive Stressoren bezeichnen.
„Caregiving
satisfaction“
repräsentiert
subjektiv
erlebte
Gewinne
aus
angenehmen Aspekten oder aus positiven affektiven Erträgen der Pflege.
„Caregiving burden“ bezeichnet die Wahrnehmung von psychischem Distress,
Angst, Depression, Demoralisation und generellem Verlust persönlicher Freiheit.
Die Autoren beschreiben in ihrem Modell zwei Parallelprozesse „in which two
types of appraisal differentially affect two types of psychological well-being in
ways that are congruent with their valence; satisfactions lead to positive affect
and burdens to negative affect.”553
Abbildung 10:
Bestimmungsgrößen des Zwei-Faktoren-Modells
der
Pflegebewertung
und
des
psychischen
Wohlbefindens
Demenzkranker von Lawton et al. 1991
Symptome des
Patienten
Obj. Stressoren
Geleistete Pflege
Zufriedenheit
Positiver Affekt
Belastung
Depression
Ressourcen
Gesundheit
des Pflegenden
Erhaltene
Unterstützung
553
Lawton et al 1991, P182
Stressfolgen
Bewertung / subj. Stressoren
für
Ehegatten
122
Bei den untersuchten Ehegatten wurde das Modell in seinen zentralen
Annahmen bestätigt. Zufriedenheit in der Pflege korrelierte, wie angenommen,
mit positivem Affekt und Belastung mit Depression. Die Schwere der
Patientensymptome hatte einen Bezug zum Ausmaß der geleisteten Pflege und
zur
subjektiv
bewerteten
Belastung,
aber
nicht
zur
wahrgenommenen
Zufriedenheit oder einer der beiden Stressfolgen. Schlechte Gesundheit des
pflegenden Gatten korrelierte mit größerer Belastung, weniger positivem Affekt
und mehr Depression. Das Ausmaß der von Dritten erhaltenen Hilfen stieg in
dem Maße, wie auch der Ehegatte mehr Pflege leisten musste. Diese soziale
Unterstützung trug aber weder zur Zufriedenheit noch zur Belastung bei. Die
Pflege, die der gesunde Ehegatte leistete, hatte keine Korrelation zur
Zufriedenheit, aber zur Belastung.
Zusammenfassend sagen die Ergebnisse aus, dass bei den Ehegatten
Zufriedenheit keinen Bezug zu Aspekten der objektiven Stressoren hatte, aber
ein signifikanter Determinant für positiven Affekt war. Die Autoren betrachten
dies als Beleg für die sozial-normative Struktur der Ehegattenpflege, in der Pflege
als Teil der Eheverpflichtung angesehen werde. Die Zufriedenheit mit der Pflege
scheint durch Faktoren bedingt zu sein, die nicht in dem Modell enthalten sind.
Die Autoren spekulieren, dass die Qualität der Beziehung einer dieser Faktoren
sein könnte. Beachtenswert ist, dass die Schwere der Patientensymptome eine
vorhandene Zufriedenheit des gesunden Gatten mit der Pflegesituation nicht
erodieren konnte. Der negative Prozess erwies sich als relativ unabhängig von
dem
positiven.
Objektive
Pflegeaufgaben
erhöhten
die
subjektiv
wahrgenommene Belastung, die wiederum die Depression steigerte, erodierten
jedoch nicht positive Seiten des Wohlbefindens.
4.1.2.3
Das Double-ABCX-Modell von McCubbin et al.
Das Double-ABCX-Modell von McCubbin und Kollegen554 beschäftigt sich damit,
wie Familien Stress bewältigen. Es geht auf das ABCX-Modell zurück, das 1949
von Hill555 entwickelt worden ist. Danach resultiert eine Familienkrise (Faktor X)
aus der Interaktion von Stressoren (Faktor A), Ressourcen der Einzelnen und der
ganzen Familie (Faktor B) und den subjektiven Bewertungen des jeweiligen
554
555
vgl. McCubbin & Patterson 1983; vgl. Kurzdarstellung bei Rankin, Haut & Keefover 1992
vgl. Hill 1949, zit. nach Pruchno, Michaels & Potashnik 1990, S259; und Hill 1958; zit. nach Rankin, Haut &
Keefover 1992, 814
123
Ereignisses (Faktor C). McCubbin und Patterson556 modifizierten dieses Modell,
indem sie eine Entwicklungsperspektive einbezogen. Sie betrachten die Familie
als ein epigenetisches Gebilde, d.h. als einen Organismus, der sich durch
aufeinander folgende Neubildungen entwickelt. In ihrem Modell gibt es eine
Feedback-Schleife zwischen der Angemessenheit der familiären Neuorganisation
nach einem Krisenbewältigungsversuch und später folgenden Stressoren in der
Weise, dass Schwierigkeiten bei der Bewältigung auf einer Stufe der Entwicklung
die Aufschichtung von Stressoren im Laufe der Zeit bewirken (Faktor Aa).
Hierdurch werden die zukünftigen Ressourcen der Familie angegriffen (Faktor
Bb), die Wahrnehmungen und Bewertungen wiederum beeinflusst (Faktor Cc),
was schließlich Effekte auf das Ausmaß aller folgenden Krisen hat (Faktor Xx).
Auf die Situation der Ehegatten Demenzkranker hat beispielsweise Kramer557
dieses Modell angewendet. Sie hat die frühere Ehegeschichte und die Qualität
der Beziehung vor dem Auftreten der Demenz als Vulnerabilität im Sinne des
Double-ABCX-Modells konzeptualisiert: Ungelöste Eheprobleme tragen danach
zur Aufschichtung von Stressoren bei und erschweren die Bewältigung der
Pflege. Majerovitz558 kombinierte das ABCX-Modell von Hill mit theoretischen
Beiträgen aus der systemischen Familientheorie und untersuchte an Ehegatten
Demenzkranker die Rolle der Adaptabilität für die Entstehung von Belastungen
und Depression als Stressfolgen. Pruchno, Michaels & Potashnik559 entwickelten
auf der Grundlage der Familienstresstheorie560 ein theoretisches Modell zur
Vorhersage der Heimunterbringung von Demenzkranken, die von Ehegatten
gepflegt werden.
4.1.2.4
Das Alzheimer-Pflegestress-Modell von Pearlin et al.
Das Modell des Alzheimer-Pflegestresses von Pearlin et al.561 hat als Vorläufer
eine allgemeine, soziologisch orientierte Arbeit über Coping von Pearlin &
Schooler562. Als Coping bezeichnen die Autoren dort Verhaltensweisen, die
Menschen davor schützen, durch problematische soziale Erfahrungen psychisch
556
vgl. McCubbin & Patterson 1983
557
vgl. Kramer 1993a
558
vgl. Majerovitz 1995
559
vgl. Pruchno, Michaels & Potashnik 1990
560
Sie beziehen sich auf Hill 1949 und McCubbin & Patterson 1982.
561
vgl. Pearlin et al. 1990
562
vgl. Pearlin & Schooler 1978
124
beeinträchtigt zu werden. Eine solche Verhaltensweise „importantly mediates the
impact that society have on their members”563. Coping wird definiert als „any
response to external life strains that serves to prevent, avoid, or control emotional
stress”564. Es hat unterschiedliche Funktionen, nämlich die stressenden
Bedingungen
zu
verändern
oder
zu
eliminieren,
die
Bedeutung
der
Stresserfahrung zu kontrollieren, so dass ihr problematischer Charakter
neutralisiert wird, oder die emotionalen Konsequenzen von Stresserfahrungen
innerhalb erträglicher Grenzen zu halten. Die bestimmenden Faktoren sind in
diesem Modell die sozialen Ressourcen und die Charakteristik des Individuums
(z.B. self-esteem, self-denigration, mastery) sowie die Natur der Stresssituation.
1990 publizierten Pearlin, Mullan, Semple und Skaff ein spezielles Stressmodell
für die häusliche Pflege Demenzkranker, das sie aus Interviewdaten von 555
pflegenden
Angehörigen
entwickelt
hatten.
Das
Modell
betont
den
Prozesscharakter von Stress und Coping in der Pflege und die Bedeutung der
subjektiven Bewertung. Es enthält folgende Bedingungsgrößen: (a) Hintergrundund Kontextvariablen sind der sozioökonomische Status des Pflegenden, die
Geschichte der Pflege, die Familie, Netzwerkkomposition und Erreichbarkeit von
formalen Hilfen. (b) Als primäre Stressoren werden Faktoren angesehen, die
direkt in der Pflegesituation liegen. Es können sowohl objektive Faktoren (z.B.
der
kognitive
Status,
Beeinträchtigungen
des
Problemverhaltensweisen,
Patienten)
als
auch
ADL-
und
subjektive
IADL
Faktoren
Überlastung, Beziehungsdeprivation) sein. (c) Sekundäre Stressoren
–
(z.B.
sind in
diesem Modell stressvolle Erfahrungen, die durch die primären Stressoren
ausgelöst
werden.
Familienkonflikten,
Sekundäre
Rollenbelastungen
Job-Pflege-Konflikten,
ökonomischen
entstehen
aus
Problemen
und
Einschränkungen des sozialen Lebens. Sekundäre innerpsychische Belastungen
sind in dem Modell global verbunden mit Selbstwertgefühl und „mastery“,
situational
mit
Identitätsproblemen
(loss
of
self),
Rollengefangenschaft,
Kompetenz und Gewinnen. Als Stressfolgen werden Depression, Angst,
Reizbarkeit, kognitive Störungen, physische Gesundheit und Gewinn aus der
Rolle genannt. Mediatoren zwischen Stressoren und Stressfolgen sind einerseits
das Coping mit seinen verschiedenen oben beschriebenen Funktionen und
andererseits die soziale Unterstützung, die der Pflegende erhält.
563
vgl. Pearlin & Schooler 1978, 2
564
vgl. Pearlin & Schooler 1978, 3
125
Dieses Modell ist in Forschungsarbeiten an Ehegatten Demenzkranker vielfach
zugrunde gelegt worden. Beeson565 beispielsweise untersuchte auf dieser
theoretischen Grundlage die Rolle von Einsamkeit in der Entstehung von
Depression bei pflegenden Ehegatten Demenzkranker. Hooker, Frazier &
Monahan566 schlagen aufgrund ihrer Ergebnisse eine Erweiterung des Modells
um den Faktor „Persönlichkeit“ als persönliche Ressource im Bereich der
Hintergrundvariablen vor. Robinson-Whelen & Kiecolt-Glaser567 beziehen sich
auf das Modell, um die Beziehung von Freiwilligkeit bei der Pflegeübernahme
und Distress bei Ehegatten zu untersuchen. Schneider et al.568 nutzen das
Modell für einen Europavergleich unter pflegenden Ehegatten von AlzheimerPatienten.
Zusammenfassend:
Wilz569 hat für die Erfassung des Pflegebelastungsprozesses bei Demenz die
Modelle
von
Lazarus
und
Pearlin
zusammengefasst.
Die
veranschaulicht die wesentlichen Bedingungsgrößen.
Abbildung 11:
Modell des Pflegebelastungsprozesses nach Wilz 2002
Modell des Pflegebelastungsprozesses nach Wilz 2002
in Anlehnung an die Modelle von Lazarus 1991, Pearlin et al. 1990
Umweltvariablen
Stresserleben
Chronischer
Stress-
Stressor
reaktion
Bewertung des
Stressfolgen
Stressors
Personvariablen
Quelle: Wilz 2002, 45
565
566
vgl. Beeson 2000, 2003
vgl. Hooker, Frazier & Monahan 1994
567
vgl. Robinson-Whelen & Kiecolt-Glaser 1997
568
Schneider et al. 1999
569
Wilz 2002, 45
Neubewertung
Abbildung
126
Die Stärken der stresstheoretisch orientierten Arbeiten, resumiert Farran570,
liegen
erstens
in
ihrer
„empirical
philosophy
of
science“571,
deren
Grundannahmen auf die Pflegeforschung angewandt bedeuteten, dass alle Teile
des Pflegeprozesses operationalisiert werden könnten, das Ganze durch die
korrespondierenden Teile repräsentiert werde, und kausale Beziehungen
zwischen Stressoren, Ressourcen, Bewertungen und Auswirkungen hergestellt
werden könnten. Ein weiterer Vorzug liege in der umfassenden Erprobung der
Operationalisierungen in der vielfältigen Forschung der vergangenen Jahre572.
Die Grenzen des Stress-Adaptions-Paradigmas zeigten sich daran, dass es aus
dieser Perspektive schwer falle, neben dem Distress auch die möglichen
positiven Auswirkungen der häuslichen Pflege und die Gewinne der Pflegenden
in den Blick zu bekommen573.
4.2
Auswirkungen des Pflegestresses
In diesem Kapitel geht es zunächst um das, was Poulshock & Deimling574 als
„impact“ des Pflegestresses bezeichnen, also um die relativ objektiven
Veränderungen im Leben der pflegenden Angehörigen in den Bereichen
Gesundheit (Kapitel 4.2.1), soziale Integration und Berufstätigkeit (Kapitel 4.2.2).
Im dritten Abschnitt werden Befunde zum subjektiven Belastungserleben,
„burden“ in der Sprache von Poulshock & Deimling, vorgestellt (Kapitel 4.2.3).
4.2.1
Gesundheit
4.2.1.1
Seelische Gesundheit
In ihrer Metaanalyse der Literatur, die im Zeitraum 1990 bis 1995 zu
psychiatrischen und physischen Morbiditätseffekten bei pflegenden Angehörigen
Demenzkranker publiziert worden ist, kommen Schulz et al.575 zu dem Ergebnis,
dass bei den psychischen Störungen hauptsächlich Depressionen und
570
vgl. Farran 1997
571
Farran 1997, 251
572
vgl. Farran 1997
573
vgl. Farran 1997
574
vgl. Poulshock & Deimling 1984
575
vgl. Schulz et al. 1995
127
Angststörungen untersucht worden sind. Ausnahmslos alle überprüften Studien
berichten von erhöhter depressiver Symptomatik, und die Studien, die nicht mit
„self-report measures“, sondern mit klinischen Diagnoseinstrumenten gearbeitet
haben,
finden
hohe
Raten
klinisch
relevanter,
behandlungsbedürftiger
Depression und Angst bei den Angehörigen. Auch der Konsum von psychotropen
Medikamenten ist im Vergleich zu Nicht-Pflegenden erhöht. Das Vorkommen von
seelischen Gesundheitsstörungen bei den Ehegatten Demenzkranker entspricht
den oben referierten allgemeinen Befunden zu pflegenden Angehörigen.
Grundsätzlich
stehen
Morbiditätsvergleiche
zwischen
Pflegenden
und
Normalpopulation vor der Schwierigkeit, dass die meisten Studien nicht mit
repräsentativen Samples gearbeitet haben, sondern Convenience-Samples aus
Personen rekrutiert haben, die in irgendeiner Weise bereits Kontakt zum
Gesundheits- oder Sozialwesen gehabt und dadurch bereits einen gewissen
Belastungsgrad dokumentiert hatten. Durch diese Sample-Auswahl entsteht ein
Bias hin zum distressten Ende des Kontinuums möglicher Stressauswirkungen
bei pflegenden Angehörigen. Die wenigen repräsentativen Studien berichten
tatsächlich ein geringeres Maß an Gesundheitsproblemen, doch immer noch eine
erhöhte Morbidität im Vergleich zur Normalbevölkerung oder im Vergleich zu
Kontrollgruppen. Deshalb könne man schlussfolgern, so Schulz et al., dass die
Prävalenz psychiatrischer Störungen bei pflegenden Angehörigen eindeutig
höher ist als bei der Normalbevölkerung, doch sei es unklar, um wie viel höher.
Schulz et al.576 fanden in der Literatur zwei Variablen, die konsistent mit
Depression korrelierten, und zwar den sozioökonomischen Status und das
Merkmal „Ehepartner“. In 7 von 5 Studien erscheinen die Ehegatten dementer
Patienten mehr von Depression betroffen als andere pflegende Angehörige.
Beispielhaft fand die Studie von Baumgarten et al.577 als Korrelate für Depression
folgende Merkmale: Ehegatte des Dementen, weiblich, alt und selbst chronisch
krank sowie die Notwendigkeit der Bewältigung stressvoller Lebensereignisse.
Weitere häufig gefundene Korrelate von Depression bei pflegenden Angehörigen
sind
Stress,
Lebenszufriedenheit,
Selbstwertschätzung/mastery,
Identitätsverlust/boundary
Neurotizismus
und
Optimismus,
ambiguity,
außerdem
Verhaltensprobleme des Patienten und subjektiv eingeschätzte Belastung578.
576
vgl. Schulz et al. 1995
577
vgl. Baumgarten et al. 1992; zit. bei Schulz et al. 1995, 773
578
vgl. Schulz et al. 1995
128
Ein Hintergrund für das hohe Vorkommen von Depressionen unter pflegenden
Angehörigen wird in der Natur der Demenzpflege als wenig kontrollierbarer,
wenig regulierbarer und hochbelastender Situation gesehen579. Die Erwartungen
und Versuche der Angehörigen, die Symptomatik positiv beeinflussen zu können,
werden im Verlauf der Krankheit immer wieder enttäuscht. Die Entstehung von
Depressionen kann nach dem Modell der gelernten Hilflosigkeit von Seligman580
als Folge des erlebten Verlustes an Kontrolle in einer persönlich bedeutsamen
Situation erklärt werden581.
Eine andere Auffassung entwickeln O’Rourke und Kollegen, die kognitive Muster
des Angehörigen verantwortlich machen, welche unabhängig von der konkreten
Pflegesituation existieren. Sie beziehen sich dabei auf die Hopelessness Theory
of Depression von Abramson582, ein Diathesis-Modell, das bei prädisponierten
Personen einen bestimmten Subtyp von Depression beschreibt. Einmal aktiviert
durch negative Lebensereignisse führt ein kognitives Muster der prädisponierten
Personen zu einer generalisierten Wahrnehmung von Hoffnungslosigkeit und
folgend zu depressiven Symptomen583. O’Rourke und Kollegen betrachten die
subjektive Belastung der pflegenden Angehörigen als spezifische Manifestation
dieser Hopelessness-Depression. Ähnlich wie in Becks Hypothese über die
Beziehung von Hoffnungslosigkeit und Suizidalität584 beschrieben, komme es zu
einer Einengung der Wahrnehmung von Optionen. Belastung der pflegenden
Angehörigen trete als Resultat von hoffnungslosem Denken in einem
eingeengten kognitiven Set auf. Hoffnungslosigkeit begrenze die Suche nach
effektiven
Coping-Strategien
und
führe
schließlich
zur
Resignation
der
Pflegenden, die sich in ihre Rollenanforderungen fügten, ohne noch zu
versuchen, sie effektiv zu bewältigen. Auch Verbesserungsvorschläge und
Hilfeangebote
würden
dann
aus
einem
Gefühl
überwältigender
Hoffnungslosigkeit heraus abgelehnt. Es bleibe bei den Betroffenen die
Einschätzung, in der Rolle gefangen zu sein.
Ein
weiteres
Contagion“
Erklärungsmodell
ist
die
Theorie
des
„Phenomenon
of
585
, die eine Neigung von Individuen annimmt, die Stimmung einer in
ihrer Nähe befindlichen Person zu adaptieren. Da
579
vgl. Wilz 2002
580
vgl. Seligman 1975; zit. nach Wilz 2002, 32
581
vgl. Pagel et al. 1985; Cohen & Eisdorfer 1988; zit. nach Wilz 2002, 32
582
vgl. Abramson et al. 1989; zit. nach O’Rourke et al. 1996, 593
583
vgl. Alloy, Abramson et al. 1988; zit. nach O’Rourke et al. 1996, 593
584
vgl. Beck & Weishaar 1989; zit. nach O’Rourke et al. 1996, 593
585
vgl. Bookwala & Schulz 1996; zit. nach Wilz 2002, 33
viele Demenzkranke
129
dysphorisch sind586, kann sich diese Stimmung auf die Angehörigen übertragen.
Bei Ehegatten wird der Verlust der emotionalen Beziehung zum erkrankten
Ehepartner aufgrund von dessen kognitivem Abbau als Ursache von Depression
und Einsamkeit gesehen587.
Eine der wenigen international publizierten deutschen Studien in diesem Bereich
ging der Frage nach, ob die Prävalenzen psychischer Störungen bei Ehegatten
dementer und depressiver alter Patienten möglicherweise gar nichts mit der
Pflegesituation zu tun haben, sondern mit anderen Faktoren, wie etwa dem
Phänomen des „assortative mating“588 oder der langjährigen Exposition in einem
gemeinsamen pathogenetischen Umfeld. Im Gegensatz zur Hypothese wurden
aber keine erhöhten Lifetime-Prävalenzen psychischer Störungen bei den
pflegenden Ehegatten gefunden589 .
Eine amerikanische Studie590 dagegen, die ein Diathese-Stress-Modell591 an
einem
Demenz-Ehegatten-Sample
prüfte,
entdeckte
bei
Pflegenden
mit
psychiatrischer Vorgeschichte mehr psychische Störungen nach Übernahme der
Pflege als bei Pflegenden ohne solche Vorgeschichte. Im Vergleich mit einer
Kontrollgruppe
aus
nicht-pflegenden
Probanden
mit
psychiatrischer
Vorgeschichte zeigten die vorbelasteten Demenz-Ehegatten häufiger eine
psychische Störung nach Beginn der Pflegetätigkeit als die Kontrollprobanden im
selben Zeitraum. Damit konnte das Diathese-Stress-Modell bestätigt werden.
4.2.1.2
Geistige Gesundheit
Eine Studie befasst sich mit der geistigen Gesundheit pflegender Ehegatten
Demenzkranker592. Beim Vergleich des kognitiven Status pflegender Ehegatten
mit einer Kontrollgruppe schnitten die Pflegenden in den Bereichen komplexer
Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit schlechter ab als
die Kontrollprobanden. Diese Ergebnisse werden interpretiert im Kontext von
Befunden zum altersabhängigen Anstieg der Prävalenz kognitiver Störungen und
586
vgl. Cummings 1989; zit. nach Wilz 2002, 33
587
vgl. Beeson 2003; Murray, Mantela & Shuttleworth 1997
588
Partner mit ähnlichen Merkmalen ziehen sich an. Hier: Es finden Partner zueinander, die ähnlich vulnerabel
für psychische Störungen sind.
589
vgl. Ptok, Papassotiropoulos & Heun 2001
590
vgl. Russo et al. 1995
591
592
vgl. Monroe & Simons 1991, zit. nach Russo et al. 1995, 197. Es nimmt an, dass psychische Störungen als
Resultat von additiven oder multiplikativen Effekten der Diathese (Vulnerabilität oder Prädisposition) und
Stresserfahrungen auftreten.
vgl. Caswell et al. 2003
130
Befunden der Stresstheorie, denen zufolge Gedächtnis, Aufmerksamkeit und
Konzentration bei chronischem Stress beeinträchtigt werden können593.
4.2.1.3
Körperliche Gesundheit
Weniger eindeutig und insgesamt schwächer als bei den psychischen Störungen
sind nach dem gegenwärtigen Forschungsstand die Zusammenhänge zwischen
häuslicher Demenzpflege und körperlicher Krankheit594. Pflegende Angehörige
schätzten ihre Gesundheit zwar durchgehend schlechter ein als Kontrollgruppen,
dennoch sind die Beweise nicht konsistent, wenn Faktoren wie Zahl der
Krankheiten, Symptomatik, Nutzung von Gesundheitsdiensten u.ä. untersucht
werden595. Zu beachten ist bei den körperlichen Folgen der Demenzpflege, dass
sie oft schwer aufzudecken sind, weil sie zum Teil verzögert erst dann auftreten,
wenn die Pflegesituation unter Umständen bereits seit langem beendet ist596.
Zusammenhänge zwischen körperlichen und seelischen Störungen zeigen sich in
vielen Studien besonders in Bezug auf Depression und Angst597. Bei Ehegatten
Demenzkranker können sie sich zum Beispiel in Depressionen äußern, die auf
eine körperliche Krankheit folgen598, oder in der Zunahme schädlicher
Gesundheitsverhaltensweisen im Zusammenhang von Depressionen oder
schwach ausgeprägten subjektiven Kontrollüberzeugungen599. Insgesamt sind
aber wenige Variablen konsistent als Prädiktoren für Verschlechterungen der
körperlichen Gesundheit identifiziert worden. Dies sind geringe finanzielle
Ressourcen, hoher psychischer Distress, wenig soziale Unterstützung und ein
hoher Ausprägungsgrad der kognitiven Demenzsymptomatik600.
Verschiedene Mechanismen, wie die häusliche Pflege die Gesundheit des
pflegenden Angehörigen beeinträchtigen kann, sind denkbar601: (a) Die tägliche
Unterstützung bei alltäglichen Aktivitäten führt zu körperlicher Erschöpfung, die
wiederum andere Beschwerden auslöst. (b) Aus Zeitmangel vernachlässigen die
593
vgl. Übersicht bei Caswell et al. 2003, 311
594
vgl. Schulz et al. 1995
595
vgl. Schulz et al. 1995
596
vgl. Schulz, Visitainer & Williamson 1990
597
vgl. Überblick bei Schulz et al. 1995
598
vgl. Pruchno et al. 1990
599
vgl. Gallant & Connell 1998
600
vgl. Schulz et al. 1995
601
vgl. Übersicht bei Shaw et al. 1997; Gallant & Connell 1998
131
Pflegenden
ihre
eigene
Gesundheitsvorsorge
und
gesundheitsförderndes
Verhalten. (c) Der psychische Stress führt zu Depressionen und in der Folge zur
Vernachlässigung der Gesundheit oder auch zu weiteren Gesundheitsfolgen wie
erhöhter Infektanfälligkeit. (d) Der chronische Stress kann über Veränderungen
der Erregung des sympathischen Nervensystems und der kardiovaskulären
Reaktivität zur Genese verschiedener Körperkrankheiten wie Bluthochdruck oder
Herz-Kreislaufkrankheiten führen.
(e) Bei Ehegatten Demenzkranker tritt ein
spezifischer Mechanismus hinzu. Die Pflege der eigenen Gesundheit und
gesundheitsdienliche Verhaltensweisen unterliegen der sozialen Kontrolle602. Im
Verlauf der Demenz entfällt diese Kontrolle durch den erkrankten Partner, und
das Gesundheitsverhalten des pflegenden Partners kann sich auch aus diesem
Grund
verschlechtern603.
Daneben
Gesundheitsverschlechterungen
Erholungsmöglichkeiten,
der
werden
als
pflegenden
Schlafstörungen
im
Hintergründe
Ehegatten
von
ungenügende
Zusammenhang
mit
den
veränderten Schlafmustern vieler Demenzkranker, aber auch als Folge
seelischer
Belastungen
der
pflegenden
Angehörigen
selbst,
sowie
604
unzureichende körperliche Bewegung aus Zeitmangel diskutiert
.
Körperliche Folgen der Pflege sind besonders gern an Demenz-EhegattenSamples
worden605.
untersucht
beispielsweise
ist
ihrem
Die
Interesse
Forschungsgruppe
an
um
Zusammenhängen
Vitaliano
zwischen
psychosozialem Stress und körperlicher Erkrankung nachgegangen, indem
Fragestellungen bevorzugt an Demenz-Ehegatten-Samples untersucht wurden.
Daraus sind unter anderem Ergebnisse über Plasma-Lipide606, cardiovaskuläre
Reaktivität607,
koronare
Herzkrankheit608,
Gewichtsveränderungen609,
zytotoxische Mechanismen610 oder Glukosewerte611 hervorgegangen. Andere
Gruppen interessierte der Zusammenhang von chronischem Stress und
Bluthochdruck612 oder Immunfunktionen613.
602
vgl. Rook, Thura & Lewis 1990, zit. nach Gallant & Connell 1998, 268
603
vgl. Gallant & Connell 1998
604
Überblick bei Gallent & Connell 1998, 269; Schulz et al. 1995
605
Der folgende Überblick erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es geht darum, einen Eindruck der
untersuchten Fragestellungen zu geben.
606
vgl. z.B. Vitaliano 1995
607
vgl. z.B. Vitaliano et al. 1994
608
vgl. z.B. Vitaliano et al. 1998
609
vgl. z.B. Vitaliano et al. 1996a
610
vgl. z.B. Scanlan et al. 1998
611
vgl. z.B. Zhang 2001
612
vgl. Shaw et al. 1999
613
vgl. Kiecolt-Glaser & Glaser 1994
132
4.2.2
Soziale Integration
In diesem Kapitel werden Veränderungen der sozialen Integration der Ehegatten
im Sinne von „outcomes“ des Stressprozesses referiert. Befunde zum sozialen
Netz und zur sozialen Unterstützung im Sinne von Variablen, die den
Stressprozess und damit die Ergebnisse beeinflussen können, sind im Kapitel
4.3.4.2 zusammengefasst.
Nur wenige empirische Arbeiten haben die sozialen Netzwerke pflegender
Ehegatten untersucht614. Über soziale Netzwerke alter Menschen im Allgemeinen
hingegen ist einiges bekannt. Gut belegt ist, dass ältere Menschen im Vergleich
zu früheren Lebensabschnitten bzw. zu jüngeren Erwachsenen weniger soziale
Kontakte und Beziehungen unterhalten615. Netzwerke lassen sich, so Fooken616,
im
Hinblick
auf
soziale
Unterstützung
differenzieren
in
formelle
(z.B.
professionelle Helfer) und informelle (z.B. Angehörige, Nachbarn) soziale
Beziehungen. Um ein persönliches Netzwerk zu erfassen, werden diese
Beziehungen in konzentrischen Kreisen um eine sogenannte Fokus-Person
herum
gruppiert
und
nach
ihrem
grundsätzlichen
Potenzial
und
ihrer
tatsächlichen und wahrgenommenen Unterstützung gewichtet617. Die Größe sagt
nur wenig über die Qualität eines Netzwerkes aus. Ein umfangreiches
Beziehungsnetz erhöht zwar die Wahrscheinlichkeit der Hilfe im Falle eines
Bedarfes, doch sind die Beziehungen oft auch weniger eng und verpflichtend. In
Netzwerken mittlerer Größe finden sich am ehesten Lebenszufriedenheit und
soziale
Integration
der
jeweiligen
Fokus-Personen618.
Sehr
kleine
Beziehungsnetze dagegen scheinen Abhängigkeiten zu fördern, in ihnen wird
mehr Kontrolle ausgeübt, und es stehen weniger soziale Alternativen zur
Verfügung.
Wenngleich
Netzwerke
hauptsächlich
auf
ihre
potenziellen
Ressourcen für den alten Menschen hin betrachtet werden, darf der Aspekt der
Gegenseitigkeit nicht außer Acht gelassen werden. Fooken hebt hervor, alte
Menschen seien sehr an Reziprozität interessiert und setzten dazu ganz
unterschiedliche Transferleistungen ein, zum Beispiel emotionale Unterstützung
oder finanzielle und materielle Leistungen an die jüngere Generation. In diesem
Zusammenhang
sind
614
vgl. Kapitel 4.3.4.2
615
vgl. Übersicht bei Lang 2000, 142
616
auch
sozio-emotionale
Differenzierungs-
und
Die Ausführungen dieses Absatzes über die sozialen Netzwerke alter Menschen basieren, soweit nicht
anders vermerkt, auf Fooken 1997.
617
vgl. Antonucci & Akiyama 1987
618
vgl. Minnemann 1994; zit. nach Fooken 1997, 26
133
Selektionsprozesse619 zu verstehen, in denen alte Menschen bevorzugt solche
Personen als Interaktionspartner auswählen, bei denen sie emotionale
Reziprozität,
eine
Gleichwertigkeit
des
Gebens
und
Empfangens
von
Anteilnahme, verspüren. Soziale Netzwerke alter Menschen können mit dem
Modell des sozialen Konvois620 betrachtet werden, einer Vorstellung, nach der
ferner und näher stehende Menschen jeweils streckenweise den Lebensweg
einer Person wie ein Geleitzug begleiten. Dieses Modell geht davon aus, dass
Struktur- und Funktionsmerkmale der Netzwerkmitglieder, auch im Hinblick auf
den gegenseitigen Austausch, zum Teil altersabhängig im Lebensverlauf
variieren, so dass der Austausch zeitlich verschoben werden kann und
empfangene Unterstützung unter Umständen erst später zurückgegeben wird.
Empirische Befunde zu den sozialen Netzwerken älterer Menschen zeigen, so
Fooken, dass die meisten Menschen über tragfähige Netze verfügen. Dabei
spielt die Familie für ältere Menschen eine herausragende Rolle. Hinsichtlich der
Beziehungen zwischen erwachsenen Kindern und alten Eltern halten sich
zählebig Mythen, nach denen die ältere Generation in vergangenen Zeiten
besser in die Familie integriert gewesen sein soll, und die heutigen Alten von
ihren Kindern in Heime abgeschoben würden. Die bisher vorliegenden
Ergebnisse aus empirischen Untersuchungen können diese Vorstellungen jedoch
nicht stützen. Im Gegenteil wird empirisch die Reziprozität zwischen den
Generationen belegt, und es werden kaum Hinweise auf ein Schwinden der
Solidarität gefunden. Ein häufig bestätigtes Muster der Beziehungen ist das der
„Intimität auf Abstand“621, das bei räumlicher Trennung sehr wohl innere Nähe
und Verantwortungsbewusstsein für die andere Generation bedeutet. Etwa ein
Viertel der älteren Menschen, so Fooken, ist allerdings unzureichend sozial
eingebunden und damit von sozialer Isolation bedroht. Dazu gehören neben
Alleinlebenden tendenziell auch kinderlose Ehepaare.
Die Ehe ist im sozialen Netzwerk einer Person eine der intimsten und wichtigsten
Beziehungen. Verändert sich diese Beziehung durch die Demenz eines Partners
nachhaltig,
dann
wird
das
Auswirkungen
auf
die
gesamte
soziale
Eingebundenheit des Paares und des gesunden Partners haben. Es verwundert
nicht, dass Einsamkeit in verschiedenen Studien622 als bedeutendes soziales
Problem der Ehegatten Demenzkranker erörtert wird. In einer Studie von
619
vgl. Carstensen 1993; zit. nach Fooken 1997, 27
620
vgl. Kahn & Antonucci 1980; zit. nach Fooken 1997, 27; vgl. Antonucci & Akiyama 1987
621
vgl. Rosenmayr & Köckeis 1965; zit. nach Fooken 1997, 12
622
vgl. Beeson 2003; Murray, Mantela & Shuttleworth 1997
134
Beeson623 berichteten die Ehegatten signifikant mehr Einsamkeit als eine
Kontrollgruppe, und Einsamkeit erwies sich als Prädiktor für Depression.
Besonders betroffen waren Ehefrauen, die über Identitätsverluste (loss of self)
berichteten. Beeson argumentiert, Einsamkeit reflektiere das unerfüllte Bedürfnis
nach menschlicher, interpersonaler Intimität, den Wunsch „to be related to
another self while experiencing a feeling that one is yet seperate“624. Teil einer
Ehegemeinschaft zu sein, Erfahrungen mit dem Gatten über die Lebensspanne
hinweg zu teilen, baue genau auf diese Bedürfnisse. Die Ehe sei oft die
einflussreichste, für manche die einzige derartige Beziehung im Leben. Das
Wegbrechen dieser Beziehung im Falle der Demenz sei deshalb besonders
bedeutsam. Der Verlust eines signifikanten Anderen, der eine wichtige Quelle für
die Validation und Konfirmation des selbstbezogenen Wissens gewesen sei,
könne den Verlust der Identität bzw. des Selbstkonzeptes nach sich ziehen.
In eine ähnliche Richtung arbeiteten Skaff & Pearlin625, die vom Boden der
Rollentheorie aus mit der sogenannten Expansionshypothese argumentieren, je
ausgefächerter das soziale Leben einer Person sei, desto reichhaltiger und
breiter seien die Quellen für Feedback und Selbstevaluation. Zudem trügen
multiple soziale Rollen zum Wohlbefinden bei, indem sie mehr Quellen für
Anerkennung, Prestige und Belohnungen unterschiedlicher Art bereit stellten. Die
Existenz von verschiedenen Rollen erlaube es auch, negative Erfahrungen in der
einen Rolle durch positive in einer anderen zu kompensieren626. In der
häuslichen Pflege komme es zu einer Verengung der Lebensbereiche des
Pflegenden mit der Folge, dass externe Quellen der Selbstevaluation und
Anerkennung ausdünnen und die Bedeutung der Erfahrungen, die innerhalb der
Pflegerolle gemacht werden, anwachse. In ihrer Studie fanden die beiden
Autoren vor allem Ehegatten neben pflegenden Frauen und jüngeren Pflegenden
gefährdet, in ihrem Selbst-Konzept Schaden zu nehmen. Sie erklären dieses
Ergebnis für die Ehegatten dadurch, dass diese besonders große soziale
Verluste durch die Veränderung der Ehebeziehung in Folge der Demenz erleben
und auch die Paar-Identität davon betroffen ist. Kontakt zu Freunden erwies sich
als schützend für das Selbstkonzept der Ehegatten. Auch Berufstätigkeit hatte in
diesem Zusammenhang eine Bedeutung.
623
vgl. Beeson 2003
624
Mijuskovic 1996, zit. nach Beeson 2003, 141
625
vgl. Skaff & Pearlin 1992
626
vgl. Barnett & Baruch 1987; zit. nach Skaff & Pearlin 1992, 657
135
Mui & Morroc-Howell627 führen das Gegenmodell zur oben beschriebenen
Expansionshypothese,
die
sogenannte
Knappheitshypothese
(Scarcity-
Hypothesis) an. Danach sind die Energieressourcen eines Menschen nicht
unbegrenzt, mit der Folge, dass er nicht alle Rollenverpflichtungen aus multiplen
Rollen
adäquat
erfüllen
kann.
Rollenbelastungen
(role
strain),
Rollenüberlastungen (role demand overload) und Rollenkonflikte (role conflict)
nehmen mit der Anzahl unterschiedlicher Rollen, die ein Individuum zu erfüllen
hat, zu. Diese Autorinnen verglichen pflegende Ehegatten mit pflegenden
Geschwistern und fanden in beiden Gruppen ein hohes, bei den Ehegatten ein
noch höheres Vorkommen von Rollenbelastung. Mangel an Entlastung, Konflikte
im persönlichen Leben, Frustration bei der Erfüllung der Rollen und Gefühle des
Verschlungenwerdens durch die Rollen wurden in beiden Gruppen geäußert.
Krach628 sah bei den pflegenden Töchtern dementer Patienten positive Effekte,
wenn sie neben der Pflege mehr Rollen hatten (weniger Depression und
Identitätsverlust), während mehr Rollen bei den pflegenden Ehegatten eher
Rollenüberlastung bedeutete.
4.2.3
Subjektives Belastungserleben
Die objektiv fassbaren Veränderungen des Gesundheitszustands und der
sozialen Integration sind die eine Seite der Belastungen, die ein pflegender
Ehepartner erfährt. Die andere Seite ist das subjektive Belastungserleben, das
sich
in
Hilflosigkeit
und
Ohnmacht,
Überforderung,
Ausgebranntsein,
Verlassenheit, Selbstmitleid, Selbstzweifel, Sorgen, Angst vor der Zukunft,
Schuld, Trauer, Sinnlosigkeit u.ä. ausdrückt. Für verschiedene Autoren629 ist
“subjective burden” die emotionale Reaktion auf objektive Anforderungen der
Pflegesituation. O’Rourke et al. zum Beispiel definieren „caregiver burden“ als
„context-specific negative affective outcome resulting from one’s ideosyncratic
appraisal of objective role demands“630.
Eine der ersten Studien über negative Affekte bei pflegenden Angehörigen
Demenzkranker ist die von Rabins et al.631, die bei der überwältigenden Mehrheit
der Befragten (87%) Depression, Erschöpfung und/oder Ärger vorfanden. Snyder
627
vgl. Mui & Morrow-Howell 1993
628
vgl. Krach 1998
629
vgl. Montgomery et al. 1985; Poulshock & Deimling 1984; Thompson & Doll 1982
630
O’Rourke et al. 1996, 584
631
vgl. Rabins et al. 1982 ; zit. nach Gallagher et al. 1990, 220
136
& Keefe632 ermittelten Spannungsgefühle, Angst, Burn-out und Selbstzweifel.
Oliver & Bock633 sprechen von einer enormen emotionalen Belastung, die zu
Verleugnung, Ärger, Schuld, Selbstmitleid und Depression führe. Gallagher et
al.634 fanden Ärger, Groll und Wut (anger) als häufigsten negativen Affekt in
einem Sample aus Alzheimer-Pflegenden, daneben dysphorische Verstimmung,
Sorgen, Schuldgefühle und Angst. Eine deutsche Studie635 berichtet ein
signifikant
höheres
subjektives
Belastungserleben
bei
häuslichen
Pflegepersonen von Demenzkranken im Vergleich zu Pflegepersonen NichtDemenzkranker. Die Ursache für die unterschiedliche subjektive Belastung der
beiden Gruppen drückt sich am deutlichsten aus in der Wahrnehmung
eingeschränkter Beziehungen zu anderen, der erschwerten Bewältigung
pflegeunabhängiger Aufgaben und der Ansicht, die Pflege koste viel Kraft.
Zusammenfassend kann mit George & Gwyther gesagt werden, „caregivers are
an at-risk population who are especially vulnerable to emotional discomfort“636.
Etliche Autoren halten die Bewältigung dieser emotionalen Auswirkungen für
weitaus schwieriger als den Umgang mit körperlichen oder finanziellen
Konsequenzen der Pflegesituation637.
Speziell auf die Situation der Ehegatten Demenzkranker zugeschnitten ist das
Burden-Interview von Zarit, Reever & Bach-Peterson638, eines der häufig
verwendeten
Erhebungsinstrumente,
das
in
29
Items
subjektive
Belastungsfaktoren erhebt. Zu diesen Faktoren zählen Beziehungsstörungen mit
dem dementen Gatten oder anderen Familienmitgliedern, Verhaltensprobleme
des Dementen, Uneinigkeit über die Notwendigkeit pflegerischer Hilfen,
mangelnde
Anerkennung
Rückzugsmöglichkeiten,
der
Konflikte
Leistungen,
der
Pflege
Zeitmangel
mit
und
anderen
fehlende
Aufgaben,
Schuldgefühle, Zukunftsangst, Trauer, Einschränkungen des sozialen Lebens
und Geldsorgen.
Empirische Befunde zu subjektiven Belastungen der Ehegatten Demenzkranker
decken sich einerseits mit den oben referierten allgemeinen Befunden über
pflegende Angehörige und bringen gleichzeitig spezielle Facetten in die
632
vgl. Snyder & Keefe 1985; zit. nach Gallagher et al. 1990, 220
633
vgl. Oliver & Bock 1985; zit. nach Gallagher et al. 1990, 219
634
vgl. Gallagher et al. 1990
635
vgl. Gräßel 1998
636
George & Gwyther 1986, 259
637
Übersicht bei Gallagher et al. 1990, 219
638
vgl. Zarit, Reever & Bach-Peterson 1980
137
Diskussion. Steffen & Berger639 beispielsweise trafen in ihrem Sample sowohl bei
pflegenden Töchtern als auch bei Ehegatten auf Ärger und Wut, provoziert durch
das Verhalten des Patienten, anderer Familienangehöriger oder professioneller
Helfer. Doch war die Ausprägung des Ärgers bei den Ehegatten durchschnittlich
niedriger als bei den Töchtern, ein Phänomen, das die Autoren mit der Tendenz
abnehmender Ärger- und Wutexpression im Alter640, größerer emotionaler
Kontrolle und kompetenterer Emotionsregulation älterer Menschen641 erklären.
Möglicherweise
kann
dies
auch
als
Kohorteneffekt
in
Sinne
von
Sozialisationseffekten verstanden werden, dass nämlich vor allem Frauen dieser
Altersgruppe sich schwer tun, sich als „wütende Frau“ wahrzunehmen.
Allerdings
identifizierten
die
Autoren
in
ihrem
Sample
auch
eine
ernstzunehmende Gruppe älterer Ehegatten (20%) mit sehr hohen Wutwerten,
ihrer Ansicht nach ein Hinweis auf eine Subgruppe von Ehegatten, die
möglicherweise ein Wutproblem hat.
Scroggin Wullschleger et al.642 befassten sich mit der Angst vor dem Älterwerden
als einer häufig vernachlässigten Dimension in den Erfahrungen pflegender
Angehöriger.
Konzeptionell
bauten
sie
ihre
Untersuchung
auf
die
Kontinuitätstheorie643, die ein Bestreben von Individuen annimmt, in ihrem Leben
Stabilität und Konsistenz zu bewahren, indem sie verlorene Rollen mit ähnlichen
Typen von Rollen substituieren. Der Schlüssel für erfolgreiches Altern ist aus der
Sicht der Kontinuitätstheorie, dass das Individuum in der Lage ist, etablierte
Interessen und Werte zu erhalten und fortzusetzen. Die Demenz eines
Familienmitgliedes wird als eine ernsthafte Gefährdung, einen Bruch der
Kontinuität angesehen. Die Autoren untersuchten eines der größten derzeitigen
Samples aus pflegenden Angehörigen Demenzkranker (894 Personen) und
entdeckten eine deutliche Verbindung zwischen subjektiver Belastung der
Pflegenden und Angst vor dem Älterwerden. Dabei wiesen die Ehegatten die
höchsten Angst-Werte auf. Die Autoren erklären dies damit, dass die Ehegatten
über Jahre mit ihrem nun dementen Partner zusammengelebt haben und ihre
Identitäten aufs Engste verbunden sind. Die Demenz des Partners und die Pflege
bedeute einen ernsthaften Bruch ihrer Kontinuität, die sie für ihr Leben erwartet
639
vgl. Steffen & Berger 2000, 5
640
vgl. Stone & Spencer 1987; zit. nach Steffen & Berger 2000,
641
vgl. Gross et al. 1997; zit. nach Steffen & Berger 2000, 15
642
vgl. Scroggin Wullschleger et al. 1996
643
vgl. Hooyman & Kiyak 1993; zit. nach Scroggin Wullschleger et al. 1996, 5
138
hatten. Noch höher war die Angst der Ehegatten vor dem eigenen Altern, wenn
sie ihren Partner im Heim untergebracht hatten.
Die subjektive Belastung von pflegenden Ehegatten muss nicht ausschließlich
auf das Konto der Demenz und der Pflege gehen. Sie sind wie andere alte
Menschen auch mit kritischen Lebensereignissen unabhängig von der Pflege
konfrontiert und nicht immun dagegen. Der Einfluss solcher Lebensereignisse
interessierte Russo & Vitaliano644. In einem Vergleich zwischen einer DemenzEhegatten-Gruppe und einer alters- und geschlechtspassenden Kontrollgruppe
stellten sie fest, dass ein Teil der Unterschiedlichkeit im Belastungserleben
pflegender Ehegatten durch die zusätzliche Belastung mit weiteren stressvollen
Lebensereignissen
erklärt
werden
kann.
Pflegende
und
Kontrollgruppe
unterschieden sich nicht wesentlich im Vorkommen und in der Bewertung von 20
kritischen Lebensereignissen. Sorgen über die Kinder war in der Kontrollgruppe
die
häufigste
Antwort,
bei
den
Pflegenden
hinter
den
Sorgen
über
Gesundheitsverschlechterungen des pflegebedürftigen Gatten die zweithäufigste.
Nur
drei
Ereignisse
wurden
häufiger
von
Pflegenden
genannt:
Gesundheitsveränderungen des Gatten, Veränderungen der Beziehung zum
Gatten und Veränderungen der sozialen Beziehungen zu Freunden und Familie.
Pflegende Ehegatten nannten Veränderungen in der Beziehung zum Gatten zwar
wesentlich häufiger als kritisches Ereignis, doch sie bewerteten sie nicht als
stressvoller als die Kontrollgruppe. Nur finanzielle Sorgen wurden von den
Pflegenden
als
belastender
eingeschätzt als
von
den
Mitgliedern
der
Kontrollgruppe. Als Korrelate subjektiver Belastung bei den Pflegenden wurden
folgende Ereignisse identifiziert: Opfer eines Verbrechens zu sein, schwerer
Familienstreit, eigene Gesundheitsverschlechterung, Ärger mit Behörden und
Altersdiskrimination (ageism).
Abschließend einige Einzelbefunde aus unterschiedlichen Studien: Zwei Arbeiten
verglichen Erschöpfung645 bzw. Belastungserleben646 bei Ehegatten von
Demenz-, Parkinson- und Krebspatienten und fanden keine Unterschiede
zwischen den Gruppen. In einer Langzeitstudie beobachteten Winslow &
Carter647 Muster der subjektiven Belastung bei Ehefrauen Demenzkranker. Sie
registrierten eine Zunahme der Belastung im Laufe von 3 Jahren und entdeckten
644
vgl. Russo & Vitaliano 1995
645
vgl. Teel & Press 1999
646
vgl. Thomessen et al. 2002
647
vgl. Winslow & Carter 1999
139
eine Schwelle der Belastung, bei deren Überschreitung die Institutionalisierung
des Patienten wahrscheinlich wurde. Auch Vitaliano et al.648 beobachteten einen
Anstieg der Belastung der Ehegatten mit der Zeit, wobei diejenigen, die anfangs
hohe
Raten
an
Angst,
Ärger
und
körperlichen
Gesundheitsproblemen
aufgewiesen hatten, gefährdeter waren. Umgekehrt waren Pflegende mit guten
sozialen Ressourcen und positivem “outlook-factor“ (Überzeugungen der
Lebenszufriedenheit und Dankbarkeit über das, was man hat) weniger belastet
im Verlauf. Die Autoren weisen auf den zirkulären Charakter der Beziehungen
zwischen Belastung, Vulnerabilität649
und
psychologischen
und
sozialen
Ressourcen hin. Zusammenhänge zwischen selbsteingeschätzter Belastung und
Gesundheitsverhalten650,
verschlechtertem
psychischen
Störungen651
im
Allgemeinen und Depression652 im Speziellen, und sogar möglicherweise einer
Verkürzung der Lebenszeit653 sind ebenfalls erforscht worden. Schneider et al.654
schließlich teilen ähnlich hohe Werte an subjektiver Belastung und psychischem
Distress bei Ehegatten Demenzkranker in unterschiedlichen europäischen
Staaten mit.
4.3
4.3.1
Einflussgrößen im Stressprozess
Demenzsymptomatik und Merkmale des Patienten
Eine Demenz ist gekennzeichnet durch Störungen des Gedächtnisses und
anderer kognitiver Leistungen wie Urteilsfähigkeit oder Denkvermögen sowie
durch
Veränderungen
Sozialverhaltens
der
Affektkontrolle,
des
Antriebs
und
des
655
. Inwieweit Ausprägung und Schwere der Symptomatik
Einfluss auf die Belastung der pflegenden Ehegatten haben, ist Thema dieses
Kapitels656.
648
649
vgl. Vitaliano et al. 1991
Die Autoren konzeptualisieren Vulnerabilität als Persönlichkeit (Expressed Emotion) und körperliche
Gesundheit, psychologische Ressourcen als Coping-Verhalten und Lebenszufriedenheit.
650
vgl. Gallant & Connell 1997, 1998
651
Übersicht bei Schulz et al. 1995
652
Übersicht bei Pruchno et al. 1990, 193
653
vgl. Schulz & Beach 1999; Wright 1994
654
vgl. Schneider et al. 1999
655
vgl. Kapitel 1
656
Diese Frage ist in der Belastungsforschung meist an gemischten Samples untersucht worden. Homogene
Ehegattensamples sind in diesem Bereich selten. Donaldson, Tarrier & Burns (1997) fanden in ihrem
Literaturrückblick auf einschlägige Forschung des Zeitraumes 1980-1995 beispielsweise unter 17
ausgewerteten Studien nur eine, die mit einem homogenen Ehepartnersample gearbeitet hatte (Gallagher-
140
Es
gibt
drei
unterschiedliche
Hypothesen
über
die
Beziehung
von
Demenzsymptomatik und Belastung der Pflegenden: (a) die Verschleißhypothese
(„wear-and-tear“)657, der zufolge die Belastung der Pflegenden im Laufe der Zeit
immer weiter zunimmt; (b) die Adaptionshypothese658, die von höherer Belastung
zu Beginn und abnehmenden Schwierigkeiten im weiteren Verlauf aufgrund der
Gewöhnung
und
zunehmenden
Bewältigungskompetenz
der
Pflegenden
ausgeht; und (c) die Persönlichkeitshypothese („trait“), die einen konstanten
Belastungsgrad annimmt aufgrund vorab bestehender Persönlichkeitsmerkmale
wie Coping-Stile und –Fähigkeiten, Ressourcen und soziale Unterstützung659.
Haley & Pardo660 konnten mit einer Langzeitstudie zeigen, dass die Demenz
nicht übergreifend alle Fähigkeitsbereiche eines Patienten gleichmäßig schädigt,
sondern dass es unterschiedliche Verläufe in verschiedenen Fähigkeitsbereichen
gibt und damit verbunden auch unterschiedliche Belastungsprofile für die
Angehörigen über den Krankheitsverlauf hinweg.
Während die intellektuellen
Fähigkeiten der dementen Probanden linear über die gesamte Krankheitsspanne
abnahmen, sanken die Fähigkeiten bei komplexeren Selbstpflegeaktivitäten
(IADL) rapide im frühen Demenzstadium und hielten sich dann auf diesem
niedrigen Niveau. Die Basisaktivitäten der Selbstpflege (ADL) blieben noch bis in
mittlere Krankheitsstadien relativ gut erhalten und bauten dann allerdings schnell
ab. Verhaltensprobleme und Persönlichkeitsveränderungen waren vor allem in
den mittleren Krankheitsphasen virulent. Die Autoren betrachten diese
Ergebnisse als Beleg dafür, dass die Belastungen der pflegenden Angehörigen
nicht
linear
während
des
Krankheitsverlaufes
ansteigen,
sondern
unterschiedliche Belastungsprofile in Abhängigkeit von den unterschiedlich
betroffenen Fähigkeitsbereichen des Kranken im Krankheitsverlauf in Betracht
gezogen werden müssen.
Unterstützt wird diese Einschätzung durch die Ergebnisse einer Arbeit von
Pruchno & Resch661 an einem reinen Ehegattensample. Sie entdeckten eine
nicht-lineare Beziehung zwischen Gedächtnisstörungen des Patienten und dem
Belastungserleben, sozialen Einschränkungen und weiteren Problemen bei den
Thompson et al. 1992). Somit sind die im Folgenden vorgestellten Befunde nicht durchgängig spezifisch für
pflegende Ehegatten.
657
vgl. Townsend et al. 1989
658
vgl. Townsend et al. 1989
659
vgl. Haley & Pardo 1989, 389
660
vgl. Haley & Pardo 1989
661
vgl. Pruchno & Resch 1989b
141
Ehegatten662. Eine lineare Beziehung fanden sie dagegen zwischen asozialem663
und
desorientiertem664
Verhalten
des
Patienten
und
Belastungen
der
Angehörigen. Mit anderen Worten, bei milder oder mittelstarker Vergesslichkeit
stießen sie auf ein höheres Ausmaß an Problemen bei den gesunden Ehegatten
als bei starker Vergesslichkeit des Patienten. Die Autoren betrachten diesen
Befund als Beleg für die Adaptionshypothese, nach der sich der Pflegende an
linear verlaufende Verschlechterungen der Demenzsymptomatik zunächst
gewöhnen muss, dann aber eine Anpassung erreicht. Dass Belastungen der
Angehörigen dagegen linear mit der Zunahme von Problemverhalten des
Patienten ansteigen, erklären Pruchno & Resch mit der Unvorhersehbarkeit
dieser Verhaltensweisen und ihrer sozialen Unannehmbarkeit.
Bauer et al.665 erkannten in einem Sample pflegender Ehefrauen, dass das
Gefühl der Pflegenden für die eigene Effizienz und Kontrolle der Situation
(mastery) mit dem Fortschreiten der Demenz erodiert. Auch beklagten die Frauen
mit den schwerer erkrankten Männern vermehrt den Verlust der Beziehung,
besonders den Verlust gemeinsamer Ziele und Aktivitäten und die emotionale
Unerreichbarkeit des Gatten.
4.3.1.1
Kognitive Symptomatik der Demenz
Über die Beziehung zwischen den kognitiven Symptomen der Demenzpatienten
und dem Belastungserleben der Pflegenden gibt es widersprüchliche Ergebnisse.
In dem Literaturüberblick von Donaldsen et al. zeigten drei der zehn
einschlägigen Studien keine Beziehungen666. Die sieben übrigen erbrachten zwar
Zusammenhänge, die jedoch bei unterschiedlichen Subgruppen pflegender
Angehöriger uneinheitlich und widersprüchlich ausfielen667. Ebenfalls ist es nicht
eindeutig, ob die körperliche Gesundheit der Pflegenden durch den kognitiven
662
Eine ähnliche non-lineare Verbindung von Depression des Pflegenden und kognitiven Symptomen des
Erkrankten erbrachte auch die Studie von Baumgarten et al. 1992; zit. nach Donaldson 1997, 65.
663
Asoziales Verhalten umfasst hier: „seeming sad, losing temper, verbal abuse, embarassing caregiver,
disrupting meals“ (Pruchno & Resch 1989b, S179, Tab.1).
664
Desorientiertes Verhalten wird von den Autoren operationalisiert als „hearing and seeing things, getting lost
in house, confusing day and night“ (Pruchno & Resch 1989b, S179, Tab.1).
665
vgl. Bauer et al. 2001
666
vgl. Zarit, Reever & Bach-Peterson 1980; Greene et al. 1982; Farran et al. 1993; zit. nach Donaldson et al.
1997, 64
667
vgl. Eagles et al. 1987; Harper & Lund 1990; LoGiudice et al. 1995; O’Connor et al. 1990; Pruchno & Resch
1989b; Reis et al. 1994; Weiler, Chiriboga & Black 1994 ; zit. nach Donaldson et al. 1997, 64
142
Status des Demenzpatienten beeinträchtigt wird668. Möglicherweise gehen diese
inkonsistenten Ergebnisse zu einem Teil auf das Konto unterschiedlicher
Krankheitsstadien, in denen sich die untersuchten Patienten befunden hatten.
Ein Beispiel für Stress infolge der kognitiven Demenzsymptomatik liefert eine
Studie von Wright669. Sie identifizierte das wiederholte Fragen der Patienten als
Quelle besonderen Stresses. Es löste bei den gesunden Ehegatten Anspannung
und Verärgerung aus, die sie durch verstärkte Selbstkontrolle, Ersatzhandlungen
oder Ausweichen zu bewältigen versuchten, zum Beispiel durch Schreien in ein
Kissen, sich selbst im Bad einschließen oder durch Gebete.
4.3.1.2
ADL-Beeinträchtigungen
Die Ergebnisse über die Beziehung zwischen Beeinträchtigungen bei den
Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) und Belastungen der Pflegenden sind
nicht eindeutig, scheinen aber eher keine Verbindung zu finden. Die meisten von
Donaldson und Kollegen überprüften Studien fanden keine signifikanten
Zusammenhänge zum Belastungserleben670. Mehrere Studien fanden auch keine
Verbindung zu Depression671, zwei allerdings berichten eine signifikante
Korrelation zwischen ADL-Beeinträchtigung und Depression672 und eine weitere
allgemein Verbindungen zu erhöhtem Gesundheitsrisiko der pflegenden
Ehepartner Demenzkranker673.
4.3.1.3
Problemverhalten und psychiatrische Symptomatik
Nicht-kognitive Merkmale der Demenz sind eine heterogene Gruppe, zu denen
psychotische und depressive Symptome wie auch Problemverhalten gerechnet
werden. Reisberg und Kollegen674 betrachten Problemverhalten des Patienten
als Ausdruck der zugrunde liegenden kognitiven Symptome. Die zunehmenden
668
vgl. Donaldson et al. 1997, 66
669
vgl. Wright 1991
670
vgl. Zarit et al. 1980; Gilleard, Boyd & Watt 1982; Greene et al. 1982; Farran et al. 1993; Weiler et al. 1994;
LoGiudice et al. 1995; zit. nach Donaldson et al 1997, 64
671
vgl. Gilleard, Boyd & Watt 1982; Weiler et al. 1994 ; Baumgarten et al. 1992 ; zit. nach Donaldson et al.
1997, 65
672
vgl. Deimling & Bass 1986; Haley et al. 1987; zit. nach Donaldson et al. 1997, 65
673
vgl. Shaw et al. 1997
674
vgl. Reisberg et al. 1982
143
kognitiven Einbußen führen ihrer Ansicht nach zu vermehrter Angst und Unruhe
bei den Patienten, die sich dann in Verhaltensstörungen Bahn brechen.
Zusammenhänge von Problemverhalten zur Belastung der Angehörigen gelten
als gesichert675. Unterschiedliche Ursachen werden hierfür verantwortlich
gemacht.
Deimling & Bass erklären die höheren Belastungen, die von
Verhaltensproblemen und gestörtem Sozialverhalten ausgehen, einerseits damit,
dass die Pflegenden bei diesen Symptomen einen gesteigerten Bedarf an
Beaufsichtigung wahrnehmen, und somit nicht die Verhaltensprobleme an sich,
sondern dieses Mehr an Arbeit die Ursache für die erhöhte Belastung ist. Eine
weitere mögliche Erklärung bietet Miller676 aus der Perspektive des symbolischen
Interaktionismus: Kognitive Störungen gehören erwartungsgemäß zu den
Symptomen
der
Demenz
und
werden
deshalb
als
legitim
betrachtet.
Verhaltensstörungen dagegen, wie inadäquates Sozialverhalten oder Unruhe
stiftende Verhaltensweisen, werden weniger als Krankheitssymptome erkannt
und gelten deshalb als illegitim. Aus der Rollentheorie kommen Erklärungen für
den phasenabhängigen Belastungsverlauf im Hinblick auf Problemverhalten:
Regelbrüche erzeugen in Familien normalerweise Stress. Solange der
Demenzkranke in frühen Krankheitsstadien noch nicht als Patient identifiziert ist,
gelten für ihn die normalen Rollenerwartungen. Erst in späteren Stadien
verändern die gesunden Familienmitglieder ihre Rollenerwartungen an ihn und
tolerieren Regelbrüche dann eher677. Darüber hinaus können problematische
Verhaltensweisen, etwa tätliche Angriffe des Patienten, eine reale Gefahr für den
pflegenden Ehegatten bedeuten.
Allerdings scheinen nicht alle problematischen Verhaltensweisen gleichermaßen
Stress zu erzeugen. Quayhagen und Quayhagen678 berichten, dass nur 8 von 29
solcher Verhaltensweisen stressend wirkten: ständiges Fragen, Probleme im
Umgang mit Geld, peinliches Verhalten (v.a. sexuell), Probleme beim Baden,
Schwierigkeiten allein zu bleiben, Probleme beim Kochen, gefährliches Verhalten
und Inkontinenz. Peinliches Verhalten des Patienten stresste besonders die
Ehefrauen.
Defizitäres
Verhalten
wie
Rückzug,
Apathie,
fehlendes
Kommunikationsvermögen oder Immobilität scheinen belastender zu sein als
675
vgl. Überblicksarbeiten von Donaldson et al 1997; Schulz et al. 1995
676
Miller 1977; zit. nach Deimling & Bass 1986, 779
677
vgl. Morcyz 1980; zit. nach Pruchno & Resch 1989b, 181
678
vgl. Quayhagen & Quayhagen 1988
144
Exzesse des Verhaltens wie Aggression oder Agitation679. Emotionale Labilität
und destruktives Verhalten des Patienten wurden als starke Prädiktoren für
verschlechtertes Wohlbefinden der Ehegatten identifiziert680. „Sundowning“Symptome681 erwiesen sich in einer Studie als besonders stressrelevant für die
untersuchten pflegenden Ehegatten682.
Welche unterschiedlichen Folgen Problemverhalten bei den Angehörigen haben
kann, wurde in einer Reihe von Studien untersucht. Psychischer Distress bzw.
Angst und Stress auf Seiten der pflegenden Angehörigen werden in mehreren
Studien als Korrelate der nicht-kognitiven Demenzsymptome gesehen683. Die
Befunde zum Zusammenhang von Depression bei den Angehörigen und nichtkognitiven Demenzsymptomen sind gespalten, mit einer leichten Neigung zu
einer positiven Beziehung684. Einen Zusammenhang von Verschlechterungen der
Beziehung zwischen pflegenden Angehörigen und Patienten mit aggressivem
Patientenverhalten, Rückzug oder Stimmungsschwankungen belegen mehrere
Studien685. Einschränkungen der sozialen Partizipation der Pflegenden waren mit
ADL-Beeinträchtigungen und Problemverhalten686, bzw. in einer anderen Studie
mit Desorientiertheit und Problemverhalten687 assoziiert. Pflegende Ehegatten,
die viel Problemverhalten bei ihren Partnern erleben, zeigen ein geringes Risiko
für einen eigenen Krankenhausaufenthalt. Interpretation der Autoren dieser
Studie: Sie scheuen sich, den Kranken in einer solchen Phase Dritten zu
überlassen688.
Hinweise auf ein zirkuläres Geschehen geben Vitaliano et al.689, die in ihrer
Studie
679
680
an
Ehegatten
Demenzkranker
zeigen
konnten,
dass
bestimmte
Greene et al. 1982, zit. nach Donaldson et al. 1997, 64; LoGiudice et al. 1995, zit. nach Murray et al. 1999,
666
vgl. Croog et al. 2001
681
“Sundowning”-Symptome sind spezifische Verhaltensstörungen, die in den Abendstunden auftreten, wenn die
geistigen Kapazitäten des Patienten infolge der Belastungen des Tages verringert sind. Gallagher-Thompson
et al. operationalisieren “sundowning behavior” als „combattiveness; agitation/purposeless movement;
wandering; prolonged incoherent vocalization (over 5 minutes); hallucinations (misinterpretations of the
environement); confusion; disorientation”. Vgl. Gallagher-Thompson et al. 1992, 808
682
vgl. Gallagher-Thompson et al. 1992
683
vgl. Donaldson et al. 1997, 65
684
vgl. Donaldson et al. 1997, 65
685
vgl. Übersicht bei Donaldson et al. 1997, 64
686
vgl. Deimling & Bass 1986
687
vgl. Pruchno & Resch 1989b
688
Shaw et al. 1997
689
vgl. Vitaliano et al. 1993. Die Autoren bezogen das Konzept der “Expressed Emotions”, das im
Zusammenhang der Angehörigenforschung von schizophrenen und depressiven Patienten entstanden ist, auf
die Demenzsituation. Expressed Emotions - definiert als Expression von Kritizismus und/oder
Überinvolviertheit – bei den Angehörigen gelten als Prädiktoren für Rezidive. (vgl. Vaugh et al. 1984; zit. nach
Vitaliano et al. 1993, P202).
145
Verhaltensweisen der pflegenden Partner, d.h. der Ausdruck von Kritizismus
und/oder Überinvolviertheit, Problemverhalten beim Patienten auslösen können.
Eine Studie von Braekhus et al.690 beschäftigte sich mit Ehepaaren zu Beginn der
Demenz. Die nicht erkrankten Partner zeigten bereits in diesem Stadium
regelmäßig Stresssymptome. Eine substanzielle Anzahl der Befragten berichtete
von depressiven Reaktionen, Beeinträchtigungen des sozialen Lebens und
Schwierigkeiten, Urlaub zu machen. Diese Probleme korrelierten mit der
Stimmung des Patienten, der Kommunikation und den Fähigkeiten im Bereich
der IADL. Der allgemeine kognitive Status der Patienten war kein Prädiktor für
Stress der Ehegatten.
4.3.2
Merkmale des pflegenden Ehegatten
Drei Gesichtspunkte hat die Forschung in diesem Bereich besonders interessiert:
die Bedeutung (a) der Persönlichkeitsmerkmale (b) des Alters und (c) des
Geschlechts für die Belastung bei der Pflege. Weitere Variablen wie
Bildungsstand und sozioökonomische Situation sind in den vorliegenden Studien
zur Ehepartnerpflege nicht gesondert untersucht worden. Aus Studien über
pflegende Angehörige im Allgemeinen gibt es aber Hinweise, dass niedriges
Bildungsniveau
Belastungen
in
und
der
geringer
Pflege
sozioökonomischer
verbunden
sind
691
.
Status
Im
mit
Folgenden
stärkeren
werden
Forschungsergebnisse zum Einfluss von Persönlichkeit, Alter und Geschlecht der
Ehegatten auf die Belastung vorgestellt.
690
vgl. Braekhus et al. 1998
691
Biegel, Sales & Schulz 1991; zit. nach Gallant & Connell 1998, 289
146
4.3.2.1
Alter und Gesundheit
Demenzen sind hauptsächlich Erkrankungen des höheren Lebensalters. Die
Ehegatten der Patienten sind in der Regel ebenfalls alt bzw. hochaltrig692. In
dieser Gruppe kann von einer starken Belastung durch eigene gesundheitliche
Probleme ausgegangen werden. Wenngleich das Alter keine einheitliche
Lebensphase ist, sondern ganz im Gegenteil gerade in dieser Phase inter- und
intraindividuelle Unterschiede charakteristisch sind aufgrund der Bezogenheit des
Alters auf den gesamten Lebenslauf des Individuums693, so geht das Alter
dennoch typischerweise mit nachlassender Gesundheit einher. Verantwortlich
dafür sind zunächst die physiologischen Alterungsprozesse mit nachlassenden
Funktionen in vielen Bereichen des Körpers, dann aber auch chronische,
mitalternde Erkrankungen (z.B. Diabetes) und Krankheiten, die erst nach langer
Latzenzzeit ausbrechen (z.B. Krebs) und schließlich Krankheiten, die erst nach
langer Exposition von Risikofaktoren (z.B. Rauchen) auftreten694. 96% aller 70Jährigen und Älteren haben – so die Berliner Altersstudie - mindestens eine
objektive Diagnose einer körperlichen Erkrankung und bei 30% liegen
gleichzeitig fünf oder mehr Diagnosen, also eine Multimorbidität vor.695 Allerdings
wurden lebensbedrohliche Erkrankungen wie die koronare Herzkrankheit oder
die Herzinsuffizienz „nur“ bei einem Drittel der 70-Jährigen und Älteren
festgestellt696. Das gehäufte Auftreten von Krankheiten ist zum einen auf
spezifische physiologische Prozesse im Alter zurückzuführen, vor allem auf die
reduzierte Anpassungsfähigkeit des Organismus. Zum anderen übt der
Lebensstil der früheren Lebensabschnitte einen Einfluss auf Entstehung und
Verlauf von Krankheiten im Alter aus697. Wichtig ist dabei allerdings, dass viele
dieser alten „Patienten“ sich nicht krank fühlen. Borchelt et al.698 führen aus, dass
die individuelle Bewertung der objektiven gesundheitlichen Situation von Älteren
offenbar mit anderen Kriterien vorgenommen wird als von Jüngeren. „Gute
Gesundheit“ im Alter bedeute für sie nicht mehr Abwesenheit von Krankheit oder
692
Der Beginn der Hochaltrigkeit wird definiert als das Lebensjahr, in dem 50% der Angehörigen eines
Geburtsjahrganges verstorben sind. Bei Frauen liegt die Grenze derzeit im 84. Lebensjahr, bei Männern im
78. Große interindividuelle Unterschiede müssen allerdings in Betracht gezogen werden. Vgl. BMFSFJ, 2002
(4. Altenbericht)
693
vgl. Erlemeier 1998
694
vgl. Wurm 2003
695
vgl. Steinhagen-Thiessen & Borchelt 1996
696
vgl. Steinhagen-Thiessen & Borchelt 1996
697
vgl. Kruse 1994
698
vgl. Borchelt et al. 1996
147
Behinderung, sondern Abwesenheit von quälenden Beschwerden oder auch,
dass die eigene Gesundheit „besser als die von Gleichaltrigen“699 ist. In der
subjektiven
Bewertung
sind
es
an
erster
Stelle
Erkrankungen
des
Bewegungsapparats, die als belastend erlebt werden700.
Ganz anders stellt sich die Situation für die sogenannten Younger-onsetdementia-Patienten und ihre Angehörigen dar. Über deren Situation und die
Bedürfnisse ist bisher wenig bekannt701. Vermutlich wird ein größerer Teil dieser
jungen Patienten verheiratet sein und von etwa gleichaltrigen EheparterInnen
versorgt werden. Diese Paare befinden sich in einer ganz anderen Lebensphase
als die „typischen“ alten und hochaltrigen Demenzpaare. Welche spezifischen
Belastungen daraus für die gesunden Partner entstehen, ist heute empirisch
unbeantwortet.
4.3.2.2
Geschlecht
Wird nach dem Geschlecht der informell Pflegenden unterschieden, dann geben
Frauen jeden Alters quer durch die Literatur insgesamt mehr Belastungen an als
männliche pflegende Angehörige702. Übereinkunft herrscht auch darüber, dass
Ehefrauen verglichen mit Ehemännern belasteter erscheinen. Sie schildern mehr
depressive Störungen, körperliche Beschwerden, geringeres Wohlbefinden und
subjektive Belastung, schlechtere soziale Einbindung und weniger finanzielle
Stabilität703. Miller & Cafasso704 kommen in ihrer Meta-Analyse zu dem Schluss,
dass es Geschlechtsunterschiede in der häuslichen Pflege gibt, wenngleich das
Ausmaß dieser Unterschiede gering ist. Unterschiede werden sichtbar bei den
Aufgaben (mehr persönliche Pflege und Haushaltsaufgaben durch Frauen) und
bei der Belastung (mehr bei Frauen). Zur Belastung mit Depression gibt es eine
Vielzahl von Ergebnissen, die bei pflegenden Frauen häufiger und schwerere
Depressionen vorfinden als bei pflegenden Männern705, wobei unklar ist,
inwieweit dieser Unterschied etwas mit der Pflegesituation zu tun hat oder mit
dem Geschlecht. Mit den häufig verwendeten self-report-measures werden bei
699
Heckhausen & Krüger 1993; zit. nach Borchelt et al. 1996, 466
700
Steinhagen-Thiessen & Borchelt 1996
701
vgl. Williams, Keady & Nolan 1995
702
vgl. Überblicke bei Harris 1993, Hooker et al. 2000; Magai, Hartung & Cohen 1995; Rose-Rego, Strauss &
Smyth 1998; Winslow & Carter 1999
703
vgl. Rose-Rego, Strauss & Smyth 1998
704
vgl. Miller & Cafasso 1992
705
vgl. Übersicht bei Schulz et al. 1995; Beeson 2003, 136
148
Frauen im Allgemeinen häufiger Depressionen gefunden als bei Männern706.
Rose-Rego et al.707 konnten nachweisen, dass Belastungen, die von den
pflegenden Ehefrauen ihres Samples berichtet wurden, tatsächlich etwas mit der
Demenz-Pflegesituation zu tun hatten, denn sie gehörten zu den wenigen
Forschern, die mit einer Kontrollgruppe Nicht-Pflegender gearbeitet hatten.
Andererseits gibt es vereinzelt Befunde, die stärkere Belastungen bei pflegenden
Männern berichten708. Ehemänner scheinen dann gesundheitlich stärker
gefährdet zu sein, wenn die Demenz der Frau fortgeschritten ist, was zum
Beispiel ablesbar ist an häufigeren Krankenhausaufenthalten. Bei pflegenden
Ehefrauen wurde ein derartiger Zusammenhang nicht gefunden709. Auch Moritz,
Kasl & Berkman710 entdeckten diesen Zusammenhang zwischen Demenzstadium
und Depression bei Ehemännern. Bei gesunden Ehefrauen war in ihrer
Untersuchung eine derartige Korrelation erheblich schwächer.
Auf
die
Bedeutung
der
Freiwilligkeit
der
Pflegeübernahme
Belastungserleben stießen Robinson-Whelen & Kiecolt-Glaser
712
sich auf den von Pearlin
für
das
711
. Sie beziehen
geprägten Begriff der „role captivity“, der die
unfreiwillige Rollenübernahme aus reiner Verpflichtung bezeichnet. Pearlin hält
dieses
Phänomen
für
einen
wesentlichen
sekundären
Stressor
im
713
Stressprozess
. Robinson-Whelen & Kiecolt-Glaser fanden in ihrem Demenz-
Ehegattensample bei den Ehefrauen keinerlei Beziehung zwischen Freiwilligkeit
und Distress, bei Männern jedoch eine signifikante Korrelation zu Depression und
selbst wahrgenommenem Stress. Die Autorinnen schlussfolgern daraus, dass
Wahlfreiheit und Kontrolle Kategorien sind, die für das Verständnis männlicher
Pflege wesentlich sind. Andere Autoren wiederum führen das Phänomen der
„role captivity“ an, um die besondere Belastung bei alten pflegenden Frauen zu
erklären. Sie vermuten, gerade alte Frauen, die ihr Leben lang fürsorglich für
andere da gewesen sind, könnten es besonders schmerzlich erleben, wenn sie
706
vgl. z.B. Nolen-Hoeksema 1987; zit. nach Hooker et al. 2000, 568
707
vgl. Rose-Rego, Strauss & Smyth 1998
708
vgl. Übersicht bei Beeson 2003, 136
709
vgl. Schulz et al. 1995
710
vgl. Moritz, Kasl & Berkman 1989
711
vgl. Robinson-Whelen & Kiecolt-Glaser 1997
712
vgl. Übersicht bei Robinson-Whelen & Kiecolt-Glaser 1997, 284
713
vgl. Pearlin et al. 1990
149
auch im Alter wieder eigene Bedürfnisse und Interessen zugunsten der Pflege
des Ehemannes zurückstellen müssen714.
Innerhalb des Stressmodells gibt es zwei Erklärungsansätze für Unterschiede bei
der Pflegebelastung von Frauen und Männern715. Aus der Sicht der
Geschlechtsrollensozialisationshypothese716
sind
Frauen
vulnerabler
für
Stresseffekte aufgrund ihrer Sozialisation hin zu Sensitivität für Beziehungen,
Fürsorgeorientierung, speziellem Krankheitsverhalten und bestimmten CopingStilen717 und möglicherweise auch wegen ihrer sozialisationsbedingt größeren
Aufmerksamkeit für emotionale Reaktionen auf Stress718. Aus der Sicht der
Hypothese der sozialen Rollen, welche weniger die Sozialisationseffekte als die
Anforderungen der aktuellen Rollen fokussiert, sind Frauen deshalb häufig
gestresster, weil sie häufiger als Männer potenziell stressvollen Situationen
ausgesetzt sind und mehr Rollenbelastungen erleben719. Die Hypothese der
sozialen Rollen sehen Miller & Cafasso720 durch ihre Ergebnisse gestützt, die
Ähnlichkeiten der Geschlechter bei der funktionalen Pflegebedürftigkeit des
Erkrankten und dem totalen Ausmaß der Pflegeeinbindung dokumentieren. Diese
Hypothese ist nach Auffassung der Autorinnen deshalb besonders geeignet, um
das Verhalten in den Pflegeaufgaben zu erklären. Die Sozialisationshypothese
halten sie demgegenüber für geeigneter, die subjektiven Bewertungen der
Pflegesituation und die emotionalen Reaktionen darauf zu erklären.
Mit der Frage, ob Frauen deshalb mehr Belastungen zeigen, weil sie
Beschwerden wahrnehmen und thematisieren, die Männer auch haben, aber
nicht wahrnehmen und/oder in Befragungen nicht ansprechen721, beschäftigte
sich eine Untersuchung von Gold et al.722. Die Autoren untersuchten hierzu die
Rolle der Bewusstheit (awareness) von Gefühlen und der Expressivität von
Gefühlen (expressiveness) bei pflegenden Frauen und Männern. Sie beziehen
sich auf ein Modell von Lane & Schwartz723, das davon ausgeht, die Bewusstheit
von Gefühlen hänge von dem Maß ab, in dem ein Individuum verschiedene
714
vgl. Collins & Jones 1997; Zarit, Todd & Zarit 1986
715
vgl. Miller & Cafasso 1992
716
vgl. weiter oben in diesem Abschnitt
717
vgl. Übersicht. bei Miller & Cafasso 1992, 499
718
vgl. Lutzky & Knight 1994
719
vgl. Übersicht bei Miller & Cafasso 1992, 499
720
vgl. Miller & Cafasso 1992
721
vgl. Rose-Rego, Strauss & Smyth 1998
722
vgl. Gold et al. 1994
723
vgl. Übersicht bei Gold et al. 1994, 207
150
Erfahrungsaspekte, die zu Emotionen beitragen, kognitiv verarbeiten kann (z.B.
Erregungslevel oder physiologische Reaktionen). Die Autoren unterscheiden fünf
aufsteigende Stufen der Bewusstheit von Gefühlen: Bewusstheit von (a)
körperlichen Empfindungen, (b) Tendenzen zur Aktivität, (c) durchdringenden
individuellen emotionalen Zuständen, (d) Mischungen aus verschiedenen
Emotionen und (e) integrierten Mischungen aus komplexen Emotionen
einschließlich der Wahrnehmung der Erfahrungen anderer Menschen. Nach
diesem Modell entscheidet die Entwicklungsstufe eines Individuums darüber, ob
es Emotionen hauptsächlich als somatisches Geschehen wahrnimmt oder als
psychischen Zustand. Außerdem hängt vom Entwicklungsstand auch ab, wie
differenziert Emotionen wahrgenommen werden und wie integriert diese
Erfahrungen sind. Auf dieser theoretischen Grundlage vermuteten Gold und
Kollegen, dass Pflegende mit höher entwickelter Bewusstheit höhere subjektive
Belastungen (burden) berichten und Pflegende mit geringer entwickelter
Bewusstheit eher Körperbeschwerden. Zusätzlich vermuteten sie, dass Frauen
sozialisationsbedingt Gefühle auf höheren Bewusstseinsstufen verarbeiten und
expressiver sind als Männer. Sie konnten diese Hypothesen aber nur teilweise
mit ihren Daten aus einem gemischten Demenz-Angehörigensample belegen.
Männer zeigten sich ebenso emotional expressiv wie die Frauen, und die
Expressivität hatte keine Beziehung zu subjektiver Belastung und körperlichen
Beschwerden. Die Autoren erklären dies u.a. damit, dass Männer, die häusliche
Pflege übernehmen, möglicherweise ein atypisches Männersample darstellen,
oder
dass
chronische
Stresssituationen
wie
die
häusliche
Pflege
Selbstbeobachtung fördert, emotional wie behavioral. Frauen waren bewusster
für emotionale Zustände anderer Personen, aber nicht den eigenen gegenüber.
Wie vermutet führte größere Bewusstheit zu vermehrter Wahrnehmung
psychischer
Belastung,
dies
aber
nur
bei
Pflegenden,
die
geringe
Belastungsniveaus aufwiesen. Bei sehr hoch Belasteten, dies waren nur Frauen,
fanden sich keine Korrelationen, sodass hier vermutlich andere, unbekannte
Variablen Einfluss nehmen. Ebenfalls entsprechend der Vermutung verringerte
größere Bewusstheit den eigenen Emotionen gegenüber die Klagen über
körperliche Beschwerden, dies aber nur bei Frauen. Bei Männern war gerade
größere „self-emotional awareness“ mit
vermehrten Körperbeschwerden
assoziiert, ein Befund, den die Autoren damit erklären, dass es für Männer
möglicherweise sozial akzeptierter erscheint, über körperliche Beschwerden als
über seelische Probleme zu klagen.
151
Zusammenfassend kann die geringere Belastung von Männern bei der
häuslichen Pflege, die mit wenigen Ausnahmen von den meisten Studien
gefunden wird, aus zwei Gründen resultieren: Entweder sind ihre Pflegestile724
weniger stressend, oder die Forschungsdesigns bilden die männlichen
Belastungen nicht akkurat ab725. Die letztere Vermutung unterstützen Moritz, Kasl
& Bergman726, die darauf hinweisen, die meisten Studien, die bei pflegenden
Frauen höhere Belastungen gefunden haben, hätten nicht mit repräsentativen
Samples gearbeitet und seien durch ein Übergewicht der Frauen in den Samples
gekennzeichnet. Dem ist hinzuzufügen, dass die tatsächliche gesundheitliche
Belastung der Männer möglicherweise nicht erkannt wird, weil sie mit einem
spezifischen Gesundheitsverhalten viele Beschwerden verschleiern. Männer
besuchen seltener als Frauen Ärzte und nehmen seltener Vorsorgemaßnahmen
in Anspruch727, haben aber oft schwerwiegendere, potenziell letale Krankheiten
und sind häufiger hospitalisiert als Frauen728.
4.3.2.3
Persönlichkeitsmerkmale
Die Persönlichkeit spielt im Stressprozess in der Phase der Bewertung des
Stressors eine entscheidende Rolle. Hooker und Kollegen729 argumentieren,
innerhalb des Stressmodells von Lazarus & Folkman730 sei die kognitive
Bewertung der Schlüssel für das Verständnis der Wirkung von Stressoren auf
das individuelle Wohlbefinden. Menschen schrieben Situationen Bedeutungen
zu, und dies vollziehe sich in einem interaktiven, konstruktiven Prozess. Die
Persönlichkeit prädisponiere eine Person in der Art, wie sie Ereignisse bewerte,
d.h. ob sie sie zum Beispiel als gutartig oder als bedrohlich einstufe731.
Zusammenhänge
von
Persönlichkeit
und
körperlicher
wie
Gesundheit sind für die Allgemeinbevölkerung vielfach belegt
psychischer
732
. Negative
emotionale Zustände wie Feindseligkeit und Ärger zum Beispiel machen
724
vgl. Kapitel 3.2.3
725
vgl. Thompson 2002
726
vgl. Moritz, Kasl & Berkman 1989
727
vgl. Nathanson 1990; zit. nach Kramer 1997b, 241
728
vgl. Thomas & Kelman 1990; zit. nach Kramer 1997b, 241
729
vgl. Hooker et al. 1998 und Hooker et al. 1992; vgl. auch Vitaliano et al. 1989a, 1989b,1991, 1993
730
vgl. Lazarus & Folkman 1984
731
vgl. Hooker et al. 1998
732
vgl. Übersicht bei Hooker et al. 1998, P74
152
anfälliger für Krankheiten733. Die Klammer für diese Zusammenhänge sehen
Hooker et al.734 im Stress. Distress sei mit körperlichen Mechanismen assoziiert,
wie etwa kardiovaskulärer Reaktivität oder Herabregulation des Immunsystems,
die auf Dauer zu chronischen Gesundheitsproblemen führen könnten735. Das
Merkmal „Neurotizismus“ ist speziell mit vermehrtem Stress verbunden.
Personen mit hohen Neurotizismuswerten interpretieren Lebensereignisse
negativer und haben eine höhere Neigung zu Distress als Menschen mit
niedrigen Neurotizismuswerten736.
Andere Persönlichkeitsmerkmale können als Ressourcen in Stressperioden
wirken. Selbstwirksamkeit (self-efficacy) beinhaltet eine weite Spanne von
Anpassungsverhalten wie Coping-Fähigkeiten, Resignation im Falle des
Scheiterns und Leistungsstreben737. Ein Kompositum aus Persönlichkeitsfaktoren
(commitment, control, challenge), das als „hardiness“ bezeichnet wird, kann
darüber entscheiden, ob jemand in Stresssituationen krank wird oder nicht738.
Dass eine Optimismus-Disposition dazu verhelfen kann, Probleme besser zu
bewältigen, wurde am Beispiel der Rekonvaleszenz nach Bypass-Operationen
gezeigt739.
Empirische Befunde aus der Belastungsforschung zur Situation von Angehörigen
Demenzkranker bestätigen die Bedeutung von Persönlichkeitsfaktoren. Nunley740
belegte, dass „hardiness“ auch bei Ehegatten Demenzkranker eine schützende
Funktion hat, indem dieses Merkmal die Effekte von Verhaltensproblemen des
Patienten auf das Belastungserleben und die Lebensqualität der Pflegenden
abschwächte und auch vor Depression schützte. Vitaliano et al.741 fanden in ihrer
Langzeitstudie bei etwa einem Fünftel der untersuchten Ehegatten hohe Werte
von Expressed Emotion (EE = Kritizismus und Überinvolviertheit). Diese
Pflegenden berichteten mehr Depression, Belastung, zurückgehaltenen Ärger
und geringere Wutkontrolle als Gatten mit niedrigeren EE-Werten. Sie zeigten
auch mehr Vermeiden und Scham gegenüber anderen, und sie schätzen die
Schwere der Behinderung ihres Gatten schwerer ein. In einem zweiten Bericht
733
vgl. Übersicht bei Monahan & Hooker 1995, 397
734
vgl. Hooker et al. 1998
735
vgl. Übersicht bei Hooker et al. 1998, P74
736
vgl. Übersicht bei Hooker et al. 1998, P74
737
vgl. Bandura 1982; zit. nach Monahan & Hooker 1995, 307
738
vgl. Übersicht bei Monahan & Hooker 1995, 307
739
vgl. Scheier et al. 1989; zit. nach Hooker et al. 1992, 367
740
vgl. Nunley 2002
741
vgl. Vitaliano et al. 1989a
153
über den weiteren Studienverlauf berichten die Autoren742, dass EE und der
Ausdruck von Ärger und Wut (anger) – beides konzeptualisiert als Vulnerabilität –
bei den pflegenden Ehepartner eine von den Patientenvariablen unabhängige
Beziehung zum Auftreten von Stress hatten. Ehegatten mit anfangs hohen Raten
an Angst, Ärger und körperlichen Gesundheitsproblemen waren gefährdeter für
Belastungen im weiteren Verlauf. Umgekehrt waren Pflegende mit guten sozialen
Ressourcen
und
„Outlook-Faktor“743
positivem
(=
Überzeugungen
über
Lebenszufriedenheit und Dankbarkeit mit dem, was man hat) weniger belastet im
Verlauf.
Ärger, Groll und Wut (anger) scheinen bei der häuslichen Pflege eines
Demenzkranken eine besondere Rolle zu spielen. Sie wurden als häufigster
negativer
Affekt
in
einem
gemischten
Familienangehörigensample
von
744
Alzheimer-Kranken ermittelt
. Bei Ehegatten von Demenzkranken wurde im
Vergleich zu einer nicht-pflegenden Kontrollgruppe entdeckt, dass hohe „angerout-scores“ und hohe Feindseligkeitswerte, kombiniert mit den Stressoren der
Pflege, ein Risiko für schlechte Blut-Lipid-Profile ergaben745.
Eine Reihe von Studien beschäftigte sich mit den Merkmalen „Neurotizismus“
und „Optimismus“. Hooker et al.746 konnten in einem Sample aus Ehegatten
Demenzkranker
belegen,
dass
beide
Merkmale
auf
das
Niveau
des
wahrgenommenen Stresses einwirken und somit einen indirekten Einfluss auf die
physische und psychische Gesundheit haben. In einer 30-Tage-Studie an
Ehegatten Demenzkranker zeigten Shifren & Hooker747, dass deren Optimismus
über die Tage hinweg sich immer wieder veränderte. Dabei korrelierten die
aktuellen Optimismuswerte (state optimism) signifikant mit dem dispositionalen
Optimismus der Person. Die Autorinnen interpretieren unter Bezugnahme auf
Bandura748,
dass
Pflegende
mit
hohem
dispositionalen
Optimismus
möglicherweise besser in der Lage sind, ihre Zukunftserwartungen so zu
modulieren, dass sie zu den täglichen Anforderungen der Pflegesituation passen.
