Thema - Arbeitsstelle Gottesdienst der EKiR

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Thema - Arbeitsstelle Gottesdienst der EKiR
Thema:
Gottesdienst
Gospel
&
Gottesdienst
26 / 2007
Arbeitsstelle für Gottesdienst und Kindergottesdienst
– Bereich Gottesdienst –
An diesem Heft haben mitgearbeitet
Vizepräses
Petra Bosse-Huber
Evangelische Kirche
im Rheinland
Hans-Böckler-Straße 7
40476 Düsseldorf
[email protected]
Dr. Ulrich Erker-Sonnabend
Haus der Kirche
Bastionstraße 6
40213 Düsseldorf
[email protected]
Pfarrer
Dietmar Silbersiepe
Schloßallee 6a
40229 Düsseldorf
dietmar.silbersiepe@evdus
Elke Wisse
Kohlrauschweg 132
40591 Düsseldorf
[email protected]
KMD Hans Wülfing
Bergstraße 10
51702 Bergneustadt
[email protected]
Redaktion: Dr. Martin Evang
Satz:
Sigrid Becker
Inhalt
Editorial
2
Elke Wisse
Gospel im Gottesdienst
3
Ulrich Erker-Sonnabend und Elke Wisse
Die Gospelchurch
20
Dietmar Silbersiepe
Im Gospelgottesdienst predigen
39
Elke Wisse
Frohe Botschaft singen und hören:
Wirkung und Wesen von Gospelmusik im Gottesdienst
50
Ulrich Erker-Sonnabend
Mit offenen Ohren und Augen:
Gottesdienst und kirchliche Öffentlichkeitsarbeit
56
Petra Bosse-Huber
Gospel: zeitgemäße Form der Verkündigung
62
Hans Wülfing
Aufgaben von Chören im Gottesdienst
65
Der Verband für christliche Popularmusik
in der Evangelischen Kirche im Rheinland
69
Gospel in der Sicht rheinischer Kirchenmusikerinnen
und Kirchenmusiker
72
Biografien und Diskografien x Literatur x Webadressen
80
Stimmen von Gospelmusikerinnen und Gospelmusikern
Was Gospelmusik für mich bedeutet
Message oder Celebration?
Warum singen deutsche Chöre Gospel?
Gospel und traditionelle Kirchenmusik
17
48
67
70
1
Editorial
Dieses Themenheft „Gospel & Gottesdienst“ geht auf eine Initiative aus der
Gospelchurch Düsseldorf zurück, die ich gern aufgenommen habe. Das Heft
dokumentiert exemplarisch die „Erweiterung des Musikspektrums in der
Kirche“ und möchte sie fördern.
„Exemplarisch“ bezieht sich zunächst auf die Gospelgottesdienste mit dem
Gospelchor „PaterNoster“ in Düsseldorf-Eller und auf die Düsseldorfer
Gospelchurch, die sich daraus entwickelt hat. Im Bereich der Evangelischen
Kirche im Rheinland gibt es zahlreiche Gospelinitiativen, die bei aller Vergleichbarkeit verschieden und in ihrer Verschiedenheit doch vergleichbar
sind. „Exemplarisch“ bezieht sich somit auch auf die Verfasser der Hauptartikel: Elke Wisse, Gründerin und Leiterin von PaterNoster in DüsseldorfEller, und Dr. Ulrich Erker-Sonnabend, Mitinitiator der Düsseldorfer Gospelchurch. Beiden liegt zunächst daran, die Praxis vor Ort zu beschreiben. Beide reflektieren ihre Erfahrungen aber auch in ihrem beruflichen Horizont:
Elke Wisse als Kirchenmusikerin, Ulrich Erker-Sonnabend als Journalist und
Leiter der Evangelischen Pressestelle Düsseldorf zur gottesdienstbezogenen kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit. Als Dritter im Bunde steuert
Dietmar Silbersiepe, Gemeindepfarrer in Düsseldorf-Eller und einer der
Gospelchurch-Prediger, einen Grundsatzartikel zum Predigen im Gospelgottesdienst bei.
Petra Bosse-Huber, Vizepräses der EKiR, würdigt Gospel als zeitgemäße
Verkündigungsform, was sowohl theologisch als auch in kulturanthropologischer und sozialgeschichtlicher Perspektive bedacht wird. Neben ihr
kommen Kirchenmusikdirektor Hans Wülfing als Vorsitzender des Chorverbandes der EKiR und – mit einem Auszug aus der seiner Internetpräsenz –
der Verband für Christliche Popularmusik in der EKiR zu Wort.
Schließlich äußern sich Musikerinnen und Musiker zu „Gospel & Gottesdienst“: zum einen, über das Heft verstreut, namhafte Gospelmusikerinnen
und Gospelmusiker, die zu spezifischen Aspekten des Themas um persönliche Stellungnahmen gebeten worden waren, zum andern, kompakt am
Ende des Heftes, rheinische Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker, die
auf eine entsprechende Bitte reagiert haben.
Den Autorinnen und Autoren danke ich für ihre Initiative und ihre Artikel.
Den Leserinnen und Lesern wünsche ich Lektüre mit Gewinn.
Wuppertal, im Mai 2007
2
Martin Evang
Elke Wisse
Gospel im Gottesdienst
Zur Person: Elke Wisse ist nebenamtliche Kirchenmusikerin in der Evangelischen Kirchengemeinde Düsseldorf-Eller. Sie leitet den Gospelchor „PaterNoster“ und ist Mitorganisatorin der Düsseldorfer Gospelchurch.
Wie entwickeln sich heutzutage Gottesdienstformen? Manches ist dabei vom
Engagement der Pfarrer und Kirchenmusiker abhängig, manches von Entwicklungen, die Gemeinden nehmen. Dass auch ein Chor dabei einiges einzubringen hat, ist eine Erfahrung, von der hier berichtet wird. Sodann werden
besondere Formen, die Gottesdienste mit Gospelmusik annehmen können,
beschrieben.
1. Ein Erfahrungsbericht aus der Kirchengemeinde Düsseldorf-Eller
Es ist Sonntag, 11 Uhr, der Gottesdienst beginnt. Heute ist alles ein bisschen anders, denn der Gospelchor singt im Gottesdienst. Kein Orgelvorspiel.
Die Sänger und Sängerinnen gehen nach vorne in den Altarraum, stellen
sich auf und singen ihr erstes Lied. „Bless the Lord“. Das Lied ist einfach. Die
Gottesdienstbesucher können sofort mitsingen und mitklatschen. Das war
nicht immer so. Die Gemeinde musste sich erst an Gospelmusik im Gottesdienst gewöhnen. Das war ein längerer Weg.
Den Chor „PaterNoster“ gibt es seit 1990, damals waren wir noch kein Gospelchor, sondern ein Chor, der als Gegenpol zum klassischen Kirchenchor
im Wesentlichen moderne Kirchenlieder gesungen hat. Ein Gastpfarrer aus
der Partnergemeinde in Namibia kam Mitte der 90er Jahre nach Düsseldorf,
um hier Musik zu studieren. Er hat dem Chor die afrikanische Musik nahe
gebracht. Durch die traditionelle Musik seines Landes und durch seine eigenen Kompositionen entwickelte der Chor eine Vorliebe für afrikanische
Rhythmen und Melodien. Zu dieser Zeit haben wir angefangen, Partnerschaftsgottesdienste in unserer Gemeinde und im Kirchenkreis zu gestalten.
Ende der 90er Jahre erfuhr der Chor einen starken Zuwachs an Sängern und
Sängerinnen, darunter überzeugende Solisten-Stimmen. Seitdem hat sich
3
Elke Wisse
das Repertoire des Chores deutlich erweitert, immer mehr Gospelmusik aus
den verschiedensten Stilrichtungen kam hinzu. Für einen Fernsehgottesdienst Ende der 90er Jahre wurde ein professioneller Pianist zur Begleitung
gesucht und gefunden. Dieser Pianist begleitet seitdem den Chor bei jedem
Auftritt und in jedem Gottesdienst. Mittlerweile wird bei größeren Veranstaltungen auch eine Band als Begleitung dazu geholt. Mit dieser Entwicklung wurde der Gospel immer mehr und eindeutig zum Schwerpunkt im
Repertoire.
