E-Book - Dülmener Heimatblätter

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E-Book - Dülmener Heimatblätter
Heimatverein Dülmen e. V.
Heft 2, Jahrgang 60, 2013
Heft 2, Jahrgang 60, 2013
In einem feierlichen Rahmen gedachte die Stadt Dülmen, 75 Jahre nach den Novemberpogromen,
am 9. November 2013 ihrer jüdischen Opfer. Von links: Ortwin Bickhove-Swiderski, Bürgermeisterin Lisa Stremlau und Christoph Falley.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Denise Willmer
Gleichschaltung der städtischen Schützenvereine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Schützenvereine vor dem Nationalsozialismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Schützenvereine im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bedeutung der Schützenvereine für die Nationalsozialisten . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Schützenvereine während des Zweiten Weltkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5
7
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Erik Potthoff
Dülmen im Licht – Werbewoche 1930 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
Stefan Sudmann
„Freedom of the City“ für die britische Garnison und die Friedensbewegung in
Dülmen 1983. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Vorbereitungen durch die Stadt Dülmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Proteste aus der Friedensbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Dülmener Proteste als lokale Ausprägung eines bundesweiten Phänomens
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26
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Gisela Timpte
Meine Kindheit im zerstörten Dülmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Hermann Lödding
Ein schrecklich schöner Abenteuerspielplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
Stefan Sudmann
Kinderbewahrschule/Kinderverwahrschule – Der Dülmener Kindergarten vor
dem Ersten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Genehmigung von 1898 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Der neue Kindergarten 1910 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Weitere Raumprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Erik Potthoff
Nachruf auf Reinhold Reuver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
Stefan Sudmann
Neues aus dem Stadtarchiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Wolfgang Werp
Neuerscheinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
Autoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
Zuschriften und Manuskripte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
Denise Willmer
Gleichschaltung der städtischen Schützenvereine
Am Beispiel ausgewählter Dülmener Schützenvereine zeigt Denise Willmer exemplarisch
die Gleichschaltung im Nationalsozialismus. Stellvertretend für alle 18 Schützenvereine
aus Dülmen und Umgebung wurden die Vereine der Innenstadt, Bürgerschützenverein
Dülmen e. V., Schützenverein Kohvedel, Schützenverein Pluggendorf und Nieströter Schützenverein Dülmen für ihre Facharbeit des Schuljahrs 2010/11 am Clemens-BrentanoGymnasium ausgewählt.
Diese Betrachtung scheint besonders interessant, da die Schützenvereine in ihrer
Arbeit gleich zwei Kernziele des Nationalsozialismus verfolgten. Zum einen war ihre Schützentätigkeit für das Ziel der Wehrhaftmachung für die Nationalsozialisten von größtem
Interesse, zum anderen bot ihre tiefe Verwurzelung in der Gesellschaft die Chance zur
Verwirklichung der „Volksgemeinschaft“. Auf diese Punkte geht die Autorin im Verlauf
des hier abgedruckten Beitrages noch genauer ein.
Schützenvereine vor dem Nationalsozialismus
Um die Tätigkeiten der Schützenvereine in den 1930er-Jahren und vor allem in der Zeit
von 1933 bis 1945 verstehen zu können, ist es erforderlich, ihre Vorgeschichte und ihre
Bedeutung für die Gesellschaft zu kennen.
Verankerung der Schützen in der Gesellschaft
Die Schützenvereine in der Region des Münsterlandes sind tief in der Bevölkerung verwurzelt, da sie auf eine lange Tradition zurückblicken können.
Die Anfänge des Schützenwesens lassen sich grob bis ins Mittelalter zurück datieren.
Aus ersten Wehrgemeinschaften, die die Aufgabe hatten, das kommunale Gemeinwesen zu
beschützen, entwickelten sich sogenannte Schützengilden, die im Laufe der Jahrhunderte
des Öfteren jedoch durch Kriege oder ähnliches zerschlagen wurden.1
Daneben ging eine grundlegende Struktur der Schützenvereine der 1930er-Jahre auf eine Welle von Gründungen neuer Vereine zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurück.2 In diese
Zeit nach dem Ende der Besetzung durch Napoleon lassen sich auch die ersten Schützenfeste einordnen. Diese fanden aber nur unregelmäßig statt. Erst um die Jahrhundertwende
wurden sie jährlich abgehalten. Ein Grund dafür ist die Änderung ihres Aufgabenfeldes.
Die zuvor benötigte Schutzleistung wurde durch das Heer des Kaiserreiches übernommen
6
Denise Willmer
Kohvedel: Schützenfest-Frühschoppen 1935
und für die Gilden überflüssig, weshalb die „Verbundenheit zur Heimat sowie die Pflege
der Kameradschaft und des Gemeinschaftssinnes“3 nun zum neuen Zweck der Vereine
wurden.
Wenn auch der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1919 einen Einschnitt für das Vereinsleben
bedeutete, so erlebte dieses während der Weimarer Republik einen erneuten Aufschwung
und Zuwachs. Da die strengen militärischen Beschränkungen des Versailler Vertrages ein
deutsches Heer verboten, fühlten sich große Teile der deutschen Bevölkerung den anderen
Ländern ausgeliefert. Deshalb sah man in der Schützentätigkeit die einzige Möglichkeit,
die Wehrhaftigkeit der Bevölkerung aufrecht zu erhalten.
Erst die Weltwirtschaftskrise von 1929 und die daraus resultierenden finanziellen
Schwierigkeiten stoppten diese Entwicklung.
Bedeutung für die Dülmener Bevölkerung
Dass das Schützenwesen in Dülmen schon seit langer Zeit von großer Bedeutung ist, zeigt
folgende Tatsache deutlich:
Gleichschaltung der städtischen Schützenvereine
7
Für das Jahr 1829 waren in Dülmen und den umliegenden Gemeinden insgesamt
achtzehn Schützengemeinschaften, zum Teil seit Jahrhunderten existent, verzeichnet. Ein
großer Teil der Bevölkerung hatte sich folglich in einer dieser Gemeinschaften organisiert.
Diese verfügten zwar weder über geregelte Vorschriften noch Schießübungen, sie prägten
die grundsätzliche Struktur der späteren Vereine jedoch sehr.4
Das große Interesse an diesen Gemeinschaften blieb seit dieser Zeit ständig bestehen
und lässt sich beispielsweise an den jederzeit gut besuchten Schützenfesten vor allem ab
der Jahrhundertwende verfolgen.
Ein weiterer Beleg dafür, dass das Schützenwesen in Dülmen besonders in den 1930erJahren sehr bedeutungsvoll war, ist die Gründung des Nieströter Schützenvereins im Jahr
1930.
In Anbetracht der allgemeinen finanziellen Notlage durch die Weltwirtschaftskrise
scheint dieser Zeitpunkt ein durchaus ungünstiger zu sein, um einen neuen Verein ins
Leben zu rufen. Die Schützengemeinschaft der „Nieströter“ hatte es zwar vorher schon
gegeben und sie hatten auch schon Schützenfeste veranstaltet, doch der Wunsch nach
der Gründung eines eigenen Vereins entstand erst in dieser Zeit. Deshalb versammelten
sich am 10. Juni 1930 die Interessenten in dieser Angelegenheit, um den Nieströter
Schützenverein zu gründen. Dass trotz der schlechten Situation „der größte Teil der
Versammlung [. . . ] eine gute Portion Optimismus mitgebracht [hatte]“5 und sogar die
Abhaltung eines Schützenfestes beschlossen wurde, zeugt davon, dass die Schützenvereine
sehr wichtig für die Dülmener Bevölkerung waren.
Schützenvereine im Nationalsozialismus
Das nachfolgende Kapitel beleuchtet kritisch die Aktivitäten der Schützenvereine in den
Jahren 1933 bis 1939. Es wird untersucht, inwieweit die Schützenvereine dem als „Gleichschaltung“ bezeichneten Prozess des NS-Regimes unterworfen wurden oder inwieweit sie
sich selbstständig mit der nationalsozialistischen Herrschaft arrangierten.
Bei der Untersuchung des Einflusses des NS-Regimes auf die Schützenvereine muss
ganz klar zwischen denjenigen Vereinen unterschieden werden, die bereits vor 1933 einem
Verband angehörten und denjenigen, die ihre Aktivitäten eigenständig organisierten.
Neuorganisation und Zusammenschluss der sportlichen Dachverbände
Bevor Adolf Hitler im Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde und im März
1933 die NSDAP die Wahlen gewann, gab es in Deutschland im Großen und Ganzen
vier Verbände, in denen große Teile der Schützen organisiert waren. Dieses waren der
8
Denise Willmer
Aufforderung zur Eingliederung in den Deutschen Schützenbund
Gleichschaltung der städtischen Schützenvereine
9
„Deutsche Schützenbund“ und der „Westfälische Schützenbund“ sowie die Kleinkaliberverbände „Kartell“ und „Reichsverband“. Diese vier Verbände wiederum gehörten einer
gemeinsamen Dachorganisation, der „Reichsgemeinschaft für Kleinkaliberschießen“ an.6
Nach den Wahlen im März hatten sich die vier Verbände bereits am 22. April 1933
zur nationalsozialistischen Regierung und deren Zielen bekannt, noch bevor seitens der
Nationalsozialisten Schritte zur Gleichschaltung der Schützenvereine bzw. -verbände
unternommen worden waren.
Diese folgten Ende April mit der Ernennung Hans von Tschammer und Osten zum
Reichssportführer. Seine Aufgabe sollte die Neuorganisation der Verbände sein, die „die
Einrichtung eines Einheitsverbandes, die Reduzierung der Verbandsvielfalt, eine einheitliche Gaugliederung aller Sportverbände und die Einführung des national-sozialistischen
Führerprinzips“7 beinhaltete.
Daraus resultierte im Frühjahr die Gründung des „Deutschen Reichsverbandes für
Leibesübungen“ (im Folgenden abgekürzt durch DRL), der inhaltlich an die Ausrichtung
des Sportes in der Weimarer Republik anknüpfte, der dort bereits gewisse militärische
Elemente zeigte.8
Im Zuge der Neuorganisation schlossen sich schon im Juni 1933 der Deutsche Schützenbund und die Verbände Kartell und Reichsverband zum „Deutschen Schießsportverband“ zusammen, behielten dabei aber ihre organisatorische Eigenständigkeit bei. Dieser
Zusammenschluss verlief aufgrund ihrer vorherigen Zustimmung zum NS-Regime ohne
Probleme. Die Ziele der Neuorganisation ließen sich auch im Westfälischen Schützenbund
realisieren, der im Januar 1934 den Zusatztitel „Gau Westfalen im Deutschen Schützenbund“ bekam.9
Doch aufgrund vieler Spannungen unter den noch eigenständigen Verbänden des Deutschen Schießsportverbandes beschloss der Reichssportführer von Tschammer und Osten
im Januar 1935, alle Verbände aufzulösen und in einen Einheitsverband zu überführen.
Seiner Aufforderung in dieser Sache kamen die Verbände nach. Der neue Verband entstand im Mai 1935 unter dem Namen „Fachamt Schießen – Deutscher Schützenverband
(DSchV)“ und unter der Leitung Ernst von Cleves. Dieser hatte sich bereits ein Jahr vorher
offen zum Nationalsozialismus bekannt.10
Offiziell nahm der Deutsche Schützenverband seine Arbeit am 1. Januar 1936 auf und
erhielt im Frühjahr 1937 eine einheitliche Satzung, welche die Schieß- und Gemeinschaftspflege zum Vereinszweck erklärte. Dass sich der Verband jedoch wesentlich stärker auf
die Wehrhaftmachung konzentrierte, zeigen die folgenden Worte Ernst von Cleves aus
dem Oktober 1937: „Der Verband dient der Wehrertüchtigung und Wehrerhaltung der
breiten Massen des Volkes.“11
10
Denise Willmer
Aufforderung zur Aufstellung einer Schießmannschaft
Gleichschaltung der städtischen Schützenvereine
Zusammenschluss der Schützenvereine
11
12
Denise Willmer
Ab 1936 begann der Deutsche Schützenverband Druck auf diejenigen Vereine auszuüben, welche sich noch keinem Verband angegliedert hatten. Mit Hilfe von Auflösungsandrohungen, polizeilichen Verboten und der Lokalpresse wurde dieser noch
erhöht und gipfelte 1938 in der Anordnung Ernst von Cleves, alle Vereine endgültig
aufzulösen, die sich keinem der Dachverbände angeschlossen hatten.12
Gleichschaltung der Dülmener Schützenvereine
Die vier hier untersuchten Dülmener Schützenvereine „Pluggendorf“, „Kohvedel“, „Nieströter“
und „Bürger“, waren zu Beginn des Nationalsozialismus keine Mitglieder der zuvor genannten
Verbände. Von deren Satzungsregeln waren die
Dülmener Vereine folglich zunächst nicht betroffen. Sie lassen sich den traditionalistisch orientierten Schützenvereinen zuordnen.