Dies gelingt, indem sie zwischen optimistischen Gefühlen bezüglich mancher
Aspekte und realistisch pessimistischen Gefühlen bezüglich anderer Aspekte
742
vgl. Vitaliano et al. 1991
743
vgl. Diener et al. 1985; zit. nach Vitaliano et al. 1991, 399
744
vgl. Gallagher et al. 1990
745
vgl. Vitaliano et al. 1998 (im Druck); zit. nach Hooker et al. 1998, P74
746
vgl. Hooker et al. 1992
747
vgl. Shifren & Hooker 1995
748
vgl. Bandura 1982; zit. nach Shifren & Hooker 1995, 72
154
unterscheiden können. Die optimistischeren Probanden hatten niedrigere Werte
negativer Affekte. Die Autorinnen erklären dies damit, dass es optimistischen
Personen leichter fällt, negative Gefühle zur Seite zu stellen und sich auf
Problemlösungen zu konzentrieren. Gallant & Connell749 fanden bei Ehegatten
Demenzkranker
direkte
Zusammenhänge
zwischen
Neurotizismus
und
Depression, und auch indirekte Beziehungen via Stressempfinden und
Gesundheitsverhalten. Beim Gesundheitsverhalten spielte vor allem körperliche
Aktivität eine wesentliche Rolle.
In einer anderen Untersuchung schlossen Hooker et al.750 in die Frage nach der
Wirkung der Persönlichkeit auch die soziale Unterstützung mit ein und fanden,
dass die Persönlichkeit der pflegenden Ehegatten direkte und indirekte Einflüsse
auf ihre seelische Gesundheit hatte und indirekte auf ihre körperliche Gesundheit
via Stress und soziale Unterstützung. Sie argumentieren, dass die persönliche
Einschätzung von sozialer Unterstützung ein wesentlicher Umstand dafür ist, ob
sie wirkungsvoll ist. Bei der Einschätzung spielt die Persönlichkeit eine
entscheidende Rolle.
4.3.3
Qualität der vergangenen Ehebeziehung
Die Merkmale der vergangenen und aktuellen Ehebeziehung können innerhalb
der Systematik des Stressmodells als Mediatoren751 oder Moderatoren zwischen
Stressor und Stressfolgen angesehen werden. Das heisst, die Qualtität der
Beziehung „can be viewed not only as a product of the stressors, but also as
providing a particular lens through which stressors are interpreted or
appraised“752. Die meiste Forschung in diesem Bereich hat sich mit der
Beziehung vor dem Beginn der Demenz und ihrem Einfluss auf das
Belastungserleben
der
pflegenden
Partner
beschäftigt,
während
die
Auswirkungen der Demenz auf die aktuelle Beziehung weitgehend ignoriert
worden sind753. Erwähnenswert ist im Zusammenhang dieses Kapitels auch,
dass aus einer ganz anderen Blickrichtung, nämlich der Frage, welche Rolle
psychosoziale Faktoren für die Entwicklung einer Demenz spielen, zwei Arbeiten
Ergebnisse berichten, die auch etwas über die vormalige Ehebeziehung
749
vgl. Gallant & Connell 2003
750
vgl. Hooker et al. 1998
751
vgl. Horowitz & Shindelman 1983
752
Lawrence et al. 1998, 150
753
vgl. Bookwala & Schulz 2000; Majerovitz 1995 ; vgl. Kapitel 3
155
aussagen. Bauer et al.754 verglichen die Paarbeziehungen von AlzheimerPatienten und Patienten mit vaskulärer Demenz. Bei ihren Alzheimer-Probanden
fanden sie als langjähriges prämorbides Muster eine Inferiorität in der
Hauptpartnerschaft, bei den vaskulär Dementen eine Dominanz in der
Hauptpartnerschaft. Unterstützung gibt es bei Kropiunigg755, der ebenfalls in
einem Sample aus Alzheimer-Patienten auf langjährig wenig ausbalancierte
Beziehungen stieß. Die Patienten waren im Allgemeinen schon vor Ausbruch der
Demenz stark dominiert gewesen durch ihre Partner. Der Autor sieht im
Hintergrund ein fragiles Selbst der Alzheimer-Patienten.
Einen theoretischen Bezugsrahmen für Ergebnisse zur Beziehung von
Ehequalität und Pflege liefert die Arbeitsgruppe um Williamson, die sich in
verschiedenen Arbeiten zur häuslichen Pflege756 auf die Theory of Communal
Relationships
von
Clark
&
Mills757
stützt.
Sogenannte
„communal
relationsships“758 zeichnen sich durch Verhaltensweisen aus, die auf die
Bedürfnisse des Partners eingehen oder auf sie einzugehen versuchen. Solche
Beziehungen finden sich meist zwischen engen Freunden, Liebespartnern oder
Familienmitgliedern. Clark & Mills759 kontrastieren dazu sogenannte „exchange
relationships“, die sie als quid-pro-quo-Austauschbeziehungen charakterisieren,
bei denen die Sorge um Bedürfnisse und Wohlbefinden des Partners eine
marginale
Rolle
spielt.
Derartige
Beziehungen
bestehen
zwischen
Geschäftspartnern, Fremden oder entfernteren Bekannten.
Befunde auf der Grundlage der Theory of Communal Relationships zur
häuslichen Pflege: Sich nahe stehende Partner (communal partners) fühlen sich
nicht ausgebeutet, wenn der andere ihnen die Hilfeleistung nicht zurückzahlen
kann760. Sich nahe stehende Partner sind eher geneigt, sich gut zu fühlen,
nachdem sie dem Partner geholfen haben761. Ihr Wohlbefinden verschlechtert
sich entsprechend, wenn sie bei der Hilfe versagt haben762. Sie beziehen ihren
Distress weniger auf den Pflegebedürftigen als auf die Konditionen der
754
vgl. Bauer et al. 1995, 1998
755
vgl. Kropiunigg 1999
756
vgl. Williamson & Schulz 1990; Williamson & Shaffer 1998, Williamson, Shaffer et al. 2001
757
vgl. z.B. Clark & Mills 1979, 1993; Mills & Clark 1982; gefunden bei Williamson & Shaffer 1998, 176
758
vgl. Williamson & Shaffer 1998, 176
759
vgl. Williamson & Shaffer 1998, 176
760
vgl. Clark & Waddell 1985; zit. nach Williamson et al. 2001, 218
761
vgl. Williamson & Clark 1989
762
vgl. Williamson et al. 1996
156
Krankheit763. In Ehebeziehungen, die „communal“ sind, bedeutet die Pflege
einfach weiterhin das zu tun, was man immer füreinander getan hat, in dem
Bewusstsein, der Partner würde dasselbe tun, wenn die Lage umgekehrt wäre.
Wenn auch diese Pflegenden traurig über den Zustand des kranken Partners
sind, so bleiben sie doch bemüht, die notwendige Pflege so zu geben, dass das
Wohlbefinden des Kranken gesichert ist764. Umgekehrt sind es die Partner in
historisch weniger engen Ehen nicht gewohnt, die Bedürfnisse des anderen zu
befriedigen, und sie kennen es auch nicht, dass der andere auf ihre Bedürfnisse
fürsorglich reagiert765. Sie beziehen ihren Distress eher auf den Partner als auf
die Bedingungen der Krankheit766.
4.3.3.1
Die „schlechte“ Ehe
Um die Qualität einer Ehe einzuschätzen, ist es notwendig zu verstehen, was
eine intime Beziehung kennzeichnet. Waring et al.767 unterscheiden acht
Dimensionen von Intimität: Affektion, Kohäsion, Expressivität, Kompatibilität,
Konfliktlösung, Sexualität, Autonomie und Identität. Morris, Morris & Britton768
benutzten diese Intimitätsskala in ihrer Studie und fanden heraus, dass ein
niedriges Niveau an Intimität in der Vergangenheit mit Anspannung (strain) und
Depression bei der Pflege des dementen Partners verbunden war. Die Autoren
vermuten, eine schlechte frühere Ehe wirke als Vulnerabilitätsfaktor, der den
pflegenden Gatten für Depression prädisponieren könne, und befördere
Spannungen, Ressentiments und Feindseligkeit, wenn einer der Partner
abhängig
wird.
In
eine
ähnliche
Richtung
dachte
Kramer769,
die
die
Ehegeschichte und die Qualität der Beziehung vor dem Auftreten der Demenz als
Vulnerabilität im Sinne des Double-ABCX-Modell770 der Stresstheorie ansieht.
Ungelöste Eheprobleme tragen danach zur Aufschichtung von Stressoren bei
und erschweren so die Bewältigung der Pflege. Kramer konnte diese Hypothese
in ihrer Studie an Ehefrauen dementer Männer belegen. Die Variablen
„Ehegeschichte“ und „Qualität der Beziehung“ erwiesen sich als starke
Prädiktoren für Depression und Lebensqualität der Ehefrauen. Bestätigung gibt
763
vgl. Williamson, Shaffer et al. 2000
764
vgl. Williamson & Shaffer 1998
765
vgl. Williamson & Shaffer 1998
766
vgl. Williamson et al. 2000
767
vgl. Waring et al. 1980
768
vgl. Morris, Morris & Britton 1988
769
vgl. Kramer 1993a
770
vgl. Übersicht bei Kramer 1993a, 367
157
es auch aus einer Studie von Morgan & Laing771, die bei den pflegenden
Ehegatten mit einer konflikthaften Ehegeschichte ein ganzes Bündel an
problembehafteten Verhaltensweisen ausmachten: das Gefühl der Überwältigung
durch
die
wachsende
Schwierigkeiten als
Verantwortung;
Abwarten
und
Ignorieren
von
Problemlösungsstrategien; Ausdruck von Frustration und
Ärger via Enttäuschung und Unzufriedenheit mit dem Gesundheitssystem; gering
ausgeprägte Fähigkeit, sich in die Lage des kranken Partners zu versetzen; und
wenig Erleben von Gratifikationen in der Pflegesituation.
Eine Arbeit aus dem familiensystemischen Kontext hat sich mit den Einflüssen
der aktuellen Paarbeziehung befasst772. Die Autoren beziehen sich auf das
Circumplex-Modell der Funktionsfähigkeit von Paarbeziehungen und Familien
von Olson773, das als Kernkategorien für die Funktionsfähigkeit die Kohäsion des
Paares (emotionale Verbundenheit und Unterstützung), die Adaptabilität
(Fähigkeit zur situativen Anpassung von Machtstrukturen, Rollenbeziehungen
und Beziehungsregeln) und die Kommunikationsfähigkeit betrachtet. Ergebnisse
der Studie: Die aktuelle Funktionsfähigkeit der von Demenz betroffenen Ehe war
signifikant und unabhängig mit der seelischen Gesundheit des pflegenden
Ehegatten
assoziiert.
Verluste,
die
mit
der
emotionalen
Unterstützung
zusammenhängen, schienen für die Entstehung depressiver Reaktionen
wesentlicher zu sein als Verluste bei instrumenteller Unterstützung. Die eheliche
Kohäsion war wesentlicher als die eheliche Adaptabilität.
4.3.3.2
Die „gute“ Ehe
Die Ergebnisse über die Bedeutung einer glücklichen früheren Ehe für die
Pflegebelastung sind gespalten. Eine Reihe von Untersuchungen deuten auf eine
gewisse Schutzfunktion hin, indem die gute Beziehung den gesunden Gatten
zumindest ein Stück weit vor den Belastungen der Demenzpflege bewahrt774. Die
Kontinuität einer guten Beziehung erleben zu können, ist assoziiert mit besserer
geistig-seelischer Verfassung (morale) und weniger Eindruck von Belastung775.
771
vgl. Morgan & Laing 1991
772
vgl. Rankin, Haut & Keefover 2001
773
vgl. Olson 1989
774
775
vgl. Cantor 1983; Horowitz & Shindelman 1983; Kramer 1993a; Lindgren, Connelly & Gaspar 1999; Meier
Robinson 1990; Morris, Morris & Britton 1988
vgl. Übersicht bei Murray & Livingstone 1998, 660
158
Angehörige, die dem Pflegebedürftigen gegenüber positive Gefühle behalten,
zeigen mehr Engagement und weniger subjektiv wahrgenommene Belastung776.
Morris et al.777 berichten demgegenüber, dass Ehegatten, die den Verlust einer
früheren engen Beziehung besonders bedauerten, ein höheres Ausmaß an
Depression zeigten. In Williamsons & Schulz’778 Studie war die enge frühere
Beziehung assoziiert mit geringerem Belastungserleben, nicht aber mit
Depression. Eine Langzeitstudie von Tower, Kasl & Moritz779 fand ebenfalls keine
Belege für die Schutzfunktion der guten Ehe. Ehemänner in engen Beziehungen
(marital closeness) waren belasteter als Männer in distanzierteren Ehen. Die
Effekte hielten über den gesamten Untersuchungszeitraum von drei Jahren an.
Auch Lewis780 findet keine Unterstützung für die Vermutung, dass die Demenz in
glücklichen Ehen leichter zu bewältigen ist. Ganz im Gegenteil, problematische
Verhaltensweisen des Kranken seien in solchen Ehen besonders schlimm, weil
sie die Erinnerung an eine befriedigende Vergangenheit zerstörten.
In eine andere Denkrichtung weisen die Ergebnisse einer Untersuchung von
O’Rourke & Wenaus781. Sie entdeckten, dass Ehegatten, die ihre Ehe in
besonders positivem Licht bewerteten, weniger stressanfällig bei der Betreuung
ihres dementen Partners waren. Möglicherweise rekonstruieren manche
Ehegatten ihre Beziehungsgeschichte nachträglich in einer idealisierten Form,
um
der
aktuellen,
Gegengewicht
durch
die
entgegensetzen
Demenz
zu
unbalancierten
können.
Die
Autoren
Beziehung
sehen
ein
solche
Überlegungen in Übereinstimmung mit der Theorie des sozialen Austauschs782,
wonach soziale Beziehungen ein Gleichgewicht von Geben und Nehmen
anstreben,
und
mit
Befunden
zum
rekonstruktiven
Gedächtnisses783.
776
vgl. Horowitz & Shindelman 1983
777
vgl. Morris, Morris & Britton 1988
778
vgl. Williamson & Schulz 1990
779
vgl. Tower, Kasl & Moritz 1997
780
vgl. Lewis 1998
781
vgl. O’Rourke & Wenaus 1998
782
vgl. Thibaut & Kelly 1959; zit. nach O’Rourke & Wenaus 1998, 395
783
vgl. Neisser & Winograd 1988; zit. nach O’Rourke & Wenaus 1998, 396
Charakter
des
159
4.3.4
Merkmale der Umwelt
Im Bereich der Umweltvariablen sind besonders die Lebensbedingungen und die
soziale Unterstützung als mögliche Einflussgrößen auf die Belastung der
pflegenden Angehörigen untersucht worden.
4.3.4.1
Die
Lebensbedingungen
Forschungslage
ist
in
diesem
Punkt
uneinheitlich.
Aspekte
der
Lebensbedingungen wie die finanziellen Verhältnisse, Berufstätigkeit, beruflicher
Status und die Wohnsituation werden einerseits nach bisheriger Befundlage als
untergeordnet
in
ihrem
Einfluss
auf
den
Stressprozess
angesehen784.
Andererseits führen andere Autoren an, die sozioökonomische Situation, bekannt
als klassischer Vulnerabilitätsfaktor für Gesundheitsbeeinträchtigungen, habe
sich auch bei pflegenden Angehörigen als konsistentes Korrelat z.B. für
Depression herausgestellt785. Das Zusammenleben mit dem Demenzkranken in
einem Haushalt hat sich als ein Faktor erwiesen, der den Stress der Angehörigen
erhöht786. Diese Wohnsituation trifft in der Regel auf Ehepartner zu, so dass sie
schon aus diesen Gründen zu einer besonders belasteten Gruppe gehören.
4.3.4.2
Soziale Unterstützung
Soziale Unterstützung kann definiert werden als multidimensionales Konstrukt,
das eine Vielzahl an Beziehungen, Verhaltensweisen und Konsequenzen
umfasst787. Im Kontext kritischer Lebensereignisse ist die positive Wirkung von
sozialer
Unterstützung
Pufferhypothese
besagt,
vielfach
dass
bestätigt
ihre
worden788.
Verfügbarkeit
die
Die
sogenannte
Effekte
kritischer
Lebensereignisse moderieren kann789. Ob dies auch für die häusliche Pflege
demenzkranker Ehegatten zutrifft, ist nicht mit einem einfachen Ja oder Nein zu
784
vgl. Wilz 2002
785
vgl. Schulz et al. 1995
786
vgl. George & Gwyther 1986; Harper & Lund 1990
787
vgl. Streeter & Franklin 1991; zit. nach Monahan & Hooker 1997, 279
788
vgl. Wilz 2002
789
vgl. Cohen & Wills 1985; zit. nach Wilz 2002, 27
160
beantworten. Soziale Unterstützung ist in der Literatur zur häuslichen Pflege
unterschiedlich konzeptualisiert worden, entweder als Puffer zwischen dem
potenziell stressvollen Ereignis und den Folgen oder aber als
unabhängige
Variable, die zum Beispiel die Gesundheit der Pflegenden beeinflussen kann790.
Häufig ist sie als allgemeines, unidirektionales Konstrukt angesehen und
gemessen worden. Eher selten wurde bedacht, dass Unterstützung gleichzeitig
Quelle von Hilfe als auch von möglichem Stress sein kann791.
Drei Dimensionen der sozialen Unterstützung werden in der Literatur regelmäßig
unterschieden792:
(a) Die strukturelle Dimension erfasst Anzahl, Dichte, Komposition und
Erreichbarkeit der persönlichen Verbindungen, also das soziale Netz einer
Person.
(b) Die funktionale Dimension unterscheidet Typen von Unterstützung, die
erhalten wird oder erreichbar ist, beispielsweise emotionale, informationelle oder
instrumentelle Unterstützung.
(c) Die Natur der Unterstützung reflektiert die Zufriedenheit mit der erhaltenen
Unterstützung, mögliche Konflikte bei der Unterstützung und die Richtung und
das Ausmaß von Reziprozität zwischen Netzwerkmitgliedern.
Miller & Guo793 betrachten das Zusammenwirken dieser Dimensionen in
folgendem Modell: Bestimmte Typen von Problemen verlangen bestimmte
Funktionen von Unterstützung. Die Beschaffenheit des sozialen Netzes einer
Person ist entscheidend dafür, ob die jeweils gesuchte Unterstützung verfügbar
ist. Die stressreduzierende Wirkung von sozialer Unterstützung wird also durch
die Beziehung von Netzwerkstruktur und Unterstützungsfunktion wesentlich
reguliert. Mit anderen Worten, die Wirkung entsteht durch die Formen des
Supports, ihre Quellen und ihre Eignung für die Lösung der Probleme, mit denen
eine Person konfrontiert ist794. Für andere Autoren ist die subjektive Bewertung
des Hilfeempfängers, seine Zufriedenheit mit der Hilfe, der entscheidende Faktor
dafür, ob Unterstützung stressreduzierend wirkt795.
790
vgl. Fiore, Becker & Coppel 1983, dort ein kleiner Überblick, 423
791
vgl. Fiore, Becker & Coppel 1983; MaloneBeach & Zarit 1995
792
vgl. Vrabec 1997, siehe dort Überblick über Literatur zur sozialen Unterstützung 1980-1995
793
vgl. Miller & Guo 2000
794
vgl. Übersicht bei Miller & Guo 2000, S164
795
vgl. Sarason et al. 1991 ; zit. nach Monahan & Hooker 1995, 306; und Übersicht bei Vrabec 1997
161
(a) Die strukturelle Dimension
Die Größe und Zusammensetzung der sozialen Netze von Ehegatten dementer
Menschen ist nur selten Thema von Untersuchungen gewesen. Allgemeines zu
sozialen Netzwerken älterer Menschen ist im Kapitel 4.2.2 zu finden. Eine
empirische Studie untersuchte die Netzwerkgröße und die Kontaktfrequenz von
Ehegatten dementer Patienten796. Die Netzwerke enthielten signifikant mehr
Mitglieder aus dem Familien- und Freundeskreis als formelle Netzwerkmitglieder.
Die mittlere Größe des Familien- und Freundesnetzwerkes lag bei 7-8 Personen,
zu denen Kontakt innerhalb des letzten Monats vor der Befragung bestanden
hatte. Die Kontaktfrequenz lag bei einmal bis mehrmals wöchentlich. In einer
anderen Studie wurde das Ausmaß sozialer Unterstützung in Bezug auf die
Belastung der Pflegenden untersucht797. Die Ehegatten bewerteten auf einer
Drei-Punkt-Skala, ob sie mehr als genug, genug oder nicht genug soziale
Unterstützung erhielten. Ergebnis: Die Belastungen der mittleren Gruppe waren
am geringsten. Diejenigen, die die empfangene Hilfe entweder als mehr als
genug oder als zu wenig empfanden, erlebten gleich hohe subjektive
Belastungen. In einer Langzeitstudie wurde ein Zusammenhang von einerseits
geringer sozialer Unterstützung in Kombination mit Problemverhalten des
Demenzpatienten und auf der anderen Seite einer Verschlechterung der
Immunfunktionen
nachgewiesen
bei
den
pflegenden
Ehegatten
im
Verlauf
der
Zeit
798
. Insgesamt weisen empirische Befunde auf entlastende
Wirkungen eher bei Formen informeller Unterstützung hin799.
(b) Die funktionale Dimension
Die funktionale Dimension der sozialen Unterstützung bildet sich in den
folgenden fünf Kompenenten ab, die in der Literatur immer wieder genannt
werden800:
•
Kognitive Beratung (cognitive guidance) antwortet auf den Bedarf an
Information, Orientierung und Rat .
•
Emotionale Unterstützung (emotional support) lässt den Empfänger spüren,
dass man sich um ihn sorgt, ihn versteht und bestätigt, sich mit ihm
796
vgl. Carlson & Robertson 1994
797
vgl. Scott, Roberto & Hutton 1986
798
vgl. Kiecolt-Glaser et al. 1991
799
vgl. Übersicht bei Vrabec 1997
800
vgl. Fiore, Becker & Coppel 1983
162
solidarisiert und ihm soweit helfen wird, wie man kann. Diese Form wird
häufig als der Eckpfeiler sozialer Unterstützung betrachtet801.
•
Soziale Einbindung (socializing) bedeutet mit anderen zusammen sein zu
können in nicht-problemorientierten Interaktionen, die potenziell erfreulich
sind.
•
Instrumentelle Unterstützung (tangible assistence) bezeichnet greifbare
Hilfeleistungen aus dem sozialen Netzwerk.
•
Verfügbarkeit einer Vertrauensperson (availability of someone to selfdisclose or to confide in), der man die eigenen Gefühle, Gedanken, Sorgen
und Hoffnungen offenbaren kann.
Eine theoretische Verbindung zwischen struktureller und funktionaler Dimension
stellt das aufgabenspezifische Modell von Litwak802 her. Danach geben
unterschiedlich positionierte Netzwerkmitglieder unterschiedliche Typen von
Unterstützung. Ehegatten und Haushaltsangehörige werden für besonders
geeignet angesehen, die alltäglichen Aufgaben in der häuslichen Pflege zu
übernehmen. Die weitere Verwandtschaft steht üblicherweise für kurzfristiges
Einspringen und für emotionale Unterstützung zur Verfügung, Freunde als
Vertraute und für peer-bezogenen Rat. Formale Dienste übernehmen mit ihrem
höheren Grad an technischem Wissen und Arbeitsteilung spezielle Aufgaben, die
von den pflegenden Angehörigen aus welchen Gründen auch immer nicht mehr
geleistet werden können. Ähnliche Ergebnisse hatten Carlson & Robertson803 für
Ehegatten Demenzkranker: Von Familie und Freunden erhielten sie in
absteigender
Reihenfolge
soziale
Einbindung,
emotionale
Unterstützung,
instrumentelle Hilfe und kognitive Beratung. Die Familie war hauptzuständig für
emotionale Unterstützung. Formelle Netzwerkmitglieder erbrachten vor allem
instrumentelle Hilfe und emotionale Unterstützung. Interessanterweise erhielten
die Pflegenden auch Unterstützung von ihren dementen Partnern, und zwar
instrumentelle Hilfe. Wenn auch diese „Hilfe“ für manche Mehrarbeit bedeutete,
so
wurde
sie
doch
von
anderen
Befragten
mit
großer
Befriedigung
wahrgenommen und als wertvoller Aspekt für das Zusammenleben des Paares
betrachtet.
801
vgl. Übersicht bei MaloneBeach & Zarit 1995
802
vgl. Litwak 1985; zit. nach Miller & Guo 2000, S165
803
vgl. Carlson & Robertson 1994
163
Empirische Befunde zu den Wirkungen unterschiedlicher Funktionen der sozialen
Unterstützung
sind
komplex.
Einige
Arbeiten
stellen
fest,
die
soziale
Unterstützung sei für das Belastungsniveau der Angehörigen ein wesentlicherer
Faktor als der objektive Krankheitszustand des Patienten804. Allgemein werden
entlastende Effekte in mehreren Untersuchungen nachgewiesen805. Soziale
Unterstützung kann vor Depression schützen806 und mit einem geringeren
Gebrauch von psychotropen Medikamenten korrelieren807. Auch Einflüsse auf die
körperliche Gesundheit sind gefunden worden. Geringere soziale Unterstützung
war mit einem schlechteren Immunstatus bei pflegenden Ehegatten assoziiert808.
Emotionale und instrumentelle Unterstützung sind in zahlreichen Studien als
entlastende Variablen bestätigt worden809. Soziale Aktivitäten mit anderen (im
Sinne von socializing) halfen Ehefrauen weniger als Töchtern. Die Autoren
erklären dies damit, dass Ehefrauen möglicherweise Freizeitaktivitäten in der
Vergangenheit gemeinsam mit ihrem Mann unternommen haben und deshalb in
Rollenkonflikte geraten, wenn sie ohne ihn etwas unternehmen810. Emotionale
Unterstützung erwies sich dagegen besonders für Ehefrauen als hilfreich, um
Problemverhalten des erkrankten Mannes zu bewältigen811. Für konkrete
Hilfeleistungen bei der Pflege fand diese Untersuchung keine Effekte bezüglich
Depression812.
(c) Die Natur der Unterstützung
Diese Dimension wurde häufig über die Zufriedenheit gemessen mit dem
Hauptergebnis, dass für die stressreduzierende Eigenschaft der sozialen
Unterstützung
weniger
Ausmaß
und
Art
813
Wahrnehmung von deren Angemessenheit
als
vielmehr
und Verfügbarkeit
die
814
individuelle
entscheidend
ist.
804
vgl. Clipp & George 1990; Schulz & Williamson 1991. Diese Studien haben allerdings nicht mit homogenen
Ehegattensamples gearbeitet.
805
vgl. George & Gwyther 1986; Zarit, Reever & Bach-Peterson 1980. Diese Studien haben allerdings nicht mit
homogenen Ehegattensamples gearbeitet.
806
vgl Schulz & Williamson 1991
807
vgl. Clipp & George 1990; Studie an einem gemischten Sample aus Ehegatten und Kindern
808
vgl. Kielcolt-Glaser et al. 1991
809
vgl. Übersicht bei Vrabec 1997, allerdings alle Studien an gemischten Samples
810
vgl. Li, Seltzer & Greenberg 1997
811
vgl. Li, Seltzer & Greenberg 1997
812
vgl. Li, Seltzer & Greenberg 1997
813
vgl. Sarason et al. 1991; zit. nach Monahan & Hooker 1995, 306
814
vgl. Übersicht bei Vrabec 1997 und Übersicht bei Wilz 2002
164
Nicht befriedigte Unterstützungserwartungen und negativ empfundene Hilfen sind
offenbar nicht stressneutral, sondern werden selbst als stressvolle Ereignisse
oder als Form von chronischem Stress angesehen, welche die durch die
Pflegesituation bereits bestehenden Belastungen weiter erhöhen können815.
Mehrere Studien berichten zwar ein insgesamt höheres Ausmaß an positiver
Unterstützung als an Konflikten, aber die Konflikte hatten eine stärkere
Auswirkung auf das Wohlbefinden der pflegenden Angehörigen816. Carlson &
Robertson817 nennen mögliche Ursachen für Konflikte rund um soziale
Unterstützung: Es kann sich um unaufgeforderte Hilfeleistungen handeln. Die Art
und Weise, wie die Hilfe umgesetzt wird, kann mit der Praxis des pflegenden
Ehegatten kollidieren. Im Laufe der Zeit können Familienmitglieder beginnen,
über ihre Beziehung zueinander zu kommunizieren, was zu Belastungen führen
kann. Helfer können auf instrumentelle Aspekte ihrer Unterstützung fokussieren
und expressive Anteile außer Acht lassen, mit der Folge, dass das
Selbstbewusstsein des Hilfeempfängers Schaden nimmt818. Der letztgenannte
Aspekt wird von anderen Studien bestätigt, die negative Auswirkungen für
überfürsorgliche Unterstützung festgestellt haben819.
Ärger über soziale Unterstützung hat sich in einer Studie an Ehegatten
Demenzkranker als starker Prädiktor für Depression herausgestellt820. Besonders
emotionale und informationelle Konflikte korrelierten mit Depression821. Zu fragen
ist allerdings, was zuerst da war: eine depressive Stimmung, die Menschen dazu
bringt, gewöhnliche soziale Interaktionen als konflikthaft wahrzunehmen822 oder
eine unbefriedigende soziale Interaktion, die zu depressiver Reaktion führt?
Über die Reziprozität bei der sozialen Unterstützung und ihre Auswirkungen auf
das
Belastungserleben
pflegender
Angehöriger
sind
die
vorliegenden
Forschungsergebnisse noch nicht aussagekräftig, urteilt Vrabec in ihrem
Literaturüberblick823.
815
vgl. Übersicht bei Vrabec 1997
816
vgl. Übersicht bei MaloneBeach & Zarit 1995
817
vgl. Carlson & Robertson 1993
818
vgl. Barrera 1986, zit. nach Carlson & Robertson 1993
819
vgl. Übersicht bei Wilz 2002, 27
820
vgl. Fiore, Becker & Coppel 1983
821
vgl. MaloneBeach & Zarit 1995. Die Studie arbeitete nicht mit einem reinen Ehegattensample, sondern mit
pflegenden Frauen von Demenzkranken, darunter auch Ehefrauen.
822
vgl. Beck 1967; zit. nach MaloneBeach & Zarit 1995
823
vgl. Vrabec 1997
165
Für die Beratung von pflegenden Angehörigen bedeutsam sind informationelle
Konflikte, deren Rolle in zwei Studien herausgestellt wird. In der Untersuchung
von Fiore, Becker & Coppel824 waren unbefriedigte Erwartungen im Bereich der
kognitiven Beratung (cognitive guidance) besonders stark mit Depression
verknüpft. Die Autoren erklären diesen Befund damit, dass Angehörige
Demenzkranker
viel
Wissen
über
die
Krankheit
benötigen
und
bei
unzureichender Beratung in diesem Bereich depressiv reagieren. Andererseits
spekulieren sie auch, dass problemorientierte Coping-Strategien, wie die Suche
nach kognitiver Beratung, nicht effektiv sind in Situationen, die per se nicht
auflösbar sind, was auf die Demenz zutrifft. Das Festhalten an dieser Art des
Copings führe dann möglicherweise zu Enttäuschungen und depressiven
Reaktionen. Bei MaloneBeach & Zarit825 waren sogenannte informationelle
Konflikte am stärksten mit Depression verbunden, und außerdem gab es eine
starke Korrelation zwischen emotionalem und informationellem Support.
Informationelle Konflikte entstehen, wenn Pflegende sich von einem Ratgeber zu
einer Veränderung ihrer Vorgehensweise gedrängt fühlen oder die gegebenen
Informationen ungeeignet sind. Die Autoren interpretieren ihre Ergebnisse so,
dass Informationen, die bei den Pflegenden den Eindruck entstehen lassen, man
wolle ihre aktuellen Bewältigungsbemühungen entwerten, konflikthaft und
depressiv verarbeitet werden, während Informationen dann hilfreich sind, wenn
der Ratgebende erkennbar unterstützende, wohlwollende und fürsorgliche
Intentionen zeigt.
Ein letzter Aspekt zur subjektiven Bewertung von sozialer Unterstützung: Krause,
Liang & Keith826 untersuchten die Interaktionen zwischen drei Dimensionen,
nämlich
sozialem
Kontakt,
erhaltener
Unterstützung
und
antizipierter
Unterstützung. Kontakt mit Familienmitgliedern (nicht mit Freunden) war mit
erhöhter
erhaltener
emotionaler
Unterstützung
assoziiert,
und
erhaltene
Unterstützung erhöhte im Gegenzug die Erwartung, auch in Zukunft auf
Unterstützung zählen zu können. Das Vertrauen darauf, bei Bedarf Hilfe zu
bekommen, hat sich als potenterer Stressreduzierer erwiesen als tatsächlich
empfangene Hilfeleistung827.
824
vgl. Fiore, Becker & Coppel 1983 und MaloneBeach & Zarit 1995
825
vgl. MaloneBeach & Zarit 1995
826
vgl. Krause, Liang & Keith 1990, zit. nach Monahan & Hooker 1997, 279
827
vgl. Wethington & Kessler 1986, zit. nach Monahan & Hooker 1997, 280
166
4.3.4.3
Inanspruchnahme formeller Dienste des Gesundheits- und
Sozialsystems
Eine Typologie828 entlastender Angebote für häuslich pflegende Angehörige
unterscheidet Gesprächskreise und Selbsthilfegruppen, Beratung (individuell
oder für Familien), psychoedukative Gruppenangebote (zum Erwerb spezieller
Fertig- und Fähigkeiten), entlastende Hilfen (z.B. ambulante Pflegedienste,
Tagespflege, Kurzzeitpflege) und übergreifende Multi-Komponent-Interventionen,
die verschiedene der vorher genannten Komponenten zu einem Programm
zusammenführen.
In der Literatur finden sich an vielen Stellen Hinweise darauf, dass gerade
pflegende Ehegatten derartige Angebote selten nutzen829, wobei besonders
Angehörige Demenzkranker830 und speziell Ehefrauen831 zurückhaltend zu sein
scheinen. Warum ist das so? Allgemeine Barrieren, Dienste in Anspruch zu
nehmen, können (1) struktureller Natur sein (Bekanntheit, Erreichbarkeit,
Flexibilität, Qualität und Finanzierbarkeit von Angeboten); (2) in der Person des
Pflegebedürftigen liegen (z.B. Aggressivität, Gefahr der Verschlechterung bei
Umgebungswechsel) und (3) innere, d.h. kognitive oder emotionale Schwellen
des pflegenden Angehörigen sein (internalisierte Normen und Einstellungen,
Überzeugung der eigenen Unersetzlichkeit, Leugnen der Beeinträchtigungen des
Kranken, Angst vor Kontrollverlust oder soziale Ängste, z.B. Scham sich vor
anderen zu offenbaren) 832.
Diese Barrieren gelten allgemein für pflegende Angehörige. Aber was trägt
speziell dazu bei, dass Ehegatten Hilfen gegenüber wenig aufgeschlossen zu
sein scheinen? Steiner-Hummel833 sieht einen Teil der Verantwortung bei den
professionell Tätigen. Sie vermutet, die professionell tätigen Helfer neigten dazu,
alte Ehen sich selbst zu überlassen, entweder weil sie das abendländische Bild
der Ehe im Kopf hätten, welches die Ehe als tragfähige, geschlossene Einheit
sehe, die besondere Leistungen ermögliche und besondere Belastungen
verkrafte. Oder weil sie sich von einem negativen Stereotyp der Altersehe leiten
828
vgl. Bourgeois, Schulz & Burgio 1996
829
vgl. z.B. Übersicht bei Murray & Livingstone 1998, 668; Murray et al. 1999, 663; O’Connor 1999, 212
830
vgl. Übersicht bei O’Connor 1999, 212
831
vgl. Übersicht bei Perry & O’Connor 2002, 61
832
vgl. Holz 1998
833
vgl. Steiner-Hummel 1987
167
ließen,
das
Erstarrung,
leere
Routine
und
Fehlen
bedeutungsvoller
Kommunikation suggeriere – und damit wenig fruchtbaren Boden für erfolgreiche
professionelle Interventionen ahnen lasse. Die Autorin argumentiert, an dem
Abstand hätten beide Seiten teil: das Paar, das wesentliche Informationen über
die Beziehung, die Belastungen im Zusammenleben, über Gesundheits- und
soziale Veränderungen nicht genügend nach außen transparent mache und die
Umgebung dadurch, dass sie vor eingefahrenen Beziehungsmustern des Paares
kapituliere.
O’Connor834 führt aus, die Literatur habe bisher die Inanspruchnahme bzw. NichtInanspruchnahme formeller Dienste nicht adäquat erklären können. Entgegen
allgemeiner Auffassung ließ sich empirisch nicht belegen, dass Kenntnis von und
Zugang zu Diensten ein aussagekräftiger Prädiktor ist835. Sie sieht einen
entscheidenden Mangel darin, dass der Begriff des Bedarfs an formeller
Unterstützung nicht ausreichend geklärt sei. Was ist objektiver, was ist subjektiv
eingeschätzter
Bedarf?
Wessen
Bedarf
wird
berücksichtigt,
der
des
Pflegebedürftigen oder der des Angehörigen? Sie plädiert dafür, die subjektive
Bedeutung zu untersuchen, die Angehörige formellen Unterstützungsdiensten
zuschreiben, um von hier aus den individuellen Bedarf zu bestimmen. In drei
Fallstudien pflegender Ehegatten von Demenzpatienten stieß sie darauf, dass
die Nutzung von Diensten für jeden dieser Ehegatten eine andere subjektive
Bedeutung
hatte,
die
nur
vor
dem
Hintergrund
der
individuellen
Lebensgeschichte verständlich wurde. Für den einen bedeutete die Nutzung
eines Dienstes, einen Kontrollverlust zugeben, die eigene Inkompetenz zur
Bewältigung der Situation eingestehen zu müssen, Gefühle, die für diesen Mann
vor dem Hintergrund seiner Lebenserfahrungen intolerabel waren. Ein anderer
fürchtete das Eindringen Fremder in seine Privatsphäre, und für eine pflegende
Ehefrau stellten Profis eine Bedrohung ihrer Ehefrauenrolle dar.
In
einer
zweiten
Studie
sah
O’Connor836
Verbindungen
zwischen
der
Inanspruchnahme von Diensten und der Art und Weise, wie die Ehegatten ihre
Pflege für den dementen Partner in dem Feld „Privatangelegenheit versus
gesellschaftliche Angelegenheit“ einordneten. Diejenigen, die die Pflege stark als
logische Ausdehnung der ehelichen Beziehung, also als Privatangelegenheit
einstuften, sahen in der Intimität der Ehe gewissermaßen auch die „Lizenz“ zur
834
vgl. O’Connor 1995
835
vgl. Übersicht bei O’Connor 1995, 297
836
vgl. O’Connor 1999
168
Pflege. Die Frage nach notwendigen Qualifikationen für die Betreuung eines
Demenzkranken war „notably absent“837 in den Narrativen dieser Ehegatten. Im
Gegenteil, sie bezogen sich auf die Intimität der Ehe als Garanten für ihre
Qualifikation zur Pflege im Sinne einer „sort of mental telepathy“838. Der Ehegatte
ist in dieser Sicht nicht nur der logischste, sondern auch der qualifizierteste
Pfleger, professionellen Diensten per se überlegen. Anders sahen dies
diejenigen Ehegatten, die ihre Pflege mehr als Beitrag zu einer allgemeinen
gesellschaftlichen Aufgabe ansahen. Sie betrachteten sich verstärkt als
„Pflegende“, weniger als Ehegatten, betonten die herkulischen Anstrengungen,
die sie unternahmen, und betrachteten die Inanspruchnahme von professioneller
Unterstützung als ein Recht.
Die zweite Dimension, die O’Connor in Bezug auf die Nutzung von Diensten
untersuchte, war die Einordnung der eigenen Kompetenz entweder als
„Beziehungsselbst“ oder als autonomes Selbst. Vor allem die Ehefrauen maßen
die eigene Pflegekompetenz daran, inwieweit es ihnen gelang, die Beziehung zu
ihrem dementen Mann aufrecht zu erhalten. Diese Frauen schätzten den Nutzen
formeller Unterstützungsdienste danach ein, inwiefern sie das Ziel „Erhalten der
Identität des Kranken und der Paarbeziehung“ stören oder stützen könnten. Viele
betrachteten
die
Dienste
eher
als
potenzielle
Bedrohungen
des
Selbstwertgefühls ihres dementen Mannes und hielten sie nur unter zwei
Bedingungen für akzeptabel: erstens als das kleinere Übel und zweitens bei
Einverständnis bzw. Kooperation des Mannes. Das autonome Selbst tauchte vor
allem in den Narrativen der Ehemänner auf. In ihren Berichten legitimierten sie
einerseits eigene Bedürfnisse neben der Pflege, und sie machten deutlich, dass
sie der Pflege Grenzen setzten. Bezogen auf die Inanspruchnahme formeller
Dienste gab es bei ihnen unterschiedliche Einschätzungen. Die einen sahen
professionelle Unterstützung als legitime Entlastung an, die anderen empfanden
eine Bedrohung ihrer Autonomiegefühle.
Eine zusammenfassende Interpretation der Autorin: Die Nutzung von Diensten
muss im Zusammenhang der individuellen Bewertungen der Betroffenen
betrachtet werden, d.h. im Zusammenhang der oben dargestellten „story-lines“
oder Diskurse der Angehörigen (= „set of beliefs, values and assumptions that is
socially shared and often unconsciously reflected in language“839). Der Bedarf
muss
von
dort
aus
neu
definiert
werden,
je
nachdem
welchen
Bedeutungshintergrund die Pflege für den Angehörigen hat. Zusätzlich komplex
837
O’Connor 1999, 219
838
O’Connor 1999, 219
839
Ristock & Pennell 1996, zit. nach O’Connor 1999, 216
169
wird es dadurch, dass die hier beschriebenen „story-lines“ in wechselnden
Mischungen auftreten und nicht alle Diskurse jeweils dasselbe Gewicht haben.
Im Kontext der zögerlichen Inanspruchnahme formeller Dienste sei auch
nochmals an die Studie von Navon und Weinblatt840 erinnert, die detailliert im
Kapitel 3.1.3.2 beschrieben worden ist. Mit deren Ergebnissen lässt sich die
Abgeschiedenheit der Paare als Versuch auffassen, das Bewusstsein des
drohenden
Todes
des
Pflegebedürftigen
mit
einem
speziellen
Beziehungsarrangement abzuwehren, das allerdings nur so lange wirken kann,
wie es keine Zeugen hat.
Ein letzter Punkt zur Inanspruchnahme formeller Dienste betrifft die Annahme,
diese Angebote seien per se entlastend und hilfreich. Dies muss aber nicht so
sein. Geringe Inanspruchnahme kann auch darin begründet sein, dass die
Angebote
im
Einzelfall
eher
be-
statt
entlasten.
Steffen
&
Berger841
beispielsweise stellten fest, Ärger, den pflegende Angehörige erlebten, war zwar
am häufigsten durch Verhaltensweisen der Dementen verursacht, doch die
stärksten
Ärgerreaktionen
wurden
durch
Verhaltensweisen
anderer
Familienmitglieder und – das ist in diesem Kapitel interessant – durch
professionelle Dienste provoziert. Manche Studien fanden sogar direkte
Zusammenhänge zwischen der Inanspruchnahme formeller Dienste und
Belastung oder Depression842, wobei hier bedacht werden muss, dass bei den
üblichen
Querschnittstudien
keine
Kausalbeziehungen
erkennbar
sind.
Möglicherweise nutzen pflegende Angehörige erst dann formellen Service, wenn
sie bereits schwer belastet sind, eigene Bewältigungsbemühungen versagt
haben und sie eine Schwelle zu unumkehrbaren Schäden bereits überschritten
haben. Andererseits kann aber auch die Art und Weise, wie Dienstleistungen
erbracht werden, selbst zur Belastung werden. Die Zielsetzungen, Logiken und
Sprachen von Angehörigen auf der einen Seite und von professionellen
Helfersystemen auf der anderen Seite unterscheiden sich erheblich voneinander.
Damit sie zu sinnvollen Kooperationsformen zusammengeführt werden können,
bedarf es größerer kommunikativer Anstrengungen. Hier liegt im Augenblick
sicherlich noch vieles im Argen, zumal dann, wenn professionelle Standards der
Pflege aus einer Expertenhaltung heraus in der häuslichen Pflege durchgesetzt
840
841
842
vgl. Navon & Weinblatt 1996
vgl. Steffen & Berger 2000. Sie untersuchten ein gemischtes Sample aus Ehegatten und anderen
Familienangehörigen von Demenzpatienten.
vgl. Übersicht bei Vrabec 1997
170
werden sollen, oder wenn Profis hierarchisierend, diffus und/oder willkürlich
wechselnd die Angehörigen als Co-Pflegekräfte, als Co-Klienten oder einfach als
„Ressourcen“ vereinnahmen843.
4.3.5
Bewältigungsreaktion
Eine einfache kausale Beziehung zwischen der Demenzsymptomatik und der
Belastung der Angehörigen ist in den Grundannahmen der Stresstheorie nicht
denkbar und hat sich mit den empirischen Forschungsbefunden auch nicht
nachweisen lassen844. Die Variabilität des Belastungserlebens der Angehörigen
wird vielmehr durch mediierende und moderierende Variablen erklärt, welche die
Beziehung zwischen Stressor und Stressfolgen beeinflussen. Dies sind unter
anderem die Art und Weise, wie das Individuum das potenziell stressvolle
Ereignis einstuft (Bewertung) und die Art und Weise, wie es das Ereignis zu
bewältigen versucht (Coping; vgl. Kapitel 4.1.2.1).
Während
anderen Korrelaten und den Konsequenzen des Stresses bei der
häuslichen
Pflege
dementer
Menschen
viel
Forschungsaufmerksamkeit
gewidmet worden ist, gibt es relativ wenige Studien, die speziell die CopingMuster der pflegenden Angehörigen und deren Effekte untersucht haben845.
Dabei belegen einige empirische Untersuchungen in Übereinstimmung mit den
Grundannahmen der Stresstheorie die Bedeutung des Copings. Das CopingVerhalten
der
Angehörigen
Stressauswirkungen
als
erwies
der
sich
objektive
als
wesentlicher
für
Krankheitszustand
die
der
Demenzpatienten846.
4.3.5.1
Effekte unterschiedlicher Coping-Strategien
Ein Hauptinteresse der Forschung galt der Frage nach den Effekten
unterschiedlicher Coping-Strategien. Dabei wurde häufiger ein Zusammenhang
zwischen emotions-fokussiertem Coping und negativen psychischen Zuständen
(u.a. Depression, Angst, negatives Wohlbefinden) der pflegenden Angehörigen
843
vgl. Zeman 1997
844
Vitaliano, Young & Russo 1991; vgl. Kapitel 4.2
845
vgl. Rose et al. 1997, 92
846
Übersicht bei Hooker et al. 1992, 367
171
gefunden ebenso wie eine Verbindung von Neurotizismus und emotionsfokussiertem Coping, während eine Verbindung zwischen problem-fokussiertem
Coping und positiven Folgen nicht so klar zu sein scheint847.
Mit einer Studie an Ehegatten Demenzkranker konnten Pruchno & Resch848 die
Erkenntnisse zum emotions-fokussierten Coping weiter differenzieren. Zwei
emotions-fokussierte Strategien, „wishfulness“849and „intrapsychic“850 waren mit
negativen Folgen für die seelische Gesundheit verbunden, während eine dritte
emotions-fokussierte Strategie, nämlich Akzeptanz, mit besserer seelischer
Gesundheit und positivem Affekt einherging.
Quayhagen & Quayhagen851 weisen mit ihren Ergebnissen darauf hin, dass
Coping-Strategien nicht die gleichen Effekte in unterschiedlichen Gruppen
pflegender Angehöriger haben müssen. Problemlösen und Hilfesuchen erwies
sich in ihrer Demenzstudie als geeignete Strategie für Ehegatten, nicht aber für
pflegende Töchter. Sie vermuten, dass diese Strategien unpassend sind für die
spezifischen
Bedürfnisse
der
Töchter,
z.B.
nach
Bewältigung
von
konkurrierenden Anforderungen aus der Elternpflege und der Kernfamilie.
Das Gesundheitsverhalten als Coping war Gegenstand einer Untersuchung von
Gallant & Connell852. Die Mehrheit der befragten Ehegatten gaben Essen und
Schlafen als Bewältigungsstrategien an. Allerdings wurde auch vielfach eher
schädliches Gesundheitsverhalten berichtet: Je ein Drittel berichtete, nicht
ausgewogen zu essen und weniger körperlich aktiv zu sein, und die Hälfte der
Raucher hatte den Konsum seit der Übernahme der Pflege gesteigert.
Auf der theoretischen Grundlage des Two-Process-Model of Control von
Rothbaum et al.853, das zwischen primärer und sekundärer Kontrolle854
847
vgl. Übersicht bei Rose et al 1997, 92
848
vgl. Pruchno & Resch 1989a
849
„Wishfulness“ bezeichnet hier folgende Strategien: „Wunsch, eine stärkere Person zu sein, um besser damit
fertig zu werden“, „Wunsch, die Dinge, die passiert sind, rückgängig zu machen“, „Wunsch, die Art und
Weise, wie man sich fühlt, zu verändern“.
850
„Intrapsychic“ bezeichnet hier folgende Strategien : „Phantasien, wie die Dinge weiter gehen“, „sich selbst
Dinge sagen, damit man sich besser fühlt“, „Hoffnung, dass ein Wunder geschieht“,
„Tagträume/Vorstellungen von einer besseren Zeit oder einem besseren Ort“.
851
vgl. Quayhagen & Quayhagen 1988
852
vgl. Gallant & Connell 1998
853
vgl. Rothbaum, Weisz & Snyder 1982; zit. nach Burton & Sistler 1996, 422
854
Primäre Kontrolle bedeutet, dass das Individuum Kontrolle erzielt über die Veränderung der Umgebung
(andere Menschen, Objekte, Ereignisse); sekundäre Kontrolle bedeutet, dass das Individuum Kontrolle
erlangt über die Veränderung eigener Kognitionen oder Emotionen, indem es sich an die Umwelt anpasst.
172
unterscheidet, untersuchten Burton & Sistler855 Ehegatten mit dem Ergebnis,
dass die meisten eine Kombination aus beiden Strategien bei der Betreuung
ihres dementen Gatten einsetzten. Die Autoren nennen dies integrierte Kontrolle.
Vor
allem
bei
Problemverhalten
des
Patienten
versagten
primäre
Kontrollbemühungen. Die Ehegatten gingen dann zu integrierter Kontrolle über.
Sie verzichteten darauf, das problematische Verhalten des Kranken abstellen zu
wollen, sondern
passten ihr eigenes Verhalten an die Konsequenzen an.
Beispiel: Wenn ein dementer Ehemann sich weigert, zu einer bestimmten Zeit zu
Bett zu gehen, passt die Ehefrau ihre eigenen Schlafgewohnheiten dem
Rhythmus des Mannes an.
Buffum & Brod856 schließlich beschäftigten sich mit der Rolle des Humors bei der
Bewältigung der Pflege. Die von ihnen untersuchten Ehegatten zeigten, wie
Wohlbefinden und Humor sich im Verlauf der Demenz des Partners veränderten.
Die mittlere Phase der Demenz scheint danach einerseits besonders
herausfordernd zu sein, gleichzeitig aber auch besonders „funny“, weil die
Patienten immer wieder bizarre Dinge tun. Das Wohlbefinden der Pflegenden war
in dieser Phase am geringsten, und trotz der Situationskomik vieler
Alltagssituationen war der Humor der Pflegenden weniger ausgeprägt als in
anderen Phasen der Demenz. Die Autoren erklären dies damit, dass zwar ein
gewisses Maß an Spannung Voraussetzung dafür sei, damit Humor Angst und
Stress verdrängen könne, doch zuviel Spannung behindere den Humor.
Pollmann857 registrierte die energiegebende Kraft des Humors, die Freude am
Augenblick, die Humor weckt, und die Möglichkeit, dass Pflegende durch Humor
schwierige Situationen mit einem Gefühl der Kontrolle angehen können. Die von
ihr befragten Ehegatten hielten Humor allerdings für ungeeignet in frühen
Demenzstadien.
4.3.5.2
Persönlichkeitsmerkmale und Coping
Verbindungen zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Coping-Strategien ist der
Fokus anderer Studien gewesen. Hooker, Frazier & Monahan858 benutzten das
855
vgl. Burton & Sistler 1996
856
vgl. Buffum & Brod 1998
857
vgl. Pollmann 2000
858
vgl. Hooker, Frazier & Monahan 1994
173
Fünf-Faktoren-Persönlichkeitsmodell, die „Big Five“ von McCrae & Costa859 bestehend aus Neurotizismus, Extraversion, Offenheit gegenüber neuen
Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit - für eine Untersuchung an
Ehegatten Demenzkranker. Ihre Daten bestätigten den Zusammenhang von
Neurotizismus und emotions-fokussiertem Coping und zeigten außerdem eine
Verbindung von hohen Extraversions-Werten mit weniger emotions-fokussiertem
Coping und mehr Suche nach sozialer Unterstützung. Auch Butt et al.860 fanden
signifikante Korrelationen zwischen Neurotizismus, Distress und emotionsfokussiertem Coping.
Speziell mit der Rolle des Neurotizismus bei der Stressadaption befassten sich
Rose et al.861. Sie stützten sich auf ein Adaptionsmodell von Weinberger &
Schwartz862, das Neurotizismus als eine Komponente der Anpassungsdimension
Distress betrachtet. Distress, zusammen mit einem zweiten Konstrukt, der
Selbstbeherrschung, werden von diesen Autoren als übergeordnete Dimension
der sozial-emotionalen Anpassung oder Persönlichkeit angesehen. Distress, oder
negative Emotionalität, wird definiert als „individuals’ tendencies to feel
dissatisfied with themselves and their ability to achieve desired outcomes“863.
Selbstbeherrschung ist eine Tendenz der “suppression of egoistic desires in the
interest of long-term goals and relations with others”864. Die Ergebnisse der
Studie von Rose et al.: Ehegatten mit hohem Distress nutzten eher
Wunschdenken als Coping-Strategie, Probanden mit niedrigem Distress eher
Akzeptanz und instrumentelles Coping. Selbstbeherrschung korrelierte nicht
signifikant mit einer Coping-Strategie.
Gallant & Connell865 fanden bei Ehegatten Demenzkranker eine starke inverse
Beziehung zwischen Selbstwirksamkeit (self-efficacy) und subjektiver Belastung.
Sie interpretieren dieses Ergebnis im Kontext eines ähnlichen Befundes von
Intrieri & Rapp866, die ebenfalls bei pflegenden Ehegatten festgestellt hatten,
dass die Fähigkeit, bewusste Selbstkontrollstrategien zu nutzen, um die
emotionalen, kognitiven und Verhaltenskonsequenzen einer Stresssituation zu
859
vgl. Costa & McCrae 1989; zit. nach Hooker, Frazier & Monahan 1994, 388
860
vgl. Butt et al. 2002
861
vgl. Rose et al. 1997
862
vgl. Weinberger & Schwartz 1990; zit. nach Rose et al. 1997, 92f.
863
Weinberger & Schwartz 1990, 382; zit. nach Rose et al. 1997, 93
864
Weinberger & Schwartz 1990, 382; zit. nach Rose et al. 1997, 93
865
vgl. Gallant & Connell 1998
866
vgl. Intrieri & Rapp 1994; zit. nach Gallant & Connell 1998, 289
174
bewältigen (self-control skillfulness) mit geringerer subjektiver Belastung
einherging. Da die Konstrukte „self-efficacy“ und „self-control skillfulness“
demselben theoretischen Hintergrund, der Social Cognitive Theory von
Bandura867, entstammen, argumentieren sie, dass ihr Befund dasselbe
Phänomen reflektiert wie der Befund von Intrieri & Rapp: Pflegende mit
derartigen Fähigkeiten seien eher in der Lage, stressvolle Situationen zu
meistern, weil sie fähig seien, bestehende Coping-Strategien zu modifizieren und
sich neue Strategien anzueignen. Mit solchen bewussten, selbstregulierenden
Verhaltensweisen könnten sie mit neuartigen Aufgaben fertig werden, die
Anforderungen
der
Umgebung
modifizieren
und
ihre
emotionalen
und
Verhaltensreaktionen auf Stressoren regulieren.
Majerovitz868
beschäftigte
sich
mit
der
Adaptabilität
von
Ehegatten
Demenzkranker als Moderatorvariable im Stressprozess. Theoretisch bezieht sie
sich auf das ABCX-Stressmodell von Hill869 und auf familiensystemische Theorie,
speziell auf das Konstrukt der Familienadaptabilität von Olson870. Adabtabilität ist
dort definiert als „the ability of a marital or family system to change its power
structure, role relationships, and relationships rules in response to situational and
developmental needs“871. Das heißt mit anderen Worten, anpassungsfähigere
Paare sind in der Lage, ihre täglichen Routinen und Methoden der
Problemlösung entsprechend neuer Anforderungen zu verändern. Es gibt in der
Familiensystemtheorie
Uneinigkeit
darüber,
wie
die
Anpassungsfähigkeit
konzeptualisiert werden soll. Es gibt zwei Modelle:
•
Das Circumplex-Model of Familiy Adjustment872 sieht eine gekrümmte
Beziehung zwischen Anpassungsfähigkeit und Funktionsfähigkeit der
Familien. Familien und Paare mit Anpassungsfähigkeit auf einem der
beiden extremen Pole – solche, die ohne irgendeinen Typ von Struktur
existieren, oder solche, die extrem strukturiert sind und rigide am
Bestehenden festhalten – erleben Schwierigkeiten und Konflikte, wenn sie
auf neue Anforderungen treffen und sich an Neues anpassen müssen.
Familien mit einer mittleren Anpassungsfähigkeit erleben besseres „family
adjustment“ und mehr Wohlbefinden. Solche moderaten Familien zeichnen
sich durch einen breiten Bereich von Coping-Mustern aus. Es sind u.a.
867
vgl. Bandura 1986; zit. nach Gallant & Connell 1998, 289
868
vgl. Majerovitz 1994, 1995
869
vgl. Hill 1949; zit. nach Majerovitz 1995, 447
870
vgl. Olson 1991a, 1991b; zit. nach Majerovitz 1995, 448
871
Olson 1991b, 787; zit. nach Majerovitz 1995, 448
872
vgl. Olson 1991a, 1991b; zit. nach Majerovitz 1995, 448
175
Paare und Familien, die ein strukturierter, konsistenter Umgang mit
Familienrollen und Aufgabenverteilung kennzeichnet, aber auch flexibere
Familien, die geteilte Entscheidungen und wechselnde Verantwortlichkeiten
entsprechend situativen Anforderungen praktizieren.
•
Das
Beavers-Modell873
vermutet
eine
lineare
Beziehung
zwischen
Anpassungsfähigkeit und Funktionsfähigkeit in Familien und Paaren:
Stärkere Adaptabilität ist hier immer verbunden mit mehr Wohlbefinden und
besserer Funktionsfähigkeit.
Beide Modelle beinhalten auch das Konstrukt der „closeness“ (bei Olson
Kohäsion genannt) als zweiten wichtigen Faktor im „family adjustment“.
Majerovitz874 untersuchte vor diesem theoretischen Hintergrund pflegende
Ehegatten von Demenzpatienten. Sie fand, dass bei Pflegenden mit geringer
Anpassungsfähigkeit das zeitliche Ausmaß der Pflege mit Depression assoziiert
war, bei Pflegenden mit höherer Anpassungsfähigkeit nicht. Mit einer
Clusteranalyse identifizierte sie eine Subgruppe von pflegenden Ehegatten, die
am stärksten mit Depression belastet war. Diese Gruppe hatte folgende
Merkmale: Der Patient befindet sich im fortgeschrittenen Demenzstadium, der
pflegende Gatte weist eine geringe Anpassungsfähigkeit auf, der pflegende Gatte
hält an seiner Rollendefinition als „Ehegatte“ fest und wechselt nicht in die Rolle
als „Pflegender“.
4.3.5.3
Frühere Ehebeziehung und Coping
Einen Zusammenhang zwischen Coping und früherer Ehebeziehung stellten
Knop et al.875 her. Probanden, die ihre frühere Ehebeziehung als gut
beschrieben, nutzten mehr konfrontatives Coping. Eine schlechtere frühere
Beziehungsqualität korrelierte mit emotivem Coping, wobei emotives Coping sich
als Prädiktor für Depression erwies.
873
vgl. Beavers & Voeller 1983; zit. nach Majerovitz 1995, 448
874
vgl. Majerovitz 1994, 1995
875
vgl. Knop, Bergman-Evans & McCabe 1998
176
4.4
Belastungen der Ehegatten im Vergleich zu anderen
Gruppen
Vergleiche sind in der Literatur in verschiedene Richtungen gezogen worden:
Pflegende Ehegatten von Demenzkranken versus Pflegende von nicht dementen
Pflegebedürftigen,
pflegende
Ehegatten
versus
pflegende
Kinder
und
Demenzpaare versus gesunde Paare.
4.4.1
Pflege Demenzkranker versus Pflege nicht dementer
Pflegebedürftiger
Einige plausible Gründe sprechen dafür, dass die häusliche Betreuung eines
Demenzkranken für die Angehörigen mehr Anstrengung und Belastung mit sich
bringt als die Versorgung anderer Pflegebedürftiger. Solche Gründe sind u.a.876:
Es treten demenzspezifische Verhaltensprobleme auf wie Desorientiertheit,
ständiges Fragen, Stimmungsschwankungen, aggressive Reaktionen und andere
Persönlichkeitsveränderungen, die allgemein als hoch belastend eingeschätzt
werden und die mit einem hohen Bedarf an Beaufsichtigung und Kontrolle
verbunden sind. Die Betreuung Demenzkranker umfasst im Durchschnitt mehr
Stunden als die Pflege anderer Patienten. Das ständige Eingebundensein hat
Konsequenzen für die Erholungsmöglichkeiten der Pflegenden, für ihre soziale
Partizipation, Berufstätigkeit oder die Verwirklichung eigener Interessen. Es
gelingt den Angehörigen Dementer oft weniger, andere Familienmitglieder in die
Versorgung mit einzubinden und damit teilweise Entlastung zu erreichen.
Demente sind nur eingeschränkt in der Lage, dem Pflegenden gegenüber
Dankbarkeit für die empfangene Unterstützung zu zeigen. Wegen des
progredienten
Verlaufs
der
Krankheit
müssen
Pflegende
trotz
hoher
Anstrengungen die ständige Erosion ihrer Bemühungen hinnehmen.
Dennoch ist die Forschungslage nicht eindeutig in dieser Frage. Manche Autoren
finden mehr Distress bei den pflegenden Angehörigen dementer Menschen877 im
Vergleich zu den Angehörigen anderer Patienten, andere sehen keine
876
vgl. Übersicht bei Pinquart & Sörensen 2002, 86
877
vgl. z.B. Clipp & George 1993; zit. nach Gräßel 1998, 61; Cantor 1983
177
Unterschiede
Morbidität
879
hinsichtlich
oder
subjektiver
880
Erschöpfung
.
Belastung878
Ein
oder
wichtiges
psychiatrischer
Kriterium
scheinen
problembehaftete Verhaltensweisen des Dementen zu sein. Ehegatten von
Patienten mit derartigen Verhaltensweisen zeigten sich belasteter, während
Ehegatten
von
Demenzpatienten
ohne
Problemverhalten
ein
Belastungsniveau aufwiesen wie Ehegatten von depressiven Patienten
4.4.2
ähnliches
881
.
Pflegende Ehegatten versus pflegende Kinder
Auch die Ergebnisse hinsichtlich der Belastungen von pflegenden Ehegatten im
Vergleich zu anderen pflegenden Angehörigen sind nicht einheitlich. Einerseits
registrieren verschiedene Untersuchungen keine Unterschiede in der Belastung
von pflegenden Kindern und Ehegatten882.
Eine aktuelle Studie ermittelte
geringere Belastung bei entfernteren Verwandten, die Demenzkranke pflegten,
während im Belastungserleben von Kindern und Ehegatten keine Differenzen
festgestellt wurden883. Von anderer Seite wird immer wieder hervorgehoben,
dass Ehegatten die gefährdeteste Gruppe in der häuslichen Pflege sind. Dies
betrifft die ganze Bandbreite möglicher negativer Auswirkungen der Pflege: mehr
körperliche
und
seelische
Einschränkungen,
subjektives
Gesundheitsstörungen,
Belastungserleben
und
stärkere
auch
soziale
häufigere
Inanspruchnahme medizinischer Einrichtungen884. Ehegatten leisten mehr
Stunden an Pflege, decken eine größere Aufgabenbreite ab und delegieren
praktische Aufgaben seltener als andere Angehörige885. Sie gelten als geneigter,
persönliche Pflegeaufgaben (wie z.B. Hilfe bei der Toilette, beim Baden etc.) zu
übernehmen und tolerieren stärkere Einschränkungen des Pflegebedürftigen
über längere Zeiträume886.
Manche Publikationen berichteten Differenzen zwischen pflegenden Kindern und
Ehegatten in einzelnen Belastungsdimensionen. Bei Ehegatten fehlt meist die
878
vgl. Übersicht bei Gräßel 1998, 61; vgl. Übersicht bei Murray et al. 1997, 256
879
vgl. Murray et al. 1997
880
vgl. Teel & Press 1999
881
vgl. Leinonen et al. 2001
882
vgl. Übersichten bei Magai, Hartung & Cohen 1995, 227; oder bei George & Gwyther 1986, 258
883
vgl. Chumbler et al. 2003
884
vgl. z.B. die Übersichtsarbeit über psychiatrische und physische Gesundheitsstörungen bei pflegenden
Angehörigen Demenzkranker von Schulz et al. 1995; vgl. auch Übersichten bei O’Connor 1999, 212 oder
Murray et al. 1997, 256
885
vgl. Übersicht bei Stoller & Cutler 1992, 313; Cantor 1983; Horowitz 1985
886
vgl. Übersichten bei Stoller & Cutler 1992, 313; Horowitz 1985; für Ehemänner: Thompson 2002
178
zusätzliche Belastung durch Berufstätigkeit, die besonders für pflegende Töchter
zu einer Zerreißprobe werden kann887. Andere Autoren stießen besonders in den
Bereichen „soziale Aktivitäten“ und „körperliche Gesundheit“ auf höhere
Belastung bei den Ehegatten im Vergleich zu erwachsenen Kindern888. Soziale
Partizipation erwies sich in einer Studie als Haupteffekt für das Auftreten bzw.
Fehlen von Depressionen bei Töchtern, nicht aber bei Ehefrauen889. Die Autoren
vermuten, Ehefrauen gerieten in Rollenkonflikte, wenn sie ohne den Mann etwas
unternehmen. Ehefrauen profitierten in derselben Studie besonders von
emotionaler
Unterstützung,
wenn
der
demente
Mann
problembehaftete
Verhaltensweisen zeigte. Die Autoren erklären dies damit, dass den Ehefrauen
eine der wichtigsten Quellen emotionaler Unterstützung, nämlich der eigene
Ehemann, verloren gegangen war. Finanzielle Sorgen wurden mehr von
Ehegatten geäußert. Bei Ehefrauen fand man im Vergleich zu pflegenden
Töchtern weniger positiven Affekt890. Töchter zeigten in einer Studie im Vergleich
zu den meisten Ehegatten höhere Level an Wut und Ärger, provoziert durch
Verhaltensweisen
des
dementen
Patienten,
stärker
aber
noch
durch
Verhaltensweisen anderer Familienmitglieder oder professioneller Helfer891.
Pflegende Kinder neigten dazu, die demenzielle Symptomatik des Patienten als
schwerwiegender darzustellen, was von den Autoren dieser Studie damit erklärt
wird, dass Ehegatten akzeptierender und toleranter gegenüber den Symptomen
der Demenz seien892. Eine deutsche Untersuchung fand die Ehegatten dementer
Menschen in den Bereichen „erweiterte Betreuungsaufgaben für den Kranken“,
„basale Pflegeaufgaben“ und „Beziehungsverlust“ belasteter als Kinder, während
die Kinder mehr Belastung aufwiesen in den Konfliktfeldern von Beruf versus
Pflege und Familie versus Pflege893. Zwischen pflegenden Ehemännern und
Söhnen demenzkranker Angehöriger sah Harris894 folgende Unterschiede: Die
Auswirkungen der Demenz auf das Leben waren bei den Ehemännern
einschneidender und eindeutiger als bei den Söhnen („Es begann der erste Tag
vom Rest meines Lebens“895). Den Söhnen fiel es leichter, Grenzen in der Pflege
zu setzen, und sie waren kritischer gegenüber formellen Entlastungsdiensten.
Die Söhne erfuhren mehr Gratifikationen durch die Pflege, für die Ehemänner
887
vgl. Krach 1998
888
vgl. Barber & Pasley 1995
889
vgl. Li, Seltzer & Greenberg 1997
890
vgl. Smerglia & Deimling 1997; George & Gwyther 1986
891
vgl. Steffen & Berger 2000
892
vgl. Cox & Albisu 2003
893
vgl. Schacke & Zank 2002
894
vgl. Harris 2002
895
ein befragter Ehemann bei Harris 2002, 230
179
ging es weniger um Belohnungen als um die eheliche Verpflichtung. „It all boils
down to the two V’s, vows and values“, sagte einer der befragten Ehemänner896.
Unterschiede in der Trauerreaktion sahen Meuser & Marwit897. Während Kinder
dazu neigten, die Demenz im frühen Stadium zu verleugnen, zeigten sich die
Ehegatten realistischer und akzeptierender gegenüber der Diagnose. Der
Trauerprozess der Ehegatten verlief linear mit dem Fortschreiten der Krankheit,
während die Kinder in der mittleren Phase der Demenz, wenn ihnen die
Tragweite der Krankheit offenbar wurde, einen Höhepunkt der Trauer
berichteten. Die Trauer der Ehegatten war paar-fokussiert, nicht ich-bezogen, die
Trauer der Kinder ich-bezogener, fokussiert auf Verluste der eigenen Freiheit und
die mangelnde Unterstützung durch andere Verwandte. Bei einer Heimaufnahme
verspürten Kinder tendenziell eher Entlastung, während die Trauer der Ehegatten
dann eher in Frustration und Wut umschlug.
Mögliche Hintergründe für Unterschiede zwischen Ehegatten und Kindern
diskutiert
beispielhaft
pflegebedürftiger
alter
eine
Untersuchung
Menschen
(nicht
an
nur
Ehefrauen
und
Demenzkranker)
Töchtern
898
.
Das
Wohlbefinden der Ehefrauen brach kurz nach Eintritt in die Pflegerolle ein, und
zwar deutlicher als bei den Töchtern. Die Autorinnen sehen hierfür zwei mögliche
Gründe. Zum einen verändere sich für die Ehefrauen eine Hauptrolle im Leben,
nämlich die Ehegattenrolle, die den Töchtern erhalten bleibe. Zum anderen
spiele der Zeitpunkt der Transition eine Rolle. Die Töchter übernehmen die
Pflege meist im mittleren Erwachsenenalter, einer Lebensphase, die zwar durch
vielerlei andere Verpflichtungen gekennzeichnet sei, welche aber auch als
Ressourcen angesehen werden könnten, die ein Gegengewicht zu den
Pflegeanforderungen bilden könnten. Im Gegensatz dazu treten die Ehefrauen in
einer Lebensphase in die Pflegerolle ein, in der ihre Ressourcen zur Bewältigung
der Situation tendenziell geringer werden. In ihrer Lebensphase sei eher
Rückzug als aktives Arbeitsengagement die Norm. Auch soziale Unterstützung
durch Gleichaltrige sei weniger erreichbar, und zudem würden eigene
Gesundheitsprobleme wahrscheinlicher. Die Autorinnen argumentieren, das
Gewicht dieser Umstände führe dazu, dass der Eintritt in die Pflegerolle für die
Ehefrauen zu einem „turning point“899 in ihrem Lebenslauf werde.
896
Harris 2002, 230
897
vgl. Meuser & Marwit 2001
898
vgl. Seltzer & Li 2000
899
vgl. Übersicht bei Seltzer & Li 2000, 175
180
Unterschiede der Belastung bei den beiden Gruppen könnten aber auch als
forschungsmethodisches Bias eingestuft werden900: Die meisten Studien arbeiten
mit Probanden, die von sich aus Kontakt zum Gesundheitssystem aufgenommen
haben, d.h. die sich selbst als Pflegende definiert haben. Pflegende Kinder tun
dies möglicherweise zu einem früheren Zeitpunkt, weil die Übernahme der
Betreuung der Eltern für sie einen „major role change“ darstellt, während dies für
Ehegatten nicht der Fall ist. Ehegatten erkennen sich deshalb nicht so früh als
Pflegende, melden sich erst nach längerer Pflegezeit bei Gesundheitsdiensten
und sind dann belasteter als die Kinder.
4.4.3
Mit Demenz konfrontierte Paare versus gesunde Paare
Insgesamt gibt es in der Demenz-Ehegatten-Literatur wenige Studien, die mit
Kontrollgruppen gesunder alter Ehepaare gearbeitet haben901. In diesem
Abschnitt wird das spezifische Belastungserleben der Ehegatten dementer
Menschen im Vergleich zu gesunden Ehepaaren behandelt. Neben der
Belastung gibt es weitere Aspekte, durch die das Leben der Paare mit Demenz
sich vom Leben anderer alter Ehepaare unterscheidet. Diese Aspekte sind im
Kapitel 3 beschrieben worden.
Die einschlägigen Arbeiten weisen konsistent eine schlechtere Gesundheit bei
den pflegenden Ehegatten im Vergleich zu den Kontrollgruppen nach, zum
Beispiel Verschlechterungen der zellulären Immunität, signifikant mehr Tage mit
infektiösen Krankheiten902; häufigere Beeinträchtigung des respiratorischen
Systems und schlechteres Gesundheitsverhalten903; mehr Erschöpfung, Energieund Schlafprobleme904; signifikant mehr Einsamkeit905 und Depression906;
höheres Aufkommen von psychiatrischen Erkrankungen907; erhöhte Mortalität,
wenn Pflege mit mentaler oder emotionaler Belastung einhergeht908; schlechtere
kognitive Leistungen in den Bereichen komplexer Aufmerksamkeit und
900
901
vgl. Montgomery & Koslowski 1994
dies sind u.a. Beeson 2003; Caswell et al. 2003; Gallagher-Thompson et al. 2001; Hendryx-Beladov 1999;
Kiecolt-Glaser et al. 1991; Rose-Rego, Strauss & Smyth 1998; Russo et al. 1995; Russo & Vitaliano 1995;
Schulz & Beach 1999; Shaw et al. 1997; Stuckey 2001; Teel & Press 1999; Wright 1991, 1993
902
vgl. Kiecolt-Glaser et al. 1991
903
vgl. Fuller-Jonap & Haley 1995
904
vgl. Teel & Press 1999
905
vgl. Beeson 2003
906
vgl. Beeson 2003; Kiecolt-Glaser et al. 1991
907
vgl. Russo et al. 1995
908
vgl. Schulz & Beach 1999
181
Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit - Phänomene, die im Kontext von
Befunden eingeordnet werden, die konsistent Zusammenhänge zwischen
chronischem Stress und Gedächtnisproblemen registrieren909. Eine Arbeit fand
keine Unterschiede hinsichtlich langandauernder Erkrankungen (länger als 1
Monat) und Krankenhausaufenthalten bei den beiden Gruppen, jedoch bei den
pflegenden
Ehegatten
Erkrankungen
910
4.5
Demenzkranker
einen
Trend
zu
schwereren
.
Positives Erleben und Lebenszufriedenheit im
Zusammenhang mit der Pflege
4.5.1
Konzeptualisierungen positiver Aspekte der Pflege
Nachdem sich die Forschung lange Zeit ausführlich und einseitig mit den
negativen Effekten häuslicher Pflege befasst hatte, sind in dem letzten Jahren
verstärkt Stimmen laut geworden, die nach positiven Aspekten fragen911. George
& Gwyther912 waren eine der ersten Forschergruppen, die Vorarbeiten dafür
leisteten, den Blick in Richtung Wohlbefinden zu öffnen. Sie argumentierten
damals aus einer forschungsmethodologischen Perspektive, in Studien zur
häuslichen Pflege nicht länger auf Belastungen zu fokussieren, sondern die
Auswirkungen der Pflege mit dem übergeordneten Konstrukt des Wohlbefindens
zu untersuchen. Damit war der Weg frei, nicht nur negative, sondern auch
positive Folgen der Pflege zu betrachten. Gründe für die Hinwendung der
Forschung zu den Gewinnen der Pflege sind vielfältig. Positive Aspekte haben
Einfluss auf die Qualität der Beziehung, sie liefern bedeutende Informationen für
die Prävention negativer Konsequenzen, und sie leisten einen Beitrag zur
Theoriebildung913. Zudem nennen viele Angehörige in Befragungen erfreuliche
Seiten der Pflege und möchten darüber sprechen914 – Letzteres ist ein Umstand,
der besonders in der Praxis der Angehörigenberatung nicht übersehen werden
sollte. Es gibt in der Angehörigenforschung bisher keinen Konsens über das
909
vgl. Caswell et al 2003
910
vgl. Shaw et al. 1997
911
vgl. z.B. Farran 1997; Farran et al. 1991, 1999; Kramer 1997a; Meinders 2001
912
vgl. George & Gwyther 1986
913
vgl. Kramer 1997a
914
vgl. Kramer 1997a
182
Konzept der Pflegezufriedenheit915, was sich bereits an der Vielzahl der
Begrifflichkeiten zeigt. Unter erfreulichen Aspekten werden von verschiedenen
Autoren
entweder
Gewinne,
positive
Aspekte,
positive
Auswirkungen,
Zufriedenheit, Reziprozität, Selbstachtung, „uplifts“, „mastery“, positive Ereignisse
bis hin zu Intimität und Liebe verstanden, wobei die meisten Autoren auf eine
genaue Definition der Begriffe verzichten916.
Versuche einer Konzeptualisierung der positiven Aspekte bezogen auf die
häusliche Pflege von Demenzpatienten nahmen Farran und Kollegen917 vor, die
folgende Kategorien bildeten: Wertschätzen von familiären Beziehungen;
Wahrnehmen
der
Liebe,
die
vom
Patienten
entgegengebracht
wird;
Aufrechterhalten einer positiven Beziehung mit dem Patienten; Wertschätzen
vergangener Leistungen und Erinnerungen; Stolz über die eigene gute
Betreuung und die Wahrnehmung, dass diese Betreuung dem Patienten gut tut.
Weitere Kategorien dieser Autoren beziehen sich darauf, dass Angehörige Sinn
in der Pflege finden, die Möglichkeit erleben, altruistische Gefühle zu äußern, und
an den Erfahrungen der Pflege persönlich wachsen.
Meinders918 gibt einen Überblick über Kategorien, die gleichermaßen in mehreren
Studien, welche sich um die Konzeptualisierung positiver Aspekte bemühten,
auftauchten:
•
Positive Veränderung familiärer Beziehungen
•
Freude am Zusammensein mit dem Patienten
•
Gefühl der Liebe gegenüber dem Patienten
•
Erfüllen einer Pflicht
•
An Erfahrung wachsen, neue Dinge lernen
•
Gefühl, eine gute Pflege zu leisten.
Ein weiterer Beitrag zur Konzeptualisierung sind die sechs Dimensionen des
Wohlfühlens, die Ryff919 unterscheidet: persönliches Wachstum, Sinn im Leben,
Autonomie, Zurechtkommen in der Umgebung, positive Beziehungen zu anderen
und Selbstakzeptanz.
915
vgl. Meinders 2001
916
vgl. Übersicht bei Meinders 2001, 62
917
vgl. Farran et al. 1991
918
vgl. Übersicht bei Meinders 2001, Tab. 6 , 55
919
vgl. Ryff 1989a, 1989b; zit. nach Kramer 1997a, 218
183
4.5.2
Empirische Befunde zu positivem Erleben und
Lebenszufriedenheit
Die
Forschungslage
zu
positiven
Aspekten
in
der
häuslichen
Pflege
Demenzkranker ist weitgehend uneinheitlich. Aus den bisherigen Befunden lässt
sich nicht ableiten, wie Belastungen aus der Pflege und psychisches
Wohlbefinden der pflegenden Angehörigen miteinander in Beziehung stehen920.
Geht man die verschiedenen Einflussgrößen im Stressprozess durch, dann ergibt
sich folgendes Bild921: Es gibt keine konsistenten Belege für eine Beziehung
zwischen Erkrankungsparametern und positiven Aspekten. Entscheidender für
positives Erleben scheinen Merkmale der pflegenden Angehörigen zu sein,
insbesondere Coping-Stile spielen eine Rolle. Zu Alter und Geschlecht der
Pflegenden gibt es widersprüchliche Befunde. Einkommen und Familienstand der
Pflegenden scheinen keine Bedeutung für positive Pflegeeffekte zu haben.
Bezüglich des Verwandtschaftsverhältnisses – das ist bedeutend für die hiesige
Arbeit – sind die Befunde Meinders zufolge922 ebenfalls widersprüchlich. Bei
Ehefrauen ist verglichen mit Töchtern weniger positiver Affekt gefunden
worden923, andere Studien stießen auf keine Unterschiede hinsichtlich des
Verwandtschaftsverhältnisses924.
Einige Untersuchungen haben speziell bei Ehegatten von Demenzkranken nach
positiven Aspekten der Pflegesituation gesucht. Auch bei ihnen konnte
nachgewiesen werden, dass die häusliche Pflege gleichzeitig als erfüllend und
bestätigend und mit Verlusten und Härten verbunden erlebt werden kann925.
Etliche Arbeiten befassten sich mit der Rolle der Ehebeziehung für die
Wahrnehmung von positiven Aspekten der Pflege. Kramer926 beobachtete bei
Ehefrauen dementer Männer eine Korrelation zwischen der Qualität der früheren
Ehebeziehung und der Zufriedenheit in der Pflegesituation. Die Ehefrauen in
Motenkos927 Studie erlebten mehr Gratifikationen und Wohlbefinden, wenn sie
die Beziehung zum dementen Ehemann als wenig verändert wahrnahmen.
920
vgl. Meinders 2001, 83
921
vgl. Übersicht bei Meinders 2001, 62 ff.
922
vgl. Meinders 2001, 80f.
923
vgl. George & Gwyther 1986; Smerglia & Deimling 1997
924
vgl. Gauggel & Rößler 1999
925
vgl. Narayan et al. 2001
926
vgl. Kramer 1993a
927
vgl. Motenko 1989
184
Ähnliches berichten Narayan et al.928: Pflegende Ehegatten, die unter dem
Verlust der vertrauten Ehebeziehung litten, fühlten sich eher in der Falle sitzend
und berichteten geringeres Selbstbewusstsein. Partner, die die Pflege als
bereichernd erlebten, neigten dazu, sich als kompetent und zuversichtlich
einzuschätzen. Lawton et al.929 sahen keinerlei Korrelationen zwischen der
Zufriedenheit der Ehegatten Demenzkranker und irgendeiner anderen Variable in
ihrem Zwei-Faktoren-Modell der häuslichen Demenzpflege930. Sie vermuten,
Ehepartner pflegten vor allem aus sozial-normativen Gründen und ihre
Zufriedenheit in der Pflegesituation werde vermutlich durch andere Faktoren, vor
allem durch die Qualität der früheren Ehebeziehung beeinflusst. Zufriedenheit,
wenn sie da war, korrelierte stark mit dem allgemeinen Wohlbefinden. Die
Autoren interpretieren, dass die Ehebeziehung derart zentral sei, dass
Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit bei der Pflege weitgehende Auswirkungen
auf das allgemeine Wohlbefinden habe.
Farran et al.931 suchten existenzielle Themen, mit denen sich pflegende
Angehörige
Demenzkranker
beschäftigen.
Die
Befragten
äußerten
zwei
Kategorien solcher Themen: Erleben von Verlust und Machtlosigkeit und Werte,
Wahl und Sinn. Zu dem Bereich „Werte, Wahl und Sinn“ zählten die Strategien,
durch bewusste persönliche Entscheidung eine positive Haltung der Pflege
gegenüber zu gewinnen, positive Aspekte des Lebens zu würdigen und Sinn zu
suchen. Die befragten Ehegatten unterschieden sich von den anderen
Angehörigen hinsichtlich der Strategie „bewusste persönliche Entscheidungen“.
Sie trafen doppelt so häufig wie andere bewusst die Wahl, eine positive Haltung
einzunehmen, stützten sich viermal öfter auf ihre persönliche Seelenstärke und
suchten dreimal häufiger als andere nach Verblüffendem in der Pflegesituation
(finding paradox in situation).
4.6
Zusammenfassung Kapitel 4
Die Literatur zeigt klar den Zusammenhang von häuslicher Pflege und seelischen
Gesundheitsfolgen,
insbesondere
zur
Depression.
Die
Beweise
für
Zusammenhänge zu körperlichen Schäden sind insgesamt schwächer und
928
vgl. Narayan et al. 2001
929
vgl. Lawton et al. 1991
930
Modell von Lawton et al. 1991: vgl. Kapitel 4.1.2.2
931
vgl. Farran et al. 1991
185
weniger konsistent932. Einerseits tauchen in den Studien als Korrelate von
Gesundheitsstörungen
viele
Variablen
auf,
die
aus
der
allgemeinen
Gesundheitsliteratur bekannt sind, wie z.B. Einkommen, subjektiv bewerteter
Stress, Lebenszufriedenheit und Selbstwertgefühl. Andererseits sind wenige
Variablen gefunden worden, die exklusiv für die Demenzpflegesituation gelten.
Dies sind Verhaltensprobleme des Patienten, die konsistent mit psychiatrischer
und physischer Morbidität des Pflegenden korrelierten, und kognitive Symptome
des Dementen, die mit körperlicher Gesundheitsverschlechterung in Verbindung
stehen933.
Empirische Befunde zu den sozialen Netzwerken älterer Menschen belegen in
der Regel trägfähige Beziehungsstrukturen, in denen die Familie eine
herausragende Stellung einnimmt934. Zwischen den Generation findet sich häufig
das Muster der „Intimität auf Abstand“935. Als Risikogruppe sind ältere Ehepaare
ohne Kinder anzusehen. Ein soziales Problem der Ehegatten Demenzkranker
stellt die Einsamkeit dar936. Mit dem Wegbrechen der Beziehung zum Gatten
gerät nicht nur das Bedürfnis nach menschlicher, interpersonaler Intimität in
Gefahr ungestillt zu bleiben, sondern gleichzeitig ist auch die Identität des
gesunden Gatten gefährdet, dem ein signifikanter Anderer als Quelle für die
Validation und Konfirmation des selbstbezogenen Wissens verloren geht937. Die
Pflegesituation führt zu einer Verengung der Lebensbereiche mit der Folge, dass
auch externe Quellen der Selbstevaluation und Anerkennung ausdünnen, und
die Bedeutung der Erfahrungen, die innerhalb der Pflegesituation gemacht
werden,
anwächst938.
Neben
Rolleneinschränkungen
können
aber
auch
Rollenbelastungen, Rollenüberlastungen und Rollenkonflikte zu Problemen
werden939.
Das subjektive Belastungserleben der Betroffenen, das sich in einer Vielzahl
negativer emotionaler Reaktionen äußert, gilt als schwieriger zu bewältigen als
die eher objektiven Konsequenzen der Pflege. Zusammenhänge zwischen
subjektiv
eingeschätzter
Belastung
932
vgl. z.B. Übersicht bei Schulz et al. 1995
933
vgl. Schulz et al. 1995
934
vgl. Fooken 1997
935
vgl. Rosenmayr, Köckeis 1965
936
vgl. Beeson 2003
937
vgl. Beeson 2003
938
vgl. Skaff & Pearlin 1992
939
vgl. Mui & Morrow-Howell 1993
und
psychiatrischen
Erkrankungen,
186
besonders Depression, gelten als gesichert940. Einerseits zeigen ältere
Ehegatten, wie ältere Menschen überhaupt, eine Tendenz zu größerer
emotionaler Kontrolle und kompetenterer Emotionsregulation941, andererseits
findet sich aber eine kleine Gruppe unter ihnen, die ein sehr hohes Ausmaß an
Wut erlebt942. Die Pflegesituation scheint besonders bei pflegenden Ehegatten
die Angst vor dem eigenen Älterwerden zu triggern, verstärkt noch, wenn der
kranke Partner in einem Pflegeheim untergebracht wurde943. Neben der Demenz
können andere kritische Lebensereignisse, die speziell in der Altersphase
wahrscheinlich werden, die Belastung der Ehegatten noch weiter erhöhen944.
Eine einfache, lineare Beziehung zwischen der Demenzsymptomatik und der
Belastung
der
Angehörigen
–
in
der
Art,
dass
die
Pflegenden
von
Schwerstkranken am belastetesten sind – hat sich mit den Forschungsbefunden
nicht nachweisen lassen945. Die Verbindung von Problemverhalten und
psychiatrischen
Symptomen
des
Dementen
mit
Belastungserleben
und
psychischen Störungen bei den pflegenden Angehörigen gilt dagegen als
gesichert. Es gibt Hinweise auf eine Verbindung von kognitiven Symptomen zur
Belastung, jedoch ist hier weitere Forschung erforderlich. Beeinträchtigungen der
Aktivitäten des täglichen Lebens scheinen eher keinen Einfluss auf die
psychische Befindlichkeit der Pflegenden zu haben946.
Die „typischen“ Ehegatten Demenzkranker sind in einem Alter, in dem das Risiko
eigener
gesundheitlicher
Probleme
groß
ist.
Inwieweit
hierdurch
ihre
Belastbarkeit beeinträchtigt wird, ist vom individuellen Krankheitsbild und
insbesondere
von
der
subjektiven
Bewertung
der
Krankheitssymptome
947
abhängig
. Über die besondere Situation der jüngeren Ehegatten von Younger-
onset-Demenzpatienten ist heute noch wenig bekannt948. Eine relativ große
Übereinkunft herrscht darüber, dass das Geschlecht Einfluss auf die
Belastungen hat. Ehefrauen erscheinen verglichen mit Ehemännern insgesamt
belasteter. Sie schildern mehr und schwerere depressive Störungen und
körperliche
Beschwerden,
geringeres
Wohlbefinden
940
vgl. Übersicht bei Schulz et al. 1995
941
vgl. Gross et al. 1997
942
vgl. Steffen & Berger 2000
943
vgl. Scroggin Wullschleger et al. 1996
944
vgl. Russo & Vitaliano 1995
945
Vitaliano, Young & Russo 1991
946
vgl. Donaldson et al. 1997
947
Borchelt et al. 1996
948
Ausnahme ist der Beitrag von Williams, Keady & Nolan 1995
und
subjektives
187
Belastungserleben, schlechtere soziale Einbindung und weniger finanzielle
Stabilität949. Allerdings muss gefragt werden, ob die tatsächliche Belastung
pflegender Ehemänner mit den vorherrschenden Forschungsdesigns akkurat
erfasst wird. Vermutungen einer stärkeren als bisher angenommen Gefährdung
werden gestützt durch Erkenntnisse, dass Männer im Allgemeinen seltener als
Frauen Ärzte und Vorsorgemaßnahmen aufsuchen950, gleichzeitig aber häufiger
schwerwiegende, potenziell letale Erkrankungen haben951.
Eine Risikogruppe
scheinen in jedem Fall Ehemänner zu sein, deren Frauen in einem
fortgeschrittenen Demenzstadium sind952. Die Persönlichkeit des Pflegenden
nimmt Einfluss darauf, wie er oder sie potenziell stressvolle Situationen bewertet,
und hat deshalb eine Schlüsselstellung bei der Entstehung von Belastung953.
Pflegende mit mehr neurotischen Zügen scheinen verletzlicher bei den
Anforderungen der Pflege zu sein, da sie eher geneigt sind, stressvolle
Ereignisse negativ zu bewerten, und weil sie empfindlicher sind gegenüber den
negativen
Folgen
Persönlichkeitsmerkmale
Neurotizismus
Bewertung954.
dieser
auf
die
körperliche
955
956
, Expressed Emotion
Via
und
Distress
seelische
sowie Ärger und Wut
wirken
Gesundheit.
957
scheinen
Faktoren zu sein, die Belastungen bei pflegenden Ehegatten begünstigen.