Schon seit der Gründung hat der Chor im Gottesdienst mitgewirkt. Zu Beginn in einer – im Rückblick – sehr distanzierten Art und Weise. Ähnlich wie
ein klassischer Kirchenchor trat der Chor bei besonderen Anlässen durchschnittlich dreimal pro Gottesdienst in Erscheinung, stellte sich im Altararum auf, sang ein Lied und setzte sich wieder in die Bankreihen.
Der Chor trat als schmückendes musikalisches Beiwerk in Erscheinung. Er
war inhaltlich nicht am Gottesdienst beteiligt, trat als musikalischer Gast
auf, lieferte einen konzertanten Beitrag ab und wurde im restlichen Gottesdienst nicht weiter beachtet. So wurde das auch von den Sängern und
Sängerinnen empfunden.
Der Gottesdienst folgte der traditionellen Liturgie, ebenso hielt man an den
vorgegebenen Predigt- und Lesungstexten fest. Da das Repertoire des Chores zu Beginn sehr eingeschränkt war, hatten die vom Chor gesungenen
Lieder nicht immer einen inhaltlichen Bezug zum Gottesdienst. War der
inhaltliche Zusammenhang nicht gegeben, wurde der Beitrag des Chores
gerne für den Anfang oder das Ende des Gottesdienstes eingeplant oder an
Scharnierstellen wie nach dem Glaubensbekenntnis, vor oder nach den
Abkündigungen. An diesen Stellen fiel es nicht weiter auf, wenn kein inhaltlicher Bezug vorhanden war. Die Tatsache, dass wir damals schon ausschließlich Lieder in englischer oder einer afrikanischen Sprache sangen,
verschleierte den fehlenden inhaltlichen Bezug zusätzlich. Oft bekamen die
Chorsänger nach dem Gottesdienst auch Kommentare bezüglich der englischen Sprache zu hören: „Könnt ihr nicht in Deutsch singen? Man versteht
ja nicht, was ihr singt.“ Solche Reaktionen dämpften die Freude an gottesdienstlichen Auftritten.
Gleichwohl war der Chor ein von der Gemeinde gern gesehener Gast im
Gottesdienst, er wurde als Chor wahrgenommen, und die damals für die
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Gospel im Gottesdienst
Gemeinde neue Musikrichtung wurde wohlwollend aufgenommen und
geschätzt. Doch die konzertante Präsenz im Gottesdienst allein war mir als
Chorleiterin und einigen Sängern und Sängerinnen aus dem Chor zu wenig.
Die Unzufriedenheit wuchs. Dem Anspruch, den wir uns selber gesetzt
hatten, nämlich Gottes Wort durch unsere Musik zu verbreiten, konnten
wir nicht genug gerecht werden.
So verstärkte sich mit wachsendem Repertoire und steigender Gesangsqualität auch der Wunsch, inhaltlich am Gottesdienst beteiligt zu sein und
eigene Gottesdienste zu entwickeln: Gottesdienste mit einem – vor allem
musikalisch – eigenen Gesicht, mit ansprechenden und zeitgemäßen Inhalten. Um diesen Wunsch zu verstehen, sind ein Blick auf die Struktur des
Chores und den kirchlichen Hintergrund der einzelnen Sänger und Sängerinnen sowie meine eigene Erfahrung mit Gottesdienst wichtig.
Es gibt Sänger und Sängerinnen bei „PaterNoster“, die bereits seit Jahrzehnten tief mit der Kirche und speziell auch mit unserer Gemeinde in Düsseldorf-Eller verwurzelt sind. Einige Sänger und Sängerinnen arbeiten aktiv
in der Gemeinde mit, besuchen regelmäßig Gottesdienste und andere Veranstaltungen und haben zum Teil jahrelange Erfahrung bei der Gestaltung
von Gottesdiensten. Hier können wir auf einen Fundus an Erfahrung zurückgreifen und auf ein echtes Interesse an Kirche, Gemeinde und Gottesdienst setzen.
Ich selber gehöre auch dazu. Bereits in den 70er Jahren war ich im Kindergottesdienst-Team der Gemeinde. Neben den Kindergottesdiensten haben
wir auch andere Gottesdienste vorbereitet und durchgeführt. Schon damals waren wir und unser damaliger Pfarrer offen für neue und moderne
Formen, so dass wir für die damalige Zeit progressive und innovative Gottesdienste feiern konnten.
Dieses Arbeiten an und im Gottesdienst war für mich sehr wichtig. Ich habe
die Strukturen und die Elemente des Gottesdienstes kennen gelernt, ebenso die elementaren theologischen Hintergründe sowie den Umgang mit
dem Kirchenjahr und der Bibel. Das Arbeiten an Gottesdiensten wurde zur
Selbstverständlichkeit. Eine Kirchentür war nie eine Hemmschwelle, ein
Gottesdienstbesuch immer eine interessante Erfahrung. Über die Jahre
habe ich ein Gefühl dafür entwickelt, was geht und was nicht geht, was im
Gottesdienst unverzichtbar ist, was auch mal weggelassen werden kann.
5
Elke Wisse
Schon damals war der Wunsch, an einer neuen Gottesdienstform zu arbeiten, sehr ausgeprägt. Die Vision, lebendige musikalische Gottesdienste zu
gestalten, war immer da.
Diese Erfahrungen kamen mir beim Gestalten der jetzigen Gottesdienste
natürlich zugute. Das bewusste Umgehen mit den Gottesdienst-Elementen,
das Überlegen, was wir mit unseren Gottesdiensten erreichen und was wir
anders machen wollten, war die Voraussetzung für den Schritt hin zu Gospelgottesdiensten.
Somit kamen die neue Ideen und auch generell der Wunsch, einen etwas
anderen Gottesdienst zu machen, aus dem Chor. Es wurde dem Chor kein
Konzept von außen übergestülpt.
Mitgetragen und forciert wurden die Ideen auch von unserem Pfarrer, der
selber ein Mitglied des Chores und offen für neue Gottesdienstformate und
Ideen ist. Von ihm wurden wir immer ermutigt, den Schritt auf andere Gottesdienstformen hin zu wagen. Wir hatten die Gewissheit, dass ein Pfarrer
unsere Ideen mit trägt und auch mit im Blick hat, welche Schritte wir gehen
wollen und können.
Wichtig ist auch die Struktur des Chores. Ihm gehören nicht nur Sänger und
Sängerinnen aus unserer eigenen Gemeinde an. Mittlerweile kommen sie
aus vielen anderen Gemeinden und einem weiten Einzugsgebiet um Düsseldorf herum.
Nicht alle Mitglieder des Chores sind der evangelischen Kirche verbunden.
Es sind auch Sänger und Sängerinnen dabei, die nicht aus christlicher Motivation oder Überzeugung zu uns kommen, sondern nur wegen des Singens
im Chor mitmachen. Manche stammen aus anderen Konfessionen, andere
sind konfessionslos. Dies sind zum Teil Menschen, die noch nie oder seit
Jahren keinen Kontakt zur Kirche hatten. Trotzdem kommen sie zu den
Chorproben und den Auftritten, machen mit bei einem Chor, der sehr eng
mit der Kirchengemeinde verbunden ist. Damit akzeptieren sie, dass der
Chor auch in Gottesdiensten singt und ein bestimmtes Glaubensverständnis vermittelt. Und das nicht nur in Gottesdiensten, sondern auch in den
Proben. Denn die Botschaft wird nicht erst im Gottesdienst transportiert.
Schon in der Probe muss jeder und jede sich mit den Aussagen der Lieder
beschäftigen und sie dann auch entsprechend interpretieren. Hier findet
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Gospel im Gottesdienst
also der erste Schritt statt, sich mit dem Glauben und der Botschaft der
Lieder auseinanderzusetzen.
Sich dazu auch in der Öffentlichkeit zu bekennen, ist sicherlich noch mal
ein ganz neuer Schritt. So stellt die Beteiligung des Chores an einem Gottesdienst für viele unserer Chorsänger beim ersten Mal eine große Herausforderung dar. Die mehr kirchenfernen Sänger und Sängerinnen sind mit
dem Ablauf eines Gottesdienstes nicht vertraut. Er ist für sie in seiner traditionellen Form und Sprache ziemlich fremd. In diese Situation hinein sollen
sie sich als Aktive der Gemeinde im Chor präsentieren, sollen die Songs des
Chores überzeugend darbieten! Das ist nicht immer einfach und erfordert
eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun und Glauben.
Der Chor und jeder einzelne Sänger lernten mit jedem Gottesdienst, an
dem wir beteiligt waren, sich sicherer zu bewegen und zurechtzufinden.