Das heißt jedoch nicht, dass die Nationalsozialisten nicht versucht haben, Einfluss auf die Dülmener Schützen zu nehmen. Aus einer Festschrift
des Schützenvereins Kohvedel geht hervor, dass
die Dülmener Schützenvereine bereits im Frühjahr
1933 seitens der NSDAP-Ortsgruppe zum Zusammenschluss gedrängt worden waren. Es lässt sich
dieser Festschrift jedoch auch entnehmen, dass
dieses Anliegen von allen vier Vereinen im April
1933 gemeinsam abgelehnt wurde.13
Ein weiterer Versuch der NSDAP, die ortsansässigen Schützenvereine zum Zusammenschluss
zu bewegen, fand im September 1934 statt. In
diesem Jahr waren die Schützenfeste der jeweiligen Vereine untersagt worden, da die NSDAP ein
allgemeines Schützenfest angeordnet hatte. Die- Schützenumzug in der Tiberstraße, Ecke
ses schon lange in der Lokalpresse angekündig- Coesfelder Straße
te Fest wurde unter „ungewöhnlichem Jahrmarktrummel“14 auf dem Overbergplatz begangen, der
Thron von einem NSDAP-Mitglied zusammengestellt.
Gleichschaltung der städtischen Schützenvereine
13
Trotz positiver Berichterstattung in der Lokalzeitung in den Folgetagen konnte das
vermutliche Ziel der Nationalsozialisten, der Zusammenschluss der Schützenvereine, nicht
verwirklicht werden. Im März hatte die Dülmener Zeitung noch berichtet, eine Kommission
beschäftige sich mit der „Ausarbeitung der gemeinschaftlichen Statuten [. . . ] und [werde]
den Zusammenschluss in die Wege leiten“15 , da die vier Schützenvereine ihre Zustimmung
gegeben hätten. Dieses scheint nicht der Fall gewesen zu sein, da es nach diesem einen
Schützenfest in den folgenden Jahren wieder selbstständige Feste der einzelnen Vereine
gegeben hat.
Dass im Jahr 1936 auch von den Verbänden Druck auf die nicht angeschlossenen
Schützenvereine ausgeübt wurde, machte sich auch in Dülmen bemerkbar. Dieser massive
Versuch der Verbände, die Dülmener Vereine anzugliedern, lässt sich anhand einer ausführlichen Korrespondenz des Bürgerschützenvereins mit dem Gau Westfalen verfolgen.
Am 10. März 1936 erreichte Herrn Göllmann, den Vorsitzenden des Bürgerschützenvereins, ein Brief des Kreissportleiters, in dem er darüber informiert wurde, dass sich jeder
Schützenverein dem DRL anzugliedern habe und die Vereine „dem Deutschen Schützenbund der Fachgruppe I im Schiessportverband eingereiht“16 werden sollten. Weiter heißt
es, dass alle Schützenvereine, welche sich bis zum 1. April 1936 nicht angegliedert hätten,
aufgelöst würden bzw. mit einem Verbot der Abhaltung von Vereinsfesten zu rechnen hätten, da diese von nun an genehmigungspflichtig seien.17 Damit sich die Vereinsführer über
die Beitrittsbedingungen und Zwecke des Verbandes informieren konnten, wurden diese
zu einer Informationsveranstaltung gebeten, die am 15. März 1936 in Münster stattfinden
sollte.18
Aufgrund der drohenden Auflösung hielten die Vereine außerordentliche Versammlungen ab, um über die Eingliederung in den Deutschen Schützenbund zu beraten. Aus
dem Protokoll der Vorstandssitzung des Bürgerschützenvereins vom 19. März 1936 geht
hervor, dass dieser beschloss, die Eingliederung sofort vorzunehmen.19 Auch die anderen
drei Vereine scheinen dem Deutschen Schützenbund beigetreten zu sein, dieses jedenfalls
wird in der Chronik des Schützenvereins Kohvedel vermutet, da es keine gesicherten Informationen darüber gibt.20 Als Reaktion auf die Eingliederung des Bürgerschützenvereins in
den Deutschen Schützenbund wurden dem Vereinsvorstand (inzwischen Alfred Löhning)
Fragebögen zugesandt, in denen genaue Informationen zum Beispiel zur Gründung des
Vereins, zur Zahl der Mitglieder oder zu Art und Anzahl der verwendeten Waffen angeben
werden mussten.21 Es folgte die Bestätigung der Eingliederung, in welcher dem Verein
mitgeteilt wurde, dass der „Reichsverband Deutscher Kleinkaliber-Schützenverbände“
diejenige Gruppe des Deutschen Schützenverbandes sei, in die der Bürgerschützenverein
endgültig eingereiht wurde. In dieser Bestätigung wurde nochmal aufgeführt, dass eine
14
Denise Willmer
Beitritt des Vereins „Horrido“ zu den Bürgerschützen
Gleichschaltung der städtischen Schützenvereine
15
Ablehnung der Eingliederung die Auflösung des Vereins zur Folge habe. Ebenfalls wurde
angeordnet, das „Führerprinzip“ mit sofortiger Wirkung einzuführen, sofern dies noch
nicht geschehen sei.22
Wie bereits angesprochen, konzentrierten sich ab
1937 die Ziele des DSchV
auf die Wehrhaftmachung.
Ein Brief vom 7. Juni 1937
des Gauschützenführers an
den Vorsitzenden, Alfred
Löhning, bestätigt dieses.
In diesem Schreiben wurde verlangt, dass der Bürgerschützenverein eine aktive Schießmannschaft aufstellt, außerdem wurde wiederum betont, dass es „Genehmigung[en] für irgendwelche Vereinsveranstaltungen“23 erst nach der Aufstellung geben wird. Auf diesen Brief folgte seitens der
Dülmener Schützen sofortiger Widerspruch. Die angeblich fehlende Schießmannschaft habe schon seit März
1936 existiert, was auch dem
Vereinigung der Schützenvereine
Unterkreisführer Pelster ge24
meldet worden sei. Dieses
schien den Verband zufrieden zu stellen, es gibt jedenfalls keine weitere erhaltene Korrespondenz bezüglich dieses
Themas.
Ein letzter und auch erfolgreicher Versuch zur Gleichschaltung der Dülmener Schützenvereine begann im Jahr 1938. Dieser bestand erneut darin, die vier Schützenvereine
zu einem einzigen großen Verein zusammenzuschließen. Von wem die Veranlassung ausging, lässt sich anhand der vorhandenen Informationen nicht genau herausfinden. Man
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Denise Willmer
kann jedoch vermuten, dass dieser Versuch entweder, wie schon vorher, von der NSDAPOrtsgruppe oder aber dem DSchV ausging. Am 5. August 1938 wurden sämtliche Vereinsführer vom Unterkreisschützenführer zusammengerufen und ihnen wurde der Vorschlag
unterbreitet, alle Dülmener Vereine zusammenzulegen. Die Vereinsführer beschlossen
vor ihrer Zustimmung ihre Mitglieder zu befragen. Diese Befragung schien bei allen
Vereinen negativ ausgefallen zu sein, da es zunächst zu keiner Zusammenlegung kam. Zumindest beim Nieströter Schützenverein ergab die Abstimmung „eine hundertprozentige
Antwort [. . . ], worin [der] Vorschlag abgelehnt wurde“25 .
Es muss im Verlauf des Jahres jedoch erneut die Aufforderung oder Idee zum Zusammenschluss gegeben haben, da sich am 2. Dezember 1938 erneut eine Versammlung der
oben genannten Vereine sowie des Schießvereins „Horrido“ ergab, die über einen möglichen Zusammenschluss beraten sollte. Ergebnis dieser Verhandlungen war der Beschluss,
„dass sämtliche Schützenvereine grundsätzlich mit einer Zusammenlegung einverstanden“26 seien, eine zeitnahe Lösung jedoch aufgrund nötiger Vorarbeiten nicht möglich sei.
Es ist ebenfalls erfasst, dass zu diesen Beratungen neben den Vereinsführern auch „die
politische Leitung, der SA-Standartenführer [. . . ], [und] der Bürgermeister der Stadt“27
hinzugezogen wurden.28
Der DSchV wurde ebenfalls von dem Vorhaben der Vereine informiert (falls nicht
sogar die Anordnung dieses Schrittes von diesem ausgegangen war). Am 28. Dezember
1938 erbat der Gauschützenführer von Alfred Löhning Informationen bezüglich der Zusammenlegung und gab vor, dass die Eingliederungsunterlagen des neuen Vereins bis zum
10. Januar 1939 beim Gau eingereicht sein müssten.29
Nach dem Verstreichen der Frist bat der Gauschützenführer am 12. Januar 1939 erneut
um Informationen über den Stand der Verhandlungen, worauf der Bürgerschützenverein
mitteilte, dass es zwar noch Verhandlungen, jedoch noch kein endgültiges Ergebnis gebe.30
Aus der Chronik des Schützenvereins Kohvedel geht hervor, dass der damalige Bürgermeister von Dülmen am 1. Februar 1939 bei einer Versammlung endgültig die Anordnung
gegeben hat, die Dülmener Vereine zusammenzulegen.31 Bei dieser Versammlung konnten
sich die Anwesenden, wenn auch „nach längeren Auseinandersetzungen“32 , schließlich einigen. Die Schützenvereine Bürgerschützenverein Dülmen e. V., Schützenverein Kohvedel,
Schützenverein Pluggendorf, Nieströter Schützenverein und der K. K. S. V. Horrido vereinigten sich zum „Allgemeinen Bürgerschützen-Verein von 1551 e. V. Dülmen“, in dem die
ehemaligen Vereine als Kompanien unter ihrem bisherigen Namen erhalten bleiben und
ihre Übungsschießen selbstständig organisieren sollten.33
Dieser Beschluss wurde dem DSchV am 14. Februar 1939 durch Alfred Löhning
mitgeteilt, der bis zur Wahl eines Vorsitzenden weiter mit diesem in Verbindung stand.34
Gleichschaltung der städtischen Schützenvereine
17
Auf diese Mitteilung folgte am 17. Februar 1939 die Antwort des Gauschützenführers. Mit
einem Dank über die Anstrengungen bezüglich der Zusammenlegung übersandte dieser
den Wunsch, dass der neue Verein „einer glücklichen, erfolgreichen Zukunft entgegengehen
möge, zu seiner Ehre und Nutzen [. . . ] einer großen wehrhaften deutschen Schützenidee“35 .
Die Dülmener Zeitung berichtete am 15. Februar 1939 mit folgenden Worten über den
Zusammenschluss: „Nach vielen Wochen und Monaten, ja nach Jahren der Bemühungen,
ist es nunmehr gelungen, die Einigkeit im Dülmener Schützenvereinswesen herzustellen.
Alle Bedenken wurden zurückgestellt, alle Schwierigkeiten überwunden. Der einigende
Gedanke der Kameradschaft und der staatspolitischen Notwendigkeit siegten und führten
zum Zusammenschluß.“36
Die erste Generalversammlung des neuen Allgemeinen Bürgerschützen-Vereins fand
unter Anwesenheit der ehemaligen Vereinsführer sowie der Ortsgruppenleiter der NSDAP
und des Bürgermeisters Heinrich Helms am 4. März 1939 statt. Bei dieser wurden der
Bürgermeister zum neuen Vereinsführer gewählt und die Ziele des Vereins als „Pflege des
wehrpolitischen Gedankens, der Tradition und der Kameradschaft“37 festgelegt.38
In einer Rede nach seiner Wahl zum Vereinsführer betonte Bürgermeister Helms,
er „hoff[e], daß es gelingen werde, gemeinsam die alte Tradition des Schützenwesens
im Sinne [der] nationalsozialistischen Staatsführung und Weltanschauung zum Ansehen
zu bringen“39 . Damit knüpfte er im Großen und Ganzen an die Absichten an, die die
Verbände schon seit längerer Zeit verfolgten.
Mit dem Zusammenschluss der Dülmener Vereine zu einem Großverein und der
anschließenden Wahl des Bürgermeisters, eines NSDAP-Mitglieds, zum Vereinsführer
kann man die Gleichschaltung der Dülmener Vereine als abgeschlossen ansehen.
Zwischenfazit
Nach der Untersuchung der Zusammenlegung der Dachverbände und der Dülmener
Schützenvereine lässt sich folgendes Zwischenfazit ziehen:
Was die Schützenverbände angeht, so hat es zwar seitens des NS-Regimes massive Eingriffe in deren Organisationsstruktur gegeben, eine Zustimmung, vielleicht sogar
Aneignung der nationalsozialistischen Ziele war jedoch schon vorhanden, bevor die Nationalsozialisten aktiv in das Schützenwesen eingriffen.40 Dieser aktive Eingriff begann
erst im Jahr 1935 mit der Entstehung des Deutschen Schützenverbandes und der Ernennung eines bekennenden Nationalsozialisten zum Verbandsführer. Doch schon ab 1933
arrangierten sich die Schützenverbände mit dem Nationalsozialismus und setzten einer
Neuordnung des Schützenwesens wenig entgegen.