Eine frühere Ehe, die „schlecht“ war, setzt sich fort, wenn das Paar eine
Demenzerkrankung bewältigen muss. Diese pflegenden Partner erscheinen
besonders belastet958. Die Ergebnisse über die Effekte einer „guten“ Ehe sind
nicht so eindeutig. Einerseits wird argumentiert, die Kontinuität einer guten
Beziehung erleben zu können, schütze die gesunden Gatten ein Stück weit vor
den Belastungen der Demenzpflege959. Andere Stimmen führen an, die Demenz
zerstöre gerade die Erinnerung an die befriedigende Vergangenheit und sei
deshalb in „guten“ Ehen eine besonders starke Belastung960.
949
vgl. Hooker et al. 2000; Rose-Rego, Strauss & Smyth 1998; Magai, Hartung & Cohen 1995
950
vgl. Nathanson 1990; zit. nach Kramer 1997b, 241
951
vgl. Thomas & Kelman 1990; zit. nach Kramer 1997b, 241
952
vgl. Schulz et al. 1995; Moritz, Kasl & Bergman 1989
953
vgl. Hooker et al. 1998
954
vgl. Übersicht bei Hooker et al. 1998
955
vgl. Hooker et al. 1992
956
vgl. Vitaliano et al. 1989a, 1991
957
vgl. Gallagher et al. 1990
958
vgl. Morris, Morris & Britton 1988; Kramer 1993a; Morgan & Laing 1991
959
vgl. Übersicht bei Murray & Livingstone 1998, 660
960
vgl. Williamson & Schulz 1990; Tower, Kasl & Moritz 1997; Lewis 1998
188
Mit dem Demenzkranken in einem Haushalt zusammenzuleben, ist ein Faktor,
der den Pflegestress erhöht961. Weitere Aspekte der Lebensverhältnisse
scheinen nach bisheriger Befundlage weniger entscheidend für die Belastung zu
sein962. Soziale Unterstützung kann, wenn sie im Netzwerk zu den aktuellen
Problemen passend verfügbar ist und subjektiv als angemessen wahrgenommen
wird, die Belastungen in vielfältiger Weise mildern. Nicht zu unterschätzen sind
allerdings die konflikthaften Formen von sozialer Unterstützung, nicht befriedigte
Unterstützungserwartungen und negativ empfundene Hilfen, die selbst zu
Quellen weiteren Stresses werden können963. In der Literatur finden sich an
vielen Stellen Hinweise darauf, dass gerade pflegende Ehegatten professionelle
Unterstützungsangebote selten nutzen964, wobei besonders Angehörige
Demenzkranker965 und speziell Ehefrauen966 zurückhaltend zu sein scheinen.
Für einen Zusammenhang zwischen emotions-fokussiertem Coping und
negativen psychischen Zuständen der pflegenden Angehörigen sowie eine
Verbindung von Neurotizismus und emotions-fokussiertem Coping sprechen viele
Befunde; die Verbindung zwischen problem-fokussiertem Coping und positiven
Folgen dagegen ist weniger aufgeklärt967. Selbstwirksamkeit (self-efficacy) und
Fähigkeit
zur
Selbstkontrolle
Persönlichkeitsmerkmale,
Demenzkranker
die
begünstigen
(self-control
erfolgreiches
968
.
Die
Fähigkeit
skillfulness)
Coping
von
sind
bei
Ehegatten
Paaren,
sich neuen
Anforderungen anzupassen, erwies sich ebenfalls als bedeutender Faktor für das
Coping969. Besonders belastet erschien eine Subgruppe pflegender Ehegatten
mit
den
Merkmalen:
fortgeschrittene
Demenz
des
Patienten,
geringe
Anpassungsfähigkeit des Pflegenden und Festhalten an der Ehegattenrolle970.
Ob die Versorgung eines dementen Menschen belastender ist im Vergleich zur
Pflege eines nicht dementen pflegebedürftigen älteren Menschen, kann nach der
Forschungslage nicht eindeutig beantwortet werden, solange der Demenzkranke
keine sogenannten Verhaltensstörungen zeigt. Letztere gelten konsistent als
961
vgl. George & Gwyther 1986; Harper & Lund 1990
962
vgl. Wilz 2002
963
vgl. Fiore, Becker & Coppel 1983; MaloneBeach & Zarit 1995
964
vgl. z.B. Übersicht bei Murray & Livingstone 1998, 668; Murray et al. 1999, 663; O’Connor 1999, 212
965
vgl. Übersicht bei O’Connor 1999, 212
966
vgl. Übersicht bei Perry & O’Connor 2002, 61
967
vgl. Übersicht bei Rose et al. 1997
968
vgl. Gallant & Connell 1998
969
vgl. Majerovitz 1994, 1995
970
vgl. Majerovitz 1994, 1995
189
belastungsfördernd. Auch der Vergleich der Belastungen von Ehegatten und
Kindern Demenzkranker erbringt bisher keine eindeutigen Ergebnisse. Hier
scheint es wesentlich zu sein, Belastung nicht allgemein, sondern gezielt
verschiedene Belastungsdimensionen zu vergleichen. Eindeutig dagegen ist,
dass Demenz-Paare im Vergleich zu gesunden älteren Paaren deutlich
schlechtere Gesundheit aufweisen.
Positives
Erleben
häuslichen
Pflege
und
sind
Lebenszufriedenheit
unterschiedlich
im
Zusammenhang
konzeptualisiert
worden.
der
Häufig
verwendete Kategorien sind: positive Veränderung familiärer Beziehungen;
Freude am Zusammensein mit dem Patienten; Gefühl der Liebe gegenüber dem
Patienten; Erfüllen einer Pflicht; an Erfahrung wachsen; neue Dinge lernen und
das Gefühl, eine gute Pflege zu leisten971. Die Befundlage ist weitgehend
uneinheitlich. Als konsistent relevante Einflussgrößen haben sich lediglich die
Persönlichkeit des Pflegenden und Coping-Stile erwiesen972. Bei pflegenden
Ehegatten wird die Bedeutung der früheren und der aktuellen Ehebeziehung für
positives Erleben in der Pflege betont973. Da die Ehe eine derart zentrale
Beziehung ist, scheinen Zufriedenheit und Unzufriedenheit in der Pflege weit
reichende Auswirkungen auf das allgemeine Wohlbefinden des pflegenden
Gatten zu haben974. Es gibt Hinweise, dass Ehegatten sich häufiger als andere
Angehörige bewusst dazu entscheiden, eine positive Haltung gegenüber der
Pflegesituation einzunehmen975.
971
vgl. Meinders 2001
972
vgl. Meinders 2001
973
vgl. Kramer 1993a; Lawton et al. 1991; Motenko 1989; Narayan 2001
974
vgl. Lawton et al. 1991
975
vgl. Farran et al. 1991
190
5
Zusammenfassende Darstellung der
Forschungslage
Die Veränderungen der Ehebeziehung, die eine Demenz mit sich bringt,
können unter vier Stichworten umrissen werden: (1) Auf einer augenscheinlichen
Ebene gerät mit der Demenz ein jahrelang gefestigtes, sehr individuelles und
gleichzeitig gesellschaftlich geprägtes Gefüge von Aufgaben, Rollen und
Funktionen in Bewegung976. (2) Daneben erodieren die emotionale Intimität, die
Gefährtenschaft
und
die
Reziprozität
der
Partner977.
(3)
Ein
drittes
Charakteristikum der Paarveränderungen ist die Asymmetrie der individuellen
Entwicklungen der beiden Partner978. (4) Im sexuellen Bereich kommt es bei den
meisten Paaren zu einem Nachlassen sexueller Kontakte979 und auch von
Gesten der Zuneigung und Zärtlichkeit980. Selten ist ein gesteigertes sexuelles
Interesse des Erkrankten981.
Für die Situation des gesunden Partners kann der allmähliche Verlust des
Ehegatten eine Bedrohung des eigenen Selbst bedeuten982. Der Gesunde wird
auf einer existenziellen Ebene mit den Themen Tod, Einsamkeit, Freiheit und
Sinn konfrontiert983.
Emotionale Unterstützung und auch gelegentliche Pflegeleistungen sind in
Ehebeziehungen normal. Wenn sich allerdings die Pflege im Verlauf der Demenz
imperialistisch984 immer weiter ausdehnt, dann nimmt die Ehe allmählich den
Charakter einer Pflegebeziehung an. Manche Ehegatten integrieren die
Pflegerolle in ihre Ehebeziehung; anderen gelingt das nicht und sie trauern der
als verloren erlebten alten Beziehung nach; wieder andere betonen den
Pflegecharakter der neuen Beziehung und manche heben die Gewinne der
976
977
vgl. Wright 1993; Faust-Jacoby & Kling 1991
vgl. Barusch & Spaid 1996; Blieszner & Shiftlett 1990; Gallagher-Thompson et al. 2001; Kramer & Lambert
1999; Morris, Morris & Britton 1988; Owens 2000; Pearlin et al. 1990; Rakin, Haut & Keefover 2001;
Siriopoulos, Brown & Wright 1999; Wright 1993
978
vgl. Wright 1993
979
vgl. Ballard et al. 1997; Eloniemi-Sulkova et al. 2002a; Derouesné et al. 1996; Wrigth 1991, 1993, 1998
980
vgl. Wright 1998
981
vgl. Derouesné et al. 1996; Duffy 1995; Quayhagen & Quayhagen 1988; Wright 1998
982
vgl. O’Connor 1993
983
vgl. Levine et al. 1984
984
vgl. Pearlin et al. 1990
191
neuen Situation hervor985. Charakteristisch für pflegende Ehegatten scheint zu
sein, dass sie besonderen Wert darauf legen und stolz darauf sind, die
Bedürfnisse des Partners gut zu kennen und ihnen gerecht zu werden986, und
dass ihnen der Schutz der Persönlichkeit und Würde des Partners besonders am
Herzen liegt987. Ehefrauen und Ehemänner haben unterschiedliche Zugänge in
die Pflegerolle und eine unterschiedliche Praxis. Das Thema „Gewalt in ehelichen
Pflegekonstellationen“ kann einerseits als Ausdruck von Belastungen betrachtet
werden988, sollte aber auch unter dem Aspekt allgemeiner Gewalt in Ehen
untersucht werden989.
Die belastenden Auswirkungen der häuslichen Demenzpflege sind in der
Literatur vielfach belegt, insbesondere gesichert sind negative Einflüsse auf die
seelische Gesundheit990. Weniger eindeutig und insgesamt schwächer als bei
den psychischen Störungen sind nach dem gegenwärtigen Forschungsstand die
Zusammenhänge
zwischen
häuslicher
Demenzpflege
und
körperlicher
Krankheit991. Diese Befunde sind auch bei pflegenden Ehegatten Demenzkranker
dokumentiert worden. Die soziale Integration pflegender Ehegatten erweist sich
als labil. Einerseits belegen empirische Studien zu den sozialen Netzwerken
älterer Menschen in der Regel tragfähige Beziehungsstrukturen, in denen die
Familie mit dem häufig anzutreffenden Muster der „Intimität auf Abstand“992 eine
herausragende Rolle einnimmt993. Andererseits ist Einsamkeit ein Problem der
Ehegatten dementer Menschen994. Das subjektive Belastungserleben der
Betroffenen, das sich in einer Vielzahl negativer emotionaler Reaktionen äußert,
gilt als schwieriger zu bewältigen als die eher objektiven Konsequenzen der
Pflege. Für pflegende Ehegatten spielen in diesem Zusammenhang vor allem
Ängste vor dem eigenen Älterwerden eine Rolle, die durch das Erleben der
Demenz des Partners frei gesetzt werden können995. Zusätzlich sind sie mit
985
vgl. Hepburn et al. 2002
986
vgl. Corcoran 1993b
987
vgl. Perry 2002; Perry & O’Connor 2002; Wright 1993
988
vgl. Übersicht bei Williamson et al. 2001, 217
989
vgl. Butell 1999
990
vgl. Übersicht bei Schulz et al. 1995
991
vgl. Schulz et al. 1995
992
vgl. Rosenmayr & Köckeis 1965
993
vgl. Fooken 1997
994
vgl. Beeson 2003
995
vgl. Scroggin Wullschleger 1996
192
anderen kritischen Lebensereignissen und Verlusten konfrontiert996, die in der
Altersphase wahrscheinlich werden997.
Als relevante Einflussgrößen auf das Belastungserleben der pflegenden
Ehegatten wurden auf Seiten des Demenzkranken der Faktor Problemverhalten
und
auf
Seiten
des
pflegenden
Gatten
insbesondere
die
Faktoren
Gesundheitsstatus, höheres Alter, weibliches Geschlecht und Persönlichkeit
identifiziert. Auch die Qualität der früheren Ehebeziehung sowie Kontrollerleben,
Bewältigungsstile und Bewältigungskompetenz des Pflegenden nehmen Einfluss
im Stressprozess.
Im Vergleich zu anderen Gruppen pflegender Angehöriger werden die
Ehegatten von Demenzkranken immer wieder als besonders belastet dargestellt.
Die Befundlage in dieser Frage ist allerdings nicht eindeutig. Als gesichert kann
allenfalls gelten, dass sie belasteter sind als altersgleiche Paare, die nicht mit
Demenz oder Pflegebedürftigkeit konfrontiert sind.
Positives Erleben und Lebenszufriedenheit scheint bei Ehegatten stark mit
der Qualität der Ehebeziehung verknüpft zu sein. Einerseits beeinflusst die
Beziehungsqualität die Wahrnehmung positiver Aspekte der Pflege und
andererseits
beeinflussen
Zufriedenheit
bzw.
Unzufriedenheit
in
der
Pflegesituation wiederum weit reichend das allgemeine Wohlbefinden des
pflegenden Gatten. Diese Zusammenhänge verdeutlichen die zentrale Rolle, die
die Ehebeziehung für das Erleben der Menschen hat998. Es gibt Hinweise, dass
Ehegatten häufiger als andere Angehörige bewusst die Entscheidung treffen,
eine positive Haltung gegenüber der Pflege einzunehmen999, möglicherweise
auch deshalb, weil sie es sich nicht „leisten“ wollen, eine derart zentrale
Beziehung wie die Ehe durch negative Pflegeerfahrungen zu gefährden.
996
vgl. Russo & Vitaliano 1995
997
vgl. Radebold 1994a; Teising 1997
998
vgl. Kramer 1993a; Lawton et al. 1991; Motenko 1989; Narayan 2001
999
vgl. Farran 1991
193
TEIL II
ERKUNDUNG DES FELDES
194
Im Teil II der Arbeit wird eine explorative Untersuchung im Feld der Beratung von
Ehegatten Demenzkranker dargestellt: das Untersuchungsdesign im Kapitel 6,
die Analysen von 18 Beratungsfällen im Kapitel 7 und eine fallübergreifende
Zusammenfassung der Ergebnisse im Kapitel 8.
6
Untersuchungsdesign
6.1
Erkenntnisinteresse, Forschungsansatz und Ort der
Untersuchung
6.1.1
Erkenntnisinteresse
Der gesamten Arbeit liegt übergreifend ein aktionales Erkenntnisinteresse1000
zugrunde, denn sie wurde von dem Interesse an neuen Möglichkeiten hilfreichen
Handelns in der psychosozialen Beratung von Ehegatten Demenzkranker
angestoßen. Da es über die Beratung dieses speziellen Personenkreises noch
keine Literatur gibt, erschien es sinnvoll, dieses Beratungsfeld zunächst mit einer
explorativen Untersuchung zu erkunden. Diesen Arbeitsschritt leitete also ein
phänomenales Erkenntnisinteresse1001. Die explorative Untersuchung soll einen
orientierenden
Überblick
über
das
Feld
der
Beratung
von
Ehegatten
Demenzkranker schaffen, erstens über die Breitendimension und zweitens über
die Tiefendimension. Die Frage, welche typischen und welche Sonderfälle in dem
Feld auftauchen, erfasst die Breitendimension. Die Frage nach den Themen, mit
denen
die
Ehegatten
in
die
Tiefendimension des Feldes aus.
1000
vgl. Eberhard 1999, 19
1001
vgl. Eberhard 1999, 17
Angehörigenberatung
kommen,
lotet
die
195
6.1.2
Forschungsansatz
Eine dezidierte Beratungsforschung, deren Anliegen der Ausbau von Wissen
über Akzeptanz und Wirkung angebotener Beratungsformen ist und auf die sich
die vorliegende Arbeit beziehen könnte, gibt es heute erst in Ansätzen1002.
Die hier dargestellte Untersuchung hat einen qualitativen Forschungsansatz.
Flick schreibt Folgendes über die Aktualität dieses Forschungsparadigmas:
„Qualitative Forschung gewinnt besondere Aktualität für die Untersuchung
sozialer Zusammenhänge, da die Pluralisierung der Lebenswelten in modernen
Gesellschaften – im Sinne der ‚neuen Unübersichtlichkeit’1003, der zunehmenden
‚Individualisierung von Lebenslagen und Biographiemustern’1004 oder der
Auflösung alter sozialer Ungleichheiten in die neue Vielfalt der Milieus,
Subkulturen, Lebensstile und Lebensweisen1005 - eine neue Sensibilität für
empirisch untersuchte Gegenstände erforderlich macht. Nachdem Vertreter der
Postmoderne erklären, dass die Zeit der großen Erzählungen und Theorien zu
Ende sei1006, sind eher lokal, zeitlich und situativ begrenzte Erzählungen
zeitgemäß.“1007 Die theoretischen Grundannahmen qualitativer Forschung
reflektieren diesen Hintergrund. Flick, von Kardorff & Steinke nennen im
einzelnen folgende theoretischen Grundannahmen1008:
•
Soziale Wirklichkeit wird als gemeinsame Herstellung und Zuschreibung
von Bedeutungen verstanden.
•
Der Prozesscharakter und die Reflexivität sozialer Wirklichkeit wird betont.
•
Es
wird
angenommen,
dass
„objektive“
Lebensbedingungen
durch
subjektive Bedeutungen für die Lebenswelt relevant werden.
1002
Als ursächlich hierfür können Straus & Stiemert zufolge u.a. die methodische Künstlichkeit und Alltagsferne
der Behandlungsforschung in der Tradition der „experimentellen“ empirisch analytischen Tradition gelten,
daneben ein erschwerter Zugang zum Feld und eine schwer handhabbare Untersuchungsklientel sowie
außerdem die auseinander driftenden Erkenntnisinteressen und Verwendungslogiken der vor allem
quantitativ orientierten Forschung auf der einen Seite – nämlich allgemeine Aussagen über wahrscheinliche
Zusammenhänge und Verallgemeinerungen – und der Beratungspraxis – nämlich Orientierung am Fall als
Einzelschicksal – auf der anderen Seite. Vgl. Straus & Stiemert 1995, 323f.
1003
vgl. Habermas 1985
1004
vgl. Beck 1986
1005
vgl. Hradil 1992
1006
vgl. Lyotard 1986
1007
Flick 1996, 9
1008
vgl. Flick, v. Kardorff & Steinke 2003, 22
196
•
Der kommunikative Charakter sozialer Wirklichkeit lässt die Rekonstruktion
von Konstruktionen sozialer Wirklichkeit zum Ansatzpunkt der Forschung
werden.
Die wissenschaftlichen Konstruktionen der Wirklichkeit sind Konstruktionen
„zweiter Ordnung“1009. Sie bauen auf den Konstruktionen „erster Ordnung“1010,
d.h. den alltäglichen, soziohistorisch verankerten Typen, Modellen, Routinen,
Plausibilitäten,
Wissensformen,
Wissensbeständen
und
(oft
impliziten)
Schlussverfahren, auf und unterscheiden sich von jenen durch die für
wissenschaftliches Verstehen geforderte Reflexivität, d.h. die Forderung, dass
Wissenschaftler sich Klarheit verschaffen über die Voraussetzungen und
Methoden ihres Verstehens. Sie sind damit „kontrollierte, methodisch überprüfte
und überprüfbare, verstehende Rekonstruktionen der Konstruktionen ‚erster
Ordnung’“1011. Die Praxis qualitativer Forschung hat nach Flick, von Kardorff &
Steinke folgende Kennzeichen:
•
ein methodisches Spektrum statt einer Einheitsmethode
•
die Forderung der Gegenstandsangemessenheit von Methoden
•
die Orientierung am Alltagsgeschehen und/oder Alltagswissen
•
den Leitgedanken der Kontextualität
•
das Bemühen um Erfassung der Perspektiven der Beteiligten
•
die Betonung der Reflexivität des Forschers
•
das Verstehen als Erkenntnisprinzip
•
das Prinzip der Offenheit
•
Fallanalysen als Ausgangspunkt
•
Konstruktion der Wirklichkeit als Grundlage
•
qualitative Forschung als Textwissenschaft und
•
Entdeckung und Theoriebildung als Ziel. 1012
Für den Gegenstand der hier vorliegenden Arbeit empfiehlt sich ein qualitatives
Herangehen aus drei Gründen. Erstens ist dieser Gegenstand in besonderer
Weise von den oben skizzierten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
betroffen. Sowohl das Verhältnis von Mann und Frau im Allgemeinen als auch die
Ehe als gesellschaftliche Institution im Speziellen sind hiervon nachhaltig
1009
vgl. Soeffner 2003, 167
1010
vgl. Schütz 1971, 3-54; zit. nach Soeffner 2003, 167
1011
Soeffner 2003, 167
1012
vgl. Flick, v. Kardorff & Steinke 2003, 24
197
beeinflusst1013. Stichworte sind die Wandlung der Ehe von einer Arbeits- zu einer
Gefühlsgemeinschaft1014, die Bedeutung von Privatheit und Intimität1015 und die
Funktion der Ehe als zentrale Instanz für die soziale „Konstruktion der
Wirklichkeit“1016 und für die Entwicklung und Stabilisierung der Identitäten der
Partner1017 in einer Welt, in der sich gewachsene, traditionelle Bindungen,
Glaubenssysteme und Sozialbeziehungen auflösen. Ebenso ist das Feld der
Beratung durch diese gesellschaftlichen Bedingungen gekennzeichnet. Die
zunehmende
Individualisierung
Probleme1018
sozialer
erhöht
den
Beratungsbedarf ebenso wie die Unübersichtlichkeit und Ausdifferenzierung
gesellschaftlicher Strukturen1019. Der Pluralisierung der Lebensverhältnisse
entspricht die Vielfalt möglicher Beratungsanlässe und –themen.
Zweitens sind heute besonders für das Feld der häuslichen Pflege, zu dem die
Betreuung
Demenzkranker
durch
ihre
Ehegatten
gehört,
qualitative
Forschungsmethoden angebracht. Gubrium1020 stellt in seiner Bestandsaufnahme
zum Stand der Forschung in diesem Bereich fest, große Teile der
Wissensbestände seien mit Hilfe von Modellen der Pflege generiert worden,
welche die gelebte Erfahrung der Betroffenen aus zweiter Hand einschätzten.
Diese Modelle mit klar definierten Komponenten, arrangiert in hoch rationalen
kausalen Beziehungen, produzierten allerdings Ergebnisse, „that belie the often
fuzzy contents and borders of caregiving encounters and the identities of the
participants.“1021 Diese Forschung habe wenig Sinn dafür, dass häusliche Pflege
etwas Subjektives auf der Basis der Alltagswahrnehmung der betroffenen
Akteure sei, und dass sich die Qualität des Phänomens verändern könne
entsprechend der Wandelbarkeit der Identitäten und der sich entwickelnden
Beziehungen der Beteiligten. Qualitative Forschungsmethoden eignen sich, wie
oben zu den Kennzeichen und Grundsätzen ausgeführt wurde, in besonderer
Weise, um subjektive Perspektiven der Akteure zu erfassen.
Drittens
sprechen
auch
methodologische
Gesichtspunkte
für
die
Gegenstandsangemessenheit eines qualitativen Forschungsansatzes, da dessen
1013
vgl. Beck & Beck-Gernsheim 1990
1014
vgl. Beck-Gernsheim 1990, 69
1015
vgl. Beck-Gernsheim 1990, 69
1016
Berger & Kellner 1965; zit. nach Beck-Gernsheim 1990, 72
1017
vgl. Ryder 1979, 365; zit. nach Beck-Gernsheim 1990, 72
1018
vgl. Flick 1992, 278f.
1019
vgl. Giese & Retaiski 1993, 136
1020
vgl. Gubrium 1995
1021
Gubrium 1995, 267
198
Vorgehensweisen besonders für explorative Zwecke geeignet sind. Hierzu tragen
einige der oben bereits erwähnten Kennzeichen qualitativer Forschungspraxis
bei, die in meiner Untersuchung handlungsleitend wurden:
Das Prinzip der Offenheit: Auf theoretischer Ebene bezeichnet es den Verzicht
strenger Hypothesengeleitetheit in der Forschung1022, auf der methodischen
Ebene den Verzicht subsumptionslogischen Vorgehens. Die Auswertung der
Daten meiner Studie habe ich aus diesen Gründen ohne a priori theoretisch
formulierte Analysekriterien vorgenommen.
Das Prinzip der Reflexivität: Bei qualitativen Methoden wird die Kommunikation
des Forschenden mit dem jeweiligen Feld und den Beteiligten zum expliziten
Bestandteil der Erkenntnis1023. Die Reflexion dieses Bestandteils gilt als
Kennzeichen und Gütekriterium qualitativer Forschung.
In der vorliegenden
Arbeit sind deshalb in allen Arbeitsphasen (Sichtung und Aufarbeitung des
Forschungsstandes, Datenerhebung, Datenauswertung, Diskussion) fortlaufend
sogenannte Memos nach Vorgabe von Strauss & Corbin1024 geschrieben worden.
Die geforderte Reflexivität bezieht sich auch auf die Vorannahmen des
Forschenden, die den Erkenntnisprozess mit steuern. In vielen Darstellungen zur
qualitativen
Forschung
wird
betont,
wie
wesentlich
eine
gewisse
Fremdheitshaltung des Forschenden gegenüber dem Feld sei, um zu
Ergebnissen zu kommen, die nicht mehr als nötig durch Vorannahmen und
implizite Vorstellungen verstellt sind. Eine solche Fremdheitshaltung ist für mich
als jemanden, der seit 10 Jahren in dem untersuchten Feld berufstätig ist, aber
unrealistisch. Deshalb gilt umso mehr, die Vorerfahrungen zu erkennen - und zu
nutzen. Weiterführend war an dieser Stelle das Konzept der Theoretischen
Sensibilität von Strauss & Corbin1025, das theoretische Sensibilität als
Kompositum
aus
persönlicher
Erfahrung,
beruflicher
Erfahrung
und
Theoriewissen definiert. Die Autoren sagen ausdrücklich, theoretische Sensibilität
verbessere die Dichte und Tiefe der Erkenntnisse, sei also eine Ressource für
die Forschung. Gleichzeitig können Vorerfahrungen und theoretisches Wissen
aber auch Quellen für Vorannahmen und damit für eine verzerrte Wahrnehmung
der Gegebenheiten im Feld sein. Strauss & Corbin haben einige Techniken zur
1022
vgl. Mayring 2002, 28
1023
vgl. Flick 1996, 15
1024
vgl. Strauss & Corbin1996, 169ff.
1025
vgl. Strauss & Corbin 1996, 25ff.
199
Entwicklung des Reflexionsvermögens entwickelt, um dieser Gefahr zu
begegnen1026.
Verstehen als Erkenntnisprinzip: „Verstehen können wir jenen Vorgang nennen,
der einer Erfahrung Sinn verleiht. Fremdverstehen können wir jenen Vorgang
nennen, bei dem wir einer Erfahrung den Sinn verleihen, dass sie sich auf ein
Ereignis der Welt bezieht, dem Alter Ego bereits einen Sinn verliehen hat.“1027
Während Verstehen prinzipiell ein unzweifelhafter Akt ist, ist Fremdverstehen ein
prinzipiell zweifelhafter Akt, nur diskontinuierlich und partiell möglich. Deshalb
kann sozialwissenschaftliches Verstehen, so Soeffner, immer nur „rekonstruktivhermeneutische“
Handelnden
Möglichkeitsmodelle
entwerfen1028.
Eine
der
Annäherung
nachvollziehbares Verstehen erfordert Folgendes
•
Handlungsabläufe
1029
an
ein
und
der
intersubjektiv
:
das Prinzip der Reflexivität als bewusstes und kontrolliertes Abstrahieren
des Interpreten von den eigenen kulturellen Fraglosigkeiten und der
eigenen historischen Perspektive (Reflexion der eigenen Vor-Urteile);
•
die Rekonstruktion der Struktur des „fremden“ Milieus und dessen
historischer Bindung, so weit wie das möglich ist („das Fremde zum
Sprechen bringen“);
•
die Zuordnung der eigenen und der fremden Erfahrungsstrukturen sowie
der
eigenen
Deutung
wissenschaftlichen
intersubjektiv
und
„universe
des
of
nachvollziehbarer
Deutungsgegenstandes
discourse“
Milieus,
objektiv
Kontexte
zu
einem
möglicher,
und
d.h.
Bedeutungen
(Verortung im Bedeutungsraum).
Fallanalysen als Ausgangspunkt: Qualitativ orientierte Fallanalysen sollen die
„Ganzheit“ eines Falles erfassen, komplexe Variablenzusammenhänge sichtbar
machen und ggf. auch eine längsschnittliche Betrachtungsweise erlauben1030.
Qualitative Fallanalysen setzen auf wenige einzelne Fälle, „die aber in ihrer
konkreten Fülle dokumentiert und auf ihre konstituierenden Prinzipien interpretiert
werden, um so zu interessanten, d.h. theoretisch relevanten, Einsichten zu
gelangen.“1031 Für die vorliegende Arbeit wurde ein von Mayring vorgeschlagenes
1026
vgl. Strauss & Corbin 1996, 57ff.
1027
Soeffner 2003, 165
1028
vgl. Soeffner 2003, 168
1029
vgl. Scheler 1923; Srubar 1981; zit. nach Soeffner 2003, 171f.
1030
vgl. Mayring 1996, 132
1031
Bude 2003, 60
200
Ablaufmodell für qualitative Fallanalysen zugrunde gelegt. Mayrings Schema
sieht folgende Schrittfolge vor:
•
Fragestellung (vgl. Kapitel 6.1.1 ), theoretische Anbindung (vgl. Teil I)
•
Falldefinition, Fallsuche (vgl. Kapitel 6.2)
•
Methodisch kontrollierte Materialsammlung (vgl. Kapitel 6.2)
•
Fallzusammenfassung, Fallstrukturierung, Fallinterpretation (vgl. Kapitel 7)
•
Fallverallgemeinerung, Kontexteinbettung, Vergleichsfälle (vgl. Teil III)1032.
6.1.3
Ort der Untersuchung
Die Untersuchung fand in der Gerontopsychiatrischen Beratung in Münster statt.
Diese
Beratungsstelle
ist
Teil
des
Clemens-Wallrath-Hauses,
des
Gerontopsychiatrischen Zentrums des Alexianer Krankenhauses. Neben der
Beratungsstelle
besteht
es
aus
Ambulantem
Pflegedienst,
Ambulanz,
einem
Tagesklinik,
ehrenamtlichen
Tagespflege,
häuslichem
Unterstützungsdienst namens LichtBlick, dem Verein Lichtblick e.V. und einer
Akademie für Psychiatriepflege. Die Beratungsstelle existiert seit 1992 und hat
zwei Aufgabenschwerpunkte. Einerseits werden betroffene Münsteraner Bürger
beraten. Dabei handelt es sich in erster Linie um die Angehörigen von psychisch
kranken älteren Menschen, vorwiegend Angehörige von Demenzpatienten. Mit
dem zweiten Arbeitsschwerpunkt wendet sich die Beratung an Münsteraner
Institutionen, die mit Fortbildungen, Fallbesprechungen und konzeptioneller
Beratung bei der Versorgung psychisch kranker älterer Menschen unterstützt
werden. Die Beratungsstelle hat 2,5 Personalstellen, die von vier Mitarbeiterinnen
aus dem Bereich der Sozialen Arbeit, darunter der Autorin, besetzt sind (zwei
Sozialpädagoginnen,
eine
Soziotherapeutin
und
eine
Sozialarbeiterin/
Sozialgerontologin).
6.2
Sample und Datenerhebung
Es wurden zwei Sorten von Beratungsdokumenten ausgewertet: Akten von
langandauernden Beratungsprozessen und Protokolle von Erstberatungen.
Erstere sind „akzidentale“ Dokumente im Sinne von Atteslander1033, d.h. es sind
1032
Mayring 1996, 132
1033
vgl. Atteslander 1975, 65
201
Daten, die nicht eigens für die Forschung erstellt worden sind. Es handelt sich
um Akten, in denen die Beraterinnen
Beratungsprozesse für das laufende
Geschäft der Beratungsstelle dokumentiert haben. Demgegenüber sind die
Protokolle der Erstberatungen eigens zum Zweck der Analyse produziert worden,
demnach „systematische“ Dokumente im Sinne von Atteslander1034. Die Daten
aus den Akten der langandauernden Beratungsprozesse haben den Vorzug, das
Themenspektrum
eines
Beratungsprozesses
in
einer
längsschnittlichen
Perspektive darzustellen. Da diese Akten nicht für Forschungszwecke erstellt
worden sind, haben sie aber den Nachteil, Themen meist nur grob, entsprechend
der Dokumentationsgewohnheiten der einzelnen Beraterinnen, anzudeuten. Um
mehr in die Tiefendimension des Beratungsfeldes vorzudringen, erschien es
deshalb als wesentlich, einzelne Beratungsgespräche mit ihren Themen
detailliert zu erfassen. Dafür sind Erstgespräche aus verschiedenen Gründen
erste Wahl. Sie sind die häufigste Beratungsform1035, und man kann annehmen,
dass die Ratsuchenden in Erstberatungen einen besonderen Handlungs- und
auch Leidensdruck haben und folglich ihre Situation eindrucksvoll zur Sprache
bringen. Deshalb wurden einzelne Erstberatungen eigens für die Auswertung
innerhalb dieser Studie protokolliert.
6.2.1
Langandauernde Beratungsprozesse
Für die Auswahl der Fälle wurden folgende Kriterien zugrunde gelegt:
Allgemeine Kriterien (Falldefinition):
1. Es sollten Beratungsdokumentationen von ratsuchenden Ehegatten
Demenzkranker erfasst werden.
2. Die Beratungsprozesse sollten mehrere Beratungskontakte umfassen und
über mehr als ein Kalenderjahr angedauert haben.
3. Die Dokumentationen der Fälle sollten einen gewissen Grad an
Ausführlichkeit und Verständlichkeit aufweisen (mehr als nur Stichworte).
4. Die Dokumentationen sollten Hinweise auf unterschiedliche Themen der
ratsuchenden Ehegatten enthalten (Tiefendimension des Feldes) mit
einem Schwerpunkt bei den psychosozialen Fragestellungen gegenüber
den rein informationsorientierten Fragen. Das bedeutet, Fälle, in denen es
1034
1035
vgl. Atteslander 1975, 72
Etwa 50 % der Klienten der Münsteraner Beratungsstelle wenden sich innerhalb eines Jahres nur einmal an
die Beratungsstelle. Vgl. Dirksen et al.: Jahresberichte der Gerontopsychiatrischen Beratung Münster
202
ausschließlich um eine einzige Spezies von Sachfragen wie z.B. die
Klärung von sozialrechtlichen Ansprüchen gegangen war, wurden nicht
einbezogen.
Mit diesen Kriterien sind alle Ehegattenfälle gesichtet worden, die innerhalb der
letzten fünf Jahre (2000-2004) in der Beratungsstelle abgeschlossen worden
waren bzw. solche, die im Jahr 2004 noch andauerten. Den Kriterien Nr. 1-4
entsprachen zwölf Beratungsdokumentationen. Aus diesen sind sechs Fälle für
die Auswertung ausgewählt worden. Die Kriterien für diesen Auswahlschritt
waren:
5. Es sollten drei ratsuchende Ehefrauen und drei Ehemänner erfasst
werden.
6. Die Fälle sollten sich, bezogen auf ihre Schwerpunktthemen und weitere
qualitative Merkmale, deutlich voneinander abheben, um eine gewisse
Bandbreite (Breitendimension des Feldes) zu erfassen.
Spezifische Kriterien (Breitendimension des Feldes):
1. Der Fall von Frau A. zeigt eine Younger-onset-Demenz und die
Auseinandersetzung der Ehefrau mit dem Tod des Partners.
2. Im Fall von Frau B. wird eine hochgradig belastende häusliche
Pflegesituation mit Gewalttätigkeit des dementen Ehemannes sichtbar.
3. Der
Fall
von
Frau
C.
gibt
Einblick
in
eine
schwerwiegende
Akzeptanzproblematik hinsichtlich der Demenz des Partners und
demonstriert Schwierigkeiten der Ehefrau nach der Heimunterbringung
des dementen Partners.
4. Der Fall von Herrn D. ist einer der längsten Beratungsverläufe, der in der
Beratungsstelle aufgetreten ist, und erlaubt damit den Blick auf einen
langen Zeitverlauf einer Ehegattenpflege mit verschiedenen Wandlungen.
5. Der Fall von Herrn E. zeigt die Auseinandersetzung mit existenziellen
Fragen (Heimaufnahme, lebensverlängernde Maßnahmen).
6. Der Fall von Herrn F. präsentiert einen spezifischen Stil der häuslichen
Pflege
(zweckrational
anmutende
Herangehensweise)
und
einen
bestimmten Typus der Inanspruchnahme von Beratung (Klärung von
diversen eng definierten Sachfragen).
Die
Akten
dieser
sechs
langandauernden
Beratungsprozesse,
die
von
verschiedenen Beraterinnen durchgeführt worden waren, wurden wörtlich
203
abgeschrieben und ausgewertet. Zum Schutz der Klienten und Beraterinnen
wurden die Daten unkenntlich gemacht, d.h. sämtliche Namen wurden
anonymisiert und alle signifikanten Merkmale, die einen Rückschluss auf die
Person des Klienten zulassen würden, ausgelassen. Die Beraterinnen gaben ihr
informiertes Einverständnis.
6.2.2
Erstberatungen
Die Datenerhebung in den Erstberatungen musste den Bedingungen des Feldes
angepasst werden. Vorgabe war, dass sich das Forschungsinteresse der
Zielsetzung, die Ratsuchenden angemessen zu beraten, stets unterordnen sollte.
Mit Blick auf das in Erstberatungen noch nicht vorhandene Vertrauensverhältnis
zwischen Berater und Ratsuchendem wurde deshalb auf die Aufzeichnung der
Beratungsgespräche mit einem Tonaufzeichnungsgerät verzichtet. In der
Eigenschaft als Beraterin machte ich während des Gesprächs mit den
Ratsuchenden die in der Beratungsstelle üblichen schriftlichen Notizen für die
Falldokumentation1036. In der Eigenschaft als Forschende stenographierte ich
darüber hinaus während des Gesprächs möglichst alle Aussagen der
Ratsuchenden, in denen sie Selbstauskünfte zu ihrer eigenen Situation gaben,
als wörtliche Zitate. Daneben machte ich weitere Notizen über die Entfaltung der
Erzählung des Ratsuchenden und über den weiteren Verlauf der Beratung. Direkt
im Anschluss an das Beratungsgespräch schrieb ich ein Protokoll. Dafür ging ich
die wörtlichen Zitate chronologisch durch und bettete sie jeweils wieder in den
Kontext ein, an den ich mich anhand der Notizen über den Beratungsverlauf
erinnerte. Zum Schutz der Klienten wurden die Daten unkenntlich gemacht, d.h.
sämtliche Namen wurden anonymisiert und alle signifikanten Merkmale, die
einen Rückschluss auf die Person des Klienten zulassen würden, ausgelassen.
Anschließend schrieb ich zu jeder der Erstberatungen ein Memo, in dem ich den
Protokolltext auf „richtungsweisende Begriffe“ und sich aufdrängende Fragen
durchging. Dieser Schritt ist der Grounded Theory entlehnt. „Sensitizing
concepts“ bzw. „richtungsweisende Begriffe“1037 und das permanente Stellen von
Fragen sollen zu Beginn einer Untersuchung als Richtschnur für das erste
Sammeln und Analysieren von Daten dienen.
1036
vgl. hierzu den Dokumentationsbogen der Gerontopsychiatrischen Beratungsstelle im Anhang 1
1037
vgl. Wester 1995; zit. nach Bosch 1998, 15
204
Das hier verwendete Verfahren der Datengewinnung ist anschlussfähig an zwei
verschiedene Forschungstraditionen. Erstens haben Kasuistiken in der Medizin
eine lange Tradition. Besonders in der Psychiatrie war es immer ein zentrales
methodisches Vorgehen, einzelne Patientengeschichten zu beschreiben und
solche Aufzeichnungen systematisch zu sammeln, um über den Vergleich mit
ähnlich gelagerten Fällen zu allgemeineren Schlussfolgerungen über die richtige
Behandlung zu gelangen1038.
Zweitens gibt es in der Sozialen Arbeit eine Tradition ethnographischer
Sichtweisen, auf die Schütze hinweist1039. Er führt aus, die Problembestände der
Sozialen Arbeit seien der Gesellschaft und den Fachkräften in der Sozialen
Arbeit prinzipiell fremd, und auch die Betroffenen selbst durchschauten ihre
Problemlagen kaum oder gar nicht. Deshalb sei in der Sozialen Arbeit eine
methodische Fremdheitshaltung angebracht, die gleichwohl auf Verstehen
abziele. Diese könne am besten im Rahmen der ethnographischen Sichtweise
hergestellt werden1040. Mit verschiedenen ethnographischen Verfahren, u.a. dem
Verfahren
des
narrativen
Interviews,
lasse
sich
1041
Lebensperspektive der Problembetroffenen erfassen
die
Weltsicht
und
. „In narrativen Interviews
rekonstruieren die Problembetroffenen die systematischen Prozesselemente
ihrer Leidensgeschichten, d.h. insbesondere Mechanismen von Verlaufskurven
der biographischen und sozialen Unordnung und der erzwungenen Verstrickung
in diese Verlaufskurven, die in entsprechenden Problemlagen in Gang gesetzt
und in Bewegung gehalten werden (Riemann 1987; Riemann/Schütze 1990)“1042.
Die von Schütze festgestellte prinzipielle Fremdheit der Lebensrealität der
Klienten trifft meines Erachtens in besonderer Weise auf die häusliche Pflege zu,
welche die Betroffenen häufig in eine abgeschiedene, öffentlich nicht mehr
sichtbare
und
nachvollziehbare
dyadische
Exklusivbeziehung
zwischen
Pflegebedürftigem und pflegendem Angehörigen bringt. Deshalb ist gerade in der
psychosozialen Beratung pflegender Angehöriger eine ethnographische Haltung
angezeigt. Das
methodische Vorgehen
in
der
Explorationsphase
einer
psychosozialen Beratung hat deshalb eine große Nähe zu dem, wie in narrativen
Interviews1043 vorgegangen wird. Nach einer Erzählaufforderung folgt als erster
Teil die Haupterzählung des Ratsuchenden, die von diesem autonom, ohne
1038
vgl. Mayring 1996, 129; vgl. z.B. Jaspers 1912; Tölle 1987; zit. nach Mayring 1996, 129
1039
vgl. Schütze 1994, 196ff. Schütze weist u.a. nach, dass bereits die fallanalytischen Überlegungen von Mary
Richmond, einer Begründerin der modernen professionellen Sozialen Arbeit, quasi-ethnographische
Konsequenzen haben.
1040
vgl. Schütze 1994, 189
1041
vgl. Schütze 1994, 194f.
1042
Schütze 1994, 195
1043
vgl. z.B. Schütze 1983, 285f.; Fischer-Rosenthal & Rosenthal 1997, 414ff.
205
Unterbrechungen und Nachfragen des Beraters, als Stehgreiferzählung gestaltet
wird. Erst nachdem der Ratsuchende durch eine entsprechende Koda („Und
deshalb bin ich zu Ihnen gekommen...“, „und jetzt frage ich Sie,...“, o.ä.)
andeutet, dass er seine Haupterzählung beendet, beginnt der zweite Teil mit
erzählgenerierenden Nachfragen des Beraters. Dem kann der dritte Teil folgen,
der mit beschreibenden und theoretisch-argumentativen Fragen auf die
Eigentheorien des Erzählers zielt. Mit dem Verzicht auf direkte Fragen und der
Aufforderung zu einer sich frei entfaltenden Stehgreiferzählung wird es dem
Ratsuchenden ermöglicht, Gedanken, Erfahrungen und Erinnerungen in das
Beratungsgespräch einzubringen, auf die er bei direkten Fragen möglicherweise
nicht gekommen wäre. Dass dies funktioniert, begründet Schütze mit gewissen
Zugzwängen, unter die der Erzähler während des Erzählens gerät. Es sind vor
allem die Mechanismen des Gestaltungschließungs-, Kondensierungs- und
Detaillierungszwangs,
die
ihn
veranlassen, reichhaltige
Versionen
eines
Geschehens und seiner Erfahrungen zu erzählen1044. Auch die Prinzipien der
Gesprächsführung sind im narrativen Interview und in der psychosozialen
Beratung
ähnlich.
Hoffmann-Riem1045
fordert
für
die
interpretative
Sozialforschung das „Prinzip der Offenheit“, mit dem der Verzicht auf eine
hypothesengeleitete Datengenerierung gemeint ist, und das „Prinzip der
Kommunikation“, bei dem es um die Orientierung am Regelsystem der
Alltagskommunikation geht. Rosenthal nennt ergänzend folgende Prinzipien für
die Gesprächsführung in narrativen Interviews: offene Erzählaufforderung, Raum
zur Gestaltentwicklung, Förderung von Erinnerungsprozessen, Förderung der
Verbalisierung heikler Themenbereiche, aufmerksames und aktives Zuhören,
sensible und erzählgenerierende Nachfragen, Hilfestellung beim szenischen
Erinnern. All dies sind Prinzipien, die auch in der diagnostisch orientierten
Anfangsphase einer psychosozialen Beratung Geltung haben können1046.
Eine Schwäche des oben beschriebenen Verfahrens der Datenerhebung liegt im
Verzicht auf Tonaufzeichnungen der Gespräche. Dadurch sind die Vollständigkeit
der erhobenen Daten und die nach dem Beratungsgespräch vorgenommen
Einbettungen der Aussagen in die Erzählkontexte nicht nachprüfbar. Dieser
Problematik wurde auf verschiedene Weise entgegengewirkt. Einerseits wurden
die Selbstaussagen komplett und die übrigen Erzählteile stichwortartig
1044
vgl. Schütze 1977, 10; Kallmeyer & Schütze 1977, 188ff.; zit. nach Hopf 2003, 357; vgl. auch Flick 1996,
118
1045
vgl. Hoffmann-Riem 1980; zit. nach Rosenthal 1995, 186
1046
vgl. beispielsweise bei Sickendiek, Engel & Nestmann 2002, 129ff.
206
stenographiert, so dass die chronologische Entfaltung der Erzählung relativ
vollständig nachvollzogen werden konnte. Andererseits wurde das Protokoll in
direkter zeitlicher Nähe zum Gespräch verfasst. Das Design der Untersuchung,
zwei
unterschiedliche
Datensorten
–
Akten
von
langandauernden
Beratungsprozessen und Protokolle von Erstberatungen - zu benutzen,
ermöglichte darüber hinaus die wechselseitige Validierung der Erkenntnisse aus
der einen Datensorte mit denen aus der zweiten. Das entscheidende Kriterium
für die Abwägung der Schwächen und des Nutzens dieses Verfahrens bleibt das
Ziel dieser Studie: Es geht hier nicht um Theoriebildung im engeren Sinne oder
um die Überprüfung von Hypothesen, sondern darum, einen orientierenden
Überblick über das Feld der Ehegattenberatung zu erreichen und dabei
Hypothesen zu generieren.
Für die Auswahl der Fälle wurden folgende Kriterien zugrunde gelegt:
Allgemeine Kriterien (Falldefinition):
1. Es sollten Erstberatungen von ratsuchenden Ehegatten Demenzkranker
erfasst werden.
Im Zeitraum Mitte 2002 bis Ende 2003 habe ich dreiundzwanzig Erstberatungen
für Ehegatten Demenzkranker durchgeführt und protokolliert. Von diesen
entsprachen elf Fälle den folgenden Kriterien des zweiten Auswahlschritts:
2. In
den
Beratungen
sollten
möglichst
unterschiedliche
Themen
angesprochen worden sein (Tiefendimension des Feldes) mit einem
Schwerpunkt bei den psychosozialen Fragestellungen gegenüber den
rein informationsorientierten Fragen. Das bedeutet, Fälle, in denen es
ausschließlich um eine einzige Spezies von Sachfragen, wie z.B. die
Klärung von sozialrechtlichen Ansprüchen gegangen war, wurden nicht
einbezogen.
3. Es sollten möglichst ratsuchende Ehefrauen und Ehemänner vertreten
sein.
4. Die Fälle sollten sich, bezogen auf ihre Schwerpunktthemen und weitere
qualitative Merkmale, deutlich voneinander abheben, um eine gewisse
Bandbreite (Breitendimension des Feldes) zu erfassen.
207
5. Ich selbst sollte nicht in den weiteren Beratungsprozess des Falles
involviert
gewesen
sein,
um
ein
„In-der-Situation-Sein“1047
auszuschließen und damit die für die Analyse notwendige Distanz zum
Fall zu gewährleisten. Es handelt sich bei den ausgewerteten Fällen also
entweder um Fälle, bei denen es bei der einmaligen Beratung geblieben
ist, oder um Fälle, welche ich an andere Beraterinnen abgeben konnte.
Ein zwölfer Fall (Frau S.) wurde zu einem späteren Zeitpunkt noch in die
Stichprobe aufgenommen, weil er einen weiteren, bis dahin nicht aufgetauchten
Sonderfall repräsentiert. Zwei dieser zwölf Fälle waren keine Erstberatungen,
sondern Folgeberatungen1048. Sie wurden in die Stichprobe aufgenommen, weil
sie ebenfalls spezifische Aspekte des Feldes für die Auswertung beitragen
konnten (es handelt sich wiederum um den Fall von Frau S. sowie um den Fall
von Frau Q.).
Spezifische Kriterien (Breitendimension des Feldes):
1. Der Fall von Frau G. zeigt die Situation einer Ehefrau kurz nach Erhalt der
Diagnose.
2. Der Fall des Ehepaares H. ist einer der seltenen Fälle, in denen die
Ehepaare gemeinsam zur Beratung kommen. Der Fall illustriert, wie
schwer sich das Paar mit der Verschiebung der Rollen, Einfluss- und
Aufgabensphären tut.
3. Der Fall von Frau J. zeigt ein starkes Kommunikationsbedürfnis der
Ratsuchenden und die Bedeutung der Präsenz des Erkrankten für das
Wohlbefinden der Ehefrau.
4. Der Fall von Frau K. dreht sich um den Verlust des erkrankten Ehegatten
als Lebensgefährten und Gesprächspartner.
5. Im Fall von Frau L. geht es um die Unterstützung des Partners in seiner
Krise und um Loyalität und Vertrauen als bindende Wertvorstellungen für
die Ehe.
6. Der Fall von Frau M. wirft ein Licht auf eine langjährige Pflegesituation mit
einer hochgradig belasteten pflegenden Ehefrau.
7. Der Fall von Herrn N. demonstriert Verwicklungen, die entstehen können,
wenn eine Demenz in einer „schwierigen Ehe“ auftritt.
1047
1048
vgl. Soeffner 2003, 168
Diese beiden Fälle sind aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht zu einer dritten Gruppe, neben
langandauernden Beratungsprozessen und Erstberatungen, zusammengefasst worden, sondern sind in die
Gruppe der Erstberatungen eingeordnet worden.
208
8. Im Fall von Frau O. zeigt sich eine spezielle Problematik in
Fortsetzungsfamilien.
9. Der Fall von Herrn P. demonstriert eine besondere Problematik, wenn bei
einem chronisch psychisch kranken Ehegatten im Alter zusätzlich eine
Demenz auftritt.
10. Der Fall von Frau Q. und Tochter wirft die Frage nach der Gerechtigkeit
zwischen den Generationen auf.
11. Der Fall von Frau R. illustriert eine spezifische Interaktion zwischen
pflegender Ehefrau und besorgtem Sohn.
12. Der Fall von Frau S. präsentiert den Fall einer außerehelichen
Liebesbeziehung, bei der einer der Partner dement wird.
6.3
Auswertung
Insgesamt sind 18 Beratungen ausgewertet worden, darunter 12 für pflegende
Ehefrauen bzw. Partnerinnen und 6 für pflegende Ehemänner. Von den 18
Beratungen
waren
6
langandauernde
Beratungsprozesse
und
12
Erstberatungen.
Abbildung 12:
Verteilung der Fälle nach Geschlecht und Beratungsform
Langandauernde
Beratungsprozesse
Erstberatungen
Summe
Ehefrauen/Partnerinnen
3
9
12
Ehemänner
3
3
6
Summe
6
12
18
In
einem
ersten
Durchlauf
wurden
die
Daten
der
langandauernden
Beratungsprozesse und der Erstberatungen unter zwei Gesichtspunkten
ausgewertet:
•
Themen: Um für die Erfassung der in den Beratungen auftauchenden
Themen einen möglichst offenen Zugang zu gewährleisten, habe ich das
Verfahren des offenen Kodierens1049 der Grounded Theory angewendet.
Wenngleich
die
Grounded
Theory
sich
als
gegenstandsverankerten Theoriebildung versteht
1050
ein
Verfahren
zur
, so können einzelne
1049
vgl. Strauss & Corbin 1996, 43ff.; Strauss 1998, 90ff.; Glaser & Strauss 1998, 107ff.; Bosch 1998
1050
vgl. z.B. bei Strauss & Corbin 1996, 7
209
Schritte auch angewendet werden, ohne diese weitreichende Zielsetzung zu
verfolgen. Strauss & Corbin schreiben: „Nicht jeder Anwender von
Vorgehensweisen der Grounded Theory hat das Ziel, eine dicht
konzeptualisierte Theorie oder überhaupt eine Theorie zu erstellen. Diese
Vorgehensweisen werden oft benutzt für das, was wir ‚konzeptionelles
Ordnen’ unterschiedlicher Art nennen“1051. Dies genau ist das Ziel des
Arbeitsschrittes in der Auswertung der Beratungsdaten gewesen. Strauss &
Corbin empfehlen für das Auffinden von Themen explizit den Schritt des
offenen Kodierens1052. Beim offenen Kodieren werden die in den Daten
aufgefundenen Phänomene zunächst konzeptualisiert und in einem
weiteren Schritt kategorisiert1053.
Hierzu habe ich die Texte der
Beratungsdokumentationen aufgebrochen, d.h. alle entdeckten Phänomene
in einem Prozess des permanenten Vergleichens unter den Phänomenen,
die
in
den
verschiedenen
Fällen
auftauchten,
mit
konzeptuellen
Bezeichnungen versehen.
•
Zeitstruktur: Bei den langandauernden Beratungsprozessen habe ich
darüber hinaus die zeitliche Struktur des Falles in einem Zeitstrahl
dargestellt.
Im zweiten Durchlauf erfolgten Fallzusammenfassung, Fallstrukturierung und
Fallinterpretation nach den Kriterien Zugang, Zeitstruktur, Themen sowie
Besonderheiten des Falls. Ziel dieses Arbeitsschrittes war die Deskription der
Fälle („das Fremde zum Sprechen bringen“1054) in Form von „dichten
Beschreibungen“1055. „Dichte Beschreibungen“ sind – so Friebertshäuser - „eine
Form der schriftlichen Darstellung von Feldforschungsergebnissen, bei der
Szenen, Ereignisse, Erfahrungen und Dialoge literarisch verdichtet und im
Kontext des Gesamtzusammenhangs der untersuchten Kultur präsentiert
werden. Dabei gilt es, aus der Fülle von Daten und Beobachtungen (‚dünne
Beschreibungen’)
mit
Hilfe
von
hermeneutischen
Rekonstruktionen
die
intendierten Bedeutungen und den sozialen Sinn herauszuarbeiten und in einer
Weise darzustellen, die den Lesenden mitten hinein versetzt in das Geschehen,
ihnen einen Zugang zur Gedankenwelt und Alltagserfahrung der untersuchten
Subjekte eröffnet und dabei den kulturellen Gesamtkontext erschließt. Um zur
1051
Strauss & Corbin 1996, 17
1052
vgl. Strauss & Corbin 1996, 48
1053
vgl. Strauss & Corbin 1996, 43ff.
1054
vgl. Scheler 1923; Srubar 1981; zit. nach Soeffner 2003, 172
1055
vgl. Geertz 1983, 294; zit. nach Friebertshäuser 2003, 33ff.
210
dichten Beschreibung zu gelangen, werden verschiedene Datenmaterialien (...)
durch die analytische und theoretische Arbeit zum Sprechen gebracht. Eine
dichte
Beschreibung
basiert
auf
Selektions-,
Rekonstruktions-
und
Interpretationsprozessen, um auf diesem Weg zum Verstehen einer Kultur zu
gelangen.“1056 Die Ergebnisse der ersten beiden Durchläufe der Auswertung
finden sich im Kapitel 7.
Im dritten Durchlauf der Auswertung wurden die im ersten Schritt des offenen
Kodierens aufgetauchten und mit konzeptionellen Bezeichnungen versehenen
Themen fallübergreifend kategorisiert. Das Ergebnis dieses Auswertungsschrittes
findet sich im Kapitel 8.
1056
Friebertshäuser 2003, 33
211
7
Fallanalysen
7.1
Themen in langandauernden Beratungsprozessen
7.1.1
Beratungsprozess Frau A.
Zugang
Die ratsuchende Ehefrau eines 59-jährigen, seit etwa 4 Jahren an der AlzheimerKrankheit leidenden Mannes findet den Zugang zur Beratung über einen Kursus
für pflegende Angehörige Demenzkranker, den die Beratungsstelle in der Zeitung
angekündigt hatte.
Zeitstruktur
Der
Beratungsprozess
Einzelberatungskontakten.
erstreckt
Der
sich
Prozess
über
beginnt
5
im
Jahre
ersten
mit
Jahr
mit
15
3
Beratungskontakten, dann folgen drei Jahre mit sporadischen Kontakten (je 1-2
pro Jahr); das letzte Jahr hat einen deutlichen Schwerpunkt mit 7 Kontakten. Der
Überblick über den zeitlichen Verlauf dieses Beratungsprozesses findet sich im
Anhang 2.
Themen
Der Beratungsschwerpunkt des letzten Jahres ist die Auseinandersetzung mit der
Unterbringung des Partners in einem Altenpflegeheim und mit dem Tod des
Partners. Eine Übersicht über alle in diesem Beratungsprozess aufgetauchten
Themen gibt die folgende Abbildung.
212
Abbildung 13:
Themen im Beratungsprozess von Frau A.
Thema
Fundstelle
Auseinandersetzung mit der Unterbringung des Partners in einem Altenpflegeheim
A140, 151, 161ff., 183
Auseinandersetzung mit dem Tod des Partners
A175ff., 191, 196, 203
Seelische Belastung: hier Weinen
A40, 119
Bedeutung der eigenen Berufstätigkeit, Konflikt Berufstätigkeit vs. Pflege
A24, 85, 129
Allgemeines Befinden
A111, 128
Erste Anzeichen der Demenz wahrnehmen
A21
Auseinandersetzung mit dem Verfall des Partners: hier Niedergang des Denkvermögens
A177, 182
Problemverhalten des Patienten: Klammern
A26
Problemverhalten des Patienten: Bewegungsdrang
A83
Problemverhalten des Patienten: Verlaufen
A84
Problemverhalten des Patienten: aggressives Verhalten
A139
Ressourcen des Patienten: noch allein sein können
A25
Körperliche Komplikationen beim dementen Partner
A54
Unsicherheit, in die Sphäre des dementen Mannes eingreifen zu dürfen
A41ff.
Bedeutung des Einverständnisses des kranken Partners bei wesentlichen Entscheidungen
A184
Entscheidung über existenzielle Fragen für den Partner: lebensverlängernde Maßnahmen
A179f.
Mit dem Partner über die Krankheit sprechen
A41ff.
Loyalität
A44
Sorge um das Wohlergehen des Partners
A151
Rolle der Kinder: Stütze
A23
Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor
A56, 76, 140, 144, 151f., 161
Hilfeoptionen aus dem Medizinsektor
A137f.
Hilfeoptionen aus dem Bereich ehrenamtlicher Hilfen
A120
Hilfeoptionen aus dem Bereich technischer Hilfen
A86, 101, 109
Erfahrungen mit Hilfen aus dem Medizinsektor
A22, 138
Erfahrungen mit Hilfen aus dem Altenpflegesektor
A59
Pflegeversicherung
A57, 75
Expertenwissen als pflegende Angehörige an andere Betroffene weitergeben
A110
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt.
Analyse des Falles
Dieses Ehepaar ist das jüngste unter den ausgewerteten Fällen. Er ist 55 Jahre
alt, als die Demenzdiagnose bei ihm gestellt wird, eine sogenannte Youngeronset-Demenz mit charakteristischen Umständen: noch volle Berufstätigkeit zum
Zeitpunkt der Diagnose, Berentung wegen der Demenz, relativ junge Kinder (in
diesem Fall schon aus dem Elternhaus ausgezogen), die Ehepartnerin
berufstätig, beide Partner im späten mittleren Lebensalter (zu Beginn des
Beratungsprozesses ist er 59 Jahre alt, sie in ähnlichem Alter, vermutlich sogar
jünger).
213
Mit dem Merkmal der Berufstätigkeit der Ehefrau verdeutlicht dieser Fall, dass die
Wirklichkeit weitaus differenzierter ist als das Klischee der hochaltrigen Ehefrau,
die sich - selbst multimorbid - mit letzter Kraft allein auf die Versorgung ihres
pflegebedürftigen Mannes konzentriert. Frau A. steht in ihrem Alter an einer
anderen Stelle im Lebenszyklus als eine hochaltrige Ehefrau. Sie hat u.a. eine
längere
Zeitperspektive
noch
vor
sich
und
andere
typische
aktuelle
Lebensthemen. Ihre Situation ist in manchem, nicht in allem, eher vergleichbar
mit derjenigen von pflegenden Töchtern und Schwiegertöchtern, die häufig an
einer ähnlichen Stelle im Lebenszyklus stehen wie sie. Wie diese hat sie mit
Mehrfachbelastungen und Rollenkonflikten aus verschiedenen Richtungen zu
tun, und die Konflikte werden mit dem Fortschreiten der Demenz und dem
wachsenden Hilfebedarf des Erkrankten immer drängender. Nachdem die Phase
der Kindererziehung weitgehend abgeschlossen ist, steht sie wie viele Töchter
pflegebedürftiger alter Eltern erneut vor der Aufgabe, eine Balance zwischen der
Solidaritätsnorm, d.h. hier konkret dem Engagement für die Familie, und der
Individualisierungsnorm, d.h. dem Verwirklichen eigener Ziele1057, zu finden, einer
typisch
weiblichen
gesellschaftlichen
Zerreißprobe,
für
die
Modernisierungsprozesse
vor
dem
immer
Hintergrund
seltener
der
vorgefertigte
Lösungen bereitstehen. Gleichzeitig ist ihre Situation nicht vergleichbar mit
derjenigen von pflegenden Töchtern, denn ihr bricht durch die Demenz des
Ehegatten eine frei gewählte Bezugsperson weg, ein Mensch, mit dem sie vor
vielen Jahren eine Beziehung eingegangen ist. Anders als das Eltern-KindVerhältnis ist diese Beziehung prinzipiell auf Gegenseitigkeit angelegt, und sie ist
auf die Verwirklichung gemeinsamer Ziele ausgerichtet. Mit ihren Ehepartner
verbindet sie ein gemeinsames, auf Zukunft ausgerichtetes Lebensprojekt. Das
ist in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern nicht so.
In ihrer persönlichen Auseinandersetzung mit der Demenz des Partners steht am
Anfang des Beratungsprozesses ebenso wie am Ende dasselbe Thema. Sie
kreist um die Frage, inwieweit sie als Ehefrau in die Souveränität ihres Partners
eingreifen darf, und wie sie es vermeiden kann, ihre Loyalität ihm gegenüber
aufgeben zu müssen. Im ersten Beratungskontakt geht es um einen
Familienkonflikt und damit verbunden um Fragen von Souveränität und Loyalität.
Der demente Ehemann, der die Beziehung zu seinen Geschwistern vor Jahren
im Streit abgebrochen hat, äußert vermehrt den Wunsch, diesen Kontakt wieder
1057
vgl. Backes 1994, 149
214
aufleben zu lassen (41ff.)1058. Die Ehefrau ist unsicher, ob sie die Geschwister
ohne Wissen des Mannes über dessen Krankheit aufklären soll. Mit ihm selbst
spricht sie offenbar nicht über seine Krankheit. Würde sie seine Geschwister über
seine Demenz informieren, dann bedeutete das zweierlei. Sie würde ihnen ohne
sein Einverständnis etwas sehr Persönliches anvertrauen – was einen Eingriff in
seine Souveränität bedeutete. Und sie würde hinter seinem Rücken mit seinen
Gegnern (er ist immerhin noch mit ihnen zerstritten) kollaborieren – was einem
Verrat gleichkäme. Sie befindet sich in einem Dilemma, denn auch wenn sie es
nicht täte, würde sie seine Interessen verraten. Sie ahnt, dass ihm jetzt, in seiner
letzten Lebensphase, die Aussöhnung mit seinen Geschwistern viel bedeuten
könnte, dass er hier etwas in Ordnung bringen möchte. Seine Demenz macht ihn
aber äußerst verletzlich und seine Bemühungen um Versöhnung könnten
vollkommen fehlschlagen, wenn seine Geschwister nicht über seinen Zustand
informiert würden, seine Absichten missverstehen und ihn dann mit ihrer weitaus
überlegenen Rhetorik demütigen würden. Was sie auch tut, sie muss das Gefühl
haben, sich ihm gegenüber illoyal zu verhalten.
In den letzten Beratungsgesprächen geht es wieder um Loyalität und
Souveränität. Sie setzt sich mit der Unterbringung ihres Mannes in einem
Altenpflegeheim auseinander, einer weitreichenden Entscheidung, die sie für ihn
treffen muss. Im vorletzten Gespräch, nach dem Tod des Partners, resümiert sie
noch einmal, wie es zu der Heimaufnahme gekommen war. Sie erzählt in diesem
Zusammenhang eine Begebenheit, die sich kurz vor seinem Tod zugetragen
hatte. Er hatte schon lange nicht mehr gesprochen, habe sie aber plötzlich, als
sie ihn in dem Altenpflegeheim besucht habe, gefragt: „Was ist das hier für ein
Haus“. Sie habe ihren Ohren nicht getraut, ihn sprechen zu hören, und habe
geantwortet: „Eine Art Krankenhaus“ und „Du fühlst dich nicht sehr wohl hier,
nicht wahr?“. Er daraufhin: „Ja“. Sie: „Aber was sollen wir denn machen? Wir
haben keine Alternative.“ Er: „Ja, du kannst das auch nicht, Maria.“1059 (184) Sie
wirkt in dem Beratungsgespräch deutlich wahrnehmbar berührt von dieser
Antwort ihres Mannes. Es scheint so, als hätte er ihr in einem letzten klaren
Augenblick sein Einverständnis gegeben, dass sie richtig gehandelt hatte. Neben
dem
erstaunlichen
Phänomen,
dass
ein
dementer
Patient
in
diesem
fortgeschrittenen Krankheitsstadium, kurz vor seinem Tod, derart zutreffend
1058
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Aktes des Beratungsprozesses, auf die
der Text Bezug nimmt.
1059
Name anonymisiert
215
seine und die Situation seiner Ehefrau erfassen und zur Sprache bringen kann,
wird hier deutlich, dass das Paar weiterhin als Paar existiert. Obwohl sie allein
die Entscheidung zur Heimaufnahme hatte treffen müssen, spricht sie zu ihm in
der „Wir-Form“: „Was sollen wir denn machen?“, nicht „Was soll ich denn
machen?“. Sie spricht auch nicht in der Vergangenheitsform, sie sagt nicht „Was
sollte ich denn machen?“ sondern „Was sollen wir denn machen?“. Das heißt, sie
fragt ihn in diesem Augenblick und bezieht ihren Mann noch einmal tatsächlich in
die Entscheidung mit ein. Und sie wirkt wie erlöst durch seine Zustimmung. Damit
ist es nicht mehr ihre alleinige Entscheidung, sondern er zeigt ihr, dass er hinter
ihr steht, und dass sie als Paar diese Entscheidung tragen.
7.1.2
Beratungsprozess Frau B.
Zugang
Die ratsuchende Ehefrau, die mit ihrem 85-jährigen, seit langem an einer
Demenz erkrankten Ehemann zusammen lebt, findet den Kontakt zur
Beratungsstelle über die Vermittlung durch eine Kirchengemeinde.
Zeitstruktur
Der Fall erstreckt sich über einen Zeitraum von 13 Monaten mit insgesamt 11
Beratungskontakten für die ratsuchende Ehefrau und 17 Kooperationskontakten
zwischen der Beraterin und anderen professionellen Akteuren aus dem
Altenpflege- und Medizinsektor. Im Vergleich zu den anderen ausgewerteten
Fällen ist dies der kürzeste, gleichzeitig mit der Vielzahl der Kontakte der
dichteste
Fall.
Der
Überblick
über
den
zeitlichen
Verlauf
dieses
Beratungsprozesses findet sich im Anhang 2.
Themen
In den ersten Kontakten geht es darum, eine Betreuung für den kranken
Ehemann zu organisieren, damit die Ehefrau an einem über elf Wochen
laufenden Kursus teilnehmen kann, den die Beratungsstelle für pflegende
Angehörige Demenzkranker anbietet. Organisatorische Fragen rund um dieses
Problem bestimmen weite Teile des Beratungsprozesses (71, 78, 85, 92, 100,
107, 114, 119, 130, 152, 161, 169, 179, 186). Die Arbeit der Beraterin nimmt
216
hierbei Case-Management-Qualitäten an, in dem sie die Betreuung organisiert,
die Ausführung überwacht und bei Schwierigkeiten regulierend eingreift.
Abbildung 14:
Themen im Beratungsprozess von Frau B.
Thema
Fundstelle
Sorge um das eigene Wohl der Ratsuchenden
B122, 196f., 264, 305
Allgemeines Befinden
B246
Eigene Erkrankungen der Ratsuchenden
B288
Seelische Belastung, hier: Weinen, Zittern
B121
Angst vor dem Ehemann
B116
Mit dem Ehemann „nicht fertig werden“
B275
Scham für das Verhalten des Ehemannes
B118, 261
Den Mann schützen wollen
B216
Eigene Interessen wieder aufnehmen
B305
Kognitive Störungen des Erkrankten: situative Orientierungsstörung
B172
Problemverhalten des Erkrankten: Ungeduld
B171
Problemverhalten des Erkrankten: herrisches, aggressives Verhalten
B8, 150, 171, 257
Problemverhalten des Erkrankten: Schlagen der Ehefrau
B117, 151, 170, 213, 275
Problemverhalten des Erkrankten: Schlagen anderer Personen
B204f.
Problemverhalten des Erkrankten: Affektlabilität
B150
Problemverhalten des Erkrankten: Verlassen des Hauses bei Desorientiertheit
B258
Problemverhalten des Erkrankten: Unruhe
B256, 274
Problemverhalten des Erkrankten: nächtliche Unruhe
B273
Problemverhalten des Erkrankten: situative Verkennung
B172
Auseinandersetzung mit der Situation nach der Unterbringung des Ehemannes im Altenpflegeheim
B303f.
Stete Anwesenheit des dementen Partners, hier: nicht ungestört telefonieren können
B47
Entscheidungen dem Ehemann gegenüber begründen
B287
Den Patienten nicht unbeaufsichtigt lassen können, hier: wohin mit dem Patienten während der
Beratungsgespräche
B57, 71, 247, 255
Hilfeoptionen aus dem Medizinsektor
B10, 24-28, 56, 64, 239, 272,
248
Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor
B64, 259
Altenpflegeheim
B123, 153f., 289, 291
Motivation des Erkrankten zur Inanspruchnahme von Hilfen
B13, 21, 189
Erfahrungen mit der Inanspruchnahme von professionellen Diensten
B186f., 195, 204f., 214, 238,
248, 272, 276, 286, 299ff.
Ansprüche aus der Pflegeversicherung, Krankenversicherung
B9, 35, 46, 149, 277ff.
Überforderung mit Schriftverkehr
B120
Ohne Unterstützung allein zurechtkommen wollen
B262, 265
Gewissermaßen unbeabsichtigt, auf dem Weg zu einer anderen Stelle des Gerontopsychiatrischen
Zentrums, in der Beratungsstelle auftauchen
B115
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt.
Ein zweiter Schwerpunkt ist das gewalttätige Verhalten des dementen
Ehemannes: ungeduldiges (171), herrisches, aggressives Verhalten (8, 150, 171,
257); Schlagen der Ehefrau (117, 151, 170, 213, 275), Schlagen anderer
Personen (204f.); weiteres Problemverhalten des Ehemannes: Affektlabilität
(150), Unruhe (256, 274), Verlassen des Hauses bei Desorientiertheit (258),
217
situative Verkennung (172), nächtliche Unruhe (273). Mit diesem Komplex sind
weitere Themen assoziiert: Angst vor dem Ehemann (116), mit dem Ehemann
„nicht fertig werden“ (275); Scham für das Verhalten des Ehemannes (118, 261),
Entscheidungen dem Ehemann gegenüber begründen (287); den Mann schützen
wollen (216); seelische Belastung, hier: Weinen, Zittern (121).
Neben diesen Fragen tauchen eine Reihe weiterer Themen im Laufe des
Beratungsprozesses auf. Eine Übersicht über alle in diesem Beratungsprozess
angesprochenen Themen gibt die oben stehende Abbildung.
Analyse des Falles
Die ratsuchende Ehefrau, die mit ihrem 85-jährigen, seit langem an einer
Demenz erkrankten Ehemann zusammen lebt, wird vom Diakon einer
Kirchengemeinde betreut, der den Kontakt zur Beratungsstelle herstellt. Der
Diakon beschreibt als vordringliches Problem das „herrische und aggressive
Verhalten“ des dementen Ehemannes. Das Ehepaar hat zu diesem Zeitpunkt
keine weiteren Hilfen (2ff.).
Ein erstes auffälliges Merkmal dieses Falles sind die vielen Kooperationskontakte
zwischen professionellen Akteuren „rund um das Ehepaar herum“. Bevor es
überhaupt zum ersten Kontakt zwischen Beraterin und der ratsuchenden Ehefrau
kommt, liegen mehrere Kooperationen zwischen Beraterin und Diakon bzw.
Beraterin und Ärztin. Es scheint, die Professionellen haben zu diesem Zeitpunkt
bereits eine vorläufige Diagnose des Hilfebedarfs und auch eine erste
Hilfeplanung aufgestellt: Der demente Ehemann soll in ärztliche Behandlung, die
Ehefrau in den Kursus „Verwirrtheit im Alter“, den die Beratungsstelle für
betroffene Angehörige anbietet. Der Diakon fungiert als Vermittler zwischen
Beraterin
und
Klientin,
was
immer
wieder
zu
komplizierten
Kommunikationsformen führt, wenn die Beraterin ihrerseits zur Vermittlerin zu
weiteren Stellen wird (z.B. zur Ärztin oder zum ambulanten Pflegedienst). Der
Kontakt zwischen Beraterin und ratsuchender Ehefrau baut sich sehr langsam
auf. Nicht von der Klientin selbst initiiert, bleibt dieser Beratungsprozess lange
Zeit durch indirekte, über den Diakon vermittelte Kontakte gekennzeichnet. Die
Verbindung zwischen Beraterin und Klientin wird erst dann direkter, als die
Ehefrau am Kurs teilnimmt und dort die Beraterin (die den Kurs leitet) näher
kennenlernt. Ab diesem Zeitpunkt tritt der Diakon in den Hintergrund. Parallel
dazu vollzieht sich eine qualitative Verschiebung der Themenschwerpunkte in
218
den Beratungen, von zunächst sachbezogenen, organisatorischen Fragen über
die Thematisierung der vielfältigen Belastungen bis hin zur persönlichen
Auseinandersetzung mit Verlusten im letzten Beratungsgespräch.
Ein weiteres Merkmal dieses Falles ist die Schwere der Problematik. Die
Dokumentation
verzeichnet
eine
Bandbreite
verschiedener
schwieriger
Verhaltensweisen des dementen Mannes, mit denen die Ehefrau im Alltag
zurecht kommen muss: ungeduldiges, herrisches, aggressives Verhalten,
Schlagen der Ehefrau, Unruhe, Verlassen des Hauses bei Desorientiertheit,
nächtliche Unruhe. Die Ehefrau erlebt im Verlauf des Beratungsprozesses, wie
mehrere professionelle Dienste an den problematischen Verhaltensweisen des
Mannes scheitern. Die Mitarbeiterin eines ambulanten Pflegedienstes flüchtet vor
den Schlägen des Mannes und weigert sich, weiter bei ihm tätig zu sein; die
Ärzte wechseln innerhalb des kurzen Zeitraumes von gut einem Jahr mehrfach
(zwei Psychiater, Hausarzt, Notarzt, Klinik); ein erster Altenheimaufenthalt wird
bereits nach 4 Tagen abgebrochen.
Die Gewalttätigkeit des dementen Mannes ist durchgehend Thema in diesem
Beratungsprozess. „Herrisches und aggressives Verhalten“ wird schon im ersten
Kooperationskontakt zwischen Diakon und Beraterin als vordringliches Problem
wahrgenommen (8). Zum 2. Beratungskontakt Mitte Februar erscheint die
Ehefrau mit einem blauen Auge. Die Beraterin dokumentiert: „...vermutlich ist sie
von ihrem Mann geschlagen worden“ (117) und „Ihr ist es auch peinlich, dass
jemand anderes ihren Mann so aggressiv erlebt“ (118). Die Dokumentation lässt
nicht erkennen, auf welche Weise die Problematik in den Beratungsgesprächen
besprochen worden ist. Erkennbar sind aber die Strategien der Beraterin. Sie
versucht zunächst, die Frau zur Sorge um sich selbst zu ermutigen (119, 122)
und scheint darauf zu setzen, dass eine Altenheimaufnahme des Mannes
unmittelbar bevor steht (123). Darüber hinaus wird sie hoffen, dass die Ehefrau in
dem Kurs, der am selben Abend beginnt (133 ff.), einiges über den Umgang mit
Demenzkranken lernen wird, um kritische Situationen zukünftig besser
deeskalieren zu können. Als die Beraterin zwei Monate später, im Juni, erneut
von einem Gewaltausbruch des Mannes erfährt, bei dem sogar der Einsatz eines
Notarztes erforderlich gewesen war, bemüht sie sich darum, den Mann zu einer
stationären Krankenhausbehandlung einweisen zu lassen (228, 235). Dazu
kommt es dann jedoch nicht, wobei die Dokumentation nicht hergibt, ob die Ärztin
keine Indikation gesehen hat, oder, was wahrscheinlicher ist, ob sich die Ehefrau
219
letztlich dagegen entschieden hat (239). Als die Ehefrau im August in einem
Beratungsgespräch erneut über Ausbrüche und Problemverhalten des Mannes
klagt
(256ff.),
präsentiert
die
Beraterin
Entlastungsmöglichkeiten, angefangen von einer
ihr
unterschiedliche
Putzhilfe über ambulante
psychiatrische Pflege bis hin zur Heimunterbringung (259), ohne dass die
Ehefrau auf eines dieser Angebote eingehen mag (260ff.). Die Beraterin notiert
eine deutliche Ambivalenz der Ehefrau: „Die ‚Ja-abers’ bleiben bestehen“ (265)
und „...ihre größte Sorge ist es, dass ihr Mann sich bei Fremden schlecht
benimmt“ (261).
Der Fall nimmt einen ambivalenten Ausgang. Die Situation muss sich in den
letzten Monaten des Fallverlaufs enorm zugespitzt haben, die „Unruhe des
Mannes ... ein offenbar bis dahin nicht gekanntes Ausmaß angenommen haben.
Sie sei nicht mehr mit ihm fertig geworden, auch vermehrt geschlagen worden“
(273ff.). Nach zwei Krankenhausaufenthalten und einem gescheiterten Aufenthalt
in einem Münsteraner Altenheim wird der Mann in einem Heim in einer weiter
entfernten Stadt untergebracht. Im letzten Beratungsgespräch weint Frau B.
einerseits darüber, dass ihr Mann so weit von ihr entfernt lebt. Andererseits
deutet sich im letzten Kontakt an, dass sie sich dem Leben ohne den Mann stellt
und diesem Leben durchaus Positives abgewinnen kann. Sie spricht von Urlaub,
Ausschlafen, Gymnastik und sucht konkret sozialen Anschluss (305). Es wirkt ein
wenig so, als würden ihre Lebensgeister wieder wach.
Der ganze Fall wirft die Frage auf, weshalb diese Frau so lange eine derart
belastende und für sie persönlich sogar gefährliche Situation ertragen hat. Für
eine Antwort wäre es notwendig, vieles über die einmalige Geschichte der Ehe
dieser beiden Menschen zu erfahren, denn vermutlich wird die Vergangenheit
des Paares für das Ausharren eine wesentliche Rolle gespielt haben. Umso
bemerkenswerter ist es, dass in dem Beratungsprozess an keiner Stelle die
Ehegeschichte zum Thema geworden ist – zumindest gibt die Dokumentation
keine entsprechenden Hinweise. Angehörigenberatung, diese Vermutung drängt
sich hier auf, ist so stark an der Demenzproblematik und an der Wahrnehmung
der Ratsuchenden als „pflegenden Angehörigen“, also allein in ihrer Funktion und
nicht in ihrer Beziehung, orientiert, dass die Dimension der Ehe nicht in den
Horizont der Beratung gelangt.
220
Eine zweite Erklärung kann man aus Äußerungen der Ehefrau schlussfolgern. Es
sei ihr peinlich, wenn jemand ihren Mann aggressiv erlebe (118) bzw. ihre größte
Sorge sei, der Mann könne sich vor Fremden schlecht benehmen (261). Diese
Aussagen lassen sich in zwei Richtungen interpretieren. Die Ehefrau erträgt das
aggressive Verhalten ihres Mannes, weil sie ihn auch anders aus früheren Tagen
kennt, während Fremde ihn nur in diesem Zustand kennen lernen. Es geht ihr
darum, das Bild des Mannes, das er in der Welt hinterlässt, nicht zu
beschädigen. Es geht ihr um seine Würde. Der Mann steht kurz vor dem Ende
seines Lebens, und er soll als derjenige in Erinnerung bleiben, der er vor der
Demenz gewesen ist. In einer anderen Lesart fürchtet die Ehefrau, das Verhalten
des Mannes könne auch auf sie selbst zurückfallen. Sie sieht sich und ihren
Mann als Einheit. Was immer einer der beiden tut, tut er als Teil des Paares. Die
Wirkungen nach innen sind für sie nicht so bedeutend wie die Wirkungen nach
außen.
Einen dritten erklärenden Hinweis für die Zurückhaltung der Ehefrau, Hilfen in
Anspruch zu nehmen, geben ihre Erfahrungen mit professionellen Diensten. Die
Frau erlebt an mehreren Stellen, dass ihre Befürchtung sich bewahrheitet,
professionelle Hilfen würden nicht funktionieren und sogar kontraproduktiv sein,
indem sie den Mann noch mehr gegen sie aufbringen. An der entscheidenden
Stelle in diesem Fall, als die Beraterin ihr den vermeintlichen Rettungsring in
Form der Krankenhauseinweisung des Mannes zuwirft, verhält sich Frau B.
eigentlich kompetent und folgerichtig, als sie ihn zurückweist. Wenn Sie einer
Krankenhausbehandlung zustimmen würde, riskierte sie, ihren Mann erneut
gegen sich aufzubringen. Sie hat keinerlei Garantie, dass er gebessert entlassen
wird. Sicher ist nur, dass er entlassen wird. Im schlimmsten Fall hätte sie ihn
dann aggressiver als zuvor wieder zu Hause. Sie setzt darauf, den Mann so
wenig wie möglich zu beunruhigen, und wenn es hart auf hart kommen sollte,
den Notarzt zu rufen. Sie stimmt erst dann einer Krankenhauseinweisung zu, als
die Lage derart zugespitzt ist, dass offenbar auch der nächste Schritt, die
Heimunterbringung, unausweichlich ist (272 ff.). Diese Überlegungen provozieren
die Anforderung, bei der besonders von Ehegatten so häufig berichteten
Zurückhaltung gegenüber professionellen Diensten sehr genau nach den
gemachten Erfahrungen mit Diensten zu schauen und nach den tatsächlichen
Wirkungen, Nebenwirkungen und Mitbedeutungen, die sie in der Lebenssituation
des betroffenen Paares entfalten.
221
Einen
weiteren
denkbaren
Erklärungsansatz
für
die
Ablehnung
der
Krankenhauseinweisung liefert Frau B. in einem der späten Beratungstermine.
Nach der Einweisung ihres Mannes kommt sie in die Beratungsstelle und fragt
besorgt, wer die Behandlung bezahlen werde, und ob sie Pflegegeld
zurückzahlen müsse (277ff.). Sollte hier ein schlichtes Informationsdefizit
vorgelegen haben, das sie so lange ausharren ließ, weil sie befürchtete, für die
Kosten der psychiatrischen Krankenhausbehandlung aufkommen zu müssen?
Ganz abwegig ist dieser Gedanke nicht, denn psychiatrische Kliniken werden in
der Bevölkerung auch heute noch häufig nicht als Krankenhäuser, sondern als
Anstalten wahrgenommen, deren Finanzierung man nicht unbedingt im
Zuständigkeitsbereich der Krankenkassen vermutet.
7.1.3
Beratungsprozess Frau C.
Zugang
Als die ratsuchende Ehefrau erstmalig die Beratungsstelle aufsucht, leidet der
80-jährige Ehemann seit etwa 2 Jahren an ersten Anzeichen einer AlzheimerDemenz. Über den Zugangsweg zur Beratung gibt die Dokumentation keine
Auskunft.
Zeitstruktur
Der Beratungsprozess erstreckt sich über 5 Kalenderjahre mit insgesamt 17
Beratungskontakten. Die Kontakte verteilen sich ziemlich gleichmäßig auf die
Jahre, meist 3-5 pro Jahr, mit Ausnahme des vorletzten Jahres, in das nur 1
Kontakt fällt. Innerhalb der Jahre liegen die Kontakte dicht bei einander. Es gibt
also
Beratungsphasen,
zwischen
denen
jeweils
etliche
Monate
ohne
Beratungsbedarf liegen. Der Überblick über den zeitlichen Verlauf dieses
Beratungsprozesses findet sich im Anhang 2.
222
Themen
Abbildung 15:
Themen im Beratungsprozess von Frau C.
Thema
Fundstelle
Belastung der Ratsuchenden
C15, 83, 179
Allgemeines Befinden
C55
Sorge der Ratsuchenden um das eigene Wohl
C14, 56f., 65, 88, 98, 129, 186,
C193, 250
Umgang mit dem Tabu Demenz
C131
Umgang mit Schuldgefühlen
C178, 216
Trauer
C85, 216
1060
Problemverhalten des Erkrankten
: Weinen bei Anforderungen
C47
Problemverhalten des Erkrankten: wiederholtes Fragen
C47, 173
Problemverhalten des Erkrankten: Aggression
C120, 175
Problemverhalten des Erkrankten: Schreien
C155
Problemverhalten des Erkrankten: Inaktivität
C174
Problemverhalten des Erkrankten: Schweigen
C154, 176
Problemverhalten des Erkrankten: Hilfe verweigern
C121
Problemverhalten des Erkrankten: Orientierungsstörung
C47
Krankheitsverlauf
C119
Akzeptanz der Demenz des Ehemannes
C11, 13, 21, 44, 84, 128, 131
Umgang mit Schwankungen der Symptomatik
C12, 45, 73
Veränderung der Beziehung: Übernahme einer Haltung fürsorglicher Autorität
C100, 130
Beschäftigung, Alltagsgestaltung mit dem dementen Partner
C124
Auseinandersetzung mit der Unterbringung des Partners im Altenpflegeheim
C203, 211
Auseinandersetzung mit der Situation nach der Unterbringung des Ehemannes im Altenpflegeheim
C203, 211, 213f.
Sorge um das Wohl des Partners
C204, 212, 219. 227, 241
Verstehen des Erkrankten, Umgang
C97, 192, 217
Stete Anwesenheit des Erkrankten: nicht ohne Beisein des dementen Ehemannes telefonieren
können
C82, 156
Hilfeoptionen aus dem Altenhilfesektor
C23, 99, 125ff., 153, 157ff.,
187, 201, 202, 250
Hilfeoptionen aus dem Medizinsektor
C74, 101, 118, 123, 146, 191
Hilfeoptionen aus dem Bereich niedrigschwelliger Angebote
C24
Hilfeoption Gesprächskreis/Kurs „Verwirrtheit im Alter“
C22, 72, 240, 257, 261ff.
Hilfeoption Psychotherapie für die Ratsuchende
C233, 258
Erfahrungen mit der Inanspruchnahme von Hilfen
C46, 74, 190
Konflikte mit Personal im Heim
C215, 218, 227ff., 241f., 253ff.
Konflikte mit Personal eines ambulanten Dienstes
C190
Motivation des Erkrankten zur Nutzung von Hilfen
C101, 157, 177
Pflegeversicherung
C102
Familienberatung: Aufklärung der Tochter
C116f.
Umgang mit normativen Erwartungen aus der Umwelt die Pflege betreffend
C188f.
Gewissermaßen unbeabsichtigt, auf dem Weg zu einer anderen Stelle des Gerontopsychiatrischen
Zentrums, in der Beratungsstelle auftauchen
C64, 81, 200
Zurückhaltung gegenüber Beratungsangebot
C87
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt.
1060
zu einem früheren Zeitpunkt, als oben unter Schwerpunktthemen angegeben
223
Durch die ersten beiden Jahre dieses Falles zieht sich das Thema „Akzeptanz
der Demenz des Ehemannes“ (11, 13, 21, 44, 84, 128, 131). Damit verknüpft
sind Themen wie „Umgang mit Schwankungen der Symptomatik“ (12, 45, 73)
und Trauer (85). Im dritten Jahr stehen problematische Verhaltensweisen des
Ehemannes wie Aggressionen (120, 175), Schweigen (154, 176), Schreien (155),
Inaktivität (174), wiederholtes Fragen (47, 173) im Zentrum. In den letzten beiden
Beratungsjahren nimmt die Auseinandersetzung mit der Unterbringung des
Partners im Altenpflegeheim (203, 211) breiten Raum ein, damit verbunden die
Sorge um das Wohl des Partners im Heim (204, 212, 219, 227, 241), Konflikte
mit Mitarbeitern des Heimes (215ff., 227ff., 242, 253ff.) und eigene Gefühle wie
Trauer und Schuldgefühle (216). Die Übersicht über alle in diesem Fall
angesprochenen Themen zeigt die oben stehende Abbildung.
Analyse des Falles
Der rote Faden in diesem Fall ist die Auseinandersetzung der Ehefrau mit der
dramatischen und fortschreitenden Veränderung ihres Mannes und ihr Kampf
dagegen. In den ersten Beratungskontakten zweifelt sie daran, ob ihr Mann
tatsächlich an einer Demenz erkrankt ist (11). Ihre Zweifel werden immer wieder
dadurch genährt, dass der Erkrankte „zwischendurch so normal ist“ (12) und eine
„gute Fassade“ (45) zeigt, Merkmale, die allerdings für die Anfangsphase einer
Demenz typisch sind. Auch den Umstand, dass die Alzheimer-Demenz nicht
direkt nachgewiesen, sondern nur auf dem Wege eines Ausschlussverfahrens
diagnostiziert werden kann, und folglich die Diagnose immer mit der
Formulierung „vermutliche Alzheimer-Demenz“ ausgesprochen wird, nimmt diese
Ehefrau als Beleg für die Berechtigung ihrer Zweifel (46). Der Boden, auf dem
ihre Zweifel wachsen, ist aber vermutlich noch vor diesen äußeren Umständen
ihre innere Gefühlslage zu der damaligen Zeit. Sie wird Zeugin einer
tiefgreifenden Veränderung ihres Mannes, und das macht sie wütend und
ohnmächtig zugleich. Sie offenbart diese Gefühle, als sie am ersten Abend des
Kurses für Angehörige Demenzkranker ihre Erwartungen an den Kursus
formuliert: Sie möchte einen „Umgang mit eigener Wut/Ohnmacht [finden],
ruhiger werden, mit der Situation umgehen können“ (48). Zu einem späteren
Zeitpunkt spricht sie über ihre Trauer (85). Im weiteren Verlauf der Beratung
thematisiert sie ihre Zweifel nicht mehr, allerdings weiterhin, bis in das zweite
Beratungsjahr hinein ihre Schwierigkeiten, die Situation zu akzeptieren (11, 13,
21, 44, 64, 128).