Gottesdienst und Kirche wurden vertraut, man fühlt sich wohl, fühlt sich zu
Hause. Das ist nach meiner Erfahrung eine wichtige Voraussetzung, wenn
man eigene Gottesdienste gestalten will. Sicherheit und Vertrauen machen
Mut, Veränderungen anzugehen.
Mit der Zeit wurden aus den Sängern, die am Anfang noch als Gäste im
Gottesdienst auftraten, Mitfeiernde, die sich persönlich mit dem Glauben,
mit den Inhalten der Gottesdienste und der Kirche beschäftigen.
Jeder neue Sänger muss sich der Herausforderung des Gottesdienstes stellen, wenn er in unserem Chor mitsingen will. Diese Herausforderung kann
man an sehr banalen Dingen festmachen. Jeder, der mit der Kirche und
dem Gottesdienst nicht vertraut ist, fragt sich: „Was kommt auf mich zu?
Wie muss ich mich in einem Gottesdienst verhalten? Was erwarten die
Gottesdienstbesucher von mir als Chorsänger? Wie werde ich wahrgenommen?“
Singt der Chor im Gottesdienst, dann präsentiert er sich zwangsläufig der
Gemeinde, wird kritisch von Gemeindemitgliedern beobachtet. Sind die
Chorsänger mit dem Gottesdienstablauf vertraut? Kennen sie die liturgischen Elemente? Fällt es auf, wenn ein Sänger das Vaterunser nicht mitsprechen kann (oder will)? Wie gehe ich damit um? Ist es mir peinlich? Diese Situationen muss jeder Sänger, jede Sängerin für sich aushalten und er
oder sie muss für sich entscheiden, wie er oder sie damit umgeht.
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Elke Wisse
Wir haben uns dieser Herausforderung gestellt. Das war ein langer Lernprozess. Dabei ist die Gemeinschaft im Chor gewachsen und der Wunsch
nach der Feier von Gottesdiensten in anderer Form gereift.
Heute gestalten wir oft Gospelgottesdienste, die sich nicht mehr streng an
die traditionelle Gottesdienstordnung halten. Wir gehen frei mit den unterschiedlichsten Elementen des Gottesdienstes um und haben immer
wieder neue Ideen, die wir ausprobieren wollen. So können wir auch die so
genannten Kirchenfernen – nicht nur aus den Reihen des Chores – für Gottesdienste begeistern. Nicht selten ist ein guter, ansprechender Gottesdienst den Sängern und Sängerinnen nachhaltiger in Erinnerung als ein
erfolgreiches Konzert. Denn die inhaltliche Auseinandersetzung prägt und
lässt uns auch über die Texte unserer Lieder neu und anders nachdenken.
So gesehen ist die Anbindung eines Gospelchores an eine Gemeinde äußerst wichtig. Gospel ist verkündende Musik. Kein anderer Musikstil trägt
das bereits in seinem Namen: Gospel, Evangelium, die Gute Nachricht. Deshalb gehört der Gospel in die Kirche und in den Gottesdienst. Hier hat die
Musik ihren Ursprung und hier ist sie zu Hause. Umso erstaunlicher ist es,
dass es zahlreiche Gospelchöre gibt, die nicht zu einer Kirchengemeinde
gehören, sondern beispielsweise als eingetragener Verein organisiert sind.
Diese Chöre treten meist in Konzerten auf, eine Mitwirkung an einem Gottesdienst oder gar die Gestaltung eines Gottesdienstes gehört nicht zu
ihren Aktivitäten.
Ist aber der Chor an eine Gemeinde angebunden und damit im Grunde
genommen ein Kirchenchor, sollte die Beteiligung an Gottesdiensten eine
Selbstverständlichkeit sein. In den meisten Fällen ist die Bereitschaft dazu
auch da. Die Frage ist dann: Wie kann der Gospelchor sinnvoll in einen Gottesdienst einbezogen werden?
2. Welche Formen können Gottesdienste mit Gospelmusik annehmen?
Drei verschiedene Möglichkeiten, sich als Gospelchor in einen Gottesdienst
einzubringen, bieten sich an.
1. Der Gospelchor singt im Gottesdienst – das ist das konzertante Modell
und sozusagen die Einstiegsvariante.
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Gospel im Gottesdienst
2. Der Gospelgottesdienst ist eine veränderte Form des traditionellen Sonntagsgottesdienstes.
3. Die Gospelchurch entwickelt sich als ein eigenes, profiliertes Gottesdienstformat.
Im besten Fall ist eine Entwicklung in der Gottesdienstgestaltung zu erkennen. Aus der erstgenannten Variante entwickelt sich nach ein paar Jahren
die Variante zwei. Ob danach auch der Schritt zur dritten Form gegangen
wird, ist von der Gemeindeleitung und den musikalischen Ressourcen der
Gemeinde abhängig.
Eine vergleichbare Wahrnehmung hat Rolf Tischer, Beauftragter für Popularmusik der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz. In seinem Aufsatz „Was der Gospel im Gottesdienst zu suchen
hat“ unterscheidet er sogar vier Formen des Mitwirkens von Chören im
Gottesdienst:
„1. Der Gospelchor tritt konzertant in Erscheinung.
2. Der Gospelchor ersetzt die Gemeindelieder.
3. Der Gospelchor ist Ansingechor und animiert die Gemeinde zum Mitmachen.
4. Ein Gospelgottesdienst mit Chor und Gemeinde.“ 1
Der Gospelchor singt im Gottesdienst: das konzertante Modell
So fängt jeder Chor in der Regel an: Zu einem besonderen Anlass ist der
Gemeindechor gefragt, den Gottesdienst musikalisch mit zu gestalten.
Wird jetzt ein Kirchenchor eins zu eins durch einen Gospelchor ersetzt,
wirkt die Beteiligung konzertant. Der Gottesdienst bekommt dabei oft eine
„stimmungsmäßige Schieflage“, da Wortverkündigung und Musikdarbietung wenig miteinander zu tun haben.
Wie das in der Regel aussieht, zeigen die vorhin beschriebenen Anfangserfahrungen des Chores „PaterNoster“ aus Düsseldorf-Eller.
1
Rolf Tischer: „Gospels im Gottesdienst“, in: Musik und Kirche 73, 2003, S.18-24, Zitat S. 19ff.
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Elke Wisse
Weil die inhaltliche Anbindung fehlt, fühlen sich die Chorsänger in solchen
Gottesdiensten eher als schmückendes Beiwerk oder gar als Lückenfüller
denn als aktiv an der Verkündigung im Gottesdienst Beteiligte.
Der Gospelgottesdienst als veränderte Form des traditionellen Sonntagsgottesdienstes
Wie kann man einen Gottesdienst gestalten, in dem die Gospelmusik und
die Verkündigung sinnvoll und homogen aufeinander bezogen sind? Die
Mitwirkung eines Chores im Gottesdienst ist nichts Außergewöhnliches, da
sie aus der Tradition der klassischen Kirchenchöre bekannt und übernommen ist. Aber ein Kirchenchor hat immer eine Botschaft in seinen Liedern,
die Lieder haben zumeist einen inhaltlichen Bezug zum Gottesdienst, oft
variieren oder ersetzen sie die liturgischen Gesänge. Gottesdienstlicher
Chorgesang ist nicht nur schmückendes Beiwerk, wie der Schweizer Musikrat in einer Handreichung betont: „Musizieren im Gottesdienst geschieht
nicht zum Selbstzweck; Kirchenmusik war und ist kein bloßer Festtagsschmuck, sondern ein unentbehrliches Element der Liturgie. Sie versteht
sich als Medium, das die Verkündigung des Wortes unterstützt und ihr
tiefere Ausdruckskraft verleiht.“2
Ingo Bredenbach, Rektor der Hochschule für Kirchenmusik in Tübingen,
beschreibt die Rolle der Musik im Gottesdienst ähnlich: „Musik [ist] kein
Konsumgut, keine Berieselungsmaschine […] keine Klangtapete für unsere
Gottesdienste. Musik in der Kirche versteht sich weder als Stimulans noch
als Betäubungsmittel, sondern als Beitrag und Hilfe zum Mündigwerden
der Gemeinde, um Hör-Horizonte zu öffnen, so dass sich Gemeinde mittels
der Musik und der durch die Musik kommentierten und interpretierten
Texte selbstbewusst und ihrer selbst bewusst wird.“3
Was kann man also anders machen, damit der Chor sich wohl fühlt und der
Gottesdienst zum Erlebnis wird? Ich möchte hier zunächst auf die inhaltlichen Aspekte eingehen. Wichtig ist, dass der Gottesdienst ein Thema hat.