18
Denise Willmer
Was die Dülmener Schützenvereine angeht, so entsteht ein anderes Bild. Obwohl
diese seit 1933 beständig dem Versuch eines Zusammenschlusses ausgesetzt waren, so
zeigen die mehrfachen eindeutigen Ablehnungen jedoch, dass die Dülmener Schützen
nicht bereit waren, sich dem Nationalsozialismus ohne Weiteres anzupassen. Erst als den
eigenständigen Vereinen die Auflösung drohte, mussten sie notgedrungen einem Verband
beitreten, der den Einfluss des Nationalsozialismus auf das Dülmener Schützenwesen
erheblich erhöhte. Doch auch eine Zusammenlegung der eigenständigen Vereine konnte
erst durchgesetzt werden, als erneut mit der Auflösung gedroht wurde. Die Dülmener
Schützen wehrten sich folglich so lange wie möglich gegen die Gleichschaltung durch die
Nationalsozialisten, konnten sich dieser letztendlich aber nicht entziehen.
Bedeutung der Schützenvereine für die Nationalsozialisten
Die Schützenvereine boten die Möglichkeit, gleich zwei Kernziele des Nationalsozialismus zu verwirklichen. Zum Einen war dies die „Volksgemeinschaft“, eine von den
Nationalsozialisten propagierte Gesellschaftsform des deutschen Volkes, in der es keine
Standesunterschiede geben sollte41 , zum Anderen war dies die Wehrhaftmachung der
Deutschen. Deren Bedeutung soll im folgenden Kapitel dargestellt werden.
Schützenfeste als Mittel zur Realisation der „Volksgemeinschaft“
Das Modell der „Volksgemeinschaft“ war eine wesentliche Stütze des NS-Regimes und
daher von großer Bedeutung. Diese Gemeinschaftsform musste jedoch erst hergestellt
werden, wozu die Nationalsozialisten verschiedene Mittel, unter anderem auch die Schützenfeste, nutzten.
Die regionalen Feste der Schützenvereine stellten in den meisten Orten einen Höhepunkt aller stattfindenden Feiern dar. Die große Wirkung der Schützenfeste begründet
Werner Freitag damit, dass durch das gemeinschaftliche Handeln im Sinne der Tradition
die vermittelten Ideen und Ideale, Probleme und Lösungen verinnerlicht werden.42 Diesen Effekt machten sich die Nationalsozialisten zunutze, indem sie große Schützenfeste
veranstalteten, an denen alle „Volksgenossen“ teilhaben sollten. Solch ein Fest wurde
auch in Dülmen gefeiert, nämlich das allgemeine Schützenfest im Jahr 1934, von dem
bereits die Rede war. In vielerlei Hinsicht wurde dieses Fest dazu instrumentalisiert, die
„Volksgemeinschaft“ zu etablieren.
Bereits im März des Jahres wurde in der Dülmener Zeitung davon berichtet, dass
geplant sei, ein „einheitliches große[s] Schützenfest einmal im Jahre [zu veranstalten],
da ein solches Vorgehen auch der Volksverbundenheit des nationalsozialistischen Staates
Gleichschaltung der städtischen Schützenvereine
19
entspräche“43 . Nachdem dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt worden war, fand das
Schützenfest vom 1. bis zum 3. September des Jahres statt. Auf dem Overbergplatz begann
das Fest mit außergewöhnlicher Aufmachung.44 Bereits am 2. September erschien in der
Dülmener Zeitung erneut ein Artikel, der alle Bürger aufforderte, das Schützenfest zu
besuchen, und der den Zusammenhalt der Dülmener Bürger mit den Worten betonte: „Und
da wir heute im nationalsozialistischen Staate leben, finden sich alle im Kreise zusammen.
Da gibt’s keinen Standesunterschied mehr, da gibt’s nur eine Volksgemeinschaft. [. . . ] so
wird nun auch im geselligen Leben das Zusammengehörigkeitsgefühl gepflegt werden.“45
Diese überaus positive Berichterstattung übte eine Art sozialen Druck auf die Dülmener
Bevölkerung aus, das Schützenfest besuchen zu müssen und die „Volksgemeinschaft“
mitzugestalten. Auch nach Beendigung der Feierlichkeiten setzten sich die Artikel in
der Lokalzeitung fort. Auch in diesen war die Betonung der „Volksgemeinschaft“ der
zentrale Aspekt. Sätze wie: „Das Allgemeine Schützenfest sammelte alle Kreise Dülmens
in Harmonie und freudiger Stimmung“46 und „Alle Schützen [. . . ] fanden sich wieder
und feierten ohne Rücksichtnahme auf die Zugehörigkeit zu den seitherigen einzelnen
Schützenvereinen“47 zeigen dies deutlich. Auch der Schützenkönig, ein NSDAP-Mitglied,
betonte in seiner Rede seine Freude über den Zusammenhalt der Dülmener Gesellschaft
und forderte die Bürger auf, auch weiterhin fest zusammenzuhalten ohne von der sozialen
Stellung beeinflusst zu werden.48
Schützenfeste waren für den Nationalsozialismus folglich ein gutes Mittel, um die
„Volksgemeinschaft“ zu realisieren, was das Dülmener Beispiel zeigt.
Rolle der Schützenvereine für die Kriegsvorbereitung
Aus demselben Grund, aus dem den Schützenvereinen in der Weimarer Republik eine
große Bedeutung zukam, waren sie auch für die Nationalsozialisten wichtig. Sie boten die
Möglichkeit, eine breite Masse der Bevölkerung wehrhaft zu machen.
Mit der Einführung der Wehrpflicht im Jahr 1935 entfiel jedoch die Aufgabe, ausgebildete Schützen für den Kriegsfall bereitzustellen. Daher setzten sich die Verbände zum
Ziel, die Wehrmacht so gut wie möglich zu unterstützen.49
Inwieweit Maßnahmen zur Wehrhaftmachung in den Dülmener Vereinen durchgeführt
wurden, lässt sich nur schwer nachvollziehen, da es kaum Unterlagen darüber gibt. Einzig
die Tatsache, dass es auch in dem Dülmener Schützenvereinen sogenannte Schießwarte
gab, die über die Schießaktivitäten wachen sollten, weist auf die Bemühung hin, die
Wehrhaftigkeit auch hier herzustellen. Dass in Dülmen wahrscheinlich jedoch vergleichsweise wenig für die Kriegsvorbereitung getan wurde, lässt sich darauf zurückführen, dass
20
Denise Willmer
die Dülmener Schützenvereine lange keinem Verband angehörten und auch sonst eher
traditionell als schießsportlich orientiert waren.
Schützenvereine während des Zweiten Weltkrieges
Zu einer vollständigen Untersuchung der Gleichschaltung und Tätigkeit der Schützenvereine gehört auch die Zeit des Zweite Weltkrieges von 1939 bis 1945.
Bei den Dülmener Schützenvereinen stellt sich das Problem, dass es über diese Zeit
keine Informationen mehr gibt. In den Chroniken und Festschriften wird lediglich gesagt,
dass zu dieser Zeit das Vereinsleben ruhte. Man kann jedoch nicht mit Sicherheit sagen,
ob während des gesamten Krieges keine Aktivität seitens der Vereine herrschte.
Es muss also hervorgehoben werden, dass die vorliegende Arbeit bezüglich dieses
Themas unvollständig ist.
Fazit
Im Anschluss an die Arbeit lässt sich bei Betrachtung der Gleichschaltung der Dülmener
Schützenvereine folgendes abschließendes Fazit ziehen:
Wie bereits im Zwischenfazit festgestellt, waren die Schützenvereine in Dülmen im
Gegensatz zu den Dachverbänden so lange wie möglich bemüht, ihre Eigenständigkeit
beizubehalten, um nicht von der Gleichschaltung des NS-Regimes betroffen zu werden. Erst nach mehrfacher Auflösungsdrohung konnten sie sich dieser letztendlich nicht
entziehen und mussten sich zu einem Großverein unter nationalsozialistischer Führung
zusammenschließen.
Das propagierte Ziel der Wehrhaftmachung wurde in Dülmen verhältnismäßig wenig
erfolgreich durchgesetzt, da ihre Gleichschaltung erst kurz vor Kriegsbeginn erfolgt war
und die Vereine eher traditionalistisch als schießsportlich orientiert waren.
Diese traditionalistische Orientierung, die aus der tiefen Verwurzelung des Schützenwesens in der Dülmener Bevölkerung hervorging, war jedoch eine gute Voraussetzung
für die Nationalsozialisten, um auch in Dülmen die „Volksgemeinschaft“ herzustellen.
Durch eine große Beteiligung an den traditionalistischen Veranstaltungen der Vereine, vor
allem an den Schützenfesten, war die Möglichkeit gegeben, eine große Menge an Leuten
gleichzeitig erfolgreich zu beeinflussen.
Durch den Zusammenschluss zum Großverein wurde die Gleichschaltung in Dülmen
zwar faktisch abgeschlossen, die Kernziele der Wehrhaftmachung und der Realisation der
„Volksgemeinschaft“ konnten allerdings nur bedingt umgesetzt werden.
Gleichschaltung der städtischen Schützenvereine
21
Quellen
B ORGGRÄFE , H ENNIG: Schützenvereine im Nationalsozialismus. Pflege der „Volksgemeinschaft“ und
Vorbereitung auf den Krieg (1933 – 1945), Münster 2010.
D ERNEKÄMPER S CHÜTZENVEREIN E . V. (H RSG .): Festschrift zum 300jährigen Jubiläum, Dülmen 2005.
D EUTSCHER TASCHENBUCH V ERLAG (H RSG .): dtv Lexikon 8. Gane – Gros, München 2006.
F REITAG , W ERNER: Das dritte Reich im Fest. Führermythos, Feierlaune und Verweigerung in Westfalen
1933 – 1945, Bielefeld 1997.
N IESTRÖTER S CHÜTZENVEREIN E . V. (H RSG .): 75 Jahre Geschichte in Wort und Bild, Dülmen 2005.
O . A.: Das Schützenfest beginnt!, in: Dülmener Zeitung (Zeno Zeitung), 2. September 1934.
O . A.: Allgemeines Schützenfest, in: Dülmener Zeitung (Zeno Zeitung), 4. September 1934.
O . A.: Ein Schützenverein – ein Schützenfest, in: Dülmener Zeitung 9. März 1934.
O . A.: Schaffung des Allg. Bürgerschützenvereins 1551. Bürgermeister Helms Vereinsführer. Grundlegende
Ausführungen über die Pflege des wehrpolitischen Gedankens, der Tradition und der Kameradschaft im
neuen Großverein, in: Dülmener Zeitung (Zeno Zeitung), 7. März 1939.
S TADTARCHIV D ÜLMEN: Nachlass Peters Nr. 31.
WWW: http://www.bpb.de/ vom 12. März 2011.
WWW: http://www.kohvedel.de/ vom 21. Februar 2011.
1 Vgl.
http://www.kohvedel.de/ vom 21. Februar 2011.
Borggräfe, Münster 2010, S. 13.
3 http://www.kohvedel.de/ vom 21. Februar 2011.
4 Vgl. Dernekämper Schützenverein (Hrsg.), Dülmen 2001, S. 18.
5 Nieströter Schützenverein Dülmen e. V. (Hrsg.), Dülmen 2005, S. 13.
6 Vgl. Borggräfe, Münster 2010, S. 30 – 32.
7 Borggräfe, Münster 2010, S. 31.
8 Vgl. Borggräfe, Münster 2010, S. 31.
9 Vgl. Borggräfe, Münster 2010, S. 31 – 32.
10 Vgl. Borggräfe, Münster 2010, S. 37 – 38.
11 Zitiert nach: Borggräfe, Münster 2010, S. 41.
12 Vgl. Borggräfe, Münster 2010, S. 43 – 47.
13 Vgl. Schützenverein Kohvedel e. V. (Hrsg.), Dülmen 2003, S. 39.
14 Schützenverein Kohvedel e. V. (Hrsg.), Dülmen 2003, S. 39.
15 Dülmener Zeitung vom 9. März 1939.
16 Stadtarchiv Dülmen, Nachlass Peters Nr. 31: Brief des Kreissportleiters vom 10. März 1936.
17 Wie Fußnote 16: Brief des Kreissportleiters vom 10. März 1936.
18 Wie Fußnote 16: Brief des Kreissportleiters vom 10. März 1936.
19 Wie Fußnote 16: Protokoll der Sitzung des Bürgerschützenvereins vom 19. März 1936.
20 Vgl. Schützenverein Kohvedel (Hrsg.), Dülmen 2003, S. 39.
21 Wie Fußnote 16: Fragebogen.
22 Wie Fußnote 16: Eingliederungsbestätigung in den DSchV.
23 Wie Fußnote 16: Brief des Gauschützenführers vom 7. Juni 1937.
2 Vgl.
22
24 Wie
Fußnote 16: Brief von Herrn Löhning vom 18. Juni 1937.
Schützenverein Dülmen e. V. (Hrsg.), Dülmen 2005, S. 33.