224
Im dritten Jahr „beweist“ ihr Mann ihr mit zahlreichen Verhaltensstörungen, dass
er dement ist (154, 155, 173, 174, 175, 176). In familientheoretischen Arbeiten
über die Demenz wird das Maß an Ambiguität, die sich immer dann ergibt, wenn
eine Diskrepanz zwischen physischer und psychologisch erlebter Präsenz des
Kranken wahrgenommen wird, als ein wesentliches Merkmal betrachtet, das den
Interaktionsstil zwischen Angehörigen und Patienten kennzeichnet1061.
Dem
Merkmal Ambiguität wird auch prädiktiver Wert für das Auftreten von
zugesprochen1062,
Verhaltensstörungen
wobei
Verhaltenssymptome
des
Demenzkranken nicht monokausal aus familiären Interaktionsstilen abgeleitet
werden, sondern komplexe, bisher offenbar wenig erforschte Interdependenzen
angenommen werden müssen1063. Auf den Fall von Frau C. bezogen können
diese theoretischen Überlegungen dazu führen, die Vielzahl der problematischen
Verhaltensweisen des Ehemannes als einen Hinweis darauf anzusehen, dass
seine Frau auch im dritten Beratungsjahr weiter gegen die Krankheit ankämpft.
Dass
sie
diesen
Kampf
auch
in
den
letzten
beiden
Jahren
des
Beratungsprozesses nicht aufgibt, illustriert eine kleine Begebenheit in einer
Beratungssitzung1064. Der Ehemann ist inzwischen in einem Altenpflegeheim
untergebracht und Frau C. thematisiert in der Beratung vielerlei Konflikte mit dem
Pflegepersonal. Unter anderem erzählte sie folgenden Streitpunkt:
Ihr Mann
habe sein Haar stets zu einer bestimmten Seite hin gescheitelt. Die Pflegerinnen
allerdings frisierten sein Haar nun zur anderen, zur „falschen“ Seite hin, was Frau
C. sehr ärgere. Sie habe bei ihrem letzten Besuch deshalb den Mann wieder auf
die herkömmliche Weise frisiert und dies den Pflegerinnen gegenüber mit dem
Satz kommentiert: „Das ist mein Theo1065 C. wieder!“. Vordergründig geht es hier
um die Frage, ob der Mann gut gepflegt wird. Die Sorge von Frau C. ist auch
durchaus berechtigt. Sie ist diejenige, die ihren Mann seit Jahrzehnten kennt. Sie
weiß, was ihm gut tut, wie er die Dinge haben möchte, welche Prioritäten er setzt.
Die unzähligen kleinen alltäglichen Dinge, die das Leben dieses Mannes
angenehm machen, kennt nur sie. Eigentlich ist dies ein Punkt, an dem eine
intensive Kooperation zwischen Pflegepersonal und Angehöriger ansetzen
könnte. Doch das geschieht hier nicht, hier kommt es zu einem Machtkampf.
Frau C. liefert in der Beratung einige Hinweise, dass dabei unter anderem auch
1061
vgl. Boss, Caron & Horbal 1988; Boss et al. 199;0, zit. nach Gunzelmann 1991, 50
1062
vgl. Gunzelmann 1991, 55f.
1063
vgl. Gunzelmann 1991, 56
1064
Diese Begebenheit ist in der Akte nur angedeutet (229, 232). Die Einzelheiten wurden der Verfasserin in
einem mündlichen Gespräch von der Beraterin mitgeteilt.
1065
Der Name wurde anonymisiert.
225
ein strukturelles Problem zum Tragen kommt. Sie klagt mehrfach, in dem Heim
keine Ansprechpartner zu finden (228, 254). Heime tun oft zu wenig dafür, um
Angehörige dabei zu unterstützen, nach der Heimaufnahme eine neue Rolle in
der Versorgung des erkrankten Familienmitgliedes und eine Rolle in der
Institution zu finden. Darüber hinaus zeigt die Begebenheit aber noch andere
Ebenen des Problems, die wiederum das Hauptthema dieses Falles, die
Auseinandersetzung mit der Veränderung des Ehemannes, aufnehmen. Frau C.
erlebt, wie die Demenz fortschreitet und ihren Mann weiter verändert. Doch nicht
nur die Krankheit macht ihn ihr fremd, sondern auch die neue Lebenssituation
nach der Heimaufnahme. Er wird ihr dadurch fremd, dass sie den Alltag nicht
mehr mit ihm teilt, sie sind „getrennt von Tisch und Bett“. Und sie muss erleben,
wie andere Frauen ihrem Mann sehr nahe kommen und obendrein sein
Erscheinungsbild verändern. In dem Akt des „Frisierens“ schafft sie sich wieder
„ihren“ Mann und begehrt gegen all das auf. Der Ausruf „Das ist mein Theo C.
wieder!“ ist ein kleiner, allerdings vergänglicher Triumph. Das Thema, von ihm
Abschied nehmen zu müssen, ist am Ende des Beratungsprozesses immer noch
so virulent, dass es Frau C. sogar schwer fällt, ganz real am Ende ihrer Besuche
im Altenheim sich von ihrem Mann zu verabschieden. Sie thematisiert das in
einem der Gespräche und erhält von der Beraterin Verstehenshilfen und
Umgangshinweise (217).
Aus einer anderen Perspektive betrachtet zeigt dieser Fall, wie die Ehefrau in der
Begegnung mit der Umwelt, hier besonders mit Institutionen der Altenpflege, zur
Anwältin ihres Mannes wird. An verschiedenen Stellen in den letzten beiden
Jahren berichtet sie über ihre Sorge, dass es dem Mann in dem Heim nicht gut
gehe. Sie erlebt, dass er häufig eingenässt ist (227, 253) oder fixiert wird (241).
Sie überlegt, ihn innerhalb des Heimes oder in ein anderes Heim verlegen zu
lassen (214), entschließt sich dann doch, ihn dort zu belassen. Sie übernimmt
dann die Rolle der Interessenvertretung für ihn, indem sie in die Konfrontation mit
den Pflegekräften geht. Sie spricht mit der Beraterin über ihre alte Schwierigkeit,
eigene Belange durchsetzen zu können (231), eine Schwäche, die ihr vermutlich
jetzt, wo sie nicht nur für die eigenen Interessen eintreten muss, sondern sich
auch für ihren Mann verantwortlich fühlt, besonders gravierend erscheint. In der
Beratung holt sie sich Rüstzeug für die Auseinandersetzungen im Heim (230,
256). Gleichzeitig sorgt sie sich darum, dass ihre Beschwerden und Eingaben
von dem Personal als „Meckerei“ (242) aufgefasst werden, und sie hat „Angst vor
schlechtem Image, das sie und ihr Mann bekommen könnten“ (255). Solange es
226
in Heimen keine konzeptionell abgesicherte Angehörigenarbeit gibt, die weit über
ein formelles Beschwerdemanagement hinausgehen müsste, muss sich diese
Ehefrau wie auf einer Gratwanderung vorkommen. Der Absturz zur einen Seite
besteht darin, Beschwerden offensiv vorzutragen, dabei aber das kaum
kalkulierbare Wohlwollen der Pflegenden aufs Spiel zu setzen und letztlich die
Versorgung und das Wohl ihres Mannes zu gefährden. Der Absturz, der sie zur
anderen Seite hin bedroht, besteht darin, den Mund zu halten, aber dadurch die
Interessen ihres Mannes zu verraten.
7.1.4
Beratungsprozess Herr D.
Zugang
Als Herr D. erstmals in die Beratungsstelle kommt, ist er 70 Jahre alt. Seine um
ein Jahr ältere Ehefrau zeigt seit etwa einem Jahr erste Anzeichen einer
Demenz. Über den Zugangsweg zur Beratung gibt die Dokumentation keine
Auskunft.
Zeitstruktur
Der
Beratungsprozess
umfasst
bis
heute
41
Beratungskontakte
in
8
Kalenderjahren und ist einer der längsten Prozesse, die in der Beratungsstelle
vorgekommen sind. Der Prozess beginnt langsam mit je 1 Kontakt in den ersten
beiden Jahren (Phase 1), hat dann über die folgenden 3 Jahre einen
Schwerpunkt mit je 8-12 Kontakten pro Jahr (Phase 2) und flacht ab Mitte des 5.
Jahres wieder ab: im 6. Jahr 3, im Jahr darauf 4 und im letzten Jahr bisher nur 1
Kontakt (Phase 3).
Der Überblick über den zeitlichen Verlauf dieses
Beratungsprozesses findet sich im Anhang 2.
Themen
Die psychoedukative Beratung zu Fragen des Umgangs mit problematischen
Verhaltensweisen der dementen Ehefrau bildet einen Themenschwerpunkt in
diesem Fall. Ein weiterer häufiger Gesprächsgegenstand sind Informationen über
diverse Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor und die Beratung zum
Themenkomplex Pflegeversicherung. Den Überblick über alle Themen, die in
diesem Beratungsprozess aufgetaucht sind, gibt die folgende Abbildung.
227
Abbildung 16:
Themen und Phasen im Beratungsprozess von Herrn D.
Merkmal
Phase 1
Phase 2
Phase 3
2 Kontakte / 2 Jahre
Abschnitt 1-32
31 Kontakte / 3 Jahre
Abschnitt 33-397
8 Kontakte / 3 Jahre
Abschnitt 398-509
Belastung, Erschöpfung des Ratsuchenden
D262, 374
D406, 410, 435
Eigene Gesundheit/Erkrankungen des
Ratsuchenden
D157, 164, 217, 261, 301
D405, 476, 485, 505
Sorge des Ratsuchenden um das eigene Wohl
D37, 219
D490
Auseinandersetzung mit Verlusten
D375
Auseinandersetzung mit dem bevorstehenden
Tod des Gatten
D489, 508, 509
Positive Einschätzung der Situation durch den
Ratsuchenden
D317, 348, 388, 396
Erzählen vom Alltag
Erste Anzeichen der Demenz wahrnehmen
D431, 483, 504
D10
Krankheitsverlauf
D299, 387
Verhalten des Erkrankten
D38, 52
Problemverhalten des Erkrankten: Verstecken
von Gegenständen
D23
Problemverhalten des Erkrankten: Verkennen
des Ehegatten
D24
Problemverhalten der Erkrankten: sich zu
Hause nicht mehr vertraut fühlen
D81, 84, 101, 110, 119, 128,
137, 166
D102, 111, 120, 129, 138, 242
Problemverhalten der Erkrankten: Verlaufen
Problemverhalten der Erkrankten: Angst, vom
Partner verlassen zu werden
D103, 112, 121, 130, 139
D25
Problemverhalten der Erkrankten:
unzeitgemäße Erinnerungen
D84
Problemverhalten der Erkrankten:
selbstgefährdendes Verhalten
D187
Problemverhalten der Erkrankten: nächtliche
Unruhe
D363
Problemverhalten der Erkrankten: destruktives
Verhalten
D371
Problemverhalten der Erkrankten:
unkooperatives Verhalten
D86
Entscheidungen der dementen Gattin als
verbindlich nehmen
D407, 434, 443, 460
D87
Entscheidungen gegenüber der dementen
Gattin begründen
D309
Alltagsgestaltung, Beschäftigung
D167, 168
Sorge um das Wohlergehen der Erkrankten
D208, 330
Ohne die kranke Gattin nichts unternehmen
wollen (Freizeit, Entspannung etc.)
D411
Erkrankte Gattin spricht wieder mehr
D484
Umgang
D15
Pflegeproblem: Inkontinenz
D218, 296
Pflegeproblem: Nahrungsaufnahme
D243, 384
Pflegeproblem: mangelnde Kooperation bei der
Körperpflege
D244, 265, 382
Pflegeproblem: Verabreichen der Medikamente
D383
Rolle der Kinder, nicht näher bezeichnet
D59, 246
Rolle der Kinder als Stütze
D85
D409, 486, 507
Sorgen um die Kinder
D436
Kontakte außerhalb der Familie
D488
Hilfeoption aus dem Medizinsektor
D15
D140, 397
D408
Hilfeoption aus dem Altenpflegesektor
D15, 30
D37, 263, 264, 267, 271, 278,
281, 285, 297, 298, 308, 329,
332, 337, 372, 373, 385
D420, 421
228
Abbildung 16:
Themen und Phasen im Beratungsprozess von Herrn D.
Merkmal
Phase 1
Phase 2
Phase 3
2 Kontakte / 2 Jahre
Abschnitt 1-32
31 Kontakte / 3 Jahre
Abschnitt 33-397
8 Kontakte / 3 Jahre
Abschnitt 398-509
Hilfeoption aus dem Bereich niedrigschwelliger
Angebote
D28
D186, 194, 198, 205, 300
D412
Hilfeoption: Kursus
D29
Motivation der Kranken zur Nutzung von Hilfen
Erfahrungen mit Hilfen aus dem Medizinsektor
D45, 185
D27
D156
Erfahrungen mit Hilfen aus dem
Altenpflegesektor
D165, 245, 331
Erfahrungen mit niedrigschwellige Hilfen
D216
Sozialrechtliche Ansprüche: Pflegeversicherung
D15, 26
D169, 176, 226, 233, 241, 253,
266, 295, 318, 327, 349, 350,
362, 386, 395
D430, 445, 461
Rechtliche Fragen: gesetzliche Betreuung
D468, 487, 494
Expertentum des pflegenden Ehegatten
D404, 469
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt.
Analyse des Falles
Der Verlauf dieser Beratung zerfällt, wie oben ausgeführt, bezogen auf die
zeitliche Dichte der Beratungstermine in drei Phasen. Diese Phasen lassen sich
auch bezogen auf die Themen, die in den Beratungssitzungen besprochen
worden sind, nachvollziehen. Die beiden Beratungstermine in der ersten Phase
scheinen, so wie das häufig in Erstberatungen der Fall ist, dem Ratsuchenden
einen
ersten
kursorischen
Überblick
über
mögliche
Hilfeoptionen,
Grundlagenwissen zum Umgang mit der Erkrankten und erste Hinweise auf
Ansprüche in der Pflegeversicherung gegeben zu haben. In der ersten Hälfte der
mittleren Phase dominiert die psychoedukative Beratung, es werden ausgiebig
problematische Verhaltensweisen der dementen Ehefrau thematisiert. Diese
Fragestellungen verschwinden vollständig, als in der zweiten Hälfte der mittleren
Phase körperliche Pflegeprobleme auftreten. Etwa ab dieser Zeit nimmt die
Beratung zur Durchsetzung von Ansprüchen in der Pflegeversicherung breiten
Raum ein, und auch die informative Beratung über Hilfeoptionen aus dem
Altenpflegesektor beginnt jetzt. In der Mitte der mittleren Phase beginnt Herr D.
auch über eigene gesundheitliche Probleme, u.a. eine schwerwiegende eigene
Erkrankung zu sprechen. Die dritte Phase schließlich ist durch das Besprechen
der persönlichen Situation einerseits und die zunehmende Verselbständigung
des
Ratsuchenden
sowie
andererseits gekennzeichnet.
durch
positive
Einschätzungen
seiner
Lage
229
Auffällig in diesem Fall sind die zahlreichen Beratungen rund um das
Problemverhalten der Ehefrau. Über ein knappes Jahr hinweg (84-166),
zeitweise in monatlichen Gesprächen, spricht Herr D. darüber, dass seine Frau
ihn nicht mehr als ihren Ehemann erkennt. Die Beraterin dokumentiert
beispielsweise in fünf aufeinander folgenden Beratungssitzungen gleichlautend
diese Themen: „Nichterkennen, ‚Rauswerfen wollen’ (die Frau versuchte ihren
Mann aus dem gemeinsamen Schlafzimmer zu werfen; Anmerkung Franke), ‚Du
bist nicht mein Mann’“ (101ff.). Man möchte annehmen, dass hier nicht nur die
demente Frau ihren Mann nicht mehr erkennt, sondern umgekehrt auch der
Mann seine Frau nicht mehr. Das immer wieder neue Durchsprechen dieser
Thematik vermittelt einen Eindruck davon, wie tiefgreifend der Mann die
Veränderung seiner Ehebeziehung erlebt. Thema sind hier nicht nur die
wahrnehmbaren Verhaltensweisen der Frau, sondern als weitere Dimension
dahinter die Beziehung, die Veränderung der Ehe. Eine Beratung, die hier
vordergründig auf das „Management“ der Verhaltens-„Störungen“ der Ehefrau
setzen würde, indem sie ausschließlich die Perspektive „Wie lässt sich das
Verhalten der dementen Frau verstehen, und wie kann man pragmatisch damit
umgehen?“ in den Blick nähme, würde an den Bedürfnissen ihres Mannes vorbei
gehen. Herr D. zeigt uns hier, wie wesentlich es ist, die Ehethematik theoretisch
wie methodisch in den Kanon der gerontopsychiatrischen Angehörigenberatung
aufzunehmen.
Auffälligerweise verschwindet dieses Thema zu dem Zeitpunkt, als körperliche
Pflegeprobleme bei der Frau auftreten. Kann es sein, dass die Veränderungen
der Ehefrau für den Mann dadurch eindeutiger und akzeptabler werden? Mit dem
Konzept der Ambiguität1066 wäre das zu erklären. Die Diskrepanz zwischen
physischer und psychologisch erlebter Präsenz wird hier dadurch geringer, dass
neben dem Geist nun auch der Körper schwächer wird. Kann es darüber hinaus
sein, dass der Ehemann mit dem Auftreten der körperlichen Pflegebedürftigkeit
sein Verständnis von der Beziehung zu seiner Frau verändert, dass er die Rolle
des Ehemannes nun verlässt und eine neue Rolle als Pflegender einnimmt?
Das Verschwinden des Themas „Verkennen des Ehemannes“ bedeutet
allerdings nicht, dass es Herr D. ab jetzt leichter hat. In die Zeit des Auftretens
erster körperlicher Pflegeprobleme (ab 218) fällt die Beratung, in der er erstmalig
über eine Unterbringung im Altenpflegeheim nachdenkt (263).
1066
vgl. Boss, Caron & Horbal 1988; Boss et al. 1990; zit. nach Gunzelmann 1991, 50
Vor allem die
230
Inkontinenz seiner Frau stellt ein großes Problem für ihn dar. „Er weiß nicht, ob er
es sich noch zutraut“ (296). Und eigene gesundheitliche Probleme treten wieder
auf (217, 261, 301), nachdem er ein Jahr zuvor bereits eine Krebserkrankung
durchgemacht hatte (157).
Die Beraterin reagiert, indem sie Herrn D. diverse Hilfeangebote unterbreitet.
Hierbei entsteht der Eindruck, dass sie immer etwas mehr an Hilfe für sinnvoll
hält und ihm anbietet, als er dann annimmt. Wenn Herr D. sich für ein bestimmtes
Angebot entschieden hat, unterstützt die Beraterin dies jedes Mal, indem sie
dann durch Kooperationskontakte mit den Anbietern den Einstieg in die Hilfe
absichert. Daneben kümmert sie sich um die Durchsetzung sozialrechtlicher
Ansprüche in der Pflegeversicherung, dies mit erheblichem Aufwand an
instrumenteller Unterstützung, sie stellt z.B. Anträge und setzt Schriftsätze
gemeinsam mit Herrn D. auf.
Ab dem fünften Jahr gibt es erneut eine Wende in dem Fall. Die
Beratungskontakte werden seltener, Herr D. berichtet erstmalig und mehrfach
positive Einschätzungen seiner Situation (317, 348, 388, 396, 434). Er scheint
die Pflegeversicherungsangelegenheiten selbst in die Hand genommen zu haben
(oder seinem Sohn übergeben zu haben). Er präsentiert sich verstärkt als
Experte in der Betreuung seiner Frau, berichtet zum Beispiel von Tricks und
Tipps, die er gefunden hat (404), oder dass er mit den Verhaltensauffälligkeiten
seiner Frau besser zurecht komme (404). Er erzählt ausführlich aus seinem
Alltag (431, 483, 504). Die Beratung sucht er jetzt auf, um gezielt abgrenzte
Fragen zu klären, z.B. die Finanzierung einer gesetzlichen Betreuung (468).
Allerdings ist die Situation keineswegs durchgängig entspannt. Wie prekär sie
immer noch ist, zeigt die Dokumentation für ein Beratungsgespräch im fünften
Jahr: „Selbst hat er stark abgenommen. Sein Hausarzt spricht von Nervosität.
Herr D. sieht seine Situation zur Zeit aber ganz positiv, wenn’s so bleibt. Auch
hofft er, dass das Medikament ... einen Stillstand bringt. Auch kommt die Tochter
jetzt regelmäßig, kocht und achtet auf die Mutter. Herr D. sagt aber auch immer
wieder: ‚Ich habe nicht gedacht, dass es mal so schlimm wird’“ (405ff.). Die
Schwankungsbreite, in der Herr D. seine Lage beurteilt, wird hier deutlich. Er
bewegt sich von positiver Einschätzung („wenn’s so bleibt“) über den Bericht zu
seinen eigenen gesundheitlichen Problemen (Gewichtsverlust, Nervosität),
Hoffnung auf Erfolge neuer Medikamente bis hin zum wiederholten, fast
ungläubigen Feststellen seiner schlimmen Lage. Am vorläufigen Ende der
231
Beratung (sie ist möglicherweise noch nicht beendet) ist die Ehefrau in einem
Altenpflegeheim und Herr D. thematisiert in der Beratung die Frage, wie es sein
wird, wenn sie stirbt (489, 508f.).
7.1.5
Beratungsprozess Herr E.
Zugang
Der ratsuchende Ehemann, dessen 74-jährige, an einer Demenz leidende Frau
eine Tagespflege besucht, wird von dort an die Beratungsstelle vermittelt. Über
das Stadium der Demenz gibt die Dokumentation keine Auskunft.
Zeitstruktur
Der Beratungsprozess erstreckt sich über 4 Jahre mit insgesamt 11
Einzelberatungskontakten. Der Überblick über den zeitlichen Verlauf dieses
Beratungsprozesses findet sich im Anhang 2.
Themen
Abbildung 17:
Themen im Beratungsprozess von Herrn E.
Thema
Fundstelle
Sorge des Ratsuchenden um das eigene Wohl
E13
Eigene Erkrankungen des Ratsuchenden
E70, 117, 124
Existenzielle Entscheidung, die er für seine Frau treffen muss
E71, 76ff., 81ff., 93ff.
Spiritualität
E105
Auseinandersetzung mit Sterben und Tod
E126
Körperliche Komplikationen beim Demenzpatienten
E21
Abschiednehmen von der Ehefrau
E24f., 40
Bezugnahme auf langjährige Ehe, gemeinsame Geschichte
E26
Darstellung der Ehefrau, bevor sie dement wurde, das alte Bild der Ehefrau vermitteln, bewahren
E27
Von der dementen Ehefrau nicht erkannt werden
E38
Von der dementen Ehefrau nicht beachtet werden, Auseinanderklaffen der Relevanzen
E39
Auseinandersetzung mit der Heimaufnahme der dementen Ehefrau
E11, 22, 42, 43, 62
Auseinandersetzung mit den Konsequenzen der Heimaufnahme der Ehefrau
E42
Pflegeproblem Sicherheit der Erkrankten, hier Sturzprophylaxe
E23
Verstehen der Erkrankten
E41
Rolle der Kinder als Stütze
E125
Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor
E10, 20
Hilfeoption aus dem Bereich psychoedukativer Gruppenangebote
E109, 127
Kooperation mit dem Pflegepersonal im Heim
E43, 62, 97
Expertenwissen als pflegender Angehöriger an andere Betroffene weitergeben
E110
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt.
232
Das weite Strecken durchziehende Thema ist die Auseinandersetzung mit der
Heimaufnahme der dementen Ehefrau (11, 22, 42, 43, 62). Im dritten Jahr geht
es um eine existenzielle Entscheidung, die er für seine Frau treffen muss (71,
76ff., 81ff., 93ff.). Die Übersicht über alle in diesem Beratungsprozess
angesprochenen Themen gibt die oben stehende Abbildung.
Analyse des Falles
Der Fall vermittelt einen Eindruck davon, mit welch weitreichenden und
existenziellen Fragen Ehegatten im Verlauf der Erkrankung ihres Partners
konfrontiert sind. Herr E. muss zunächst für seine Frau entscheiden, sie in einem
Altenpflegeheim unterzubringen. Das bedeutet tiefgreifende Veränderungen, für
die
er
allein
verantwortlich
zeichnet:
einerseits
Veränderungen
der
Lebensumstände seiner Frau, andererseits das Getrenntleben als Paar und
schließlich weitreichende Veränderungen seines eigenen Alltags. Später obliegt
ihm die Entscheidung, ob seine Frau künstlich ernährt werden soll oder nicht.
Nach ausführlicher Aussprache mit der Beraterin, auf Vermittlung der Beraterin
auch mit einem Arzt und einer anderen betroffenen Angehörigen, entscheidet er
gegen das Legen einer PEG. Die Beraterin notierte in der Dokumentation: „Er
habe sich sehr schwer mit der Entscheidung getan, aber es wäre jetzt gut so.“
(96) Einige Monate später scheinen er und seine Frau sich mit spirituellen Fragen
zu beschäftigen, er bittet die Beraterin um entsprechende Literaturhinweise
(105). Am vorläufigen Ende des Beratungsprozesses (er dauert möglicherweise
noch weiter an) macht sich Herr E., nachdem er selbst schwerwiegend krank
geworden ist, Gedanken über das Sterben und die Endlichkeit des Lebens (126).
Ein bemerkenswertes Detail findet sich am Rande. Herr E. erzählt im zweiten
Beratungskontakt ausführlich über seine Frau und ihre Vergangenheit und auch
über ihre 50-jährige Ehe (26f.). Hier lässt sich anknüpfen an den Fall von Herrn
D. Dieser beschäftigt sich über ein Jahr hinweg in der Beratung mit der
tiefgreifenden Veränderung seiner Ehebeziehung, indem er immer wieder das
Problem bespricht, dass seine demente Frau ihn nicht mehr als ihren Ehemann
erkennt. Er bleibt dabei gedanklich in der Gegenwart der Beziehung, die
dominant durch die Demenz der Frau gekennzeichnet ist. Es gibt für sein
Verlusterleben in der Gegenwart keine Heilung. Seine Lösung scheint darin zu
liegen, dass er zu einem späteren Zeitpunkt, als die Krankheit seiner Frau noch
weiter fortgeschritten ist, aus der Ehebeziehung eine Pflegebeziehung macht.
Herr E. beschreitet einen anderen Weg, indem er nicht nur die Gegenwart seiner
233
Ehe, sondern intensiv auch die gemeinsame Vergangenheit reflektiert. Er gibt
uns einen Hinweis, dass Ehegatten in der Beratung einen Raum brauchen, um
sich ihrer Ehegeschichte zu vergewissern, damit sie die aktuelle Erfahrung der
Demenz in diese Geschichte einbetten können. In einer weiteren Lesart könnte
seine ausführliche Erzählung über die Vergangenheit seiner Frau andeuten, wie
sehr Ehegatten Wert darauf legen, Fremden gegenüber ein vollständiges Bild
ihres Gatten zu vermitteln, ein Bild, das mehr aussagt, als die Demenz, die heute
alles Gewesene zu verdrängen scheint.
Ein drittes Charakteristikum dieses Falles liegt in einer kooperativen Haltung, die
Herr E. gegenüber der Beraterin und anderen Professionellen einnimmt. Er
präsentiert sich nicht nur als Ratsuchender, sondern als jemand, der sein
eigenes
Expertenwissen
den
Professionellen
und
anderen
betroffenen
Angehörigen zur Verfügung stellt, und der um eine konstruktive Zusammenarbeit
mit ihnen bemüht ist. Er bringt der Beraterin Fachliteratur für den Gesprächskreis
(61), kopiert auch Artikel für den Heimleiter (62), begründet in einem Brief an
den Heimleiter seine Entscheidung bezüglich der PEG, stellt diesen Brief auch
der Beraterin zur Verfügung (97f.) und schreibt einen Zeitungsartikel über seine
Teilnahme an einer Urlaubsmaßnahme für pflegende Angehörige (110).
7.1.6
Beratungsprozess Herr F.
Zugang
Der
Ratsuchende
findet
über
die
Öffentlichkeitsarbeit
Zugang
zur
Beratungsstelle. Seine Frau ist zum Zeitpunkt der Erstberatung 66 Jahre alt und
leidet seit 7 Jahren an einer Demenz.
Zeitstruktur
Der Beratungsprozess erstreckt sich über 3 Jahre mit insgesamt 10
Beratungskontakten. Der Schwerpunkt liegt im ersten Jahr mit 6 Kontakten, in
den beiden folgenden Jahren liegen 1 bzw. 2 Kontakte. Der Überblick über den
zeitlichen Verlauf dieses Beratungsprozesses findet sich im Anhang 2.
234
Themen
Die beiden Schwerpunkte in diesem Beratungsprozess sind rechtliche und
pflegerische
Fragen.
Im
ersten
Jahr
sind
es
Fragen
rund
um
die
Pflegeversicherung (10, 28, 36, 44), daneben ab dem ersten Jahr und in den
beiden
folgenden
Verhaltensproblemen:
Jahren
überwiegend
Schluckstörungen
(37),
Fragen
zu
Pflege-
und
Flüssigkeitsaufnahme
(45),
Schreien und Erregung (55), Bewegungsfähigkeit (81ff.). Den Überblick über alle
Themen dieses Falls gibt die folgende Abbildung.
Abbildung 18:
Themen im Beratungsprozess von Herrn F.
Thema
Fundstelle
Erleben des massiven Abbaus der Fähigkeiten bei der Partnerin
F54
Problemverhalten der Erkrankten: Schreien und Erregung
F55
Pflegeproblem: Schluckstörungen
F37
Pflegeproblem: Flüssigkeitsaufnahme
F45
Pflegeproblem: Bewegungsfähigkeit
F81ff.
Auseinandersetzung mit der Heimaufnahme der dementen Partnerin
F47, 58
Hilfeoption aus dem Medizinsektor
F46, 56, 66, 74
Hilfeoption ambulante Pflege
F57, 67
Pflegeversicherung
F10, 28, 36, 44
Gewissermaßen unbeabsichtigt, auf dem Weg zu einer anderen Stelle des Gerontopsychiatrischen
Zentrums, in der Beratungsstelle auftauchen
F65
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt.
Analyse des Falles
Herr F. steht am Anfang des Beratungsprozesses vor der Entscheidung, ob er
nach dem erfolglosen Durchlaufen eines Widerspruchsverfahrens gegen die
Pflegekasse klagen soll, um die Einstufung seiner Ehefrau in die Pflegestufe III
durchzusetzen. Er präsentiert sich als gut informierter Ratsuchender, der bereits
viele Erfahrungen mit der Pflegekasse gemacht hat. Er legt eine umfangreiche,
bestens geführte Akte mit dem Schriftverkehr mit der Pflegekasse vor (10). Er
nutzt das Fachwissen der Beraterin, um eine Entscheidung in seiner aktuellen
Frage zu treffen.
Diese Art, die Beratung zu nutzen, bleibt auch für den gesamten weiteren
Prozess charakteristisch. Er wendet sich in Abständen an die Beratungsstelle,
häufig telefonisch, um dann jeweils abgegrenzte alltagspraktische Fragen, meist
zur pflegerischen Versorgung seiner Frau, zu klären. Beispielsweise hat seine
Frau im dritten Beratungsjahr die Kontrolle über den Körper soweit verloren, dass
235
sie nur noch in einer vornüber geneigten Stellung sitzen kann. Herr. F. erkundigt
sich, wie er pflegerisch damit umgehen könne, ob es bestimmte Handgriffe oder
Hilfsmittel gebe, die hier eingesetzt werden könnten (81).
Er nutzt die
Beratungsstelle als Informationsquelle: Er fokussiert eng das von ihm
vorgetragene Problem und holt Informationen ein. Die Beraterin reagiert auf
dieses Informationsbedürfnis, indem sie an mehreren Stellen in diesem Fall den
Ratsuchenden an andere Fachleute weitervermittelt, die seine speziellen Fragen
kompetenter als sie selbst beantworten können (46, 74, 83, 91).
Charakteristisch ist weiterhin, dass dieser Ratsuchende ggf. notwendige
Entscheidungen stets allein trifft. Der Entscheidungsprozess selbst wird nicht
Gegenstand
der
Beratung.
Er
erkundigt
sich
beispielsweise
über
die
Finanzierung eines Altenheimplatzes (47) und über das Verfahren der
Heimaufnahme (58), ohne weiter in den Beratungsgesprächen zu offenbaren,
wie fortgeschritten er in diesem Entscheidungsprozess ist, oder welche
Bedeutung eine derartige Entscheidung für ihn und seine Frau hätte.
Auch über seine persönliche Situation spricht er nie1067. Dass er ausgesprochen
belastet sein muss, lässt sich nur aus Nebensätzen herauslesen. Im ersten
Beratungsjahr berichtet er beiläufig über Erregungszustände seiner Frau, die so
stark gewesen sein müssen, dass sie sich ein Stück ihrer Zunge abgebissen
hatte (55). Im letzten Beratungsjahr hat er seine Frau neun Jahre lang in ihrer
Demenz begleitet und zu Hause gepflegt. Die Demenz ist so weit fortgeschritten,
dass jetzt körperliche Pflegebedürftigkeit ganz im Vordergrund steht. Die
Beratungsstelle ist jedoch für ihn kein Ort, über seine persönlichen Erfahrungen
zu sprechen. Es stellt sich die Frage, ob er überhaupt einen solchen Ort hat.
Oder ob er die Betreuung seiner Frau einschließlich aller sich daraus für ihn
ergebenden Konsequenzen als etwas ansieht, das nur sie beide etwas angeht?
Oder ob er seine persönliche Auseinandersetzung mit der Situation als Ausdruck
eines männlich geprägten Pflegestils nicht in die Öffentlichkeit trägt?
1067
mit einer Ausnahme: Im ersten Beratungsgespräch wurde dokumentiert, dass auch über Belastungen des
Ratsuchenden gesprochen worden ist. Vermutlich ist dies aber auf Initiative der Beraterin geschehen, da dies
in der Erstberatung „standardmäßig“ getan wird, damit die Beraterin sich ein Bild von der Situation des
Ratsuchenden machen kann.
236
7.2
Themen in Erstberatungen
7.2.1
Erstberatung Frau G.
Zugang
Frau G. kommt auf Empfehlung von Bekannten, die früher einmal Kontakt zur
Beratungsstelle gehabt haben. Sie selbst ist 66 Jahre alt. Sie hat vor vier
Wochen die Diagnose einer Alzheimer-Demenz bei ihrem 73-jährigen Ehemann
erfahren.
Themen
Abbildung 19:
Themen in der Erstberatung von Frau G.
Thema
Fundstelle
Erleben der Diagnose als einschneidende Wende im Leben
G18
Eigene Gefühlsreaktionen der Ratsuchenden: Vernichtungsgefühl
G8
Eigene Gefühlsreaktionen der Ratsuchenden: Angst vor der Zukunft
G24
Auseinandersetzung mit existenziellen Themen: Sinnfrage
G19
Auseinandersetzung mit existenziellen Themen: Antizipieren des Todes des Mannes
G10
Bezugnahme zur Erfahrung früherer existenziell bedrohlicher Erkrankungen des Ehegatten
G28
Suizidalität der ratsuchenden Ehefrau, erhöhtes Risiko durch Depression in der Vorgeschichte
G13ff., 34
Bedeutung der eigenen Berufstätigkeit
G26
Wahrnehmen erster Krankheitszeichen
G22
Bezugnahme zur langjährigen Ehebeziehung, gemeinsame Geschichte
G11
Einssein mit dem Mann, Mann als Zentrum des Lebens
G9
Entscheidung des dementen Partners hinsichtlich einer Paarangelegenheit als verbindlich nehmen
G15
Verlust des Gesprächspartners, fehlender Austausch mit dem Partner
G20
Rolle der Kinder: Stütze, Rolle von Freunden
G30
Allein zurechtkommen wollen
G31
Hilfeoption: psychiatrische Behandlung für die ratsuchende Ehefrau
G34
Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor
G36
Hilfeoptionen aus dem Bereich niedrigschwelliger Angebote
G36
Hilfeoptionen aus dem Bereich psychoedukativer Angebote
G36
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt.
Der Schwerpunkt dieser Erstberatung liegt in der Auseinandersetzung mit der vor
kurzem erhaltenen Diagnose: Vernichtungsgefühl (8), Einssein mit dem Mann,
Mann als Zentrum des Lebens (9), Antizipieren des Todes des Mannes (10),
Suizidalität der ratsuchenden Ehefrau (13ff., 34), erhöhtes Risiko durch
Depression in der Vorgeschichte (16), Erleben der Diagnose als einschneidende
Wende im Leben (18), Sinnfrage (19), Angst vor der Zukunft (24). Einen
237
Überblick über alle Themen, die in dieser Beratung angesprochen worden sind,
gibt die oben stehende Abbildung.
Analyse des Falles
Obwohl die Frau schon einige Jahre geahnt hat, dass etwas mit ihrem Mann
nicht stimmt (22), trifft sie die endgültige Diagnose schwer. Gleich zu Beginn des
Gespräches und später mehrfach wiederholt äußert sie: „Mein Leben ist damit
aus.“ (8) Auch ihren Mann stellt sie so dar, als sei er bereits nicht mehr existent:
„Ohne ihn ist alles aus.“ (10) Sie empfindet die Diagnose als etwas, das sie beide
vernichtet. Ihr eigenes Leben ist so stark verbunden mit dem des Mannes, das
sie auch ihre eigene Existenz als bedroht erlebt. Sie präzisiert das, indem sie
sagt: „Mein Mann ist mein Leben, mein ein und alles.“ (9) Ihr Leben, das ist das
gemeinsame Leben mit ihrem Mann; er ist das Wichtigste in ihrem Leben; ohne
den Mann, den sie kennt, ist es nicht mehr ihr Leben. Es scheint so, als erwarte
sie ab jetzt ein fremdes Leben, über das sie nicht mehr verfügen kann. Ihr bleibt,
sich in ihr Schicksal zu fügen und abzuwarten, bis beide sterben. Sie erlebt diese
Bedrohung so intensiv, dass sie in der Beratung dezidiert über Suizidabsichten
spricht (13).
Als wolle sie die Begründung für ihre Empfindung geben, dass ohne ihren Mann
alles aus sei, erwähnt sie, sie seien seit fast 50 Jahren verheiratet (11). Der Satz
klingt so, als sei er die gekürzte Version einer detailreichen Erzählung, die etwa
so lauten könnte: „Wir sind seit fast 50 Jahren verheiratet und haben in diesen
vielen Jahren so vieles gemeinsam erlebt, genossen, durchgemacht, bewältigt,
geplant, entschieden, verworfen und wieder neu begonnen ...“. Von pflegenden
Kindern würde so ein Satz über ihre dementen Eltern nicht gesagt: „Wir kennen
uns nun schon seit meiner Geburt, und wir haben so vieles gemeinsam...“.
Dieser Satz macht ein Kennzeichen von Ehen sichtbar. Es sind Gemeinschaften,
die auf die gemeinsame Bewältigung von Lebensaufgaben und auf die
Verwirklichung gemeinsamer, selbst gewählter Lebenspläne (z.B. Kinder groß
ziehen, Haus bauen, Karriere machen o.ä.) ausgerichtet sind. Hierin zeigt sich
der Aspekt der Liebe, der als Pragma bezeichnet wird1068. Die Betonung liegt
1068
vgl. Lee 1976; zit. nach Bierhoff 2003, 262f. Lee unterscheidet sechs Liebesstile: (1) Romantische Liebe
(Eros), welche die unmittelbare Anziehung zwischen zwei Personen betrifft; (2) besitzergreifende Liebe
(Mania), welche die Exklusivität der Beziehung betont; (3) freundschaftliche Liebe (Storge), welche sich aus
gemeinsamen Interessen und Aktivitäten entwickelt; (4) spielerische Liebe (Ludus), welche die Verführung,
sexuelle Freiheit und sexuelle Abenteuer betont; (5) pragmatische Liebe (Pragma), welche die längerfristige
Bindung zum Zwecke der Verwirklichung bestimmter Ziele betont; und (6) altruistische Liebe (Agape), welche
das Wohl des Geliebten über das eigene Wohlergehen stellt.
238
dabei auf der gemeinsamen Bewältigung. Mit der Demenz eines Partners wird
dieses Merkmal der Ehe in Frage gestellt und letztlich zerstört. Das Paar handelt
nicht mehr gemeinsam, der gesunde Partner ist mehr und mehr auf sich allein
gestellt. In diesem Zusammenhang lässt sich auch die Äußerung von Frau G.
verstehen, besonders schlimm sei es, dass der Gedankenaustausch mit ihrem
Mann nicht mehr möglich sei: „Die Unterhaltung ist hin.“ (20)
7.2.2
Erstberatung Ehepaar H.
Zugang
Das Ehepaar wird von der Hausärztin in die Beratungsstelle geschickt, da sie die
soziale Situation als „grenzkompensiert“ (5) betrachtet und entlastende Hilfen für
den pflegenden Ehemann sucht. Die 73-jährige Ehefrau leidet an einer Demenz.
Themen
Der Charakter dieser Erstberatung wird entscheidend dadurch bestimmt, dass
das Ehepaar gemeinsam in die Beratungsstelle kommt. Das Protokoll zeigt
zahlreiche Kränkungen, welche die demente Ehefrau durch das Ansprechen ihrer
krankheitsbedingten Defizite in der Beratungssituation erfahren muss (20, 28, 40,
43). Der Ehemann stellt ausführlich die im Alltag auftretenden Schwierigkeiten
dar (14ff., 17f., 19ff., 24, 30, 40, 49, 60). Die Beraterin gibt einen Überblick über
unterschiedliche Hilfeoptionen für das Ehepaar bzw. die Erkrankte. Den Überblick
über alle in dieser Beratung angesprochenen Themen gibt die unten stehende
Abbildung.
239
Abbildung 20:
Themen in der Erstberatung des Ehepaares H.
Thema
Fundstelle
Aufgeben eigener Interessen im Dienste der Pflege der Ehefrau
H31
Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen: Bezugnahme zur Erfahrung früherer existenziell
bedrohlicher Erkrankungen der Ehefrau
H68, 69
Kognitive Einbußen der Patientin: Gedächtnisstörungen
H14, 24
Kognitive Einbußen der Patientin: Apraxien
H17
Problemverhalten der Patientin: fehlende Krankheitseinsicht
H10, 12, 30, 60, 61
Problemverhalten der Patientin: Verlieren von Gegenständen
H16
Problemverhalten der Patientin: untaugliche Bewältigungsversuche der Patientin
H18
Problemverhalten der Patientin: Misstrauen
H71
Ressourcen der Patientin
H23, 25
Scheu des Ehemannes, in die Privatsphäre der Frau einzugreifen
H15
Scheu des Ehemannes, Entscheidungen für seine Frau zu treffen
H44, 54
Entscheidungen der dementen Ehefrau als verbindlich nehmen
H44, 55
Gereizte Stimmung, Missverständnisse, Streit
H10, 21, 30
Veränderung der Macht- und Einflusssphären
H37
Übernahme von Aufgaben durch den Ehemann, für die zuvor die Kranke zuständig gewesen ist
H19
Motiv: Verpflichtungsgefühl gegenüber der Familie, Loyalität
H32, 34
Motiv: Zuneigung zur Ehefrau
H34
Motiv: Reziprozität
H36
Ohne Unterstützung Dritter zurechtkommen
H33
Hilfeoptionen aus dem Medizinsektor
H26
Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor
H39, 42, 52
Hilfeoptionen aus dem Bereich niedrigschwelliger Angebote
H46, 48, 64
Hilfeoptionen aus dem Bereich psychoedukativer Gruppenangebote
H58, 66
Kränkungen der Patientin in der Beratungssituation
H20, 28, 40, 43
Kränkungen der Patientin außerhalb der Beratungssituation
H40, 49
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt.
Analyse des Falles
Die Schilderungen des Ehemannes und die Interaktionen des Paares in der
Beratungssituation geben einen Einblick in die zahllosen kleinen Widrigkeiten
und Herausforderungen, die den Alltag des Paares bestimmen: das ständige,
zermürbende Suchen nach verlorenen Gegenständen; Verständigungsprobleme
und Missverständnisse aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht der Ehefrau;
ihre alles nur schlimmer machenden Bewältigungsversuche; das Ringen des
Paares um angestammte Aufgabenverteilung und Einflusssphären; die hilflosen
Versuche des Mannes, Lösungen und diplomatische Wendungen zu finden, um
seine Frau nicht allzu sehr zu kränken, und gleichzeitig die Erfahrung, dass das
nie gelingt. Über all dem liegt eine Atmosphäre offener Gereiztheit.
240
Ähnlich wie andere Ehegatten hat auch Herr H. Bedenken, in die Privatsphäre
seiner Frau einzugreifen oder Entscheidungen für sie zu treffen. Da er sich
scheut, „in ihren Sachen herumzukramen“ (15), bleiben beispielsweise viele der
verloren gegangenen Gegenstände unauffindbar. Oder er traut sich nicht, eine
Entscheidung hinsichtlich der Anmeldung seiner Frau in einer Tagespflege zu
treffen: „Das musst du entscheiden“, sagt er während der Beratung zu seiner
dementen Frau, die mit einer solchen Entscheidung ganz offensichtlich
überfordert ist (54).
An verschiedenen Stellen dieses Beratungsgespräches zeigt sich, wie schwer
sich das Paar damit tut, die Verschiebung des Rollengefüges und die seitens der
dementen Ehefrau erforderliche Abgabe angestammter Aufgabenbereiche an
den Mann zu bewältigen. Die Ehefrau reagiert jedes Mal empört, wenn ihre
Hausfrauenrolle in Frage gestellt wird (20, 28, 40, 43, 49). Ein „hot spot“ scheint
für sie zu sein, dass sie nicht mehr allein kochen kann. Das Kochen ist
gewissermaßen der Prototyp ihrer Hausfrauenrolle, es repräsentiert ihre
Fähigkeit, die Familie zu nähren und für sie zu sorgen. Die Arbeiten im Haushalt
abzugeben, bedeutet weit mehr als nur die Entpflichtung von bestimmten
Aufgaben. Die Arbeit im Haushalt war über Jahrzehnte ein wesentlicher
Grundpfeiler ihrer Identität, und diese Arbeit war ihr Beitrag zu dem
gemeinsamen Leben als Familie und als Paar. Verliert sie diese Rolle, dann
gefährdet
das
ihren
Stand
in
der
Partnerschaft.
Wäre
ihr
kritisches
Denkvermögen intakt, dann könnte sie die Rolle einer Kranken annehmen, dabei
sogenannte sekundäre Krankheitsgewinne verbuchen und aus dieser Rolle
heraus die Entpflichtung – wenn auch immer noch unter Schwierigkeiten hinnehmen. Doch infolge ihrer Demenz gelingt ihr die Krankheitseinsicht nicht,
und sie hat auch kognitiv nur noch sehr eingeschränkte Möglichkeiten, sich mit
der veränderten Situation konstruktiv auseinander zu setzen. Deshalb muss es
sie enorm kränken, wenn nun der Mann die Aufgaben im Haushalt übernimmt.
Auch der Ehemann tut sich schwer mit diesen Veränderungen. Obwohl ihm die
Hausarbeiten nicht leicht von der Hand gehen, traut er sich nicht, in diesem
Bereich Hilfen zu organisieren (42ff.). Er resigniert vor den Protesten seiner Frau,
möglicherweise aus Sorge, sie noch weiter zu kränken, oder aus Furcht vor
weiteren belastenden Streitereien mit ihr.
Der Fall des Ehepaares H. lässt verschiedene Motive für die Ehegattenpflege
erkennen, die Herr H. in dem Satz „Ich will ja, ich muss ja!“ (34) zusammenfasst.
241
Da ist einerseits die Zuneigung zu seiner Frau und ein Verpflichtungsgefühl ihr
gegenüber
aufgrund
eines
von
ihm
so
wahrgenommenen
Wiedergutmachungsanspruchs: „Sie hat mir stets den Rücken für den Beruf frei
gehalten“ (36), und sie hat die Kinder groß gezogen (37), aus denen etwas
geworden ist (36). Andererseits nennt er als Motiv den abstrakten Wert der
Loyalität zur Familie: „Die Familie geht vor.“ (32) Im Hintergrund wird hier das
Versprechen der Eheleute, in guten und in schlechten Tagen füreinander da zu
sein, eine wesentliche Rolle spielen.
Dieser Fall illustriert besonders deutlich, wie sehr Konzepte für die Beratung von
Ehegatten fehlen. Das Ehepaar kommt gemeinsam in die Erstberatung. Der
Ehemann hat offenbar ein großes Bedürfnis, über die vielfältigen Widrigkeiten zu
sprechen, mit denen er täglich konfrontiert ist. Als Beraterin würde ich an dieser
Stelle üblicherweise mit ihm über seine persönliche Auseinandersetzung mit der
neuen Lebenssituation und seine Belastungen sprechen. In dieser Beratung
verzichtete ich dezidiert darauf. Ich zog mich auf das Feld der informativen
Beratung über verschiedene Hilfemöglichkeiten zurück, und selbst dort konnte es
mir nicht gelingen, Kränkungen der anwesenden dementen Ehefrau zu
vermeiden (20, 28, 40, 43). Die Beraterin muss sich ein Bild von der Situation
machen und muss dafür über demenzbedingte Defizite sprechen. So taktvoll man
dabei aber auch vorzugehen versucht, Kränkungen sind kaum zu vermeiden. Die
Patientin reagierte entsprechend: „Ich bin scheinbar doof.“ (28) Das Memo, das
ich kurz nach dieser Beratung schrieb, enthält angesichts der vielen
Verletzungen, welche die demente Ehefrau in der Beratungssituation hinnehmen
musste, die Bemerkung: „...habe mich selten so hilflos gefühlt“. Es fehlt ein
Leitbild dafür, was in solchen gemeinsamen Ehegattenberatungen überhaupt Ziel
sein kann, was besprochen werden sollte und was nicht, wie Berater sich als
Dritte zu dem Paar positionieren können.
Die Beratung nimmt einen bemerkenswerten Ausgang. Am Schluss erzählt der
Ehemann, dass die Hausärztin vor Jahren seiner Frau das Leben gerettet habe
(68). Seine Frau sei nach einem Schlaganfall in sehr kritischem Zustand
gewesen, und die Ärztin, damals Assistenzärztin in einem Krankenhaus, habe sie
zu sich in das Dienstzimmer geholt, um sie ständig überwachen zu können. Frau
H. scheint an dieser Stelle das erste Mal in der Beratungssituation ihre
Anspannung zu verlieren. Sie kommentiert mehrmals: „Das weiß ich ja gar nicht
mehr.“ Sie lächelt dabei und scheint sichtlich berührt zu sein (69). Das
242
Grundthema, das sich durch die gesamte Beratungssitzung gezogen hat, ist das
Thema „Fürsorge“, die Notwendigkeit, dass Frau H. sich mit fortschreitender
Demenz der Obhut und Fürsorge ihres Mannes überlassen muss. Sie hat das in
unserem Gespräch an vielen Stellen als Kränkung aufgefasst und dagegen
opponiert. Hier, bei der Erzählung ihres Mannes über die außergewöhnliche
Fürsorge der Ärztin in einer extremen, existenziell bedrohlichen Situation, scheint
sie eine Erinnerung an eine wohltuende Erfahrung von Fürsorge zu haben. Die
Beraterin bestärkt sie darin (69).
7.2.3
Erstberatung Frau J.
Zugang
Die 65-jährige Ehefrau, deren ein Jahr älterer Mann an einer fortgeschrittenen
Demenz leidet, kommt auf Empfehlung eines Krankenhaussozialdienstes in die
Beratungsstelle.
Themen
Der dominierende Eindruck, den diese Erstberatung hinterlässt, ist das
ausgeprägte Bedürfnis der Ehefrau, einen Zuhörer zu finden. Im Anschluss an
die Erstberatung schrieb ich das folgende Memo: „Mein erster Eindruck: Sie ist
anstrengend, erzählt ohne Punkt und Komma, berichtet ausführlich jedes Detail.
Die Themen wechseln in freier Assoziationskette. Immer wieder fällt: ‚Das muss
ich Ihnen auch noch sagen...’ und, wenn es um sehr private, familiäre Dinge
geht: ‚Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das sagen darf?’. Sie tut es jedes Mal. Mit
wem redet sie sonst? Sie wirkt so, als bräuchte sie vor allem jemanden, der ihr
endlich einmal zuhört. Sie vermittelt immer wieder, dass sie mich ins Vertrauen
zieht (sie beugt sich vor, rückt näher, senkt die Stimme, ‚...ob ich Ihnen das
sagen
darf?’).
Sachliche
Informationen
sind
in
dieser
Beratung
völlig
nebensächlich.“ Soweit das Memo. Einen Überblick über alle in dieser Beratung
angesprochenen Themen gibt die folgende Abbildung.
243
Abbildung 21:
Themen in der Erstberatung von Frau J.
Thema
Fundstelle
Seelische Belastung der Ehefrau
J4, 28
Zusätzliche Belastung durch Todesfall einer nahestehenden Person
J6
Angst vor der Zukunft
J26
Reißen des Geduldsfadens
J29, 30
Sorge um das eigene Wohl der Ratsuchenden
J35
Bezugnahme zu früherer Erfahrung mit existenziell bedrohlicher Erkrankung des Gatten
J9
Erste Zeichen der Demenz wahrnehmen
J11
Kognitive Störungen des Erkrankten: Gedächtnis-, Orientierungs-, Wortfindungsstörungen
J13
Problemverhalten des Patienten: Interesselosigkeit
J13
Problemverhalten des Patienten: Anhänglichkeit
J13
Problemverhalten des Patienten: fehlende Kooperation
J15
Problemverhalten des Patienten: Unruhe
J16
Problemverhalten des Patienten: wirklichkeitsfremde Überzeugung
J30
Ressourcen des Patienten, u.a. Krankheitseinsicht
J14
Vorstellungen und Pläne des Paares für die Altersphase
J8
Veränderung der Beziehung: Gestaltung der Beziehung nach dem Muster der Mutter-KindBeziehung
J16
Veränderung der Macht- und Einflusssphären
J18
Nicht allein sein wollen
J43
Motiv: Loyalität
J22, J33f.
Motiv: Reziprozität
J23
Resumėe des bisherigen Lebens
J24
Motiv: Liebe
J25
Rolle der Kinder: Sorgen, Distanz
J20
Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor
J37
Hilfeoptionen aus dem Bereich niedrigschwelliger Angebote
J37
Hilfeoptionen aus dem Bereich psychoedukativer Gruppenangebote
J40, 45
Erfahrungen mit Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor
J26
Pflegeversicherung
J38
Ohne Unterstützung durch Dritte zurechtkommen
J44
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt.
Analyse des Falles
Diese Ehefrau wirkt seelisch sehr belastet. Neben der Demenz ihres Mannes
setzt sie sich mit dem Tod einer anderen nahestehenden Person auseinander.
Bald kommt sie darauf zu sprechen, dass ihr Mann vor einigen Jahren eine
schwere Herzoperation hatte. „Danach habe ich ihn wieder hoch gepäppelt.“ (9)
Auffällig
viele
Ehegatten
sprechen
über
frühere
Erfahrungen
mit
schwerwiegenden Erkrankungen ihres jetzt dementen Gatten und stellen dar, wie
sie dazu beigetragen haben, dass er damals wieder gesund werden konnte (vgl.
auch G28, H68f., L5). Offen bleibt, ob sie sich an diese Erfahrungen erinnern,
weil sie sie für vergleichbar mit der aktuellen Situation halten und daraus
244
Zuversicht schöpfen, oder ob sie die Demenz als vollkommen anders gelagerte,
noch größere Bedrohung erleben, welche die Mühen von damals gewissermaßen
sinnlos macht.
Das Thema der Veränderung der Macht- und Einflussbereiche ist in dieser
Beratung an verschiedenen Stellen gegenwärtig. Frau J. schildert ihren Mann als
lieb, umgänglich, aber willensstark (18). „Ich hatte nicht viel zu sagen. Er
bestimmte alles, wo wir hingingen, was getan wurde. Das war so unser Leben.“
(18) Die Verhältnisse müssen sich durch die Demenz des Mannes gewaltig
verändern. Frau J. berichtet in mehreren Beispielen, dass sie große Mühe hat,
ihren dementen Mann zur Kooperation zu bewegen („Da hilft nur noch Schreien“
15, 30). Sie greift aber das Angebot der Beraterin, hierüber vertieft zu sprechen,
nicht auf (18). Betrachtet sie diese Schwierigkeiten als Eheproblem, das ihrer
Auffassung nach nicht in diese Beratung gehört? Hat sie schon früher in ihrer
Ehe Wege gefunden, mit seiner Willensstärke zurechtzukommen? Sie scheint die
Strategie zu verfolgen, ihn möglichst wenig zu reizen (30) – möglicherweise eine
schon vor der Demenz erprobte und bewährte Vorgehensweise. Neu mit der
Demenz entstanden ist wahrscheinlich ihr Versuch, mit ihm nach dem Modell der
Kindererziehung umzugehen. Als er sich bei einer Beerdigung unpassend
benimmt (er fragt laut in die Trauergemeinde hinein: „War’s das jetzt?“), ruft sie
ihn mit den Worten „Bist Du wohl still!“ zur Ordnung (16).
Ausführlich setzt sich Frau J. mit der Beziehung zu ihrem Mann auseinander und
mit den Verpflichtungen, die sie vor dem Hintergrund ihrer gemeinsamen
Lebensgeschichte ihm gegenüber verspürt. Sie spricht von Reziprozität („Er hat
mich ein Leben lang verwöhnt“, 23, „Wir hatten ein gutes Leben“, 24), von Liebe
(25) und von Loyalität („Der Mann ist mir zu schade, um ihn wegzugeben“, 22,
34). Doch die Motive, für den Mann zu sorgen, sind nicht sämtlich altruistisch.
Ganz zum Schluss, im letzten Satz dieses Beratungsgespräches nennt sie unter
Tränen noch einen anderen Grund, weshalb sie den Mann nicht in ein Heim oder
eine andere Betreuung geben will: „Ich kann mir das nicht vorstellen. Dann bin
ich alleine. Ich brauche ihn doch auch. Ich will ihn um mich haben.“ (43) Hier wird
ihr Dilemma besonders sichtbar. Sie meint hier den Ehemann, d.h. den
Gesprächspartner, den Lebensgefährten, den sie an ihrer Seite haben möchte.
Arrangieren muss sie sich jedoch mit einem Mann, der durch die Krankheit
verändert ist und vermutlich nicht durchgängig präsent ist als Ehemann. Wenn
man bedenkt, dass sie beide alte Menschen sind, wirft das die Frage auf, welche
245
Bedeutung die Ehe in der Altersphase hat, wie die Paarbeziehung den Einzelnen
bei der Bewältigung altersassoziierter Entwicklungsaufgaben und –konflikte
stützt, welche Vorstellungen und Pläne die Paare in Bezug auf das gemeinsame
Altern hatten, und welche Verluste sie aus dieser Perspektive hinnehmen, wenn
einer von ihnen dement wird.
7.2.4
Erstberatung Frau K.
Zugang
Die 81-jährige Ratsuchende, bei deren 82-jährigem Mann vor 2 Jahren eine
Demenz diagnostiziert worden ist, kommt auf Anraten einer Bekannten, die über
die Angebote der Beratungsstelle informiert ist.
Themen
Frau. K. thematisiert vor allem den Verlust ihres Mannes als Gesprächspartner
und Gefährten (9,
32f., 38f.) und ihre Schwierigkeiten, Aufgabenbereiche
übernehmen zu müssen, die traditionell in seiner Verantwortung gelegen haben
(19, 26ff.), damit verbunden ihre Scheu, in seine Sphären einzugreifen (29). Die
Übersicht über alle in diesem Fall angesprochenen Themen gibt die folgende
Abbildung.
Abbildung 22:
Themen in der Erstberatung von Frau K.
Thema
Fundstelle
Seelische Belastung der Ratsuchenden
7, 9
Schwierigkeiten mit der Akzeptanz der Demenz
K13
Sich allein fühlen
K39
Kognitive Einbußen des Patienten: Gedächtnis-, Orientierungsstörungen
K18
Ressourcen des Patienten
K20
Krankheitsverlauf
K23
Darstellung des Gatten, bevor er dement wurde
K15
Mit dem dementen Gatten über die Krankheit sprechen
K21
Verstehen des Kranken, Umgang
K24, 30
Übernahme von Aufgaben, in zuvor im Verantwortungsbereich des Partners gelegen hatten
K19, 26ff.
Scheu, in seine Sphären einzugreifen
K29
Versuch, das Verhalten des Partners zu interpretieren
K38
Rolle der Kinder: Stütze
K1, 12
Verlust des Ehegatten als Gesprächspartner und Gefährten
K9, 32f., 38f.
Empfinden, dass die Kinder sich nicht wirklich in die Situation hineinversetzen können
K12
Hilfeoptionen aus dem Bereich psychoedukativer Angebote
K35
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt.
246
Analyse des Falles
Frau K. schildert ausführlich, wie schwer ihr die Übernahme der Verantwortung
für einen Aufgabenbereich gefallen sei, für den früher ihr Mann zuständig
gewesen
sei.
Sie
habe
sich
in
Steuerangelegenheiten,
Rente
und
Finanzverwaltung einarbeiten müssen. Ihr Mann sei sehr irritiert gewesen und
habe gereizt reagiert, als er gemerkt habe, dass sie sich an „seinem“
Schreibtisch (28) zu schaffen gemacht habe. Sie tue diese Dinge jetzt heimlich,
sogar nachts, damit er nichts davon mitbekomme. Sie sagt: „Ich komme mir vor,
als ob ich etwas Unerlaubtes tue, wie ein Einbrecher.“ (29) Hier kommen
verschiedene Schwierigkeiten zusammen. Erstens muss sie sich in eine fremde
Materie einarbeiten, dies zusätzlich neben allen anderen Aufgaben. Allein das ist
belastend. Dazu kommt aber als weitere Anforderung, dass ihr als Ehefrau das
Wohlbefinden ihres Mannes am Herzen liegt. Sie achtet deshalb darauf, ihren
Mann möglichst wenig zu kränken und zu reizen, indem sie es nachts tut, wenn
sie vermutlich eigentlich Schlaf bräuchte. Besonders belastend dürfte aber sein,
dass sie selbst Zweifel an der Berechtigung ihres Tuns hat. Sie verspürt selbst
eine Scheu, in seinen angestammten Aufgabenbereich einzugreifen („etwas
Unerlaubtes“ 29).
Das zweite Hauptthema, das dieses Beratungsgespräch wie eine Klammer
umschließt, ist ihre Erfahrung, dass ihr Mann zwar physisch noch präsent ist, sie
ihn durch die Demenz jedoch in seiner Eigenschaft als Ehegefährten verliert. Zu
Beginn des Gesprächs sagt sie: „Das Schlimmste ist, dass keine Unterhaltung
mehr mit ihm möglich ist.“ (9), und sie schließt das Gespräch mit der Bemerkung:
„Man möchte sich auch mal bei jemandem anlehnen können.“ (39) Dazwischen
präzisiert sie an verschiedenen Stellen den Verlust ihres Mannes als
Ehegefährten. Einerseits verliert sie den Gesprächspartner, dem sie die vielen
täglichen Kleinigkeiten erzählen und mit dem sie ihre täglichen Erlebnisse teilen
kann. Sie spreche mit ihm über etwas Alltägliches, und nach wenigen Minuten
habe er bereits vergessen, worum das Gespräch gegangen sei (9). Daneben hat
der Ehemann eine emotionale Funktion für sie, die mit der Demenz erodiert. Ihr
kommt das Gegenüber abhanden, das ihr emotional antwortet, das auf der
Gefühlsebene mit ihr schwingt und sie emotional unterstützen kann. Sie sagt
hierzu: „Er bekommt so gar nicht mit, wie es mir geht. Ich erwarte keinen Dank,
aber er scheint überhaupt nichts mehr zu empfinden.“ (32) Als Beispiel berichtet
sie, wie sie abgehetzt und bepackt mit tausend Sachen vor ihm gestanden habe
und ihm gesagt habe, sie müsse nun noch dies und das und jenes erledigen, und
247
er nur ungerührt „Ja“ geantwortet habe (32). Darüber hinaus hat ihr Mann auch
eine kognitive Funktion für sie. Mit der Demenz verliert sie den Lebensgefährten,
mit dem sie ihre Lebensentscheidungen und Pläne reflektieren kann. Sie sagt, ihr
fehle der Gesprächspartner, mit dem sie die Zukunft besprechen könne, „was
noch auf uns zukommen wird, was vernünftig wäre zu tun, wovor wir Angst
haben.“ (33)
Bemerkenswert ist, dass sie hier die „Wir“-Form wählt. Damit markiert sie einen
weiteren wesentlichen Aspekt ihrer Situation. Sie sieht sich nicht als Einzelne,
nicht als pflegende Angehörige mit einer spezifischen Angehörigenproblematik,
sondern sie betrachtet ihre Lage als etwas, das sie und ihren Mann als Paar
betrifft. Hier klingt auch an, dass sie die Demenzerkrankung und die damit
zusammenhängende Betreuung ihres Mannes nicht als einen unter vielen
anderen Sektoren ihres Lebens auffasst – wie dies etwa eine Tochter tun kann,
die neben der Pflege ihrer dementen Mutter noch die eigene Familie hat und
eventuell einen Beruf und vieles andere. Frau K. vermisst es, „die Zukunft“ (33),
etwas sehr Umfassendes, mit ihrem Mann besprechen zu können. Ihr Dilemma
liegt gerade darin, dass er hierfür ausfällt. Damit betrifft die Demenz nicht einen
Ausschnitt, sondern sie trifft mitten ins Zentrum ihres Lebens.
7.2.5
Erstberatung Frau L.
Zugang
Frau L., die ihren 73-jährigen Ehemann seit einer Prostataoperation im Jahr
zuvor verändert erlebt und vor 8 Wochen die Diagnose einer Demenz erfahren
hat,
kommt
über
die
Öffentlichkeitsarbeit
der
Beratungsstelle
in
die
Sprechstunde.
Themen
Frau L. kommt mit praktischen Problemen in die Beratung. Sie fragt, wie sie ihren
Mann vom Autofahren abhalten kann (18), und wie sie verhindern kann, dass er
ständig Geld mit seiner Kreditkarte abhebt (21ff.). Anhand dieser Fragestellungen
beschäftigt sie sich mit der Frage, inwieweit sie als Ehefrau das Recht hat, in
seine Angelegenheiten einzugreifen (22, 27ff., 34). Den Überblick über alle
Themen in diesem Fall gibt die Abbildung.
248
Abbildung 23:
Themen in der Erstberatung von Frau L.
Thema
Fundstelle
Angst vor dem dementen Ehemann
L10
Seelische Belastung
L16
Erste Anzeichen der Demenz wahrnehmen
L6, 7
Veränderung der Persönlichkeit des Patienten
L9
Problemverhalten des Patienten: Gereiztheit
L9, 18
Problemverhalten des Patienten: fehlende Krankheitseinsicht
L18, 21
Problemverhalten des Patienten: Selbst- und fremdgefährdendes Verhalten
L18, 21
Bewältigungsversuche des Erkrankten
L13
Verlust des Gesprächspartners, fehlender Austausch
L15
Übernahme von Aufgaben, für die zuvor der Patient zuständig gewesen war
L11
Scheu, in die Sphäre des Erkrankten einzugreifen
L22, 27ff., 34
Entscheidungen gegenüber dem Erkrankten begründen
L12
Bedeutung des Einverständnisses des Erkrankten bei wesentlichen Entscheidungen
L30
Veränderung der Ehebeziehung durch das erforderliche Eingreifen in die Sphäre des Mannes
L25, 34
Versuch, das Verhalten des Erkrankten zu interpretieren
L14
Verstehen des Erkrankten, Umgang
L24, 32, 34
Rolle der Kinder als Stütze
L28
Sorge, dass sich das Verhältnis zwischen Erkranktem und Kindern verschlechtert
L19
Vollmacht, gesetzliche Betreuung
L26
Hilfeoption aus dem Bereich psychoedukativer Gruppenangebote
L36
Bezugnahme zu früherer Erfahrung mit existenziell bedrohlicher Erkrankung des Gatten
L5
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt.
Analyse des Falles
Ähnlich wie bei Frau K. kreisen auch die Gedanken von Frau L. um den Verlust
ihres Mannes als Gefährten und um die Frage seiner Souveränität. Beide Frauen
illustrieren jedoch unterschiedliche Aspekte dieser Themen. In der Erzählung von
Frau K. wird besonders deutlich, dass sie ihren Partner als wesentliche
Bezugsperson für sich selbst entbehrt, als jemanden, der sie emotional und als
Gesprächspartner im Alltag unterstützen und von dem sie etwas empfangen
kann. Demgegenüber betont Frau L., sie vermisse es gerade, ihrem Mann etwas
geben zu können. Sie beobachtet die Veränderung ihres Mannes: Wie er sich
ohne Begründung aus seinem Kegelclub zurückzieht (7), wie er nun häufig in
gereizter Stimmung ist, „wegen nichts sofort unter der Decke“ (9), wie er oft
stundenlang mit dem Fahrrad herumfährt (13), dann wieder ganz still wird und
nur da sitzt (13). Sie bemüht sich, seine Verhaltensweisen zu interpretieren und
glaubt, auf diese Weise versuche er die dramatischen Veränderungen, die er
durchmacht, zu bewältigen. Sie sagt, wenn er ganz still werde und dasitze, habe
sie den Eindruck, „dann arbeitet es in ihm“ und er versuche, „die Dinge wieder
249
zusammen zu bekommen“ (14).
Auch das Fahrradfahren rückt sie in den
Kontext der Stressbewältigung, da er das immer schon getan habe, wenn er
belastet gewesen sei (13). Jetzt bleibe er allerdings oft stundenlang
verschwunden (13); für sie muss dies ein Hinweis auf die Schwere seiner
psychischen Belastung sein. Sie tut damit genau das, was zu einer guten Ehe
gehört, nämlich das Befinden des anderen wahrzunehmen und sich Gedanken
über sein Wohlbefinden zu machen. Doch das Entscheidende einer guten
Partnerschaft fehlt ihr. Sie kann mit ihrem Mann nicht mehr über seine Not und
über ihre eigenen Überlegungen dazu sprechen. Sie sagt in der Beratung: „Das
Schlimmste ist, dass er nicht darüber redet“ (15), und sie registriert, dass ihr
Mann keinerlei Reaktion gezeigt habe, als der Arzt ihm die Demenzdiagnose
mitgeteilt habe (16). Sie bringt sein Schweigen nicht in den Zusammenhang
seines krankheitsbedingten Unvermögens. Doch an einer anderen Stelle in dem
Beratungsgespräch wird deutlich, wie wenig er noch in der Lage ist, sich
sprachlich differenziert über seine Situation zu äußern. Sie berichtet, wie er
seiner Tochter gegenüber gesagt habe, er wolle „zunächst mit dem jetzt fertig
werden“ (29), womit er offenbar seine Demenz gemeint hat. Diese unbeholfene
Äußerung zeigt, dass er vermutlich nicht so sehr aufgrund eines emotionales
Rückzuges, sondern wegen seines schwer eingeschränkten Reflexions- und
Artikulationsvermögens für seine Frau unerreichbar wird. Sie möchte ihm helfen,
sie möchte ihn emotional auffangen, wie es sich in einer guten Partnerschaft
gehört, doch er entzieht sich ihr, indem er nicht spricht. Noch fremder wird er ihr
dadurch, dass ihre Interpretationsbemühungen an Grenzen stoßen, der Mann ihr
zunehmend unverständlich bleibt und unkalkulierbar wird, weil er sich in seiner
Persönlichkeit verändert, so dass sie „manchmal richtig Angst vor ihm“ (10) habe.
Dass sie über seine stundenlangen Abwesenheiten, wenn er mit dem Fahrrad
herumfährt, erzählt, kann nach diesen Überlegungen als Metapher dafür gelten,
dass sie ihn Lichtjahre von sich entfernt empfindet, unerreichbar.
Auch beim Thema der Souveränität des Partners zeigt Frau L. andere Aspekte
als zuvor Frau K. Frau K. scheute sich, in einen Aufgabenbereich einzudringen,
der zuvor eindeutig in die Verantwortung ihres Mannes gefallen war. Man hat bei
ihr den Eindruck, dass es zumindest in diesem Bereich zwischen ihrem Mann
und ihr eine klare hierarchische Grenze gegeben hat, die sie jetzt – wie sie glaubt
– unbefugt überschreitet. Die Bedenken von Frau L., in die Souveränität ihres
dementen Mannes einzugreifen, scheinen sich eher vor dem Hintergrund einer
früher gleichberechtigten Partnerschaft abzuspielen. Sie sagt: „Ich weiß, dass
250
das eine ganz fiese Tour ist, aber ich habe heimlich in seinem Portemonnaie
nachgesehen und festgestellt, dass er die Karte zusammen mit dem PIN-Code
aufbewahrt.“ (22) Sie habe vorsichtshalber den Dispokredit storniert und den
Bankangestellten eingeweiht. Sie kommentiert auch das: „Auch ganz link von
mir!“ (22). Ihre Motive sind ganz integer, dennoch hat sie den Eindruck, ihren
Mann hier zu hintergehen. Gleich gegen mehrere wesentliche Werte einer guten
Ehe glaubt sie zu verstoßen: Erstens greift sie in seine Souveränität ein (sie
schaut in sein Portemonnaie und storniert den Kredit), zweitens glaubt sie, sich
illoyal zu verhalten (sie hat mit dem Bankangestellten Geheimnisse vor ihm), und
drittens vertraut sie ihm nicht mehr (sie kontrolliert ihn). Gegenseitiges Vertrauen
aber ist eine Grundvoraussetzung für eine gute Beziehung. Ebenso wie sein
oben beschriebenes Schweigen bringt sie auch hier die Dinge nicht in den
Kontext seiner Demenzerkrankung, sondern sie versucht zunächst, die
Ereignisse
im
Rahmen
ihres
Alltagsverständnisses
von
einer
guten
Ehebeziehung zu interpretieren: Man spioniert einfach nicht hinter seinem
Partner her, und man redet nicht hinter seinem Rücken über ihn mit einem
Fremden. Im Licht dieses Alltagsverständnisses hat sie sich als schlechte
Ehefrau erwiesen, und sie muss sich deswegen schuldig fühlen.
Wie bindend diese Alltagsvorstellungen sind, zeigt noch ein weiteres Beispiel aus
diesem Fall. Als Frau L. eine weitreichende Entscheidung (Zustimmung oder
Ablehnung einer Operation) für ihren Mann treffen muss, ist sie ähnlich wie Frau
A. erleichtert, als ihr Mann ihr zu verstehen gibt, wie seine Entscheidung in dieser
Frage aussieht, und dass sie beide hierin übereinstimmen. Sie war gegen die
Operation,
weil
sie
hierdurch
eine
weitere
Verschlechterung
seiner
Demenzsymptomatik befürchtete, und er äußerte der Tochter gegenüber, er
wolle zunächst „mit dem jetzt fertig werden“, bevor er sich operieren lassen wolle
(29). Sie sagt in der Beratung: „Ich war so froh, es aus seinem Munde zu hören“,
wenn auch – das räumt sie in einem gemurmelten Selbstgespräch ein – „nicht im
vollen Besitz seiner geistigen Kräfte.“ (30) Frau L. ist sich also vollauf darüber im
Klaren, dass seine Entscheidung nicht nach reiflicher Überlegung und mit
kritischem Urteilsvermögen gefallen ist. Dennoch ist es ihr sehr wichtig, dass er
entschieden hat. Die Vorstellung, derart weitreichende Entscheidungen nur
gemeinsam mit ihrem Partner treffen zu dürfen, ist so wesentlich für sie, dass sie
es in Kauf nimmt, sich selbst etwas vorzumachen. Wenn sie aus diesem
Dilemma herauskommen wollte, müsste sie das Alltagsverständnis der
Ereignisse überschreiten. Sie müsste sich hundertmal am Tag klar machen, dass
251
das Verhalten ihres Mannes jetzt wesentlich durch seine Demenz beeinflusst ist.
Das mag einigermaßen gut gelingen, wenn es allein bestimmte Verhaltensweisen
betrifft. Wenn sie sich also beispielsweise klar machen muss, dass er sie zum
wiederholten Male dasselbe fragt, nicht etwa, weil er ihr nicht zuhören will,
sondern weil er die Antwort immer wieder vergisst. Schwieriger wird das jedoch,
wenn sie nicht nur einzelne Verhaltensweisen neu interpretieren, sondern die
ganze Ehebeziehung vor einen neuen Interpretationshorizont rücken muss. Die
Antwort auf die Frage „Wann bin ich eine gute Ehefrau und wann eine
schlechte?“ muss sie ganz neu konstruieren, indem sie ihre Alltagsvorstellungen
von einer guten Ehe mit den Bedingungen der Demenz abgleichen müsste, um
dann zu einem neuen, anderen Verständnis zu kommen.
7.2.6
Erstberatung Frau M.
Zugang
Frau M., deren 81-jähriger Mann seit dem Krieg körperbehindert, seit einigen
Jahren auf den Rollstuhl angewiesen und seit 15 Jahren nach einem Unfall
dement ist, kommt auf Anraten des Arztes ihres Mannes in die Beratungsstelle.
Themen
Das übergreifende Thema dieser Erstberatung ist die Frage nach der
Gerechtigkeit zwischen den Ehegatten, die für Frau M. aktuell wird, nachdem sie
seit Jahren erstmals wieder etwas Entlastung erlebte, als ihr dementer Mann
anlässlich einer Krankenhausbehandlung mehrere Wochen außer Haus war
(24ff., 31, 37). Den Überblick über alle in diesem Fall angesprochenen Themen
gibt die folgende Abbildung.
252
Abbildung 24:
Themen in der Erstberatung von Frau M.
Thema
Fundstelle
Zusätzliche seelische Belastung durch den Tod naher Angehöriger
M15
Belastung
M23, 38
Entlastungsmöglichkeiten im Alltag
M36
Problemverhalten des Patienten: nächtliche Unruhe
M6
Problemverhalten des Patienten: Interesselosigkeit
M13
Problemverhalten des Patienten: fehlende Kooperation bei der Körperpflege
M20
Problemverhalten des Patienten: Antriebslosigkeit
M13
Problemverhalten des Patienten: verbale Aggressionen
M20
Veränderung der Persönlichkeit
M13
Reaktion auf Entlastung durch Krankenhausaufenthalt des Partners
M24ff.
Gerechtigkeit zwischen den Partnern
M31, 37
Vom Partner zurückgewiesen werden
M14
Fehlender Austausch
M14
Fehlende emotionale Resonanz
M14, 21
Fehlende Anerkennung der Pflegeleistung durch den pflegebedürftigen Partner
M21
Aggressiv getönte Pflege
M20, 27
Inkontinenz nicht verzeihen können
M28
Wunsch, der Partner möge sterben
M29f.
Pflegemotiv: finanzielle Gründe
M31
Den Kindern nicht zur Last fallen wollen
M17
Empfinden, dass die Kinder sich nicht wirklich in die Situation hineinversetzen können
M18
Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor
M33
Hilfeoptionen aus dem Bereich niedrigschwelliger Angebote
M39
Hilfeoptionen aus dem Bereich psychoedukativer Gruppenangebote
M39
Erfahrungen mit der Inanspruchnahme professioneller Hilfen
M7
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt.
Analyse des Falles
Unter den für diese Arbeit ausgewerteten Fällen hat diese Frau die längste Zeit
häuslicher Pflege hinter sich. Ihr Mann, der schon seit dem Krieg beinamputiert
war, erlitt vor etwa 15 Jahren, nach seiner Pensionierung, einen Unfall, in dessen
Folge er einen schweren Hirnschaden mit Demenz davontrug. Die Ehefrau
berichtet, seine Persönlichkeit habe sich mit dem Hirnschaden vollständig
verändert. Früher lebenslustig, freundlich und gesellig sei er seither nicht mehr
an Geselligkeit interessiert, überhaupt in allem antriebs- und interesselos
geworden (13). Sie schildert seine fehlende emotionale Resonanz, er zeige
keinerlei Regungen, spreche so gut wie nicht mehr, sitze meist teilnahmslos da
(14). Die Ehefrau betreut ihn in diesem Zustand seit 15 Jahren.
253
In dem Memo, das ich direkt im Anschluss an diese Beratung geschrieben habe,
hielt ich den ersten subjektiven Eindruck fest, den dieses Gespräch auf mich
gemacht hatte: „Mein erster Eindruck: Sie berichtet ganz sachlich über ihre
Situation. Einmal weint sie, doch nur ganz kurz und mit dem Hinweis, sie sei
„normalerweise nicht nah am Wasser gebaut“. Sie spricht über die fehlende
emotionale Resonanz ihres Mannes („Die Gefühle sind weg.“, 14), doch auch sie
selbst wirkt emotionslos, wenn sie über ihn berichtet. Vor mir entsteht das Bild
einer grau-braunen Wohnung, in welcher der Mann stumm in seinem Rollstuhl
sitzt, und die Frau wortlos Pflegeverrichtungen an ihm vornimmt. Das alles seit
Jahren, in einem immer gleichen, allein von der Notwendigkeit angetriebenen
Tagesablauf, gelegentlich nur unterbrochen durch kurzfristiges Aufbäumen, wenn
der Mann sich der Pflege widersetzt und wüst schimpft (20), und die Frau
zurückschreit (27).
Ganz anders wirkt sie, wenn sie über sich selbst spricht. Zum Beispiel als sie von
der dritten Woche während seines Krankenhausaufenthaltes erzählt, als sie seit
langem wieder einmal etwas Schönes für sich selbst tun konnte (26). Da wirkt sie
plötzlich emotional präsent. Sie richtet sich in ihrem Stuhl auf, ihre
Sprachmelodie wird munterer. Ich spüre deutlich ihre Sehnsucht, wieder etwas
vom Leben zu haben. Auch als sie über ihre Angst spricht, später ein Sozialfall
zu sein, ist sie emotional für mich wahrnehmbar (31).“
Diese beiden Stellen, an denen sie in der Beratungssituation emotional präsent
wirkt, markieren das Hauptthema, das sie während des Gespräches allmählich
aufrollt. Frau M. erzählt zunächst, ihr Mann sei kürzlich für fünf Wochen wegen
nächtlicher Unruhe in einer psychiatrischen Klinik behandelt worden. In der
ersten Woche sei sie ganz „kribbelig“ (24) gewesen, sei „wie ein Tiger im Käfig
herumgelaufen“ (24), und sie erklärt: „Mein Regelwerk war weg“ (24). In der
zweiten Woche sei sie krank geworden. Sie habe seit Beginn der Pflegetätigkeit
eine chronische Magenentzündung. In dieser Woche habe sie sich ständig
übergeben müssen (25). In der dritten Woche habe sie dann plötzlich gedacht:
„Es gibt da noch ein Leben für dich!“ (26) Sie habe in Ruhe ihren Haushalt
machen können, habe sich mal auf eine Bank gesetzt, sogar ein Buch
genommen.
Doch
dann
seien
schon
die
Vorbereitungen
auf
die
Krankenhausentlassung auf sie zu gekommen, und der Stress habe wieder
eingesetzt (26). Vermutlich erstmals seit Jahren hat sie ein wenig Entlastung
erlebt. Sie spürt den Kontrast zwischen diesem Stückchen eigenen Leben und
254
ihrem Pflegealltag jetzt offenbar sehr stark, so stark, dass sie ihren Alltag nicht
als Leben bezeichnet. Leben gab es nur während seiner Abwesenheit.
Nach dieser Erzählung geht sie sofort dazu über, von Momenten aggressiv
getönter Pflege zu sprechen. Sie sei manchmal ungerecht ihrem Mann
gegenüber, schreie zurück (27), wenn er sich ihren Hilfen widersetze und sie
seinerseits wüst beschimpfe („Da kann er plötzlich reden!“, 20). Oder sie könne
ihm nicht verzeihen, wenn er inkontinent sei (28).
Schnell kommt sie dann zum zentralen Punkt: Sie will ihn dennoch weiter zu
Hause pflegen. Sie sei „ganz nüchtern in diesem Punkt“ (31). Sie hätten etwas
Erspartes. Wenn sie das nun für seine Heimunterbringung (31) oder für die
Finanzierung weiterer ambulanter Hilfen (37) ausgeben würde, „dann bin ich
später ein Sozialfall“ (31).
Das Grundthema in diesem Fall ist also die Frage der Gerechtigkeit zwischen
den Partnern. Sie pflegt ihn seit Jahren, verzichtet auf eigenes Leben, und der
Lohn all dessen soll dann sein, dass sie selbst später mittellos sein könnte. Das
empfindet sie als ungerecht. Von Reziprozität, Loyalität zum Partner oder Liebe,
d.h. von den Motiven, die andere Ehegatten in dieser Untersuchung an vielen
Stellen als Antrieb für ihr fragloses Engagement für den kranken Partner genannt
haben, ist in diesem Fall nichts zu erkennen. Wenn diese Motive vorhanden
gewesen sind, dann scheinen sie nach 15 Jahren der Pflege aufgebraucht zu
sein. Es bietet sich hier an, an die Vorstellung von Boszormenyi-Nagy &
Spark1069 anzuknüpfen, wonach Familienbeziehungen sich unter dem Aspekt der
Gerechtigkeit formieren, und es in Familien eine unsichtbare Kontoführung über
die vergangenen und gegenwärtigen Verbindlichkeiten der Familienmitglieder
gibt. Das Konto des kranken Herrn M. ist nach 15 Jahren der Pflegebedürftigkeit
leer, und seine Frau ist der Ansicht, er schulde ihr etwas. Deshalb beklagt sie, er
sage nur mechanisch „Danke“ (21), und deshalb vermisst sie, dass er einmal
sagt: „Es ist gut, dass es Dich gibt.“ (21) Deshalb kann sie ihm nicht verzeihen
(man kann einem anderen dessen Schuld verzeihen), und sie macht das Thema
des Nicht-Verzeihen-Könnens konkret an seiner Inkontinenz fest (28). Sie ist in
einem Dilemma, das sie seit der erlebten Entlastung während seines
Krankenhausaufenthaltes besonders deutlich spürt. Entweder gibt sie ihrer
Sehnsucht, etwas vom Leben zu haben, jetzt nach, muss dafür Geld ausgeben
und riskiert eigene finanzielle Bedürftigkeit für später – oder sie verzichtet jetzt
auf ihre eigenen Bedürfnisse, hält weiter durch und hofft, sich später mit dem
1069
vgl. Boszormenyi-Nagy & Spark 2001
255
Ersparten etwas gönnen zu können. Konsequent zu Ende gedacht heißt das, sie
muss darauf setzen, dass der Mann nicht mehr allzu lange leben wird. Genau
das spricht sie auch in der Beratung an: Manchmal denke sie, er möge bald
sterben (29). Dies sofort wieder zurücknehmend fügt sie hinzu: ... doch das wolle
sie nicht (30).
7.2.7
Erstberatung Herr N.
Zugang
Herr N., dessen 72-jährige Ehefrau seit mindestens zwei Jahren an einer
inzwischen fortgeschrittenen Demenz erkrankt ist, kommt auf Anraten von
Bekannten in die Beratungsstelle.
Themen
In dieser Beratung geht es schwerpunktmäßig um eine seit Jahrzehnten
schwierige Ehe, in der nun eine Demenz auftritt. Die Übersicht über alle in dieser
Erstberatung angesprochenen Themen gibt die Abbildung.
Abbildung 25:
Themen in der Erstberatung von Herrn N.
Thema
Fundstelle
Zukunftsperspektive: über die Runden kommen
N30
Erste Anzeichen der Demenz wahrnehmen
N8
Misstrauen der dementen Partnerin
N11
Problemverhalten: Sprachstörungen
N13
Krankheitsverlauf
N32
Charakteristikum der Ehe vor Auftreten der Demenz: Leben in getrennten Sphären
N10, 27
Rückblick auf die Ehe
N17ff.
Darstellung der Partnerin, bevor sie dement wurde
N15
Unsicherheit, in die Sphäre der dementen Partnerin eingreifen zu dürfen
N9
Kontakte der Partner
N28
Kommunikationsprobleme aufgrund der Sprachstörungen der dementen Partnerin
N13
Mitleid mit der dementen Partnerin
N24
Motiv zur Betreuung der dementen Partnerin: Loyalität?
N26
Motiv zur Betreuung der dementen Partnerin: Mitleid
N24ff.
Rolle von Freunden
N7
Rolle der Kinder: Stütze
N25
Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor
N33
Hilfeoptionen aus dem Medizinsektor
N34
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt.
256
Analyse des Falles
Herr N. beginnt seine Erzählung in der Gegenwart. Am Tag zuvor ist bei seiner
Frau eine fortgeschrittene Demenz diagnostiziert worden. Er selbst bemerke
Veränderungen bei ihr seit etwa zwei Jahren. Herr N. stellt sofort klar, seine Frau
dürfe keinesfalls erfahren, dass er von ihrer Diagnose weiß (eine gemeinsame
Freundin habe ihn informiert), oder dass er deswegen die Beratungsstelle
aufgesucht habe. Er dürfe sich nicht in die Angelegenheiten seiner Frau
einmischen, sonst „rastet sie aus“ (9). Selbst wenn er sich nur nach ihrem
Befinden erkundige, sei sie sofort misstrauisch und gerate außer sich (11). Auf
die Frage, wie man sich dieses „Ausrasten“ vorstellen muss, beschreibt er, ihre
Sprache sei inzwischen beeinträchtigt, sie rede dann stereotyp und äußere zum
Beispiel „Keine Fragen! oder „Jetzt greift er schon wieder ein“ oder auch für ihn
völlig unverständlich „Du bist Soldat gewesen, du sollst für den Frieden kämpfen“
(13).
Mit der einleitenden Bemerkung, „Meine Frau ist immer eine dominante Person
gewesen“ (15), wendet er sich dann ausführlich der Vergangenheit seiner
Ehebeziehung zu. Er beschreibt seine Frau als sehr beliebt, witzig, geistreich,
auch heute noch außergewöhnlich attraktiv, sie sei „eine tolle Frau“ gewesen
(15). Er schildert auch ausführlich den Lebenslauf seiner Frau (15)1070. In der
ersten Zeit ihrer Ehe in den 50er Jahren hätten sie eine „schöne Zeit“ (17)
gehabt. Sie habe unbedingt Kinder haben wollen, „sie hat mich regelrecht ins
Bett gezerrt“ (17). Nach der Geburt der Kinder habe ihr Interesse an ihm
schlagartig aufgehört. „Wir haben im Grunde in zwei getrennten Sphären gelebt“,
sie zuständig für Haus und Kinder, daneben vielfältig engagiert in Vereinen,
Gremien und auch wieder im Beruf, er im Beruf, als Freizeitmusiker und
zeitweise mit einer Geliebten. Vor 13 Jahren sei er in den Ruhestand eingetreten.