Nicht immer ist das das Sonntagsproprium. Sind die vorgegebenen Texte
2
Internetseite des Schweizer Musikrates unter „Künstlerische Musikberufe“:
www.miz.ch/documents/musikberuf/25/de.pdf.
3
Ingo Bredenbach: „Kirchenmusik – ein Lebensmittel.“ Vortrag auf der Landessynode der
Evangelischen Kirche im Rheinland am 10. Januar 2006 in Bad Neuenahr, in: „Thema: Gottesdienst“ 24/2006, S. 4-14, Zitat S. 12.
10
Gospel im Gottesdienst
ergiebig für die Auslegung und passen sie zu den gesungenen Gospelsongs,
dann spricht nichts dagegen, sich an diese Texte zu halten. Ansonsten geht
es oft auch umgekehrt: Das Vorbereitungsteam für einen Gospelgottesdienst entscheidet sich für ein Thema und sucht danach die passenden
Bibeltexte und Songs aus.
In der Kirchengemeinde Düsseldorf-Eller achten wir darauf, dass die Texte
in einer modernen Übersetzung gelesen werden. Ergänzend zu den Texten
aus der Bibel werden andere zum Thema passende Texte ausgewählt, beispielsweise Gedichte oder auch selbst geschriebene kurze Betrachtungen.
Eine besondere Einführung ins Thema kann durch ein selbst gestaltetes
Anspiel erfolgen. Da der Gottesdienst am Sonntagmorgen stattfindet,
bleibt die vertraute gottesdienstliche Struktur weitgehend erhalten. Das
bedeutet, dass die liturgischen Gesänge – soweit möglich – durch Gospel
ersetzt werden. Das funktioniert in der Regel sehr gut beim Kyrie, beim
Gloria und beim Halleluja. Andere liturgische Gesänge können weggelassen
oder durch gesprochene Texte ersetzt werden.
Natürlich singt der Chor viele Lieder aus seinem Repertoire, die das Thema
des Gottesdienstes weiter entfalten. Idealerweise wird die Gemeinde in
den Gesang mit eingebunden und zum Mitsingen aufgefordert.
Die Rolle der Sprache: englisch oder deutsch?
Oft kann ein vorhandener inhaltlicher Bezug von vielen Gottesdienstbesuchern trotzdem nicht wahrgenommen werden, weil gerade viele ältere
Gottesdienstbesucher die englische Sprache nicht verstehen. Es sei denn,
die Gospelsongs werden übersetzt, sei es mündlich, sei es auf einem Handzettel. Aber auch wenn man als Besucher den Text versteht, ist die Anmutung eine andere als bei einem deutschen Lied. Der Gospel wird nicht nur
gehört, er muss wirken.
Doch die englische Sprache ist nun einmal fest mit dem Gospel verbunden.
„Wenn man Gospel nicht in Englisch singt, sondern in irgendeiner anderen
Sprache, ist das so, als ob man im klassischen Sinfonieorchester die Geigen
11
Elke Wisse
gegen Flöten austauscht“, stellt Joakim Arenius, Gospelchorleiter aus
Schweden, klar.4
Eine Übersetzung ins Deutsche mit derselben inhaltlichen Aussage ist
meist gar nicht möglich. Ein Beispiel macht dies ganz deutlich: Der Spiritual
„Go tell it on the mountains“ ist ein Weihnachtsgospel. In der deutschen
Fassung „Komm, sag es allen weiter“ ist daraus eine Einladung zum Abendmahl geworden. Darüber hinaus würde jede deutsche Übersetzung hölzern
klingen, weil der Originalwortlaut nicht eins zu eins übertragen werden
kann. Es gibt allerdings Kompositionen, die von vornherein zweisprachig
angelegt sind. Ein schönes Beispiel ist das Segenslied „May the Lord send
angels“, das in der deutschen Übersetzung „Geh in Gottes Frieden“ heißt.
Es gibt deutschsprachige Gospel, aber treffen sie den Kern der Musik? Ist
Gospel nur Gospel, weil er die typischen musikalischen Elemente enthält,
oder auch, weil die Sprache fest mit dem Musikgenre verbunden ist? Diese
Frage werden Musiker sehr unterschiedlich beantworten. Meiner Meinung
nach muss hier jeder für sich selber entscheiden – genauso wie ich entscheiden muss, ob ich einen Roman in der Originalsprache lese oder eine
Oper in der Originalsprache oder in Übersetzung bevorzuge.
Dazu gibt Rolf Tischer zu bedenken: „Die englische Sprache ist inzwischen
zu einem selbstverständlichen oder zumindest zulässigen Medium des
Ausdrucks geworden. Die (pop-) kulturelle und technologische Globalisierung […] bedient sich dieser Sprache. Wer im 21. Jahrhundert mithalten will,
muß (amerikanisches) Englisch beherrschen. Das hat auch die Bildungspolitik verstanden. Englisch wird inzwischen bereits in der Grundschule ab der
3. Klasse gelernt. Englische Ausdrücke werden zunehmend Bestandteil der
Umgangssprache, keine Computer-Bedienung ohne Basis-Wissen in Englisch! Das hat für die neue Gospel-Bewegung viele Vorteile, denn Gospel
kann man im Grunde ‚richtig’ nur in amerikanischem Englisch singen. Im
Gegensatz zu früher ist dies jedoch kein befremdlicher und trennender
Tatbestand mehr. […] Englisch ist die allgemeine Verkehrssprache auf der
Welt geworden – warum sollte eine nach Ökumene und interreligiösem
4
Im Gespräch mit Elke Wisse am 25.11.2005.
12
Gospel im Gottesdienst
Dialog Ausschau haltende Kirche sich nicht auch gelegentlich dieser Sprache in gottesdienstlichen Liedern bedienen?“5
Um die Verständlichkeit der englischen Gospeltexte zu verbessern, ist es
ratsam, der Gemeinde sowohl den englischen Text als auch eine sinngemäße Übersetzung an die Hand zu geben. Kann der englische Text mitgelesen werden, kommt die Aussage der Lieder beim Zuhörer an. Verluste auf
Grund nicht verstandener Liedzeilen werden vermieden. Eine zusätzlich zur
Verfügung gestellte Übersetzung schließt Verständnisprobleme vollends
aus. Auch können die Inhalte der Lieder in Predigt und Gebet nochmals
aufgegriffen werden.
Manchmal wird der Gospelmusik vorgeworfen, sie benutze einfache, oft
gar triviale Sprache. Das ist aber durchaus von Vorteil: So wird der Zugang
zu den Liedern eröffnet. Die Schlichtheit der Sprache erleichtert das Mitsingen. Dies hat seinen Ursprung in der Geschichte des Gospels in der afroamerikanischen Welt. 6 Heutzutage singen die schwarzen Gemeinden in
Amerika, woher die Vielzahl der Songs stammt, in einer Sprache, die Gegenwartssprache ist. Darauf macht Theo Lehmann aufmerksam: Die Gemeinde singt „nicht in der toten, mit Fußnoten schwach belebten Sprache
der Vergangenheit, sondern in der Sprache ihrer Gegenwart […]. Hinzu
kommt, dass die Antwort auf das Wort Gottes nicht vorgeschrieben wird
durch ein an eine Liedertafel angezeigtes Lied, welches der Pfarrer längst
vor dem Gottesdienst zu Hause ausgewählt hat.“7 Die gesungene Sprache
ist zeitgenössisches Englisch, die gleiche Sprache, in der auch der Gottesdienst in Amerika gehalten wird.
Im Zentrum der Lieder steht oft das eigene Ich („Help me Lord“8 oder „Stay
with me“9). Das Ich darf mit seinen Sorgen, Problemen oder auch mit seiner
Freude zu Gott singen. Das Ich versteckt sich nicht in einer Masse, mit der
es sich nicht identifizieren kann. Um nur ein weiteres Beispiel zu nennen:
Im Song „Through it all“ wird von vielen negativen Erfahrungen, die das Ich
im Leben erlebt hat, erzählt, von Tränen, Sorgen, Fragen und Einsamkeit.
5
Rolf Tischer, „Good News in bad times“, Forum Kirchenmusik, 5/2000, S. 8.
Vgl. Theo Lehmann, Negro Spirituals – Geschichte und Theologie, Stuttgart, 1996. Teddy
Doering: „We´ll understand it better by and by“, Musik und Kirche, 1/03, S. 4-10.