26 Wie Fußnote 16: Verhandlungsbeschluss vom 2. Dezember 1938.
27 Wie Fußnote 16: Verhandlungsbeschluss vom 2. Dezember 1938.
28 Wie Fußnote 16: Verhandlungsbeschluss vom 2. Dezember 1938.
29 Wie Fußnote 16: Brief des Gauschützenführers vom 28. Dezember 1938.
30 Wie Fußnote 16: Brief von Herrn Löhning vom 12. Januar 1939.
31 Vgl. Schützenverein Kohvedel e. V. (Hrsg.), Dülmen 2003, S. 40.
32 Wie Fußnote 16: Brief des Kreisschützenführers vom 5. Februar 1939.
33 Wie Fußnote 16: Vereinbarung vom 1. Februar 1939.
34 Wie Fußnote 16: Brief von Alfred Löhning vom 14. Februar 1939.
35 Wie Fußnote 16: Brief des Gauschützenführers vom 17. Februar 1939.
36 Dülmener Zeitung (Zeno Zeitung) vom 15. Februar 1939.
37 Zitiert nach: Schützenverein Kohvedel e. V. (Hrsg.), Dülmen 2003, S. 40.
38 Vgl. Schützenverein Kohvedel e. V. (Hrsg.), Dülmen 2003, S. 40.
39 Zitiert nach: Dülmener Zeitung (Zeno Zeitung) vom 7. März 1939.
40 Ähnlich: Borggräfe, Münster 2010, S. 30.
41 Vgl. http://www.bpb.de/ vom 12. März 2011
42 Vgl. Freitag, Bielefeld 1997, 12.
43 Dülmener Zeitung vom 9. März 1934.
44 Vgl. Schützenverein Kohvedel (Hrsg.), Dülmen 3003, S. 39.
45 Dülmener Zeitung vom 2. September 1934.
46 Dülmener Zeitung vom 4. September 1934.
47 Dülmener Zeitung vom 4. September 1934.
48 Vgl. Dülmener Zeitung vom 4. September 1934.
49 Vgl. Borggräfe, Münster 2010, S. 83.
25 Nieströter
Denise Willmer
Erik Potthoff
Dülmen im Licht – Werbewoche 1930
Durch die alliierten Luftangriffe am 21./22. März 1945 wurde die Dülmener Innenstadt
praktisch ausradiert. Um den Kontext zwischen der historisch gewachsenen und der nach
1945 komplett neu aufgebauten Stadt zu vermitteln, stellt der Heimatverein seit einigen
Jahren im Rahmen einer Serie in den Dülmener Heimatblättern alte Dülmener Ansichten
aktuellen Fotografien mit demselben Motiv gegenüber.
Der 1924 gegründete Heimatverein für Dülmen und Umgegend initiierte als Heimatund Verkehrsverein vom 13. bis 21. Dezember 1930 in Dülmen eine Werbewoche. Diese
stand unter dem Motto „Kauft am Platze!“ und wurde in der dunklen Vorweihnachtszeit
durch besondere Lichtinstallationen und einem Schaufensterwettbewerb unterstützt. Die
Monatsausgabe Dezember 1930, Heft 12 der Heimatblätter, wurde der Dülmener Werbewoche gewidmet. Auf dem Titel wird neben dem Motto „Kauft in Dülmen“ auch mit dem
Slogan „Dülmen im Licht“ geworben.
Mit Hilfe großer (Flak-)Scheinwerfer wurde innerhalb der Werbewoche der Turm
der Katholischen Pfarrkirche angestrahlt. Einen bescheidenen Eindruck, wie das Motto
„Dülmen im Licht“ damals umgesetzt wurde, vermittelt heute noch das hier ausgesuchte
Amateurfoto. Der Fotograf wählte vermutlich das Obergeschoss des Nonnenturms als
Standort für seine Aufnahme. Der helle Baumberger Sandstein des Kirchturms reflektierte
das Licht so, dass das aus der Dülmener Stadtsilhouette herausragende „Landzeichen“
auch in der Nacht weithin sichtbar war. Gut zu erkennen ist die 1836 durch Blitzeinschlag
und Brand zerstörte, 1908/09 wieder rekonstruierte und 1945 endgültig kriegszerstörte
Turmbalustrade mit ihren markanten vier Ecktürmchen. Im Rahmen der umfangreichen
Fassadensanierung 1908/09 wurde der Turmhelm um 13 Meter erhöht. Die auf der historischen Aufnahme gut zu erkennende Turmuhr mit ihren vier Zifferblättern wurde nach
1945 nicht wieder in Betrieb genommen.
Heute werden in Dülmen mit Einbruch der Dunkelheit aus touristischen Gründen das
Wahr- und Erkennungszeichen, das Lüdinghauser Tor, die Kreuzkapelle, die Christuskirche
und die St.-Viktor-Kirche angestrahlt. Daneben setzen Lichtinstallationen gewerblicher
Eigentümer ausgewählte Gebäude und Objekte in eine teils besondere Atmosphäre.
24
Erik Potthoff
St.-Viktor-Kirche in der Werbewoche 1930
Dülmen im Licht – Werbewoche 1930
St.-Viktor-Kirche bei Nacht (2012)
25
Stefan Sudmann
„Freedom of the City“ für die britische Garnison und die
Friedensbewegung in Dülmen 1983
Vor 30 Jahren: Protest gegen die Verleihung der Ehrenstadtrechte an das Forward
Ordnance Depot der britischen Rheinarmee
Die Vorbereitungen durch die Stadt Dülmen
Am 22. April 1981 informierte ein Mitarbeiter des Britischen Feldzeugdepots Bürgermeister Schlieker über die Möglichkeit, der in Dülmen seit mehreren Jahren stationierten
britischen Garnison die Stadtfreiheit („Freedom of the City“) zu verleihen.1 Dabei handelt
es sich um ein besonderes Privileg englischer Rechtstradition, das beim Bestehen freundschaftlicher Verbindungen zwischen Stadt und Militär verliehen wird und den Soldaten
der betreffenden militärischen Einheit gestattet, mit Waffen die Stadt zu betreten. Eine
daraufhin im Mai vom Dülmener Stadtdirektor durchgeführte Erkundigung bei den Verwaltungschefs der Kommunen Viersen und Brüggen, die bereits einen positiven Entschluss
über die Verleihung der Stadtfreiheit an die dortigen britischen Einheiten gefällt hatten,
ergab, dass zur Verleihung selbst und zu den Jahrestagen Feierlichkeiten üblich seien, dass
aber sonst keine finanziellen Verpflichtungen für die Stadt damit verbunden seien.
In den städtischen Gremien wurde diese Angelegenheit zuerst nur in den nichtöffentlichen Sitzungen des Hauptausschusses verhandelt.2 Dort informierte die Verwaltung am
16. Juli 1981 dessen Mitglieder erstmals über die Angelegenheit, woraufhin die Bildung
einer Vorbereitungskommission – bestehend aus Stadtdirektor, Bürgermeister sowie drei
Vertretern der CDU und zwei der SPD – beschlossen wurde. Nachdem anfangs bereits das
folgende Jahr für die Verleihung angedacht worden war, wurde wenig später aber überlegt,
ob nicht das Jahr 1983 passender sein könnte, in dem das Britische Feldzeugdepot sein
15-jähriges Bestehen feiern würde3 , da in diesem Jahr wohl auch das Depot selbst ein
kleines Fest aus diesem Anlass feiern würde. So hätte man im Jahr 1982 auch genug Zeit
für die Vorbereitungen – wozu neben der Arbeit der eingesetzten Kommission auch die
Einholung der erforderlichen Erlaubnis von Königin Elizabeth II. gehörte. Im Dezember
1981 wurde dafür nach mehreren mündlichen Unterredungen schließlich schriftlich die
offizielle Mitteilung der Stadt an Lieutenant Colonel (Oberstleutnant) Ewens übermittelt. Im Juli 1982 wurde den Briten von Bürgermeister und Stadtdirektor vorgeschlagen,
die Verleihung der Stadtfreiheit im Rahmen der für Anfang September 1983 geplanten
„Dülmener Woche“ – vorbereitet von Stadt und Heimatverein – durchzuführen.
„Freedom of the City“ für die britische Garnison und die Friedensbewegung in . . .
27
Demonstration gegen die Verleihung des Ehrenstadtrechts im September 1983
Unstimmigkeiten zwischen Stadt und Militär während der Vorbereitungen sind in den
Unterlagen der Stadtverwaltung kaum zu finden. Nur über die ersten Überlegungen der
Stadtverwaltung, das Sportzentrum am Kapellenweg als Veranstaltungsort für Teile der
Zeremonien – nämlich für die Parade – zu nutzen, waren die Vertreter der Garnison „nicht
glücklich“, wie bei der Besprechung am 10. Januar 1983 mitgeteilt wurde. Das britische
Militär bevorzugte eine Parade im Innenstadtbereich.
Proteste aus der Friedensbewegung
Gerade diese Parade in der Innenstadt sollte dann aber außerhalb der Stadtverwaltung
in einem Teil der Bevölkerung auf Kritik und Proteste stoßen. Schon in Viersen, wo
es kurz zuvor eine solche Veranstaltung gegeben hatte, war es bezüglich der Parade zu
Irritationen gekommen, wie Dülmens Stadtdirektor am 3. März 1983 von seinem dortigen
Amtskollegen erfuhr: Der zuständige britische Offizier, der damals in Viersen gewesen
und inzwischen in Dülmen stationiert war, hatte eine „Parade mit Gewehr und gezogenem
Säbel“ gewünscht, was aber in Viersen „auf Ablehnung in der Bevölkerung gestoßen“ war.
Für Dülmen wurde deshalb am 1. Juni 1983 beschlossen, die Bevölkerung hinsichtlich der
bevorstehenden Verleihung der Stadtfreiheit durch eine Pressekonferenz über „die aus der
Historie damit verbundenen Dinge, wie Truppenparade mit aufgepflanztem Seitengewehr
und gezogenem Degen, gezielt zu unterrichten“.
Allerdings hatten die Vertreter der britischen Einheit bereits bei der gemeinsamen
Besprechung am 15. September 1982, ein Jahr vor der Feier, darauf aufmerksam gemacht,
dass bei der Parade und beim Zapfenstreich „entsprechende Sicherheitsvorkehrungen
in Bezug auf Demonstranten“ erforderlich seien. Am 11. Januar 1983 wurde deshalb
28
Stefan Sudmann
beschlossen, dass die hiesige Polizei und die britische Militärpolizei dafür Kontakt aufnehmen sollten – einig waren sich die Vertreter der Stadt und des britischen Militärs aber,
dass bei den Feierlichkeiten „die britische Militärpolizei keinesfalls öffentlich auftreten
sollte“. Auch am 15. März 1983 war die „Sicherheitsfrage“ offensichtlich ein besonders
intensiv diskutiertes Thema. Der Leiter der Dülmener Polizeistation teilte mit, „dass dem
Sicherungsbedürfnis durch verstärkten Streifeneinsatz Rechnung getragen werde“. Die
britische Militärpolizei werde in Zivil eingesetzt, die als Gäste geladenen britischen Offiziere sollten durch eigene „Sicherheitsbeamte“ geschützt werden. Es wurde auch darauf
hingewiesen, dass man sich auf eine Verkürzung der Truppenparade vorbereiten sollte,
„falls äußere Umstände (z. B. Demonstranten) dies erforderlich machen“. Wenige Tage
vor der Veranstaltung wurde für die „Sicherheits- und Schutzfragen“ sogar ein gesondertes
Gespräch angesetzt.
Verleihung des Ehrenstadtrechts im September 1983
„Freedom of the City“ für die britische Garnison und die Friedensbewegung in . . .
29
Die Befürchtungen, dass es in Dülmen Protest geben könnte, sollten sich bewahrheiten: Ein Flugblatt – unterzeichnet mit „Friedensinitiative, Die Grünen“ – rief für den
10. September, den Tag der Truppenparade, zum Protest gegen diese „Militärparade“ auf.
Dass die Soldaten das Recht erhalten sollten, mit gezogenem Degen und aufgepflanztem
Bajonett durch Dülmen marschieren zu dürfen, bezeichneten die Initiatoren des Protests
als „Affront gegen all diejenigen, die sich für einen Frieden einsetzen, der auf Vertrauen
und nicht auf Angsterzeugung durch militärische Stärke basiert“. Die Verleihung des
Ehrenstadtrechts erweckte bei den Kritikern nicht das Gefühl von Vertrauen zwischen
Bürgern und Soldaten, sondern Angst vor einem „neuen Militarismus“. Ebenso wurde
bemängelt, dass die britischen Soldaten in ihren Wohnsiedlungen an der Ostlandwehr und
am Ostdamm „in einer Art Ghettosituation“ lebten – erforderlich sei also eine „wirkliche
Integration“, keine „Scheinintegration in Form eines symbolischen Akts“, der letztlich nur
den „Sonderstatus“ der Soldaten unterstreiche. Betont wurde, man wolle „nicht gegen
die britischen Soldaten“ protestieren, sondern „gegen die Institution Militär“. Dabei
wurde auch der 1982 zwischen Großbritannien und Argentinien geführte Falklandkrieg
angesprochen.
Am 8. September, zwei Tage vor der Parade, teilte die Polizei dem Stadtdirektor mit,
diese Demonstration sei nicht angemeldet, man wolle aber mit den Herausgebern des
Flugblatts ein entsprechendes Gespräch führen. Der Stadtdirektor bat die Polizei, diese Demonstration über den Overbergplatz zu leiten; die Polizei rechnete jedoch damit,
die Veranstalter würden auf einer Demonstration in unmittelbarer Nähe zur Parade bestehen. Allerdings seien „keine Gewalttätigkeiten“, sondern lediglich Transparente und
Pfeifkonzerte zu erwarten – womit die Polizei letztlich auch Recht behielt.