Seither seien viele ihrer Bekannten und Verwandten gestorben. Er resümiert:
„Am Ende war nur noch ich da, der ihr nicht reichte.“ (21) Seine Frau habe all ihre
Frustration in den letzten Jahren an ihm ausgelassen. Er sagt: „Ich war der
Prellbock“ (22) und „Ich hab’ viel gefressen“ (22). Bekannte hätten seine Frau
darauf aufmerksam gemacht, so könne sie nicht mit ihm umgehen (22), und die
Kinder hätten ihm geraten, sich von ihr zu trennen (25).
1070
Diese Schilderungen sind aus Gründen der Anonymisierung des Falles weitgehend aus der Dokumentation
entfernt worden.
257
Zum Abschluss seiner Erzählung kommt Herr N. in die Gegenwart zurück. Er
könne sie nicht verlassen (26), sie tue ihm Leid, so wie sie sich jetzt verändere
(24, 30). Sie lebten in ihrem gemeinsamen Haus in zwei getrennten Haushalten,
wirtschafteten jeder für sich (27). Er habe sich ein „Refugium“ (27) im Haus
geschaffen,
und
er
erwähnt
zweimal,
dass
er
auch
einen
eigenen
Telefonanschluss habe. Inwieweit die beiden im Alltag miteinander zu tun haben,
wird aus seinem Bericht nicht klar. Einerseits sagt er, es gebe im Grunde
keinerlei Kommunikation zwischen ihnen (27), andererseits erwähnt er
Streitereien bei einem gemeinsamen Fahrradausflug, einem gemeinsamen
Fernsehabend oder beim Zusammentreffen in der Küche (28). Auf die Frage, wie
er sich die weitere Zukunft vorstelle, antwortet er: „Ich möchte alles tun, damit wir
beide einigermaßen über die Runden kommen“ und „Sie tut mir Leid“ (30).
Dieser Fall steht für einen bestimmten Typus von Sonderfällen in der
Ehegattenberatung: eine langjährig zwiespältige, komplizierte Beziehung, die
nun, mit dem Auftreten der Demenz, noch einmal komplizierter wird. Auf den
ersten Blick fällt auf, dass hier das Thema der Souveränität der beiden Partner,
das bei vielen anderen Ehegatten in den hier ausgewerteten Fällen mit dem
Auftreten der Demenz zur Frage wurde, bei diesem Paar schon seit Jahrzehnten
virulent ist. Herr N. schildert eine Beziehung, die jahrelang durch ein bestimmtes
Abgrenzungsprinzip im Sinne von Willi1071 gekennzeichnet ist, nämlich durch
einen intradyadisch starren und extradyadisch diffusen Grenzverlauf. Aus dem
Blickwinkel des Modells der Gegensatzeinheit von Duss von Werdt1072 war die
zentrifugale Komponente, d.h. Abgrenzung, Widerstand und Autonomie, bei
diesem Paar stets sehr ausgeprägt. Gleichzeitig muss es sehr starke zentripetale
Kräfte geben, die seit Jahren dafür sorgen, dass das Paar trotz der starken
inneren
Abgrenzung
und
der
zusätzlich
diffusen
Außengrenzen
nicht
auseinander gebrochen ist. Was die Kohäsion dieses Paares gestützt hat, lässt
sich mit den wenigen Informationen aus dem Erstgespräch nur mutmaßen. Es
gibt aber einige Hinweise1073, dass ein narzisstisches Kollusionsmuster im Sinne
von Willi1074 nach dem Prinzip „Ich bin so schwärmerisch-verehrend, weil du so
grandios bist“ und „Ich bin so grandios, weil du so schwärmerisch-verehrend
1071
vgl. Funktionsprinzipien von Paarbeziehungen bei Willi 2002, 16ff.
1072
vgl. Modell der Gegensatzeinheit von Duss von Werdt 1973, 18
1073
Herr N. nimmt sich viel Zeit, seine „tolle Frau“ (15) darzustellen und ihre Lebensgeschichte ausführlich zu
schildern (15). Er resümiert : „Am Ende war nur noch ich da, der ihr nicht reichte.“(21)
1074
vgl. Kollusionskonzept von Willi 2002, 65ff.
258
bist“1075 bei diesem Paar einige Bedeutung hat. Unklar bleibt, in welcher Form die
Rollen der beiden miteinander verzahnt sind, ob und in welcher Kombination die
von Richter1076 beschriebenen Möglichkeiten des Partner-Substituts, des
Abbildes, des idealen oder negativen Selbst oder des Bündnisgenossen hier
bedeutsam sind.
Fest steht aber, alle diese Funktionsprinzipien des Paares - Grenzregelung,
Gegensatzeinheit von zentrifugalen und zentripetalen Kräften, Kollusionsmuster
und Rollenverzahnung - geraten nun unter den Bedingungen der Demenz in
Bewegung. Es ist deshalb fraglich, ob die beiden weiter „über die Runden
kommen“ werden (30), wie es sich Herr N. für die Zukunft wünscht. Ihre
bisherigen, fein justierten Bewegungen und Strategien jedenfalls werden mit dem
Fortschreiten
der
Demenz
zunehmend
dysfunktional
werden.
Eine
Angehörigenberatung, die sich jetzt vornehmlich psychoedukativ verstehen, also
eng an die Krankheitsfragen der Demenz halten würde, richtete hier wenig aus.
Wie wenig, lässt sich an einem Punkt dieses Falles illustrieren. Es gibt Zweifel,
ob Herr N. überhaupt in der Lage ist, die demenzbedingten Defizite seiner Frau
realistisch einzuschätzen. Er berichtet, seine Frau regele noch vollkommen
selbständig ihren Haushalt einschließlich aller finanziellen, administrativen und
sonstigen damit zusammenhängenden Angelegenheiten (27). Das passt nicht zu
der Diagnose einer fortgeschrittenen Demenz (6), und es passt auch nicht zu
dem winzigen Einblick, den er auf ihre Defizite gewährt, als er zu Beginn des
Gespräches ihre stereotypen und teils überhaupt nicht in den Gesprächskontext
passenden Antworten mit einigen wörtlichen Zitaten schildert (13). Die Nachfrage
der Beraterin, ob seine Frau das alles tatsächlich noch bewältigen könne, kann er
nicht konkret beantworten. Er sagt, Details könne er nicht nennen, aber er
glaube, sie könne das noch (27). Man kann hier den Verdacht haben, dass er gar
nicht so genau hinschauen mag, weil er sie immer noch bewundern will, und sie
immer noch seine „tolle Frau“ ist und bleiben soll. Möglicherweise ahnt er, dass
das ganze fragile Arrangement seiner Ehe nur dann zu retten wäre, wenn alles
genauso bliebe, wie es war. Eine solche Haltung allerdings lässt sich allein durch
Information über das Wesen einer Demenz und Schulung im angemessenen
Umgang
mit
der
psychotherapeutische
1075
Willi 2002, 81
1076
vgl. Richter 2001, 50ff.
Erkrankten
Interventionen
schwerlich
angezeigt.
verändern.
Die
Hier
wären
gerontopsychiatrische
259
Angehörigenberatung kommt hier an Grenzen, selbst dann, wenn sie sich nicht
nur eng als psychoedukative, sondern als psychosoziale Beratung versteht.
7.2.8
Erstberatung Frau O.
Zugang
Frau O. lebt seit einigen Jahren mit ihrem Lebensgefährten zusammen, der aus
erster Ehe drei erwachsene Kinder hat und inzwischen fortgeschritten dement ist.
Sie kommt auf Empfehlung der Tagesklinik, in der er behandelt worden ist.
Themen
Schwerpunkt sind Fragen zur Finanzierung eines Kurzzeitpflegeaufenthaltes
(11). Die folgende Abbildung gibt eine Übersicht aller Themen dieses Falles.
Abbildung 26:
Themen in der Erstberatung von Frau O.
Thema
Fundstelle
Eigene Erkrankungen der ratsuchenden Partnerin
O7
Rolle der Kinder: Distanz
O9,13
Rolle der Kinder: Entscheidungsträger
O9
Rolle der Kinder aus erster Ehe: Konflikte
O12
Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor
O11
Sozialhilfe
O11
Pflegeversicherung
O11
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt.
Analyse des Falles
Frau O. betreut ihren dementen Lebenspartner rund um die Uhr. Da sie selbst
bald wegen einer Operation ins Krankenhaus gehen muss, sucht sie nach
Möglichkeiten einer Ersatzbetreuung für ihn. Konkret möchte sie sich darüber
informieren, wie ein Aufenthalt in einer Kurzzeitpflegeeinrichtung finanziert wird.
Sie werde sich mit dem ältesten Sohn ihres Partners treffen, um mit ihm zu
überlegen, wie ihr Lebenspartner während ihrer Abwesenheit versorgt werden
soll.
Ein Anruf beim Sozialamt ergibt folgendes: Allein für sich betrachtet hätte ihr
Lebenspartner wegen seiner sehr niedrigen Rente Anspruch auf Sozialhilfe.
Doch da sie selbst eine hohe Rente hat, und das Sozialamt die beiden als
260
„eheähnliche Gemeinschaft“ einstufen wird, könnte es sein, dass sie sich an den
Kosten, die über den Zuschuss der Pflegeversicherung hinausgehen, beteiligen
muss.
Bis zu diesem Punkt war das Beratungsgespräch stringent an dem Thema
„Finanzierung der Kurzzeitpflege“ geblieben. Als klar wird, dass sie für ihn zahlen
muss, weicht sie ab und berichtet, es sei schwer für sie gewesen, mit seinen
Kindern umzugehen. Sie habe mehrere Jahre lang offene Ablehnung gespürt.
Man habe ihr zu verstehen gegeben, dass sie nicht die angemessene Frau für
den Vater sei. Sie sagt dann: „Dabei komme ich doch auch aus einer
ordentlichen Familie.“ (12) Sie endet mit der Bemerkung, die Kinder kümmerten
sich überhaupt nicht um den Vater, nur der Älteste sei im Notfall ansprechbar
(13).
Auch
dieser
Fall
steht
für
einen
Typus
von
Sonderfällen
in
der
Ehegattenberatung: eheähnliche Gemeinschaften oder Zweit-/bzw. Folgeehen,
die erst im Alter geschlossen werden. Frau O. thematisiert das Verhältnis zu den
Kindern ihres Lebenspartners und stellt indirekt die Frage nach der Gerechtigkeit.
Mit dem gedanklichen Ausflug in die Vergangenheit legt sie ihre unsichtbare
Kontenführung1077 offen: Sie fühlt sich von seinen Kindern in der Vergangenheit
herabwürdigend behandelt (12), das zu Unrecht, da sie doch auch aus „einer
ordentlichen Familie“ kommt. Heute kümmern sich die Kinder, so wie sie das
sieht, nicht genügend um den Vater (9, 13) - sie kümmert sich dagegen rund um
die Uhr um den Mann (7). Die Kinder entscheiden, wie der Vater versorgt werden
soll (9) - sie soll zahlen (11). Sie entscheidet zumindest nicht allein, sondern
berät sich mit dem Sohn, was während ihrer Abwesenheit geschehen soll.
Indirekt gibt sie damit zu verstehen, wie ungerecht sie diese Verteilung findet.
Offen spricht sie es aber nicht an.
Der Fall illustriert, wie kompliziert die Verhältnisse werden können, wenn die
sogenannten Fortsetzungsfamilien oder Patchwork-Familien ins Spiel kommen,
die Kinder und anderen Verwandten aus den vorangegangenen Beziehungen der
beiden Partner. Wie wird die Verantwortung für die Versorgung des Kranken
verteilt? Wer hat welche Kompetenzen? Wer darf sich zu Recht als Anwalt des
Erkrankten bezeichnen? Spezifisch für diese Sonderfälle ist außerdem, dass die
Dauer der gemeinsamen Geschichte, auf die das Paar zurückblickt, weitaus
1077
vgl. Boszormenyi-Nagy & Spark 2001
261
kürzer ist als bei langjährigen Ehen. Das stellt viele der in den bisher
ausgewerteten Fällen auftauchenden Themen in ein besonderes Licht: Wie sieht
es zum Beispiel mit der Reziprozität und der Loyalität aus, wenn ein so „junges“
Paar mit einer Demenz konfrontiert wird? Wie wirkt sich eine Demenz auf die
Entwicklung einer Partnerschaft aus, wenn sie in einer sehr frühen Phase der
Beziehung auftritt? Die einzige Arbeit, die ich zu dieser Problematik gefunden
habe, ist die von Kuhn, Morhardt & Monbrod-Framburg1078, die im Kapitel 3.1.2.2
näher beschrieben worden ist.
7.2.9
Erstberatung Herr P.
Zugang
Herr P., selbst 79 Jahre alt, hat eine 78-jährige Ehefrau, die seit 30 Jahren an
einer affektiven Psychose mit depressiven und manischen Episoden leidet. Seit
kurzem ist bekannt, dass sie nun auch dement ist. Herr P. findet über seine
Tochter den Weg in die Beratung.
Themen
Die Tochter bringt den Vater in die Beratungsstelle, weil sie ihm Hilfen bei der
Betreuung seiner kranken Frau erschließen möchte. In dem Telefonat zur
Terminabsprache sagt sie, bisher habe er stets Hilfen von außen abgelehnt, doch
nun Unterstützungsbedarf signalisiert (9f.). Eine Übersicht über alle in dieser
Erstberatung angesprochenen Themen gibt die Abbildung.
Abbildung 27:
1078
Themen in der Erstberatung von Herrn P.
Thema
Fundstelle
Eigene Erkrankungen des ratsuchenden Ehemannes
P21
Auseinandersetzung mit der Zukunftsperspektive
P37
Selbstschutz
P38
Disziplin
P39
Belastungen
P45, 47
Einbußen der Erkrankten: Agnosie
P8
Problemverhalten der Erkrankten: Interesselosigkeit
P24
Problemverhalten der Erkrankten: mangelnde Kooperation
P27f., 30, 34
Verhalten der Erkrankten: Schläfrigkeit
P23
Weitere Erkrankungen der Partnerin
P19
Symptomatik und Verlauf der Demenz
P44
vgl. Kuhn, Morhardt & Monbrod-Framburg 1993
262
Abbildung 27:
Themen in der Erstberatung von Herrn P.
Thema
Fundstelle
Vorgeschichte: chronische psychische Erkrankung der Ehefrau
P5, 18
Von der dementen Frau nicht als Ehemann erkannt werden
P25
Übernahme von Aufgaben, für die bisher die Ehefrau zuständig gewesen war
P31
Sich für die kranke Partnerin verantwortlich fühlen
P40
Pflegeproblem: Nahrungsaufnahme
P26
Pflegeproblem: Inkontinenz
P29
Verstehenshilfen und Umgang mit der dementen Frau
P46, 66
Rolle der Kinder: Initiative ergreifen
P3
Rolle der Kinder: Stütze
P11, 49, 62
Allein ohne Unterstützung Dritter zurechtkommen wollen
P9
Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor
P51, 63
Hilfeoptionen aus dem Bereich niedrigschwelliger Angebote
P51
Hilfeoptionen aus dem Bereich psychoedukativer Gruppenangebote
P51
Pflegeversicherung
P42, 48, 62, 67
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt.
Analyse des Falles
Der Fall von Herrn P. zeigt einerseits einen spezifischen Stil, mit dem dieser
Mann die Betreuung seiner Frau bewältigt. Andererseits steht dieser Fall auch für
einen Typus von Sonderfällen in der Ehegattenberatung: Paare, deren
Beziehung schon seit Jahren, lange vor dem Auftreten der Demenz, von
chronischer Krankheit bei einem der Partner gekennzeichnet war.
In dem Memo, das ich direkt im Anschluss an die Beratung geschrieben habe,
hielt ich meinen subjektiven ersten Eindruck fest: „Er wirkt seltsam heiter,
unangemessen heiter. Er berichtet meist mit einem verschmitzten Lächeln im
Gesicht. Galgenhumor? Spielt er den Gegenpart zu seiner depressiven Frau?
Oder scheut er sich, seine wirklichen Gefühle in der Beratungssituation zu
zeigen? Vor seiner Tochter? Vor mir, einer fremden Frau?“ Er berichtet
ausführlich über tägliche Komplikationen bei der Pflege seiner Frau, die meist
entstehen, weil sie aufgrund ihrer fehlenden Einsicht in die Notwendigkeit bei
Pflegemaßnahmen nicht kooperiert. Mehrmals beschreibt er die Schwierigkeiten
mit dem Bild „Das ist, als ob sie vier Hände hätte“ (28) und erzählt dann weiter:
„Sie will immer raus: raus aus der Badewanne, wenn sie sich waschen soll; raus
aus der Küche, wenn sie essen soll; raus aus dem Schlafzimmer, wenn sie sich
anziehen soll.“ (34) Er fährt fort: „Ich sage dann immer: ‚Nee, Männeken, Du
kommst hier nicht raus!’“ (35) In meinem Memo findet sich zu dieser
Beratungssequenz ein Eintrag, der diesen Betreuungsstil charakterisiert: „Er
263
nimmt es sportlich. Er erzählt das wieder mit seinem verschmitzten Lächeln. Es
hört sich so an, als sei das Ganze ein Spiel für ihn, bei dem es darum geht, seine
Frau immer wieder neu zu überlisten. Von seiner Belastung wird nichts deutlich.“
Dieser Mann betrachtet die alltäglichen Anforderungen und Schwierigkeiten bei
der Pflege als Herausforderung, gewissermaßen als einen Wettkampf, bei dem
mal er, mal seine Frau siegt. Ihm ist deutlich sein Ehrgeiz anzumerken und sein
Stolz, dass er viele Strategien entwickelt hat, „um das Spiel zu gewinnen“.
Neben dieser spielerischen, verschmitzten Seite zeigt Herr P. aber auch
resignative Züge. Auf die Frage, wie er sich die weitere Zukunft vorstelle, macht
er zuerst eine wegwerfende Handbewegung und antwortet dann: „Da hat man
sich ein dickes Fell zugelegt.“ (38) Mit der Handbewegung scheint er zu sagen,
die Zukunft ist nicht der Rede wert, und mit dem Bild des dicken Felles spielt er
auf das seit Jahrzehnten durch die psychische Krankheit seiner Frau
gekennzeichnete gemeinsame Leben an. Das „dicke Fell“ steht für den
Selbstschutz, den er sich zugelegt hat, dafür, die Dinge nicht mehr so nah an
sich herankommen zu lassen, und auch seine Frau auf Sicherheitsabstand zu
halten – eine Strategie, die für Angehörige von depressiv erkrankten Menschen
sehr funktional sein kann, um sich nicht von der depressiven Stimmung des
Patienten anstecken zu lassen. Anders als bei den anderen Paaren in den hier
ausgewerteten Fällen ist bei diesem Paar die Gefährtenschaft schon seit langem
verloren gegangen, und ihr Verlust scheint bitter als Tatsache hingenommen zu
werden. Auch die Übernahme von Aufgaben, die früher die kranke Partnerin
innehatte, ist längst kein Konfliktthema mehr („da ist man drin geübt“, 31).
Möglicherweise verschwimmt sogar das Bild der Frau immer mehr zu einer
geschlechtsneutralen pflegebedürftigen Person (er spricht sie mit „Männeken“
an, 35). Mit dem Hinweis auf das dicke Fell sagt Herr P. sich selbst, seiner
Tochter und der Beraterin, nur auf diese Weise und nur in dieser Art der
Beziehungsgestaltung lasse sich Zukunft für sie als Paar überhaupt vorstellen.
Auf die Frage, ob er schon einmal daran gedacht habe, seine Frau in ein Heim zu
geben, gibt er keine direkte Antwort, sondern führt seine Disziplin ins Feld: „Da
gibt man sich einen Ruck, und dann geht's weiter.“ (39) Er mache sich nur
Sorgen, „was passiert, wenn ich mal ausfalle“ (40). Es könnte sein, dass hier die
Anwesenheit der Tochter eine Rolle spielt. Will er vor ihr über solche
Überlegungen nicht sprechen. Die Tochter jedenfalls wechselt genau an dieser
Stelle
das
Thema
und
beginnt
Pflegeversicherungsleistungen zu sprechen (42).
über
den
Antrag
auf
264
Bisher ist deutlich geworden, die Demenz kann bei diesem Paar viele der
Wirkungen, die sie bei anderen Paaren im Hinblick auf die Beziehungsqualität
entfaltet, gar nicht mehr zeitigen, denn die Ehebeziehung ist längst durch die
vorher bestehende psychische Erkrankung verändert. Herr P. scheint auch lange
Zeit gar nicht bemerkt zu haben, dass seine Frau nun zusätzlich dement wird. Er
berichtet, der Arzt habe ihm vor vierzehn Tagen „eröffnet“, seine Frau habe eine
„schwergradige“ Demenz (20). Wenn die Demenz derart weit fortgeschritten ist,
dann verwundert es, dass er die Diagnose des Arztes als „Eröffnung“ einer
Neuigkeit und nicht als Bestätigung dessen, was er längst beobachtet hatte,
auffasst. Hierfür können zwei Ursachen verantwortlich sein. Die Symptomatik
einer Demenz kann durchaus mit depressiven Symptomen verwechselt werden.
Die Unterscheidung einer Demenz von einer sogenannten Pseudo-Demenz, d.h.
einer Depression, die sich in ihrer Symptomatik wie eine vermeintliche Demenz
darstellt, gehört zu den manchmal schwierigen Aufgaben der Diagnostik. Man
kann nun einwenden, ein Ehemann, dessen Frau seit Jahrzehnten manischdepressiv erkrankt ist, müsste die Symptome dieser Erkrankung bei ihr sehr gut
kennen und deshalb kleinste Veränderungen in Richtung einer anderen Störung
gut registrieren können. Dies ist in diesem Fall aber offenbar nicht geschehen.
Das spricht für ein anderes Phänomen als Ursache. Sicherlich wird der Mann die
Symptome seiner Frau gut kennen, jedoch ist er kein Arzt und deshalb nicht an
der
differenzialdiagnostischen
Unterscheidung
verschiedener
Krankheits-
symptome interessiert. Sein Fokus ist das alltägliche Zusammenleben als
Ehepaar. Und in diesem Alltag könnte die Wahrnehmung des Mannes, „Ich habe
eine kranke Frau“, als Deutungsmuster so dominant für alle ihre Äußerungen und
Verhaltensweisen und für die Interaktionen der beiden sein, dass er nicht mehr
so genau hinschaut, wie sich die Krankheitssymptomatik jeweils im Einzelnen
darstellt. Dann wäre die Ehebeziehung, der Alltag des Paares und auch die
Wahrnehmung, die der gesunde vom erkrankten Partner hat, so nachhaltig durch
die allgemeine Zuschreibung „krank“ bestimmt, dass das Auftreten einer weiteren
Erkrankung gar nicht auffällt.
Doch auch wenn die Beziehung schon vorher verändert war, entsteht durch die
Demenz nun noch einmal eine neue Dynamik. Auf Gedächtnisstörungen und
kognitive Defizite seiner Frau muss sich Herr P. nun anders einstellen als zuvor
auf ihre depressiven oder manischen Symptome. Wie wesentlich es ist, dem
Ehemann Möglichkeiten zu bieten, Wissen über die Demenz zu erwerben, zeigt
265
eine Bemerkung der Tochter, die sich einige Tage nach der Erstberatung noch
einmal
telefonisch
meldet.
Sie
erwähnt,
der
Vater
habe
in
den
Informationsbroschüren zum Umgang mit Demenzkranken gelesen, und sie habe
den Eindruck, er sei dadurch ruhiger im Umgang mit seiner Frau geworden (66).
Weitere Veränderungen werden aber vermutlich auch dadurch vorangetrieben,
dass Herr P. selbst älter wird, selbst schwer krank ist (er hat Krebs, 21) und
dadurch
nicht
mehr
denselben
Elan
wie
früher
haben
wird,
seinen
Betreuungsalltag als sportliche Herausforderung zu nehmen.
7.2.10
Beratung Frau Q.
Zugang
Frau Q., deren etwa 60-jähriger Ehemann seit einigen Jahren an einer
Alzheimer-Demenz
leidet,
kam
im
Jahr
2000
schon
zweimal
in
die
Beratungsstelle und nahm auch an dem Kursus „Verwirrtheit im Alter“ teil. Somit
handelt es sich bei der jetzt ausgewerteten Beratungssitzung nicht um eine
Erstberatung. Doch kommt Frau Q. zu diesem Termin erstmals in Begleitung
ihrer Tochter. Der Zugang zur Beratung ist über den behandelnden Arzt des
Mannes erfolgt.
Themen
Im Fall von Frau Q. geht es um die Frage der Heimunterbringung des dementen
Ehemannes. Alle Themen, die in dem Beratungsgespräch besprochen worden
sind, finden sich in der folgenden Abbildung.
Abbildung 28:
Themen in der Beratung von Frau Q.
Thema
Fundstelle
Körperliche Komplikationen beim dementen Partner
Q17
Rolle der Kinder: Stütze
Q21
Rolle der Kinder: Verpflichtungen gegenüber den Eltern
Q24
Rolle der Kinder: Frage der Gerechtigkeit zwischen den Generationen
Q25
Rolle der Kinder: Loyalitätskonflikt der pflegenden Ehegattin
Q26
Auseinandersetzung mit der Heimunterbringung
Q18ff., 23
Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor
Q16
Hilfeoptionen aus dem Medizinsektor
Q16
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt.
266
Analyse des Falles
Der Ehemann von Frau Q. erkrankte bereits vor seinem 60. Lebensjahr an einer
Alzheimer-Demenz. Im Jahr 2000 war Frau Q. zweimal kurz aufeinander folgend
in der Beratungsstelle und setzte sich in den Gesprächen damit auseinander, die
Erkrankung ihres Mannes zu akzeptieren. Die Beraterin dokumentierte:
Schwanken zwischen Hoffnung („dass es doch nicht die Krankheit ist“) und Wut
und Trauer über das eigene Schicksal („Wenn mein Mann tot wäre, fände ich es,
glaube ich, nicht so schlimm“, 7). Auch in dem Kursus „Verwirrtheit im Alter“
beschäftigte sie sich mit dieser Thematik.
Fast drei Jahre später kommt sie nun zusammen mit ihrer Tochter wieder in die
Beratungsstelle.
Sie
berichtet,
ihr
Mann
besuche
inzwischen
eine
Tagespflegeeinrichtung (16ff.). Nachdem er mehrmals zu Hause kollabiert sei,
befinde er sich zur Zeit im Krankenhaus, wo man aber keine Ursache habe
finden können. Sie sei sehr besorgt, ob sie unter diesen Bedingungen die
Betreuung zu Hause weiter bewältigen könne. Sie wolle ihn deshalb vorsorglich
in einem Pflegeheim anmelden und wünscht über Vorgehensweise und
Finanzierung informiert zu werden. Während der Beratung schwankt sie immer
wieder hin und her zwischen dem Wunsch, ihn zu Hause zu behalten, und der
Sorge, es wegen neuerlicher körperlicher Zusammenbrüche des Mannes nicht zu
schaffen ( „Wir haben eine steile Treppe“, 20). Die Tochter, schätzungsweise
zwischen 20 und 30 Jahre alt, ermutigt die Mutter, die Heimunterbringung ins
Auge zu fassen. Sie sagt mehrfach an die Mutter gewandt: „Du musst auch an
dich denken“ und „Du schaffst das so nicht mehr mit ihm“ (21).
Als über die Finanzierung einer Heimunterbringung gesprochen wird, erkundigt
sich die Tochter detailliert nach der Unterhaltspflicht, die sie als Tochter
gegenüber dem Vater hat. Sie habe zusammen mit ihrem Verlobten für den Bau
eines Eigenheims Vermögen angespart. Zur Mutter gewandt sagt sie: „Das gebe
ich nicht her.“ (25) Die Mutter daraufhin ratlos: „Was können wir denn tun?“(26)
Die Tochter antwortet vage: „Wir müssen uns was einfallen lassen.“ (27)
Es geht hier um die Frage der Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Die
Tochter ist in einem Konflikt. Sie möchte einerseits die Mutter entlasten, sieht
andererseits aber ihre eigene Zukunft zur Disposition gestellt. Die Mutter gerät in
einen doppelten Konflikt. Sie muss einerseits entscheiden zwischen ihren
eigenen Bedürfnissen und ihrer Loyalität zum Ehegatten, andererseits zwischen
ihren eigenen Interessen und ihrer Loyalität zum Kind. Eine Lösung finden die
267
beiden innerhalb der Beratung nicht. Der weitere Fallverlauf zeigt aber, dass der
Mann später in einem Heim untergebracht worden ist. Um das Zusammenspiel
der Generationen bei der Versorgung eines pflegebedürftigen alten Menschen
besser zu verstehen, wäre es auch notwendig mehr darüber zu wissen, wie
Familien die Entscheidungsprozesse um die Gerechtigkeitsfrage handhaben.
7.2.11
Erstberatung Frau R.
Zugang
Frau R. kommt in Begleitung ihres Sohnes und auf Anraten des behandelnden
Arztes ihres Mannes zur Erstberatung. Der Ehemann von Frau R. ist 76 Jahre alt.
Er ist seit etwa 15 Jahren nach einem Schlaganfall pflegebedürftig und hat im
Laufe der Jahre eine Demenz entwickelt.
Themen
Das Schwerpunktthema dieser Beratung sind Hilfen und Entlastung bei der
häuslichen Versorgung des Mannes. Alle in dieser Beratung angesprochenen
Themen finden sich in der folgenden Abbildung.
Abbildung 29:
Themen in der Erstberatung von Frau R.
Thema
Fundstelle
Belastung
R8, 14f.
Problemverhalten des Erkrankten: Klammern
R11f.,18
Problemverhalten des Erkrankten: nächtliche Unruhe
R13
Problemverhalten des Erkrankten: fehlende Einsicht
R33
Bedeutung des Einverständnisses des Partners bei wesentlichen Entscheidungen
R20, 43
Loyalität gegenüber dem Partner
R36, 39
Tagesstruktur, Beschäftigung für den Erkrankten
R12
Rolle der Kinder: Initiative ergreifen
R5, 9
Rolle der Kinder, nicht näher bezeichnet
R44
Motivation des Patienten, Hilfen und Behandlung zuzulassen
R22, 24
Hilfeoptionen aus dem Medizinsektor
R16, 30, 34, 42
Hilfeoptionen aus dem Altenpflegesektor
R26, 29, 38
Hilfeoptionen aus dem Bereich niedrigschwelliger Angebote
R32
Pflegeversicherung
R27
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt.
268
Analyse des Falles
Der Fall von Frau R. und ihrem Sohn gewährt einen Einblick in die Interaktion
zwischen Mutter und Sohn und in die unterschiedlichen Vorstellungswelten, aus
denen heraus die beiden handeln. Der Sohn ergreift in der Beratung sofort das
Wort und hält während des gesamten Gespräches etwa 80% der Redeanteile1079.
In seinem Anfangsstatement führt er aus, der Vater sei seit Jahren
pflegebedürftig, jetzt müsse etwas geschehen, weil „das Nervenkostüm meiner
Mutter nicht mehr lange hält. Darüber sind wir einig“ (8f.). Man möchte an dieser
Stelle sofort fragen, worüber die beiden denn nicht einig sind. Und genau diese
Unterschiedlichkeit der Wahrnehmungen und Interessen charakterisiert dann
auch diesen Fall. Der Sohn beschreibt dann ausführlich die Belastungen, die er
bei seiner Mutter feststellt (11ff.): Der Vater weiche nicht mehr von ihrer Seite,
„sie kann eigentlich nur noch alleine zur Toilette gehen“. Sie gebe ihm kleine
Aufträge, „er hat seine sechzehn Aufträge“, Mülleimer wegbringen und ähnliches,
die er auf Aufforderung hin erledige. „Dann steht er ihr wieder im Rücken.“
Kritisch sei es, dass er neuerdings auch nachts nicht mehr durchschlafe und
dann umherirre. Frau R. bestätigt auf Nachfrage alle Punkte, die ihr Sohn
beschrieben hat.
Der Sohn spricht dann über die Schwierigkeiten, den Vater zum Besuch einer
Tagespflege oder ähnlichem zu motivieren (22). Der Vater akzeptiere nur Ärzte
als Autorität. Man könne ihm eine Tagespflege nur nahe bringen, wenn er den
Aufenthalt dort als eine medizinisch indizierte Behandlung betrachten könne. Der
Sohn: „Da muss ein ‚Weißkittel’ sein, der ihn dreimal mit dem Stethoskop abhört
und ihm dann sagt: ‚Das und das machen wir jetzt!’“ (22) Frau R. wirft ein, ihr
Mann könne, wenn überhaupt nur die Tagespflege im Gerontopsychiatrischen
Zentrum akzeptieren, da er das Haus aus früheren Zusammenhängen her kenne
und schätze (24).
Im weiteren Verlauf der Beratung werden verschiedene Hilfemöglichkeiten
durchgespielt (Tagespflege, Tagesklinik, häuslicher Betreuungsdienst, 26ff.). Der
Sohn präferiert die „großen Lösungen“, Tagespflege oder Tagesklinik, während
seine Mutter, die ansonsten wenig in dem Gespräch sagt, hier sehr deutlich zu
verstehen gibt, dass sie beides zur Zeit noch nicht möchte. So belastet sei sie
nicht (31). Auf den Vorschlag, ihren Mann einmal in der Woche in eine ambulante
Ergotherapiegruppe für Demenzkranke zu schicken, reagiert sie dagegen sofort
positiv: „Die ambulante Gruppe, das ist das Richtige. Da hab’ ich nicht das
1079
Dies hielt ich als eines der hervorstechenden Merkmale dieser Beratung in dem Memo fest, das ich direkt im
Anschluss an das Gespräch schrieb.
269
Gefühl, dass ich ihn abschiebe.“ (35f.) Zum Abschluss des Gespräches
wiederholt sie dies noch einmal: „Jetzt sind wir ein ganzes Stück weiter. Die
ambulante Gruppe ist das Richtige. Da hab’ ich nicht das Gefühl, dass ich ihn
abschiebe.“ (39)
Einige Tage später meldet sich Frau R. telefonisch und berichtet, ihr Mann sei
sehr motiviert, an der Ergotherapie teilzunehmen. Er frage sogar von sich aus
danach. Sie möchte ihrem Mann deshalb möglichst bald die Teilnahme
ermöglichen und bittet, rasch einen Kontakt zu dem Ergotherapeuten
herzustellen. Sie erwähnt noch, außerdem komme ihr Sohn am Wochenende zu
Besuch, „dann kann ich ihm Rede und Antwort stehen“ (44).
Deutlich lässt sich in dieser Beratungssequenz die Interaktion zwischen Mutter
und Sohn nachzeichnen. Der Sohn beobachtet seit Jahren, wie belastet seine
Mutter ist, und er möchte, dass es ihr besser geht. Er dominiert mit seinen
Redeanteilen eindeutig das Gespräch, gibt seiner Mutter Anweisungen (er weist
seine Mutter an, der Beraterin ärztliche Unterlagen vorzulegen, 10) und macht
insgesamt den Eindruck, dass er jetzt durchgreifen und Lösungen in die Tat
umsetzen will. Seine Mutter lässt ihm sehr viel Raum, ausführlich seine
Einschätzungen und Vorstellungen darzustellen. Sie bestätigt die eigene
Belastung, verfolgt aber sonst weitgehend passiv die Überlegungen zu
verschiedenen Hilfe- und Entlastungsmöglichkeiten. In meinem Memo kurz nach
der Beratung schrieb ich: „Sie sitzt regungslos auf dem Sofa und blickt vor sich
hin.“ Andererseits weiß sie sehr genau, was sie will. Wenn die Dinge in eine
Richtung laufen, die ihr nicht zusagt, dann interveniert sie deutlich, etwa bei der
Idee, den Mann in tagesklinische Behandlung einweisen zu lassen (31). Die
Entscheidungen, die in dieser Sitzung fallen, werden ohne Ausnahme von ihr
getroffen. Sie sagt, was nicht passieren soll (Tagesklinik, ehrenamtlicher Dienst),
und was passieren soll (ambulante Ergotherapie, weitere Beratung zu
Pflegeversicherungsfragen). Zu der Option „Tagespflege“ gibt sie eine bedingte
Zustimmung, indem sie ihren Mann auf die Warteliste setzen lässt (38), ohne
dass diese Option wegen der längeren Wartezeit (29) in allernächster Zeit
konkret für sie werden wird. Von sich aus ergreift sie etwa fünfmal das Wort:
einmal, um mitzuteilen, dass ihr Mann von ihrem Besuch in der Beratungsstelle
weiß und damit einverstanden ist (20); einmal, um darzulegen, dass er das
Gerontopsychiatrische Zentrum kennt und schätzt (24); ein weiteres Mal, um
noch einen weiteren Termin zu vereinbaren, bei dem sie sich über die
Pflegeversicherung informieren will (38), und zweimal, um ihrer Erleichterung
270
Ausdruck zu geben, dass sie mit der gefundenen Lösung nicht das Gefühl haben
muss, ihren Mann „abzuschieben“ (36, 39). Solange Lösungen verfolgt werden,
denen sie zustimmt, kann sie dann auch ihrem Sohn das Gefühl lassen, er habe
die Fäden in der Hand: Sie wird ihm bei seinem nächsten Wochenendbesuch
„Rede und Antwort stehen“, was sie unternommen hat, um die geplante
ergotherapeutische Behandlung zu realisieren. In Wahrheit ist sie dabei die
Entscheidungstragende, die im Einvernehmen mit ihrem Mann handelt, nachdem
er durch sein aktives Nachfragen seine Zustimmung signalisiert hat (43).
Ein
zweites
Charakteristikum
dieser
Beratung
sind
die
grundlegend
unterschiedlichen Wahrnehmungen desselben Sachverhaltes. Der Sohn sieht die
Belastung seiner Mutter und möchte, dass es ihr besser geht. Den Vater
betrachtet er dabei als Objekt, als Ursache für die Belastung seiner Mutter und
als einen Faktor, der zumindest zeitweise irgendwo anders hin verschoben
werden muss, um die Belastung der Mutter zu reduzieren. Der Sohn schätzt ganz
rational ein, dass der Vater aufgrund seiner Demenz nur sehr eingeschränkt in
der Lage ist, seine Situation und die seiner Frau angemessen zu beurteilen.
Deshalb steht es für ihn nicht zur Diskussion, ihn in die Entscheidung über
mögliche Lösungen des Problems einzubeziehen. Er denkt ganz zweckrational
darüber nach, wie das „Objekt Vater“ so manövriert werden kann, dass es der
Mutter wieder besser gehen kann. Er kalkuliert dabei durchaus Widerstände des
Vaters
ein,
doch
nicht
in
einer
Weise,
solche
Widerstände
durch
Überzeugungsarbeit zu beseitigen, sondern sie durch geschicktes Manövrieren
außer Kraft zu setzen. In diesem zweckrationalen Kalkül ist es für ihn legitim, den
Vater zu manipulieren, indem man seinen Autoritätsglauben gegenüber Ärzten
ausnutzt
(23)
und
ihn
auf
diese
Weise
für
den
Besuch
einer
Tagespflegeeinrichtung motiviert.
Das sind überhaupt nicht die Gedankengänge seiner Mutter. Solche Gedanken
laufen geradezu konträr zu den Bestrebungen der Ehefrau. Sie betont, ihren
Mann in Entscheidungen einzubinden. Sie sagt eigens, ihr Mann wisse von ihrem
Besuch in der Beratungsstelle und sei damit einverstanden gewesen (20). Sie
spricht so wenig in dieser Beratung, da muss es ihr offenbar wichtig sein, dies zu
sagen. Das heißt zum einen, sie will nichts hinter seinem Rücken tun. Und das
sagt zum anderen, anders als ihr Sohn sieht sie ihren Mann nicht als Objekt. Sie
führt ihn als Subjekt in das Gespräch ein, als Individuum, das mit einer Handlung
einverstanden ist, also über einen Willen und Entscheidungsfreiheit verfügt.
Ähnlich wie viele andere Ehegatten in den hier ausgewerteten Fällen will auch
271
sie Entscheidungen gemeinsam mit dem Gatten treffen. Anders als der Sohn, der
den Vater auf dem Wege einer Manipulation zum Besuch der Tagespflege
bringen will, überlegt sie, ihren Mann mit einem Argument zu motivieren, von
dem sie annimmt, dass er es akzeptieren kann (er kennt die Einrichtung von
früher und schätzt sie). Auch wenn sie die Symptome seiner Demenz täglich
erlebt und wahrscheinlich viel deutlicher als der Sohn sehen kann, was ihr Mann
alles nicht mehr kann, ist für sie dennoch die rationale Überlegung, ihn deshalb
aus dem Entscheidungsprozess auszuschließen, nicht vorstellbar. Sie hält daran
fest, dass sie als Paar gemeinsam Entscheidungen treffen, und sie nichts hinter
seinem Rücken tut. Konsequent organisiert sie die ergotherapeutische
Behandlung auch erst in einem Telefonat einige Tage nach der Beratung,
nachdem sie mit ihrem Mann darüber gesprochen und von ihm sein
Einverständnis erhalten hat.
Sie selbst hatte die ambulante Ergotherapie deshalb präferiert, weil sie dabei
nicht das Gefühl hat, „ihn abzuschieben“ (36, 39). Diese Sorge, die von vielen
Ehegatten zu hören ist, bekommt nach den obigen Überlegungen eine spezielle
Bedeutung. Abschieben, verschieben, hin und her manövrieren, das tut man mit
einer Sache. Das entspricht dem zweckrationalen Herangehen des Sohnes. Sie
aber möchte ihren Mann nicht als Sache verstanden wissen. Sie möchte daran
festhalten, dass er ein Subjekt ist. Mit diesem Festhalten tut sie auch etwas für
sich selbst. Sie stellt damit sicher, selbst noch Teil eines Paares zu sein, denn
ein Paar kann nur aus zwei Subjekten bestehen, nicht aus einem Subjekt und
einem Objekt. So gesehen muss sie das zweckrationale Betrachten der Situation
auch um ihrer selbst willen zurückweisen.
7.2.12
Beratung Frau S.
Zugang
Frau S. war Anfang 2004 einmal zusammen mit ihrem damals 75-jährigen,
demenziell erkrankten Bekannten in der Beratungsstelle. Es ging damals um die
Organisation
verschiedener
therapeutischer
Maßnahmen
(ambulante
Ergotherapie und Logopädie). Nach etwa einem Jahr, Anfang 2005, meldet sie
sich telefonisch erneut und bittet um ein Beratungsgespräch, in dem es um ihre
persönliche Situation gehen solle.
272
Themen
Der Schwerpunkt dieser Beratung liegt in der Auseinandersetzung mit dem
bevorstehenden Abschied von dem erkrankten Geliebten.
Abbildung 30:
Themen in der Beratung von Frau S.
Thema
Fundstelle
Seelische Belastung der Ratsuchenden
S18, 21, 50, 54, 60
Abgrenzung gegenüber dem Partner
S43
Eigene gesundheitliche Probleme der Ratsuchenden
S53
Sorge um das eigene Wohlbefinden
S56f.
Wahrnehmen erster Anzeichen der Demenz
S9
Patientenverhalten: Vergessen von Terminen
S33
Patientenverhalten: Abnahme kognitiver Funktionen
S34
Patientenverhalten: Niedergeschlagenheit
S35
Ansprechen der langjährigen gemeinsamen Liebesbeziehung
S4
Rückblick auf die Beziehung
S6, 7, 45, 47
Arrangement der Beziehungen; Rollen- und Aufgabenverteilung zwischen Ehefrau und Geliebter
S10, 12, 16, 19, 24, 29, 42,
48, 52
Gewissheit, dem Partner helfen zu können
S37
Verlust des Partners als Gesprächspartner
S30, 38f.
Verlust des Partners
S32, 46, 59
Mit dem Erkrankten über die Demenz sprechen
S11
Loyalität zum Partner
S20, 29, 41, 51
Sorge um das Wohlergehen des Partners
S12, 15f., 23, 28, 41, 48
Wunsch, der Partner möge bald erlöst werden
S22
Alltagsgestaltung
S36
Die Nummern bezeichnen Abschnittsnummern in der Abschrift der Akte des Beratungsprozesses, auf die der Text Bezug nimmt.
Analyse des Falles
Frau S. kommt allein zur Beratung und berichtet, sie habe seit über 30 Jahren zu
dem verheirateten Herrn X. eine geheime Liebesbeziehung, von der nur sehr
wenige Menschen wüssten. Auch die Ehefrau von Herrn X. wisse nichts davon.
Zunächst der Kinder wegen habe Herr X. sich nicht von seiner Familie getrennt.
Das Problem sei immer gewesen, dass „zu Hause“, d.h. in der Familie von Herrn
X., niemals über Probleme gesprochen worden sei. Die Frau sei „regieführend“
(6) gewesen, er habe sich ihr untergeordnet. Er habe es stets auch vermieden,
mit ihr, d.h. der Geliebten, über das Thema „Ehefrau“ zu sprechen. Sie sagt: „Wir
hatten ein sehr schönes Verhältnis“ (7) und „ich habe ihn auch nicht gedrängt,
sich von seiner Frau zu trennen“(7). Er sei ein „edler, friedliebender Mensch“ (7).
Vor etwa vier Jahren seien erste Gedächtnisstörungen bei ihm aufgetreten.
273
Sie habe dafür gesorgt, dass er in Behandlung gekommen sei. Sie sei „mit ihm
bei all den Ärzten gewesen, ich habe das alles mit ihm durchgezogen“(10).
Es sei eine Demenz diagnostiziert worden. Er kenne seine Diagnose, und sie
sprächen offen darüber. Sie habe dafür gesorgt, dass er in ergotherapeutische
und logopädische Behandlung gekommen sei, und sie achte noch heute darauf,
dass er die Termine dieser Behandlungen wahrnehme, indem sie ihn daran
erinnere und ihn bedarfsweise dorthin begleite.
Sie vermutet, in der Familie X. werde über das Problem der Erkrankung nicht
gesprochen, so wie dort überhaupt über Probleme nicht gesprochen werde. Sie
habe Herrn X. geraten, Informationsbroschüren über Demenz offen in der
Wohnung auszulegen, damit die Ehefrau darauf stoßen könne. Doch wisse sie
nicht, ob er das getan habe. Er habe erwähnt, seine Frau beschwere sich wegen
der Belastungen, die er ihr nun bereite.
Sie beendet diese Eingangserzählung weinend mit den Sätzen: „Ich weiß nicht
mehr weiter, ich gehe dabei zugrunde. Wenn ich ihn von morgens bis abends bei
mir hätte, könnte ich ihm helfen. Ich mag ihn nicht fallen lassen. Das tut so weh.“
(18ff.) Sie fragt, ob es die Möglichkeit gebe, dass die Beratungsstelle die Ehefrau
aufsuche, um diese über die Krankheit des Mannes zu informieren und sie dabei
zu unterstützen, den Mann angemessen zu betreuen. Sie wolle aber nicht, dass
ihr Name dabei genannt werde. Nachdem geklärt ist, dass dies nicht möglich ist,
überlegt sie, sich selbst an die Ehefrau zu wenden, kommt im Laufe des
Gespräches jedoch zu dem Ergebnis, damit würde sie ihrem Geliebten in den
Rücken fallen. Er habe all die Jahre die Beziehung geheim halten wollen, und
jetzt sei es zu spät, „vernünftig“ (30) mit ihm darüber zu sprechen.
Sie träfen sich seit seiner Berentung vor einigen Jahren etwa zweimal in der
Woche. In der letzten Zeit würden die Treffen jedoch seltener. Er verliere die
Orientierung, vergesse die Treffen. Er komme häufig sehr niedergeschlagen zu
ihr. Sie sprächen dann miteinander, sie mache Gedächtnisübungen mit ihm oder
sie sähen gemeinsam fern. Es sei „so erbauend, wenn er geht, und es ihm
besser geht“ (37). Doch seine Störungen würden immer deutlicher. Gespräche
seien einsilbiger, und er erinnere sich von einem zum anderen Treffen nicht mehr
an das, was besprochen worden sei.
Sie habe ihm damals, als die Demenzdiagnose gestellt worden sei, angeboten,
seine Frau zu verlassen und zu ihr zu ziehen. Doch das habe er abgelehnt. „Das
wollte er mir nicht antun.“ (42) Jetzt, so deutet sie in einem gemurmelten
Nebensatz an, könne sie das auch nicht mehr.
274
Die wenigen Bekannten, die von ihrer Beziehung wüssten, sagten: „Das mit euch
beiden, das muss etwas ganz Besonderes sein.“ (45) Sie spüre jetzt aber ganz
deutlich: „Der Abschied rückt näher.“ (46) Auf die Frage der Beraterin, ob sie den
Eindruck habe, ihn jetzt ganz zu seiner Ehefrau entlassen zu müssen, antwortet
sie, das sei es nicht. Das habe sie all die Jahre immer wieder tun müssen. Das
Schwere daran jetzt sei, „dass ihm dort nicht geholfen wird“ (48).
Sie sagt noch einmal, sie möge ihn nicht fallen lassen. Sie sei „seine einzige
Anlaufstelle“ (52). Doch habe sie selbst gesundheitliche Probleme, und die
Sorgen um Herrn X. gingen jetzt „an den Rand meiner Kräfte“ (54). Sie äußert,
es würde ihr gut tun, wenn die Beraterin ihr klar sagte, sie solle jetzt mehr an sich
selbst denken. Auf die Bemerkung der Beraterin, sie dürfe sich durchaus auch
selbst die Erlaubnis geben, für sich zu sorgen, manchmal stecke man allerdings
in so verzwickten Situationen und brauche dann jemanden, der das, was man
selbst tun möchte, erlaubt, antwortet sie: „Genau so ist das.“ (57) Sie habe eine
enge Freundin, die ihr auch immer sagte, sie solle jetzt an sich denken, und es
tue ihr gut, wenn die Freundin das sage.
Sie wiederholt noch einmal, der Abschied rücke näher, er werde bald vermutlich
den Weg zu ihr vergessen haben. Sie weint. Sie bittet die Beraterin, das
Gespräch damit zu beenden und noch ein paar Minuten allein in dem
Beratungszimmer bleiben zu dürfen, um sich wieder zu beruhigen.
Dieser letzte Fall steht wieder für einen Typus von Sonderfällen: außereheliche
Liebesbeziehungen, bei denen einer der Partner demenziell erkrankt. Sehr
eindrucksvoll zeigt die Erzählung von Frau S., wie das Arrangement der
Beziehungen, welches diese drei Personen über einen so langen Zeitraum
aufrecht erhalten haben, nun nicht mehr lange halten wird, da der Mann mit
fortschreitender Demenz hierzu nicht mehr in der Lage sein wird. Ganz praktisch
nicht mehr, weil er vermutlich tatsächlich in absehbarer Zeit den Weg zu seiner
Geliebten vergessen haben wird, aber vor allem kognitiv nicht mehr, weil er das
Geflecht
der
Geheimhaltungen,
unterschiedlichen
Loyalitäten
und
Rollenzuschreibungen nicht mehr überblicken und gestalten können wird.
Vordergründig thematisiert die ratsuchende Geliebte zwei Themen, nämlich
Loyalität und Abschied. Sie sorgt sich um sein Wohlbefinden, empfindet sich
selbst als „seine einzige Anlaufstelle“ (52) und befürchtet, dass er von seiner
Ehefrau nicht angemessen versorgt wird (14ff.,23). Gleichzeitig spürt sie den
Abschied näher rücken (46), möchte den Mann jedoch „nicht fallen lassen“ (20,
275
51). Sie stellt in ihrer Erzählung die Rollen- und Aufgabenverteilung zwischen
sich selbst als Geliebter und der Ehefrau sehr klar her. Sich selbst sieht sie
zuständig für das emotionale Wohlbefinden des Mannes, sie ist seine Vertraute
und seine Gesprächspartnerin. Die Ehefrau ist diejenige, mit der er den Alltag
verbringt. Frau S. sieht sie aber keinesfalls in der Rolle der Gefährtin des
Mannes. Sie unterstellt, die Ehefrau dominiere ihn, verschließe sich seinen Nöten
und denke vor allem an sich selbst (sie beschwere sich zum Beispiel über die
Belastungen, die er ihr bereite, 16). Es ist mit den Informationen dieser
Einzelberatung nicht zu klären, ob dies alles so den Tatsachen entspricht, wichtig
ist aber, dass dies die Wahrnehmung von Frau S. ist. Und in dieser
Wahrnehmung sieht sie sich selbst als die einzige Anwältin, die das Wohl des
Mannes im Auge hat. Ihr Dilemma ist, dass sie diese Funktion bald nicht mehr
wird erfüllen können.
Einen Hinweis auf eine unter all diesem liegende Ebene gibt ein Nebensatz von
Frau S. Etwa in der Mitte des Gespräches erwähnt sie, sie habe dem Mann, als
die Diagnose der Demenz gestellt worden sei, angeboten, sich von seiner
Ehefrau zu trennen und zu ihr zu ziehen (41ff.). Das habe er abgelehnt, weil er
ihr das nicht habe antun wollen – und sie murmelt dann in einem Nebensatz „und
jetzt kann ich das auch nicht mehr“. Man könnte nun annehmen, nachdem die
Demenz zwischenzeitlich einige Jahre vorangeschritten ist, ist ihr deutlicher vor
Augen, was die Betreuung des Kranken bedeuten könnte, und sie schreckt
deshalb jetzt davor zurück. Der Satz kann aber auch darauf deuten, dass sie es
nicht mehr kann, weil sich die Beziehung zwischen den beiden inzwischen
entscheidend verändert hat. In der Gesprächssequenz zuvor hatte sie
beschrieben, wie ihre Treffen heute aussehen (35ff.). Er komme oft sehr
niedergeschlagen zu ihr und es tut ihr offenbar gut, wenn sie ihn wieder
aufrichten kann (37). Solange sie als seine Gesprächspartnerin und Vertraute
fungieren, sein emotionales Wohlbefinden fördern kann, bewegt sie sich im
vertrauten Muster dieser Beziehung. Doch sie schildert dann, dass seine
Störungen immer deutlicher würden, die Gespräche einsilbiger verliefen und er
sich von einem zum anderen Treffen nicht mehr an das, was sie besprochen
hätten, erinnern könne. Die Demenz zerstört hier also die spezifische Substanz
dieser
Beziehung,
Gesprächspartnerin
indem
und
die
Geliebte
Vertraute
den
Mann
nicht
erreichen
kann.
Anders
mehr
als
als
in
Zweierbeziehungen bleibt der Frau in diesem Dreier-Arrangement mit geteilten
Aufgaben und Rollen nun nichts mehr, was ihre Beziehung zu dem Mann tragen
276
könnte. Ihre Sorge, dem Mann könne es an etwas fehlen, wenn er zukünftig von
seiner Ehefrau allein betreut wird, ist nach diesen Überlegungen einleuchtend.
Nachdem der Mann über Jahrzehnte bestimmte Anteile, die zu einer
Zweierbeziehung gehören, systematisch in die außereheliche Liebesbeziehung
ausgelagert hat, ist kaum zu erwarten, dass die Ehefrau diese jahrzehntelang
nicht gelebten Beziehungsanteile übernehmen wird, wenn die Geliebte wegfallen
wird. Für eine Klärung der Verhältnisse ist es tatsächlich zu spät, weil der Mann
hierzu kognitiv nicht mehr in der Lage sein wird.
277
8
Zusammenfassung der Ergebnisse
Das Ziel der explorativen Studie, die in den vorangegangenen Kapiteln
dargestellt worden ist, war es, einen orientierenden Überblick über das Feld der
Beratung von Ehegatten Demenzkranker zu schaffen:
1. in der Breitendimension anhand der Frage nach typischen Fällen und
Sonderfällen;
2. in der Tiefendimension anhand der Frage nach den Themen, mit denen die
Ehegatten in die Angehörigenberatung kommen.
Bisher sind die Ergebnisse jeweils bezogen auf den einzelnen Fall dargestellt
und diskutiert worden. Im folgenden Abschnitt werden sie fallübergreifend
zusammengefasst. Fallübergreifend diskutiert werden die Ergebnisse im Teil III
der Arbeit.
8.1
Breitendimension des Feldes
Als typische Fälle können nach der Erkundung des Feldes ältere Ehepaare oder
langjährige nichteheliche Lebensgemeinschaften gelten, die das Erwerbsleben
weitgehend hinter sich gelassen haben, deren Kinder erwachsen sind und bei
denen die Demenz weitreichende Umbrüche in einer Beziehung bewirkt, die
zuvor noch nicht dominant durch eine chronische Erkrankung eines der Partner
gekennzeichnet war.
Als Sonderfälle tauchen bei der Exploration des Feldes folgende Typen auf:
•
Paare, die zu einem früheren Zeitpunkt im Lebenszyklus als die typischen
Fälle mit der Demenz konfrontiert werden (Younger-onset-Demenzen);
•
Zweit- oder Folgeehen bzw. Zweit- oder Folgelebensgemeinschaften, d.h.
junge Beziehungen, bei denen einer der Partner demenziell erkrankt;
•
Paare, deren Beziehung durch langjährige Konflikte und Eheprobleme
gekennzeichnet ist;
•
außereheliche Beziehungen, bei denen einer der Partner demenziell
erkrankt;
•
Paare, bei denen seit Jahren eine chronische Erkrankung eines der Partner
die Beziehung dominant gekennzeichnet hat, und bei denen dieser
chronisch Kranke im Alter zusätzlich demenziell erkrankt;
278
•
Fälle von schwerer Gewalt in einer durch die Demenz veränderten
Partnerschaft.
8.2
Tiefendimension des Feldes
Das Ergebnis des Kodierens, d.h. die Konzeptualisierungen aller in den
Beratungen aufgetauchten Themen und die Kategorien, zu denen ich sie
gruppiert habe, ist im Anhang 3 aufgeführt. Ich habe vier Hauptkategorien von
Themenfeldern entwickelt, mit denen sich die Ehegatten in der Beratung
auseinander setzen: das „Ich“ - die persönliche Situation des Ratsuchenden, das
„Du“ - die demenzbedingten Veränderungen des Partners, das „Wir“ - die
Situation als Paar und die „Anderen“ - die Rolle von Kindern, Freunden und dem
weiteren informellen sozialen Umfeld sowie von professionellen Diensten und
gesellschaftlich bereitgestellten Unterstützungsangeboten im weitesten Sinne.
Abbildung 31:
Themenfelder in der Beratung von Ehegatten Demenzkranker
Themenfelder in der Beratung von Ehegatten Demenzkranker
das „Ich“
das „Du“
die persönliche
Situation des
Ratsuchenden
die Veränderungen des
dementen Partners
das „Wir“
die „Anderen“
die Situation
des Paares
die Rolle des
sozialen Umfeldes
279
(a) Das „Ich“ - die persönliche Situation
In diesem Themenfeld werden zwei Unterkategorien gebildet: (1) Erleben und
Belastungen des ratsuchenden Ehegatten im Kontext der Demenzerkrankung
des Partners und der häuslichen Pflege sowie (2) Erleben des ratsuchenden
Ehegatten im Kontext anderer alterstypischer Entwicklungsaufgaben und Krisen.
(vgl. Abbildung 32 und Anhang 3).
Abbildung 32:
Themenkategorien und Unterkategorien
Kategorien
Unterkategorien
Das „Ich“
•
•
Erleben und Belastungen des ratsuchenden Ehegatten im Kontext der Pflege
Erleben im Kontext anderer alterstypischer Entwicklungsaufgaben und Krisen
•
Symptomatik der Demenz
Veränderungen der Persönlichkeit des Kranken
Problemverhalten des Kranken
Körperliche Komplikationen und Pflegeprobleme
Die persönliche Situation
des ratsuchenden Ehegatten
Das „Du“
Die Veränderungen
des dementen Partners
•
Das „Wir“
•
Die Situation
des Paares
•
Die „Anderen“
•
Die Rolle
des sozialen Umfeldes
•
Veränderungen der Ehebeziehung
Gefährtenschaft und Intimität
Loyalität und Vertrauen
Souveränität, Gleichberechtigung, Alltagsorganisation und Macht
Gerechtigkeit und Liebe
Beziehungsgeschichte und Paardynamik
Aspekte einer Pflegebeziehung
Die Rolle der Kinder und weiterer Personen
Kinder
weitere Personen
Information über informelle und formelle Hilfeangebote
Auseinandersetzung mit Hilfeoptionen
Erfahrungen mit der Inanspruchnahme professioneller Dienste
sozialrechtliche Fragen
vgl. Anhang 3
Zu der ersten Unterkategorie zählen die Sorge um das eigene Wohlbefinden, das
Sprechen über die vielfältigen Belastungen und die Erschöpfung sowie das
Ventilieren der eigenen Gefühlsreaktionen angesichts der Erkrankung des
Partners. Auch Schwierigkeiten, die Krankheit zu akzeptieren, gehören in dieses
Feld. Weitere Themen sind die Auseinandersetzung mit den eigenen Interessen
und Bedürfnissen auf der einen und Verzicht und Verlusten auf der anderen
Seite. Zudem sind es Berichte über die Schwierigkeiten, aber auch die
Befriedigung darüber, sich vielen neuen Herausforderungen stellen zu müssen.
Themenbereiche, die eine Auseinandersetzung der Ehegatten mit anderen, nicht
direkt mit der Demenz verbundenen alterstypischen Entwicklungsaufgaben und
Krisen anzeigen, sind Gedanken zur eigenen Zukunftsperspektive, die
280
Beschäftigung mit existenziellen Fragen wie beispielsweise der Sinnfrage oder
dem gedanklichen Antizipieren des Todes. Die Übersicht über alle in diesem
Themenfeld angesprochenen Themen findet sich im Anhang 3.
(b) Das „Du“ - die Veränderungen des dementen Partners
In diesem Themenfeld werden 4 Unterkategorien gebildet: (1) Symptomatik der
Demenz,
(2)
Veränderungen
der
Persönlichkeit
des
Partners,
(3)
Problemverhalten des Demenzkranken und (4 ) körperliche Komplikationen und
Pflegeprobleme (vgl. Abbildung 32 und Anhang 3).
In diesem Themenfeld erzählen die ratsuchenden Ehegatten häufig sehr
ausführlich,
wie
sie
die
ersten
Krankheitszeichen
bei
ihrem
Partner
wahrgenommen haben, und sie beschreiben anhand beispielhafter Szenen, wie
sie
den
allmählichen
Verfall
seiner
mnestischen,
kognitiven
und
alltagspraktischen Fähigkeiten sowie die Veränderung seiner Persönlichkeit im
Alltag erlebt haben. Sie werden über Krankheitssymptomatik und –verlauf
informiert und erörteren mit den Beraterinnen, auf welche Weise sie mit
problematischen Verhaltensweisen des dementen Partners umgehen können.
Die Liste dieser Problemverhaltensweisen, die in den Beratungen zur Sprache
kommen, ist beachtlich lang und vielfältig und wirft, ebenso wie vielfältige
Pflegeprobleme im körperlichen Bereich, ein Licht auf die alltäglichen
Herausforderungen, mit denen die Paare zu kämpfen haben. Die Übersicht über
die Themen dieses Feldes findet sich im Anhang 3.
(c ) Das „Wir“ - die Situation des Paares
Die in den beiden oberen Abschnitten zusammenfassend beschriebenen
Themen zeigen noch nichts Spezifisches der Situation von Ehegatten. Auch
ratsuchende Kinder setzen sich mit ihrer persönlichen Situation und den
demenzbedingten Veränderungen des betroffenen Elternteils auseinander. In
welcher Weise sich Kinder und Ehegatten hierbei unterscheiden, wäre
interessant zu wissen, lässt sich jedoch mit den Daten dieser explorativen
Untersuchung nicht beantworten. Anders ist das bei dem im Folgenden
darzustellenden Themenfeld. Wenn die Ehegatten sich in der Beratung mit den
Veränderungen ihrer Beziehung zum Kranken beschäftigen, dann bringt dies
viele Besonderheiten der Situation einer von Demenz betroffenen Ehe zu Tage.
281
Dieses
Themengebiet
lässt
sich
in
zwei
Gebiete
unterteilen: (1)
die
Veränderungen der Ehebeziehung und (2) Aspekte einer Pflegebeziehung. Für
das Gebiet der „Ehebeziehung“ werden 5 Unterkategorien gebildet: (1)
Gefährtenschaft und Intimität, (2) Loyalität und Vertrauen, (3) Souveränität,
Alltagsorganisation und Macht, (4) Gerechtigkeit und (5) Beziehungsgeschichte
und Paardynamik (vgl. Abbildung 32 und Anhang 3).
Als besonders schwerwiegendes Problem wird von vielen Ratsuchenden der
Verlust des Partners in seiner Rolle als Gefährte, der fehlende Austausch und die
fehlende emotionale Resonanz beschrieben, daneben auch das EinanderFremd-Werden, manchmal konkretisiert in dem Unvermögen des dementen
Partners, den Gesunden noch als Ehegatten zu erkennen. Die Treue gegenüber
dem Ehegatten ist Thema in mehreren Beratungen. Sie zeigt sich beispielsweise
als starkes Motiv für die Betreuung des erkrankten Partners oder wird im
Zusammenhang mit dem Bestreben und den Schwierigkeiten reflektiert, sich dem
Partner gegenüber als vertrauenswürdig erweisen zu wollen. Das Thema
Loyalität taucht auch als Konflikt bei der Abwägung eigener Interessen mit denen
des Partners auf, ganz konkret in den vielen Beratungen, in denen sich die
Ehegatten mit der bevorstehenden oder bereits erfolgten Unterbringung ihres
Gatten in einem Pflegeheim auseinander setzen. Auf vielfältige Weise machen
sich die Ehegatten Gedanken darüber, inwieweit sie das Recht haben, in die
Angelegenheiten des erkrankten Partners einzugreifen, Entscheidungen für ihn
zu treffen oder ihm gegenüber Autorität auszuüben. Thema in manchen
Beratungen ist die Verschiebung der Macht- und Einflusssphären, die
Übernahme von Aufgaben, für die zuvor der Erkrankte zuständig war, und die
damit einhergehenden Auseinandersetzungen des Paares. Das Thema der
Gerechtigkeit zwischen den Partnern ist in einem Fall dominant, in einem
anderen
wird
die
Trauer
über
das
notwendige
Abschiednehmen
von
gemeinsamen Plänen für die Altersphase deutlich. Etliche Ratsuchende nehmen
in den Beratungsgesprächen Bezug auf ihre langjährige Ehebeziehung, geben
ihrer starken Verbundenheit mit dem Partner Ausdruck oder nutzen die Beratung
für einen ausführlichen Rückblick auf ihre Ehe. Einigen ist es wichtig, den
Beraterinnen ihren Partner zu beschreiben, wie er oder sie vor der Erkrankung
gewesen ist.
Die bisher beschriebenen Themen beziehen sich schwerpunktmäßig auf die
Veränderungen
der
bisherigen
Ehebeziehung.
Daneben
sprechen
die
ratsuchenden Ehegatten auch über Aspekte ihrer durch die Demenz veränderten
282
Beziehung, die mehr den Charakter einer Pflegebeziehung ins Licht rücken.
Dazu gehört die Auseinandersetzung mit verschiedenen Motiven, die Pflege des
anderen zu übernehmen. Die Ehegatten sprechen über ihre Zielsetzungen bei
der Betreuung des Partners, zum Beispiel den Wunsch, den kranken Partner
schützen zu wollen, die Sorge um sein Wohlergehen oder das Bemühen, ihm
eine befriedigende Alltagsgestaltung und sinnstiftende Beschäftigung zu geben.
In diesen Themenbereich gehören auch ihre Versuche, das Verhalten des
Kranken zu interpretieren, ihre vielfältigen Fragen zum Umgang mit dem
Erkrankten, ihre Bewältigungsversuche bei der Pflege und die Probleme, die
auftreten, etwa aggressiv getönte Pflege oder die ständige Präsenzpflicht
aufgrund des Aufsichtsbedarfs des Kranken. Die Übersicht über alle in diesem
Feld angesprochenen Themen findet sich im Anhang 3.
(d) Die „Anderen“ - die Rolle des sozialen Umfeldes
Dieses Themengebiet wird unterteilt in (1) die Rolle von Kindern und weiteren
Personen und (2) die Rolle von formellen Hilfeangeboten. Der Bereich der
Hilfeangebote enthält folgende Unterkategorien: (1) Auseinandersetzung mit
Hilfeoptionen, (2) Erfahrungen mit der Inanspruchnahme professioneller Dienste
und (3) sozialrechtliche Fragen (vgl. Abbildung 32 und Anhang 3).
In zwei Dritteln der ausgewerteten Fälle erwähnen die ratsuchenden Ehegatten
in der Beratung die Rolle ihrer erwachsenen Kinder bei der Betreuung des
dementen Ehegatten. In den meisten Fällen werden die Kinder als Quelle der
Unterstützung wahrgenommen, doch auch Konflikte, hier besonders die Frage
der Gerechtigkeit zwischen den Generationen, und Sorgen um die Kinder werden
angesprochen. Kaum Erwähnung findet dagegen die Rolle von anderen
Verwandten, Freunden, Bekannten oder dem weiteren informellen sozialen
Umfeld. Ausführlich wird in den Beratungen über mögliche Hilfen durch
professionelle Dienste aus dem Medizinsektor, dem Altenpflegesektor, über
niedrigschwellige Hilfeangebote oder psychoedukative Gruppenangebote für die
Angehörigen wie Gesprächskreise oder Kurse und über sozialrechtliche
Ansprüche gesprochen. Ein eigener Themenbereich sind die Berichte der
Ehegatten über ihre Erfahrungen mit der Inanspruchnahme formeller Dienste.
Hierbei werden Probleme der Passung von Hilfen in die Lebenswelt der Paare
deutlich, die auch in Konflikten zwischen Ehegatten und professionellen Helfern
erkennbar sind. Die Übersicht über alle Themen dieses Feldes findet sich im
Anhang 3.
283
TEIL III
ESSENZEN UND DESIDERATE FÜR EINE
PSYCHOSOZIALE BERATUNG
DER EHEGATTEN DEMENZKRANKER
284
Im vorangegangenen Teil II habe ich die Ergebnisse der Felderkundung
fallübergreifend zusammengefasst, indem ich einerseits für die Erfassung der
Breitendimension des Feldes typische Fälle und Sonderfälle definiert und
andererseits für die Auslotung der Tiefe des Feldes alle in den Beratungsfällen
aufgetauchten Themen vier unterschiedlichen Themenfeldern zugeordnet habe.
Diese
Themenfelder,
mit
denen
sich
die
Ehegatten
in
der
Beratung
auseinandersetzen, sind das „Ich“ - die persönliche Situation des ratsuchenden
Ehegatten, das „Du“ – die Veränderungen des erkrankten Partners, das „Wir“ –
die Situation des Paares und die „Anderen“ – die Rolle der Umwelt (vgl.
Abbildung 32). In der nun folgenden Diskussion der Ergebnisse konzentriere ich
mich auf das Themenfeld „Wir“, denn dieses Feld zeigt am deutlichsten die
Besonderheiten
der
Problemlagen
betroffener
Paare
sowie
auch
die
Erfordernisse, die sich aus diesen Eigenarten für die Beratung der pflegenden
Ehegatten ergeben. Das Themenfeld „Wir“ zerfällt in die zwei Bereiche „Aspekte
der Ehebeziehung“ und „Aspekte der Pflegebeziehung“ (vgl. Abbildung 32). Im
Kapitel 9 befasse ich mich mit dem Bereich der Ehebeziehung und führe als
zentrales Ergebnis meiner Untersuchung aus, dass die Demenz eine Krise der
Ehe darstellt, indem sie fundamentale Dimensionen einer Paarbeziehung
angreift. Im Kapitel 10 wende ich mich Aspekten der Pflegebeziehung zu und
entwickele ein hypothetisches Modell über das Verhältnis von Ehe- und
Pflegebeziehung. Kapitel 11 enthält Konsequenzen für die Beratung und Kapitel
12 eine kurze Zusammenfassung der ganzen Arbeit.
9
Demenz als Krise der Ehe
Die Fallanalysen zeigen, in welch vielfältiger Weise die Demenz eines Partners
wesentliche Merkmale der Ehe angreift1080. Bis auf zwei Ausnahmen1081
beschäftigen sich alle Ehegatten in der Beratung mit ihrer Beziehungssituation
und mit den Umbrüchen, die infolge der Demenz in ihrer Partnerschaft
entstanden sind. Dabei entsteht nicht der Eindruck, sie hielten an einer
1080
1081
vgl. Anhang 3, Punkt 3
Die Ausnahmen sind Herr F. und Frau O. Herr F. nutzt die Beratung nur für das Einholen von Informationen
und spricht in dem gesamten Beratungsprozess nicht über seine persönliche Situation oder über die
Beziehung. Frau O. ist die Lebensgefährtin eines dementen Mannes. In dem Beratungstermin stand
ebenfalls die informative Beratung ganz im Vordergrund.
285
Beziehung fest, die eigentlich schon nicht mehr existent ist, indem sie die
eingetretenen
Veränderungen
konsequent
leugnen.
Sie
thematisieren
stattdessen sehr realistisch die Verluste an Gefährtenschaft und Nähe, die
Schwierigkeiten, sich mit dem Partner über die Neuverteilung von Aufgaben und
Kompetenzen zu verständigen, sowie den Wandel in den Macht- und
Einflusssphären1082. Vor allem aber, wenn sie ihrer Liebe zum Partner Ausdruck
geben, sich Gedanken darüber machen, wie sie sich ihm gegenüber loyal und
vertrauenswürdig erweisen oder ihn in seiner Souveränität und Würde weiterhin
achten können, wird deutlich, dass sie hier keinesfalls eine Beziehung zu Grabe
tragen, sondern ganz im Gegenteil darum bemüht sind, sie lebendig zu erhalten
und Wege zu finden, wie sie auch unter den veränderten Bedingungen der
Demenz weiterhin als Paar zusammen sein können. In der Beratung suchen sie
oft nicht für sich als Einzelne Rat, sondern kommen gewissermaßen
stellvertretend für das Paar in die Beratungsstelle und betrachten viele der
Fragen, die sie stellen, nicht als ihre persönlichen Probleme, sondern als
Angelegenheiten des Paares1083. Hier liegt ein Unterschied zur Beratung
pflegender Kinder. Wenn es in der Beratung um die Beziehung zum dementen
Elternteil geht, sind die Fragen der Kinder eher ich-bezogen: Wie kann ich mich
gegenüber der vereinnahmenden dementen Mutter abgrenzen? Wie kann ich
kindliche Abhängigkeit überwinden und Autorität gegenüber dem dementen Vater
ausüben? Die Auseinandersetzung der Kinder mit der Pflegebedürftigkeit der
alten Eltern ist in vielem bestimmt durch eine Gegenüberstellung eines „eigenen
Lebens“ auf der einen und der Verantwortung für die alten Eltern auf der anderen
Seite. Im Kern geht es bei den pflegenden Kindern um Anerkennungs- und
Gerechtigkeitskonflikte zwischen den Generationen1084, d.h. um die Anerkennung
der Identitäts- und Selbstverwirklichungsansprüche der beteiligten Personen1085
und um Ansprüche auf Unterstützung bzw. um den reziproken Austausch von
Fürsorge, Zuwendung und Liebe in Familien1086. Die Fragen der Ehegatten sind
dagegen häufig paar-bezogen: Wie können wir die Situation bewältigen1087? Sie
grenzen die Betreuung des kranken Partners nicht von einem daneben
existierenden eigenen Leben ab. Die Ehe ist eine Lebensgemeinschaft, und zwar
1082
vgl. Anhang 3, Punkt 3.1
1083
Besonders deutlich wird das im Fall von Frau R., die in der Beratung Informationen einholt, diese zu Hause
mit ihrem dementen Mann bespricht und dann erst zusammen mit ihm die Entscheidung trifft.
1084
vgl. Gröning, Kunstmann & Rensing 2004, 63ff.
1085
vgl. Honneth 1992; zit. nach Gröining, Kunstmann & Rensing 2004, 70
1086
vgl. Honneth 1995, 995; zit. nach Gröining, Kunstmann & Rensing 2004, 87
1087
vgl. z.B. Frau A., die fragt: „Was sollen wir denn machen?“ (A184); oder Frau K., die überlegt, „was noch auf
uns zukommen wird, was vernünftig wäre zu tun, wovor wir Angst haben.“ (K33)
286
sowohl in zeitlicher Hinsicht1088 als auch in dem, was sie inhaltlich ausmacht. Als
Lebensgemeinschaft ist sie umfassend, sie schließt grundsätzlich alles ein, was
in einem Leben in guten und in schlechten Tagen passieren kann. Damit ist die
Betreuung des dementen Partners für die pflegenden Ehegatten ganz wesentlich
ihr Leben. Anerkennungs- und Gerechtigkeitskonflikte, wie sie für pflegende
Kinder typisch sind, können auch bei den Ehegatten eine Rolle spielen1089, doch
sie bilden nicht den Kern ihrer Problematik. Im Zentrum steht bei ihnen das
Bemühen, die Paarbeziehung zu retten, d.h. die Lebensform, die sie vor vielen
Jahren gewählt haben und die ein wesentliches konstituierendes Moment ihrer
Identität ist.
Die
Durchschlagskraft,
mit
der
die
Demenz
wesentliche
Pfeiler
der
Paarbeziehung angreift, verdeutlichen die Themenkategorien des Themenfeldes
„Wir“1090. Es setzt sich aus folgenden Themenkategorien zusammen: (1)
Gefährtenschaft und Intimität; (2) Loyalität und Vertrauen; (3) Souveränität,
Gleichberechtigung, Alltagsorganisation und Macht; (4) Gerechtigkeit und Liebe
sowie (5) Beziehungsgeschichte und Paardynamik (vgl. Abbildung 32). Ohne
Ausnahme sind dies Themen, die Konstitutionsmerkmale von Paarbeziehungen
betreffen; sie alle sind zentrale Sujets der Paartheorie, was ich in den weiteren
Abschnitten dieses Kapitels zeigen werde. Wenn in der Folge der Demenz solche
konstitutiven Dimensionen der Paarbeziehung in Mitleidenschaft gezogen
werden, dann zeigt das, wie sehr diese Krankheit das Fundament der
Lebensform als Paar erschüttert. In diesem Sinn sind die Krisen, die sie
hervorruft, immer auch Krisen des Paares bzw. Krisen der Ehe1090.
Lenz nennt in seiner Definition einer Partnerschaftskrise drei Kriterien: „Als Krise
wird eine subjektiv als belastend wahrgenommene Veränderung der Beziehung
bezeichnet, die eine Unterbrechung der Kontinuität des Handelns und Erlebens
und eine Destabilisierung im emotionalen Bereich zur Folge hat.“1091 Die durch
die Demenz hervorgerufenen Beziehungsveränderungen erfüllen alle drei
Kriterien. (1) Die Veränderungen werden von den gesunden Ehegatten als
subjektiv belastend erlebt. Das belegt die Forschungslage, die konsistent die
1088
Selbst wenn heute jede dritte Ehe geschieden wird, ist sie dennoch zum Zeitpunkt der Eheschließung als
Lebensgemeinschaft ohne zeitliche Begrenzung gedacht. Man heiratet keinen Lebensabschnittspartner.
1089
vgl. z.B. den Fall von Frau M.
1090
vgl. Anhang 3, Punkt 3
1091
Lenz 2003, 114
287
Bedeutung des subjektiven Belastungserlebens hervorhebt1092. Als subjektive
Belastung werden Hilflosigkeit und Ohnmacht, Überforderung, Ausgebranntsein,
Verlassenheit, Selbstmitleid, Selbstzweifel, Sorgen, Angst vor der Zukunft,
Schuld, Trauer, Sinnlosigkeit u.ä. beschrieben. Auch meine Untersuchung weist
solche subjektiv belastenden Gefühle nach; die ratsuchenden Ehegatten
schildern ihre Wahrnehmung der Beziehungsveränderungen als
1093
Sorgen, Angst, oder Unsicherheit
Verluste,
. (2) Die demenziell bedingten Defizite des
Patienten stellen eine Unterbrechung der Kontinuität des Handelns und Erlebens
des Paares und damit auch des gesunden Ehegatten dar. (3) Die Veränderungen
haben eine emotionale Destabilisierung der gesunden Ehegatten zur Folge, wie
der Blick in die Ergebnisse der Belastungsforschung eindrucksvoll zeigt:
Auswirkungen der häuslichen Pflege eines Demenzkranken auf die seelische
Gesundheit des pflegenden Ehegatten sind konsistent nachgewiesen1094. Auch in
meiner Untersuchung gibt es zahlreiche Hinweise auf eine emotionale
Destabilisierung der ratsuchenden Ehegatten, die im Fall von Frau G. sogar bis
zu offener Suizidalität reicht1095.
Wenn ein zentraler Aspekt der psychosozialen Situation der pflegenden
Ehegatten darin besteht, dass die Demenz eine Krise der Ehe heraufbeschwört,
dann gehört die Ehekrise als ein wesentliches Themenfeld in die psychosoziale
Beratung der Ehegatten. Das zieht zweierlei nach sich: Erstens sind ratsuchende
Ehegatten dann in der Beratung nicht Einzelpersonen, sondern Teil eines
Paares, auch dann, wenn der demente Partner nicht als Klient in Erscheinung
tritt. Das bedeutet, Berater dürfen sie nicht nur in ihrer Funktion als „pflegende“
Angehörige, sondern müssen sie ganz wesentlich in ihrer Beziehung - als Teil
eines Paares - sehen. Für die Diagnose und Deutung der Paarkrise benötigen
die Berater zweitens eine Wissensbasis aus dem Bereich der Paartheorie. Ich
habe aus diesen Gründen wissenschaftliche Theorien und Befunde zu Paaren
und Paarentwicklung aus der Sozialpsychologie, der Soziologie und der
Psychoanalyse
gesichtet,
Themenkategorien
des
dort
nach
Themenfeldes
Arbeiten
„Wir“
im
Bereich
recherchiert
der
und
fünf
solche
theoretischen Beiträge aufgegriffen, die für die Demenzproblematik relevante
Erkenntnisse bieten können. Eine Verknüpfung der Demenzproblematik in
Paarbeziehungen mit der Paartheorie stellt dann, wenn die Demenz als Paarkrise
1092
vgl. Überblick im Kapitel 4.2.3
1093
vgl. Anhang 3, Punkt 3.11 – 3.1.4
1094
vgl. Überblick in den Kapiteln 4.2.1.1 und 4.2.3
1095
vgl. Anhang 3, Punkt 1.1
288
aufgefasst wird, eine für die Belange der psychosozialen Angehörigenberatung
notwendige,
bislang
systematisch
noch
nicht
vorgenommene
Perspektivenerweiterung dar. In den folgenden Abschnitten dieses Kapitels
werde ich einen ersten Beitrag zu einer solchen Verknüpfung leisten, indem ich
zunächst jeweils die Ergebnisse meiner Felduntersuchung in den fünf
Themenkategorien des Themenfeldes „Wir“ kurz fallübergreifend vorstelle, sie
danach
in
Bezug
Demenzkranker
zur
setze
bestehenden
und
in
Forschungslage
einem
dritten
über
Schritt
Ehegatten
jeweils
eine
Perspektivenerweiterung durch die Hinzunahme von relevanten Beiträgen aus
der Paartheorie vornehme.
9.1
Gefährtenschaft und Intimität
Den Ehepartner als Gefährten zu verlieren, ist eine Empfindung, die von vielen
Ehegatten in den Beratungsgesprächen zum Ausdruck gebracht wird1096. Dabei
werden verschiedene Facetten dieses Verlusterlebens sichtbar. Frau G. erlebt
diesen Verlust geradezu existenziell. Sie sagt: „Ohne ihn ist alles aus.“ Für Frau
J. ist das letztlich alles entscheidende Kriterium, dass sie ihren Mann einfach um
sich haben will, trotz aller Einschränkungen und alltäglichen Belastungen, die
gerade das ausmacht. Im Fall von Frau K. zeigen sich verschiedene
Dimensionen der partnerschaftlichen Nähe. Sie vermisst ihren Mann als den
Menschen, der die vielen kleinen Erlebnisse des Alltags mit ihr teilt, der
emotional für sie da ist und der ihr schließlich auf einer kognitiven Ebene als
Gesprächspartner
für
die
gemeinsame
Reflexion
von
Plänen
und
Lebensentscheidungen zur Seite steht. Frau L. dagegen betont weniger die
empfangende als die gebende Seite der Gefährtenschaft, indem sie vor allem
bedauert, ihren Mann emotional nicht erreichen und ihm deswegen in seiner
psychischen Krise nicht beistehen zu können.
Die bestehende Forschungslage bestätigt die herausragende Bedeutung dieses
Verlustes. Der Schwund der Gefährtenschaft in der Ehe, die Erosion der
Intimität, fehlende Reziprozität und Gefühle der Entfremdung werden an vielen
Stellen
1096
der
empirischen
vgl. Anhang 3, Punkt 3.1
Literatur
als
diejenigen
Folgen
der
Demenz
289
hervorgehoben, unter denen die Ehegatten besonders leiden1097. Lore K. Wright
argumentiert, das von Demenz betroffene Paar verliere das, was G.H. Mead als
„shared meaning“ bezeichnet1098. Einsamkeit wird in verschiedenen Studien1099
als bedeutendes soziales Problem der Ehegatten Demenzkranker erörtert.
Beeson beispielsweise führt aus, Teil einer Ehegemeinschaft zu sein und
Erfahrungen mit dem Ehegatten über die Lebensspanne hinweg zu teilen,
befriedige das menschliche Grundbedürfnis nach menschlicher, interpersonaler
Intimität, den Wunsch „to be related to another self while experiencing a feeling
that one is yet seperate“1100. Das Wegbrechen dieser Beziehung im Falle der
Demenz eines Partners bedrohe auch die Identität des anderen, da ihm ein
signifikanter Anderer als Quelle für die Validation und Konfirmation des
selbstbezogenen Wissens verloren gehe1101. Der Verlust muss für die meist
langjährigen Paare besonders gravierend sein, denn gerade die Gefährtenschaft
gilt als ein wesentlicher und belohnender Aspekt der Altersehe1102. Zur
emotionalen Nähe alter Paare trägt bei, dass die Partner in ihrer langen
gemeinsamen Geschichte gelernt haben, wie sie dem anderen am besten
beistehen, Rat geben oder ihn trösten können1103. Ehefrauen scheinen die
Deprivation der Beziehung zu ihrem dementen Mann besonders schlecht zu
verkraften1104, worin Miller Gilligans Vorstellung bestätigt sieht, dass Frauen zu
einer Moral der Fürsorge sozialisiert werden, welche auf die Beziehung
zwischen Individuen fokussiert1105.
Eine Erweiterung der Perspektiven zur Betrachtung von Gefährtenschaft und
Intimität im Falle einer Demenz versprechen sozialpsychologische Ansätze der
Paartheorie.
(a) Bindungstheoretische Ansätze
Stöcker et al. definieren Bindung als „evolutionär angelegte Neigung, stark
emotional geprägte und überdauernde Beziehungen zu ausgewählten und nicht
1097
vgl. z.B. Barusch & Spaid 1996; Blieszner & Shiftlett 1990; Gallagher-Thompson et al. 2001; Kramer &
Lambert 1999; Morris, Morris & Britton 1988; Owens 2000; Pearlin et al. 1990; Rankin, Haut & Keefover
2001; Siriopoulos, Brown & Wright 1999; Wright 1993
1098
vgl. Mead 1977; zit. nach Wright 1993, 10
1099
vgl. Beeson 2003; Murray, Mantela & Shuttleworth 1997
1100
Mijuskovic 1996; zit. nach Beeson 2003, 141
1101
vgl. Beeson 2003
1102
vgl. Stinnett, Carter & Montgomery 1972; zit. nach Depner & Ingersoll-Dayton 1985, 761
1103
vgl. Depner & Ingersoll-Dayton 1985
1104
vgl. Beeson et al. 2000; Bookwala & Schulz 2000; Hooker et al. 2000; Miller 1987; O’Connor 1999
1105
vgl. Miller 1987; Gilligan 1982; zit. nach Miller 1987, 452
290
austauschbaren Personen zu entwickeln, d.h. ein gefühlstragendes Band, das
Personen über Raum und Zeit hinweg miteinander verbindet“1106. Eckpfeiler für
eine
Bindungsbeziehung
sind
nach
Bowlby,
dem
Begründer
der
Bindungstheorie, die Aspekte Aufrechterhaltung von Nähe zur Bindungsperson,
Protest bei Trennung von ihr, Nutzung der Bindungsperson als sichere Basis für
die Exploration der Umwelt sowie das Aufsuchen der Bindungsperson als
sicheren Hafen bei Bedrohung1107. Diese Funktionen von Bindungen, die Bowlby
zunächst auf die Entfaltung des kindlichen Bindungs- und Explorationsverhaltens
bezogen hat, sind bei Erwachsenen noch dieselben und können auch auf
Bindungsbeziehungen zwischen erwachsenen Partnern übertragen werden1108.
Weiss führt beispielsweise an, gerade die Tatsache, dass eine Person durch den
Partner Beruhigung und Sicherheit erfahre, vor allem in Stresssituationen bei
ihm sein wolle und dagegen protestiere, wenn der Partner nicht verfügbar sei,
sei bei den meisten Paaren zu finden1109. Im Gegensatz zu dem prinzipiell
asymmetrischen Beziehungsgefüge zwischen Eltern und Kind zeichnen sich
Liebesbeziehungen dadurch aus, dass beide Partner gegenseitig als Quelle der
Sicherheit für die emotionalen Bedürfnisse des anderen agieren1110.
Im Falle der Demenzerkrankung eines der Partner treten zwei Entwicklungen
gleichzeitig auf, welche den gesunden Partner in eine Lage mit abnehmenden
Ressourcen bei steigenden Anforderungen bringen. Der Kranke verliert mit
fortschreitendem Krankheitsprozess seine sicherheitsspendenden Funktionen für
den Gesunden. Er ist emotional und kognitiv immer weniger erreichbar, er kann
für den anderen nicht mehr die sichere Basis für dessen Auseinandersetzungen
mit den Anforderungen der Umwelt bieten, und er kann auch nicht mehr der
sichere Hafen bei Bedrohungen sein. Gleichzeitig erhöht der fortschreitende
Krankheitsverlauf aber für den gesunden Partner zunehmend die Anforderungen
zur Auseinandersetzung mit der Umwelt: Neue Aufgaben müssen übernommen,
vielfältige Probleme gelöst werden. Zudem muss die Demenz in ihrer Eigenschaft
als heute in den meisten Fällen nicht heilbare Krankheit mit im Einzelfall nicht
vorhersagbarem Verlauf eine enorme Bedrohung auch für den gesunden Partner
darstellen. Darüber hinaus kann die Erfahrung des Wegbrechens des Ehegatten
als wichtiger Bindungsperson ähnliche Erfahrungen aus der Bindungsgeschichte
1106
Stöcker, Strasser & Winter 2003, 139
1107
vgl. Bowlby 1988; zit. nach Stöcker, Strasser & Winter 2003, 145
1108
vgl. Feeney & Noller1996, 90; zit. nach Schneewind & Wunderer 2003, 229
1109
vgl. Weiss 1996; zit. nach Stöcker, Strasser & Winter 2003, 145f.
1110
vgl. Berlin & Cassidy 1999; zit. nach Stöcker, Strasser & Winter 2003, 146
291
heraufbeschwören und eine psychische Destabilisierung auslösen. Die gesunden
Ehegatten erleben Einsamkeit in einem existenziellen Sinn1111.
Aus Sicht der Bindungstheorie entstehen Forschungsfragen zur Situation der
Ehegatten Demenzkranker:
•
Wie verarbeiten Menschen in Abhängigkeit von ihren unterschiedlichen
Bindungsgeschichten und
Bindungsstilen die Erfahrung, dass der
Ehepartner als wichtige Bindungsperson wegbricht? Hazan & Shaver
unterscheiden beispielsweise folgende Bindungsstile bei Erwachsenen:
sicherer, ängstlicher, abweisender (vermeidender) und besitzergreifender
Bindungsstil1112.