7
Lehmann, a.a.O., S. 378.
8
Musik und Text: David Thomas. Creative Kirche im Lutherverlag.
9
Musik und Text: Heinz-Helmut Jost-Naujoks. Felsenfest Musikverlag 1999.
6
13
Elke Wisse
Aber dank all dieser negativen Erfahrungen habe das Ich gelernt, auf Gott
zu vertrauen: „Through it all, I´ve learned to trust in Jesus, I´ve learned to
trust in God.“10
Welche Gospelsongs singt die Gemeinde?
Nicht jeder Gospel eignet sich als Gemeindelied im Gottesdienst. Hier ist
eine Parallele zum herkömmlichen Kirchenchor zu sehen, der ebenfalls
seine Lieder als Vortrag einbringt und die Gemeinde nur selten zum Mitsingen einlädt.Viele – wenn nicht die meisten – der heutigen Gospelsongs
sind Vortragslieder. Bei einem Gospelgottesdienst ist es dennoch wichtig,
eine Mischung zwischen Gemeindegesang und Vortragslied zu finden. Oft
kann die Gemeinde bei Strophenliedern den Refrain problemlos mitsingen.
Sollen Lieder aus dem Gesangbuch gesungen werden, stehen auch hier
mittlerweile übersetzte Gospelgesänge oder immerhin Lieder aus dem
Bereich des Neuen Geistlichen Liedes zur Verfügung. Auf eine gewisse stilistische Annäherung an den Gospel und eine adäquate Ausführung sollte
allerdings geachtet werden.11
In der Regel kann bei einem Gospel-Gottesdienst auf die Orgel verzichtet
werden. Wird der Chor von Band oder Piano begleitet, sollte auch der Gemeindegesang mit dieser Beleitung erfolgen. Es ist dann zu beobachten,
dass die Hemmschwelle, diese Lieder zu singen, deutlich geringer ist, weil
Anleitung und Animation von vorne kommen, nämlich durch den Gesang
des Chores. Der Chor fungiert sozusagen als „Motivationsspritze“ für das
Singen. Zum anderen ist die Distanz zum begleitenden Instrument aufgehoben.
Völlig klar sollte sein, dass der Chor in einem Gospelgottesdienst im Angesicht der Gemeinde singt. Eine Platzierung auf der Empore ist bei Gospelmusik nicht angebracht, weil sie eine künstliche Distanz schafft. Nur wenn
der Chor direkten Blickkontakt zu seinen Zuhörern hat, hat er auch eine
Chance, Begeisterung und Botschaft rüberzubringen. In den meisten Kir10
Musik und Text: Andrae Crouch. Manna Music.
Beispiele sind: Hört, wen Jesus glücklich preist (EG 670), Morgenlicht leuchtet (EG 455),
Kommt mit Gaben und Lobgesang (EG 229).
11
14
Gospel im Gottesdienst
chen gibt es vor dem Altarraum Stufen, die für die Choraufstellung genutzt
werden können, und auch genug Platz für Klavier oder E-Piano.
Wie tritt der Chor in Erscheinung?
Eine weitere Frage, die gerade dann, wenn der Chor im Altarraum steht,
geklärt werden muss: Wann steht der Chor, wann darf er sich setzen? Permanentes Aufstehen und Setzen stören extrem. Es bringt Unruhe in den
Gottesdienst und beansprucht bei einem vierzigköpfigen Chor einen großen Zeitaufwand. Hat der Chor seinen Platz in den ersten Bankreihen, so
sind diese, wenn er singt, nicht besetzt, wodurch eine störende Lücke zur
Gemeinde entsteht.
Daher steht der Chor am besten während des gesamten Gottesdienstes im
Altarraum und sitzt nur während der Predigt, dann allerdings im Seitenschiff. Dadurch ist der Chor stets präsent. Natürlich bedeutet diese Präsenz
auch für den Chor eine gewisse Herausforderung. Sie führt auch immer
wieder zu Diskussionen: Wirkt der Chor nicht zu dominant im Gottesdienst,
so dass dieser einen konzertanten Charakter bekommt? Dies wäre der Fall,
wenn der Chor nur sänge und sonst nicht am Gottesdienst beteiligt wäre.
Doch der Chor kann auch bei anderen Elementen des Gottesdienstes eingebunden werden. Texte, Gebete oder einzelne Fürbitten werden von Chormitgliedern, die dazu aus dem Chor heraustreten, gesprochen. Dasselbe gilt
für Anspiele oder andere Elemente des Gottesdienstes. Je mehr Mitglieder
des Chores aktiv beteiligt sind, desto authentischer wirkt die Präsenz des
Chores im Gottesdienst.
Wenn der Chor im Altarraum steht, verdeckt er der Gemeinde allerdings die
Sicht auf den Altar und zum Teil auf das Kreuz. Bei Gebeten oder Texten,
die vom Altar aus gesprochen oder gelesen werden, hat es sich bewährt,
dass der Chor eine Gasse bildet und so den Blick auf den Altar frei gibt.
Anschließend rückt er, während bereits das Intro zum nächsten Song erklingt, auf ein Zeichen hin wieder zusammen.
Um die Stimmung eines Gottesdienstes zu verdichten, kann man Gebete
oder Texte mit Musik unterlegen. Besonders eindrücklich wirkt dies bei den
Fürbitten, die von Chorsängern gesprochen und etwa von leiser improvisierter Klaviermusik begleitet werden. Wichtig ist hierbei, dass der Sprech15
Elke Wisse
rhythmus dem Musikrhythmus folgt. Aus Gründen einer guten Abstimmung sollte dieser Teil des Gottesdienstes eigens geprobt werden.
Ist der Chor in dieser Weise in das gottesdienstliche Geschehen eingebunden, wird sein Auftreten nicht konzertant wirken. Unabdingbar sind dafür
Konzentration und Präsenz. Beides wird sich nicht unbedingt beim ersten
Gottesdienst, den man auf diese Art und Weise gestalten will, einstellen.
In der Kirchengemeinde Düsseldorf-Eller beispielsweise gibt es keine Patentlösungen. Für jeden Gottesdienst muss ein angemessener und gangbarer Weg gefunden werden. Unsere Gottesdienste folgen keinem festen
Schema, dennoch sind Gemeinsamkeiten mit dem traditionellen Gottesdienst zu erkennen. Außerdem haben wir neben der inhaltlichen Anbindung auch immer die Präsentation, die Performance des Chores im Blick,
das heißt wie der Chor im Gottesdienst in Erscheinung tritt.
Es gibt diese Gospelgottesdienste in Eller bisher nicht als regelmäßige Veranstaltung, sondern sie finden punktuell übers Kirchenjahr verteilt statt.
Einige Gottesdienste im Kirchenjahr haben sich dabei als besonders dankbar erwiesen, wie zum Beispiel der Partnerschaftsgottesdienst oder der
Gottesdienst zum Gemeindefest.
Ein weiterer Schritt über die traditionellen Formen und Elemente des Gottesdienstes hinaus hin zu einem eigen-profilierten Gospelgottesdienst
führte uns dann in Düsseldorf zum Format der Gospelchurch.
Ein Beispiel für einen Gospelgottesdienst: „May the Lord Send Angels“, der
im Oktober 2005 in der evangelischen Stadtkirche Ratingen gefeiert wurde,
wird auf der Internetseite www.gospel-in-duesseldorf.de zur Verfügung
gestellt.
16
Stimmen von Gospelmusikerinnen und Gospelmusikern
Was Gospelmusik für mich bedeutet1
Njeri Weth:
„Hoffnungslieder gegen Ängste“
Für mich persönlich ist Gospel der Schlüssel
zu meiner Musik. Ich habe früher Soul, Jazz
und Funk gesungen, dann ein klassisches
Musikstudium aufgenommen und mich
immer mehr gefragt, was genau ich mit
meinem Gesang erreichen will. Als ich dann
das erste Mal mit Gospel in Berührung kam, wurde mir klar, dass es meine
Gabe ist, Gebete und Hoffnungslieder für die Menschen zu singen. In den
Gospels habe ich solche Herzensgebete gefunden, die Kraft und Hoffnung
schenken. Hoffnungslieder gegen Ängste, Depressionen und Einsamkeit.
Diese Verantwortung nehme ich als Künstlerin sehr ernst. Ich finde das Bild
von Jesus Christus als das Licht der Welt wunderschön. Vielleicht kann ich
ja ein kleiner Lichtstrahl von ihm sein.