Die Dülmener Zeitung äußerte sich den Protesten gegenüber sehr kritisch, bot diesen
jedoch durch den Abdruck von Leserbriefen auch ein öffentliches Forum. Kritik wurde
dort nicht nur an der Verleihung des Ehrenstadtrechts, sondern auch an einer weiteren
Veranstaltung während der „Dülmener Woche“ geübt, am Tag der offenen Tür in der
St.-Barbara-Kaserne. Im Gegenzug kritisierten andere Leserbriefe aber wiederum diese
als störend empfundenen Proteste.4
Die Dülmener Proteste als lokale Ausprägung eines bundesweiten
Phänomens
Diese Veranstaltungen des Militärs in der „Dülmener Woche“ waren nicht die einzigen
Kritikpunkte der Friedensbewegung in Dülmen zu dieser Zeit: Bereits einige Monate
zuvor, im Frühling des Jahres 1983, hatte der Ostermarsch, der auch die militärischen
30
Stefan Sudmann
Protest gegen die Verleihung des Ehrenstadtrechts
Anlagen in Dülmen wie das Visbecker Munitionsdepot thematisierte, für ähnliche Auseinandersetzungen gesorgt.5
Die Proteste gegen die Veranstaltungen des deutschen und britischen Militärs in Dülmen waren letztlich aber keine isoliert stehenden Aktionen, sondern sind im Zusammenhang mit der zu dieser Zeit besonders aktiven Friedensbewegung in der Bundesrepublik
Deutschland zu sehen: Wenige Tage vor diesen Dülmener Protestaktionen hatte die „Prominentenblockade“ am Pershing-Depot in Mutlangen stattgefunden, im Monat danach
kam es am 22. Oktober 1983 unter Teilnahme von mehreren hunderttausend Menschen
sowohl zu einer großen Kundgebung in der Hauptstadt Bonn als auch zur Bildung einer
Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm als Protest gegen den NATO-Doppelbeschluss zur Stationierung von Mittelstreckenraketen und Marschflugkörpern der USA
in Deutschland. Aufgrund der Tatsache, dass es in Dülmen mehrere militärische Einrichtungen – die Barbarakaserne, das britische Feldzeuglager und das Visbecker Depot – gab
und sowohl das deutsche als auch das britische Militär öffentlich als Teil des städtischen
Lebens agierten, konnten diejenigen Dülmener, die sich als Teil dieser Friedensbewegung
verstanden, ihre politischen Positionen hier nicht nur ganz allgemein vorbringen, sondern
auch konkrete Aspekte des aktuellen städtischen Lebens als Kritikpunkte formulieren und
dagegen protestieren.
„Freedom of the City“ für die britische Garnison und die Friedensbewegung in . . .
1 Hierzu
31
und zum Folgenden v. a.: Stadtarchiv Dülmen, Stadt Dülmen, D 2101; auch: D 2102 und D 2432.
Stadtarchiv Dülmen, Stadt Dülmen, HA 29 (16. Juli, 29. September und 10. November 1981).
3 Vgl. auch. L OEWEN , VOLKER : Das Forward Ordnance Depot der britischen Rheinarmee in Dülmen, in:
Dülmener Heimatblätter 1983, Heft 3/4, S. 11 – 15, hier S. 11; vgl. auch M AASMANN , J USTIN: Neues
Kapitel der Geschichte: Dülmen auf dem Weg zur Mittelstadt, in: B RATHE , H EINZ (Hg.): Dülmen – Von
der Bauerschaft zum zentralen Ort. Beiträge zur Geschichte der Stadt, Dülmen 1986, S. 80 – 126, hier
S. 125.
4 Vgl. die Zeitungsartikel und Leserbriefe in der Dülmener Zeitung von Anfang September 1983.
5 Dülmener Zeitung, 29. März, 30. März, 5. April, 11. April, 4. Mai und 7. Mai 1983; vgl. auch M AAS MANN , Neues Kapitel der Geschichte (wie Anm. 3), S. 118.
2 Vgl.
Gisela Timpte
Meine Kindheit im zerstörten Dülmen
Die Bombardierung meiner Heimatstadt Dülmen erlebte ich mit meiner Mutter und meiner
Schwester in der Bauerschaft Börnste. Die Bauersfamilie Böinghoff in Börnste, treue
Kunden in der Drogerie meines Vaters, riet meiner Mutter: „Wenn es in der Stadt zu
gefährlich wird, kommen Sie mit den Kindern zu uns.“ So entschloss sich meine Mutter
als es an der Zeit schien, diese freundliche Einladung anzunehmen.
Ladenzeile mit Drogerie Timpte
Täglich fuhr sie mit dem Rad in die Stadt, um – soweit es noch möglich war – die
Drogerie in der Marktstraße (früher Adolf-Hitler-Straße) weiterzuführen. Vater war ja
längst zum Kriegsdienst eingezogen.
An die Bombardierung Dülmens habe ich selbst aufgrund meines Alters keine Erinnerungen, aber Mutter sprach oft davon, dass sie am Abend der Bombardierung von Börnste
aus die brennende Stadt sehen konnte, besonders die in unserer Nachbarschaft stehende St.
Viktor-Kirche, deren Turm dann einstürzte.
Meine Kindheit im zerstörten Dülmen
33
Dülmen lag in Trümmern, aber trotz allem versuchte Mutter in den Tagen nach dem
Bombenangriff regelmäßig von Börnste mit dem Rad in die Stadt zu kommen. In Höhe
der Borkener Straße sei es dann nur noch über Trümmerberge gegangen. Hier inmitten der
Trümmer begegnete sie Herrn Dechant Dümpelmann und Herrn Vikar Kohaus; sie suchten
verzweifelt nach Verletzten und Toten, die ihrer Hilfe bedurften.
An der Stelle, an der mein Elternhaus stand, tat sich ein großes Bombenloch auf;
es soll eines der größten in der Stadt gewesen sein, verursacht durch eine Brandbombe.
Nichts war übrig geblieben von dem, was wir einst besaßen. Gegenüber, rechts und links –
Trümmer. An einem Baumstumpf – ehemals ein Pfirsichbaum im Garten – konnte Mutter
sich orientieren, wo einst unser Garten gewesen war. Wir Kinder nannten das große
Trümmergelände „Wüste“, die schon bald unser schönster Spielplatz wurde!
Timptes Baracke mit Bombenloch
34
Gisela Timpte
Gegenüber von unserem Trümmergrundstück waren natürlich auch alle Häuser zerstört.
Allerdings gab es ein Haus, von dem der Keller noch erhalten geblieben war. Da war es
spannend für uns, immer wieder schlichen wir uns neugierig dort hinein. Ich erinnere mich
an einen blau gekachelten Raum, von dem uns Kindern immer erzählt wurde, dass hier die
„Nebelfrau“ wohne. Gesehen haben wir sie nie!
Unsere Nachbarn Preun hatten mittlerweile eine Baracke bezogen, und eines Tages, als ein starker Sturm über die zerstörte
Stadt hinweg zog, flog das ganze Dach der
Baracke davon. Das Erschrecken war groß
bei allen, die dies beobachtet hatten.
Die Jahre 1945 bis 1948 verbrachte
ich mit meiner Schwester in Epe bei meiner Großmutter. Hier waren keine Bomben gefallen, hier erlebten wir Kinder, weit
weg von dem Nachkriegschaos, eine „heile
Welt“.
Als mein Vater 1948 aus der englischen
Gefangenschaft auf Jersey entlassen wurde und nach Dülmen zurückkehrte, kannte er seine Heimatstadt nicht wieder. Da
für viele Jahre kein Briefkontakt zwischen
meinen Eltern mehr möglich war, kam er
völlig unvorbereitet heim. „Hier können
wir nicht mehr leben“, sei seine erste Bemerkung bei dem schrecklichen Anblick
der Zerstörung gewesen. Aber meine Eltern hatten das Glück, mit Unterstützung
Gisela Timpte beim Hühnerstall neben der Barahilfsbereiter Verwandter, die von den Bom- cke
ben verschont geblieben waren, eine kleine
Baracke kaufen zu können. Sie wurde hinter unserem riesengroßen und metertiefen
Bombenloch aufgebaut, und Vater richtete schon bald einen der Räume wieder als Laden
ein. Ab diesem Tag war er wieder Karl Timpte, Drogist und Geschäftsmann.
In einem provisorischen Schaufenster hängte er – weithin sichtbar – eine große Uhr
auf, was von der Kundschaft sehr begrüßt wurde, da es weit und breit keine öffentliche
Meine Kindheit im zerstörten Dülmen
35
Uhr mehr gab.
An unsere Baracke war ein Hühnerstall angebaut und meine Aufgabe war es, täglich
die Hühner zu füttern und nach Eiern zu suchen.
Die Kinder der Nachbarschaft, überwiegend lebten ihre Familien ebenfalls in Baracken,
trafen sich in der „Wüste“ und auf Straßenabschnitten, die von Trümmern inzwischen
schon befreit waren. Wir spielten Völkerball und Brennball, „Böse Acht“, Hinkeln und
Seilchenspringen, „Fischer wie weit darf ich reisen“ und „Ochs am Berge eins, zwei,
drei“ und hatten dabei unser größtes Vergnügen. In der Wüste, besonders im Bereich
der Rathaustrümmer, waren inzwischen kleine Loren auf Geleisen aufgestellt, die zur
Trümmerbeseitigung notwendig waren. Es war für uns herrlich, auf diesen Loren herum
zu klettern und „Eisenbahn“ zu spielen, wir kamen uns groß und mächtig vor!
Das Nachbargrundstück neben unserer Baracke gehörte Emma Pins, einer gutmütigen
alten Dame. Da sie Jüdin war, verließ sie Dülmen 1940 rechtzeitig. Sie fühlte sich in
Dülmen nicht mehr sicher, denn schräg gegenüber von ihrem Haus stand das sogenannte
„Braune Haus“. Sie verabschiedete sich von Mutter über den Gartenzaun hinweg mit einer
Hand voll Johannisbeeren aus ihrem eigenen Garten.
Zum Gedenken wurde für Emma Pins vor einigen Jahren in der Marktstraße der
Stolperstein Nr. 25 gesetzt.
Neben Emma Pins war das Grundstück der „Dülmener Zeitung“, die Inhaberin war Franzi Horstmann. Als ich mit meiner Schwester 1948 in meine zerstörte Heimatstadt zurückkehrte, standen auf
diesem Trümmergrundstück mehrere große eiserne und verrostete Druckmaschinen der „Dülmener
Zeitung“. Hier hatte sich eine kleine Plattform gebildet, die besonders für uns Mädchen zum Spielplatz
wurde. Wir suchten aus den Trümmern Ziegelsteine
und bauten damit den Umriss einer Wohnung mit
verschiedenen Zimmern. Dann wurden die Rollen
verteilt und wir spielten „Mutter und Kind“ (einen
Vater gab es nicht, unsere Väter waren ja auch jahrelang abwesend). Von den wild aufgeschlagenen
Stolperstein Emma Pins
Sträuchern sammelten wir die Schneebeeren und
„kochten“ damit das Essen. An Phantasie mangelte
es uns nicht, im Gegenteil. Hier erlebten wir unsere
Kinder- und Traumwelt täglich in Neuauflage!
36
Gisela Timpte
Neben der „Dülmener Zeitung“ befand sich das Anwesen Ahlert (ehemals Eichengrün).
Schon relativ bald war hier ein Keller mit einer großflächigen Betondecke fertiggestellt.
Wir warteten auf die ersten Wintertage; wenn wir Glück hatten und sich auf der Betondecke
Regenwasser gesammelt hatte, stand uns eine herrliche „Schlinderbahn“ zur Verfügung!
Und der große unverschlossene Kellerrohbau mit den vielen Räumen und Gängen war ein
verlockendes Objekt zum Versteckspiel!
Für uns war hier das Paradies, ein Abenteuer-Spielplatz! Hier trafen wir uns ohne
Verabredung (das kannten wir nicht), jeder wusste dass hier immer Nachbarskinder anzutreffen waren, niemand machte uns Vorschriften, hier spielten wir nach Lust und Laune
und genossen unsere Freiheit.
Sicher hatten unsere Eltern in der für alle noch schwierigen Zeit Freude an unserer Unbeschwertheit und den phantasievollen Spielen und vor allem an unserer Zufriedenheit. Ich
kann mich nicht erinnern, dass wir – bei aller Trostlosigkeit um uns herum – irgendetwas
vermissten.
Auch der St. Viktor-Kirchplatz war unser Spielbereich. Ich habe nie vergessen, dass
wir hier gelegentlich Knochen fanden – aufgeregt berichteten wir den Eltern davon. Wir
erfuhren, dass zu früheren Zeiten hier rund um die Kirche die Verstorbenen beigesetzt
worden sind.
Wenn wir draußen nicht spielen konnten saßen wir Mädchen manchmal bei unseren
Nachbarn Preun in der Gaststube zusammen und machten Handarbeit. Unsere Wollfäden
wickelten wir über halbierte Bierdeckel. Familie Preun hatte immerhin schon, soweit ich
mich erinnern kann, den ersten Bauabschnitt des Hauses wieder errichtet. Vorne, zur Straße
hin, war die Wirtschaft mit dem Tresen und im hinteren Raum die Gaststube.