•
Wie verarbeiten Paare mit unterschiedlichen Bindungsgeschichten und
Bindungsstilen ihre Situation bei Demenz? Cohn et al. unterscheiden
beispielsweise drei Paarkonstellationen: zwei sicher gebundene Partner,
zwei unsicher gebundene Partner und eine Konstellation zwischen einem
sicher und einem unsicher gebundenen Partner1113.
(b) Sozialpsychologische Arbeiten zum Thema Nähe/Intimität
Suchen nach Nähe gilt als eines der grundlegenden menschlichen Motive1114. In
Umfragen danach, was das Wichtigste im Leben sei, nennen Befragte stets nahe
Beziehungen1115. Ina Grau definiert: „Nähe ist ein subjektiv erlebtes, relativ
stabiles Merkmal einer Beziehung zu einer anderen Person, das gegenseitige
persönliche Kommunikation und positive Emotionen umfasst.“1116 Reis & Shaver
benutzen nicht den Begriff „closeness“, sondern „intimacy“. Wörtlich bedeutet
Intimität „das Innerste“; dazu gehören Emotionen, Einstellungen, Interessen oder
Aspekte des Selbstkonzepts1117. Selbstöffnung ist danach ein entscheidendes
Merkmal intimer Interaktionen. „Von Nähe kann aber erst dann gesprochen
werden, wenn Selbstöffnung, Verstehen, Wertschätzung und Unterstützung
zusammentreffen“1118. Prager nennt Selbstöffnung, Verstehen und positive
1111
vgl. hierzu auch die Überlegungen von Yalom im Kapitel 3.1.3.2; Yalom 1980; zit. nach Levine et al. 1984,
216
1112
vgl. Hazan & Shaver 1987; zit. nach Schneewind & Wunderer 2003, 229
1113
vgl. Cohn et al. 1992 ; zit. nach Schneewind & Wunderer 2003, 229
1114
vgl. McAdams 1980; zit. nach Grau 2003, 287
1115
vgl. Caldwell & Peplau 1982; zit. nach Grau 2003, 287
1116
Grau 2003, 290
1117
vgl. Reis & Shaver 1988; zit. nach Grau 2003, 292
1118
Grau 2003, 294
292
Emotionen als drei Faktoren der Nähe1119. Darüber hinaus münden intime
Interaktionen nur dann in nahe Beziehungen, wenn die Kriterien Reziprozität und
Dauer dazu kommen1120. Nähe beginnt, wenn man einen Menschen kennen lernt,
stets in einer speziellen Situation, einer intimen Interaktion. Eine häufige
Wiederholung intimer Interaktionen über längere Zeit führt zu einem Prozess der
Annäherung. Ist dieser Prozess fortgeschritten, spricht man von einer nahen
Beziehung. Intime Interaktionen sind demnach an konkrete Situationen
gebunden, während Nähe als Beziehungsmerkmal relativ stabil und unabhängig
von der momentanen physischen Distanz zwischen zwei Personen ist.1121
Derartig entstandene nahe Beziehungen zeichnen sich durch folgende Merkmale
aus: Commitment (Bindungsbereitschaft), eine geteilte Identität (Wir-Gefühl), eine
Behandlung als Einheit durch andere Personen (z.B. gemeinsame Einladungen),
stabile Erwartungen und Interaktionsmuster sowie Vertrauen1122. Chelune et al.
charakterisieren eine nahe Beziehung mit folgenden Merkmalen: Wissen um das
Innerste des Anderen (Selbstöffnung, Verständnis, Akzeptanz); Gegenseitigkeit
(Involviertheit in die einzigartige Beziehung); Interdependenz (gegenseitige
Beeinflussung, Macht); Vertrauen (im Interesse des anderen handeln, ihn nicht
verletzen); Commitment (langfristige Perspektive) und füreinander sorgen
(gegenseitige Unterstützung, sich kümmern)1123.
Ich selbst habe den Begriff der Gefährtenschaft gewählt, um die Bedeutung des
Zeitfaktors für die Betrachtung von Nähe und Intimität bei alten Paaren zu
betonen. Lang verheiratete Paare sind eine lange Strecke des Lebensweges
gemeinsam gegangen und haben häufig in jahrzehntelanger Beziehungsarbeit
ihre ganz eigene Nähe, d.h. eine Paar-Einheit mit entsprechendem Rückgriff auf
die gemeinsame Geschichte, mit Beziehungsmythen, Beziehungssymbolen,
Beziehungskalender und oft sogar einer eigenen Sprache ausgebildet1124.
Nahe
Beziehungen
1125
Anteile.
haben
Verhaltensanteile,
emotionale
und
kognitive
Verhaltenskomponenten sind nonverbale Verhaltensweisen wie nah
beieinander zu stehen oder sich zu berühren. Die emotionale Nähe umfasst
1119
vgl. Prager 2000; zit. nach Grau 2003, 294
1120
vgl. Grau 2003, 295
1121
vgl. Grau 2003, 289
1122
vgl. Reis & Shaver 1988; zit. nach Grau 2003, 295
1123
vgl. Chelune et al. 1984 ; zit. nach Grau 2003, 295f.
1124
zur Konstruktion der Wirklichkeit in Zweierbeziehungen aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive vgl.
Lenz 2003, 167ff.; aus einer psychoanalytischen Perspektive vgl. Buchholz 1995, 155f. (siehe weiter unten in
diesem Kapitel)
1125
vgl. Hatfield 1984; zit. nach Grau 2003, 295
293
Lieben, Mögen und Vertrauen. Zur kognitiven Nähe zählt das Wissen um die
Geschichte, die Werte, Stärken, Schwächen, Einzigartigkeiten, Hoffnungen und
Ängste des Anderen. Genau an dieser Stelle greift eine Demenz eine intime
Beziehung an. Sie zerstört die Nähe, weil vor allem die kognitiven Aspekte vom
Kranken nicht mehr gelebt werden können.
Die Demenz zerstört aber nicht nur die Nähe, sie kann auch zu viel Nähe
bringen. Viele Demente entwickeln ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Nähe, das
so weit gehen kann, dass sie ihrem Gegenüber nicht mehr von der Seite
weichen. Erklärbar wird das, wenn man sich vor Augen führt, in welch
tiefgreifender Weise die Krankheit die Betroffenen in ihrem Verständnis des
Alltags und in ihrer Identität verunsichert. Viele Demenzkranke suchen oder rufen
ihre Mutter, was als Mechanismus der Regression, d.h. hier als Suche nach einer
Trost und Geborgenheit versprechenden Person aufgefasst werden kann1126.
Viele Angehörige berichten, wie sehr diese ständige Nähe des Kranken zur
Belastung werden kann. Anklammerndes Verhalten des erkrankten Ehegatten
wird an vielen Stellen in den ausgewerteten Beratungsfällen als Problem
geschildert (vgl. Anhang 3, Punkt 2.3). Der Sohn von Frau R. beschreibt die
belastenden Aspekte für seine Mutter sehr treffend: „Sie kann eigentlich nur noch
alleine zur Toilette gehen.“ Die Theorien über Paarbeziehungen weisen darauf
hin, dass Menschen unterschiedliche Nähebedürfnisse haben und Beziehungen
häufig dann scheitern, wenn unterschiedliche Nähebedürfnisse nicht kompatibel
sind1127. Alte Paare haben in dem langen Zeitraum ihres Zusammenseins eine
individuelle Regulierung für Nähe und Distanz geschaffen, die nun, mit dem
krankheitsbedingt verstärkten Nähebedürfnis des dementen Partners aus der
Balance gerät. Ina Grau meint, die Diskrepanz zwischen Nähebedürfnis
(Sollwert) und tatsächlich erlebter Nähe (Istwert) sei in Paarbeziehungen relativ
unkompliziert zu lösen, wenn ein Partner zuviel Nähe empfinde. Er könne dann
einfach
mehr
Distanz
schaffen,
indem
er
einseitig
die
gemeinsamen
Unternehmungen, die Intimität der Gesprächsinhalte oder die Unterstützung des
anderen reduziere. Schwieriger sei es dagegen, mehr Nähe zu einer Person
herzustellen, da hierfür das Einverständnis beider notwendig sei1128. Im Falle der
Demenz stimmt das nicht mehr in dieser Weise. Dann wird es auch schwierig, zu
viel Nähe zu verringern, denn der Gesunde kann den Kranken nicht mehr
unbeaufsichtigt lassen. Aus dieser Perspektive sind die Klagen von Ehegatten
1126
vgl. Kipp 1992
1127
vgl. Grau 2003, 287f.
1128
vgl. Grau 2003, 304f.
294
über ihre ständige Präsenzpflicht und über anklammerndes Verhalten des
erkrankten Partners auch als Hinweis auf die grundsätzliche Verschiebung der
Nähe-Distanz-Regulierung des Paares zu verstehen, die von dem Gesunden als
bedrohlich wahrgenommen werden kann.
(c) Sozialpsychologische Arbeiten zum Thema Verstehen
Verständnis ist das zentrale Merkmal, das Menschen sich in Partnerschaften
erhoffen1129.
Neben
anderen
Faktoren1130
spielt
die
Fähigkeit
zur
Perspektivübernahme bzw. die Empathie hierfür eine Rolle. In der Bereitschaft
und Fähigkeit dazu wird ein zentrales Merkmal gesehen, das einen guten Partner
ausmacht. In diesem Bereich jedoch verliert der demente Partner aufgrund seiner
kognitiven Störungen zunehmend an Kompetenz.
Partner in langjährigen Beziehungen, so könnte man annehmen, kennen und
verstehen sich besonders gut. Doch gibt es eine Reihe von Befunden, die dies
nicht bestätigen. Analysen von Kenny zeigen, dass die Dauer der Bekanntschaft
nur einen geringen Effekt auf das Verstehen hat1131. Thomas et al. konnten
belegen, dass jüngere Paare sogar wesentlich zutreffender erkannten, was der
jeweils andere Partner gerade dachte oder fühlte1132. Als Grund wird
angenommen, langjährige Partner entwickelten eingefahrene Interaktionsmuster,
gerade weil sie sich so gut kennen und sich in der Folge weniger genau
beobachten. Allzu großes Zutrauen in die eigene Expertise verschlechtert eher
die Vorhersagegenauigkeit anstatt sie zu verbessern1133.
Für die Demenzproblematik in Ehen wirft das die Frage auf, ob langjährige
Partner das krankheitsbedingt veränderte Verhalten und die veränderte
psychische Situation des Kranken gar nicht so genau wahrnehmen, weil sie sich
an ihre in langen Jahren gefertigten Erkenntnisse halten. Herr P., der die
Demenz seiner seit langem manisch-depressiv erkrankten Frau offenbar lange
nicht bemerkt hat, gibt ein Beispiel dafür ab. Andererseits lässt sich mit der
Attributionstheorie dagegen halten, vor allem unerwartete, überraschende oder
extreme Ereignisse verlangen nach Erklärung1134. Demenztypisches Verhalten,
1129
vgl. Hassebrauck 1995; zit. nach Felser 2003, 355
1130
vgl. Felser 2003, 355ff.
1131
vgl. Kenny & Acitelli 2001; zit. nach Felser 2003, 362
1132
vgl. Thomas, Fletcher & Lange 1997 ; zit. nach Felser 2003, 362
1133
vgl. Swann & Gill 1997; zit. nach Felser 2003, 362
1134
vgl. Kalicki 2003, 379
295
insbesondere
Problemverhalten,
kann
man
in
diesem
Sinne
als
erklärungsbedürftig ansehen, was dann doch eine erhöhte Aufmerksamkeit der
langjährigen Partner zur Folge hätte. Das sind Fragen für weitere Forschung.
(d) Ein psychoanalytischer Ansatz zum Thema Nähe/Intimität
Als letzte theoretische Perspektivenerweiterung möchte ich die Überlegungen
von Buchholz nutzen, der beschreibt, wie Paare im Laufe des Zusammenlebens
eine gemeinsame Paar-Wirklichkeit und Tiefe der Beziehung erschaffen1135.
Buchholz erläutert, Interaktionen sei ein Zwang zur Bildung von Regeln inhärent.
Diese Regeln wiederum ordneten die Realität, schafften Erlebnisse des
Wiedererkennens und überformten die Realität: „Es entsteht eine Wirklichkeit
zweiter Ordnung, die als ‚Wirklichkeit der interaktiven Regelsysteme’ bezeichnet
werden kann. Auch diese kann noch einmal überstiegen werden, wenn
menschliche
Individuen
beispielsweise
in
Ehepartner,
differenzierter
ihre
in
Interaktionserfahrung,
Regeln
also
sedimentierten
Beziehungserfahrungen einander konfrontieren. Die Konfrontation solcher
Wirklichkeiten zweiter Ordnung ist eine unabdingbare Voraussetzung, wenn
Beziehungen zwei Bedingungen erfüllen sollen: a) wenn sie auf Dauer angelegt
sind und b) wenn sie über eine nur schmale Bandbreite interaktiver Bereiche, wo
Konsens problemlos gefunden werden kann, hinausgehen. Beide Bedingungen
müssen für intime familiäre Interaktionen angenommen werden.“1136 Buchholz
erläutert weiter, in diesem Prozess der Konfrontation von interaktiven
Wirklichkeiten zweiter Ordnung komme ein Prinzip zur Geltung, das er mit
Schülein1137 als „Relationierung von Relationen“ bezeichnet: „Die Konfrontation
von in Regeln sedimentierten Beziehungserfahrungen schafft dann eine neue,
nur
den
Interaktionspartnern
Komplexität.“1138
erworbenen
gemeinsame
Wirklichkeit
von
höherer
Dies geschehe dadurch, dass die Beziehungspartner ihre
Interaktionsregeln
in
ihrer
Abhängigkeit
von
bisherigen
Beziehungserfahrungen deuten und damit prinzipiell bereit seien, sie zur
Disposition zu stellen. Erst mit dieser Bereitschaft und/oder Fähigkeit zur
prinzipiellen Dispositivierung könnten Beziehungen entstehen, die in der Lage
sind, „über das, was räumlich und zeitlich präsent ist, hinauszugehen; dieses
Moment der Dauer gibt ihnen eine gewisse Unabhängigkeit von äußeren
1135
vgl. bei Buchholz 1995, 155f.
1136
Buchholz 1995, 156
1137
vgl. Schülein 1987; zit. nach Buchholz 1995, 156
1138
Buchholz 1995, 156
296
Einflüssen. Die Realität der Beziehung erhält eine Schichtung in die Tiefe; es
entsteht eine interaktive Tiefenstruktur. “1139 Tiefe in einer Beziehung entstehe
dann, wenn die Beziehungspartner das versuchen, was Buchholz als
Perspektivität
durch
‚Relationierung
von
Relationen’
bezeichnet:
„Die
Abhängigkeit der Erfahrung (d.h. der ‚Beschreibungen’) von Perspektiven zu
erkennen, bringt die Beziehung auf eine neue Stufe, relationiert Relationen und
öffnet neue Handlungs- und Erlebnismöglichkeiten.“1140
Diese Überlegungen auf die Situation der von Demenz betroffenen Paare
angewandt bedeuten zweierlei. Erstens geben sie eine Erklärungsmöglichkeit ab
für die schwindende Nähe der Partner, wenn der Demente aufgrund seiner
Gedächtnisstörungen und kognitiven Defizite immer weniger in der Lage ist, an
der hoch komplexen, gemeinsam erschaffenen Wirklichkeit zu partizipieren. Zu
Ende gedacht bedeutet Buchholz’ „Relationierung von Relationen“, dass von
Demenz betroffene Paare sich nicht mehr gemeinsam weiterentwickeln können.
Zweitens stellt sich die Frage, ob Paare, die eine interaktive Tiefenstruktur
aufgeschichtet haben, d.h. die in der Relationierung der Relationen geübt sind,
es auch leichter haben, mit den neuen Bedingungen unter dem Einfluss der
Demenz umzugehen, indem sie auch hier ihre Regeln zur Disposition stellen
können und zu neuen gelangen. Wobei diese Aufgaben größtenteils nur von dem
gesunden Partner geleistet werden können. Auch dies sind Fragen für weitere
Forschung.
9.2
Loyalität und Vertrauen
Mehrere Ehegatten bringen in den Beratungen zum Ausdruck, dass die Loyalität
zum Partner und das Bestreben, sich ihm gegenüber als vertrauenswürdig zu
erweisen, für sie wesentliche Orientierungen darstellen1141. Herr H., Frau J. und
Herr N. nennen Treue als Motiv für die Übernahme der Betreuung und Pflege des
kranken Partners. In formell geschlossenen Ehen ist dies ein sehr starkes Motiv,
das in dem Versprechen, „in guten und in schlechten Tagen füreinander zu
sorgen“, welches sich die Eheleute während der Trauung gegeben haben,
angelegt ist.
1139
Buchholz 1995, 156
1140
Buchholz 1995, 156
1141
vgl. A44, D25, H32, H34, J22, J33f., N26, P40, Q26, R36, R39; S20, S29, S41, S51
297
Die Demenz kann die gesunden Partner in unterschiedliche Loyalitätskonflikte
und -dilemmata hineinführen. Frau A. möchte sich ihrem Mann gegenüber loyal
verhalten, indem sie ihn bei der Umsetzung seiner Interessen unterstützt, und
indem sie nicht hinter seinem Rücken mit seinen zerstrittenen Geschwistern
kollaboriert. Da beides einander aber in der konkreten Situation ausschließt,
gerät sie in ein Dilemma. Auch Frau L. möchte Schaden von ihrem Mann
fernhalten, kann dies aber nur dadurch erreichen, dass sie sich ihm gegenüber –
zumindest
aus
ihrer
Alltagsvorstellung
heraus
–
illoyal
verhält.
In
Loyalitätskonflikte geraten auch die vielen Ehegatten, die in den Beratungen über
die Unterbringung ihres Gatten in einer Pflegeeinrichtung nachdenken1142.
Hierbei geht es um die Loyalität zum Partner, d.h. um die Wahrung seiner
Interessen auf der einen Seite und um die eigenen Bedürfnisse und Interessen
auf der anderen Seite. Frau C. gibt ihrer Loyalität Ausdruck, indem sie zur
Anwältin ihres Mannes wird. Sie gerät in Loyalitätskonflikte ihrem Mann
gegenüber, weil die Institution Altenheim nur ungenügend auf die Rolle von
Angehörigen vorbereitet ist. Ein anderer Loyalitätskonflikt zeigt sich im Fall von
Frau Q. Sie steht einerseits im Konflikt zwischen den eigenen Bedürfnissen und
ihrer Loyalität als Ehefrau dem Mann gegenüber und andererseits im Konflikt
zwischen den eigenen Bedürfnissen und ihrer Loyalität als Mutter der Tochter
gegenüber. Das Thema der Loyalität scheint auch auf, wenn einige der
Ehegatten Wert darauf legen, den Beratern gegenüber ein vollständiges Bild des
erkrankten Partners zu vermitteln. Im Fall von Frau B. wurde deutlich, dass es ihr
dabei um die Würde des Mannes geht. Sie möchte, dass er als derjenige in
Erinnerung bleibt, der er vor der Demenzerkrankung gewesen ist.
Die bestehende Forschungslage liefert keine empirischen Befunde zur
Problematik der Loyalität von Ehegatten Demenzkranker. Allein Jecker1143
beschäftigt sich theoretisch mit dieser Thematik. In meiner Untersuchung
konnten, wie oben kurz skizziert, vielfältige Konfliktlagen herausgearbeitet
werden, die sich in diesem Bereich für die Ehegatten ergeben. Das Fehlen von
Forschung zu diesen Fragen ist deshalb als großer Mangel anzusehen.
Theoretische Perspektivenerweiterung: Idealvorstellungen von Partnerschaften
lassen sich Fletcher et al. zufolge in zwei Dimensionen beschreiben: Intimität und
Loyalität sowie Spaß und Leidenschaft; der ideale Partner zeichnet sich durch die
1142
A110, A151, A161ff., A183, B303ff., C203, C211, C213f., E11, E22, E42f., E62, F47, F58, Q18ff, Q23
1143
vgl. Jecker 1995; vgl. Kapitel 3.2.1.2
298
Dimensionen Vitalität und Attraktivität, Wärme und Vertrauenswürdigkeit sowie
Status und Vermögen aus1144. Hassebrauck fand Vertrauen als Merkmal, das
Befragte als zentral für eine „gute Beziehung“ ansehen1145. Emotionale Sicherheit
und Loyalität in der Ausrichtung auf eine gemeinsame Zukunft scheinen
besonders wesentlich für alte Paare zu sein1146.
(a) Vertrauen
Intime Beziehungen sind Beziehungen, in denen Menschen einander ihr
Innerstes öffnen. Hatfield1147 weist auf die Gefahren zu großer Nähe hin. Sie
nennt die Gefahr, verlassen zu werden, die Gefahr ärgerlicher Angriffe, die
Gefahr, Kontrolle zu verlieren, und die Gefahr, vereinnahmt zu werden, wenn
man sich jemanden gegenüber öffnet. Daraus ergibt sich, dass Selbstöffnung
von Verstehen, Wertschätzung, Unterstützung und von gegenseitigem Vertrauen
begleitet sein muss1148, wenn in einer nahen Beziehung die Gefahr von
Machtmissbrauch und die Gefahren der Selbstöffnung gebannt werden sollen1149.
Die Demenz macht den erkrankten Menschen hilflos und in hohem Maße
verletzlich für schädigende Übergriffe anderer. Das Gebot, als Ehepartner das
Vertrauen nicht zu missbrauchen, welches der andere entgegenbringt,
ist
deshalb im Falle der Demenz hochaktuell. In diesem Kontext sind die Gedanken
zu verstehen, die sich die Ehegatten in den Beratungen über Vertrauen und
Vertrauensbrüche machen. In Einzelfällen kann das Gebot auch eine Bastion
sein zur Abwehr aggressiver Impulse, die der pflegende Gatte dem Kranken
gegenüber hegen kann.
(b) Loyalität
Burkart schreibt, bei dem Versuch einer bibliographischen Suche nach dem
Stichwort „Treue“ mache man die merkwürdige Erfahrung, oft auf staats- und
arbeitsrechtliche Texte oder Literatur zu Herren- und Vasallentreue zu stoßen,
selten dagegen auf familiensoziologische oder psychologische Abhandlungen zur
1144
vgl. Fletcher et al. 1999; zit. nach Felser 2003, 364
1145
vgl. Hassebrauck 1995; zit. nach Felser 2003, 365
1146
vgl. Reedy, Birren & Schaie 1981; zit. nach Olbrich 1991, 47
1147
vgl. Hatfield 1984; zit. nach Grau 2003, 294
1148
vgl. Grau 2003, 294
1149
vgl. Chelune et al. 1984; zit. nach Grau 2003, 296
299
Treue in Paarbeziehungen1150. Seine soziologische Definition von Treue in
Paarbeziehungen umfasst drei Aspekte, nämlich Folge- und Hilfsbereitschaft,
Ausschließlichkeitscharakter und Dauer.
•
Folge- und Hilfsbereitschaft („Loyalität“) gegenüber einer Person: Dies
schließt die Bereitschaft zur Unterstützung in jeglicher Hinsicht ein sowie die
Bereitschaft zur Akzeptanz auch extramoralischer Eigenschaften und
Handlungen. Da weder Macht noch ein Vertrag, sondern Liebe die Quelle
der Treue ist, ist diese Solidarität unabhängig vom Tauschwert und kann
nicht eingeklagt werden.
•
Die Exklusivität der Person: Der Partner ist derjenige, den man allen
anderen
vorzieht.
ausschließlichen
Deshalb
Anspruch
hat
auf
der
Treue.
Partner
Die
privilegierten
Exklusivität
hat
und
zwei
Dimensionen, nämlich sexuelle Treue und umfassende persönliche
Loyalität.
•
Anspruch
auf
Dauerhaftigkeit:
„Ewige
1151
grundsätzlich zeitlich nicht befristet
Treue“,
der
Anspruch
ist
.
Burkart stellt fest, der Anspruch auf Exklusivität sei in den letzten zwanzig Jahren
auf der sexuellen Ebene zurückgegangen, dagegen sei der Anspruch auf
umfassende Loyalität (Folge- und Hilfsbereitschaft) eher gestiegen. Er sieht diese
Entwicklung im Zusammenhang von Ent- und Remoralisierungstendenzen der
ehelichen Treue1152.
Loyalität kann auch aus der Sicht austauschtheoretischer Modelle von
Paarbeziehungen betrachtet werden. Diese Modelle sehen die Zufriedenheit in
einer Partnerschaft und die Aufrechterhaltung oder Beendigung einer Beziehung
als Produkt von Kosten-Nutzen-Abwägungen, bei denen beide Partner prüfen, ob
die eigenen Bedürfnisse vom anderen befriedigt werden, und welche Kosten in
Form von mentalem und körperlichem Aufwand, damit verbundenen Ängsten,
Erschwernissen oder Konflikten dabei entstehen1153. Neben Belohnungen und
Kosten der Interaktionen hängt die Zufriedenheit von dem zugrunde gelegten
Bewertungsmaßstab und dem Grad der Abhängigkeit vom Partner ab. Letzterer
zeigt an, inwieweit der eine den anderen Partner braucht, weil seine Bedürfnisse
anderweitig nicht erfüllt werden. Dementsprechend betonen Thibaut & Kelley das
1150
vgl. Burkart 1997, 191f.
1151
vgl. Burkart 1997, 194f.
1152
vgl. Burkart 1997, 207
1153
vgl. Thibaut & Kelley 1959; zit. nach Lösel & Bender 2003, 51
300
Vergleichsniveau für Alternativen, insbesondere die erwarteten eigenen Chancen
auf dem wahrgenommenen „Partnermarkt“1154. Eine Erweiterung der AustauschTheorie bildet das Investment-Modell von Rusbult, das im Rahmen der KostenNutzen-Abwägung einer Beziehung die Investitionen betont, welche beide
Partner im Laufe der Jahre in die Beziehung getätigt haben, beispielsweise Zeit
und Gefühle, Aufbau eines Freundeskreises, Arbeit, Eigenheim u.v.m. Rusbult et
al.1155 fassen subjektive Zufriedenheit in einer Beziehung, Verfügbarkeit und
Attraktivität von Alternativen und das Ausmaß an Investitionen zusammen als
Commitment: „Wie sehr erlebe ich mich als Teil einer Partnerschaft, wie loyal,
verpflichtet und gebunden fühle ich mich dem Partner gegenüber.“1156
Das Commitment könnte in alten Ehen, vor allem aufgrund der langjährigen
Investitionen, besonders hoch sein. Dagegen sprechen allerdings neuere
empirische Daten, nach denen die Scheidungshäufigkeit langjähriger Ehen in
den letzten Jahren zunimmt1157. Nach der Logik des Investment-Modells müssten
im Falle solcher späten Scheidungen die aktuelle Unzufriedenheit mit der Ehe
und die Aussichten auf Alternativen die Investitionsseite aufwiegen. Was
allerdings im Falle einer Demenzerkrankung den gesunden Partner zum
Festhalten an der Beziehung veranlasst, obwohl zwar in der einen Waagschale
gewichtige, langjährige Investitionen liegen, in der anderen Waagschale jedoch
eine infolge der Demenz massiv belastete aktuelle Partnerschaft, das können
austauschtheoretische Modelle auf den ersten Blick nicht beantworten. Sollte
Loyalität einem nahestehenden Menschen gegenüber doch nicht allein das
Produkt einer Kosten-Nutzen-Abwägung sein? Es stellt sich die Frage, ob hier
andere Faktoren eine Rolle spielen und welche dies sind. Interessant wäre
Wissen über Scheidungsraten von Paaren, die mit Demenz konfrontiert sind.
Hilfreich für das Verstehen der Situation der betroffenen Paare sind aber auf
jeden Fall die Vorstellungen des Investment-Ansatzes über die Strategien und
Mechanismen,
die zum Einsatz kommen, um eine Beziehung bei hohem
Commitment aufrechtzuerhalten1158. Dazu zählen Anpassungstendenzen, d.h.
Tendenzen, destruktives Verhalten des Partners durch eigenes konstruktives
Verhalten abzufedern, sowie Opferbereitschaft, d.h. die Bereitschaft, eigene
Interessen zugunsten der Beziehung oder des anderen zurückzustellen. Wer sich
1154
vgl. Thibaut & Kelley 1959; zit. nach Lösel & Bender 2003, 52
1155
vgl. Rusbult, Drigotas &Verette 1994; zit. nach Schneewind & Wunderer 2003, 231
1156
Schneewind & Wunderer 2003, 231
1157
1995 war das Scheidungsrisiko zwischen dem 20. und 30. Ehejahr etwa doppelt so hoch wie 1980; vgl.
Dobritz & Gärtner 1998, 431; zit. nach Kuhlmey & Hitzblech 2002, 36
1158
vgl. Scheewind & Wunderer 2003, 231f.
301
der Partnerschaft verpflichtet fühlt, nimmt höhere Kosten in Kauf, ist bereit, in die
Beziehung zu investieren und wertet Alternativen ab.
9.3
Souveränität, Gleichberechtigung,
Alltagsorganisation und Macht
Die Frage der Souveränität des dementen Partners wird von vielen Ehegatten in
den Beratungsgesprächen reflektiert1159. Mehrere Ratsuchende beschäftigen sich
in der Beratung ausführlich mit der Frage, ob sie das Recht haben, in die Sphäre
ihres dementen Partners einzugreifen und/oder Entscheidungen für ihn zu
treffen1159. Diese Frage betrifft die ganze Spanne denkbarer Reichweiten von
Eingriffen und Entscheidungen. Sie stellt sich bei alltäglichen Kleinigkeiten - Herr
H. beispielsweise traut sich nicht, in den Sachen seiner Frau „herumzukramen“,
wenn sie wieder einmal Dinge verlegt hat. Sie stellt sich ebenso bei
weitreichenden Beschlüssen - Frau L. beispielsweise muss über eine Operation
bei ihrem dementen Mann entscheiden - und schließlich bei existenziellen
Fragen - etwa dem Legen einer PEG im Falle der dementen Ehefrau von Herrn
E. Manche Ehegatten thematisieren diese Frage, indem sie über ihre
Schwierigkeiten sprechen, dem dementen Gatten gegenüber notwendige
Entscheidungen zu begründen, oder indem sie Entschlüsse des dementen
Partners als verbindlich nehmen, selbst dann, wenn man annehmen muss, dass
dieser die Konsequenzen krankheitsbedingt gar nicht mehr überblicken kann.
Dies geschieht beispielsweise im Fall von Herrn und Frau H., als er seiner
dementen Frau die Entscheidung überlässt, ob sie eine Tagespflege besuchen
möchte. Andere Ehegatten betonen, wie wesentlich es für sie ist, dass der
demente Partner Entscheidungen zumindest mitträgt. Frau A. beispielsweise
wirkt wie erlöst, nachdem ihr schwer dementer Mann ihr kurz vor seinem Tod zu
verstehen gibt, dass er ihre
Entscheidung, ihn in einem Pflegeheim
unterzubringen, richtig findet. Frau L. hält an der Vorstellung fest, ihr Mann könne
bezüglich der anstehenden Operation noch mitentscheiden, und sie ist sich dabei
sogar bewusst, dass sie sich etwas vorgaukelt.
Die letzten Beispiele zeigen das gemeinsame Treffen von Entscheidungen als
wesentliches Merkmal in Ehen. Schon der Beginn einer Ehe ist von einer
1159
vgl. A41ff., A184, B287, C100, C130, D87, D309, G15, H15, H44, H54f., K29, L12, L22, L25, L27ff., L34,
N9, R20, R43
302
gemeinsamen Entscheidung geprägt1160. Ehen sind im Unterschied zu
verwandtschaftlichen
Beziehungen
frei
gewählt,
man
entscheidet
sich
füreinander. Und Ehen sind auch im weiteren Verlauf stets auf gemeinsamen
Entscheidungen gegründet, denn sie sind auf die Zukunft ausgerichtet1161. Man
heiratet jemanden, um mit ihm Lebensprojekte zu verwirklichen, zum Beispiel
Kinder zu bekommen, ein Haus zu bauen, das Alter gemeinsam zu gestalten.
Die
Lebensprojekte
nehmen
durch
gemeinsame
Entscheidungen
und
gemeinsames Handeln Gestalt an. Das Dilemma der Betroffenen besteht darin,
dass die Demenz einerseits den Vollzug dieser Vorstellung von Ehe zerstört,
weil der Erkrankte sich nicht mehr einbringen kann, andererseits aber die Idee
des gemeinsamen Entscheidens und Handelns derart konstitutiv für die Ehe ist,
dass bei ihrem Fehlen die Beziehung eigentlich nicht mehr als Ehe gedacht
werden kann.
Die bestehende Forschungslage zur Situation der Ehegatten Demenzkranker hat
nur sehr wenige Beiträge, die sich der Fragen des Eingreifens in die
Souveränität des erkrankten Ehegatten systematisch angenommen haben.
Einige Autoren berichten, vor allem für Ehefrauen stelle es ein Problem dar, sich
gegenüber dem dementen Mann durchzusetzen1162. Miller argumentiert,
die
Autorität, die Frauen aus der Kindererziehung kennen, bereite wenig darauf vor,
Autorität gegenüber einem erwachsenen Menschen auszuüben. Männer
hingegen seien es eher gewohnt, Autorität über Erwachsene zu haben, in der
Familie oder im Beruf, und für sie bedeute die Betreuung der dementen Ehefrau
deshalb nur eine Ausweitung dieser bekannten Struktur1163. In den hier
ausgewerteten
Beratungsgesprächen
berichteten
auch
Ehemänner
über
Schwierigkeiten, in die Souveränität ihrer dementen Frauen einzugreifen (Herr
E., Herr H.) oder Autorität ihnen gegenüber auszuüben (Herr D., Herr P.). Die
Zurückhaltung der Forschung gegenüber dem Thema der Souveränität von
dementen Ehegatten erstaunt angesichts der Dringlichkeit, mit der gerade diese
Frage
von
den
gesunden
Ehegatten
in
den
hier
ausgewerteten
Beratungsgesprächen vorgetragen wurde.
1160
Dies gilt für die moderne Ehe, die von den Einflüssen Dritter (Verwandtschaft, Lehnsherren usw.)
weitgehend freigesetzt worden ist und als Begründung die gegenseitige Zuneigung und den freien Willen der
beiden Partner voraussetzt.
1161
Der Zukunftsbezug von Paarbeziehungen lässt sich evolutionstheoretisch ableiten. Aus dieser Sicht sind
dauerhafte Paarbeziehungen als menschliche Universalie entstanden, weil die Entwicklung des Homo
sapiens mit seiner Vergrößerung des Neokortex, dem aufrechten Gang und der Sprachentwicklung lange
Aufzuchtszeiten des Nachwuchses bedingte – ein Selektionsnachteil, der nur dadurch aufgefangen werden
konnte, dass der Erfolg der Aufzucht des vergleichsweise wenigen Nachwuchses möglichst sicher gestellt
werden musste. Vgl. Lösel & Bender 2003, 46ff.
1162
vgl. Miller 1987; Perry 2002; Perry & O’Connor 2002; Wright 1993
1163
vgl. Miller 1987
303
Für die Situation von erwachsenen Kindern demenzkranker Eltern gibt es das
Konzept der „fürsorglichen Autorität“1164, das pflegende Kinder dazu anhält,
aktiv, wohlwollend und bestimmt in die Belange der dementen Eltern
einzugreifen, um sie zu schützen oder zu fördern. Dies setzt bei den
erwachsenen
Kindern
voraus,
dass
sie
sich
endgültig
aus
kindlicher
Abhängigkeit von den Eltern abgelöst haben, Verantwortung für die alten Eltern
übernehmen und damit eine neue Rolle ihnen gegenüber einnehmen. Für
Ehegatten stellt sich die Situation anders dar. Es handelt sich hier nicht um ein
Verhältnis,
das
früher
aus
einem
unmündigen
Kind
und
einem
erziehungsberechtigten Erwachsenen bestanden hat. Bei Ehepartnern vollzieht
sich deshalb auch nicht eine Umkehr der früheren Rollen. Es geht eher um die
Verschiebung eines bei jedem Paar anders gelagerten, sehr individuellen und
über Jahre austarierten Gefüges verschiedenartiger Rollen. Dies wird noch
dadurch kompliziert, dass die Demenz nicht alle Rollenbereiche eines Paares in
gleicher Weise und zu gleicher Zeit tangiert und deshalb die Verschiebungen in
verschiedenen Rollenbereichen nicht gleichzeitig passieren.
Theoretische Perspektivenerweiterung: Mit ihren Gedanken rund um die Frage
der Souveränität zeigen die Ehegatten, dass die Demenz die Stellung der beiden
Ehepartner
zueinander
nachhaltig
verändert.
Damit
sind
Fragen
der
Gleichberechtigung, der Alltagsorganisation und der Macht berührt.
(a) Gleichberechtigung
Bei Paaren, die der Vorstellung eines hierarchischen Gefälles zwischen
Ehemann und Ehefrau anhängen, stellen notwendige Eingriffe der gesunden
Frau in die Souveränität des dementen Ehemannes eine besonders hohe Hürde
dar. Frau J. gibt ein Beispiel dafür ab. Das Dilemma dieser Frauen liegt darin,
dass
sie
ihrem
eigenen
Eheverständnis
nach
eigentlich
nicht
in
die
Kompetenzbereiche des Mannes eingreifen dürfen, es aufgrund seiner Demenz
aber tun müssen. Partnerschaften, für die das Modell der Gleichberechtigung
verbindlich
ist,
erleben
mit
der
Demenz
eine
Bedrohung
dieses
Selbstverständnisses. Das Dilemma dieser Betroffenen liegt darin, dass die
Demenz dem Erkrankten die Fähigkeit nimmt, als gleichberechtigter Partner zu
agieren, gleichzeitig aber der Wert der Gleichberechtigung weiterhin als
1164
vgl. Bruder 1988
304
verbindliche Orientierung für die gelebte Beziehung gilt. Für dieses Dilemma
bieten die Fallanalysen zahlreiche Beispiele.
(b) Alltagsorganisation
Die Frage der Souveränität des dementen Partners berührt auch die
Alltagsorganisation und Arbeitsteilung des Paares. Wie kompliziert es für das
Paar wird, wenn der gesunde Partner notwendigerweise solche Aufgaben
übernehmen muss, die zuvor eindeutig im Kompetenzbereich des anderen
gelegen haben, wird in mehreren Fällen deutlich. Frau H. beispielsweise, die
demente Ehefrau, empfindet es als kränkend, dass ihr Mann nun kocht und den
Haushalt führt, und es scheint einigen Streit um dieses Thema zu geben. Der
Rückzug aus einem angestammten Arbeitsbereich und einer Rolle ist für die
Betroffenen weit mehr als die Entpflichtung von bestimmten Aufgaben. Aufgaben
und Rollen waren seit Jahrzehnten eng mit ihrer Identität verflochten. Frau K.,
die die Verantwortung für die finanziellen und administrativen Angelegenheiten
an sich genommen hat, will ihrem Mann diese Verlusterfahrung ersparen, indem
sie die Arbeiten heimlich nachts erledigt. Ähnliche Beispiele berichten auch
andere Autoren über pflegende Ehefrauen, die den dementen Mann vor
Erfahrungen des Versagens schützen wollen1165. Ein Dilemma ist es, dass die
Erkrankten aufgrund ihrer eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten in der Regel
keine Krankheitseinsicht entwickeln und folglich nicht mehr in der Lage sind, die
Rolle eines Kranken einschließlich der damit verbundenen sekundären
Krankheitsgewinne anzunehmen und aus dieser Rolle heraus die Entpflichtung
zu akzeptieren bzw. ihre veränderte Stellung innerhalb des Paares konstruktiv
zu gestalten.
(c) Macht
Die Abkehr des Erkrankten von Aufgaben und damit verbundenen Rollen
bedeutet auch eine Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb des Paares.
Damit berührt die Frage der Souveränität des demenzkranken Partners mittelbar
auch die Machtfrage in der Beziehung. Dies lässt sich unter Rückgriff auf
soziologische
Theorien
über
Machtverhältnisse
in
Paarbeziehungen
nachvollziehen. Macht bedeutet nach der Definition von Weber „jede Chance
innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen durchzusetzen, gleichviel
1165
vgl. Perry 2002; Perry & O’Connor 2002; Wright 1993
305
worauf diese Chance beruht“1166. Die Durchsetzungsmöglichkeiten sind vielfältig
und reichen von Zwang über materielle Belohnungen, Überredung oder
Überzeugung, bis hin zu gewohnheitsmäßiger oder traditioneller, nicht
reflektierter Anerkennung des Anderen in seiner Position des „Mächtigeren“
u.a.m.1167. Über- und Unterordnungsverhältnisse in Ehen werden soziologisch
u.a. mit der Ressourcen-Theorie zu erklären versucht. Diese geht davon aus,
Macht
zeige
sich
darin,
wie
viele
und
vor
allem
welche
wichtigen
Entscheidungen die einzelnen Partner in der Ehe treffen. Nach den
Vorstellungen
der
Ressourcen-Theorie
hat
derjenige,
der
die
meisten
Ressourcen (Einkommen, Vermögen, Berufsprestige, Schulbildung) einbringt,
die größere Macht. Eine Erweiterung der Ressourcen-Theorie ist die AustauschTheorie, die nicht nur externe, vor allem materielle Werte einbezieht, sondern
auch immaterielle (wie z.B. Attraktivität, Gefühle der Geborgenheit, sexuelle
Befriedigung u.v.m.). Der machtlosere Partner ist nach dieser Theorie derjenige,
der am stärksten bei der Auflösung der Beziehung verliert.1168 Wesentlich ist
auch, dass Machtprozesse von sogenannten Balance-Strategien, das sind
bewusste Handlungsstrategien eines Partners, beeinflusst werden. Das können
z.B. die Verhinderung von Entscheidungen sein oder das Nachgeben zum
Zwecke eines anderen Vorteils1169.
Ehepaare sind immer auch Arbeitsgemeinschaften, die gemeinsam ihren Alltag
bewältigen und bestimmte Projekte umsetzen. Wird einer der beiden dement,
entfällt dessen Beitrag zum gemeinsamen Arbeitspensum. Muss der Kranke
dauerhaft einen Aufgabenbereich, der traditionell in seine Verantwortung
gefallen war, abgeben, dann gefährdet dies im Sinne der Austausch-Theorie
seinen Stand in der Ehe, denn damit gibt er seinen Beitrag für das gemeinsame
Leben als Familie bzw. als Paar auf. Dies scheinen viele Demenzkranke zu
spüren, und sie beharren darauf, den angestammten Bereich nicht aufzugeben
(siehe Frau H.). Aus dieser Sicht erscheinen die Versuche der gesunden
Ehegatten, dem Kranken diese Erfahrungen zu ersparen, nicht mehr nur
altruistisch motiviert. Würden sie unverblümt in die Kompetenzbereiche des
Kranken eingreifen, dann wäre die Schieflage in der Machtbalance des Paares
augenfällig. Dadurch drohten möglicherweise offene Auseinandersetzungen um
1166
Weber 1922/1956, 28; zit. nach Nave-Herz 2004, 158
1167
vgl. Nave-Herz 2004, 158
1168
vgl. Nave-Herz 2004, 163
1169
vgl. Nave-Herz 2004, 163
306
die Machtverhältnisse, die das Paar weiter destabilisieren würden (vgl. Ehepaar
H.).
9.4
Gerechtigkeit und Liebe
Die Frage der Gerechtigkeit wird in den ausgewerteten Beratungen an drei
Stellen angesprochen. Die Tochter von Frau Q. stellt sie, als es um ihre
finanziellen Unterhaltsverpflichtungen dem Vater gegenüber geht. Mittelbar ist
dadurch die Gerechtigkeitsfrage auch für ihre Mutter gestellt, denn diese muss
zwischen ihren eigenen Ansprüchen, denen des Mannes und denjenigen ihrer
Tochter abwägen. Frau O. stellt die Frage indirekt, als sie sich zaghaft über das
mangelnde Engagement der Kinder ihres Lebensgefährten beklagt. Im
Hintergrund ihrer Klage steht ein Ungleichgewicht zwischen dem Engagement
einerseits und den Ansprüchen auf Entscheidungsbefugnisse bezüglich der
Versorgung des Erkrankten andererseits. Am deutlichsten wird das Thema im
Fall von Frau M., der hoch belasteten, seit 15 Jahren ihren Mann pflegenden
Ehefrau, die es ungerecht findet, selbst später zum „Sozialfall“ zu werden, wenn
sie heute das gemeinsame Vermögen für die Pflege des Mannes ausgäbe.
Auffälligerweise kommt das Thema der Gerechtigkeit zwischen den Ehepartnern
in keinem der anderen ausgewerteten Fälle offen zur Sprache. Dennoch ist es
häufig im Hintergrund, beispielsweise immer dann, wenn Reziprozität als Motiv
für die Übernahme der Pflege genannt wird, oder wenn es um Fragen der
Loyalität geht, die austauschtheoretisch auch als Fragen der Gerechtigkeit
gesehen werden können.
Die bestehende Forschungslage spiegelt die Abwesenheit des Themas wider. In
den von mir ausgewerteten Studien gibt es keine Befunde zur Frage der
Gerechtigkeit in ehelichen Demenz-Pflege-Konstellationen.
Theoretische
Perspektivenerweiterung:
Die
Equity-Theory,
Ansätze
der
Familienökonomik, soziologische Studien zur Semantik der romantischen Liebe
sowie ein Blick auf geistesgeschichtliche Grundlagen der heutigen Auffassungen
von Ehe und Partnerschaft können für das Verstehen der Situation der von
Demenz betroffenen Paare weiterführend sein.
307
(a) Equity-Theorie
Mit Fragen der Verteilungsgerechtigkeit in Paarbeziehungen beschäftigt sich die
den austauschtheoretischen Ansätzen verwandte Equity-Theory1170. Dieser
Theorie zufolge beurteilen die Partner bei ihren Kosten-Nutzen-Abwägungen
nicht nur die Netto-Erträge der Partner, sondern es kommt auch auf die erlebte
Ausgewogenheit an. Nehmen die Partner das Verhältnis von Kosten und
Belohnungen als fair oder gerecht wahr, dann sind sie mit der Beziehung
zufrieden. Die Bedeutung des Begriffs „equity“ wird im Kontrast zu dem Begriff
„equality“ deutlich. Das Gleichheitsprinzip der Verteilungsgerechtigkeit geht
davon aus, dass alle Beteiligten den gleichen Betrag erhalten. Das Equity-Prinzip
dagegen rechnet die Vorleistungen der Beteiligten ein, und es gilt, dass
diejenigen, die mehr geleistet haben, auch mehr erhalten1171. Dies ist besonders
wesentlich in langjährigen Ehen. Das Engagement für den erkrankten Gatten
wird nicht nur im Heute begründet, sondern auch als Wiedergutmachung für
frühere Leistungen des heute Kranken betrachtet. Ein Beispiel dafür gibt Herr H.
ab, der darauf verweist, seine Frau habe ihm früher stets den Rücken für den
Beruf freigehalten und habe die Kinder erzogen.
(b) Commodities in der Familienökonomik
Der
familienökonomische
Ansatz
unterstellt,
Menschen
gingen
enge
Paarbeziehungen ein, um ihren subjektiven Nutzen zu maximieren. Eine
besondere Rolle spielen dabei Güter, die nur innerhalb enger Beziehungen
produziert und konsumiert werden können, sogenannte Commodities1172. Dies
sind zum Beispiel Zuwendung, Liebe, Anerkennung, Sinnesfreuden, Erholung,
Sozialkontakt. Solche Güter sind nicht beliebig auf dem Markt zu erwerben,
sondern entstehen häufig erst im Rahmen stabiler Beziehungen. Ehen sind in der
Logik des familienökonomischen Ansatzes „langfristige Verträge, mit denen
hochbewertete Güter wie Zuwendung und Liebe auf eine sichere Basis gestellt
werden sollen“1173. Der Ansatz geht davon aus, dass Paare bei defizitären
Nutzenströmen Anpassungsprozesse in Gang setzen, indem sie durch die
Umverteilung von Commodities Ausgleichszahlungen zwischen den Partnern
erzielen.
1170
vgl. Walster, Walster & Berscheid 1978, Kap. 11; zit. nach Lösel & Bender 2003, 51
1171
vgl. Rohmann 2003, 316
1172
vgl. Becker 1976; zit. nach Lösel & Bender 2003, 54
1173
Lösel & Bender 2003, 54
308
Im Falle der Demenzerkrankung eines Partners ist zu fragen, welche
Commodities der demente Partner trotz seiner Erkrankung weiterhin in die
Beziehung einbringt. Ich gehe davon aus, dass er das kann. Denn bei den
Commodities handelt es sich um Güter, deren Herstellung nicht unbedingt von
den geistigen Fähigkeiten der Beteiligten abhängig ist, sondern besonders auf
emotionale Qualitäten angewiesen ist. Vielfach wird in der Literatur über
Demenzerkrankungen die bis in fortgeschrittene Krankheitsstadien hinein
erhaltene emotionale Ansprechbarkeit der Patienten betont. Kora van der Kooij
schreibt beispielsweise: „Demenzbetroffene benehmen sich und kommunizieren
auf der Basis ihrer Emotionen1174.“1175 Aus dieser Sicht ist der demente Partner
nicht nur ein Hilfe empfangendes und Belastungen verursachendes Objekt,
sondern ein Subjekt, das weiterhin an der Gestaltung der Beziehung aktiv
beteiligt ist, wenn auch in einer im Vergleich zu früher veränderten Form. Für die
Beratung wäre es wichtig mehr darüber zu wissen, wie die dementen und
gesunden Partner Transfers von Commodities vornehmen, und ob sie dadurch
die Nutzenströme innerhalb der Beziehung zumindest teilweise ausbalancieren
können.
(c) Semantik der Liebe und Semantik der Partnerschaft
Ich
möchte
nun
darauf
zurückkommen,
dass
Gerechtigkeit
in
den
Ehegattenberatungen in den von mir ausgewerteten Beratungen selten offen
angesprochen wird. In Bezug auf das Verhältnis von erwachsenen Kindern und
ihren pflegebedürftigen Eltern ist Gerechtigkeit durchaus ein öffentliches Thema,
sichtbar beispielsweise in Äußerungen, Kinder „schöben“ ihre Eltern in
Altenheime „ab“, oder Töchter „opferten“ sich für die alten Eltern „auf“. Auch ist
Gerechtigkeit grundsätzlich kein Tabuthema in Ehen. Erinnert sei beispielsweise
an die Auseinandersetzungen um die geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen
in der Hausarbeit. Bedeutet das Fehlen des Themas, dass die jeweilige
Gerechtigkeitsbilanz
von
den
pflegenden
Ehegatten
als
ausbalanciert
wahrgenommen wird? Oder ist die Gerechtigkeitsfrage im Zusammenhang mit
Pflegebedürftigkeit und Altersehe tabuisiert, so dass sie nur in besonders
schweren Fällen, wie bei Frau M., an die Oberfläche kommt? Ich möchte hier die
These vertreten, die Ehegatten betrachten ihre Situation nicht vorrangig aus dem
Blickwinkel von Recht und Gerechtigkeit, sondern aus der Perspektive der Liebe.
Begründen werde ich die These im Rückgriff auf eine philosophische Arbeit von
1174
vgl. Verwoerdt 1976, 1981; Feil 1990, 1997; zit. nach van der Kooij 2000, 68
1175
van der Kooij 2000, 68
309
Axel Honneth1176 und eine soziologische, dem symbolischen Interaktionismus
nahestehende Arbeit von Cornelia Koppetsch1177.
Honneth bietet einen Zugang zu Gerechtigkeitsfragen in der Ehe, indem er die
Eheauffassungen von Kant und Hegel gegenüberstellt1178. Für Kant ist die Ehe
eine Beziehung, deren innerster Kern ein Vertrag zwischen zwei autonomen
Subjekten ist1179. Hegel hält dem entgegen, die Vorstellung der Ehe als ein
Vertrag gehe am Kern vorbei. Liebe und gegenseitige Beihilfe sind für Hegel die
zentralen Merkmale der Ehe1180. Honneth bezeichnet Kants Auffassung als
Rechtsmodell, Hegels Vorstellung als Gefühlsmodell. Im Rechtsmodell von Kant
stehen Rechte und Pflichten im Vordergrund, im Gefühlsmodell von Hegel das
Gewähren
von
Fürsorge
und
Zuwendung1181.
Bezogen
auf
die
Gerechtigkeitsfrage in Ehen gilt in der Logik des Rechtsmodells als gerecht, was
auch außerhalb der Familie als Prinzip der moralischen Autonomie gilt: Gerecht
sind die Handlungen, die die moralische Autonomie des Anderen respektieren
oder ihr zur Durchsetzung verhelfen. Nach dem Hegel’schen Gefühlsmodell sind
Handlungen und Einstellungen gerecht, die der individuellen Bedürfnislage des
einzelnen Familienmitgliedes angemessen zur Erfüllung verhelfen1182. Das
Gefühlsmodell kann zu einer Einschränkung der individuellen Autonomie führen:
Um den Bedürfnissen des anderen „gerecht“ zu werden, kann es erforderlich
sein, auf die Verwirklichung der eigenen Interessen oder Lebenspläne zumindest
zeitweise zu verzichten1183. Mit diesen Überlegungen befinden wir uns mitten im
Bereich der häuslichen Pflege.
1176
vgl. Honneth 1995
1177
vgl. Koppetsch 2001
1178
Mit den nachfolgenden Ausführungen beziehe ich mich auf Honneth 1995.
1179
Die Begründung für die Notwendigkeit einer derartigen Vertragskonstruktion ergibt sich aus den Prämissen,
die Kants Begriff der moralischen Autonomie zugrunde liegen: In einer sexuellen Beziehung machen sich
beide Partner wechselseitig zu Objekten ihrer Begierden. Dies ist mit den „Rechten der Menschheit“
unvereinbar, und kann nur hingenommen werden, wenn die beiden sich wechselseitig als „Sache“ erwerben,
weil sie sich beide als autonome Vertragspartner konstituieren und ihre „Persönlichkeit“ so wiederherstellen.
Damit ist die Gefahr der gegenseitigen Instrumentalisierung gebannt. Im Hintergrund der Kant’schen
Vorstellung findet sich eine alttestamentarische Rechtfertigung der Ehe als einer von Gott geschaffenen
sozialen Einrichtung, die den Menschen die Befriedigung ihrer natürlichen Bedürfnisse ermöglicht. Vgl.
Honneth 1995, 995
1180
Honneth skizziert Hegels Auffassung wie folgt: In einem Vertrag beziehen sich die Partner nur negativ
aufeinander, indem sie jeweils gegenüber dem anderen auf ihren Rechten bestehen. Eine Ehe aber zeichnet
sich dadurch aus, dass die individuellen Wünsche und Bedürfnisse nicht in Form von Ansprüchen eingeklagt
werden müssen, sondern auf dem Weg der „gegenseitigen Liebe und Beihilfe“ (Hegel, Rechtsphilosophie,
§164) zur Erfüllung gelangen. Im Hintergrund der Hegel’schen Vorstellung findet sich ein weiterer christlicher
Traditionsbestand, der nicht an der Gefahr der sexuellen Lust ansetzt, sondern an der moralischen Qualität
der emotionalen Beziehung. Danach entsteht in der Ehe etwas vollkommen Neues in der Welt, indem die
wechselseitige Liebe zu einer Verschmelzung führt, die am Ende aus zwei Menschen eine höherstufige
Einheit werden lässt. Vgl. Honneth 1995, 995f.
1181
vgl. Honneth 1995, 997
1182
vgl. Honneth 1995, 997
1183
vgl. Honneth 1995, 998
310
Ohne sich auf Kant oder Hegel zu beziehen, denkt Cornelia Koppetsch in eine
ähnliche Richtung in ihrer Arbeit über Liebe und Partnerschaft1184. Zentrale
soziologische Studien zur Semantik der romantischen Liebe1185 stellen die
Gegensätzlichkeit von Liebe und Partnerschaft heraus. Die Liebessemantik
besagt, dass sich aus Liebe keine Ansprüche ableiten lassen. Liebe, so
Koppetsch, könne nicht moralisch, vernünftig oder durch Verdienst begründet
werden. Sie sei nur als freiwillige, spontane, d.h. völlig unbedingte Gabe
denkbar. „Sie scheint aus der Ökonomie gesellschaftlicher Tauschrelationen
ausgenommen, überschreitet gewissermaßen den Horizont des Sozialen. Sie
beruht nicht auf Berechnung, auch nicht auf Verpflichtung, sondern auf
Verausgabung, auf der Bereitschaft, einem anderen unter Ausschluss anderer
alles zu geben, d.h. auf der bedingungslosen und freiwilligen Hingabe. Je größer
dabei das individuelle Opfer, desto größer wird im Allgemeinen die Liebe
eingeschätzt. Das Opfer fungiert gemäß dem Code der romantischen Liebe
deshalb als eine Art Bewährungsprobe für die Liebenden, als Liebesbeweis.“1186
Auf der Ebene der praktischen Umsetzung folgt die Liebe – so lautet die These
von Koppetsch – der Austauschlogik des Gabentausches1187. „Die Liebenden –
so will es der Code der romantischen Liebe – drängt es beständig zur Hingabe,
zum Geben, zu Gesten der Zuneigung und Aufmerksamkeit und zur Übernahme
von Verantwortung ohne Berechnung.“1188 Dennoch erfolge das Geben nicht
ohne die mehr oder weniger bewusste Erwartung einer Gegengabe. Doch im
Gegensatz zum Äquivalenztausch komme es nicht auf die Aufrechnung des
Wertes der Gaben an, es gebe auch keine Möglichkeit, die Gegengabe
einzuklagen. Der Gabentausch werde von Gefühlen der Zuneigung und
Dankbarkeit begleitet, welche die Zeit zwischen Gabe und Gegengabe,
gleichsam in Form eines emotionalen Platzhalters überbrückten.1189
1184
Mit den folgenden Ausführungen beziehe ich mich auf Koppetsch 2001.
1185
vgl. Übersicht bei Koppetsch 2001, 220
1186
Koppetsch 2001, 221
1187
vgl. Marcel Mauss (1989), zit. nach Koppetsch 2001, 223. Koppetsch erklärt, sie verwende den Begriff nicht
umfassend wie Mauss, der den Gabentausch als sphärenübergreifendes, alle gesellschaftlichen Bereiche
durchdringendes Vergesellschaftungsprinzip zwischen Kollektiveinheiten auffasst, mit wirtschaftlichen,
sozialen, religiösen und magischen Funktionen. Sie begreife Gabentausch als eine auf persönliche
Beziehungen beschränkte Form des Austausches zwischen Individuen. Für moderne Gesellschaften sei, im
Unterschied zu archaischen Kulturen, das Prinzip des Gabentausches nur noch für die Bereiche diffuser,
informeller und persönlicher Beziehungen relevant, während sich in den gesellschaftlichen
Funktionssystemen eher vertrags- oder marktorientierte Formen des Austausches ausdifferenziert hätten. Die
Funktion des Schenkens reduziere sich deshalb auf das Eingehen und die Aufrechterhaltung persönlicher
Beziehungen.
1188
1189
Koppetsch 2001, 223
Das funktioniert, weil die Gabe mit der Persönlichkeit des Gegenden symbolisch verbunden ist. Die
gegebene Sache oder der erwiesene Gefallen ist nicht nur ein „Ding an sich“, sondern ihr haftet eine Spur
des Gebenden an. Mauss bezeichnet diesen Aspekt als den „Geist der gegebenen Sache“. Simmel spricht
von Dankbarkeit als Platzhalter der Gegengabe, vgl. Simmel 1983, 214; zit. nach Koppetsch 2001, 224
311
In der Partnerschaftssemantik dagegen liege der Akzent auf der unmittelbaren
Reziprozität und dem Primat individueller Interessen gegenüber der blinden
Investition in die gemeinsame Bindung. Partnerschaft sei nicht symbiotische
Einheit
(in
Abgrenzung
zur
romantischen
Liebe),
sondern
ein
Kommunikationszusammenhang zweier autonomer Individuen, die zwecks
Maximierung
ihrer
individuellen
1190
miteinander stehen
Gewinne
in
einem
Austauschverhältnis
. In der Austauschlogik der Partnerschaft gehe es um
Rationalisierung des Austausches, Sicherstellen der Wechselseitigkeit von
Rechten
und
Pflichten,
Herstellen
von
Gerechtigkeit
und
Abbau
von
1191
Asymmetrien.
Nach diesen Überlegungen von Honneth und Koppetsch können wir unterstellen,
die
pflegenden
Ehegatten
bewegen
sich
gedanklich
im
Bereich
der
Liebessemantik bzw. im Gefühlsmodell Hegels, wenn sie nicht über Gerechtigkeit
reden. In ihrem Engagement für den kranken Lebensgefährten ist Hingabe und
Verausgabung angelegt. Es sind gerade die Belastungen, die Opfer und das
„Ungerechte“, das die pflegenden Ehegatten auf sich nehmen, was nach dem
Code der romantischen Liebe als Liebesbeweis bzw. was in Hegels Modell unter
Umständen als gerecht gilt. Honneth wie Koppetsch gehen davon aus, dass in
modernen Beziehungen beide Orientierungen – Gefühls- und Rechtsmodell bzw.
Liebessemantik und Partnerschaftssemantik – nebeneinander existieren und in
einem Spannungsverhältnis zueinander stehen.
9.5
Beziehungsgeschichte und Paardynamik
Verschiedene Ehegatten nutzen die Beratung für einen Rückblick auf die
vergangene Ehebeziehung (Frau J., Herr E. oder Herr N.). Dabei kann es um
eine Vergewisserung gehen, inwieweit die Vergangenheit als tragfähige Basis für
die heutigen Herausforderungen der Beziehung taugt, oder es kann um eine
Relativierung und Einordnung der aktuellen belastenden Erfahrungen in das
Gesamtbild einer alles in allem doch befriedigenden gemeinsamen Geschichte
gehen.
1190
vgl. Giddens 1992, 63; zit. nach Koppetsch 2001, 221f.
1191
vgl. Koppetsch 2001, 225
312
In der bestehenden Forschungslage zur Situation der Ehegatten ist wenig über
das Paar zu finden. In der Demenzforschung wird meist ausschließlich der
Kranke betrachtet, die Forschung zur häuslichen Pflege nimmt sich in der Regel
nur die Angehörigen vor. Auch in den Arbeiten über pflegende Ehegatten fehlt
mit wenigen Ausnahmen die dyadische Perspektive1192. Der Demenzkranke
erscheint als passiver Empfänger von Pflege, der wenig interpersonale Macht
besitzt und nur Aufgaben setzt und Belastungen verursacht1193. Die Qualität der
Ehebeziehung vor dem Auftreten der Demenz wird im stresstheoretischen
Denken,
in
dessen
Kontext
das
Gros
der
Arbeiten
über
Ehegatten
Demenzkranker entstanden ist, als Einflussgröße im Stressprozess angesehen.
Die
empirischen
Arbeiten
in
diesem
Bereich
beschäftigen
sich
sehr
holzschnittartig mit der „guten“ oder der „schlechten“ vergangenen Ehe. Die
Einflüsse vergangener wie aktueller psychodynamischer Funktionsprinzipien der
Ehe auf die Paarsituation im Falle der Demenz werden nicht berücksichtigt.
Theoretische Perspektivenerweiterung: Der Fall von Herrn N. zeigt, wie
kompliziert die Verhältnisse werden, wenn eine Demenz in einer langjährig
gestörten Ehe auftritt. Alle Funktionsprinzipien des Paares – Grenzregelung,
Gleichwertigkeitsbalance, progressiv-regressive Polarisierung1194, Gegensatzeinheit von zentrifugalen und zentripetalen Kräften1195, Kollusionsmuster1196 und
Rollenverzahnung1197 - geraten nun unter den Bedingungen der Demenz in
Bewegung. Ein extremer Fall wie der von Herrn N. ist geeignet, die Bedeutung
der Paar-Funktionsprinzipien für das Verstehen der Paarsituation im Falle einer
Demenz zu Tage zu fördern. Diese Funktionsprinzipien gelten jedoch nicht nur
für „pathologische“ Paare, sondern sind allgemeine Prinzipien, denen jedes Paar
unterliegt. Darauf weist ausdrücklich Willi hin, der für sein Kollusionskonzept
ausführt, jedes Paar werde mit dieser Thematik konfrontiert und müsse die für
1192
Es gibt nur eine Handvoll Studien, die sowohl den gesunden als auch den demenzkranken Ehegatten
untersucht haben: Das ist eine Arbeit von Wright (vgl. Wright 1993), sowie einige weitere Arbeiten, denen es
jedoch nicht um das Spezifische der Ehesituation geht, sondern um allgemeine Fragen der Kommunikation
mit Demenzkranken (vgl. z.B. Gallagher-Thompson et al.1997, 2001; Hendryx-Beladov 1999; Kemper et al.
1994, 1995; Orange et al. 1998)
1193
vgl. Chesla, Martinson & Muwaswes 1994
1194
vgl. Funktionsprinzipien von Paaren bei Willi 2002, 16ff.: Er zählt dazu das Abgrenzungsprinzip, die
Gleichwertigkeitsbalance des Paares und das progressive bzw. regressive Abwehrverhalten.
1195
vgl. Duss von Werdt 1973, 18; zit. nach Vogt 2001, 23
1196
Kollusion meint ein uneingestandenes, voreinander verheimlichtes Zusammenspiel zweier oder mehrerer
Partner auf Grund eines gleichartigen, unbewältigten Grundkonfliktes. Dieser wird in verschiedenen Rollen
ausgetragen, wobei die Paare sich in einen progressiven und einen regressiven Partner polarisieren. Der
progressive Partner verhält sich aktiv, führend, überlegen oder fürsorglich, der regressive Partner
dementsprechend passiv, unterlegen, hilfebedürftig, bewundernd. Vgl. Willi 2002, 20f., 59f. und 65ff.
1197
Richter beschreibt folgende Rollen, die bei Paaren in unterschiedlicher Kombination verzahnt sein können:
das Partner-Substitut, das Abbild, das ideale oder negative Selbst, den Bündnisgenossen. Vgl. Richter 2001,
50ff.
313
beide Partner zuträglichste Lösung finden1198. Anlass zu pathologischen
Entwicklungen seien progressiv-regressive Polarisierungen erst dann, wenn sie
nicht
flexibel
und
adaptiv
gemäß
den
Erfordernissen
der
aktuellen
Umweltsituation eingesetzt würden1199. Die Paar-Funktionsprinzipien können
demnach auch erhellend sein, um die Situation „normaler“ von Demenz
betroffener Paare zu verstehen, denn auch bei ihnen ist davon auszugehen, dass
die jeweilige Ausprägung der einzelnen Funktionsprinzipien durch die Demenz
verändert wird.
Willi beschreibt in einem Aufsatz über die Altersehe die Auswirkungen der
progressiv-regressiven Polarisierung im Falle von Funktionseinschränkungen
durch Altersgebrechen. Er kommt zu dem Schluss, Gebrechen würden von dem
Paar generell schlechter bewältigt, wenn der progressive Partner davon betroffen
sei, weil in diesem Fall eine massive Veränderung der bisher verteilten Rollen
erforderlich werde. Nicht selten sehe man aber bei den alten Paaren auch eine
symmetrische Eskalation, in der Weise, dass beide Partner miteinander in ihrer
regressiven Pflege- und Zuwendungsbedürftigkeit rivalisierten. Jeder wolle die
Pflegefunktion dem anderen zuschieben, jeder weigere sich trotzig, sie zu
übernehmen. Beim progressiven Rivalisieren gehe es um gegenseitiges
Übertreffen in Jugendlichkeit, Fitness, Beliebtheit und ähnlichem1200.
Als weitere Ausweitung der Perspektiven bieten sich lerntheoretische Ansätze
der Paartheorie an. Deren zentrale Annahme ist, dass der tägliche Umgang der
Partner
miteinander
Krisensituationen
und
die
vor
allem
das
Beziehungsqualität
Verhalten
und
in
Stabilität
Konflikt-
und
bestimmen
1201
.
Lerntheoretische Ansätze interessieren sich besonders für das Kommunikationsund Interaktionsverhalten der Partner und suchen funktionale und dysfunktionale
Muster zu identifizieren. Forschungsfragen für die Situation von Demenz
betroffener Paare aus diesem Hintergrund sind u.a.:
•
Wie verarbeiten unterschiedliche Typen von Paaren die Demenz?
Gottman1202 unterscheidet fünf Typen von Paaren, davon drei relativ
zufriedene und stabile (lebhaft-impulsive, konstruktive und konflikt-
1198
vgl. Willi 2002, 62
1199
vgl. Willi1986, 303f.
1200
vgl. Willi 1986, 304
1201
vgl. Lösel & Bender 2003, 57ff.
1202
vgl. Gottman 1993; zit. nach Lösel & Bender 2003, 59
314
vermeidende Paare) sowie zwei unglückliche, instabile Typen (feindseligverstrickte und feindselig-losgelöste Paare).
•
Unglückliche Paare übertreiben negative Aspekte des Partnerverhaltens
und unterschätzen dessen positive Anteile. Sie attribuieren das negative
Verhalten des Partners zunehmend als intendiert und hinsichtlich der
Ursachen mehr als stabil, global und internal1203. Eine Forschungsfrage ist,
inwieweit
solche
Attribuierungsgewohnheiten
auch
bei
demenziell
verursachtem Verhalten des Partners beibehalten werden – man kann
annehmen, dass das so ist. Das hätte dann in der Angehörigenberatung
Konsequenzen für die Wirksamkeit von Aufklärungsbemühungen die
Krankheit betreffend.
Als Perspektivenausweitung für die Demenzproblematik in Ehen kann schließlich
das Modell der Liebesgeschichten von Sternberg1204 dienen. Dieses Modell
basiert auf der Annahme, dass die Vorstellungen, die Menschen von der Liebe
haben, nicht in einem luftleeren Raum entstehen, sondern von den Beziehungen
der Verwandten und Bekannten, von Filmen, Erzählungen, Romanen, Witzen
u.v.m. geprägt werden. Sternberg erwartet, dass Menschen auf der Basis dieser
Einflüsse
ihre
eigenen
Liebesgeschichten
„schreiben“
und
diejenigen
Geschichten realisieren, die ihnen besonders nahe liegen. Als Beispiele solcher
Liebesgeschichten nennen Sternberg et al. Liebe als Sucht, Liebe als Kunst,
Liebe als Kochbuch1205.
Für das Verstehen der Demenzproblematik in Ehen können aus diesem Ansatz
Fragen
abgeleitet
werden,
welche
Liebesgeschichten
das
Paar
bisher
geschrieben hat und wie die Geschichte in der Vorstellung des gesunden
Partners unter den Bedingungen der Demenz weiter fortgeschrieben wird.
1203
vgl. Bradbury & Fincham 1990; zit. nach Lösel & Bender 2003, 60
1204
vgl. Sternberg 1995; Sternberg et al. 2001; zit. nach Felser 2003, 367ff.
1205
vgl. Sternberg et al. 2001; zit. nach Felser 2003, 368
315
10
Ehebeziehung und Pflegebeziehung
Im vorangegangenen Kapitel wurde erläutert, wie eine Demenz auf vielfältige
Weise konstituierende Merkmale der Ehebeziehung in Mitleidenschaft zieht,
dadurch das Fundament dieser Beziehungsform erschüttern und als Krise der
Ehe aufgefasst werden kann. Diese Veränderungen der Ehebeziehung sind das
eine Gebiet im Themenfeld „Wir“. Daneben gibt es in diesem Themenfeld als
zweites Gebiet die Aspekte einer Pflegebeziehung. Hier setzen die Ehegatten
sich mit Fragen der Pflege ihres erkrankten Partners auseinander, d.h. mit ihren
Motiven und Zielsetzungen bei der Betreuung des Kranken und mit ihren
Bewältigungsversuchen, die Beziehung unter dem Vorzeichen der Pflege anders
als die bekannte Ehebeziehung zu gestalten.
10.1 Ehebeziehung und Pflegebeziehung in der
Forschungslage
Ob die Ehegatten ihre Beziehung zum Kranken und ihre eigene Rolle unter dem
Vorzeichen einer Ehebeziehung oder einer Pflegebeziehung sehen, ist
Gegenstand in einigen Untersuchungen gewesen. Chesla und Kollegen1206
fanden bei pflegenden Ehegatten und Kindern Demenzkranker drei Varianten,
wie sie die Beziehung im Vergleich zu früher wahrnahmen: Kontinuität,
Transformation oder Bruch. Lewis1207 beschreibt zwei Gruppen von pflegenden
Ehegatten Demenzkranker. Die einen sahen sich vorrangig als Ehegatten, die
anderen als Pflegende. Lewis schreibt: „It would be wrong to subsume the role of
the spouse carer automatically under the ‚carer’ umbrella, rather than that of a
‚spouse’.“1208 Stattdessen müsse man auf die eigene Interpretation der
Betroffenen achten, und die hänge vom Kontext der Beziehung ab. O’Connor
fand eine Verbindung zwischen der Interpretation der eigenen Rolle und der
Bedeutung, mit der die Betroffenen die Pflege belegten. Diejenigen, die die
Pflege als logische Konsequenz der Ehe ansahen, betrachteten sich als
Ehegatten; diejenigen, die die Pflege des kranken Partners als ihren Beitrag zu
1206
vgl. Chesla, Martinson & Muwaswes 1994 ; das Sample bestand neben 15 Ehegatten aus 15 Kindern
dementer Patienten.
1207
vgl. Lewis 1998
1208
Lewis 1998, 211
316
einer gesellschaftlichen Aufgabe sahen, als Pflegende1209. Perry & O’Connor1210
beschreiben in ihrer Arbeit vielfältige Strategien der pflegenden Ehegatten, um
die Persönlichkeit des Dementen zu bewahren und ihn damit nicht als Empfänger
von
Pflege,
sondern
als
Ehegatten
zu
positionieren.
Einige
Arbeiten
beschäftigten sich mit dem Zusammenhang von Belastung und Wahrnehmung
der Beziehung. Hepburn und Kollegen stellten fest, dass diejenigen Ehegatten,
die stark die Ehebeziehung betonten und die Pflegerolle in die Eherolle
integrierten, also die Pflege nicht als separate Aufgabe, sondern als Teil ihrer
gesamten Lebensstruktur ansahen, weniger belastet waren als die anderen
Ehegatten, die entweder die Veränderung der Beziehung betonten oder sich gar
nicht mehr auf die Ehebeziehung bezogen1211. Demgegenüber fand Majerovitz
eine Gruppe von Ehegatten besonders belastet, deren Gatten fortgeschritten
dement waren und die an ihrer Rolle als Ehegatte festhielten und nicht in die
Rolle als Pflegende wechselten1212.
Die Fallanalysen meiner Feldexploration bestätigen das Vorkommen der beiden
Varianten der Wahrnehmung der Beziehung als Ehebeziehung bzw. als
Pflegebeziehung. An manchen Stellen versuchen die gesunden Ehegatten, die
Beziehung zu ihrem dementen Partner in einer ähnlichen Weise aufrecht zu
erhalten, wie sie es gewohnt sind. Sie interpretieren die Verhaltensweisen des
Erkrankten im Rahmen der Deutungsmuster einer normalen Ehe und verhalten
sich selbst nach diesen Mustern. Ein Beispiel für diese Variante liefert Herr N.,
der sich geradezu weigert, die demenzbedingten Defizite seiner Frau
anzuerkennen und stattdessen an den gewohnten Umgangsformen seiner Ehe
festzuhalten versucht. Auch Frau R. gibt deutlich zu verstehen, dass sie ihren
dementen Mann weiterhin als ihren Ehegatten betrachtet, mit dem sie alle
notwendigen Entscheidungen nur gemeinsam trifft. Frau L. demonstriert
stellenweise
sehr
eindrucksvoll,
wie
sie
versucht,
sich
gemäß
ihrer
Alltagsvorstellungen als „gute Ehefrau“ zu erweisen und dabei immer wieder
scheitert.
Ebenso
versucht
Frau
A.
zunächst,
Situationen
vor
dem
Deutungshintergrund der normalen Ehe zu verstehen, merkt aber, dass dies nicht
mehr funktioniert und sie dadurch in Dilemmata gerät. Sie ist entsprechend
unsicher in ihrem Verhalten.
1209
vgl. O’Connor 1999
1210
vgl. Perry & O’Connor 2002; Näheres zu dieser Arbeit im Kapitel 3.2.2
1211
vgl. Hepburn et al. 2002
1212
vgl. Majerovitz 1994, 1995
317
An anderen Stellen der Fallanalysen tritt die Krankheit so eindeutig in den
Vordergrund, dass die Ehegatten den gedanklichen Bezugsrahmen der normalen
Ehe aufgeben und sich für die Interpretation von Alltagssituationen und den
Entwurf eigenen Handelns und Verhaltens an einem neuen Deutungsmuster
orientieren, dem der Krankenpflege. Sie geben ihrer Beziehung dadurch das
Gepräge einer Pflegebeziehung. Beispiele sind Herr F., Frau M. und Herr P, in
der späten Beratungsphase auch Herr D. Auch Frau J. zeigt stellenweise diese
Variante, wenn sie mit ihrem Mann nach dem Muster der Kindererziehung
umgeht.
10.2 Verhältnis von Ehe- und Pflegebeziehung
Diese empirischen Hinweise belegen zunächst einmal nur, dass beide Varianten
vorkommen. Sie sagen noch nichts über die Bedingungen aus, unter denen sie
auftreten. Grundsätzlich sind verschiedene Hypothesen zum Verhältnis von Eheund Pflegebeziehung denkbar:
Erstens ist ein Prozess vorstellbar, in dem die gesunden Ehegatten analog zum
Krankheitsverlauf der Demenz zunächst an dem vertrauten Deutungsmuster
„normale Ehe“ festhalten, dann in eine irritierende Phase des Übergangs geraten
und schließlich in fortgeschrittenen Stadien der Demenz mit dem Verständnis der
Beziehung als Ehebeziehung brechen und sie als Pflegebeziehung wahrnehmen.
Diese Annahme kann einige der Befunde in den ausgewerteten Fällen erklären.
Das sind diejenigen Fälle, in denen die Variante „Pflegebeziehung“ dominant ist
und die außerdem gemeinsam haben, dass die Patienten fortgeschritten dement
und körperlich pflegebedürftig sind (die Fälle von Herrn F., Frau M. und Herrn P.,
in der späten Beratungsphase auch von Herrn D.). Es gibt in meiner
Untersuchung aber auch Befunde, die durch die Annahme eines mit dem
Krankheitsverlauf
zwangsläufig
einhergehenden
Prozesses
in
Richtung
Pflegebeziehung nicht erklärt werden können, so zum Beispiel das Verhalten von
Frau C., die bis zum Schluss versucht, den Ehemann, so wie sie ihn kennt,
wiederherzustellen, und sei es dadurch, dass sie ihm die vertraute Frisur macht;
oder das Verhalten von Frau A., die ihren Mann in einer sehr späten
Krankheitsphase eindeutig nicht als Pflegling, sondern als Ehemann anspricht.
318
Deshalb ist eine zweite
Positionierung
als
Hypothese denkbar, die davon ausgeht, dass die
Ehegatte
oder
als
Pflegender
nichts
mit
dem
Krankheitsprozess zu tun hat, sondern mit anderen Variablen, beispielsweise
bestimmten
Funktionsprinzipien
des
Paares,
Aspekten
der
individuellen
Ehegeschichte oder der Persönlichkeit des gesunden Ehegatten. Diese
Annahme könnte das Verhalten von Herrn N. erklären, der die Pflegebedürftigkeit
seiner Frau verleugnet. Hier liegt die Vermutung nahe, dass die Paardynamik
einen gewichtigen Einfluss darauf hat, dass er an der Wahrnehmung der
Beziehung als Ehebeziehung in der ihm bekannten Form festhält.
Eine dritte Hypothese geht davon aus, dass beide Deutungsmuster, „normale
Ehe“ und „Krankheit“, und folglich beide Beziehungsformen, Ehe- und
Pflegebeziehung, immer gleichzeitig existent sind. Sie werden nur jeweils
unterschiedlich stark akzentuiert. Es handelt sich um eine Kippfigur1213: Je nach
Blickwinkel tritt einmal die Beziehung in ihrem Charakter als Ehebeziehung in
den Vordergrund, ein anderes Mal werden die Merkmale einer Pflegebeziehung
dominant. Diese Annahme kann den Befund erklären, dass verschiedene
Ehegatten in ihrer Wahrnehmung der Beziehung nicht festgelegt sind, sondern
einen unablässigen Wechsel erkennen lassen. Frau K. beispielsweise sieht
Defizite ihres Mannes in seinen Fähigkeiten, die Finanzverwaltung noch zu
bewältigen, und nimmt ihm diese Aufgabe ab. Sie interpretiert an dieser Stelle die
Situation mit dem Deutungsmuster „Krankheit“ und nimmt folgerichtig die
Aufgabe an sich. In der anschließenden Bewertung der Aufgabenübernahme
aber schwenkt sie wieder in das Deutungsmuster der normalen Ehe. Aus diesem
Blickwinkel kommt sie zu dem Schluss, dass sie es „unbefugt“ tut, und entwickelt
Schuldgefühle. Ähnliche Beispiele finden sich an vielen Stellen in den Fällen1214.
Die Hypothese der Kippfigur ist anschlussfähig an theoretische Überlegungen,
wonach es den Ehegatten stärker noch als anderen Angehörigen schwer fallen
1213
Die Kippfigur ist ein Begriff aus der Wahrnehmungspsychologie. Sie bezeichnet optische, meist graphische
Darstellungen, die durch Änderung von Blickwinkel und Perspektive in ein anderes Bild „umkippen“ können.
Kießling-Sonntag schreibt dazu: „In der Gestaltpsychologie zeigen Wolfgang Metzger und Wolfgang Köhler in
den 20er-Jahren des 20.Jahrhunderts, dass unsere Wahrnehmung nicht eine gleichsam fotographische
Abbildung dargebotener Sinnesreize darstellt, sondern dass Wahrnehmung ein Vorgang aktiver
Bedeutungszuweisung ist. Dies lässt sich eindrücklich anhand mehrdeutiger Zeichnungen und sogenannter
Kippbilder zeigen.“ (Kießling-Sonntag 2003, 61) Prominentes Beispiel ist die Zeichnung einer Frau, die je
nach Blickwinkel einmal als junge und ein anderes Mal als alte Frau erscheint (abgedruckt bei Antons 2000,
49-51).
1214
Zum Beispiel Frau A., die die Schutzbedürftigkeit ihres dementen Mannes erkennt, aber aus der Sicht der
„normalen Ehe“ die entsprechenden Schutzmaßnahmen, die sie ergreifen müsste, als Eingriff in seine
Souveränität betrachtet. Frau J., die den Mann einmal wie ein Kind erziehen will, ihn an anderer Stelle aber
unbedingt als Ehemann und Gefährten um sich haben will. Frau L., die auf der einen Seite eine Entscheidung
für ihren kranken Mann trifft, sich andererseits aber der Illusion hingibt, er habe kompetent mitentschieden.
319
muss, die Verwandlung ihrer vertrauten Beziehung in eine Pflegebeziehung
überhaupt zu registrieren. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe:
Der eine Grund liegt in der Besonderheit der Demenzpflege. Für die Tätigkeiten
und Fähigkeiten, die bei der Versorgung psychisch kranker alter Menschen
notwendig sind, haben wir im Deutschen kaum einen treffenden Begriff. Das Wort
„Pflege“ trifft nur einen Teil des Spektrums, am ehesten die handwerklichen
Aspekte dieser komplexen Aufgabe1215. Die englische Sprache ist differenzierter.
Sie unterscheidet zwischen „caregiving“ bzw. „caring for“ und „caring about“1216.
„Caregiving“ bzw. „caring for“ bezeichnen die aufgabenbezogenen Aspekte der
Pflege, den Bereich „hand-on-care“. „Caring about“ meint die affektiven
Dimensionen. Die Letzteren zeigen sich in der emotionalen Präsenz des
Pflegenden, die sich in einer Vielzahl unterschiedlicher Aktivitäten realisieren
kann; zum Beispiel darin, den anderen beständig zu beobachten und seine
Stimmungen zu registrieren; sich darüber Gedanken zu machen, wie es ihm
besser gehen könnte; ihn bei der Organisation des Alltags oder in der
Bereitschaft zur Krisenintervention zu unterstützen. Mason1217 meint Ähnliches
mit der Unterscheidung zwischen „acitve sensibility“ und „sentient activity“.
„Active sensibility“ arbeite hauptsächlich auf einer bewussten Ebene im Bereich
der physischen Pflegearbeit und bei den Entscheidungen bezüglich der
notwendigen Aufgaben. „Sentient activity“ dagegen arbeite auf einer weniger
bewussten Ebene. Es handele sich darum, dass man sich Gedanken um
jemanden macht, dass man mit der Zeit sensibel wird für seine Wünsche und
Abneigungen und dass man die Bedürfnisse des Anderen zu erfüllen sucht. Dies
sei ein Bereich der Pflege, der meist per „Auto-Pilot“ ausgeführt werde und
deshalb weitgehend unsichtbar sei und folglich häufig unterschätzt und zu wenig
wertgeschätzt werde. Er falle erst dann auf, wenn er fehle.
Kennzeichnend für die Betreuung eines dementen Menschen sind vor allem
diese affektiven Aspekte der Pflege, das „caring about“ oder die „sentient
acitivity“. Die „pflegenden“ Angehörigen betrachten diese Aufgaben aber häufig
nicht als Pflege, weil sie mit dem Begriff der Pflege nur die handwerklichen
Aufgaben assoziieren. Ehegatten werden deshalb vermutlich vieles von dem,
was sie für den dementen Partner tun, nicht als Pflege identifizieren. Sie werden
möglicherweise auch versuchen, Veränderungen der Beziehung eher im Kontext
1215
vgl. Lüders 1994
1216
vgl. Dalley 1996
1217
vgl. Mason 1996
320
der Ehebeziehung zu verstehen und nicht im Zusammenhang einer sich
entwickelnden Pflegebeziehung.
Eine zweite Schwierigkeit, den Übergang einer Ehebeziehung in eine
Pflegebeziehung zu registrieren, liegt in der Natur der Ehebeziehung. Beides,
„caring for“ und „caring about“, sind unverzichtbare Bestandteile jeder engen
Beziehung, in der Menschen versuchen, das Wohlergehen eines anderen zu
schützen und zu erhöhen1218. Das „caring about“, d.h. die affektiven Dimensionen
gehören heute zum Wesentlichen einer Ehebeziehung. Die personale Beziehung
zwischen Mann und Frau bildet gerade den Kern einer heutigen Ehe, seit die
ökonomische Funktion der vorkapitalistischen Ehe durch die emotionale Funktion
der modernen Ehe ersetzt worden ist1219. Aber auch die pflegerische
Unterstützung „mit der Hand“ kann in Krankheitsphasen ein normales Tun in
einer
Partnerschaft
sein.
Pflege
ist
also
etwas
Alltägliches
in
Partnerbeziehungen, das zunächst nichts mit Belastung und negativen Folgen zu
tun hat. Deshalb ist zu klären, unter welchen Umständen Pflege in einer Ehe zur
Belastung wird. Pearlin und Kollegen1220 argumentieren, Belastung komme dann
ins Spiel, wenn sich die alltägliche Pflege in einer engen Beziehung unter
bestimmten Umständen – dem Auftreten einer chronischen Krankheit wie einer
Demenz zum Beispiel -
aus dem normalen Zustand des gegenseitigen
Austausches von Hilfe in einen anderen, ungleichgewichtigen Zustand
verändere. Pflege, die zuvor eine unter vielen Komponenten der Beziehung
gewesen sei, dehne sich „imperialistisch“ soweit aus, dass sie schließlich das
Wesen der Beziehung vollständig in Besitz nehme. Ich möchte hier betonen,
dass dadurch nicht nur Belastung aufkommt, sondern der Charakter der
Beziehung sich vollständig verändert.
Bei einem dementen Menschen ist zu Beginn der Erkrankung in der Regel noch
keine
handwerkliche
Pflege
im
Sinne
des
„caregiving“
erforderlich1221.
Imperialistisch ausdehnen wird sich vor allem der Bereich der affektiven
Unterstützung. Da dieser Bereich aber weniger eindeutig mit dem Begriff der
Pflege assoziiert ist, ist es gerade in Ehebeziehungen schwierig, den Übergang
von der alltäglichen emotionalen Unterstützung zur pflegerischen Unterstützung
zu erfassen. Man kann vermuten, dass genau aus dieser Schwierigkeit heraus
1218
vgl. Pearlin et al. 1990, 583
1219
vgl. zur historischen Entwicklung von der vorkapitalistischen zur modernen Ehe den Überblick bei BeckGernsheim 1990 oder Jaeggi & Hollstein 2000
1220
vgl. Pearlin et al. 1990, 583
1221
vgl. Haley & Pardo 1989
321
viele Ehegatten Probleme, die im Zuge der Demenz auftauchen, der Ehe „an
sich“ zuordnen und nicht den durch die Demenz veränderten Umständen.
Diese Schwierigkeiten, den Übergang von einer Ehe- zu einer Pflegebeziehung
zu erkennen, stützen die Hypothese der Kippfigur.
10.3 Ein hypothetisches Modell: Ehebeziehung und
Pflegebeziehung als Kippfigur
Die unten stehende Abbildung zeigt das hypothetische Modell der Kippfigur. Die
zentrale Annahme ist, dass jeder beliebige Augenblick im Alltag des Paares
prinzipiell entweder im Rahmen der Ehebeziehung mit den Deutungsmustern
einer „normalen Ehe“ oder im Rahmen einer Pflegebeziehung mit den
Deutungsmustern „Krankheit und Krankenpflege“ wahrgenommen werden kann.
Wohin die Wahrnehmung jeweils kippt, hängt von verschiedenen Faktoren ab,
die Einfluss auf die Wahrnehmung des gesunden Ehegatten nehmen.
Abbildung 33:
Ehebeziehung und Pflegebeziehung als Kippfigur
Beliebiger Augenblick
im Alltag des von Demenz betroffenen Paares
↓
Merkmale der Demenz
→
Wahrnehmung
←
Merkmale der Paardynamik
und Paargeschichte
←
Personbezogene Merkmale
des gesunden Partners
Situative Merkmale
→
Wahrnehmung
im Rahmen einer
Wahrnehmung
im Rahmen einer
Ehebeziehung
Deutungsmuster „normale Ehe“
Pflegebeziehung
Deutungsmuster „Krankheit“
Interpretation des Verhaltens
des dementen Partners
im Bezugsrahmen
einer normalen Ehe
Interpretation des Verhaltens
des dementen Partners
als Ausdruck der Krankheit
↓
↓
Ausrichtung
des eigenen Verhaltens und Handelns
an den Rollenerwartungen als
„Ehefrau/Ehemann“
Ausrichtung
des eigenen Verhaltens und Handelns
an Rollenerwartungen als
„Pfleger/Pflegerin“
322
Verschiedene Faktoren sind denkbar, die Einfluss auf die Wahrnehmung des
gesunden Gatten nehmen und je nach ihrer unterschiedlichen Gewichtung und
Kombination die Interpretation einer konkreten Situation einmal in Richtung
„Ehebeziehung“ und ein anderes Mal in Richtung „Pflegebeziehung“ kippen
lassen.
Ein erster Einflussfaktor sind die Merkmale der Demenz, d.h. die jeweilige
Symptomatik und ihr Schweregrad. Mit dem Fortschreiten der Krankheit wächst
die Wahrscheinlichkeit, dass Verhaltensweisen des Demenzkranken fremd
erscheinen und die Wahrnehmung des gesunden Partners derart irritieren, dass
er sie nicht mehr im Rahmen einer Ehebeziehung interpretiert, sondern im
Rahmen einer Pflegebeziehung.