Ruthild Wilson:
„Man singt nur mit dem Herzen gut“
Gospelmusik ist die Sprache des Herzens. Frei
nach Saint-Exupery: Man singt nur mit dem
Herzen gut. In einer Zeit immer größer
werdender
Vereinsamung,
wird
die
Sehnsucht nach „mehr Gefühl“ immer stärker.
Gospelmusik
bedeutet
gemeinsames
Ausdrücken verschiedenster Gefühle durch
Text und Musik, von Trauer bis Euphorie. Es geht um die Botschaft von
Jesus Christus und Berichte über das ganz individuelle Leben mit Gott: Verarbeitung von Schmerz und Einsamkeit oder einfach Lobpreis und Vorfreude auf die Ewigkeit.
1
Die hier veröffentlichten Stellungnahmen stammen aus Interviews, die Elke Wisse mit den
Musikern geführt hat, bzw. aus Fragebögen, die sie den Musikern vorgelegt hat.
17
Stimmen von Gospelmusikerinnen und Gospelmusikern
Joakim Arenius:
„Mit Gott reden”
Für mich persönlich ist es ein Weg, mit Gott zu
reden und ihn zu loben. Es ist aber auch ein Weg,
Freude zu verbreiten, unabhängig davon, was
man glaubt und wer man ist. Die Musik ist die
erfolgreiche Kombination der rhythmischen
traditionellen Musik aus Afrika und der
melodischen Hymnen aus Europa. Die Botschaft
ist ganz einfach: gute Nachrichten in schlechten
Zeiten.
Sarah Kaiser:
„Leidenschaftliche Musik“
Gospelmusik ist für mich eine leidenschaftliche
Musik, die sehr viel Gefühl ausdrückt. Es ist die
Musik der Schwarzen. Das war schon immer meine
Lieblingsmusik. Das Besondere an der Musik ist,
dass sie Gott lobt, sie redet von Gott und steht im
direkten Dialog mit Gott. Deshalb ist es auch eine
sehr ermutigende Musik.
Helmut Jost:
„Musik, die tröstet“
Gospelmusik ist die Musik, die meiner Art, sich musikalisch zu äußern, am
nächsten kommt. Sie tröstet mich und fordert mich heraus. Sie ist Zuspruch
und Anspruch des Evangeliums.
Es geht um das Evangelium, die frohe Botschaft. Musikalisch bringen die
Akkorde, die Art zu singen, die Melodien, die Kraft und die Zartheit der Musik meine Sinne zum Schwingen.
18
Stimmen von Gospelmusikerinnen und Gospelmusikern
Matthias Nagel:
„Musik der Freude und der Trauer“
Gospelmusik bedeutet für mich immer, dass beide Pole der menschlichen
Empfindung gleichzeitig zum Tragen kommen können: die Freude einerseits und die Trauer andererseits. Gospel ist sehr eng mit dem Blues verwandt, und Blues ist komponierte Trauer. Das ist eine wichtige Wurzel der
Gospelmusik. Andererseits ist Gospelmusik die Aufforderung zu tanzen,
fröhlich zu sein, die Sorgen und Lasten abwerfen zu dürfen. Darum muss
Gospelmusik auch fröhlich sein. Die beiden Pole sind nicht immer direkt
spürbar, sondern sie kommen bei der Musik automatisch zusammen.
Musikalisch bedeutet Gospelmusik für mich, dass das rhythmische Element
endlich zum Tragen kommen darf. In der Kirchenmusik ist es so, dass wir
uns im Prinzip mit vielen Stilen befassen und ausdrücken, die schon mehrere Jahrzehnte oder Jahrhunderte zurückliegen. Das sind wunderbare Hochkulturen, auf die wir uns beziehen, aber wenn ein Mensch aus der heutigen
Zeit seinen Glauben ausdrücken möchte, dann greift er meiner Meinung
nach zu seiner Gitarre oder zum Keyboard und wird nicht unbedingt einen
Choral schreiben. Er wird eher ein grooviges Stück schreiben, vielleicht eine
Ballade oder eben einen Gospelsong.
Danny Plett:
„Gute Nachricht fürs Leben“
Gospelmusik ist ein Musikstil, der leicht zu singen ist und jede Altersgruppe
anspricht. Der stark betonte Rhythmus lädt zum Feiern ein. Gospelmusik
spricht in erster Linie das Herz der Menschen und weniger den Verstand an.
Hauptsächlich aber geht es bei Gospelmusik um die Bedeutung der Guten
Nachricht von Jesus Christus für unser Leben.
19
Ulrich Erker-Sonnabend und Elke Wisse
Die Gospelchurch
Zur Person: Dr. Ulrich Erker-Sonnabend ist Redakteur und Leiter der Evangelischen Pressestelle Düsseldorf. Er ist Mitorganisator der Düsseldorfer Gospelchurch, die er auch moderiert.
Moderne Gospelmusik verlangt nach einer besonderen Gottesdienstform.
Dieser Artikel stellt das Format sowie die einzelnen Elemente der Gospelchurch vor. Zur Illustration ist der Ablaufplan einer Gospelchurch beigefügt.
Zusätzlich werden Hinweise auf den Medieneinsatz gegeben; denn eine
Gospelchurch kommt eigentlich nicht ohne Beamer und Tonanlage aus.
1. Was ist eine Gospelchurch?
Die Gospelchurch ist ein Gottesdienstangebot aus dem so genannten zweiten Gottesdienstprogramm (dem Programm neben den kerngemeindlichen Sonntagsgottesdiensten). In Düsseldorf zum Beispiel findet sie viermal im Jahr statt, und zwar an einem Samstagabend um 18 Uhr in der evangelischen Citykirche, der Johanneskirche. Hier passt sie in das Konzept
einer Citykirche, die „Gasthaus“ (Kirche mit einem Cafébereich), „Konzerthaus“ (hier finden die großen Kirchenkonzerte statt) und „Bethaus“ (die
Kirche hat einen durchbeteten Gottesdienstraum, der offen ist für die verschiedensten Gottesdienstformate) in einem. 1
Wenn es in einer Handreichung der rheinischen Kirche heißt, die „Gottesdienste sollten so gestaltet werden, dass sich die Teilnehmenden in einen
spirituellen Raum und eine spirituelle Zeit der Besinnung, Motivierung,
Erholung, Selbstreflexion und Neuorientierung eingeladen fühlen können“,
so beherzigt die Gospelchurch diesen Rat.2 Die Musik in ihr ist für die Menschen Einladung, sich auf das Evangelium einzulassen. Sie hilft den Menschen, Gottesdienst neu zu erleben, getragen von der Musik, um das Wort
1
Die Trias Bethaus, Konzerthaus, Gasthaus spielt in genau dieser Begrifflichkeit eine zentrale
Rolle in der Konzeption des Düsseldorfer Citykirchenprojektes der Johanneskirche.
2
Markus Dröge, „Kirchliche Spiritualität“ in der missionarischen Volkskirche, in: „Missionarische Volkskirche“, hg. v. Arbeitskreis Missionarische Dienste der Landeskirche, 2006, S. 12.
20
Die Gospelchurch
Gottes zu hören und zu verstehen. Denn die Musik und die Texte der Lieder
sind erlebter Glaube, drücken lebensnahe Situationen aus, und beide bringen das Wort Gottes auf verständliche Weise den Menschen nahe.
Die Menschen, die zur Gospelchurch kommen, lieben die Gospelmusik. Sie
haben eine Erwartungshaltung der Musik gegenüber.3 Viele der Besucher
der Gospelchurch gehören eher zu den Randsiedlern kirchlicher Angebote.
Ihr Alter verteilt sich auf die Jahre zwischen den 30ern und 60ern. Die
Gospelchurch zielt ganz bewusst auf eine Zielgruppe. Damit passt sie in ein
Citykirchenprojekt. In der Düsseldorfer Johanneskirche zum Beispiel findet
sich eine ganze Reihe von Gottesdiensten, die zielgruppenspezifische Angebote machen. Das reicht von „Evensong“-Gottesdiensten aus der anglikanischen Tradition bis zu „Sunday Special“-Gottesdiensten für Anfänger,
Neugierige, Atheisten und spirituelle Wanderer.4
Die Einladung zur Gospelchurch ist eine Einladung zu einem Abend mit
Gospelmusik im Live-Format. Die Musik ist Dreh- und Angelpunkt der Verkündigung. Das Thema einer Gospelchurch ist der Titel eines Gospelsongs
oder eine Verszeile daraus. Der Inhalt des jeweiligen Titelsongs ist Mittelpunkt der Anmoderation, ist roter Faden in der gesamten Gospelchurch
und schwingt in allen Elementen der Gospelchurch mit.