Es wurde auch Kinderschützenfest gefeiert. Einer der Jungen besaß ein Taschenmesser
und schnitzte aus einem Stück Torf einen Vogel, der dann auf eine lange Stange gesteckt
wurde. Wie der Vogel dann abgeschossen wurde, weiß ich nicht mehr. Vielleicht haben
wir mit Bällen auf ihn geworfen? Dann kam der Höhepunkt: der Vogel fiel von der Stange
und wir hatten unseren Schützenkönig. Und natürlich brauchte der Schützenkönig eine
Königin. Ich weiß noch, dass ich auch ein Mal die Ehre hatte. Es wurde ein Bollerwagen
herbeigeholt und das Königspaar nahm darin Platz. Dann wurden wir durch die Gegend
gefahren, soweit es die Straßen überhaupt zuließen! Eine Schar Spielkameraden folgte
jubelnd dem Gefährt.
Ein weiteres großes Kinderfest war „Pingstebrut“ (= Pfingstbraut). An Einzelheiten
kann ich mich nicht mehr erinnern, sicher weiß ich noch, dass ebenfalls ein Bollerwagen
für die Pingstebrut bereitgestellt wurde und ein Festzug durch die Nachbarschaft zog.
Meine Kindheit im zerstörten Dülmen
37
Gisela und Marie-Luise Timpte mit Klärchen Lödding beim Schlitten fahren, im Hintergrund
erkennbar die Ruine des herzoglichen Schlosses
Natürlich war es für jedes Mädchen eine große Ehre, wenn sie einmal Pingstebrut sein
durfte.
Für alle Kinder ist der Nikolaustag ein wichtiger Tag, das war auch damals schon
so. Meine Schwester und ich saßen zuhause in unserem kleinen Wohnzimmerchen, da
öffnete sich plötzlich die Tür vom Laden zum Wohnzimmer und, ohne dass wir jemand
sahen, reckte sich eine weiß-behandschuhte Hand um die Ecke und warf für uns zwei
Zahnbürsten ins Wohnzimmer! Der Nikolaus war da!
Zu Weihnachten hatten wir einen kleinen Christbaum, unter dem eine einfache, aber
schön bunte Papierkrippe aufgebaut war, das Dach war mit Watte abgedeckt. Es sah
idyllisch aus wie im tiefsten Winter. Unser erstes Weihnachtsfest in der Baracke! Wir
zündeten Wunderkerzen an, da passierte es: ein Funke flog auf die Watte, die natürlich
sofort zu brennen anfing. Geistesgegenwärtig zog mein Vater seinen Hausschuh aus und
38
Gisela Timpte
schlug damit auf die Flammen ein, bis sie erstickt waren. Das hätte ein großes Unglück
geben können . . . Wunderkerzen waren seitdem tabu.
Zum Schlittenfahren zogen wir in den Schlosspark. Hier tummelten sich viele Kinder.
Der große Teich war mittlerweile ausgetrocknet, so konnten wir mit Anlauf eine lange
Abfahrt bis in den Teich machen. Vom herzoglichen Schloss stand nur noch eine Ruine,
aber das fiel uns nicht weiter auf, denn Ruinen sahen wir ja in der ganzen Stadt.
Vieles ist natürlich über die Jahrzehnte in Vergessenheit geraten, und manche Erinnerung mag nach so langer Zeit vielleicht auch etwas „bunt gefärbt“ sein. Dass die Welt der
Erwachsenen eine ganz andere war, darüber habe ich hier bewusst nicht geschrieben.
Und doch erstaunt es mich bis heute, dass wir trotz aller Entbehrungen, trotz vieler Sorgen unserer Eltern in Hinblick auf Wiederaufbau und Neubeginn, eine relativ
unbeschwerte Kindheit erleben konnten. Vielleicht waren es unter anderem auch unser
Zusammengehörigkeitsgefühl und unser unverdorbener Phantasiereichtum, die uns Kinder manch Schlimmes verdrängen und vergessen ließen. Das erfüllt mich bis heute mit
Dankbarkeit.
Hermann Lödding
Ein schrecklich schöner Abenteuerspielplatz
An einen Bombenangriff auf das Tanklager im Osthoff erinnere ich mich noch genau. Ich
war sieben Jahre alt, als ich sah, wie die Schwerverletzten zum Krankenhaus gebracht
wurden. Das war mein erstes Kriegserlebnis.
Trümmergrundstück an der Coesfelder Straße mit Blick in die Marktstraße; im Hintergrund
der Turm der St.-Viktor-Kirche
40
Hermann Lödding
Marktstraße nach 1945
Meine Familie hatte eine Gastwirtschaft an der Lüdinghauser Straße. Als später die
Angriffe auf Dülmen geflogen wurden, flüchteten wir ebenso wie Nachbarn in unser
Kellergewölbe. Je mehr die Mauern zitterten, umso lauter haben wir gebetet.
Meine Mutter war 1945 schwerkrank, sie wurde in ein Krankenhaus nach Seppenrade
gebracht. Meine jüngere Schwester1 und ich kamen auf einem Bauernhof in Emkum unter.
Gott sei dank waren wir während der Zerstörung nicht in Dülmen. Den brennenden Turm
von St. Viktor habe ich aus der Ferne gesehen. Im April 1945 starb meine Mutter. Die
Großeltern Preun nahmen uns auf, da mein Vater 1941 verstorben war.
Nach dem Krieg hatten wir Kinder in Dülmen den schrecklich schönsten Abenteuerspielplatz, den man sich vorstellen kann. Wir spielten in den Trümmern, was sehr
gefährlich war, immer wieder stürzte etwas ein. Überall in der Stadt haben wir „Burgen“
gebaut, zum Beispiel im Mittelstück des Lüdinghauser Tores. Im Frühjahr 1946, als der
Wiederaufbau begonnen hatte, setzte Regen einen ausgehobenen Keller unter Wasser. Und
wir Kinder haben ein Floß gebaut und sind auf dem kleinen See herum gefahren. Ich bin
Ein schrecklich schöner Abenteuerspielplatz
41
ins Wasser gefallen und musste dann den ganzen Tag im Bett liegen, da meine einzige
Kleidung trocknen musste.
Eines Tages ging es mit der Schulklasse zum Trümmerhaufen des Krankenhauses,
jedes Kind musste 100 Steine für den Wiederaufbau picken.
1 Klärchen
Lödding, die Spielkameradin von Gisela Timpte
Stefan Sudmann
Kinderbewahrschule/Kinderverwahrschule – Der Dülmener
Kindergarten vor dem Ersten Weltkrieg
Nicht zuletzt aufgrund der aktuellen politischen Debatten um die „U3-Betreuung“ und
Kinderkrippen mag es einmal interessant sein, für Dülmen einen Blick in die Geschichte
des hiesigen Kindergartenwesens zu werfen.
Die Genehmigung von 1898
Als um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in der Stadt Dülmen vielfältige
Modernisierungs- und Ausbaumaßnahmen in der Infrastruktur erfolgten, erhielten auch die
hier seit einigen Jahren ansässigen „Schwestern von der göttlichen Vorsehung“ einen neuen
Aufgabenbereich. Nach dem Ende des Kulturkampfs, der Auseinandersetzung zwischen
dem preußischen Staat und der römisch-katholischen Kirche, war ihnen zuerst 1889 die
Erziehung der Waisenkinder genehmigt worden; Ende 1893 hatten sie die Leitung der
1881 eingerichteten höheren Mädchenschule (der heutigen kirchlichen Realschule, der
Marienschule) übernommen.1
1898 wurden den Dülmener Vorsehungsschwestern
von der Regierung schließlich noch zwei weitere
Tätigkeiten erlaubt: Zum
einen die Übernahme „der
Leitung und Unterweisung
in einer Haushaltungs- und
Handarbeitsschule für katholische Kinder in nicht mehr
schulpflichtigem Alter“, zum
anderen die Übernahme „der
Pflege und Unterweisung
von Kindern katholischer
Straßenabschnitt vor der Kinderverwahrschule, rechts der KinKonfession, welche sich
dergarten (Fachwerkhaus)
noch nicht im schulpflichtigen Alter befinden“ – und
zwar in einer so genannten
Kinderbewahrschule/Kinderverwahrschule – Der Dülmener Kindergarten vor dem . . .
43
„Kleinkinderbewahrschule“ (in dem vorliegenden Schreiben war zuerst der Begriff
„Kleinkinderverwahrschule“ verwendet worden, wie auch sonst in den Dülmener Quellen
dieser Zeit beide Begriffe auftauchen)2 , also modern gesprochen, in einem Kindergarten.
Der neue Kindergarten 1910
Allerdings übernahmen die
Vorsehungsschwestern diese
Aufgabe erst gut zwölf Jahre später. Am 2. September 1910 verstarb die frühere Lehrerin Rosalie Wünnenberg, die zuvor privat eine solche Einrichtung geführt
hatte.3 Ende November teilte
die Stadt schließlich die Eröffnung einer Nachfolgeeinrichtung mit. Zum einen wurde am 29. November über die
Dülmener Zeitung bekannt
gegeben, dass die „Kleinkinderbewahrschule“ der ver- Das Bild zeigt einen Straßenabschnitt der Tiberstraße vermutlich
storbenen Lehrerin Wünnen- 1939 und zeigt von links nach rechts Elfriede Nolde, Ilse Pläsker,
Josef Büsse und Paul Blankenau. „Dat Verwoahschölken“ befand
berg tags zuvor unter Leitung
sich in dem Gebäude, das exakt hinter Paul Blankenau zu sehen
einer Nonne „im Schulloka- ist.
le auf dem Bült (Rektoratschule)“ neu eröffnet worden
sei.4 Zum anderen waren im
Vorfeld am 26. November jene elf Familien benachrichtigt worden, die ihre Kinder zuvor in
die private Einrichtung der Lehrerin Wünnenberg geschickt hatten, dass am 28. November
(einem Montag) eine „städtische Kinderverwahrschule“ unter Leitung der Vorsehungsschwestern eröffnet werde. Im Vergleich zu heute schickten damals noch wenige Eltern
ihre Kinder in eine solche Einrichtung: 1910 waren es der Liste zufolge nur elf Familien.
Bei diesen elf Familien, die ihre Kinder zu dieser Zeit in einen Kindergarten gegeben
hatten, fällt hinsichtlich der angetroffenen Berufe der Väter auf, dass es sich größtenteils
um Handwerker handelte, offensichtlich zumeist mit Meistertitel und selbständig tätig:
44
Stefan Sudmann
Auflistung der erforderlichen Einrichtungsgegenstände und Arbeiten im neuen Kindergarten 1910
Kinderbewahrschule/Kinderverwahrschule – Der Dülmener Kindergarten vor dem . . .
45
Drei waren Bäckermeister (Aulike, Gernemann und Uckelmann); daneben gab es unter
den Vätern u. a. einen Kupferschmiedemeister (Brandt), einen Maurer (Heiming), einen
Schlosser (Spangemacher) und einen Friseur (Frintrup), der auch den Posten eines Fleischbeschauers innehatte.5 In der Liste nur einmal vertreten war die Sparte der „Unternehmer“
(Lödding).
Auch war nur ein einziger der Väter dieser Kindergartenkinder in der Verwaltung
tätig: der Amtsgerichtssekretär Ludwig Bielefeld. Dieser ist in der Stadtgeschichte des 20.
Jahrhunderts bekannt als Geschäftsführer des Dülmener Amtsgerichts, als Heimatforscher
und nicht zuletzt als Vater der beiden führenden Nationalsozialisten in Dülmen, Franz und
Julius Bielefeld, geboren 1905 bzw. 19076 – so dass offensichtlich davon auszugehen ist,
dass die beiden Gründer der Dülmener NSDAP-Ortsgruppe wohl zu den ersten Kindern in
Dülmen gehörten, die einen Kindergarten besuchten.
Für die neue Kinderverwahrschule im Bültschulgebäude – im früheren Klassenzimmer
der 1909 verstorbenen Lehrerin Brüggemann7 – mussten entsprechende Anschaffungen
getätigt werden (wobei im selben Raum auch die Handarbeitsschule der Vorsehungsschwestern untergebracht war). Als erforderlich angesehen wurden u. a. die Anbringung
von Mantelhaken (und zwar „getrennt für Knaben und Mädchen“), ein Pult für die Leiterin,
Anschauungsbilder mit Stücken aus der Biblischen Geschichte, Bänke und Kindertafeln
mit Griffeln. Ebenfalls genannt: „Mehrere Aborte für Knaben und Mädchen und 1 Pissoir
mit 2 – 3 Ständern“ (womit das Stadtbauamt und die Firma Mesem beauftragt werden sollten). Unsicher war man sich aber offensichtlich, ob man auch einen „Kasten mit Bonbons“
anschaffen sollte. Für die regelmäßige Reinigung war das Bürgermeisteramt zuständig.