Situative Merkmale haben Einfluss, indem bestimmte Situationsmerkmale die
Wahrnehmung als Ehebeziehung und andere gerade die Wahrnehmung als
Pflegebeziehung begünstigen. Erlebt eine Ehefrau ihren Mann beispielsweise
morgens völlig überfordert mit der Aufgabe, sich zu rasieren, dann wird sie dies
möglicherweise schnell in den Deutungszusammenhang der Krankenpflege
einordnen, ihren Mann als krank und sich selbst als Pflegende sehen. Ganz
anders wird sie die Situation wahrnehmen, wenn sie nachmittags mit ihrem Mann
den Tanztee der Alzheimer-Gesellschaft besucht und sich von ihm, wie in
früheren Zeiten, im Walzertakt über die Tanzfläche führen lässt.
Auch ein Einfluss der Beziehungsgeschichte kann angenommen werden. Paare,
die in ihrer Geschichte stets wenig Nähe hatten oder die sich im Laufe der Zeit
auseinander gelebt haben, könnten schneller dazu neigen, Alltagssituationen in
den Rahmen der Pflegebeziehung zu rücken. Ein Beispiel für einen Einfluss der
Paardynamik ist ein pflegender Ehepartner, der in der Vergangenheit stets den
regressiven Pol in der Beziehung eingenommen hat und nun ein Interesse daran
haben kann, den bislang progressiven, jetzt aber dementen Partner möglichst
lange als „funktionierenden“ Ehegatten zu betrachten.
In den Bereich der personbezogenen Merkmale des Wahrnehmenden auf die
Wahrnehmung der Situationen fallen geschlechtsspezifische Unterschiede oder
auch Merkmale der Persönlichkeit des gesunden Ehegatten und sein aktuelles
Belastungsniveau.
Für das Verständnis der Deutungsmuster, die jeweils in der Wahrnehmung als
Ehebeziehung
psychologische
oder
Pflegebeziehung
Skript-Konzept
oder
zum
das
Tragen
kommen,
soziologische
kann
das
Rahmen-Konzept
herangezogen werden. Skripte werden in der Psychologie von Cohen & Taylor
323
als
„Drehbücher
des
Alltags“1222
aufgefasst.
Sie
sind
nach
Ginsburg
„hypothesized cognitive and performative structures which organize a person’s
comprehension of situated events and guide a person’s performance of a
situated set of actions“1223. Das Rahmen-Konzept von Goffman1224 bezeichnet
„Erfahrungs- und Handlungsschemata, mit deren Hilfe es den Akteuren in einer
Situation gelingt, diese zu identifizieren, und die sie anleiten, in der Situation
angemessen
zu
handeln.
Rahmen
verweisen
auf
einen
impliziten
Wissensbestand, der in die jeweilige Situation mitgebracht wird, ein Wissen, was
man wann und wo zu tun und zu lassen hat“1225. Paare, die von Demenz
betroffen sind, sind überwiegend alte Paare. Das Eheskript bzw. der Rahmen der
Ehebeziehung sind bei diesen Paaren oft über Jahrzehnte eingeschliffen. Daraus
resultiert vermutlich einerseits eine große Bestandskraft, die andererseits jedoch
durch die tiefgreifenden Veränderungen infolge der Demenz massiv in Frage
gestellt wird. Beides zusammen macht das Modell der Kippfigur plausibel.
Aufgaben für weitere Forschung bestehen darin, das Verhältnis von Ehe- und
Pflegebeziehung empirisch weiter zu prüfen. Forschungsfragen sind, wie sich
eine Ehebeziehung in eine Pflegebeziehung verwandelt, unter welchen
Bedingungen und mit welchem Tempo dieser Prozess verläuft, ob er gleichmäßig
oder sprunghaft fortschreitet, ob es überhaupt eine Tendenz zum allmählichen
Verdrängen der Ehe- durch die Pflegebeziehung gibt, oder ob die Paare
dauerhaft zwischen den beiden Polen oszillieren. Mit Blick auf die Entwicklung
sinnvoller und hilfreicher Unterstützungs- und Beratungsangebote muss auch
interessieren, welche Folgen eine Festlegung auf die eine oder andere
Beziehungsform
bzw.
das
fortgesetzte
Pendeln
zwischen
Ehe-
und
Pflegebeziehung für das Wohlbefinden des pflegenden Ehegatten, des Patienten
und für die Identität des Paares haben.
1222
vgl. Cohen & Taylor 1977; zit. nach Lenz 2003, 217
1223
Ginsburg 1988, 29; zit. nach Lenz 2003, 217
1224
vgl. Goffman 1977; zit. nach Lenz 2003, 217
1225
Lenz 2003, 217
324
11
Konsequenzen für die Beratung
11.1 Fokus und Zielsetzung der Beratung
11.1.1
Zielsetzungen psychosozialer Beratung
Verlässliche Zahlen über Verbreitung und methodische Ausrichtung von
Beratungsstellen
für
Angehörige
psychisch
kranker
alter
Menschen
in
Deutschland fehlen1226. Derzeit etwa 60 Alten- und Angehörigenberatungsstellen
haben sich in der BAGA, einer Arbeitsgemeinschaft auf Bundesebene,
zusammengeschlossen. Mit jeweils unterschiedlichen methodischen Ansätzen
liegt bei allen diesen Einrichtungen der Schwerpunkt in der psychosozialen
Beratung1227. Aus pädagogischer Tradition heraus geht es diesem Ansatz um
„Aufklärung und Hilfeleistung zu reflektierter Handlungsfähigkeit“1228 oder anders
formuliert um die „Verbesserung der Bewältigungsmöglichkeiten und die
Stärkung der Handlungskompetenz von Menschen in Belastungssituationen“1229.
„‚Psychosozial’ impliziert ein Menschen- und Gesellschaftsbild, das psychische
und
soziale
Befindlichkeiten
in
Verbindung
zu
sozialen
Lebens-
und
Umweltbedingungen setzt. Die gesellschaftlichen Ansprüche, Normen und Werte
werden in ihrem Zusammenhang mit persönlichen Bedürfnissen, Motivationslagen und Handlungsweisen betrachtet. Der Schwerpunkt der psychosozialen
Perspektive liegt auf den Belastungen, die durch äußere Anforderungen an das
Individuum (oder an Familien, Gruppen) herangetragen werden, und auf den
individuellen und sozialen Bewältigungsformen für diese Belastungen. Das
Augenmerk richtet sich dabei auf die Wechselwirkungen und Interaktionen
zwischen Personen und ihrer Umwelt.“1230
1226
vgl. Hirsch 1994,10
1227
vgl. Homepage der Bundesarbeitsgemeinschaft der Beratungsstellen für ältere Menschen und ihre
Angehörigen/BAGA: www.baga.de
1228
1229
1230
Mollenhauer 1964; zit. nach Sickendiek, Engel & Nestmann 2002, 18f.
Bundesarbeitsgemeinschaft der Beratungsstellen für ältere Menschen und ihre Angehörigen/BAGA (ohne
Datum), 2
Sickendiek, Engel & Nestmann 2002, 19
325
Christine Böckelmann stellt fest, im deutschsprachigen Raum tue man sich
schwer, für die psychosoziale Beratung eine eigenständige konzeptionelle
Identität zu entwickeln1231. Nach Sichtung einschlägiger Definitionsansätze und
Grundpositionen schlägt sie eine Definition vor, welche die Ziele, den
Beratungsprozess,
die
Beziehung
zwischen
Berater
und
Klienten,
die
Voraussetzungen auf Seiten des Klienten sowie das Setting der Beratung
umfasst:
„Psychosoziale Beratung ist ein zielgerichteter, situations- und lösungsorientierter
Prozess, der sich an den Ressourcen der Klientinnen und Klienten ausrichtet und
darauf abzielt, eine Situation zu ändern, eine Problemlage zu beseitigen, eine
Neuorientierung zu ermöglichen und die Selbsthilfebereitschaft, Selbststeuerung
und Problemlösungsfähigkeit zu verbessern. Weitere Ziele der Beratung sind, die
Kompetenzen der Klienten zu erweitern bzw. sie zu einem Lernprozess
anzuregen, die Wahrnehmungsfähigkeit in Bezug auf die eigene Problemlage
und Situation zu verbessern sowie mit der Intervention auch präventiv zu wirken.
Beratung findet in einer kooperativen, vertrauensvollen und stützenden
Beziehung statt und wird von einem fachlich und methodisch geschulten und
kompetenten Berater durchgeführt, welcher sich durch hohe soziale Kompetenz
und Kooperationsbereitschaft auszeichnet. Beratung kann stattfinden, wenn die
Klientin oder der Klient ebenfalls kooperationsbereit ist und die Beratung freiwillig
und motiviert in Anspruch nimmt. Beratung erstreckt sich über einen
vergleichsweise kurzen Zeitraum, und die Kommunikation findet hauptsächlich
sprachlich statt.“1232
11.1.2
Paarproblematik als Fokus in der Beratung
Nach der obigen Definition stellt das Anstoßen eines Lernprozesses zur
Verbesserung der Wahrnehmungsfähigkeit in Bezug auf die eigene Problemlage
und Situation ein wesentliches Ziel in der psychosozialen Beratung dar. Einen
derartigen Prozess initiieren zu können, setzt auf Seiten der Berater voraus, dass
sie selbst zu einer möglichst umfassenden Wahrnehmung der Situation des
Ratsuchenden in der Lage sind. Dazu gehört einerseits ein entwickeltes
Reflexionsvermögen hinsichtlich möglicher Gegenübertragungsphänomene und
1231
vgl. Böckelmann 2003, 205
1232
Böckelmann 2003, 208
326
eigener „blinder Flecken“. Die Fähigkeit, die Problemlagen der Ratsuchenden
ganzheitlich erkennen zu können, hängt andererseits aber auch mit dem Vorrat
an professionellem Wissen zusammen, über den Berater verfügen können.
Ein wesentliches Merkmal der Situation pflegender Ehegatten sind die
Auswirkungen der Demenz auf die Paarbeziehung. Im Kapitel 9 habe ich
dargelegt, dass die Demenz als Krise der Ehe aufzufassen ist. Die
Wahrnehmung und Bearbeitung dieser Krise sollte deshalb unverzichtbar
Gegenstand in der psychosozialen Beratung sein. Ob es Beratern jedoch so
selbstverständlich gelingt, die Paarproblematik in den von den Ratsuchenden
vorgetragenen Fragen zu erkennen, oder ob sie nicht geneigt sind, die
Ratsuchenden als Einzelpersonen zu sehen, möchte ich hier zur Diskussion
stellen (vgl. Abbildung 34, Ebene 1).
Die Sicht auf die Einzelperson wird schon dadurch gefördert, dass die
ratsuchenden Ehegatten als Einzelne in der Beratungsstelle in Erscheinung
treten. Meist muss man davon ausgehen, dass der demente Partner aufgrund
seiner mnestischen und kognitiven Störungen nicht mehr aktiv und konstruktiv zu
einer Bewältigung der Paarkrise beitragen kann. Die kreative Arbeit, nach neuen
Wegen für die Beziehung zu suchen, liegt entscheidend bei dem gesunden
Partner, der dann in der Regel allein der Klient in der Angehörigenberatung ist.
Entscheidender noch als die Tatsache, dass die Ehegatten als Einzelne die
Beratungsstelle aufsuchen, sind aber einige der zentralen theoretischen
Grundlagen der Angehörigenberatung, die meines Erachtens die Berater dazu
verleiten, ihren Blick auf die Einzelperson zu konzentrieren. Dies sind
insbesondere (1) der Belastungsdiskurs auf dem Hintergrund der breiten
stresstheoretischen
Forschungsaktivitäten
auf
dem
Gebiet
der
Angehörigenforschung und (2) die Autonomiebetonung, die auf dem Konzept der
filialen Reife beruht. Doch selbst wenn es Beratern gelingt, die Paarproblematik
wahrzunehmen, bestehen weitere Gefahren darin, dass sie dann hauptsächlich
die krankheits- und pflegebezogenen Aspekte, d.h. die Pflegebeziehung sehen
und die Veränderungen der Ehebeziehung vernachlässigen (vgl. Abbildung 34,
Ebene 2). Dazu trägt meines Erachtens auch (3) die psychoedukative
Orientierung in der gerontopsychiatrischen Angehörigenberatung bei.
327
Abbildung 34:
Beratungsfokus
Beratungsfokus
Paarbeziehung
Ebene 1
Ehebeziehung
Ebene 2
Einzelperson
Pflegebeziehung
In den beiden folgenden Abschnitten dieses Kapitels werde ich weiter ausführen,
wie die drei oben angeführten theoretischen Grundlagen der Angehörigenberatung
sich
als
Schablonen
auf
eine
vom
Klienten
dargebotene
Situationsschilderung legen und den Blick des Beraters richten können, indem
sie bestimmte Merkmale der geschilderten Situation sichtbar machen und andere
verdecken.
11.1.2.1 Tendenz zur Fokussierung der Einzelperson
(1) Belastungsdiskurs
Unter dem Einfluss des breiten wissenschaftlichen Diskurses über die
Belastungen pflegender Angehöriger1233 konzentrieren sich die Berater stark auf
die
Überlastung
der
Ratsuchenden.
Aus
dieser
Sicht
erscheint
der
Demenzkranke als verursachender Faktor für vielfältige physische, psychische
und soziale Beeinträchtigungen auf Seiten des pflegenden Angehörigen.
Entlastende Angebote für den Pflegenden laufen in vielen Fällen darauf hinaus,
den Kranken zumindest zeitweise aus dessen Verantwortungsbereich, zum
Beispiel
in
eine
Tagespflegeeinrichtung,
zu
manövrieren.
Dass
diese
zweckrationale Herangehensweise den Subjektstatus des Demenzkranken
gefährdet, damit auch die Existenz des Paares an sich in Frage stellt und folglich
1233
Die Forschung über Belastungen pflegender Angehöriger ist zu großen Teilen stresstheoretisch orientiert
(vgl. Kapitel 4). In diesem Forschungsfeld gibt es zwar sehr viele Studien über Ehegatten Demenzkranker.
Die Fülle ist allerdings nicht der Tatsache zu verdanken, dass sich so viele Untersuchungen tatsächlich für
die Paarthematik und Beziehungsfragen im Falle der Demenzerkrankung eines der Ehepartner interessieren.
Die meisten Studien wollen Grundfragen der Stresstheorie klären oder Fragen über die Situation pflegender
Angehöriger im Allgemeinen und nutzen dafür Ehegattensamples, weil diese erstens homogen und zweitens
bekanntermaßen stark belastet sind, und somit Samples sind, an denen sich stresstheoretische Fragen
hervorragend erforschen lassen. Deshalb können Berater aus dieser Forschungsrichtung zwar viel über die
Belastungen der pflegenden Angehörigen erfahren, wenig aber über die Paar- und Beziehungsthematik der
Ehegatten.
328
auf Widerstände des ratsuchenden Ehegatten stoßen muss, konnte am Fall von
Frau R. und ihrem Sohn deutlich gezeigt werden. Das Fazit daraus lautet:
Ehegatten dürfen in der Beratung nicht nur in ihrer Funktion, d.h. als pflegende
Angehörige, sondern müssen auch in ihrer Beziehung, d.h. als Teil eines Paares,
wahrgenommen werden. Solange die Rettung der Beziehung das oberste Ziel
der ratsuchenden Ehegatten ist, greifen entlastende Lösungen nur dann, wenn
sie nicht nur auf den Pflegenden zugeschnitten sind, sondern für das Paar
passen.
(2) Autonomiebetonung
Auch die größere Praxis der meisten Berater im Bereich der Beratung von
Pflegenden aus der Kindergeneration und das entsprechende Wissen, das sie
auf die Situation der Ehegatten übertragen, wirkt als Schablone und lenkt den
Blick der Berater auf die Einzelperson. Für den Bereich der intergenerativen
Pflege ist ein Beratungskonzept sehr einflussreich, das auf das Konzept der
filialen Reife von Margret Blenkner1234 zurückgeht und das in Deutschland auf
eine Weise rezipiert worden ist, die die Autonomiefrage stark in den Vordergrund
stellt1235. Aus dieser Denkrichtung heraus ermutigen Berater die ratsuchenden
Angehörigen, nicht nur für den Kranken, sondern auch für sich selbst zu sorgen
und eine gewisse – innere oder äußere – Distanz zur Pflegesituation zu
entwickeln.
Für
pflegende
Kinder
mögen
solche
Abgrenzungsstrategien
weiterführend sein, doch nach den Ergebnissen der Fallanalysen und den
Überlegungen im Kapitel 9 ist es fraglich, ob Ehegatten, denen es um die
Rettung ihrer Beziehung geht, eine so verstandene Autonomie überhaupt
1234
Margret Blenkner nimmt an, dass Menschen im mittleren Erwachsenenalter in eine filiale Krise geraten
können, wenn die alten Eltern hilfebedürftig werden. Sie schreibt: „Healthy resolution of the filial crisis means
leaving behind the rebellion and emancipation of adolescence and early adulthood and turning again to the
parents, no longer as a child, but as a mature adult with a new role and a different love, seeing him for the
first time as an individual with his own rights, needs and limitations, and a life history that, to a large extent,
made him the person he was long before his child existed. It is one of the ways in which they prepare
themselves to their own old age through identification with the parents, as in childhood they similarly prepared
for adulthood.” ( Blenkner 1965, 57f.)
1235
Jens Bruder hat das von Blenkner vorgestellte Konzept der filialen Reife aufgegriffen und hat es für die
gerontopsychiatrische Angehörigenberatung weiterentwickelt. Bezogen auf die Demenzproblematik in
Familien differenziert er drei Dimensionen der filialen Reife: die Fähigkeit zu emotionaler Autonomie, die
Fähigkeit zu einem fürsorglich-autoritären Umgang mit dem dementen Elternteil und die Fähigkeit,
unangemessene Schuldgefühle kontrollieren zu können (vgl. Bruder 1988, 95ff.). Hinsichtlich der Dimension
der emotionalen Autonomie schreibt Bruder: „Nur eine emotional selbständige Persönlichkeit kann den
schrittweisen Verlust ihrer Mutter oder ihres Vaters pflegend erleben und darüber trauern, ohne
handlungsunfähig zu werden.“ (Bruder 1988, 97) Die Problematik der Autonomie, die Bruder hier eindeutig
auf die Situation pflegender Kinder bezieht, wird von anderen Autoren undifferenziert auf die allgemeine
Situation pflegender Angehöriger übertragen. So enthalten beispielsweise die Erfolgskriterien für die
Beratung pflegender Angehöriger, die von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Alten- und
Angehörigenberatung/BAGA formuliert worden sind, den Hinweis auf die Zunahme der Autonomie als
Kriterium für den Erfolg der Beratung: „Die Angehörigen sollen durch die Beratung zunehmend in die Lage
versetzt werden, in kritisch zugespitzten Pflegesituationen ... besonnen zu reagieren, an innerer Distanz zu
gewinnen .... Darin kann sich z.T. eine Zunahme der emotionalen Autonomie (bei bisher eher unabgelösten)
Pflegenden abzeichnen.“ (Bundesarbeitsgemeinschaft für Alten- und Angehörigenberatung 1996, 13)
329
suchen. Selbstverständlich gehören Nähe und Distanz, das beständige
Ausbalancieren
Paarbeziehung
von
1236
.
zentrifugalen
Doch
dafür
und
zentripetalen
müssen
beide
Kräften
Partner
zu
jeder
erwachsene,
zurechnungsfähige Persönlichkeiten sein. Wenn aber einer der Partner dement
ist, dann würde eine Distanz schaffende Bewegung des gesunden Partners die
Gefahr heraufbeschwören, dass der kranke Partner eben nicht mehr wie früher
reagieren und durch eine entsprechende Gegenbewegung die Beziehung neu
justieren kann. Die einseitige Distanznahme von Seiten des Gesunden zöge die
Gefahr
des
Auseinanderbrechens
der
Beziehung
nach
sich.
Solche
Befürchtungen können ratsuchende Ehegatten hegen, wenn sie sich gegenüber
den Ermunterungen der Berater nach dem Motto „Denken Sie auch an sich! Tun
Sie etwas für sich!“ häufig so reserviert zeigen. Das Fazit lautet: Empfehlungen
zur eigenen Entlastung können von den betroffenen Ehegatten als Aufforderung
zu innerer oder äußerer Distanznahme aufgefasst werden, Befürchtungen um
den Bestand des Paares auslösen und laufen damit ihrem zentralen Anliegen
zuwider, die Paarbeziehung zu retten.
Auf den ersten Blick versprechen systemische Ansätze in der Beratung von
Angehörigen Demenzkranker1237, die Paarproblematik besser erkennen zu
können. Hierbei werden jedoch Phänomene der häuslichen Pflege mit einem
therapeutischen Vokabular belegt. Gröning weist darauf hin, das Geschehen in
der häuslichen Pflege werde auf diese Weise der Gefahr der Pathologisierung
ausgesetzt, ohne dass es grundsätzlich, abgesehen von gewissen Sonderfällen,
pathologisch ist. Die Motive der pflegenden Angehörigen, Verantwortung für
kranke und alte Familienangehörige zu übernehmen, würden in den Bereich des
Krankhaften gerückt und so etwa als infantile Abhängigkeit oder als ungestillter
Liebeshunger
angesehen1238.
Konsequenterweise
muss
das
zu
einer
unangemessenen Therapeutisierung der Angehörigenberatung führen.
11.1.2.2 Tendenz zur Fokussierung der Pflegebeziehung
Doch selbst wenn es gelingt, die Paarproblematik in den Blick zu bekommen,
droht die Gefahr, dass sich das Augenmerk der Berater dann häufig auf die Seite
1236
vgl. Duss von Werdt 1973, 18; zit. nach Vogt 2001, 23
1237
vgl. Gunzelmann et al. 1996
1238
vgl. Gröning 2004, 296f.
330
der Pflegebeziehung richtet und die Veränderungen der Ehebeziehung
vernachlässigt werden.
(3) Psychoedukative Orientierung
Dies wird meines Erachtens durch das psychiatrische Expertenwissen der
Berater und ein psychoedukatives Beratungsverständnis in der Tradition
psychiatrischer Angehörigenarbeit1239 gefördert. Berater haben hierbei das Ziel,
die Angehörigen über die Symptomatik der Demenz aufzuklären, ihnen Hilfen an
die Hand zu geben, um Problemverhalten der Patienten besser verstehen zu
können, und sie im Umgang mit den Erkrankten, etwa einem angemessenen
Kommunikationsstil, zu schulen. In ihren Ursprüngen haben psychoedukative
Programme in der Psychiatrie nicht die Verbesserung der Situation der
Angehörigen zum Ziel. Es geht ihnen vielmehr um den Gesundheitszustand des
Patienten, der auf dem Wege der Schulung der Angehörigen in einem
angemessenen Umgang mit dem Patienten stabilisiert werden soll. Doch selbst
wenn wir unterstellen, dass eine psychoedukativ orientierte Beratung auch die
Entlastung
der
Angehörigen
anstrebt,
dann
liegt
dennoch
in
diesem
Arbeitsansatz die Gefahr, dass Berater die von den Angehörigen vorgetragenen
Probleme in erster Linie in den Kontext der Demenz setzen und eine darunter
liegende Beziehungsproblematik nicht in den Horizont der Beratung gelangt. Im
Fall von Herrn D. konnte das gezeigt werden. Das Fazit lautet: Selbstverständlich
brauchen die Ehegatten Informationen über die Krankheit und pragmatische
Hilfen für den Umgang mit dem Erkrankten. Doch darf das nicht dazu führen, die
Beziehungsfragen außer Acht zu lassen.
Zusammenfassend haben die Überlegungen aus den beiden vorangegangenen
Abschnitten folgende Konsequenz für die Beratung der Ehegatten: Das
Theoriedefizit hinsichtlich paarbezogener Aspekte in der gerontopsychiatrischen
Angehörigenberatung führt dazu, dass Berater sich bevorzugt auf „ihrem“ Gebiet
bewegen, dem Expertenwissen über Psychiatrie, Pflege und pflegende
1239
Der Begriff „Psychoedukation“, so führen Bosshard, Ebert & Lazarus aus, taucht seit Beginn der 80er Jahre
in der psychiatrischen Literatur auf und meint einen Hilfeansatz, bei dem Informationsvermittlung und
Kompetenzerweiterung im Umgang mit einer psychischen Erkrankung im Mittelpunkt stehen.
Psychoedukative Verfahren wurden vor allem für die Arbeit mit Angehörigen schizophrener Patienten und für
die Arbeit mit abhängigen Menschen entwickelt. Das Ziel von Psychoedukation ist die Veränderung des
Umganges mit seelischem Leid und seelischen Störungen und deren Folgen. Methodisch stützen sich
psychoedukative Verfahren auf ein besonderes Expertenwissen von psychischen Störungen sowie auf
lerntheoretische und pädagogische Konzepte zur Vermittlung von Informationen, sozialen Fertigkeiten und
Bewältigungsstrategien (vgl. Bosshard, Ebert & Lazarus, 1999, 309ff.). Einen psychoedukativ orientierten
Ansatz für die Beratung der Angehörigen Demenzkranker verkörpern die Grundzüge der
Angehörigenberatung, die von Kurz et al. stammen (vgl. Kurz et al 1987).
331
Angehörige.
Wichtige
Theoriegrundlagen
dieser
Gebiete
fördern
die
Wahrnehmung der Ratsuchenden als Einzelpersonen und die Betonung der
krankheits-
und
pflegebezogenen
Aspekte
ihrer
Situation.
Gerade
die
Dimensionen, die für Ehegatten wesentlich sind – die durch die Demenz
ausgelöste Paarkrise, die Selbstdefinition, nicht Einzelperson, sondern Teil eines
Paares zu sein, und das Anliegen, die Paarbeziehung als Lebensgemeinschaft
und zentralen Aspekt des eigenen Lebensentwurfes zu retten – werden hierbei
tendenziell ausgeblendet. Wenn derart bedeutungsvolle Dimensionen in Gefahr
stehen, gar nicht in den Horizont der Beratung zu gelangen, dann kann letztlich
der Anspruch einer psychosozialen Beratung nicht eingelöst werden. Aus all dem
folgt die Notwendigkeit, die bestehenden theoretischen Grundlagen der
gerontopsychiatrischen Angehörigenberatung durch eine starke theoretische
Fundierung im Bereich der Paartheorie zu ergänzen.
11.1.3
Ehebeziehung und Pflegebeziehung als Kippfigur in der Beratung
Das von mir im Kapitel 10.3 eingeführte Modell der Kippfigur von Ehe- und
Pflegebeziehung hilft nicht nur zu verstehen, wie die betroffenen Ehegatten ihre
Situation wahrnehmen, sondern kann auch für die inhaltliche Ausrichtung der
Angehörigenberatung genutzt werden. Ebenso wie die Ehegatten ihre Situation
einmal im Rahmen1240 einer Ehebeziehung und ein anderes Mal im Rahmen
einer Pflegebeziehung interpretieren, kann die jeweils von den Ratsuchenden
geschilderte Problematik auch in den Augen der Berater in die eine oder andere
Richtung kippen. Im vorherigen Abschnitt habe ich die Vermutung erörtert, dass
die Schablonen des derzeit gängigen professionellen Wissens das Augenmerk
der Berater häufig auf die Seite der Pflegebeziehung lenken. Selbstverständlich
besitzt der Fokus auf Krankheit und Pflegebeziehung einen wesentlichen
Stellenwert in der Beratung. Die ratsuchenden Ehegatten brauchen das
Expertenwissen der Berater auf diesem Gebiet. Doch sollten Berater in der Lage
sein, die Situation der Ehegatten vollständiger wahrzunehmen, d.h. neben den
krankheits- und pflegebezogenen Aspekten auch die Auswirkungen der Demenz
auf die Paarbeziehung zu erkennen, und professionell, d.h. reflektiert
entscheiden zu können, wann sie mit ihren beraterischen Interventionen die
Pflegeprobleme im Kontext einer Ehe und wann die Eheprobleme im Kontext
einer Krankheit zum Gesprächsgegenstand machen.
1240
vgl. Goffman 1977; zit. nach Lenz 2003, 217
332
Das Modell der Kippfigur schärft den Blick für die beiden Seiten der Problematik
und kann dabei helfen, eine reflektierte Entscheidung hinsichtlich des
Beratungsfokus zu treffen. Anders als ein Prozessmodell, das von einer
zwangsläufigen Verdrängung der Ehe- durch eine Pflegebeziehung im
fortschreitenden Krankheitsverlauf ausgeht, bewahrt das Modell der Kippfigur
davor, die Situation der Ehegatten normativ zu betrachten. Es erlaubt eher
Fragen, ob die Wahrnehmung als Ehe- oder als Pflegebeziehung im Einzelfall
adaptiv und funktional ist. Und für wen von den beiden Partnern sie es ist, ob für
beide, oder ob einer der Partner mit seinen Bedürfnissen verkannt wird.
Beratung bedeutet dann, im Einzelfall, wenn die Wahrnehmung und Bewertung
der Situation nicht adaptiv ist, einzugreifen, indem die jeweils andere Perspektive
fokussiert wird. Bei Frau K. beispielsweise, die genau das „Richtige“ tut, als sie
ihren Mann von Aufgaben entlastet, die er nicht mehr bewältigen kann, die
jedoch
ihr
Tun
nicht
wertschätzen
kann,
weil
sie
dabei
aus
ihrem
Alltagsverständnis heraus als „gute Ehefrau“ versagt, hieße das, sie dabei zu
unterstützen, das Skript einer Pflegebeziehung nicht nur für die Entscheidung
anzuwenden, sondern es in diesem Fall auch für die Bewertung ihres Tuns
beizubehalten. In einem Fall wie dem von Herrn P., der seine Beziehung zur
Ehefrau weitgehend als Pflegebeziehung betrachtet, könnte Beratung bedeuten,
dann, wenn es Hinweise darauf gäbe, dass er oder seine Frau unter dieser
einseitigen Festlegung leiden, ihn dabei zu unterstützen, die Seite der
Ehebeziehung wieder etwas mehr in den Blick zu bekommen. Dazu könnte der
Berater die Aufmerksamkeit von Herrn P. dahin lenken, wo er die Beziehung
weiterhin als ausgeglichen wahrnimmt, an die Stellen beispielsweise, an denen
die demente Ehefrau durch Einbringen entsprechender Commodities ein
Gleichgewicht in der Beziehung herstellt. Eine vollständigere Wahrnehmung
seiner Situation könnte auch durch eine Ermutigung gefördert werden, die
Vergangenheit der Beziehung ausführlich zu reflektieren, um die belastenden
aktuellen Erfahrungen in einen größeren Gesamtzusammenhang einordnen und
ggf. dadurch relativieren zu können.
Für die Beurteilung, ob die Wahrnehmungen und Bewertungen der Beziehung
adaptiv und funktional sind, ist das subjektive Wohlbefinden der Betroffenen
entscheidend. Haben sie ein starkes Anliegen, die eheliche Verbundenheit
lebendig zu halten, dann bedeutet Beratung, sie darin zu unterstützen, im
wahrsten Sinne kreativ, d.h. im Umgang mit einer tief vertrauten und gleichzeitig
333
fremd werdenden Beziehung schöpferisch nach neuen Wegen zu suchen, wie
das emotionale Band zwischen den Ehegatten unter den Bedingungen der
Demenz erhalten werden kann. Wird dagegen die aktuelle Beziehung im krassen
Kontrast zur früheren erlebt und bedeutet die Erinnerung an die vertraute alte
Partnerschaft ständigen, unerträglichen Schmerz oder ist die Furcht stark, dass
die
gesamte
Bilanz
der
gemeinsamen
Ehe
durch
die
Erfahrung
der
Demenzproblematik gewissermaßen absorbiert wird, dann können manche
Ehegatten sich wohler damit fühlen, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit
zu ziehen und die Beziehung zu dem erkrankten Gatten als ein ganz neues
Kapitel der gemeinsamen Geschichte zu betrachten. Beratung kann dann
heißen, sie in ihrer Selbstwahrnehmung als Pflegende darin zu unterstützen, dem
kranken Partner eine möglichst gute Pflege geben zu können.
11.2 Eckpunkte für eine psychosoziale Beratung der
Ehegatten
In den bisherigen Kapiteln von Teil III hat die Paarthematik, d.h. das Themenfeld
„Wir“ im Mittelpunkt gestanden. Ich habe die Demenz als Ehekrise und das
Verhältnis von Ehe- und Pflegebeziehung erörtert und ein Plädoyer für eine
paartheoretische Fundierung der gerontopsychiatrischen Angehörigenberatung
gehalten. Abschließend möchte ich nun den Blick noch einmal weiten und alle in
der Felderkundung gefundenen thematischen Felder der Beratung wieder
einbeziehen, um Eckpunkte einer psychosozialen Beratung für die Ehegatten von
Demenzpatienten zu formulieren. Diese Eckpunkte umfassen die vier in der
empirischen Felderkundung gefundenen Themenfelder, die darin enthaltenen
Beratungsthemenkomplexe und die für die Beratung jeweils notwendigen
theoretischen Wissensgrundlagen (vgl. Abbildung 35).
334
Abbildung 35:
Eckpunkte einer psychosozialen Beratung für Ehegatten Demenzkranker
Themenfeld
Beratungsthemenkomplexe
Theoriegrundlagen
Das „Ich“
Persönliches Erleben der Situation
und Belastungen des ratsuchenden
Ehegatten im Kontext der Pflege
Forschungsbereich über pflegende
Angehörige
Alterstypische Entwicklungsaufgaben
und Krisen
Gerontologie
Die persönliche Situation
des ratsuchenden Ehegatten
Information über die Krankheit
Das „Du“
Die Veränderungen
des dementen Partners
Verstehenshilfen
Hilfen zum Umgang mit dem
Erkrankten
Psychiatrie und Pflegewissenschaft
Gefährtenschaft und Intimität
Loyalität und Vertrauen
Souveränität, Gleichberechtigung,
Alltagsorganisation und Macht
Das „Wir“
Die Situation
des Paares
Paartheorie
Gerechtigkeit und Liebe
Beziehungsgeschichte und
Paardynamik
Die „Anderen“
Die Rolle
des sozialen Umfeldes
11.2.1
Die Rolle der Kinder
Familientheorie
Information über informelle und
formelle Hilfeangebote
Überblick über die regional
verfügbaren Hilfeangebote
Sozialrecht
Das „Ich“ - die persönliche Situation des ratsuchenden Ehegatten
Die Beratungsgespräche stellen für die Ehegatten einen Raum zur Verfügung, in
dem sie sich mit ihrem persönlichen Erleben und den Erfahrungen angesichts der
Krankheit des Partners auseinander setzen können. Dies schließt eine
emotionale Dimension ein, d.h. die Beratung bietet Gelegenheit, die eigenen
Gefühle auszudrücken und zu ordnen, ohne dass sie von dem Berater wertend
aufgenommen werden. Daneben gibt es eine kognitive Dimension in dieser
Auseinandersetzung, d.h. die Auswirkungen auf die eigenen Lebensplanungen
können mit einem neutralen Gesprächspartner reflektiert werden. Neben
positiven Erfahrungen geht es in diesem Themenkomplex vor allem um das
Erkennen der vielfältigen Belastungen, das subjektive Erleben und die
Bewertung dieser Belastungen sowie um Überlegungen zum Umgang mit den
belastenden Aspekten. Häusliche Pflege vollzieht sich häufig in der engen
Beziehung
zwischen
dem
Pflegebedürftigen
und
einer
einzigen
Hauptpflegeperson. Das, was dort geschieht, die alltäglichen Abläufe, die
Gesetzmäßigkeiten, die Erlebnisse und die Belastungen der Beteiligten
335
entziehen sich vielfach dem Blick der Umwelt. Wenn pflegende Angehörige eine
Beratungsstelle aufsuchen, dann repräsentieren die Berater gewissermaßen den
Blick der Öffentlichkeit auf diese Pflegesituation. Viele Angehörige benötigen
deshalb zunächst breiten Raum für die Darstellung ihrer Alltagserfahrungen und
suchen häufig Gehör für ausführliche Klagen. Berater können stellvertretend für
die Öffentlichkeit Anerkennung aussprechen für das, was die pflegenden
Angehörigen auf sich nehmen und täglich leisten.
Neben
dem
subjektiven
Erleben
der
Pflegesituation
ist
ein
zweiter
Themenkomplex für die persönliche Situation des Ehegatten bedeutsam. Dies
sind die mit dem meist fortgeschrittenen Alter der pflegenden Ehegatten
zusammenhängenden gesundheitlichen, psychischen und sozialen Aspekte des
Alterns. Besonders deutlich wird die Bedeutung dieses Themenkomplexes am
Beispiel des Gesundheitszustandes, der allein schon aufgrund des hohen
Alters1241 und dann zusätzlich noch durch die Pflegebelastung angegriffen sein
kann1242. Etliche der Ehegatten in der Stichprobe sind selbst ernsthaft krank und
zwar in einer Schwere, die eigentlich für sie selbst die Rolle des Kranken mit
entsprechenden Ansprüchen auf Schonung, emotionalen Beistand und ggf.
sogar körperliche Pflege rechtfertigen würde1243. Aber nicht nur gesundheitliche
Probleme, sondern auch soziale und psychische Aspekte der Altersphase stellen
Entwicklungsaufgaben und –krisen bereit, welche die gesunden Ehegatten
neben der Pflege des Partners in Anspruch nehmen können1244.
Auch diese nicht direkt mit der Pflege, aber mit dem Alter der pflegenden
Angehörigen zusammenhängenden Fragen können in der Beratung zum
Gesprächsgegenstand werden. Allerdings kann die Angehörigenberatung auf
diesem Gebiet nur auf wenig gesicherte Erkenntnisse zurückgreifen. Die Frage
danach, welche Bedeutung die Phase innerhalb des Lebenszyklus hat, an der
die Pflege bewältigt werden muss, wird in der bestehenden Forschungslage über
Ehegatten Demenzkranker nur am Rande behandelt1245. Um besser verstehen zu
1241
vgl. Kapitel 4.3.2.1
1242
vgl. Kapitel 4.2.1
1243
Herr D., Herr E. und Herr P. haben Krebs. Herr E. und Frau O. müssen sich Operationen unterziehen. Frau
M. hat eine chronische Magenerkrankung. Viele weitere Ehegatten klagen über nicht näher bezeichnete
gesundheitliche Beschwerden (vgl. Anhang 3, Punkt 1.2)
1244
1245
vgl. Russo & Vitaliano 1995; näheres zu dieser Untersuchung im Kapitel 4.2.3
Adler et al. bemerken am Rande, den alten Ehegatten fehle die Zukunftsperspektive (vgl. Adler et al. 1996).
Andere Autoren vermuten, möglicherweise litten alte Ehefrauen besonders, wenn sie am Ende eines Lebens,
in dem sie stets für Mann und Kinder da gewesen seien, wieder einmal feststellten, die eigenen Bedürfnisse
und Interessen zugunsten eines anderen zurückstellen zu müssen (vgl. Collins & Jones 1997; Zarit, Todd &
Zarit 1986). Seltzer & Li heben hervor, alte Ehefrauen träten in einer Lebensphase in die Pflegerolle ein, in
der ihre Ressourcen zur Bewältigung tendenziell geringer würden. In ihrer Lebensphase sei eher Rückzug als
336
können,
wie
hochaltrige
Ehegatten
die
Demenz
ihres
Partners
im
Zusammenhang ihres eigenen Alters bewältigen und welche Auswirkungen diese
Erfahrung auf ihre eigene Auseinandersetzung mit dem Altwerden hat, sind aus
Sicht der Angehörigenberatung noch viele offene Fragen zu klären.
Solche
Forschungsfragen an die Adresse der Gerontologie sind u.a.:
•
In welcher Weise interferiert die Auseinandersetzung mit der Demenz des
Partners mit anderen typischen Entwicklungsaufgaben und –krisen des
Alters1246?
Wie
werden
Objektbeziehungen
und
beispielsweise
die
Bewältigung
die
Veränderungen
von
von
Objektverlusten,
die
Auseinandersetzung mit Zeitlichkeit und Vergänglichkeit oder mit Sinn- und
Identitätsfindung hierdurch beeinflusst? Welche Bedeutung hat es, in dieser
Lebensphase eigene Interessen und Lebenspläne zurückzustellen, d.h.
aufgeben zu müssen? Welche Rolle spielt die Zukunftsperspektive, das
kurze Zeitfenster, das alte Ehegatten haben?
•
Wie funktionieren Ehen und Liebesbeziehungen in der Altersphase?
Welche Gefährdungen und Krisen haben sie? Verändert sich ihre
Bedeutung gegenüber anderen Lebensphasen, und welchen Stellenwert hat
dabei eine Demenz?
•
Wie stellen sich diese Fragen für Paare, die an unterschiedlichen
Zeitpunkten
innerhalb
der
Altersphase
die
Demenz
erleben.
Wie
unterscheidet sich die Situation beispielsweise eines von einer Youngeronset-Demenz betroffenen Paares von derjenigen eines hochaltrigen
Paares?
11.2.2
Beratung
Das „Du“ – die Veränderungen des dementen Partners
in
diesem
Themenfeld
mit
den
drei
darin
enthaltenen
Beratungsthemenkomplexen „Information über die Erkrankung“, „Verstehenshilfen“ und „Hilfen zum Umgang mit dem Erkrankten“ hat eine deutlich
psychoedukative Ausrichtung. Zielsetzungen sind Informationsvermittlung und
Kompetenzerweiterung im Umgang mit der Erkrankung des Partners. Kurz et al.
nennen die wesentlichen Punkte eines solchen Beratungsansatzes für pflegende
Angehörige Demenzkranker: (1) Wissen über die Krankheit erwerben, (2) die
aktives Arbeitsengagement die Norm. Die soziale Unterstützung durch Gleichaltrige sei weniger erreichbar
und gesundheitliche Probleme würden wahrscheinlicher (Übersicht bei Seltzer & Li 2000, 175). Scroggin
Wullschleger et al. berichten einen deutlichen Zusammenhang zwischen subjektiver Belastung und der Angst
vor dem Älterwerden bei Ehegatten Demenzkranker (vgl. Scroggin Wullschleger et al. 1996; näheres im
Kapitel 4.2.3)
1246
Überblick über Entwicklungsaufgaben und –krisen im Alter z.B. bei Peters 2004
337
Krankheit als Tatsache annehmen, (3) den Kranken verstehen lernen, (4) das
eigene Verhalten der Krankheit anpassen, (5) das Milieu anpassen und (6) für
sich selbst sorgen1247.
Großen
Raum
nehmen
in
der
Beratung
Fragen
1248
problematischem Verhalten der Erkrankten ein
zum
Umgang
mit
. Solche Verhaltensweisen, wie
zum Beispiel das Festhalten an wirklichkeitsfremden Überzeugungen oder die
Abwehr notwendiger pflegerischer Maßnahmen, sind selten mit rasch wirksamen
Tipps und Tricks aus der Welt zu schaffen. Sie sind Ausdruck einer inneren Not
des Kranken, die sich in verschiedenen Alltagssituationen immer wieder
aktualisiert oder über einen längeren Zeitraum das Erleben des Kranken konstant
bestimmt. In der Beratung muss deshalb viel Wert darauf gelegt werden, den
Angehörigen zu ermöglichen, sich empathisch in das subjektive Erleben des
Kranken hineinzuversetzen und seine Verhaltensweisen dann weniger als
Verhaltens-„störungen“, sondern eher als - wenn auch oft misslingende –
Bewältigungsversuche aufzufassen. Die Erwartung der Angehörigen, in der
Beratung Umgangsformen kennenzulernen, die problematisches Verhalten des
Kranken ein für alle Male abstellen können, muss häufig enttäuscht werden. Das
vorrangige Ziel der Beratung ist dagegen oft, eine Neubewertung der Situation zu
ermöglichen. Eine veränderte Haltung der Angehörigen gegenüber dem
Problemverhalten des Kranken hat allerdings nicht selten eine Entspannung der
ganzen
Situation
zur
Folge,
die
dann
wiederum
auch
Angst-
und
Katastophenreaktionen bei dem Erkrankten abbauen kann. Angesichts des
konkreten Handlungsdrucks, mit dem Angehörige im Alltag aber konfrontiert sind
(Wo zum Beispiel soll der Ehemann schlafen, wenn die demente Frau ihn nicht
erkennt und aus dem Schlafzimmer wirft?), wird dieser Verstehensprozess immer
wieder auf harte Proben gestellt.
11.2.3
Das „Wir“ – die Situation des Paares
Teil eines Paares zu sein, stellt für die häufig seit Jahrzehnten mit dem jetzt
dementen Partner verheirateten Ehegatten eine so wesentliche Dimension ihres
Lebensentwurfes dar und ist in so hohem Maße identitätskonstituierend, dass die
durch die Demenz verursachten Veränderungen der Paarbeziehung zu schweren
1247
vgl. Kurz et al. 1987
1248
vgl. Anhang 3, Punkt 2.3
338
Erschütterungen im Erleben der gesunden Ehegatten führen. Anders als bei
pflegenden Kindern, deren Problematik im Kern häufig durch Anerkennungs- und
Gerechtigkeitskonflikte zwischen den Generationen gekennzeichnet ist1249 und
bei denen die Verteidigung eigener Lebensansprüche gegenüber den Anrechten
der alten Eltern thematisiert wird, ist die Ehebeziehung für die ratsuchenden
Ehegatten ein ganz wesentlicher Teil des eigenen Lebens, und die Rettung
dieser Lebensgemeinschaft und damit des eigenen Lebensentwurfes bildet den
Kern ihrer Problematik.
Beratung stellt den Raum zur Verfügung, in dem die Ehegatten sich diesen
Fragen stellen und die Krise ihrer Ehe zum Gegenstand der Reflexion machen
können. Betroffen von der Krise sind prinzipiell alle grundlegenden Dimensionen
einer Paarbeziehung: Gefährtenschaft und Intimität, Loyalität und Vertrauen,
Souveränität der Partner, Gleichberechtigung, Alltagsorganisation und Macht,
Gerechtigkeit
und
Liebe
sowie
auch
die
Paardynamik
und
Beziehungsgeschichte. Beratung bedeutet hier, den Blick der Ehegatten für die
Veränderungen der Partnerschaft zu schulen, für die vielen kleinen Wechsel der
Kippfigur im Alltag. Berater können Ehegatten darin ermutigen, nach den
Aspekten zu suchen, in denen sie ihre Ehebeziehung als unverändert und
ausgeglichen wahrnehmen, und sie können sie dabei unterstützen, diejenigen
Momente davon unterscheiden zu lernen, in denen das „normale“ Eheskript nicht
mehr greift. Auch die Rückbesinnung auf die vergangene Ehebeziehung und die
Einordnung der aktuellen gemeinsamen Lebensphase in diese Geschichte kann
Gegenstand der Beratung sein.
11.2.4
Die „Anderen“ – die Rolle des sozialen Umfeldes
In diesem Themenfeld beschäftigt sich die Beratung mit der Rolle von Kindern,
Freunden
und
dem
weiteren
informellen
sozialen
Umfeld
sowie
von
professionellen Diensten und gesellschaftlich bereitgestellten Unterstützungsangeboten im weitesten Sinne.
Vor
allem
die
Kinder
scheinen
eine
erhebliche
Rolle
in
ehelichen
Pflegearrangements zu spielen1250. In der Forschung zur häuslichen Pflege gibt
1249
1250
vgl. Gröning, Kunstmann & Rensing 2004, 63ff.
Darauf weisen die vielen Andeutungen hin, mit denen die Ehegatten in den ausgewerteten Beratungen ihre
Beziehung zu den erwachsenen Kindern erwähnt haben (vgl. Anhang 3, Punkt 4.1.1). Zwei Drittel der
339
es eine deutliche Tendenz, entweder allein pflegende Kinder oder allein
pflegende Ehegatten zu betrachten oder in Untersuchungssamples beide
Gruppen nicht weiter zu differenzieren. Das mögliche Zusammenwirken der
Generationen bei der Betreuung eines demenzkranken Familienangehörigen
bleibt dabei in jedem Fall unklar. Aus der Sicht der Angehörigenberatung besteht
ein Interesse an gesicherten Kenntnissen über das Zusammenspiel der
Generationen. Welche Art der Unterstützung seitens der Kinder wird von
pflegenden Ehegatten als besonders entlastend wahrgenommen: emotionale,
instrumentelle, materielle oder informationelle Unterstützung? Sind Kinder eher
eine
Art
Hintergrundbereitschaft
oder
fester
Bestandteil
des
Pflegearrangements? Trauen sich die Eltern nicht, ihre Kinder um Hilfe zu bitten,
weil sie ihnen nicht zur Last fallen wollen? Oder befürchten sie, dass die Kinder
unerwünschten Einfluss auf die häusliche Pflegesituation nehmen? Welche
typischen Konflikte gibt es zwischen den Generationen über die Art und Weise,
wie die Pflege organisiert und umgesetzt wird? Mit welchen unterschiedlichen
Logiken
und
Bewertungsmaßstäben
betrachten
die
Generationen
die
Pflegesituation? Gerade im Hinblick auf die zukünftige Absicherung der
häuslichen Pflege dürfte es wesentlich sein, nicht nur Wissen darüber
anzusammeln, wie sich die Situation darstellt, wenn die Betreuung durch die
Ehegatten bereits kollabiert ist und die Pflege vollständig in die Verantwortung
der
Kindergeneration
1251
wohlfahrtspluralistisch
übergegangen
ist.
Wenn
häusliche
Pflege
sich
als eine Mixtur aus eigener Vorsorgeleistung, familialen
Hilfen, Solidarität kleiner Netzwerke und wohlfahrtsstaatlichen Maßnahmen
organisieren soll, dann verdienen die Beiträge, die von den Generationen
innerhalb
der
Familien
gemeinschaftlich
erbracht
werden,
weitere
wissenschaftliche Aufmerksamkeit.
Der zweite Themenkomplex in diesem Themenfeld beinhaltet die Information
über informelle und formelle Hilfeangebote, die pflegende Ehegatten zur ihrer
Entlastung nutzen können. Die Ratsuchenden erhalten Auskünfte über mögliche
Hilfen
durch
professionelle
Dienste
aus
dem
Medizinsektor,
dem
Altenpflegesektor, über niedrigschwellige Hilfeangebote oder psychoedukative
untersuchten Ehegatten sprachen über ihre Kinder in den Beratungen, wobei die Kinder überwiegend als
Quelle der Unterstützung wahrgenommen wurden. Doch daneben wurden auch Konflikte mit den Kindern und
Sorgen thematisiert. Um mehr darüber zu erfahren, wie dieses Verhältnis sich darstellen und wie das
Zusammenspiel bei der Betreuung aussehen kann, wäre eine anders angelegte Untersuchung notwendig als
die vorliegende, deren Fokus allein die Ehegattenpflege ist. In der vorliegenden Untersuchung sind die
Befunde über das Verhältnis der Kinder und Eltern ein Nebenprodukt. Doch schon dieses Nebenprodukt lässt
eine Vielschichtigkeit von Dimensionen erkennen, die für weitere Forschung, aber auch praktisch für die
Angehörigenberatung vielfältige Fragen aufwirft.
1251
vgl. Olk 2000
340
Gruppenangebote für die Angehörigen wie Gesprächskreise oder Kurse und über
sozialrechtliche Ansprüche. Auch die Erfahrungen mit der Inanspruchnahme
formeller
Dienste
und
mögliche
Passungsprobleme
von
professionell
organisierten Hilfen in die Lebenswelt der Betroffenen sowie die daraus
resultierenden Konflikte können Themen in der Beratung sein.
11.2.5
Die Sonderfälle
Als typische Fälle in der Ehegattenberatung habe ich als Ergebnis der
Felderkundung folgende definiert: ältere Ehepaare oder langjährige nichteheliche
Lebensgemeinschaften, die das Erwerbsleben weitgehend hinter sich gelassen
haben, deren Kinder erwachsen sind und bei denen die Demenz weitreichende
Umbrüche in einer Beziehung bewirkt, die zuvor noch nicht dominant durch eine
chronische Erkrankung eines der Partner gekennzeichnet war (vgl. Kapitel 8.1).
Neben der Beratung dieser typischen Ehegatten muss die Angehörigenberatung
auch für die in der Felderkundung zu Tage getretenen Sonderfälle gerüstet sein:
•
Paare, die von einer Younger-onset-Demenz betroffen sind
•
Paare, die in einer Zweit- oder Folgebeziehung zusammen leben sowie
deren Patchwork-Familien
•
Paare, die auf eine lange konflikthafte Beziehungsgeschichte zurückblicken
•
außereheliche Beziehungen
•
Paare, deren Beziehung seit Jahren schon durch eine chronische
Erkrankung
des
nun
zusätzlich
demenziell
erkrankten
Partners
gekennzeichnet war und schließlich
•
Paare, bei denen Gewalt, sei es erst im Kontext der Demenz, sei es früher
schon, eine Rolle spielt.
Über deren spezifische Problematiken gibt es noch wenig abgesicherte
Erkenntnisse, auf die sich die Angehörigenberatung stützen könnte1252. Will die
Angehörigenberatung nicht dem Philemon-und-Baucis-Mythos1253 von einer
idyllischen Altersehe erliegen, dann sind besonders Erkenntnisse über die
Auswirkungen einer Demenz in problematischen Paarbeziehungen notwendig.
1252
Ausnahmen: zur Problematik der Younger-onset-Demenzen vgl. Williams, Keady & Nolan 1995; zur
Demenzthematik in Patchwork-Familien vgl. Kuhn, Morhardt & Monbrod-Framburg 1993; zur Problematik von
Gewalt und Misshandlung in ehelichen Pflegebeziehungen vgl. Buttell 1999; Grafström, Nordberg & Winblad
1993; Grafström, Nordberg & Hagberg 1993; Williamson et al. 2001, wobei sich die Arbeiten über Gewalt
überwiegend auf solche Gewalt konzentrieren, die von den pflegenden Ehegatten ausgeht.
1253
vgl. Ovid, Metamorphosen, VIII, 207
341
Ebenso wichtig ist Wissen über die Demenz in ehelichen oder außerehelichen
Lebensgemeinschaften und Patchwork-Familien, da angesichts der mit der
gesellschaftlichen Modernisierung verbundenen Pluralisierung der Lebensformen
damit zu rechnen ist, dass diese heute noch als Sonderfälle in der Beratung
auftretenden Beziehungsformen zukünftig an Bedeutung gewinnen werden.
12
Zusammenfassung und Ausblick
Sowohl die Forschungslage als auch die hier beschriebene Untersuchung zur
Exploration des Feldes der Ehegattenberatung belegen eindrucksvoll die
Spezifität der ehelichen Pflegekonstellation, ihren vielfach von der Situation
pflegender Kinder abweichenden Charakter und die Vielschichtigkeit ihrer
Problemlagen. Zentrale Ergebnisse der durchgeführten Untersuchung sind die
Betrachtung der Demenz als Ehekrise und daraus folgend als Krise des
Lebensentwurfes der Betroffenen sowie die Veränderungen der Paarbeziehung
im Sinne einer Kippfigur aus Ehe- und Pflegebeziehung. Im Hinblick auf die
Entwicklung sinnvoller und hilfreicher Unterstützungs- und Beratungsangebote
gibt es einen erheblichen weiteren Forschungsbedarf, insbesondere bezogen auf
das Verhältnis von Ehe- und Pflegebeziehung, die Paardynamik, die Lebenslaufund die Mehr-Generationen-Perspektive. Will die Beratung der Ehegatten
Demenzkranker dem Anspruch eines psychosozialen Beratungsansatzes gerecht
werden, dann gilt es, die Ausblendung der Paarthematik zugunsten der
Betrachtung der Ehegatten als Einzelpersonen und die Ausblendung der
Ehethematik zugunsten der Pflegethematik zu vermeiden. Voraussetzung dafür
ist es, das bestehende Theoriedefizit bezüglich der Paarthematik in der
Angehörigenberatung abzubauen. Das Anliegen meiner Arbeit ist es gewesen,
hierzu einen Beitrag zu liefern.
342
Literatur
Abramson, L.Y.; Metalsky, G.I. & Alloy, L.B. (1989) Hopelessness depression: A
theory-based subtype of depression. In: Psychological Bulletin, Vol. 96, 358372
Adler, Corinne; Wilz, Gabriele & Gunzelmann, Thomas (1996) „Frei fühle ich
mich nie“ – Frauen pflegen ihren an Demenz erkrankten Ehemann, Vater
oder Mutter. In: Gesundheitswesen, 58, Sonderheft 2, 125-131
Adler, C.; Gunzelmann, T.; Machold, C.; Schumacher, J. & Wilz, G. (1996)
Belastungserleben pflegender Angehöriger von Demenzpatienten. In:
Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 29, 143-149.
Allan, G. (1985) Family life. Oxford: Blackwell
Allard, M.; Signoret, J.-L. & Stalleiken, D.E. (1988) Alzheimer Demenz. Berlin
Alloy, L.B.; Abramson, L.Y.; Metalsky, G.I. & Hartlage, S. (1988) The
hopelessness theory of depression: Attributional aspects. In: British Journal
of Clinical Psychology, Vol. 27, 5-21
Aneshensel, C.S.; Pearlin, L.I.; Mullan, J.T. & Zarit, S.H. (1995) Profiles in
caregiving: The unexpected career. New York: Academic Press
Antons, Klaus (2000) Praxis der Gruppendynamik. Übungen und Techniken. 8.
Auflage. Göttingen u.a.: Hogrefe
Antonucci, Toni C. & Akiyama, Hiroko (1987) Social networks in adult life: A
preliminary examination of the convoy model. In: Journal of Gerontology,
Vol. 42, 519-527
Atteslander, Peter (1975) Methoden der empirischen Sozialforschung. Berlin,
New York: de Gruyter
Bacal, H. & Newman K. (1990) Theories of object relations. Bridges to self
psychology. New York: Columbia University Press
Backes, Gertrud M. (1994) Pflegende Frauen: zwischen Solidaritätsnorm und
modernen Lebensformen. In: Braun, Helmut; Klie, Thomas; Kohnert, M &
Lüders, Inge (Hrsg.) Zukunft der Pflege. Beiträge zur Pflegediskussion in
Altenarbeit und Gerontologie. Dokumentation der Tagung des Fachbereichs
IV - Soziale Gerontologie und Altenarbeit - in der Deutschen Gesellschaft für
Gerontologie und Geriatrie vom 7.-9.10.1993 in Hamburg. Melsungen:
Bibliomed, 137-164
Backes, Gertrud M. (1999) Geschlechterverhältnisse im Alter. In: Jansen, B.;
Karl. F.; Radebold, H. & Schmitz-Scherzer, R. (Hrsg.) Soziale Gerontologie,
Weinheim, Basel: Beltz, 453-469
Baikie, Elisabeth (2002) The impact of dementia on marital relationships. In:
Sexual and Relationship Therapy, Vol. 17, No. 3, 289-294
Ballard, C.G.; Solis, M.; Gahir, M.; Cullen, P.; George, S. Oyebode, F. & Wilcock,
G. (1997) Sexual relationships in married dementia sufferers. In:
International Journal of Geriatric Psychiatry, Vol. 12; 447-451
Bandura, A. (1977a) Toward a unifying theory of behavioural change. In:
Psychological Review, Vol. 84, 191-215
Bandura, A. (1982) Self-efficacy mechanism in human agency. In: American
Psychologist, Vol. 37, 122-147
343
Bandura, Albert (1986) Social foundations of thought and action. Englewood
Cliffs, NJ: Prentice Hall
Barber, Clifton E. & Pasley B. Kay (1995) Family care of Alzheimer's patients:
The role of gender and generational relationship on caregiver outcomes. In:
Journal of Applied Gerontology, Vol. 14, No. 2, 172-192
Barnett, R.C. & Baruch, G.K. (1987) Social roles, gender, and psychological
distress. In: Barnett, R.C.; Biender, L. & Baruch, G.K. (Eds.) Gender and
stress. New York: Free, 122-143
Barrera, M. Jr. (1986) Distinctions between social support concepts, measures,
and models. In: American Journal of Community Psychology, Vol. 14, 413445
Barusch, Amanda S. (1988) Problems and coping strategies of elderly spouse
caregivers. In: The Gerontologist, Vol. 28, No. 5, 677-685.
Barusch, Amanda S. & Spaid, Wanda M. (1996) Spouse caregivers and the
caregiving experience: Does cognitive impairment make a difference? In:
Journal of Gerontological Social Work, Vol. 25, No. 3/4; 93-105.
Basch, M.F. (1988) Understanding psychotherapy. The science behind the art.
United States: Basic Books
Batson, C.D. & Coke, J.S. (1983) Empathic motivation of helping behavior. In:
Cacioppo, J.R. & Petty, R.E. (Eds.) Social psychophysiology: A sourcebook.
New York; Guilford Press
Bauer, J; Stadtmüller, G; Qualmann J & Bauer H. (1995) Prämorbide
psychologische Prozesse bei Alzheimer-Patienten und bei Patienten mit
vaskulären Demenzerkrankungen. In: Zeitschrift für Gerontologie und
Geriatrie, 28, 179-189
Bauer, Joachim; Qualmann, Jörg; Stadtmüller Godehard & Bauer Hedwig (1998)
Lebenslaufuntersuchungen
bei
Alzheimer-Patienten:
Qualitative
Inhaltsanalyse prämorbider Entwicklungsprozesse. In: Kruse, Andreas
(Hrsg.) Psychosoziale Gerontologie. Band 2: Intervention. Jahrbuch der
Medizinischen Soziologie 16. Hogrefe, Göttingen u.a., 251-274
Bauer, Mary J.; Maddox, Melitta K.; Kirk, Laura N.; Burns, Theressa &
Kuskowski, Michael A. (2001) Progressive dementia: Personal and relational
impact on caregiving wives. In: American Journal of Alzheimer’s Disease
and Other Dementias, Vol. 16, No. 6, 329-334
Baumgarten, M.; Battista, R.N.; Infante-Rivard, C.; Hanley, J.A.; Becker, R. &
Gauthier, S. (1992) The psychological and physical health of family
members caring for an elderly person with dementia. In: Journal of Clinical
Epidemiology, Vol. 45, 61-70
Beavers, W.R. & Voeller, M.N. (1983) Family models: Comparing and contrasting
the Olson circumplex model and the Beavers systems model. In: Family
Process, Vol. 22, 85-98
Beck, A.T. (1967) Depression: Clinical, experimental, and theoretical aspects.
New York: Harper and Row
Beck, A.T. & Weishaar, M.E. (1989) Cognitive therapy. In: Freeman, A.; Simon,
K.M.; Beutler, L.E. & Arkowitz, H. (Eds.) Compehensive handbook of
cognitive therapy. New York: Plenum
Beck, Ulrich (1986) Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne.
Frankfurt: Suhrkamp
344
Beck, Ulrich & Beck-Gernsheim, Elisabeth (Hrsg.) (1990) Das ganz normale
Chaos der Liebe. Frankfurt: Suhrkamp
Becker, G.S. (1976) The economic approach to human behavior. Chicago:
University of Chicago Press
Beck-Gernsheim, Elisabeth (1990) Von der Liebe zur Beziehung. Veränderungen
im Verhältnis von Mann und Frau in der individualisierten Gesellschaft. In:
Beck, U. & Beck-Gernsheim, E. (Hrsg.) Das ganz normale Chaos der Liebe.
Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch, 65-104
Beeson, Rose; Horton-Deutsch, Sara; Farran, Carol & Neundorfer, Marcia (2000)
Loneliness and depression in caregivers of persons with Alzheimer’s
disease or related disorders. In: Issues in Mental Health Nursing, Vol. 21,
779-806
Beeson, Rosa A. (2003) Loneliness and depression in spousal caregivers of
those with Alzheimer’s disease versus non-caregiving spouses. In: Archives
of Psychiatric Nursing, Vol.17, No. 3, 135-143
Bengtson,
Vern
L
&
Schütze,
Yvonne
(1994)
Altern
und
Generationsbeziehungen: Aussichten für das kommende Jahrhundert. In:
Baltes, P.; Mittelstrass, J.; Staudinger, U.M. (Hrsg.) Alter und Altern: Ein
interdisziplinärer Studientext zur Gerontologie. Berlin, New York: de Gruyter,
493-517
Berezin, M.A. (1970) Partial grief in family members and others who care for the
elderly patient. In: Journal of Geriatric Psychiatry, Vol. 4, 53-64
Berezin, M.A. (1972) Psychodynamic considerations of ageing and the aged. An
overview. In: American Journal of Psychiatry, Vol. 128, No. 12, 1483-1491
Berger, P.L. & Kellner, H. (1965) Die Ehe und die Konstruktion der Wirklichkeit.
In: Soziale Welt, 3, 220-235
Berger, Peter L. & Kellner, Hansfried (1965) Die Ehe und die Konstruktion der
Wirklichkeit. In: Soziale Welt, Nr. 3, 220-235
Berger, Peter L. & Berger, Brigitte; Kellner, Hansfried (1975) Das Unbehagen in
der Modernität. Frankfurt: Campus Verlag
Berlin, L.B. & Cassidy, J. (1999) Relations among relationships: Contributions
from attachment theory and research. In: Cassidy, J. (Hrsg.) Handbook of
attachment: Theory, research, and clinical applications. New York: The
Guilford Press, 688-712
Bernard, J. (1981) The female world. New York: The Free Press
Beyreuther, K. (1997) Molekularbiologie der Alzheimer-Demenz. In: Förstl, Hans
(Hrsg.) Lehrbuch der Gerontopsychiatrie. Stuttgart: Enke, 31-43
Bickel, H. & Schreiter, U. (1987) Häufigkeit von Demenzen: epidemiologische
Daten. Münchener Medizinische Wochenschrift, 129, 741-745
Bickel, H. (1997) Epidemiologie psychischer Erkrankungen im Alter. In: Förstl,
Hans (Hrsg.) Lehrbuch der Gerontopsychiatrie. Stuttgart, Enke, 1-15
Bickel, Horst (1999a) Epidemiologie der Demenzen. In: Förstl, H.; Bickel, H. &
Kurz, A. (Hrsg.) Alzheimer Demenz. Grundlagen, Klinik und Therapie. Berlin,
Heidelberg: New York, Springer, 9-32
Bickel, Horst (1999b) Die Epidemiologie der Demenz. In: Deutsche Alzheimer
Gesellschaft (Hrsg.) Das Wichtigste 1 – Informationsblätter, Berlin
345
Biegel, David E.; Sales, Esther & Schulz, Richard (1991) Caregiving in
Alzheimer’s disease. In: Biegel, D.E.; Sales, E. & Schulz R. (Eds.) Family
caregiving in chronic illness. Newbury Park CA: Sage
Blenkner, Magret (1965) Social Work and Family Relationship in Later Life with
some Thoughts on Fillial Maturity. In: Shanas, E. & Streib, G. (Eds.) Social
Structure and the Family: Generational Relations. Prentice Hall, Englewood
Cliffs/NJ.
Blieszner, Rosemary & Shiftlett, Peggy A. (1990) The effects of Alzheimer’s
disease on close relationships between patients and caregivers. In: Family
Relations, Vol. 39, 57-62
Blinkert, Baldo & Klie, Thomas (1999) Pflege im sozialen Wandel. Hannover:
Vincentz-Verlag
Böckelmann, Christine (2003) Qualitätsmanagement in psychosozialen
Beratungsstellen.
Konzepte
zum
Qualitätsmanagement
von
Dienstleistungen. Vorbehalte gegenüber ihrer Anwendung. Hinweise zur
Umsetzung. Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität
Zürich. Zürich
Bookwala, Jamila & Schulz, Richard (1996) Spousal similiarity in subjective wellbeing: The cardiovascular health study. In: Psychology and Aging, Vol. 11,
582-590
Bookwala, Jamila & Schulz, Richard (2000) A comparison of primary stressors,
secondary stressors, and depressive symptoms between elderly caregiving
husbands and wives: The caregiver health effects study. In: Psychology and
Aging, Vol.15, No. 4, 607-616
Borchelt, Markus; Gilberg, Reiner; Horgas, Ann L. & Geiselmann, Bernhard
(1996) Zur Bedeutung von Krankheit und Behinderung im Alter. In: Mayer,
K.U. & Baltes, P.B. (Hrsg.) Die Berliner Altersstudie. Berlin: AkademieVerlag, 449-474
Bosch, Corry F.M. (1998) Vertrautheit. Studie zur Lebenswelt dementierender
alter Menschen. Dt. Ausgabe herausgegeben von Wilfried Schnepp.
Wiesbaden: Ullstein Medical
Boss, Pauline; Caron, Wayne & Horbal Joan (1988) Alzheimer’s disease and
ambiguous loss. In: C. Chilman, E. Nunally & F. Cox (Eds.) Chronic illness
and disability: Families in trouble series. Vol. II (pp. 123-140). Beverly Hills
CA: Sage Publications
Boss, Pauline; Caron, Wayne; Horbal, Joan & Mortimer, James (1990) Predictors
of depression in caregivers of dementia patients: Boundary ambiguity and
mastery. In: Family Process, Vol. 29, 245-254
Bosshard, Marianne; Ebert, Ursula & Lazarus, Horst (1999) Sozialarbeit und
Sozialpädagogik in der Psychiatrie. Lehrbuch. Bonn: Psychiatrie Verlag
Boszormenyi-Nagy, Ivan & Spark, Geraldine M. (2001) Unsichtbare Bindungen.
Die Dynamik familiärer Systeme. 7. Auflage, Stuttgart: Klett-Cotta
Bourgard, Lori Lee (1995) Existential growth resulting from giving care to a
spouse with Alzheimer’s disease. In: Dissertation Abstracts International:
Section B: The Sciences & Engineering, Vol. 56 (4-B) pp. 2348
Bourgeois, Michelle S.; Schulz, Richard & Burgio, Louis (1996) Interventions for
caregivers of patients with Alzheimer’s disease: A review and analysis of
content, process, and outcomes. In: International Journal of Aging and
Human Development, Vol. 42, No. 1, 35-92
346
Bowers, V.J. (1987) Intergenerational caregiving: Adult caregivers and their aging
parents. In: Advances in Nursing Science, Vol. 9, No. 2, 20-31
Bowlby, J. (1988) A secure base. Clinical applications of attachment theory.
London: Travistock/Routledge
Bracker, Maren; Dallinger, Ursula; Karden, Gabriele; Tegethoff & Ulrike (1988)
Die Pflegebereitschaft der Töchter. Zwischen Pflichterfüllung und eigenen
Lebensansprüchen. Voraussetzungen, Belastungen und sozialpolitische
Schlußfolgerungen. Hrsg. Von der Bevollmächtigten der hessischen
Landesregierung für Frauenangelegenheiten. Wiesbaden
Bradburn, N.M. (1969) The structure of psychological well-being. Chicago: Aldine
Bradbury, T.N. & Fincham, F.D. (1990) Attributions in marriage: Review and
critique. In: Psychological Bulletin, 107, 3-33
Braekhus, Anne; Oksengard, Rita; Engedal, Knut & Laake, Knut (1998) Social
and depressive stress suffered by spouses of patients with mild dementia.
In: Scandinavian Journal of Primary Health Care, Vol. 16, 242-246
Brickman, P.; Rabinowitz V.C.; Karnza, J. Coates, D.; Cohn, E. & Kidder, L.
(1982) Models of helping and coping. In: American Psychologist, Vol. 37,
368-384
Bruder, Jens (1988) Filiale Reife - ein wichtiges Konzept für die familiäre
Versorgung kranker, insbesondere dementer alter Menschen. In: Zeitschrift
für Gerontopsychologie und –psychiatrie, 1, Heft 1, 95-101
Buchholz, Michael B. (1995) Die unbewusste Familie. Lehrbuch
psychoanalytischen Familientherapie. München: Verlag J. Pfeiffer
der
Bude, Heinz (2003) Fallrekonstruktion. In: Bohnsack, Ralf; Marotzki, Winfried &
Meuser, Michael (Hrsg.) Hauptbegriffe Qualitativer Sozialforschung.
Opladen: Leske + Budrich, 60-62
Buffum, Martha D. & Brod, Meryl (1998) Humor and well-being in spouse
caregivers of patients with AD. In: Applied Nursing Research, Vol. 11, No. 1,
12-18
Bundesarbeitsgemeinschaft für Alten- und Angehörigenberatung (ohne Datum)
Standards psychosozialer Beratung von alten Menschen und Angehörigen.
Kontakt: www.baga.de
Bundesarbeitsgemeinschaft für Alten- und Angehörigenberatung (1996)
Erfolgskriterien für die Beratung pflegender Angehöriger. In: Home Care, 4,
3, 12-13
Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (Hrsg.) (1986)
Vierter Familienbericht – Die Situation der älteren Menschen in der Familie.
Bonn
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2002)
Vierter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik
Deutschland: Risiken, Lebensqualität und Versorgung Hochaltriger – unter
besonderer Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen, Berlin
Burkart, Günter (1997) Lebensphasen – Liebesphasen. Vom Paar zur Ehe, zum
Single und zurück? Opladen: Leske + Budrich
Burton, Cynthia A. & Sistler, Audrey B. (1996) A note on whether spousal
caregivers try to control their environment or themselves. In: The Journal of
Psychology, Vol. 130, No. 4, 421-427.
347
Busse, A.; Sonntag, A.; Riedel-Heller, S.G.; Matschinger, H.; Angermeyer, M.C.
(2000) Demenzkranke in der Pflegeversicherung. Ergebnisse einer
Repräsentativerhebung. In: Zeitschrift für Gerontopsychologie und –
psychiatrie, 13, 3/4, 104-111
Butt, Zeeshan A.; Strauss, Milton E.; Smyth, Kathleen A. & Rose-Rego, Sharon
K. (2002) Negative affectivity and emotion-focused coping in spouse
caregivers of persons with Alzheimer’s Disease. In: The Journal of Applied
Gerontology, Vol. 21, No. 4, 471-483
Buttell, Frederick P. (1999) The relationship between spouse abuse and
maltreatment of dementia sufferers by their caregivers. In: American Journal
of Alzheimer’s Disease, Vol. 14; No. 4, 230-232
Caldwell, M.A. & Peplau, L.A. (1982) Sex differences in same-sex friendships. In:
Sex Roles, 8, 721-732
Cantor, Marjorie H. (1983) Strain among caregivers: A study of experience in the
United States. In: The Gerontologist, Vol. 23, 597-604
Carden, A. (1994) Wife abuse and the wife abuser: Review
recommendations. In: The Counseling Psychologist, Vol. 22, 539-582
and
Carlson, Keith W. & Robertson, Sharon E. (1993) Husbands and wives of
dementia patients: Burden and social support. In: Canadian Journal of
Rehabilitation, Vol. 6, No. 3, 163-173
Carlson, Keith W. & Robertson, Sharon E. (1994) Social networks of spouse
caregivers of partners with dementia. In: Canadian Journal of Rehabilitation,
Vol. 7, No. 4, 239-249
Carstensen, Laura L. (1993) Motivation for social contact across life span: A
theory of socioemotional selectivity. In: Nebrasca symposium on motivation.
Lincoln NE: University of Nebrasca Press, 209-254
Cartwright, J.C.; Archbold, P.G.; Stewart, B.J. & Limandri, B. (1994) Enrichment
processes in family caregiving to frail elders. In: Advances of Nursing
Science, Vol. 17, No. 1, 31-43
Caswell, Lisa W.; Vitaliano, Peter P.; Croyle, Kristin L.; Scanlan, James M.;
Zhang, Jianping & Daruwala, Anhaita (2003) Negative Associations of
chronic stress and cognitive performance in older adult spouse caregivers.
In: Experimental Aging Research, Vol. 29, 203-218
Chelune, G.J.; Robison, J.T. & Kommor, M.J. (1984) A cognitive interactional
model of intimate relationships. In: Derlega, V.J. (ed.) Communication,
intimaci, and close relationships. Orlando, Academic Press, 11-40
Chesla, Catherine; Martinson, Ida & Muwaswes, Marilou (1994) Continuities and
discontinuities in family members’ relationship with Alzheimer’s patients. In:
Family relations, Vol. 43, 3-9
Chiverton, Patricia & Caine, Eric D. (1989) Education to assist spouses in coping
with Alzheimer’s disease. A controlled trial. In: Journal of the American
Geriatrics Society, Vol. 37, 593-598
Chodorow, Nancy (1994) Das Erbe der Mütter. Psychoanalyse und Soziologie
der Geschlechter. München: Verlag Frauenoffensive
Chumbler, Neale R.; Grimm, James W.; Cody, Marisue & Beck, Cornelia (2003)
Gender, kinship and caregiver burden: the case of community-dwelling
memory impaired seniors. In: International Journal of Geriatric Psychiatry,
Vol. 18, 722-732
348
Clark, M.S. & Mills, J. (1979) Interpersonal attraction in exchange and communal
relationships. In: Journal of Personality and Social Psychology, Vol. 37, 1224
Clark, M.S. & Waddell, B. (1985) Perception of exploitation in communal and
exchange relationships. In: Journal of Social and Personal Relationships,
Vol. 2, 403-413
Clark, M.S. & Mills, J. (1993) The difference between communal and exchange
relationships: What it is and is not. In: Personality and Social Psychology
Bulletin, Vol. 19, 684-691
Clipp, Elizabeth C. & George, Linda K. (1990) Psychotropic drug use among
caregivers of patients with dementia. In: Journal of the American Geriatrics
Society, Vol. 38, 227-235
Clipp, E.C. & George, L.K. (1993) Dementia and cancer. A comparison of spouse
caregivers. In: The Gerontologist, Vol. 33, 534-541
Cohen, D. & Eisdorfer, C. (1988) Depression in family members caring for a
relative with Alzheimer’s disease. A controlled trial. In: Journal of the
American Geriatrics Society, Vol. 37, 593-598
Cohen, Stanley & Taylor, Laurie (1977) Ausbruchsversuche. Identität und
Widerstand in der modernen Lebenswelt. Frankfurt M.: Suhrkamp
Cohen, S. & Wills, T.A. (1985) Stress, social support, and the buffering
hypothesis. In: Psychological Bulletin, Vol. 98, 310-357
Cohn, A.D.; Silver, D.H.; Cowan, C.P.; Cowan, P.A. & Pearson, J. (1992)
Working models of childhood attachment and couple relationships. In:
Journal of Family Issues, 13, 432-449
Collins, Chris & Jones, Robert (1997) Emotional distress and morbidity in
dementia carers: a matched comparison of husbands and wives. In:
International Journal of Geriatric Psychiatry, Vol. 12, 1168-1173.
Commissaris, C.J.A.M.; Jolles, J.; Verhey, F.R.J. & Kok, G.J. (1995) Problems of
caregiving spouses of patients with dementia. In: Patient Education and
Counseling, Vol. 25, 143-149
Connell, Robert W. (1995) Masculinities. Berkely: University of California Press
Connell, Cathleen & Gallant, Mary (1996) Spouse caregivers’ attitudes toward
obtaining a diagnosis of a dementing illness. In: Journal of the American
Geriatrics Society, Vol. 44, 1003-1009
Cooney, C. & Mortimer, A. (1995) Elder abuse and dementia: A pilot study. In:
International Journal of Social Psychiatry, Vol. 41, 276-283
Cooney, C. & Wrigley, M. (1996) Abuse of the elderly with dementia. In: Irish
Journal of Psychological Medicine, Vol. 13, 94-96
Corbin, J.M. & Strauss, A. (1988) Unending work and care. San Francisco:
Jossey-Bass
Corcoran, Mary A. (1993a) Spousal caregivers of elderly with dementia: A
descriptive study of care theories. In: Dissertation Abstracts International,
Vol. 53 (7-A), pp. 2502
Corcoran, Mary A. (1993b) Management decisions made by caregiver spouses of
persons with Alzheimer’s disease. In: The American Journal of Occupational
Therapy, Vol. 48, No. 1, 38-45
349
Coser, L.A. (1977) Masters of sociological thought. Orlando Fl.: Harcourt Brace
Jovanovich
Cossette, Sylvie; Lévesque, Louise & Laurin, Liane (1995) Informal and formal
support for caregivers of a demented relative : Do gender and kinship make
a difference ? In: Research on Nursing & Health, Vol. 18, 437-451
Costa, P.T. & McCrae, R.R. (1989) NEO PI/FFI Manual supplement, Odessa, Fl:
Psychological Assessment Ressources
Cox, Carole B. & Albisu, Kara (2003) The impact of caregiving for a relative with
AD: A comparison of those caring for persons living alone, spousal
caregivers, and co-resistent adult children. In: Journal of Mental Health and
Aging, Vol. 9, No. 1, 23-33
Coyne, A.; Reichman, W. & Berbig, L. (1995) The relationship between dementia
and elder abuse. In: American Journal of Psychiatry, Vol. 150, 643-646
Croog, Sydney H.; Sudilovsky, Abraham; Burleson, Joseph & Baume, Robert M.
(2001) Vulnerability of husband and wive caregivers of Alzheimer Disease
patients to caregiving stressors. In: Alzheimer Disease and Associated
Disorders, Vol. 15, No. 4, 201-210
Cummings, J.L. (1989) Dementia and depression: An evolving enigma. In:
Journal of Neuropsychiatry, Vol. 1, 236-242
Dalley, G. (1996) Ideologies of caring: Rethinking community and collectivism, 2nd
edn., London: Macmillan Press
Davidson, Kate; Arber, Sara & Ginn, Jay (2000) Gendered meanings of care
work within late life marital relationships. In: Canadian Journal of Aging, Vol.
19; No. 4, 536-553
Deimling, Gary T. & Bass, David M. (1986) Symptoms of mental impairment
among elderly adults and their effects on family caregivers. In: Journal of
Gerontology, Vol. 41, No. 6, 778-784
DeLongis, A. & O’Brien, T. (1990) An interpersonal framework for stress and
coping: An application o the families of Alzheimer’s patients. In: Stephans,
M. ; Crowther, J.; Hobfoll, S. & Tennenbaum, D. (Eds.) Stress and coping in
later life families. New York: Hemisphere Pub. Co.
Depner, Charlene E. & Ingersoll-Dayton, Berit (1985) Conjugal social support :
Patterns in later life. In : Journal of Gerontology, Vol. 40, No. 6, 761-766
Derouesné, Christian; Guigot, Jacqueline; Chermat, Véronique ; Winchester,
Nancy & Lacomblez, Lucette (1996) Sexual behavioral changes in Alzheimer
Disease. In : Alzheimer Disease and Associated Disorders, Vol. 10, No. 2,
86-92
De Vugt, Marjolein E.; Stevens, Fred ; Aalten, Pauline ; Lousberg, Richel ;
Jaspers, Niek ; Winkens, Ieke; Jolles, Jellemer & Verhey, Frans R.J. (2003)
Behavioural disturbences in dementia patients and quality of the marital
relationship. In: International Journal of Geriatric Psychiatry, Vol. 18, 149154
Diener, E.; Emmons, R.A.; Larsen, R.S. & Griffin, S. (1985) The satisfaction with
life scale. In: Journal of Personality Assessment, Vol. 49, 71-75
Dilling H.; Mombour W.; Schmidt M.H. & Schulte-Markwort E. (Hrsg) (1994)
Weltgesundheitsorganisation: Internationale Klassifikation psychischer
Störungen. ICD-10 Kp. V (F), Forschungskriterien. Bern, Göttingen, Toronto,
Seattle
350
Dinkel, R.H.; Hartmann K. & Lebok, U. (1997) Langfristige Veränderungen in der
Verfügbarkeit häuslicher Unterstützungspotentiale aufgrund familiärer
Strukturverschiebungen – Eine Modellrechnung. In: Gesundheitswesen, 59,
4, 1-54
Dirksen, Wilma; Domdey, Cornelia; Franke, Luitgard; Köster, Monika; PrahmRohlje, Hilke & Telger, Klaus (1992-2003) Jahresberichte der
Gerontopsychiatrischen Beratung der Alexianer Krankenhaus GmbH
Münster. Münster: Eigenverlag
Dobrin, Benjamin (1998) A qualitative analysis of older men providing care for
their cognitively impaired spouses. In: Dissertation Abstracts International:
Section B: The Sciences & Engineering, Vol. 58 (8-B) . pp. 4171
Dobritz, J. & Gärtner, K. (1998) Bericht 1998 über die demographische Lage in
Deutschland mit dem Teil B „Ehescheidungen – Trends in Deutschland im
internationalen Vergleich“. In: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 23
(4), 373-458
Donaldson, Catherine; Tarrier, Nicholas & Burns, Alistair (1997) The impact of
the symptoms of dementia on caregivers. In: British Journal of Psychiatry,
Vol. 170, 62-68
Donzelot, Jacques (1980) Die Ordnung der Familie. Frankfurt am Main;
Suhrkamp
Duck, S. (1982) A typology of relationship disengagement and dissolution. In:
Duck, S. (Ed.) Personal relationships 4: Dissolving personal relationships.
London: Academic Press, 1-30
Duck, S. (1983) Friends for life: The psychology of close relationships. Brighton:
Harvester Press
Duffy, Linda M. (1995) Sexual behavior and marital intimaci in Alzheimer’s
couplet: A family theory perspective. In: Sexuality and Disability, Vol. 13, No.
3, 239-254
Duss von Werdt, J. (1973) Fragment zu Ehe, Familie, Emanzipation. In: Ehe,
Zentralblatt für Ehe- und Familienkunde, Tübingen, 11. Jg.
Eagles, J.M.; Craig, A.; Rawlinson, F. et al. (1987) The psychological well-being
of supporters of the demented elderly. In: British Journal of Psychiatry, Vol.
150, 293-298
Eberhard, Kurt (1999) Einführung in die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie.
Geschichte und Praxis der konkurrierenden Erkenntniswege. 2. Auflage.
Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer, Urban
Eloniemi-Sulkova, Ulla; Notkola, Irma-Leena; Hämäläinen, Kailja; Rahkonen,
Terhi; Viramo, Petteri; Hentinen, Maija; Kivelä; Sirkka-Lisa & Sulkava, Raimo
(2002a) Spouse caregivers’ perceptions of influence of dementia on
marriage. In: International Psychogeriatrics, Vol. 14, No. 1, 47-58
Eloniemi-Sulkava, U.; Rahkonen, T.; Suihkonene, M.; Halonen, R.; Hentinen, M.;
Sulkava, R. (2002b) Emotional reactions and life changes of caregivers of
demented patients when home caregiving ends. In: Aging & Mental Health,
Vol. 6, No. 4, 343-349
Erlemeier, Norbert (1998) Alternspsychologie. Grundlagen für Sozial- und
Pflegeberufe. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann
Farran, Carol J.; Keane-Hagerty, Eleanora; Salloway, Sandra; Kupferer, Sylvia &
Wilken, Carolyn S. (1991) Finding meaning: An alternative paradigm for
351
Alzheimer’s disease family caregivers. In: The Gerontologist, Vol. 31, No. 4,
483-489
Farran, C.J.; Keane-Hagerty, E., Tatarowicz, L. et al. (1993) Dementia carereceiver needs and their impacts on caregivers. In: Clinical Nursing
Research, Vol. 2, 86-97
Farran, Carol J. (1997) Theoretical perspectives concerning positive aspects of
caring for elderly persons with dementia: stress/adaption and existentialism.
In: The Gerontologist, Vol. 37, No. 2. 250-256
Farran, Carol J.; Miller, Baila; Kaufman, Julie E., Donner, Ed & Fogg, Louis
(1999) Finding meaning through caregiving: Development of an instrument
for family caregivers of persons with Alzheimer’s disease. In: Journal of
Clinical Psychology, Vol. 55, No. 9, 1107-1125
Fatheringham, J.; Skelton, M. & Hoddinott, B. (1972) The effects on the families
of the presence of a mentally retardet child. In: Canadian Psychiatric
Association Journal, Vol. 17, 283-289
Faust-Jacoby, Stefanie & Kling, Anette (1991) Zur Situation pflegender
Ehepartner. In Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und
private Fürsorge, Heft 10, 340-345
Feeney, J. & Noller, P. (1996) Adult attachment. Thousand Oaks, CA: Sage
Feil, Naomi (1990) Validation. Ein neuer Weg zum Verständnis alter Menschen.
Wien: Delle Karth Verlag
Felser, Georg (2003) Wahrnehmung und Kognitionen in Partnerschaften. In:
Grau, Ina & Bierhoff, Hans-Werner (Hrsg.) Sozialpsychologie der
Partnerschaft. Berlin u.a.: Springer, 343-376
Fengler, Alfred P. & Goodrich, Nancy (1979) Wives of elderly disabled men: the
hidden patients. In: The Gerontologist, Vol. 19, No. 2, 175-183
Fiore, Joan; Becker, Joseph & Coppel, David B. (1983) Social network
interactions: A buffer or a stress? In: American Journal of Community
Psychology, Vol. 11, No. 4, 423-439
Fischer, Gisela C.; Rhode, Johann J.; Tewes, Uwe; Schug, Stephan H.; Koppelin,
Frauke; Koschera, Annette; Pangritz, Johannes & Pullwitt, Dirk H. (1995) Die
Situation über 60 Jahre alter Ehefrauen mit einem pflegebedürftigen
Ehemann. Hrsg.: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend Band 49, Stuttgart: Kohlhammer
Fischer-Rosenthal,
Wolfram
&
Fischer,
Gabriele
(1997)
Warum
Biographieanalyse und wie man sie macht. In: Zeitschrift für
Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie, 17, 405-427
Flascha, Michael (2004) Im Fokus: Männer als pflegende Angehörige. In:
Informationsdienst Altersfragen, 31, 5, 17-19
Fletcher, G.J.O.; Simpson, J.A.; Thomas, G. & Giles, L. (1999) Ideals in intimate
relationships. In: Journal of Personality and Social Psychology, 76, 72-89
Flick, Uwe (1992) Beratung. In: Bauer, Rudolph (Hrsg.) Lexikon des Sozial- und
Gesundheitswesens. München, Wien: Oldenbourg
Flick, Uwe (1996) Qualitative Forschung. Theorie, Methoden, Anwendung in
Psychologie und Sozialwissenschaften. 2. Auflage. Reinbek bei Hamburg:
Rowohlt Taschenbuch Verlag
Flick, Uwe; von Kardorff, Ernst & Steinke, Ines (2003) Was ist qualitative
Forschung? Einleitung und Überblick. In: Dieselben (Hrsg.) Qualitative
352
Forschung. Ein Handbuch. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch
Verlag, 13-29
Fooken, Insa (1997) Intimität auf Abstand. Familienbeziehungen und soziale
Netzwerke. In: Dt. Institut für Fernstudienforschung an der Universität
Tübingen (DIFF) (Hrsg.) Funkkolleg Altern. Studienbrief Nr. 5.,
Studieneinheit 14, Tübingen
Foucault, Michel (1983) Sexualität und Wahrheit. Frankfurt a.M.: Rowohlt
Frank, Michael (2004) In der Tiefe des Schattens. Heinz und Maria und das
Unbekannte, das kein Erbarmen kennt: das Protokoll einer AlzheimerErkrankung. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 132, 11.06.2004, 3
Franke, Luitgard (2000) Psychosoziale Beratung für Angehörige Demenzkranker.
Kasseler Gerontologische Schriften, Bd. 24. Kassel: GesamthochschulBibliothek
Frankl, V.E. (1963) Man’s search for meaning. New York: Washington Square
Press
Frankl, V.E. (1967) Psychotherapy and existentialism. New York: Washington
Square Press
Frankl, V.E. (1978) The unheard cry for meaning. New York: Washington Square
Press
Freter, Hans-Jürgen (1997) Demenzkranke am Rande der neuen Pflegekultur. In:
Ute Braun & Roland Schmidt (Hrsg.) Entwicklung einer lebensweltlichen
Pflegekultur. Dt. Zentrum für Altersfragen e.V. & Hans-WeinbergerAkademeie der Arbeiterwohlfahrt e.V. . Regensburg, Transfer-Verlag, 65-74
Freud, S. (1899) Premonitory dreams fullfilled. S.E., V, pp. 623-625. London:
Hogarth Press, 1957
Freud, S. (1916) On transcience. S.E., XIV, pp. 305-307, London: Hogarth Press,
1957
Friebertshäuser, Barbara (2003) Dichte Beschreibung. In: Bohnsack, Ralf;
Marotzki, Winfried & Meuser, Michael (Hrsg.) Hauptbegriffe Qualitativer
Sozialforschung. Opladen: Leske + Budrich, 33-35
Fuchs, J. (1998) Ressourcen für die Pflege im
Pflegebereitschaft von Personen, die selbst
Gesundheitswesen, 60, 392-398
häuslichen Bereich;
nicht pflegen. In:
Fuller-Jonap, Freida & Haley, William (1995) Mental and physical health of male
caregivers of a spouse with AD. In: Journal of Aging and Health, Vol. 7, No.