Eine feste Liturgie gibt es in der Gospelchurch nicht. Die Gospelchurch hat
einen Moderator, und er führt durch den ganzen Gottesdienstes. Er ersetzt
nicht den Liturgen, sondern hat in diesem Gottesdienstformat eine ganz
eigene Funktion, eine Rolle, die der eines Entertainers ähnelt. Manchmal
fällt in diesem Zusammenhang auch der Begriff „Gospel-Tainment“.
Der Moderator muss beispielsweise in der Lage sein, einen Talkgast zu interviewen. Trotz intensiver Vorbereitung mit dem Gast sind die Antworten
nicht abgesprochen. Wer in der Gospelchurch moderiert, muss auf unvorhergesehene Aussagen reagieren, sie in den Gesamtkontext einbinden.
3
Es werden zu jeder Gospelchurch Musiker aus der heutigen Gospelszene eingeladen, die den
Gottesdienst musikalisch gestalten.
4
Informationen zum Gottesdienstangebot der Johanneskirche gibt es auf der Internetseite
www.johanneskirche.org.
21
Ulrich Erker-Sonnabend und Elke Wisse
Das Konzept der GOSPELchurch
Im Zentrum der Düsseldorfer GOSPELchurch steht die Gospelmusik und das
Erleben dieser Musik. Gospelmusik ist verkündende Musik. Zu GOSPELchurches gehört daher eine der Musik angemessene Verkündigung.
Die GOSPELchurch ist kein fundamentalistisches und auch kein aufgesetztes, frömmelndes Unternehmen. Sie bietet eine Spiritualität, die dem toleranten evangelischen Rheinland gemäß ist.
Dabei ist die GOSPELchurch eine Form, die alternativ zu herkömmlichen
Gottesdiensten zu sehen ist. Sie orientiert sich nach beiden Seiten: nach
dem, was situationsgemäß in der Verkündigung angesagt ist; aber auch
blickt die GOSPELchurch in die Richtung derer, die an ihr teilnehmen – als
Musiker wie als GOSPELchurch-Besucher. Deren Bedürfnisse werden berücksichtigt. Das geschieht etwa mit dem Mittel der Befragung.
Jede GOSPELchurch hat ein Thema. Das sollte in das Kirchenjahr passen
oder zu einem kirchlichen Ereignis in Düsseldorf.
Jede GOSPELchurch hat einen eigenen Prediger bzw. eine eigene Predigerin.
Dies sind in der Regel ordinierte Theologen und Theologinnen. Sie werden
zu den einzelnen GOSPELchurches angefragt, sie übernehmen Predigt und
Segen.
Jede GOSPELchurch hat einen Moderator, der durch die GOSPELchurch führt.
Jede GOSPELchurch hat einen verantwortlichen Musiker bzw. eine verantwortliche Musikerin.
In der Verständigung dieser Beteiligten (Moderator, Musikerin, Prediger,
Organisatoren der GOSPELchurch) werden die jeweiligen GOSPELchurches
geplant und durchgeführt.
Eine GOSPELchurch kostet keinen Eintritt – denn sie ist ein spirituelles Angebot der Kirche, getragen von „evangelisch in Düsseldorf“.
Quelle: Konzeptpapier zur Gospelchurch Düsseldorf, 2004
22
Die Gospelchurch
Natürlich wird jede Gospelchurch von einem Pfarrer oder einer Pfarrerin
begleitet. Pfarrer oder Pfarrerin haben genau die Funktion, für die sie ordiniert wurden: Sie verkünden Gottes Wort in der Ansprache, sind öffentliche
Prediger. Am Ende des Gottesdienstes sprechen sie den Segen. Es sind nicht
immer die gleichen Pfarrer und Pfarrerinnen, die die Gospelchurches mitfeiern. Sie wechseln, so dass jede Gospelchurch sozusagen ihren eigenen
Prediger hat.5
Die Themenauswahl
Das Thema einer Gospelchurch richtet sich nach der Musik. Damit ist, wie
erwähnt, gemeint, dass ein Musiktitel oder eine Zeile aus einem Gospelsong das Thema anregt. In der Regel ist es so, dass der Künstler, der für die
Musik in einer Gospelchurch verantwortlich ist, zunächst ein Repertoire an
Songs vorgibt, aus dem für die Gospelchurch die passenden Titel auswählt
werden. Die endgültige Auswahl erfolgt in enger Absprache mit dem
Gospelchurch-Team.
Ist das Thema definiert, sucht das Team einen geeigneten Bibeltext für die
Lesung. Der Weg, wie der Gottesdienst entsteht, unterscheidet sich von der
traditionellen Vorgehensweise, wo ein vorgegebenes gottesdienstliches
Proprium oder ein vorgegebener Predigttext die Basis für die Gestaltung
des Gottesdienstes bildet. Der ausgewählte Bibeltext ist gleichzeitig auch
Predigttext. Der Pfarrer, die Pfarrerin legt das Thema anhand des ausgesuchten Bibeltextes und des Titelsongs in der Ansprache aus. Um dem
Thema Nachdruck zu verleihen, wird der Refrain des Titelsongs während
der Gospelchurch meist in direktem Zusammenhang mit der Ansprache
wiederholt.
Die weitere inhaltliche Gestaltung des Gottesdienstes liegt in der Hand des
Gospelchurch-Teams und des jeweiligen Pfarrers, der jeweiligen Pfarrerin.
5
Vgl. zu diesem Komplex auch: Tilmann Haberer, Die Thomasmesse, München 2002, S.80 et
passim.
23
Ulrich Erker-Sonnabend und Elke Wisse
Die Grundform einer Gospelchurch
Einlass etwa eine Stunde vorher, gegebenenfalls Ansingen der Lieder
o
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Ankommen
Lieder zum Beginn
Begrüßung
Lied
Hinführung zum Thema mit Lesung
Lied
Kollektenansage (konkret, persönlich; meist mit Interview)
Lied
Interview oder anderes Element, das zum Thema führt
Lied
Anmoderation der Ansprache
Ansprache
Lied
Mitteilungen, vor allem Bekanntgabe des Kollektenertrages
Lied
Geschenkaktion (Fürbitte)
Lied
Vater unser
Segen
Lieder
Ausklang
Selbstverständlich kann von dieser Basisform abgewichen werden. Weitere
Elemente können eingeschoben, andere können gestrichen werden. Das ist
abhängig vom Thema und ggf. auch von der Zeit im Kirchenjahr.
Quelle: Konzeptpapier zur Gospelchurch Düsseldorf, 2004
2. Die Elemente der Gospelchurch
Die Lieder
Die einzelnen Elemente der Gospelchurch werden durch die Lieder verbunden. Manchmal werden sie anmoderiert, manchmal folgen sie kommentarlos nach einem gesprochenen Element. Dabei ist entscheidend, dass man
den Charakter der Lieder kennt und sie passend in der Gospelchurch platziert. Groovige Stücke passen an den Anfang oder ans Ende. Als Begleitung
24
Die Gospelchurch
und Untermalung der mehr besinnlichen und emotionalen Geschenkaktion
gegen Ende einer Gospelchurch ist unbedingt eine Ballade zu wählen. Gibt
es neben dem Motto-Lied weitere Lieder, die das Thema aufgreifen, sollten
sie an den stark inhaltsbezogenen Stellen der Gospelchurch platziert werden. Die Auswahl der Lieder ist für die Gesamtstimmung der Gospelchurch
entscheidend. Sie verstärken die zu transportierenden Inhalte und sorgen
für einen homogenen Ablauf des Gottesdienstes.
In einer Gospelchurch werden zwar die Lieder im Vorfeld ausgewählt, sie
sind aber in ihrer Darbietung nicht festgelegt. Die Anzahl der Strophen der
einzelnen Songs ist beispielsweise variabel. Genauso liegt es im Ermessen
der Vortragenden, wie oft ein Refrain wiederholt wird und ob das Lied in
einer Reprise neu angestimmt wird.