Auch sollte ein Spielplatz im Hof auf dem Grundstück der Witwe Döpper angelegt werden,
wofür man mit besagter Dame in Verhandlungen über eine Anpachtung treten wollte.8
Weitere Raumprobleme
Dieser Ende 1910 errichtete Kindergarten blieb jedoch nur für kurze Zeit im Bültschulgebäude. Bereits im Oktober 1911 wurde mitgeteilt, dass dort ein weiterer Unterrichtsraum
eingerichtet werden und der Kindergarten deshalb andere Räumlichkeiten suchen müsse.9
Im Frühjahr 1912 musste der Kindergarten deshalb vorübergehend schließen.10 Nachdem
verschiedene Optionen geprüft worden waren (so das Schildschulgebäude und private
Gebäude in der Münsterstraße) konnte im Herbst 1912 schließlich bekannt gegeben werden, dass der von den Vorsehungsschwestern geleitete städtische Kindergarten (zusammen
mit der Handarbeitsschule) im Oktober in dem alten Gesellenhaus zwischen Marktstraße
46
Stefan Sudmann
1912 zog der Kindergarten in das Gesellenhaus zwischen Tiberstraße und Markstraße.
Kinderbewahrschule/Kinderverwahrschule – Der Dülmener Kindergarten vor dem . . .
47
und Tiberstraße eröffnet werde.11 Zu dieser Zeit besuchten bereits 70 bis 80 Kinder diese
Einrichtung.12
Die Frage nach der räumlichen Unterbringung des Kindergartens stellte auch Jahrzehnte später noch ein Problem für die Stadtverwaltung dar, so in der Nachkriegszeit13 und
schließlich zu Beginn der 1960er Jahre, als die Situation der Kindergärten zunehmend ein
wichtiges Thema für die Landes- sowie vor allem für die Dülmener Kommunalpolitik und
-verwaltung wurde – und bis heute geblieben ist.14
1
F RINGS , B ERNHARD: Sorgen – Helfen – Heilen. Dülmen und seine sozial-caritativen Einrichtungen,
Dülmen 1997, S. 184 f.; Marienschule (Hg.): 125 Jahre Marienschule 1881 – 2006, Dülmen 2006, S. 13.
2 Hierzu und zum Folgenden: Stadtarchiv Dülmen (StadtA Dülmen), Stadt Dülmen, Bn 152; vgl. W ES KAMP, A LBERT: Geschichte der Stadt Dülmen, Dülmen 1911, S. 95.
3 Neun Jahre zuvor war der Lehrerin vom Stadtrat hierfür ein Zuschuss genehmigt worden: Dülmener
Anzeiger, 20. Juli 1901. In der genannten Akte (Bn 152), die 1898 einsetzt, taucht diese private Einrichtung von Lehrerin Wünnenberg ansonsten nicht auf, die erste Nennung einer solchen Einrichtung in der
Lokalpresse findet sich Ende Mai 1899: Dülmener Anzeiger, 30. Mai 1899. Vgl. auch StadtA Dülmen,
Stadt Dülmen, Bu 8 (Protokolle der Stadtverordnetenversammlung).
4 Dülmener Zeitung (DZ), 29. November 1910; vgl. B ERTLING , A NTON : Die Dülmener Schulen von
1911 bis 1960 (StadtA Dülmen, Mskr., Nr. 59), S. 44.
5 Vgl. Dülmener Anzeiger, 21. April und 27. August 1904.
6 Vgl. hierzu die Beiträge von N ICOLA W ILLENBERG (Dülmen in der Weimarer Republik) und H ANS WALTER S CHMUHL (Dülmen im Nationalsozialismus) in S UDMANN , S TEFAN (Hg.): Geschichte der
Stadt Dülmen, Dülmen 2011.
7 Vgl. DZ, 22. Juni, 26. Juni und 23. September 1909.
8 StadtA Dülmen, Stadt Dülmen, Bn 152.
9 StadtA Dülmen, Stadt Dülmen, Bn 152.
10 DZ, 28. September 1912.
11 StadtA Dülmen, Stadt Dülmen, Bn 152; DZ, 28. September und 12. Oktober 1912.
12 So in der Bitte um Schrank und Tisch vom 17. Oktober 1912: StadtA Dülmen, Stadt Dülmen, Bn 152. Für
die kommenden Jahre nennt B ERTLING, Die Dülmener Schulen (wie Anm. 4), S. 44 über 100 Kinder.
13 Vgl. StadtA Dülmen, Stadt Dülmen, RP 1 (5. April 1946 und 2. Juni 1947)
14 S UDMANN , Geschichte der Stadt Dülmen (wie Anm. 6), S. 397.
Erik Potthoff
Nachruf auf Reinhold Reuver
Am 7. August 2013 starb nach
langer schwerer Krankheit unser
Vorstandsmitglied und Schriftführer Reinhold Reuver im Alter von
57 Jahren. Als gebürtiger Dülmener kehrte er nach langer beruflicher Tätigkeit in Berlin in seine
Heimatstadt zurück und trat 2001
dem Heimatverein bei. Dort galt
zunächst sein Interesse der Denkmalpflege. Im Jahr 2003 wurde er
von der Mitgliederversammlung
zum Beisitzer in den Vorstand gewählt und zwei Jahre später übertrug das gleiche Gremium ihm die
Aufgabe der Schriftführung.
Reinhold Reuver erledigte die
Arbeiten im Verein, die normalerweise nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen, ohne die es jedoch
nicht geht und die einen gehörigen Umfang an Zeit verschlingen.
Als Schriftführer hielt er Kontakt
zu den Mitgliedern, den Medien,
dem Kreisheimatverein und dem
Westfälischen Heimatbund. Die
Organisation von Veranstaltungen
und Fahrradtouren lag in seinen Händen.
Als selbständiger Architekt brachte er die Fachlichkeit mit, die dem Heimatverein
Dülmen Mut machte, nach dem Tod von Stadtarchivar Dr. Friedrich-Wilhelm Hemann
das begonnene Projekt der Erstellung eines zweiten Stadtmodells weiter zu führen. Die
für das Modell benötigten Grunddaten und Informationen stellte überwiegend Reinhold
Reuver aus Planunterlagen, Luftaufnahmen, Ansichtskarten und Fotomaterial zusammen.
Nachruf auf Reinhold Reuver
49
Viele Stunden unterstützte er den Modellbaubetrieb Mosler durch Besuche vor Ort im
Atelier und dokumentierte den jeweiligen Stand der Arbeiten am Stadtmodell. Dank
dieser Fotos konnten sich die Bürgerinnen und Bürger nicht zuletzt durch eine von ihm
gestaltete Präsentation bei der offiziellen Modellübergabe an die Stadt Dülmen und einer
sich anschließenden Ausstellung ein anschauliches Bild vom Entstehen des Stadtmodells
machen.
Im Jahr des Stadtjubiläums lag Reinhold Reuver der historische Bilderbogen zur
Dülmener Geschichte besonders am Herzen, für den er sich sehr zeitintensiv engagierte und dessen Layout seine Handschrift trug. Dabei gelang es in einem beispiellosen
Ausstellungsprojekt, alte Dülmener Ansichten aus den Anfängen der Fotografie bis zum
Beginn der 1950er-Jahre am dargestellten Ort in Geschäftsauslagen oder als Bildtafeln im
öffentlichen Straßenraum zu platzieren. Dank der großen Unterstützung von Eigentürmern
und Geschäftsinhabern entstand ein interessantes Bilderbuch der Dülmener Geschichte,
das sich wie ein roter Faden durch die Stadt und das Jubiläumsjahr 2011 zog.
Die großen Bildtafeln an allen Einfallstraßen in die Dülmener Innenstadt zum
700-jährigen Stadtjubiläum 2011 entstammen seiner Idee. An ihrer Realisierung hatte
Reinhold Reuver maßgeblichen Anteil.
Als Mitglied der Fachgruppe Denkmalpflege setzte er sich mit Sach- und Fachkunde
immer wieder für eine Sensibilisierung von Eigentümern und politischen Entscheidungsträgern zum Erhalt historischer Gebäudesubstanz ein.
Am jährlichen Bürgertreff aller Dülmener Vereine war er meist ganztägig präsent und
führte viele Gespräche am Stand des Heimatvereins. Der Verkauf von Ansichtskarten mit
Bildgegenüberstellungen aktueller und historischer Aufnahmen ging auf seinen Vorschlag
zurück.
Für diese engagierte Heimatarbeit sind wir Reinhold Reuver zu großem Dank verpflichtet und bemühen uns, die Arbeit in seinem Sinne fortzusetzen.
Stefan Sudmann
Neues aus dem Stadtarchiv
Akten der Stadtverwaltung
Mehrere vom Archiv für archivwürdig befundene Akten der Stadtverwaltung wurden
in den vergangenen Monaten aus dem Zwischenarchiv und (u. a. aufgrund bevorstehender
Umbauarbeiten) aus dem Rathaus in das Stadtarchiv überführt. Hierbei handelt es sich um
Unterlagen der Fachbereiche 11 (früher: Hauptamt), 2 (Kämmerei), 52 (Sozialamt) und
der Stadtbücherei. Beispielhaft genannt seien hier Dokumente der Jahre 1945 – 47 zum
Wiederaufbau des Bauhofs und zu finanziellen Angelegenheiten (darunter auch ein Bericht
über die Abgabe von Einrichtungsgegenständen und Möbeln der NSDAP an Verwaltung
und Apotheken) sowie Akten der Stadtbücherei zur Errichtung, zum Umzug Anfang
der 1970er Jahre, zur Einrichtung einer Spielothek, zu Vorlesewettbewerben und zum
25-jährigen Jubiläum 1983.
Nachlass von Josef Zumegen
Verzeichnet und zugänglich sind nun auch Unterlagen aus dem Nachlass von Josef
Zumegen (1896 – 1992), der mehrere Jahre zur Zentrumsfraktion in der Stadtverordnetenversammlung gehört hatte. Dort finden sich auch Dokumente zum Wiederaufbau nach
1945.
Madrigalchor
Übergeben wurden dem Stadtarchiv von Karlheinz Messing Unterlagen des Dülmener
Madrigalchors, der zwei Jahrzehnte lang das kulturelle Leben in Dülmen bereichert hat.
Hier finden sich u. a. Protokolle, Programme und Plakate, die nun der Forschung zur
Verfügung gestellt werden können.
Wolfgang Werp
Neuerscheinungen
Dülmen – gestern und heute, von Erik Potthoff und Dietmar Rabich, Laumann-Verlag
Dülmen 2013.
Die beiden Dülmener Heimatfreunde Erik Potthoff und Dietmar Rabich haben in
monatelanger Fleißarbeit einen glänzenden Bild-Text-Band „Dülmen – gestern und heute“
erstellt, der allen Dülmen-Fans mit beeindruckenden neuen Farbaufnahmen einen grandiosen Rundgang zu den Sehenswürdigkeiten und Schönheiten der Stadt Dülmen und ihrer
Ortsteile eröffnet. Diese Dokumentation zeigt und erklärt Dülmen in einzigartigen Bildern
und Texten.
Dülmen besitzt aufgrund seiner fast vollständigen Zerstörung in den letzten Kriegstagen des Zweiten Weltkrieges zwei Gesichter: einmal ein in alten, vergilbten Ansichtskarten
und wenigen Schwarz-Weiß-Fotografien zu betrachtendes Stadtensemble und zudem ein
Zweites nach dem Wiederaufbau mit dem sich bis heute fortwährend verändernden aktuellen Stadtbild. In einer Verbindung dieser beiden Aspekte sahen die Verfasser des
Bildbandes eine reizende Aufgabe. So schufen sie ein aufschlussreiches Gegenüber zwischen dem heutigen reizvollen, idyllischen und dem ehemaligen, nicht mehr sichtbaren
Dülmen. Dabei wurden die in den letzten Jahren im Zusammenhang mit dem Stadtjubiläum 2011 ausführlich in der „Geschichte der Stadt Dülmen“ und der „Sonderausgabe“ der
Dülmener Heimatblätter zum Stadtjubiläum in Wort und Bild vorgestellten und erörterten
Kriegsereignisse und ihre schlimmen Folgen für Dülmen und seine Bürgerschaft hier
bewusst ausgeklammert.
Der facettenreiche Band gliedert sich sowohl geografisch als auch thematisch: Ausgehend von der historisch gewachsenen Innenstadt, weiter ausgreifend über die Ringstraßen
bis hin zu den Dülmener Ortsteilen wird die stetige Entwicklung von Stadt und Umland
besonders über Bildvergleiche immer wieder an den Betrachter herangetragen. Dieser
wird dabei insbesondere mit den ganzseitigen prächtigen bunten oder schwarz-weißen
Großaufnahmen auf imposante und im Verborgenen schlummernde Details aufmerksam
gemacht. So tastet er sich immer weiter blätternd und lesend an die geschichtsträchtige
Stadt heran und lernt deren Attraktivität in stimmungsvollen, bisher so nicht gesehenen
Bildern besser kennen. Erweitert wird der Gesamteindruck über einige Sonderthemen
wie „Anna Katharina Emmerick“, „Kulturveranstaltungen“, „Dülmen bei Nacht“ oder
schließlich auch die „Dülmener Wildpferde“ im Merfelder Bruch. Umrahmt wird das
52
Wolfgang Werp
Werk durch faszinierende Landschaftsaufnahmen der münsterländischen Parklandschaft in
ihrer jahreszeitlich bedingten abwechslungsreichen Schönheit.