1, 99-118
Gallagher, Dolores; Wrabetz, Amy; Lovett, Steven; Del Maestro, Susan & Rose,
Jonathon (1990) Depression and other negative affects in family caregivers.
In: Light, E. & Lebowitz, B. (Eds.) Alzheimer’s disease treatment and family
stress: Directions for research, Washington DC: US Government Printing
Office, 218-245
Gallagher-Thompson, Dolores; Brooks, John O.; Bliwise, Donald; Leader, Julile &
Yesavage, Jerome A. (1992) The relations among caregiver stress,
“sundowning” symptoms, and cognitive decline in Alzheimer’s disease. In:
Journal of the American Geriatrics Society, Vol. 40, 807-810
Gallagher-Thompson, D.; Dal Canto, P.G.; Darnley, S.; Basilo, L.A.; Whelan, L. &
Jacob, T. (1997) A feasibility study of videotaping to assess the relationship
353
between distress in Alzheimer’s disease caregivers and their interaction
style. In: Aging & Mental Health, Vol. 1, No. 4, 346-355
Gallagher-Thompson, Dolores; Dal Canto, Pamela G.; Jacob, Theodore &
Thompson, Larry W. (2001) A comparison of marital interaction patterns
between couples in which the husband does or does not have Alzheimer’s
disease. In: Journal of Gerontology, Social Sciences, Vol. 56B, No. 3, S140S150
Gallant, Mary P. & Connell, Cathleen M. (1997) Predictors of decreased self-care
among spouse caregivers of older adults with dementing illnesses. In:
Journal of Aging and Health, Vol. 9, No. 3, 373-395
Gallant, Mary P. & Connell, Cathleen M. (1998) The stress process among
dementia spouse caregivers. Are caregivers at risk for negative health
behavior change? In: Research on Aging, Vol. 20, No. 3, 267-297
Gallant, Mary P. & Connell, Cathleen M. (2003) Neuroticism and depressive
symptoms among spouse caregivers: Do health behaviors mediate this
relationship? In: Psychology and Aging, Vol. 18, No. 3, 587-592
Gao, S. et al. (1998) The relationships between age, sex, and the incidence of
dementia and Alzheimer disease. In: Archives of General Psychiatry, Vol.
55, 809-815
Gauggel, Siegfried & Rößler, Dorothee (1999) Die Belastung älterer Menschen
durch die Pflege eines Angehörigen. In: Zeitschrift für Medizinische
Psychologie, Vol. 8, No. 4, 175-181
Garner, Jane (1997) Dementia: An intimate death. In: British Journal of Medical
Psychology, Vol. 70, 177-184
Geertz, Clifford (1983) Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller
Systeme. Frankfurt a. Main: Suhrkamp
George, Linda K. & Gwyther, Lisa P. (1986) Caregiver well-being: a
multidimensional examination of family caregivers of demented adults. In:
The Gerontologist, Vol. 26, No. 3, 253-259
George, L.K. & Weiler, S.J. (1981) Sexuality in middle and late life. In: Archives of
General Psychiatry, Vol. 38, 919-923
Giese, Dieter & Retaiski, Herbert (1993) Beratung. In: Dt. Verein für öffentliche
und private Fürsorge (Hrsg.) Fachlexikon der sozialen Arbeit. Frankfurt/Main
Giddens, Anthony (1992) Transformation of intimacy. Cambridge: Polity Press
Gilleard, C.J.; Boyd, W.D. & Watt, G. (1982) Problems in caring for the elderly
mentally infirm at home. In: Archives of Gerontology and Geriatrics, Vol. 1,
151-158
Gilligan, Carol (1982) In a different voice: Psychological theory and women’s
development. Cambridge: Harvard University Press
Ginsburg, G.P. (1988) Rules, scripts and prototypes in personal relationships. In:
Duck, S. (Hrsg.) Handbook of personal relationships. Chichester, 23-39
Giuliano, A.J.; Mitchell, R.E.; Clark, P.G.; Harlow, L.L. & Rosenbloom, D. (1990)
The meaning in caregiving scale: Factorial and conceptual dimensions.
Poster session presented a the second annual convention of the American
Psychological Society, June, Dallas, Texas
Glaser, Barney G. & Strauss, Anselm L. (1998) Grounded Theory. Strategien
qualitativer Forschung. (The discovery of grounded theory, 1967, New York:
Aldine de Gruyter <deutsch>) Bern: Huber
354
Goffman, Erving (1977) Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die Organisation von
Alltagserfahrungen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (orig. 1974)
Gold, Dolores P.; Franz, Erika; Reis, Myrna & Denneville, Claude (1994) The
influence of emotional awareness and expressiveness on care-giving burden
and health complaints in women and men. In: Sex Roles, Vol. 31, Nos. 3/4,
205-224
Gondolf, E. (1997) Batterer programs: What we know and need to know. In:
Journal of Interpersonal Violence, Vol. 12, 83-98
Gottman, J.M. (1993) A theory of marital dissolution and stability. In: Journal of
Family Psychology, 7, 57-75
Grad, Jacqueline & Sainsbury Peter (1963) Mental illness and the family. In: The
Lancet, Vol. 1, 544-547
Gräßel, Elmar (1998) Häusliche Pflege dementiell und nicht dementiell
Erkrankter. Teil II: Gesundheit und Belastung der Pflegenden. In: Zeitschrift
für Gerontologie und Geriatrie, 31, 57-62.
Gräßel, Elmar (2001) Angehörigenberatung bei Demenz: Bedarf, Ausgestaltung,
Auswirkungen. In: Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit, I, Nr. 6, 215-220
Grafström, Margareta; Nordberg, Astrid & Winblad, Bengt (1993) Abuse in the
eye of the beholder. Reports by family members about abuse of demented
persons in home care. A total population-based study. In: Scandinavian
Journal of Social Medicine, Vol. 21, No. 4, 247-255
Grafström, Margareta; Nordberg, Astrid & Hagberg, Bo (1993) Relationships
between demented elderly people and their families: a follow-up study of
caregivers who had previously reported abuse when caring for their spouses
and parents. In: Journal of Advanced Nursing, Vol. 18, 1747-1757
Graham, G. (1989) Commitment and the value of marriage. In: Graham, G. &
LaFollette, H. (Eds.) Person to person, Philadelphia: Temple University
Press, 199-212
Graham, G. & LaFollette, H. (1989) Honestry and intimacy. In: Graham, G. &
LaFollette, H. (Eds.) Person to person, Philadelphia: Temple University
Press, 167-181
Grau, Ina (2003) Emotionale Nähe. In: Grau, Ina & Bierhoff, Hans-Werner (Hrsg.)
Sozialpsychologie der Partnerschaft. Berlin u.a.: Springer, 285-314
Greenberg, M.S. (1980) A theory of indebtedness. In: Gergen, K.J.; Grennberg,
M.S. & Willis, R.H. (Eds.) Social exchange: Advances in theory and
research. New York: Plenum, 3-26
Greene, J.G.; Smith, R.; Gardiner, M. et al. (1982) Measuring behavioural
disturbance of elderly demented patients in the community and its effects on
relatives: A factor analytic study. In: Age and Aging, Vol. 2, 121-126
Gröning, Katharina (2001) Familiendynamik und Demenz. In: Edu.care. Ev.
Gesellschaft für Aus- und Fortbildung in der Pflege gGmbH (Hrsg.) Schritte
aus der Verlorengegangenheit. Dokumentation der Fachtagung am
6.Novmber 2001. Duisburg, 7-13
Gröning, Katharina (2004) Häusliche Pflege und therapeutischer Blick. In: Neue
Praxis, 3, 292- 302
Gröning, Katharina; Kunstmann, Anne-Christin & Rensing, Elisabeth (2004) In
guten wie in schlechten Tagen. Konfliktfelder der häuslichen Pflege.
Frankfurt M.: Mabuse-Verlag
355
Gross, J.J.; Carstensen, L.L.; Pasupathi, M.; Tsai, J.; Goetestam Skorpen, C. &
Hsu, A.Y.C. (1997) Emotion and aging: Experience, expression, and control.
In: Psychology and Aging, Vol. 12, 590-599
Gubrium, Jaber F. (1995) Taking stock. In: Qualitative Health Research, Vol. 5,
No. 3, 267-269
Gunzelmann, Thomas (1991) Die Versorgung dementiell erkrankter älterer
Menschen durch die Familie. Stand der Forschung und Entwicklung eines
psychosozialen Beratungskonzeptes. Inaugural-Dissertation. Bamberg
Gunzelmann Thomas; Gräßel, Elmar; Adler, Corinne & Wilz Gabriele (1996)
Demenz im „System Familie“. In: System Familie, 9, 22-27
Gwyther, L.P. & Blazer, D.G. (1984) Family therapy and the dementia patient.
American Family Physician, Vol. 29, 149-156
Habermas, Jürgen (1985) Die neue Unübersichtlichkeit. Frankfurt: Suhrkamp
Haddad, P.M. & Benbow, S.M. (1993) Sexual problems associated with
dementia. Part 1. Problems and their consequences. In: International
Journal of Geriatric Psychiatry, Vol. 8, 547-551
Haley, W.E.; Levine, E.G., Brown, S.L. et al. (1987) Stress, appraisal, coping and
support as predictors of adaptional outcome among dementia caregivers. In:
Psychology and Aging, Vol. 2, 323-330
Haley, William E. & Pardo, Kinta M. (1989) Relationship of severity of dementia to
caregiving stressors. In: Psychology and Aging, Vol. 4, No. 4, 389-392
Halsig, N. (1995) Hauptpflegepersonen in der Familie: Eine Analyse ihrer
Situation, Bedingungen, Belastungen und Hilfsmöglichkeiten. In: Zeitschrift
für Gerontopsychologie und -psychiatrie, 8, Heft 4, 247-262
Hardwig, J. (1990) What about the family? Hastings Center Report, 20, 5-10
Harper, S. & Lund, D.A. (1990) Wives, husbands and daughters caring for
institutionalised and non-institutionalized dementia patients: Toward a model
of caregiver burden. In: International Journal of Aging and Human
Development, Vol. 30, 241-262
Harris, Phyllis B. (1993) The misunderstood caregiver ? A qualitative study of the
male caregiver of Alzheimer’s Disease victims. In: The Gerontologist, Vol.
33, No. 4, 551-556
Harris, Phyllis Braudy (2002) The voices of husbands and sons caring for a family
member with dementia. In: Kramer BJ & Thompson EH jr. (Eds.) Men as
caregivers. Theory, research, and service implications. New York, Springer,
213-233
Hassebrauck, M. (1995) Kognitionen und Beziehungsqualität:
Prototypenanalyse. In: Zeitschrift für Sozialpsychologie, 26, 160-172
Eine
Hatfield, E. (1984) The dangers of intimacy. In: Derlega, V.J. (ed.)
Communication, intimacy, and close relationships. Orlando: Academic
Press, 207-220
Hazan, C. & Shaver, P. (1987) Romantic love conceptualised as an attachment
process. In: Journal of Personality and Social Psychology, 52, 511-524
Heckhausen, J. & Krüger, J. (1993) Developmental expectations for the self and
most other people: Age-grading in three functions of social comparison. In:
Developmental Psychology, Vol. 102, 284-304
356
Hendryx-Beladov; Patricia M. (1999) Effects of caregiver communication on the
outcomes of requests in spouses with dementia of the Alzheimer Type. In:
International Journal of Aging and Human Development, Vol. 49, No. 2, 127148
Hennerici, M.G. (1997) Vaskuläre Demenzen. In: Förstl, Hans (Hrsg.) Lehrbuch
der Gerontopsychiatrie. Stuttgart: Enke, 309-330
Hepburn, Kenneth; Lewis, Marsha L.; Narayan, Suzanne; Tornatore, Jane B.;
Bremer Karin Lindstrom & Sherman, Carey Wexler (2002) Discourse-derived
perspectives: Differentiating among spouses’ experiences of caregiving. In:
American Journal of Alzheimer’s Disease and Other Dementias, Vol. 17, No.
4, 213-226
Hill, Reuben (1949) Families under stress: Adjustment to the crisis of war
separation and reunion. Westport, CT: Greenwood Press
Hill, R. (1958) Generic features of families under stress. In: Social Casework, Vol.
39, 139-150
Hinrichsen, Gregory A. & Niederehe, George (1994) Dementia management
strategies and adjustment of family members of older patients. In: The
Gerontologist, Vol. 34, No. 1, 95-102
Hirsch, Rolf D. (1994) Beratung und Psychotherapie alter Menschen in der
Bundesrepublik Deutschland. In: Buijssen, Huub P.J. & Hirsch, Rolf D.
(Hrsg.) Probleme im Alter. Diagnose, Beratung, Therapie, Prävention.
Weinheim: Psychologie Verlags Union, 1-10
Hopf, Christel (2003) Qualitative Interviews – ein Überblick. In: Flick, Uwe; von
Kardorff, Ernst & Steinke, Ines (Hrsg.) Qualitative Forschung. Ein Handbuch.
Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag. 349-360
Holz, Petra (1998) Wann nutzen pflegende Angehörige Hilfsangebote – Barrieren
bei der Inanspruchnahme von Hilfen. In: Bayerisches Staatsministerium für
Arbeit
und
Sozialordnung,
Familie,
Frauen
und
Gesundheit;
Angehörigenberatung Nürnberg e.V. (Hrsg.) Dokumentation der Fachtagung
„Bayerisches Netzwerk Pflege – Angehörigenarbeit. „Handwerkszeug für die
Praxis“, 28./29.10.1998, Stein bei Nürnberg, 54-64
Honneth, Axel (1992) Kampf um Anerkennung: Zur moralischen Grammatik
sozialer Konflikte. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
Honneth, Axel (1995) Zwischen Gerechtigkeit und affektiver Bindung. Die Familie
im Brennpunkt moralischer Kontroversen. In: Deutsche Zeitschrift für
Philosophie, 43, 6, 989-1004
Hooker, Karen; Monahan, Deborah; Shifren, Kim & Hutchinson, Cheryl (1992)
Mental and physical health of spouse caregivers: the role of personality. In:
Psychology and Aging, Vol. 7, No. 3, 367-375
Hooker, Karen ; Frazier, Leslie D. & Monahan, Deborah J. (1994) Personality and
coping among caregivers of spouses with dementia. In: The Gerontologist,
Vol. 34, No. 3, 386-392
Hooker, Karen; Monahan, Deborah J.; Bowman, Sally R.; Frazier, Leslie D. &
Shifren, Kim (1998) Personality counts for a lot: predictors of mental and
physical health of spouse caregivers in two disease groups. In: Journal of
Gerontology, Psychological Sciences, Vol. 53B, No. 2, P73-P85
Hooker, Karen; Manoogian-O’Dell, Margaret; Monahan, Deborah J.; Frazier,
Leslie D. & Shifren, Kim (2000) Does type of disease matter? Gender
357
differences among Alzheimer’s and Parkinson’s disease spouse caregivers.
In: The Gerontologist, Vol. 40, No. 5, 568-573
Hooyman, N.R. & Kiyak, H.A. (1993) Social Gerontology, Boston MA: Allyn &
Bacon
Horowitz, Amy & Shindelman, Lois W. (1983) Reciprocity and affection: Past
influences on current caregiving. In: Journal of Gerontological Social Work,
Vol. 5, 5-20
Horowitz, Amy (1985) Family caregiving to the frail elderly. In: Eisdorfer, C. (Ed.)
Annual Review of Gerontology and Geriatrics, Vol. 5, New York: Springer,
194-246
Hradil, S. (Hrsg.) (1992) Zwischen Bewusstsein und Sein. Opladen: Leske und
Budrich
Hughes, M. (1997) „That triggers me right off“: Factors influencing abuse and
violence in older people’s care-giving relationships. In: Australian Journal on
Ageing, Vol. 16, No. 2, 53-60
Hunter, A.G. & Davies, J.E. (1992) Constructing gender: An exploration of AfroAmerican men’s conceptualisation of manhood. In: Gender & Society, Vol. 6,
464-479
Intrieri, Robert C. & Rapp, Stephen R. (1994) Self-controll skillfulness and
caregiver burden among help-seeking elders. In: Journal of Gerontology,
Vol. 49, P19-P23
Jaeggi, Eva & Hollstein, Walter (2000) Wenn Ehen alter werden: Liebe, Krise,
Neugeginn. 7. Auflage, München, Zürich: Piper
Jansen, Birgit (1999) Informelle Pflege durch Angehörige. In: Jansen, B.; Karl, F.;
Radebold, H. & Schmitz-Scherzer, R. (Hrsg.) Soziale Gerontologie. Ein
Handbuch für Lehre und Praxis. Weinheim und Basel: Beltz, 604-628
Jansson, Wallis; Nordberg, Gunilla & Grafström, Margareta (2001) Patterns of
elderly spousal caregiving in dementia care: an obersational study. In:
Journal of Advanced Nursing, Vol. 34, No. 6, 804-812
Jaspers, K. (1912) Die phänomenologische Forschungsrichtung in der
Psychopathologie. Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie, 9,
391-408
Jecker, Nancy S. (1995) What do husbands and wives owe each other in old
age? In: McCullough, Laurence B.; Wilson, Nancy L. (Eds.) Long-term care
decisions. Ethical and conceptual dimensions. Baltimore, Maryland, 155-180
Johns, S.; Hydle, I. & Aschjem, Ö. (1991) The act of abuse: A two-headed
monster of injury and offense. In: Journal of Elder Abuse Neglect, Vol. 3, 5364
Kallmeyer,
W.
&
Schütze,
F.
(1977)
Zur
Konstitution
von
Kommunikationsschemata der Sachverhaltsdarstellung. In: Wegener, D.
(Hrsg.) Gesprächsanalysen, Hamburg: Buske, 159- 274
Kahn, Robert L. & Antonucci, Toni C. (1980) Convoys over the life corse:
Attachment, roles and social support. In: Baltes, P.B. & Brim, O.G. (Eds.)
Lifespan development and behavior. New York: Academic Press, 253-286
Kalicki, Bernhard (2003) Attribution in Partnerschaften. In: Grau, Ina & Bierhoff,
Hans-Werner (Hrsg.) Sozialpsychologie der Partnerschaft. Berlin u.a.:
Springer, 377-402
358
Kanowski, Siegfried (1995) Was ist von einer Demenztherapie zu erwarten? In:
Arbeitskreis Gesundheit im Alter (Hrsg.) VII. Bonner Symposium 28. Juni
1995. Waldbröl
Kaye, L.W. & Applegate, J.S. (1994) Older men and the family caregiving
orientation. In: Thompson, E. (Ed.) Older men’s lives, Thousand Oaks, CA:
Sage, 197-219
Kelly, G.A. (1955) The psychology of personal constructs. New York: Norton
Kemper, Susan; Anagnopoulos, Cheryl; Lyons, Kelly & Heberlein, Wendy (1994)
Speech accommodations to dementia. In: Journal of Gerontology:
Psychological Sciences, Vol. 49, No. 5, P223-P229
Kemper, Susan; Lyons, Kelly & Anagnopoulos, Cheryl (1995) Joint storytelling by
patients with Alzheimer’s disease and their spouses. In: Discourse
Processes, Vol. 20, 205-217
Kempler, D. (1991) Language changes in dementia of the Alzheimer’s type. In:
Lubinski, R. (Ed.) Dementia and communication, Hamilton, ON: B.C. Decker,
98-114
Kenny, D.A. & Acitelli, L.K. (2001) Accuracy and bias in the perception of the
partner in a close relationship. In: Journal of Personality and Social
Psychology, 80, 39-448
Kernberg, O. (1978) Borderline-Störungen und pathologischer Narzißmus.
Frankfurt am Main: Suhrkamp
Kiecolt-Glaser, Janice K.; Dura, Jason; Speicher, Carl E.; Trask, o. Joseph &
Glaser, Ronald (1991) Spousal caregivers of dementia victims: Longitudinal
changes in immunity and health. In: Psychosomatic Medicine, Vol. 53, 345362
Kiecolt-Glaser, Janice K.& Glaser, Ronald (1994) Caregivers, mental health, and
immune function. In: Light, E.; Niederehe G. et al. (Eds) Stress effects pm
family caregivers of Alzheimer’s patients: Research and interventions. New
York: Springer, 64-75
Kießling-Sonntag, Jochem (2003) Handbuch Trainings- und Seminarpraxis.
Berlin: Cornelsen
Kinney, J.M. & Stephens, M.A.P. (1989) Hassles and uplifts of giving care to a
family member with dementia. In: Psychology and Aging, Vol. 4, 402-408
Kipp, Johannes (1992) Imaginäre Lebenswelten – Bewältigungsstrategien bei
akuten psychischen Erkrankungen im Alter. In: Petzold, Ch. & Petzold, H.G.
(Hrsg.) Lebenswelten alter Menschen. Konzepte, Perspektiven,
Praxisstrategien. Hannover: Vincentz Verlag
Kirsi, Tapio; Hervonen, Antti & Jylhä, Marja (2000) A man’s gotta do what a
man’s gotta do: Husbands as caregivers of their demented wives: A discours
analytic approach. In: Journal of Aging Studies, Vol. 14, No. 2, 153-169
Kitwood, Tom (1997) Dementia reconsidered: The person comes first.
Philadelphia: Open University Press
Kitwood, Tom (2000) Demenz. Der personenzentrierte Ansatz im Umgang mit
verwirrten Menschen. Göttingen, Toronto, Seattle: Huber
Klein, Robert F.; Dean, Alfred & Bogdonoff, Morton D. (1967) The Impact of
Illness upon the spouse. In: Journal of Chronic Diseases, Vol. 20, 241-248
Knop, Debra S.; Bergman-Evans, Brenda & McCabe, Barbara W. (1998) In
sickness and in health: An exploration of the perceived quality of the marital
359
relationship, coping, and depression in caregivers of spouses with
Alzheimer’s Disease. In: Journal of Psychosocial Nursing, Vol. 36, No. 1, 1621
Kohut, H. (1972) Thoughts on narcissism and narcissistic rage. In: Self
Psychology and the Humanities: Reflections on a New Psychoanalytic
Approach. Markhaven: Penguin Books, 1985
Kohut, H. & Wolf, E. (1978) The disorders of self and their treatment. An outline.
In: International Journal of Psycho-Analysis, Vol. 59, 413-425
Koppetsch, Cornelia (2001) Die Pflicht zur Liebe und das Geschenk der
Partnerschaft: Paradoxien von Paarbeziehungen. In: Huinink, Johannes;
Strohmeier, Klaus Peter & Wagner, Michael (Hrsg.) Solidarität in
Partnerschaft
und
Familie.
Zum
Stand
familiensoziologischer
Theoriebildung. Würzburg: Ergon Verlag, 219-240
Krach, Constance Anne (1998) The effects of gender and multiple role
obligations on the experience of care-related stress: An examination of
stress proliferation among spousal and adult-child caregivers. In:
Dissertation Abstracts International: Section A: Humanities and Social
Sciences, Vol. 59 (6-A9, pp. 2191
Kramer, Betty J. (1993a) Marital history and the prior relationship as predictors of
positive and negative outcomes among wife caregivers. In: Family Relations,
Vol. 42, 367-375
Kramer, Betty J. (1993b) Expanding the conceptualisation of caregiver coping:
The importance of relationship-focused coping strategies. In: Family
Relations, Vol. 42, 383-391
Kramer, Betty J. & Vitaliano, Peter P. (1994) Coping: A review of theoretical
frameworks and the measures used among caregivers of individuals with
dementia. In: Journal of Gerontological Social Work, Vol. 23 (1/2), 151-174
Kramer, Betty J. (1997a) Gain in the caregiving experience: Where are we? What
next? In: The Gerontologist, Vol. 37, No. 2, 218-232
Kramer, Betty J. (1997b) Differential predictors of strain and gain among
husbands caring for wives with dementia. In: The Gerontologist, Vol. 37, No.
2, 239-249
Kramer, Betty J. & Lambert, James David (1999) Caregiving as a life course
transition among older husbands: A prospective study. In: The Gerontologist,
Vol. 39, No. 6, 658-667
Kramer, Betty J. (2000) Husbands caring for wives with dementia: A longitudinal
study of continuity and change. In: Health & Social Work, Vol. 25, No. 2, 97107.
Kramer, Betty J. (2002) Men as caregivers: An overview. In: Kramer BJ;
Thompson E H (Eds.) Men as caregivers. Theory, research, and service
implications. New York: Springer, 3-19
Krause, N.; Liang, J. & Keith, V. (1990) Personality, social support, and
psychological distress in later life. In: Psychology and Aging, Vol. 5, 315-326
Kropiunigg, Ulrich (1999) Alzheimer’s disease as a result of „wrong“
compensation. In: The Journal of Individual Psychology, Vol. 55, No. 4, 395409
Kruse, Andreas (1991) Partnerschaft bei chronischer Erkrankung und im Prozeß
des Sterbens. In: Karl, F.; Friedrich, I. (Hrsg) Partnerschaft und Sexualität im
Alter. Darmstadt: Steinkopff, 79-104
360
Kruse, Andreas (1994) Alter im Lebenslauf. In: Baltes, P.B.; Mittelstraß, J. &
Staudinger, U. (Hrsg.) Alter und Altern: Ein interdisziplinärer Studientext zur
Gerontologie. Berlin, New York: de Gruyter, 331-355
Kübler-Ross, E. (1969) In death and dying. New York: Macmillan Publishing Co.
Kuhlmey, Adelheid & Hitzblech, Tanja (2002) Partnerschaft und Sexualität im
Alter.
In:
Kath.
Erwachsenenbildung
Rheinland-Pfalz,
Landesarbeitsgemeinschaft e.V. (Hrsg.) Das dritte Leben. Neue Bilder des
Alterns. Mainz: Syntact Gesellschaft für Bildung, Beratung und Service mbH,
36-42
Kuhn, Daniel R.; Morhardt, Darby J. & Monbrod-Framburg, Geraldine (1993)
Late-life marriages, oder stepfamilies, and Alzheimer’s disease. In: Families
in Society: The Journal of Contemporary Human Services, Vol. 74, No. 3,
154-162
Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) (Hrsg.) (2003) Kleine Datensammlung
Altenhilfe. Zusammengestellt und bearbeitet von Anne Kleiber. Köln
Kurz, A.; Feldmann, R.; Müllers-Stein, M. & Romero, B. (1987) Der
demenzkranke ältere Mensch in der Familie: Grundzüge der
Angehörigenberatung. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 20, 248251
Lambrecht, Petra; Bracker, Maren; Dallinger, Ursula & Wagner, Ruth (1992) Die
Pflegebereitschaft von Männern. Kassel, Selbstverlag der Interdisziplinären
Arbeitsgruppe
für
Angewandte
Soziale
Gerontologie
(ASG),
Gesamthochschule Kassel, ASG – Veröffentlichung Nr. 20
Lang, Frieder R. (2000) Soziale Beziehungen im Alter: Ergebnisse der
empirischen Forschung. In: Wahl, Hans-Werner & Tesch-Römer, Clemens
(Hrsg.) Angewandte Gerontologie in Schlüsselbegriffen. Stuttgart u.a.:
Verlag W. Kohlhammer, 142-147
Latane, B. & Darley, J.M. (1970) The unresponsive bystander: Why doesn’t he
help? New York: Appleton-Century-Crofts
Lauer, R.H. & Lauer, J.C. (1986) „Till death do us part“ New York: Hayworth
Press
Lauer, R.H.; Lauer, J.C. & Kerr, S. (1990) The long-term marriage. Perceptions of
stability and satisfaction. In: International Journal of Aging and Human
Development, Vol. 31, 189-195
Lawrence, Renée H.; Tennstedt, Sharon L. & Assmann, Susan F. (1998) Quality
of the caregiver-care recipient relationship: Does it offset negative
consequences of caregiving for family caregivers? In: Psychology and
Aging, Vol. 13, 150-158
Lawton, M.P. (1984) The varieties of well-being. In: Malatesta, C.Z. & Izard, C.E.
(Eds.) Emotion in adult development. Beverly Hills, CA: Sage, 67-84
Lawton, Powell M.; Moss, Miriam; Kleban, Morton H.; Glicksman, Allen & Rovine,
Michael (1991) A two-factor model of caregiving appraisal and psychological
well-being. In: Journal of Gerontology, Psychological Sciences, Vol. 46,
P181-P189
Layman, David E. (2002) Predicting spousal caregiver beliefs about alzheimer’s
disclosure to affected partners: To tell or not to tell. In: Dissertation Abstracts
International: Section A: Humanities & Social Sciences, Vol. 62 (10-A), pp.
3517
361
Lazarus, L. (1980) Psychology and the psychotherapy with the elderly. Theory
and practice. In: Journal of Geriatric Psychiatry, Vol. 13, No. 1, 69-88
Lazarus, Richard S. (1966) Psychological stress and the coping process. New
York: McGraw-Hill
Lazarus, Richard S. & Launier, Raymond (1981) Stressbezogene Transaktionen
zwischen Person und Umwelt. In: Nitsch, J.R. (Hrsg.) Streß, Theorien,
Untersuchungen, Maßnahmen. Bern: Huber, 231-259
Lazarus, Richard S. & DeLongis, Anita (1983) Psychological stress and coping in
aging. In: American Psychologist, Vol. 38, 245-254
Lazarus, Richard S. & Folkman, Susan (1984) Stress, appraisal, and coping.
New York: Springer
Lazarus, Richard S. & Folkman, Susan (1987) Transactional theory and research
on emotions and coping. In: Laux, L. & Vossel, G. (Eds.) Personality in
biographical stress and coping research. European Journal of Personality,
Vol. 1, (Sp. Issue No. 3)
Lazarus, Richard S. (1991) Emotion and adaption. New York: Oxford University
Press
Leinonen, Esa; Korpisammal, Lea; Pulkkinen, Lea-Mari & Pukuri, Tarja (2001)
The comparison of burden between caregiving spouses of depressive and
demented patients. In: International Journal of Geriatric Psychiatry, Vol. 16,
387-393
Lenz, Karl (2003) Soziologie der Zweierbeziehung. Eine Einführung. Wiesbaden:
Westdeutscher Verlag
Levine, Norman B.; Gendron Carole E.; Dastoor, Dolly P.; Poitras, Lorraine R.;
Sirota, Suzanne E.; Barza, Susan L. & Davis, Jonathan C. (1984) Existential
issues in the management of the demented elderly patient. In: American
Journal of Psychotherapy, Vol. 38, No. 2, 215-223
Lewin, Lewis M. & Lundervold, Duane A. (1990) Behavioral analysis of
separation-individuation conflict in the spouse of an Alzheimer’s disease
patient. In: The Gerontologist, Vol. 30, No. 5, 703-705
Lewis, Marsha; Hepburn, Kenneth; Narayan, Suzanne; Lally,
Robin M.;
Corcoran-Perry, Sheila; Maddox, Melitta Dropkin, Kyla & Hasse, Susan
(2000) Decision-making by family caregivers of elders experiencing
dementia. In: American Journal of Alzheimer’s Disease and Other
Dementias, Vol. 15, No. 6; 361-366
Lewis, Rose D.H. (1998) The impact of the marital relationship on the experience
of caring for an elderly spouse with dementia. In: Aging and Society, Vol. 18,
209-231.
Li, Lydia W.; Seltzer, Marsha M. & Greenberg, Jan S. (1997) Social support and
depressive symptoms: Differential patterns in wife and daughter caregivers.
In: Journal of Gerontology: Social Sciences, Vol. 52B, S200-S211
Lindgren, C.L. (1996) Chronic sorrow in persons with Parkinson’s disease and
their spouses. In: Scholary Inquiry for Nursing Practice, Vol. 6, No. 10, 27-40
Lindgren, Carolyn L.; Connelly, Carolyn T. & Gaspar, Heidi L. (1999) Grief in
spouse and children caregivers of dementia patients. In: Western Journal of
Nursing Research, Vol. 21, No. 4, 521-537
Litwak, E. (1985) Helping the elderly: The complementary roles of informal
networks and formal systems. New York: Guilford Press
362
Litz, Brett T.; Zeiss, Antonette M. & Davies, Helen D. (1990) Sexual concerns of
male spouses of female Alzheimer’s disease patients. In: The Gerontologist,
Vol. 30, No. 1, 113-116
Lösel, Friedrich & Bender, Doris (2003) Theorien und Modelle der
Paarbeziehung. In: Grau, Ina & Bierhoff, Hans-Werner (Hrsg.)
Sozialpsychologie der Partnerschaft, Berlin u.a.: Springer, 43-75
LoGiudice, D.; Waltrowicz, W. & McKenzie, S.; Ames, D. & Flicker, L. (1995)
Prevalence of dementia among patients referred to an aged care
assessment team and associated stress in their carers. In: Australian
Journal of Public Health, Vol. 19, 275-279
Lüders, Inge (1994) Angehörige in der Pflege – Störfaktor oder Ressource im
professionellen Pflegesystem. In: Braun, H.; Klie, T.; Kohnert, M. & Lüders, I.
(Hrsg.) Zukunft der Pflege. Beiträge zur Pflegediskussion in Altenarbeit und
Gerontologie. Schriftenreihe der HaFa, Bd. 8, Melsungen: Bibliomed, 165183
Luhmann, Niklas (1982) Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Frankfurt
a. M.: Suhrkamp taschenbuch wissenschaft
Lutzky, Steven M. & Knight, Bob G. (1994) Explaining gender differences in
caregiver distress: The roles of emotional attentiveness and coping styles.
In: Psychology and Aging, Vol. 9, 513-519
Lyotard, J.F. (1986) Das postmoderne Wissen – Ein Bericht. Wien: Böhlau
Magai, Carol; Hartung, Renata & Cohen, Carl I. (1995) Caregiver distress and
behavioral symptoms. In: Brian A. Lawlor (Eds.) Behavioral complications in
Alzheimer's disease. Washington DC, London England, 223-243
Majerovitz, S. Deborah (1994) The role of family coping styles in psychological
adjustment of spouse caregivers to dementia patients. In: Dissertation
Abstracts International: Section B: The Sciences & Engineering, Vol. 54 (9B), pp. 4967
Majerovitz, S. Deborah (1995) Role of family adaptability in the psychological
adjustment of spouse caregivers to patients with dementia. In: Psychology
and Aging, Vol. 10, No. 3, 447-457
MaloneBeach Eileen E. & Zarit, Steven H. (1995) Dimensions of social support
and social conflict as predictors of caregiver depression. In: International
Psychogeriatrics, Vol. 7, No. 1, 25-37
Mason, J. (1996) Gender, care and sensibility in family and kin relationships. In:
Holland, J. & Adkins, L. (Eds.) Sex, sensibility and the gendered body.
London: Macmillan
Masters, W. & Johnson, V. (1970) Human sexual inadequacy. Boston: Little
Brown
Mauss, Marcel (1989) Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in
archaischen Gesellschaften. In: Ders. (Hrsg.) Soziologie und Anthropologie,
Band 2, Frankfurt M.: Fischer
Mayer, Mira (2001) Chronic sorrow in caregiving spouses of patients with
Alzheimer’s Disease. In: Journal of Aging and Identity, Vol. 6, No. 1, 49-60
Mayring, Philipp (1996) Exemplarische qualitative Ansätze und ihre Bedeutung
für die Gesundheitsforschung. In: Brähler, Elmar & Adler, Corinne (Hrsg.)
Quantitative Einzelfallanalysen und qualitative Verfahren. Gießen:
Psychosozial Verlag, 129-146
363
Mayring, Philipp (2002) Einführung in die qualitative Sozialforschung. Weinheim:
Psychologie Verlags Union. 5. Auflage
McAdams, D.P. (1980) A thematic coding system for the intimacy motive. In:
Journal of Research in Personality, 14, 413-432
McCoy, M.M. (1977) A reconstruction of emotion. In: Bannister, D. (Ed.) New
perspectives in personal construct theory. London: Academic Press
McCubbin, Hamilton I. & Patterson, Joan M. (1982) Family adaption to crisis. In:
McCubbin H.I.; Cauble, A.E. & Patterson, J.M. (Eds.) Family stress, coping,
and social support. Springfield IL: Charles C. Thomas
McCubbin, Hamilton I. & Patterson, Joan (1983) Family transitions: Adaption to
stress. In: McCubbin, H.I. & Figley, D. (Eds.) Stress and the family. Vol. 1:
Coping with normative transitions. New York: Brunner/Mazel
McCubbin, H.I. & Thompson, A.I. (1987) Family assessment inventories for
research and practice. Madison WI: The University of Wisconsin-Madison
Mead, George H. (1977) On social psychology. Chicago: University of Chicago
Press
Meier Robinson, Karen (1990) Predictors of burden among wife caregivers. In:
Scholary Inquiry for Nursing Practice, Vol. 4, 189-203
Meier, D; Ermini-Fünfschilling D.; Monsch, A.U. & Stähelin, H.B. (1999)
Pflegende Familienangehörige von Demenzpatienten. Ihre Belastungen und
Bedürfnisse. In: Zeitschrift für Gerontopsychologie und –psychiatrie, 12, 2,
85-96
Meinders, Frauke (2001) Sind Angehörige von chronisch kranken älteren
Menschen nur belastet? Positives Erleben und Lebenszufriedenheit bei
Angehörigen
dementiell
erkrankter
Menschen.
Rehalbilitationswissenschaften, Rehabilitationspsychologie, Band 1, hrsg.
Von Jürgen Bengel & Wilfried H. Jäckel, Regensburg: S. Roderer Verlag
Meuser, Thomas M. & Marwit, Samuel J. (2001) A comprehensive, stagesensitive model of grief in dementia caregiving. In: The Gerontologist, Vol.
41, No. 5, 658-670
Mezey, Mathy; Kluger, Malvina; Maislin, Greg & Mittelman, Mary (1996) Lifesustaining treatment decisions by spouses of patients with Alzheimer’s
disease. In: Journal of the American Geriatrics Society, Vol. 44, 144-150
Mijuskovic, B. (1996) The phenomenology and dynamics of loneliness. In:
Psychology: A Journal of Human Behavior, Vol. 33, 41-51
Miller, Baila (1987) Gender and control among spouses of the cognitively
impaired; A research note. In: The Gerontologist, Vol. 27, No. 4, 447-453
Miller, Baila & Cafasso, Lynda (1992) Gender differences in caregiving: Fact or
artefact? In: The Gerontologist, Vol. 32, No. 4, 498-507
Miller, Baila & Kaufman, Julie E. (1996) Beyond gender stereotypen: spouse
caregivers of persons with dementia. In: Journal of Aging Studies, Vol. 10,
No. 3, 189-204
Miller, Baila & Guo, Shenyang (2000) Social support for spouse caregivers of
persons with dementia. In: Journal of Gerontology, Social Sciences, Vol.
55B, No. 3, S163-S172
Miller, E. (1977) Abnormal aging. London: John Wiley and Sons
364
Mills, J. & Clark, M.S. (1982) Communal and exchange relationships. In:
Wheeler, L. (Ed.) Review of personality and social psychology, Beverly Hills,
CA: Sage, 121-144
Minnemann, Elisabeth (1994) Die Bedeutung sozialer Beziehungen für die
Lebenszufriedenheit im Alter. Regensburg: Roderer
Mollenhauer, K. (1964,1968) Einführung in die Sozialpädagogik. Weinheim
Monahan, Deborah J. & Hooker, Karen (1995) Health of spouse caregivers of
dementia patients: The role of personality and social support. In: Social
Work, Vol. 40, No. 3, 305-314
Monahan, Deborah J. & Hooker, Karen (1997) Caregiving and social support in
two illness groups. In: Social Work, Vol. 42, No. 3, 278-287
Monroe, S.M. & Simons, A.D. (1991) Diathesis-strss theories in the context of life
stress research: Implications for the depressive disorders. In: Psychological
Bulletin, Vol. 110, 406-425
Montgomery, R.J.V.; Gonyea, J.G. & Hooyman, N.R. (1985) Caregiving and the
experience of subjective burden. In: Family Relations, Vol. 34, 19-26
Montgomery, Rhonda J.V. & Kosloski, Karl (1994) A longitudinal analysis of
nursing home placement for dependant elders cared for by spouses vs adult
children. In: Journal of Gerontology, Social Sciences, Vol. 49, No. 2, S62S74
Morgan, Debra G. & Laing, Gail P. (1991) The diagnosis of Alzheimer’s disease:
Spouse’s perspectives. In: Qualitative Health Research, Vol. 1, No. 3, 370387
Morris, Lorna W.; Morris, Robin G. & Britton, Peter G. (1988) The relationship
between marital intimacy, perceived strain and depression in spouse
caregivers of dementia sufferers. In: British Journal of Medical Psychology,
Vol. 61, 231-236
Moritz, Deborah J.; Kasl, Stanislav V. & Berkman, Lisa F. (1989) The health
impact of living with a cognitively impaired elderly spouse: depressive
symptoms and social functioning. In: Journal of Gerontology: Social
Sciences, Vol. 44, No. 1, S17-27
Morycz, Richard K. (1985) Caregiving strain and the desire to institutionalise
family members with Alzheimer’s disease. In: Research on Aging, Vol. 7,
320-361
Motenko, Kopito Aluma (1989) The frustrations, gratifikations, and well-being of
dementia caregivers. In: The Gerontologist, Vol 29, No. 2, 166-172
Mui, Ada C. & Morrow-Howell, Nancy (1993) Sources of emotional strain among
the oldest caregivers. In: Research on Aging, Vol. 15, No. 1, 50-69
Murray, J.M.; Mantela, M.V. & Shuttleworth A. (1997) Caring for an older spouse
with a psychiatric illness. In: Aging and Mental Health, Vol. 1, No. 3, 256-260
Murray, Joanna & Livingstone, Gill (1998) A qualitative study of adjustment to
caring for an older spouse with psychiatric illness. In: Aging and Society, Vol.
18, 659-671
Murray, Joanna; Schneider, Justine; Banerjee, Sube & Mann, Anthony (1999)
Eurocare: A cross-national study of co-resident spouse carers for people
with Alzheimer's disease: II A qualitative analysis of the experience of
caregiving. In: International Journal of Geriatric Psychiatry, Vol. 14, 662-667
365
Narayan, Suzanne; Lewis, Marsha; Tornatore, Jane; Hepburn, Kenneth &
Corcoran-Perry, Sheila (2001) Subjective responses to caregiving for a
spouse with dementia. In: Journal of Gerontological Nursing, Vol. 27, No. 3,
19-28
Nathanson, C.A. (1990) The gender-mortality differential in developed countries:
Demographic and sociocultural dimensions. In: Ory, M.G. & Warner, H.R.
(Eds.) Gender, health, and longevity: Multidisciplinary perspectives. New
York: Springer, 3-24
Nave-Herz, Rosemarie (2004) Ehe- und Familiensoziologie. Eine Einführung in
Geschichte, theoretische Ansätze und empirische Befunde. Weinheim u.a.:
Juventa
Navon, Liora & Weinblatt, Nurit (1996) „The show must go on“: Behind the
scenes of elderly spousal caregiving. In: Journal of Aging Studies, Vol. 10,
No. 4, 329-342
Neisser, U. & Winograd E. (1988) Remembering reconsidered: Ecological and
traditional approaches to the study of memory. Cambridge MA: Cambridge
University
Neundorfer, M.M. (1991) Coping and health outcomes in spouse caregivers of
persons with dementia. In: Nursing Research, Vol. 40, 260-265
Nolen-Hoeksema, S. (1987) Sex differences in unipolar depression; Evidence
and theory. In: Psychological Bulletin, Vol. 101, 259-282
Noonan, Anne E.; Tennstedt, Sharon L. & Rebelsky, Freda G. (1996) Making the
best of it: Themes of meaning among informal caregivers to the elderly. In:
Journal of Aging Studies, Vol. 10, No. 4, 313-327
Nunley, Barbara Lynn (2002) Stress, hardiness, and psychological distress of
elderly spousal caregivers of persons with dementia. In: Dissertation
Abstracts International: Section B: The Sciences & Engineering, Vol. 63 (2B), pp.742
O’Connor, D.W.; Pollitt, P.A.; Roth, M. et al. (1990) Problems reported by
relatives in a community study of dementia. In: British Journal of Psychiatry,
Vol. 156, 835-841
O’Connor, Deborah (1993) The impact of dementia: A self-psychological
perspective. In: Journal of Gerontological Social Work, Vol. 20, No. 3/4, 113128
O’Connor, Deborah (1995) Supporting spousal caregivers: Exploring the meaning
of service use. In: Families in Society: The Journal of Contemporary Human
Services,Vol. 76, No. 5, 296-305
O’Connor, Deborah L. (1999) Living with a memory-impaired spouse:
(Re)cognizing the experience. In: Canadian Journal on Aging, Vol. 18, No. 2,
211-235
O’Donnell, Mary E. (1998) The lived experience of uncertainty for spouse
caregivers of people with Alzheimer’s disease. In: Dissertation Abstracts
International: Section B: The Sciences & Engineering, Vol. 59 (6-B). pp.
2685
O’Donnell, Mary E. (2000) The long gray tunnel: The day-to-day experience of
spouse caregivers of people with Alzheimer’s disease. In: Scholary Inquiry
for Nursing Practice: An International Journal, Vol. 14, No. 1, 47-71
366
Olbrich, E. (1991) Partnerschaft und Liebe im Erwachsenenalter und Alter:
Entwicklung in der Beziehung. In: Karl, Fred & Friedrich, Ingrid (Hrsg.)
Partnerschaft und Sexualität im Alter, Darmstadt; Steinkopff, 31-51
Oliver, R. & Bock, F.A. (1985) Alleviating the distress of caregivers of Alzheimer’s
disease patients: A rational-emotive therapy model. In: Clinical
Gerontologist, Vol. 3, 17-34
Olk,
Thomas
(2000)
Weder
Rund-um-Versorgung
noch
„pure”
Eigenverantwortung – aktivierende Strategien in der Sozialpolitik. In:
Informationsdienst Altersfragen, Dt. Zentrum für Altersfragen. Heft 3,4, 27.
Jg. (http://www.fh-fulda.de/dza/3-4-00.htm)
Olshansky, S. (1962) Chronic sorrow. A response to having a mentally defective
child. In: Social Casework, Vol. 43, 192-193
Olson, David H. (1989) Circumplex model of family systems VIII: Family
assessment and intervention. In: Olson D; Russell, C. & Sprenkle D. (Eds.)
Circumplex model: Systemic assessment and treatment of families. New
York: The Haworth Press Inc., 7-50
Olson, D.H. (1991a) Commentary: Three-dimensional (3-D) circumplex model
and revised scoring of FACES III. In: Family Process, Vol. 30, 74-79
Olson, D.H. (1991b) Family types and response to stress. In: Journal of Marriage
and the Family, Vol. 53, 786-798
Orana, Celia J. (1990) Temporality and identità loss due to Alzheimer’s disease.
In: Social Science in Medicine, Vol. 30, 1247-1256
Orange, J.B.; Van Gennep, Karen M.; Miller, Linda & Johnson, Andrew M. (1998)
Resolution of communication breakdown in dementia of the Alzheimer’s
type: A longitudinal study. In: Journal of Applied Communication Research,
Vol. 26, 120-138
O’Rourke, Norm; Haverkamp, Beth E.; Tuokko, Holly; Hayden, Sherri & Beattie,
B. Lynn (1996) The relative contribution of subjective factors to expressed
burden among spousal caregivers of suspected dementia patients. In:
Canadian Journal on Aging, Vol. 15, No. 4, 583-596
O’Rourke, Norm & Wenaus, Cameron A. (1998) Marital aggrandizement as a
mediator of burden among spouses of suspected dementia patients. In:
Canadian Journal on Aging, Vol. 17, No. 4, 384-400
O’Rourke, Norm & Cappeliez, Philippe (2002) Perceived control, coping, and
expressed burden among spouses of suspected dementia patients: Analysis
of the goodness-of-fit hypothesis. In: Canadian Journal on Aging, Vol. 21,
No. 3, 385-392
Ovid (1990) Metamorphosen. In der Übertragung von Johann Heinrich Voß.
Frankfurt a.M.: Insel Taschenbuch
Owens, Stephen-Jerome (2000) The effects of dementing and non-dementing
illnesses on long-term marriages. In: Dissertation Abstracts International:
Section B: The Sciences & Engineering, Vol. 62 (6-B), pp. 2962
Pagel, M.D.; Becker, J. & Coppel, D.B. (1985) Loss of control, self-blame and
depression: An investigation of spouse caregivers of Alzheimer’s disease
patients. In: Journal of Abnormal Psychology, Vol. 94, 169-182
Parker, Gillian (1993) With this body. Caring and disability in marriage.
Buckingham, Open University Press
367
Parsens, Karen (1997) The male experience of caregiving for a family member
with Alzheimer’s disease. In: Qualitative Health Research, Vol. 7, No. 3, 391407
Pattison, E.M. (1978) The living-dying process. In: Garfield, C.A. (Ed.)
Psychosocial care of the dying patient. New york: McGraw-Hill, 133-168
Paun, Olimpia (2003) Older women caring for spouses with Alzheimer’s Disease
at home: Making sense of the situation. In: Health Care for Women
International, Vol. 24, 292-312
Paveza, G.; Cohen, D.; Eisdorfer, C. et al. (1992) Severe family violence and
Alzheimer’s disease: Prevalence and risk factors. In: The Gerontologist, Vol.
32, 493-497
Pearlin, Leonhard I. & Schooler, Carmi (1978) The structure of coping. In: Journal
of Health and Social Behavior, Vol. 19, 2-21
Pearlin, Leonhard I.; Mullan, Joseph T.; Semple, Shirley J.; Skaff, Marilyn M.
(1990) Caregiving and the stress process: an overview of concepts and their
measures. In: The Gerontologist, Vol. 30, No. 5, 583-594
Perry, JoAnn (2002) Wives giving care to husbands with Alzheimer’s disease: A
process of interpretative caring. In: Research in Nursing & Health, Vol. 25,
307-316
Perry, JoAnn & O’Connor, Deborah (2002) Preserving personhood:
(Re)membering the spouse with dementia. In: Family Relations, Vol. 51, No.
1, 55-62
Peters, Meinolf (2004) Klinische Entwicklungspsychologie des Alters. Grundlagen
für psychosoziale Beratung und Psychotherapie. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht
Pillemer, Karl & Suitor, J. Jill (1992) Violence and violant feelings: What causes
them among family caregivers? In: Journal of Gerontology: Social Sciences,
Vol. 47, S165-S172
Pinquart, Martin & Sörensen, Silvia (2002) Interventionseffekte auf Pflegende
Dementer und anderee informelle Helfer: Eine Metaanalyse. In: Zeitschrift
für Gerontopsychologie und –psychiatrie, Vol. 15, No. 2, 85-100
Pollitt, P.A.; Anderson, I. & O’Connor, D.W. (1991) For better or for worse: The
experience of caring for an elderly dementing spouse. In: Ageing and
Society, Vol. 11, 443-469
Pollmann, Judith Westphal (2000) The use of humor by caregivers of spouses
with Alzheimer’s disease. In: Dissertation Abstracts International: Section B:
The Sciences & Engineering, Vol. 61 (2-B), pp. 782
Poulshock, Walter S. & Deimling, Gary T. (1984) Families caring for elders in
residence: issues in the measurement of burden. In: Journal of Gerontology,
Vol. 39, No. 2, 230-239
Prager, K.J. (2000) Intimacy in personal relationships. In: Hendrick, C. &
Hendrick, S. (eds.) Close relationships – A sourcebook. Thousand Oaks:
Sage Publications, 229-242
Priester, Klaus (2004) Pflegeversicherung und Demenz. Probleme,
Handlungsbedarf und Gestaltungsoptionen. In: Jahrbuch für Kritische
Medizin 40: Demenz als Versorgungsproblem. Hamburg: Argument Verlag,
102-119
368
Pruchno, Rachel A. & Resch, Nancy L. (1989a) Mental health of caregiving
spouses: coping as mediator, moderator or main effect? In: Psychology and
Aging, Vol. 4, No. 4, 454-463
Pruchno, Rachel A. & Resch, Nancy L. (1989b) Aberrant behaviors and
Alzheimer’s disease: mental health effects on spouse caregivers. In: Journal
of Gerontology, Vol. 44, No. 5, 177-182.
Pruchno, Rachel; Kleban, Morton H.; Michaels, J. Eileen & Dempsey, Norah P.
(1990) Mental and physical health of caregiving spouses: development of a
causal model. In: Journal of Gerontology: Psychological Sciences, Vol. 45,
No. 5, 192-199
Pruchno, Rachel A.; Michaels, J. Eileen & Potashnik, Sheryl L. (1990) Predictors
of institutionalization among Alzheimer disease victims with caregiving
spouses. In : Journal of Gerontology, Social Sciences, Vol. 45, No. 6, S259266
Ptok, Ursula; Papassotiropoulos, Andreas & Heun, Reinhard (2001) Mental
health in spouses of patients with gerontopsychiatric disorders. In:
International Journal of Geriatric Psychiatry, Vol. 16, 1014-1016
Pullwitt, D.H.; Seibert, C.; Fischer, G.C. (1996) Gesundheitliche Beschwerden
pflegender Frauen durch „störendes Verhalten“ des Gepflegten? In: psycho
22, Nr. 12, 860-868
Purcell, David Lawrence (2000) Effects on spouses of caring for partner with
dementia. In: Dissertation Abstracts International: Section B: The Sciences &
Engeneering, Vol. 60 (8-B), pp. 4268
Quayhagen, Mary P. & Quayhagen, Margaret (1988) Alzheimer’s stress: Coping
with the caregiving role. In: The Gerontologist, Vol. 28, No. 3, 391-396
Quinton, A. (1973) The nature of things. London: Routledge
Qureshi, Hazel & Walker, A. (1989) The caring relationship: Elderly people and
their families. Basingstoke, Hampshire: Macmillan
Rabins, P.V.; Mace, N.L. & Lucas, M.J. (1982) The impact of dementia on the
family. In: Journal of the American Medical Association, Vol. 248, 333-335
Radebold,
Hartmut
(1994a)
Psychoanalytische
Psychotherapie
und
Psychoanalyse im höheren und hohen Erwachsenenalter. In: Zeitschrift für
psychoanalytische Theorie und Praxis, 10, 439-451
Radebold, Hartmut (1994b) Das Konzept der Regression: Ein Zugang zu
spezifischen, bei dementiellen Prozessen zu beobachtenden Phänomenen.
In: Hirsch, Rolf Dieter (Hrsg.) Psychotherapie bei Demenzen. Darmstadt:
Steinkopff, 63-70
Rando, T.A. (Ed.) (1986) Loss and anticipatory grief. Lexington: Lexington Books
Rankin, Eric D.; Haut, Marc W.l. & Keefover, Robert W. (1992) Clinical
assessment of family caregivers in dementia. In: The Gerontologist, Vol. 32,
No. 6, 813-821
Rankin, Eric D.; Haut, Marc W. & Keefover, Robert W. (2001) Current marital
functioning as a mediating factor in depression among spouse caregivers in
dementia. In: Clinical Gerontologist, Vol. 23, No. 3/4, 27-44
Ray, Mo (2000) Older Women, long-term marriage and care. In: Bernard, Miriam
et al. (Eds.) Women Ageing. Changing identities, challenging myths.
London, New York: Routledge, Taylor & Francis Group, 148-167
369
Reedy, M.; Birren, J. & Schaie, K.W. (1981) Age and sex differences in satisfying
love relationships across the adult life span. In: Human Development, 24,
52-66
Reis, H.T. & Shaver, P.R. (1988) Intimacy as an interpersonal process. In: Duck,
S.W. (ed.) Handbook of personal relationships, Chichester: Wiley, 367-389
Reis, M.F.; Gold, D.P.; Gauthier, S. et al. (1994) Personality traits as
determinants of burden and health complaints in caregiving. In: International
Journal of Aging and Human Development, Vol. 39, 257-271
Reisberg, Barry; Ferris, Steven; DeLeon, Mony J. & Crook, Thomas (1982) The
global deterioration scale for assessment of primary degenerative dementia.
In: American Journal of Psychiatry, Vol. 139, 1136-1139
Reker, G.T. (1991, July) Contextual and thematic analysis of sources of
provisional meaning: A life-span perspective. Paper presented at the
Biennial Meetings of the International Society for the Study of Behavioral
Development, Minneapolis, MN
Richter, Horst-Eberhard (2001) Patient Familie. Entstehung, Struktur und
Therapie von Konflikten in Ehe und Familie. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt
Taschenbuch Verlag
Riegel, K.F. (1973) Dialectical operations. The final period of cognitive
development. In: Human Development, Vol. 16, 346-470
Riegel, K.F. (1979) Foundations of dialectical psychology. New York: Academic
Press
Riemann, G. (1987) Das Fremdwerden der eigenen Biographie. Narrative
Interviews mit psychiatrischen Patienten. München.
Riemann, G. & Schütze, F. (1990) Trajectory as a basic theoretical concept for
analyzing suffering and disorderly social processes. In: Maines, D.R. (Hrsg.)
Social organization and social process. Essays in honor of Anselm Strauss.
Hawthorne, New York, S. 333ff.
Ristock, J. & Pennell, J. (1996) Community research as empowerment: Feminist
links, postmodern interruptions. Toronto: Oxford University Press
Roberto, Karen A.; Richter, Judith M.; Bottenberg, Donna J. & Campbell Sean
(1998) Communication patterns between caregivers and their spouses with
Alzheimer’s disease: A case study. In: Archives of Psychiatric Nursing, Vol.
XII, No. 4, 202-208
Robinson-Whelen, Susan & Kiecolt-Glaser, Janice (1997) Spousal caregiving:
Does it matter if you have a choice? In: Journal of Clinical Geropsychology,
Vol. 3, No. 4, 283-289
Rohmann, Elke (2003) Fairness in Beziehungen. In: Grau, Ina & Bierhoff, HansWerner (Hrsg.) Sozialpsychologie der Partnerschaft. Berlin u.a.: Springer,
315-342
Rook, Karen S.; Thuras, Paul D. & Lewis, Megan A. (1990) Social control, health
risk taking, and psychological distress among the elderly. In: Psychology and
Aging, Vol. 5, 327-334
Rose, Sharon K.; Strauss, Milton E.; Neundorfer, Marcia M.; Smyth, Kathleen A.
& Stuckey, Jon C. (1997) The relationship of self-restraint and distress to
coping among spouses caring for persons with Alzheimer’s Disease. In: The
Journal of Applied Gerontology, Vol. 16, No. 1, 91-103
370
Rose-Rego, Sharon K.; Strauss, Milton E. & Smyth, Kathleen A. (1998)
Differences in perceived well-being of wives and husbands caring for
persons with AD. In: The Gerontologist, Vol. 38, No. 2, 224-230
Rosenbaum, Heidi (1982) Formen der Familie. Frankfurt am Main
Rosenfeld, B. (1992) Court-ordered treatment of spouse abuse. In: Clinical
Psychology Review, Vol. 12, 205-226
Rosenmayr, Leopold & Köckeis, Eva (1965) Umwelt und Familie alter Menschen.
Neuwied-Berlin: Luchterhand
Rothbaum, F.; Weisz, T.R. & Snyder, S.S. (1982) Changing the world and
changing the self: A two-process-model of perceived control. In: Journal of
Personality and Social Psychology, Vol. 42, 5-37
Rubinstein, R.L. (1986) Singular paths: older men living alone. New York:
Columbia University Press
Rudd, Marilyn G.; Viney, Linda L. & Preston, Carol A. (1999) The grief
experienced by spousal caregivers of dementia patients: The role of place of
care of patient and gender of caregiver. In: International Journal of Aging
and Human Development, Vol. 48, No. 3, 217-240
Rusbult, C.E. (1987) Responses to dissatisfaction in close relationships. The exitvoice-loyality-neglect-model. In: Perlman, D. & Duck, S. (Eds.) Intimate
Relationships. Development, dynamics, and deterioration. Newbury Park:
Sage, 209-237
Rusbult, C.E.; Drigotas, S.M. & Verette, J. (1994) The Investment Model. An
Interdependence analysis of commitment processes and relationship
maintenance phenomena. In: Canary, D.J. & Stafford, L. (eds.)
Communication and relationship maintenance. San Diego, CA: Academic
Press, 141-164
Russel, Richard (2001) In sickness and in health. A qualitative study of elderly
men who care for wives with dementia. In: Journal of Aging Studies, Vol.15,
351-367
Russo, Joan; Vitaliano, Peter P.; Brewer, Devon D.; Katon, Wayne & Becker,
Joseph (1995) Psychiatric disorders in spouse caregivers of care recipients
with Alzheimer’s Disease and matched controls: A diathesis-stress-modell of
psychopathology. In: Journal of Abnormal Psychology, Vol. 104, No. 1, 197204
Russo, Joan & Vitaliano, Peter P. (1995) Life events as correlates of burden in
spouse caregivers of persons with Alzheimer’s disease. In: Experimental
Aging Research, Vol. 21, 273-294
Ryder, N.B. (1979) The future of american fertility. In: Social Problems, Bd. 26,
Heft 3, 359-370
Ryff, C.D. (1989a) Happiness is everything, or is it? Explorations on the meaning
of psychological well-being. In: Journal of Personality and Social
Psychology, Vol. 57, 1069-1081
Ryff, C.D. (1989b) In the eye of the beholder: Views of psychological well-being
among middle-aged and older adults. In: Psychology and Aging, Vol. 4, 195210
Sarason, B.R.; Pierce, G.R.; Shearin, E.N.; Sarason, I.G.; Waltz, J.A. & Poppe, L.
(1991) Perceived social support and working models of self and actual
others. In: Journal of Personality and Social Psychology, Vol. 60, 273-287
371
Saß, Henning; Wittchen, Hans-Ulrich & Zaudig, Michael (Hrsg.) (1996)
Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen DSM-IV:
übersetzt nach der vierten Auflage des Diagnostic and statistical manual of
mental disorders der American Psychiatric Association. Göttingen, Bern,
Toronto, Seattle
Scanlan, James M.; Vitaliano, Peter P.; Ochs, Hans & Savage, Margret V.
(1998) CD4 and CD8 counts are associated with interactions of gender and
psychosocial stress. In: Psychosomatic Medicine, Vol. 60, 644-653
Schacke, Claudia; Zank & Susanne (2002) „Wozu soll das gut sein?“
Forschungsergebnisse zur Angehörigenbelastung und ihre Relevanz für die
Praxis. In: Mitteilung der Alzheimer Gesellschaft Berlin e.V., Nr. 20, 13.Jg.,
42-47
Schäufele, M. (1994) Versorgung dementer Patienten durch Sozialstationen. In:
Münchener Medizinische Wochenschrift, Jg. 136, H. 54, 644-647
Scheier, M.F.; Matthews, K.A.; Owens, J.F.; Magovern, G.J.; Lefebvre, R.C.;
Abbott, R.A. & Carver, C.S. (1989) Dispositional optimism and recovery from
coronary artery bypass surgery: The beneficial effects on physical and
psychological well-being. In: Journal of Personality and Social Psychology,
Vol. 57, 1024-1040
Scheler, Max (1923) Wesen und Formen der Sympathie. Die deutsche
Philosophie der Gegenwart. Bern: Haupt
Schneekloth, Ulrich; Piekara, Regine; Potthoff, Peter & Von Rosenbladt,
Bernhard (1996) Hilfe- und Pflegebedürftige in privaten Haushalten.
Endbericht. Bericht zur Repräsentativerhebung im Forschungsprojekt
„Möglichkeiten und Grenzen selbständiger Lebensführung.“ Schriftenreihe
des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Bd.
111.2, Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer
Schneekloth, Ulrich & Müller, Udo (2000) Wirkungen der Pflegeversicherung.
Bonn: Bundesministerium für Gesundheit
Schneekloth, Ulrich & Leven, Ingo (2003) Hilfe- und Pflegebedürftige in
Privathaushalten in Deutschland 2002. Schnellbericht. Erste Ergebnisse der
Repräsentativerhebung im Rahmen des Forschungsprojekts „Möglichkeiten
und Grenzen einer selbständigen Lebensführung hilfe- und pflegebedürftiger
Menschen in privaten Haushalten“ (MuG 3). Im Auftrag des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. München:
Infratest Sozialforschung
Schneewind, Klaus & Wunderer, Eva (2003) Prozessmodelle der
Partnerschaftsentwicklung. In: Grau, Ina & Bierhoff, Hans-Werner (Hrsg.)
Sozialpsychologie der Partnerschaft. Berlin u.a.: Springer, 221-256
Schneider, Justine; Murray, Joanna; Banerjee, Sube & Mann, Anthony (1999)
Eurocare: A cross-national study of co-resident spouse carers for people
with Alzheimer's disease: I Factors associated with carer burden. In:
International Journal of Geriatric Psychiatry, Vol. 14, 651-661
Schülein, J.A. (1987) Theorie der Institution. Einen dogmengeschichtliche und
institutionelle Analyse. Opladen: Westdeutscher Verlag
Schütz, Alfred (1971) Gesammelte Aufsätze, Bd. 1 – Das Problem der sozialen
Wirklichkeit. Den Haag: Nijhoff (Origninal 1962: Collected papers, Bd. 1 –
The Problem of social reality. Den Haag.)
Schütze, Fritz (1977) Die Technik des narrativen Interviews in
Interaktionsfeldstudien – dargestellt an einem Projekt zur Erforschung von
372
kommunalen Machtstrukturen. Bielefeld: Universität Bielefeld, Fakultät für
Soziologie (vervielf. Ms.)
Schütze, Fritz (1983) Biographieforschung und narratives Interview. In: Neue
Praxis, 3, 283-293
Schütze, Fritz (1994) Ethnographische und sozialwissenschaftliche Methoden der
Feldforschung. Eine mögliche methodische Orientierung in der Ausbildung
und Praxis der Sozialen Arbeit? In: Groddeck, Norbert & Schuman, Michael
(Hrsg.) Modernisierung sozialer Arbeit durch Methodenentwicklung und –
reflexion. Freiburg i.Br.: Lambertus. 189-297
Schulz, Richard; Visitainer, Paul & Williamson, Gail M. (1990) Psychiatric and
physical morbidity effects of caregiving. In: Journal of Gerontology:
Psychological Sciences, Vol. 45, 181-191
Schulz, Richard; Biegel, David; Morycz, Richard & Visitainer, Paul (1990)
Psychological paradigms for understanding caregiving. In; Light, Enid &
Lebowitz, Barry D. (Eds.) Alzheimer’s disease treatment and family stress.
Directions for research. New York u.a.: Hemisphere Publishing Corporation,
106-121
Schulz, Richard & Williamson, Gail M. (1991) A 2-year longitudinal study of
depression among Alzheimer`s caregivers. In: Psychology and Aging, Vol. 6,
No.4, 569-578
Schulz, Richard; O’Brien, Alison T.; Bookwala, Jamila & Fleissner, Kathy (1995)
Psychiatric and physical morbidity effects of dementia caregiving:
prevalence, correlates, and causes. In: The Gerontologist, Vol. 35, No. 6,
771-791
Schulz, Richard & Beach, Scott R. (1999) Caregiving as a risk factor for mortality.
The caregiver health effects study. In: Journal of the American Medical
Association, Vol. 282, No. 23, 2215-2219
Schwarz, Günter (1996) Leitfaden zur Pflegeversicherung. Schriftenreihe der Dt.
Alzheimer Gesellschaft e.V. Bd. 1. Stuttgart
Scott, Jean P.; Roberto, Karen A. & Hutton, J. Thomas (1986) Families of
Alzheimer’s victims: Family support to the caregivers. In: Journla of the
American Geriatrics Society, Vol. 34, 348-354
Scroggin Wullschleger, Karla; Lund, Dale A.; Caserta, Michael S. & Wright, Scott
D. (1996) Anxiety about aging: A neglected Dimension of caregiver’s
experiences. In: Journal of Gerontological Social Work, Vol. 26 (3/4), 3-18
Seligman, M.E. P. (1975) Helplessness. San Francisco: Freeman
Seltzer, Marsha M. & Li, Lydia W. (2000) The dynamics of caregiving: Transitions
during a three-year prospective study. In: The Gerontologist, Vol. 40, No. 2,
165-178
Senf, Tilman (1995) Pflegende Männer… und es gibt sie doch. Eine Analyse zur
Situation einer kaum wahrgenommenen Minderheit. Stuttgart: Ev.
Heimstiftung. Manuskripte zur Sozialen Gerontologie und Altenpflege, Bd. 5
Shanas, Ethel (1960) Family responsibility and the health of older people. In:
Journal of Gerontology, Vol. 15, 408-411
Shanks-McElroy, Heather A. & Strobino, Jane (2001) Male caregivers of spouses
with AD: Risk factors and health status. In: American Journal of Alzheimer’s
Disease and Other Dementias, Vol. 16, No. 3, 167-175
373
Shaw, William S.; Patterson, Thomas L.; Semple, Shirley J.; Ho, Sandy; Irwin,
Michael R.; Hauger, Richard L. & Grant, Igor (1997) Longitudinal analysis of
multiple indicators of health decline among spousal caregivers. In: Annals of
Behavioral Medicine, Vol. 19, No. 2, 101-109
Shaw, William S.; Patterson, Thomas L.; Ziegler, Michael G.; Dimsdale, Joel E.;
Semple Shirley J. & Grant, Igor (1999) Accelerated risk of hypertensive
blood pressure recordings among Alzheimer’s caregivers. In: Journal of
Psychosomatic Research, Vol. 46, No. 3, 217-227
Shifren, Kim & Hooker, Karen (1995) Stability and change in optimism: A study
among spouse caregivers. In: Experimental Aging Research, Vol. 21, 59-76
Sickendiek, Ursel; Engel, Frank & Nestmann, Frank (2002) Beratung. Eine
Einführung in sozialpädagogische und psychosoziale Beratungsansätze.
Weinheim und München: Juventa
Simmel, Georg (1983) Dankbarkeit. Ein soziologischer Versuch. In: Dahme, J.J.
& Rammstedt, O. (Hrsg.) Schriften zur Soziologie. Frankfurt M.: Suhrkamp,
210-218
Siriopoulos, George; Brown, Yvonne & Wright, Karen (1999) Caregivers of wives
diagnosed with Alzheimer’ disease; Husband’s perspectives. In: American
Journal of Alzheimer’s Disease, Vol. 14, No. 2, 79-87
Skaff, Marilyn M. & Pearlin, Leonard I. (1992) Caregiving: Role engulfment and
the loss of self. In: The Gerontologist, Vol. 32, No. 5, 656-664.
Smerglia, Virginia L. & Deimling, Gary T. (1997) Care-related decision-making
satisfaction and caregiver well-being in families caring for older members.
In: The Gerontologist, Vol. 37, No. 5, 658-665
Snyder, B. & Keefe, K. (1985) The unmet needs of family caregivers of frail and
disabled adults. In: Social Work in Health Care, Vol. 10, 1-14
Soeffner, Hans-Georg (2003) Sozialwissenschaftliche Hermeneutik. In: Flick,
Uwe; von Kardorff, Ernst & Steinke, Ines (Hrsg.) Qualitative Forschung. Ein
Handbuch. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 164-175
Solomon, M. (1989) Narcissism and intimacy. New York: W.W. Norton &
Company
Sowarka, Doris; Schwichtenberg-Hilmert, Beate & Thürkow, Kari (2001) Gewalt
gegen alte Menschen im häuslichen Bereich. In: Informationsdienst
Altersfragen, 28, 5/6, 1-3
Sowarka, Doris; Au, Cornelia & Flascha, Michael (2004) Männer in der
häuslichen Pflege älterer Angehöriger. In: Informationsdienst Altersfragen,
31, 5, 5-8
Spitze, Glenna & Ward, Russel J. (2000) Gender, marriage and expectations for
personal care. In: Research on Aging, Vol. 22, No. 5, 451-469
Srubar, I. (1981) Max Scheler: Eine wissenssoziologische Alternative. In: Stehr,
N. & Meja, V. (Hrsg.) Wissenssoziologie. Kölner Zeitschrift für Soziologie
und Sozialpsychologie, Sonderheft, 343-359
Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2001) Statistisches Jahrbuch 2001, Wiesbaden
Statistisches Bundesamt
Wiesbaden
(Hrsg.)
(2001)
Haushalte
und
Familien
Statistisches Bundesamt (lfd.) Bevölkerungsfortschreibung. Wiesbaden
1999,
374
Steffen, Ann M. & Berger, Steven (2000) Relationship differences in anger
intensity during caregiving-related situations. In: Clinical Gerontologist, Vol.
21, No. 2, 3-19
Steiner-Hummel, Irene (1987) Ehepartner – wenig berücksichtigt. Ein Plädoyer
für die Unterstützung der Altersehe. In: Altenpflege, Vol. 12, No.10, 671-672
Steinhagen-Thiessen, Elisabeth & Borchelt, Markus (1996) Morbidität, Medikation
und Funktionalität im Alter. In: Mayer, K.U. & Baltes, P.B. (Hrsg.) Die
Berliner Altersstudie. Berlin: Akademie-Verlag, 151-184
Stephens, Mary A.P. & Kenney, Jennifer M. (1989) Caregiver stress instruments:
Assessment of content and measurement quality. In: Gerontology Review,
Vol. 2, No. 1, 40-54
Sternberg, R.J. (1995) Love as a story. In: Journal of Social and Personal
Relationships, 12, 541-546
Sternberg, R.J.; Hojjat, M. & Barnes, M.L. (2001) Empirical test of aspects of a
theory of love as a story. In: European Journal of Personality, 15, 199-218
Stinnett, N.; Collins, J. & Montgomery, J.E. (1970) Marital need satisfaction of
older husbands and wives. In: Journal of Marriage and the Family, Vol. 32,
428-434
Stinnett, N.; Carter, J. & Montgomery, J.E. (1972) Older persons’ perceptions of
their marriages. In: Journal of Marriage and the Familiy, Vol. 34, 665-670
Stith, S.; Williams, M. & Rosen, K. (1990) Violence hits home. New York:
Springer Publishing Company
Stöcker, Kerstin; Strasser, Karin & Winter, Monika (2003) Bindung und
Partnerschaftsrepräsentation. In: Grau, Ina & Bierhoff, Hans-Werner (Hrsg.)
Sozialpsychologie der Partnerschaft. Berlin u.a.: Springer. 137-164
Stoller, Eleanor P. & Cutler, Stephen J. (1992) The impact of gender on
configurations of care among married elderly couples. In: Research on
Aging, Vol. 14, No. 3, 313-330
Stone, S. & Spencer, W. (1987) Age and gender differences with the anger
expression scale. In: Educational and Psychological Measurement, Vol. 47,
487-492
Strauss, Anselm F. (1998) Grundlagen qualitativer Sozialforschung. 2. Auflage.
München: Fink, UTB Wissenschaft
Strauss, Anselm F. & Corbin, Juliet M. (1996) Grounded Theory. Grundlagen
qualitativer Sozialforschung. Weinheim: Beltz Psychologie Verlags Union
Strauss, Florian & Stiemert, Sigrid (1995) Qualitative Beratungsforschung. Zur
Perspektivität qualitativer Methoden. In: Flick, Uwe; von Kardorff, Ernst;
Keupp, Heiner; von Rosenstiel, Lutz & Wolff, Stephan (Hrsg.) Handbuch
Qualitative Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und
Anwendungen. Weinheim: Beltz Psychologie Verlags Union, 323-326
Streeter, C.L. & Franklin, C. (1991) Defining and measuring social support. In:
Research on Social Work Practice, Vol. 2, No. 1, 81-98
Stuckey, Jon C. (2001) Blessed assurance. The Role of religion and spirituality in
Alzheimer’s disease caregiving and other significant life events. In: Journal
of Aging Studies, Vol. 15, 69-84
Swann, W.B., Jr. & Gill, M.J. (1997) Confidence and accuracy in person
perception: Do we know what we think we know about our relationship
partners? In: Journal of Personality and Social Psychology, 73, 747-757
375
Teel, Cynthia S. & Press, Allan N. (1999) Fatigue among elders in caregiving and
noncaregiving roles. In: Western Journal of Nursing Research, Vol. 21, No.
4, 498-520
Teising, Martin (1997) Altern – eine Herausforderung an den Narzißmus. In:
Radebold, H. (Hrsg.) Altern und Psychoanalyse. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht, 68-80
Teri, Linda; Truax, Paula; logsdon, Rebecca; Uomoto, Jay; Zarit, Steven;
Vitaliano, Peter P. (1992) Assessment of behavioral problems in dementia:
The revised memory and behavior problems checklist. In: Psychology and
Aging, Vol. 7, 622-631
Tews, Hans Peter (1996) Von der Pyramide zum Pilz. Demographische
Veränderungen in der Gesellschaft. In: Deutsches Institut für
Fernstudienforschung (DIFF)(Hrsg.) Funkkolleg Altern, Studienbrief 2,
Studieneinheit 4, Tübingen
Theut, S.K.; Jordan, L.; Ross, L.A. & Deutsch, S.I. (1991) Caregiver’s anticipatory
grief in dementia. A pilot study. In: International Journal of Ageing and
Human Development, Vol. 33, No. 2, 113-118
Thibaut, J.W. & Kelley, H.H. (1959) The social psychology of groups. New York:
Wiley
Tölle, Rainer (1987) Die Krankengeschichte in der Psychiatrie. In: Jüttemann, G.
& Thomae, H. (Hrsg.) Biographie und Psychologie. (S. 3647). Berlin:
Springer
Thomas, C. & Kelman, H.R. (1990) Gender and the use of health services among
elderly persons. In: Ory, M.G. & Warner, H.R. (Eds.) Gender, health, and
longevity: Multidisciplinary perspectives, New York: Springer, 137-156
Thomas, G.; Fletcher, G.J.O. & Lange, C. (1997) On-line empathic accuracy in
marital interaction. In: Journal of Personality and Social Psychology, 72,
839-850
Thomessen, Bente; Aarsland, Dag; Braekhus, Anne; Oksengaard, Rita; Engedal,
Knut & Laake, Knut (2002) The psychosocial burden on spouses of the
elderly with stroke, dementia and Parkinson’s disease. In: International
Journal of Geriatric Psychiatry, Vol. 17, 78-84
Thompson, E. & Doll, W. (1982) The burden of families coping with the mentally
ill: An invisible crisis. In: Family Relations, Vol. 31, 379-388
Thompson, E.H. (1997) The gendered caregiving of husbands and sons and the
social construction of men caregivers as deviants (unpublished). Presented
at the annual meeting of the American Sociological Association, Toronto
Thompson, Edward H. jr. (2002) What’s unique about men’s caregiving? In:
Kramer BJ; Thompson EH jr. (Eds) Men as caregivers. Theory, research,
and service implications. New York, Springer, 20-47
Tower, Roni Beth & Kasl, Stanislav V. (1996) Gender, marital closeness and
depressive symptoms in elderly couples. In: Journal of Gerontology, Vol.
51B, 115-129
Tower, Roni Beth; Kasl, Stanislav V. & Moritz, Deborah J. (1997) The influence of
spouse cognitive impairment on respondents’ depressive symptoms: the
moderating role of marital closeness. In: Journal of Gerontology: Social
Sciences, Vol. 52B, No. 5, S270-S278
376
Townsend, Aloen; Noelker, Linda; Deimling, Gary & Bass, David (1989)
Longitudinal impact of interhousehold caregiving on adult children’s mental
health. In: Psychology and Aging, Vol. 4, 393-401
Ungerson, Clare (1987) Policy is personal – sex, gender and informal care.
London: Tavistock
Vaugh, C.E.; Snyder, K.S.; Freeman, W.B.; Jones S. & Falloon, I.R. H. (1984)
Family factors in schizophrenic relapse. In: Archives of General Psychiatry,
Vol. 41, 1169-1177
Van der Kooij, Cora (2000) Demenzpflege: Herausforderung an Pflegewissen
und Pflegewissenschaft. In: Tackenberg, Peter & Abt-Zegelin, Angelika
(Hrsg.) Demenz und Pflege. Eine interdisziplinäre Betrachtung. Frankfurt:
Mabuse Verlag, 62-76
Van Gennep, A. (1980) The rites of passage. Chicago: University of Chicago
Press. (Erstausgabe 1908)
Verwoerdt, A. (1976) Clinical Geropsychiatry. Kapitel 3. Baltimore; Waverly
Press, inc.
Viney, L.L. (1990) A constructivist model of psychological reactions to illness and
injury. In: G.J. & R.A. Neimeyer (Eds.) Advances in personal construct
psychology, Vol. 1, New York: JAI Press
Vitaliano, Peter P.; Becker, Joseph; Russo, Joan; Magana-Amato, Ana & Maturo,
Roland D. (1989a) Expressed emotion in spouse caregivers of patients with
Alzheimer’s disease. In: The Journal of Applied Social Sciences, Vol. 13, No.
1, 215- 250
Vitaliano, Peter P.; Maturo, Roland D., Ochs, Hans & Russo, Joan (1989b) A
model of burden in caregivers of DAT patients. In: Light, E. & Lebowitz, B.
(Eds.) Alzheimer’s disease treatment and family stress: Directions for
research. Washington DC: US Government Printing Office, 267-291
Vitaliano, Peter P.; Young, Heather M. & Russo, Joan (1991) Burden: a review of
measures used among caregivers of individuals with dementia. In: The
Gerontologist, Vol. 31, No. 1, 67-75
Vitaliano, Peter P.; Russo, Joan; Young, Heather M.; Teri, Linda & Maiuro,
Roland D. (1991) Predictors of burden in spouse caregivers of individuals
with Alzheimer’s disease. In: Psychology and Aging, Vol.6, No. 3, 392-402
Vitaliano, Peter P.; Young, Heather M.; Russo, Joan; Romano, Joan & MaganaAmato, Ana (1993) Does expressed emotion in spouses predict subsequent
problems among care recipients with AD? In: Journal of Gerontology,
Psychological Sciences, Vol. 48, No. 4, P202-P209
Vitaliano, Peter, P.; Young, Heather M.; Russo, Joan & McCann, Barbara S.
(1994) Type A behavior, anger, and cardiovascular reactivity in caregivers of
Alzheimer’s disease patients and matched controls. In: Light, E.; Niederehe,
G. et al. (Eds.) Stress effects on family caregivers of Alzheimer’s patients:
Research and interventions. New York: Springer, 115-130
Vitaliano, Peter P. (1995) Plasma lipids and their relationships with psychosocial
factors in older adults. In: Journals of Gerontology, Psychological Sciences
and Social Sciences, Vol. 50B, No. 1, P18-P24
Vitaliano, Peter P.; Russo, Joan; Scanlan, James M. & Greeno, Catherine G.
(1996a) Weight changes in caregivers of Alzheimer’s care recipients:
Psychobehavioral predictors. In: Psychology and Aging, Vol. 11, No. 1, 155163
377
Vitaliano, P.P.; Scanlan, J.M.; Frenz, C. & Fujimoto, W. (1996b) Insulin and
glucose: Relationships with hassles, anger and hostility in non-diabetic older
adults. In: Psychosomatic Medicine, Vol. 58, 489-499
Vitaliano, Peter P.; Scanlan, James M.; Siegler, Ilene C.; McCormick, Wayne C.
& Knopp, Robert H. (1998) Coronary heart disease moderates the
relationship of chronic stress with metabolic syndrome. In: Health
Psychology, Vol. 17, No. 6, 520-529
Vogt, Michael (2001) Partnerschaft im Alter als neues Arbeitsfeld psychosozialer
Beratung. Freiburg i.Br. : Lambertus
Vrabec, Nancy J. (1997) Literature Review of social support and caregiver
burden, 1980 to 1995. In: Image: Journal of Nursing Scholarship, Vol. 29,
No. 4, 383-388
Walker, A. (1992) Conceptual perspectives on gender and family caregiving. In:
Dwyer, J.W. & Coward, R.T. (Eds.) Gender, families and elder care.
Thousand Oaks, CA: Sage
Walster, E.; Walster, G.W. & Berscheid, E. (1978) Equity: theory and research.
Boston: Allyn & Bacon Inc.
Waring, E.M; Tillman, Mary P-; Frelick, L.; Russell, Lila & Weisz, G. (1980)
Concepts of intimacy in the general population. In: Journal of Nervous and
Mental Disease, Vol. 168, 471-474
Weber, Max (1956) Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen (1. Aufl. 1922)
Weber-Kellermann, I. (1974)
Sozialgeschichte. Frankfurt
Die
deutsche
Familie.
Versuch
einer
Weiler, P.G.; Chiriboga, D.A. & Black, S.A. (1994) Comparison of mental status
tests: Implications for Alzheimer’s patients and their caregivers. In: Journal
of Gerontology, Vol. 49, S44-S51
Weinberger, D.A. & Schwartz, G.E. (1990) Distress and restraint as
superordinate dimensions of self-reported adjustment; A typology
perspective. In: Journal of Personality, Vol. 58, 381-417
Weiss, R.S. (1996) The attachment bond in childhood and adulthood. In: Parkes,
C.M.; Stevenson-Hinde, J. & Marris, P. (Hrsg.) Attachment across the life
cycle. London/New York: Tavistock/Routledge, 66-76
Wester, F. (1995) Strategieen voor kwalitatief onderzoek. Muiderberg, Coutinho.
4e druk
Wethington, E. & Kessler, R. (1986) Perceived support, received support, and
adjustment to stressful life events. In: Journal of Health and Social Behavior,
Vol. 27, 78-89
Wetterling, T. (1998) Vaskuläre Demenz - ein schlüssiges Konzept? In: Zeitschrift
für Gerontologie und Geriatrie, 31, 36-45
Wilder, D.A.; Teresi, J.A. & Bennett, R.G. (1983) Family burden and dementia. In:
Mayeux, R.I. & Rosen, W.G. (Eds.) The dementias. New York: Raven, 239251
Willi, Jürg (1986) Die Ehe im Alter in psycho-ökologischer Sicht. In: Zeitschrift für
Familiendynamik. 11. Jg., Heft 4, 294-306
Willi, Jürg (2002) Die Zweierbeziehung. Spannungsursachen, Störungsmuster,
Klärungsprozesse, Lösungsmodelle. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt
Taschenbuch, 14. Auflage
378
Williams, Olwen; Keady, John & Nolan, Mike (1995) Younger-onset Alzheimer’s
disease: learning from the experience of one spouse carer. In: Journal of
Clinical Nursing, Vol. 4, 31-36
Williamson, Gail M. & Clark, Margaret S. (1989) Providing Help and desired
relationship type as determinants of changes in moods and self-evaluations.
In: Journal of Personality and Social Psychology, Vol. 56, 722-734
Williamson, Gail M. & Schulz, Richard (1990) Relationship orientation, quality of
prior relationship, and distress among caregivers of Alzheimer’s patients. In:
Psychology and Aging, Vol. 5, 502-509
Williamson, Gail M.; Clark, Margaret S.; Pegalis, Linda J. & Behan, Aileen (1996)
Affective consequences of refusing to help in communal and exchange
relationships. In: Personality and Social Psychology Bulletin, Vol. 22, 34-47
Williamson, Gail M. & Shaffer, David R. (1998) Implications of communal
relationships theory for understanding loss among family caregivers. In:
Harvey, J.H. (Ed.) Perspectives on loss: A sourcebook, Philadelphia u.a.:
Taylor & Francis, 173-187
Williamson, Gail M.; Shaffer David R. & the Family Relationships in Late Life
Project (2000) Caregiver loss and quality of care provided: Preillness
relationship makes a difference. In: Harvey, J.H. & Miller, E.D. (Eds.) Loss
and trauma: General and close relationship perspectives. Philadelphia:
Brunner/Mazel, 230-237
Williamson, Gail; Shaffer, David R. & the Family Relationships in Late Life Project
(2001) Relationship quality and potentially harmful behaviors by spousal
caregivers: How we were then, how we are now. In: Psychology and Aging,
Vol. 16, No. 2, 217-226
Wilz, Gabriele (2002) Belastungsverarbeitung bei pflegenden Angehörigen von
Demenzkranken. Eine Tagebuchstudie. Göttingen, Bern, Toronto, Seattle:
Hogrefe
Winslow, Betty Wethje & Carter, Patricia (1999) Patterns of burden in wives who
care for husbands with dementia. In: Nursing Clinics of North America, Vol.
34, No. 2, 275-287
Wojnar, Jan (2004) Lebensqualität Demenzkranker und betreuender
Angehöriger. In: Jahrbuch für Kritische Medizin 40: Demenz als
Versorgungsproblem. Hamburg: Argument Verlag, 65-82
Wolf, E. (1988) Treating the self. New York: Guilford Press
Wright, Lore K. (1991) The impact of Alzheimer’s disease on the marital
relationship. In The Gerontologist, Vol. 31, No. 2, 224-237
Wright, Lore K. (1993) Alzheimer’s disease and marriage. An intimate account.
Newbury Park, London, New Dehli: Sage Publications
Wright, Lore K. (1994) Alzheimer’s disease afflicted spouses who reamain at
home: Can human dialectics explain the findings? In: Social Science and
Medicine, Vol. 38, No. 8, 1037-1046
Wright, Lore K. (1998) Affection and sexuality in the presence of Alzheimer’s
Disease: A longitudinal study. In: Sexuality and Disability, Vol. 16, No. 3,
167-179
Wright, Lore K.; Hickey, Joanne V.; Buckwalter, Kathleen C.; Hendrix, Shirley A.
& Kelechi, Teresa (1999) Emotional and physical health of spouse
caregivers of persons with AD and stroke. In: Journal of Advanced Nursing,
Vol. 30, No. 3, 552-563
379
Wuest, J.; Erickson, P.K. & Stern, P.N. (1994) Becoming strangers: The changing
family caregiving relationship in Alzheimer’s disease. In: Journal of
Advanced Nursing, Vol. 20, 437-443
Wurm, Susanne (2003) Gesundheit in der zweiten Lebenshälfte. Ergebnisse des
Alterssurveys. In: Informationsdienst Altersfragen, Heft 6, 30. Jg., 2-4
Yalom, I.D. (1980) Existential psychotherapy. New York: Basic Books
Zarit, Steven H.; Reever, Karen E. & Bach-Peterson, Julie (1980) Relatives of the
impaired elderly: correlates of feelings of burden. In: The Gerontologist, Vol.
20, No. 6, 649-655
Zarit, Steven H.; Todd, Pamela A. & Zarit, Judy M. (1986) Subjective burden of
husbands and wives as caregivers: A longitudinal study. In: The
Gerontologist, Vol. 26, 260-266
Zarit, Judith (2001) A tribute to adaptability: Mental illness and dementia in
intimate late-life relationships. In: Generations, Vol. 25, No. 2, 70-74
Zeman, Peter (1997) Häusliche Altenpflegearrangements. Interaktionsprobleme
und Kooperationsperspektiven von lebensweltlichen und professionellen
Helfersystemen. In: Braun, U. & Schmidt, R. (Hrsg.) Entwicklung einer
lebensweltlichen Pflegekultur. Regensburg: Transfer Verlag, 97-112
Zhang, Jianping; Vitaliano, Peter P.; Lutgendorf, Susan K.; Scanlan, James M. &
Savage, Margret V. (2001) Sense of coherence buffers relationship of
chronic stress with fasting glucose levels. In: Journal of Behavioral Medicine,
Vol. 24, No. 1, 33-55
Zintl-Wiegand, Almut (1995) Die intensive Zweierbeziehung zwischen
gebrechlichem und pflegendem Ehepartner. In: Heuft, Gereon; Kruse,
Andreas; Nehm, Hans-Georg; Radebold, Hartmut (Hrsg.) Interdisziplinäre
Gerontopsychosomatik. Braunschweig: MMV Medizin Verlag, 282-292

Documentos relacionados