Neben dieser üppigen optischen Seite überzeugt auch die durch Kurztexte erreichte
informelle Ergänzung. Nach einer einführenden Einleitung wird dem Leser mit fachkundigem Kommentar in kurzen, prägnanten Erläuterungen viel Wissenswertes über die
gerade gezeigten Objekte vermittelt und er mit Dülmen von heute vertraut gemacht. Dadurch ergeben sich neben der vorrangigen Bilderschau eine vertiefende Betrachtung und
eine leichtere Einordnung in die wechselvolle Geschichte unserer Heimatstadt und der
angrenzenden Region.
Mit der Übernahme von mehr als 550 Aufnahmen aus etwa doppelt so vielen Schnappschüssen und zahlreichen historischen alten Dülmener Ansichten konnte von den beiden
Verfassern ein Gesamtbild Dülmens vermittelt werden, das es in dieser Art noch nie
gegeben hat, das eine aktuelle Lücke schließt oder anders gesagt, eine hervorragende
Ergänzung zur oben zitierten umfangreichen Literatur zum Stadtjubiläum 2011 darstellt.
Für diese ergänzende, neue Sicht unserer Heimatstadt soll den beiden Autoren auch
hier in den Dülmener Heimatblättern, sozusagen „auf ihrem heimischem Gelände“ besonders gedankt werden. Es bleibt nur der Wunsch einer erfolgreichen Verbreitung dieser
prachtvollen Dokumentation des Dülmener Raumes von hohem zeitgeschichtlichem Wert.
Jahrbuch Westfalen 2014, 68. Jahrgang, hg. vom westfälischen Heimatbund, Redaktion Dr. Peter Kracht, Münster 2013.
Wie in jedem Jahr hat sich das Redaktionsteam um Peter Kracht einem Schwerpunktthema gestellt: Im Mittelpunkt des Jahrbuchs Westfalen 2014 stehen „Gärten und Parks“.
Dabei spannt sich der grüne Bogen vom botanischen Garten in Gütersloh zum Westpark
in Bochum, von den Klostergärten in Herzebrock-Clarholz und der münsterländischen
Parklandschaft bis zum Schlosspark in Bad Berleburg oder allgemeiner von den westfälischen Natur- und Kurparks bis zum Sauerlandpark in Hemer, auf dessen Gelände bis zum
Entstehen der Anlage eine Kaserne untergebracht war.
Wie in jedem Jahr widmet sich der Band zudem mit zahlreichen weiteren Beiträgen
den Rubriken „Geschichte und Geschichten“ (hier zum Beispiel einem Bericht über den
Transrapid in Hagen), „Museen“ (so das lippische Landesmuseum in Detmold oder das
Ziegeleimuseum Lage), „Menschen“ „Westfalen-Sport“, „Kultur“ und „Orte in Westfalen“
(hier in diesem Jahr: Bielefeld, Rheine und Witten). Wie immer abwechslungsreich und
bunt bebildert, zeigt das Werk die Vielfalt westfälischer Aspekte und lädt zu anregender
Lektüre ein.
Neuerscheinungen
53
Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld, Unser Kreis – Geschichte und Geschehen 2012,
hg. vom Kreisheimatverein Coesfeld, 37. Jahrgang 2012, Coesfeld 2013.
Der 37. Jahrgang der Geschichtsblätter reiht sich in die Werkfolge bestens ein. Er
bietet diesmal ein aufschlussreiches Lesevergnügen zu folgenden heimatgeschichtlichen
Themen:
Die Frühzeit der Bauerschaft Harle vor der Stadt Coesfeld untersucht Peter Ilisch
anhand einer Darstellung der verschiedenen Hofgruppen vom Schultenhof bis zum kleinen
Kotten. So fertigt er ein beeindruckendes Bild der Geschichte dieses Landstriches und
seiner Bewohner, das er mit fünf detailgetreuen Karten des Siedlungsgebietes erläuternd
untermauert. – Derselbe Verfasser untersucht in einem zweiten Beitrag zur Geschichte des
niederen Adels im südwestlichen Münsterland einen mittelalterlichen Adelssitz zwischen
Lüdinghausen und Dülmen, den Komplex Berenbrock sowie die Anfänge der Burg Rönhagen in Olfen. Hier geht es einmal um die Entwicklung der Familie des Edelherrn Godfrid
von Berenbroke etwa ab dem Jahre 1254 als Träger einer langen Ahnenreihe und zum
anderen um die Geschichte des Hauses Rönhagen nahe der Ronhagener Heide an einer
von der Stever zur Lippe verlaufenden Wallanlage, der „Rönhagener Landwehr“. – Stefan
Sudmann befasst sich mit finanziellen Aspekten der Pockenimpfungen in Dülmen von
1820. Er beleuchtet die damalige staatliche Gesundheitspolitik, deren Kostenträgerschaft
und die kommunale Gebührenverwaltung. – Franz-Josef Schulte-Althoff schildert die
Lüdinghauser Revolutionswirren von 1918/19 bis zum Ausgang der Rätezeit: die politische
Orientierung und die Aktivitäten des dortigen Arbeiter- und Soldatenrates auf der einen
sowie die Sammlung der bürgerlichen Kräfte und der Bauernräte auf der anderen Seite.
Und hier der interessanteste Beitrag: Die denkmalgerechte Instandsetzung der über
400 Jahre alten Wassermühle Schulze Westerath in Nottuln-Stevern ist Gegenstand der
spannenden Untersuchung von Peter Petersen. Dieser erläutert (und belegt mit einem
sehr ausführlichen, lobenswerten Anmerkungskatalog über das Mühlenwesen) nach einem
allgemeinen Blick auf die Geschichte der Wassermühlen die Sanierung dieser bei vielen
Wanderern und Radfahrern an der Sandsteinroute beliebten Wassermühle, die nur etwa
eineinhalb Flusskilometer hinter dem Naturschutzgebiet „Steverquellen“ in den Talgrund
geschmiegt idyllisch gelegen ist. Das Nutzungskonzept des eigens gegründeten „Förderkreises Wassermühle Schulte Westerath“ sah den Ausbau der Mühle zu einem touristischen
Mittelpunkt für Bauern- und Mühlenkultur im Stevertal vor, um die vollständig vorhandenen Mühleneinbauten und das gut erhaltene Wohngeschoss allen zugänglich machen
zu können. Durch die Unterstützung etlicher Geldgeber konnte dieses Projekt 2012 erfolgreich abgeschlossen und die Öffnung für Besucher in diesem Jahr gefeiert werden.
Das Denkmalensemble Wassermühle Schulze Westerath darf als eines der wichtigsten
54
Wolfgang Werp
Beispiele gelungener Mühlen- und Bauernkultur im Münsterland gelten, dessen Besuch
allen Besuchern der nahen Baumberge zu empfehlen ist.
Schließlich befasst sich im letzten Aufsatz Hans-Peter Boer mit dem schulgeschichtlichen Thema „. . . der kümmerlichsten Zukunft entgegen sehen müssen“ – oder von der
Schwierigkeit, einen Schulmeister zu pensionieren. Am Beispiel eines Streites um die
Pensionierung eines Appelhülsener Schulmeisters wird dem Leser das Auf und Ab einer
solchen „Karriere“ lebensnah vor Augen geführt. – Wie immer folgt zum Schluss des
Heftes auf verschenkten 31 Seiten eine „statistische“ Chronik des Kreises Coesfeld 2012
von Anne Grütters mit viel zu vielen unnötigen Zahlen und Daten.
Insgesamt wieder eine gelungene Fleißarbeit, die dem Heimatgeschichtler spannende
Lektüre verspricht.
Die besondere Mystik der Anna Katharina Emmerick, 2. Symposion nach der Seligsprechung, am 15./16. Februar 2013 in Münster, hg. von Clemens Engling, Hermann
Flothkötter und Peter Nienhaus, Laumann-Verlag Dülmen 2013.
Es ist das besondere Verdienst des Emmerick-Bundes und der damaligen bischöflichen Kommission „Anna Katharina Emmerick“, interdisziplinär angelegte Symposien
mit ausgewiesenen Fachwissenschaftlern durchzuführen und durch Dokumentationen
einer interessierten Leserschaft zugänglich zu machen. Diesem Anliegen dient auch
das vorliegende Heft, das die Thematik des 2. Symposions der „besonderen Mystik der
Anna Katharina Emmerick“ in Schwerpunkten gewichtet und dokumentiert. Folgende
Tagungsbeiträge werden vorgestellt:
• Sabine Gruber, Clemens Brentano und die Nächstenliebe
• Sabine Gruber, Bericht aus einem Arbeitskreis
• Elmar Klinger, Die Leben-Jesu-Mystik der Anna Katharina Emmerick
• Clemens Engling, Bericht aus einem Arbeitskreis
• Norbert Köster, Anna Katharina Emmerick und ihre Zeit
• Günter Scholz, Informationen zu dem Film „Das Gelübde“ von Dominik Graf
Hervorgehoben werden sollte hier die Tatsache, dass von allen Arbeitsgruppen die
Gruppe „Anna Katharina Emmerick – Vorbild des Glaubens heute?“ zur Vermittlungsproblematik einer „sperrigen Seligen des Münsterlandes“ auf höchste Resonanz stieß
Neuerscheinungen
55
und die meisten Teilnehmer sich diesem Themenfeld zuwandten. Insgesamt zeigen diese
Symposien immer wieder, wie dringlich die Verbindung zwischen Theorie und Praxis
nicht nur für Emmerickverehrer ist.
Autorinnen und Autoren
Hermann Lödding, Anton-Laumann-Weg 24, 48249 Dülmen, S. 39
Erik Potthoff, Haselbrink 13, 48249 Dülmen, S. 23, 48
Dr. Stefan Sudmann, Stadtarchiv Dülmen, Charleville-Mézières-Platz 2, 48249 Dülmen, S. 26, 42,
50
Gisela Timpte, Blumenstraße 7, 79194 Gundelfingen, S. 32
Wolfgang Werp, Ludwig-Wiesmann-Straße 10, 48249 Dülmen, S. 51
Denise Willmer, Buldern, Gerstenkamp 25, 48249 Dülmen, S. 5
Abbildungen
Brigitte Abendroth, Stockhover Weg 83A, 48249 Dülmen, S. 6
Dietmar Rabich, Hausdülmen, Koppelbusch 37, 48249 Dülmen, S. 2, 25, 35
Erik Potthoff, Haselbrink 13, 48249 Dülmen, S. 48
Gisela Timpte, Blumenstraße 7, 79194 Gundelfingen, S. 32, 33, 34, 37, 40
Heinrich Walgenbach, Josef-Heiming-Straße 4, 48249 Dülmen, S. 12, 42
Klemens Segbert, Overbergstraße 76, 48249 Dülmen, S. 39
Paul Blankenau†, Dülmen, S. 43
Sammlung Erik Potthoff, Haselbrink 13, 48249 Dülmen, S. 24
Stadtarchiv Dülmen, Charleville-Mézières-Platz 2, 48249 Dülmen, S. 8, 10, 11, 14, 15, Fotosammlung, S. 27, 28, Stadt Dülmen, Bn 152, S. 44, 46, Stadt Dülmen, D 2101, S. 30
Impressum
© 2013 Heimatverein Dülmen e. V.
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Herausgeber: Heimatverein Dülmen e. V.,
Postfach 1307, 48234 Dülmen
E-Mail: [email protected]
WWW: http://www.heimatverein-duelmen.de/
Redaktion: Hanne und Ludger David,
Justin Maasmann, Erik Potthoff (Ltg.),
Dietmar Rabich und Dr. Stefan Sudmann
Satz: Dietmar Rabich (mit LATEX)
ISSN: 1615-8687
Zuschriften und Manuskripte
Sie haben ein interessantes Thema mit lokalem Bezug? Ihr Verein oder Ihre Nachbarschaft feiert
ein rundes Jubliäum? Sie haben sich in der Schule mit einem interessanten Dülmener Thema
befasst? Gerne können Sie uns Ihr Manuskript zur Verfügung stellen. Der Beitrag kann in nahezu
jedem üblichen digitalen Textformat verfasst sein. Digitalisierte Bilder in einer Auflösung für das
oft verwendete 10er-Format nehmen wir ebenso gerne, wenn wir das Recht zur Veröffentlichung
erhalten. Auch beim Digitalisieren von Vorlagen können wir Hilfestellung leisten. Wenden Sie sich
mit Ihrem Manuskript oder Fragen dazu an:
Vorsitzender Erik Potthoff, Haselbrink 13, 48249 Dülmen
E-Mail: [email protected]
WWW: http://heimatblaetter.heimatverein-duelmen.de/
Mitgliedschaft
Gerne können Sie in unserem Verein auch Mitglied werden. Drucken Sie dazu bitte die anhängende
Beitrittserklärung aus, füllen die vorgegebenen Felder aus und senden Sie diese an uns. Die Satzung
unseres Vereins ist ebenso als Anlage an dieses Dokuments angehangen.

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