Nicht selten passiert es in der Gospelchurch, dass die Musiker spontan ein
nicht eingeplantes Lied anstimmen, weil es gerade in die Situation und zur
Stimmung passt. Hier ist der musikalischen Spontaneität keine Grenze
gesetzt. Und eine Gospelchurch lässt spontanes Reagieren auf die Stimmung zu, es kann sich eine Eigendynamik entwickeln. Die Gospelchurch ist
nicht durch die äußere Form eingeengt.
Deshalb dauert eine Gospelchurch oft länger als 90 Minuten. Sie hält sich
nicht an ein vorgegebenes Zeitlimit. Die Besucher schauen auch nicht nervös auf die Uhr. Sie erwarten kein schnelles Ende des Gottesdienstes. Ein
spannungsvoller, dynamischer Gottesdienst wird von den Besuchern nicht
als langweilig oder zu lang empfunden.
Ankommen
Zu einer Gospelchurch kommen die Menschen nicht erst fünf Minuten vor
Beginn. Natürlich möchte man einen guten Sitzplatz ergattern und sich
auch mit Menschen treffen. Das unterstreicht auch das konzeptionelle
Motto: „Gospelchurch, das ist Gottesdienst feiern, zusammenkommen und
-bleiben, etwas essen und trinken und miteinander ins Gespräch kommen.“6 Es gibt Zeit und Raum, in der Kirche anzukommen und sich wohlzufühlen.
Die Besucher, die im Kirchraum auf den Beginn des Gottesdienstes warten,
werden über vergangene oder zukünftige Gospel-Ereignisse informiert. Mit
Hilfe eines Beamers werden Fotos der vergangenen Veranstaltungen auf
6
Diese Programmbeschreibung findet sich in allen Medien, mit denen für die Gospelchurch
geworben wird. Das Zusammenbleiben der Menschen nach einer Gospelchurch findet im
Gospelbistro statt. Das Bistro ist sozusagen das Kirchencafé zur Gospelchurch.
25
Ulrich Erker-Sonnabend und Elke Wisse
eine Leinwand projiziert, es wird auf Termine aufmerksam gemacht, das
Thema des Gottesdienstes wird angekündigt und ebenso, wer daran mitwirkt. Nach Möglichkeit und wenn es das musikalische Programm anbietet,
können vor Beginn des Gottesdienstes Refrains der Lieder angestimmt werden.
Begrüßung
Nach den ersten stimmungsvollen Liedern begrüßt der Moderator, der
durch die Gospelchurch führt, die Besucher und Besucherinnen. Die lockere
Begrüßung hat stets einen aktuellen Tagesbezug. Es werden die musikalischen Gäste vorgestellt. Es darf auch hier ein Bibeltext zitiert werden. Die
Begrüßung schließt immer das Eingangsvotum ein: „Wir sind in dieser
Gospelchurch zusammen im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes – im Namen des Gottes, der uns Freund ist.“
Es folgt ein kurzer Hinweis auf das Thema und was die Besucher in den
nächsten anderthalb Stunden der Gospelchurch erwartet.
Der Moderator spricht über ein drahtloses Mikrofon oder ein Headset, so
dass er in seiner Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt ist. Die Distanz zu
den Besuchern wird durch das Wandern durch die Reihen, durch gezieltes
Ansprechen einzelner Besucher aufgehoben. Die Sprache ist so gewählt,
dass sie die Menschen unmittelbar anspricht, keine gottesdienstliche oder
theologische Sondersprache. Sie setzt keine Hintergrundkenntnisse von
Religion, Bibel oder Kirche voraus.
Texte oder Gedanken werden durch Bilder, die wiederum über Beamer
projiziert werden, verstärkt. Die visuelle Unterstützung verleiht vielen gesprochenen Worten eine nachhaltigere Wirkung. Manche Bilder wirken
auch ohne Worte. Wichtig ist der gekonnte und bewusste Einsatz der Medien.
Die Lesung
Eine Lesung aus der Bibel gehört in jede Gospelchurch. Wir achten allerdings darauf, dass eine sprachlich zugängliche Bibel-Übersetzung gewählt
wird. Dies ist häufig „Die Gute Nachricht. Bibel in heutigem Deutsch“,
manchmal auch eine der Übersetzungen von Jörg Zink oder Walter Jens
oder die Bibelerzählung von Nico ter Linden. Manchmal sind Bibeltexte auf
die wesentlichen Bestandteile und Aussagen gekürzt. Dabei steht stets das
Anliegen im Vordergrund, mit den biblischen Aussagen dem Alltag der
Besucher und Besucherinnen der Gospelchurch möglichst nahe zu kommen.
Stark erklärungsbedürftige Texte fallen damit heraus.
26
Die Gospelchurch
Der Lesungstext ist eingebunden in die Einführung zum Thema und wird
weder vom Moderator noch vom Pfarrer, sondern von einer Person aus
dem Team gelesen.
Die Kollektenansage
In jeder Gospelchurch wird eine Kollekte gesammelt. Auch die Kollekte hat
möglichst mit dem Thema der Gospelchurch zu tun. Als es zum Beispiel um
das Thema „In your hands“ ging, war die Kollekte für die Gehörlosenseelsorge bestimmt, für Menschen, die mit Hilfe ihrer Hände in der Gebärdensprache kommunizieren.
Der Kollektenaufruf ist stets konkret und persönlich, anders als zum Beispiel der allgemeine sonntägliche Aufruf zur Spende „für die Diakonie unserer Gemeinde“. Der Kollektenzweck wird in einem Talk ausführlich vorgestellt. Ein Verantwortlicher des jeweiligen Projektes wird eingeladen, um
das jeweilige Spendenprojekt vorzustellen. Diese Person muss einen engen
Bezug zum Projekt und zu dem Spendenzweck haben. Es hat sich bewährt,
wenn der Spendenzweck eine gewisse lokale Nähe hat.
Wichtig ist, dass die Kollekten-Moderation und das Interview gut vorbereitet sind, so dass Authentizität und Identifikation mit dem Projekt von den
Besuchern wahrgenommen werden.
Nach Möglichkeit sollte auch hier auf eine visuelle Unterstützung zurückgegriffen werden. Den Spendenzweck mit Fotos zu präsentieren, wirkt sehr
eindrücklich und öffnet die Herzen der Menschen. In der Regel wird in Absprache mit dem Interviewgast ein Betrag genannt, der für ein konkretes
Vorhaben nötig ist. Der Betrag wird als Zielsumme ehrlich genannt – dabei
ist natürlich Fingerspitzengefühl gefragt.
Das gesamte Kollekteninterview dauert selten mehr als drei Minuten. Es
endet stets mit dem Hinweis, dass der Interviewpartner nach dem Ende der
Gospelchurch noch im Gospelbistro für weitere Fragen zur Verfügung steht.
Der Kollektenaufruf erfolgt relativ früh im Gottesdienst. Die Kollekte wird
sofort gezählt und das Kollektenergebnis wird noch während des Gottesdienstes bekannt gegeben. In der Regel wird mehr Kollekte eingenommen,
als vorgeschlagen wurde. Dies lässt ein gewisses Gemeinschaftsgefühl und
eine Verbundenheit unter den Besuchern spüren: „Wir haben das gemeinsam erreicht.“
27
Ulrich Erker-Sonnabend und Elke Wisse
Das Interview, das zum Thema führt
Meist gibt es nach der Lesung und nach dem Kollektenaufruf ein Interview,
das zum Thema einer Gospelchurch hinführt. Oft ist dies ein Interview mit
einem an der Gospelchurch beteiligten Musiker. Ist der Titelsong vom eingeladenen Musiker selber komponiert und getextet, bietet es sich an, ein
Interview über sein Lied zu führen. Fragen über die Entstehung des Liedes,
nach dem Selbstverständnis, nach der Relevanz in seinem Leben lassen
Lieder oft noch einmal in einem neuen Licht erscheinen.
Durch ein Interview wird der Künstler nicht nur als Künstler, der seinen Job
tut, sondern auch als Christ wahrgenommen. Seine Songs werden glaubwürdiger, und die Person wird von den Besuchern deutlicher wahrgenommen. Das führt oft zu Gesprächen mit dem Künstler nach der Gospelchurch.
Wenn ein Chor teilnimmt, hat das Team gute Erfahrungen damit gemacht,
Sänger oder Sängerinnen zu befragen. Oftmals haben sie sich intensiv mit
den Inhalten der Gospelsongs und der jeweiligen Gospelchurch auseinandergesetzt haben. Es ging in einer Gospelchurch zum Beispiel um die Frage,
wie ein Sänger durch die Gospelmusik zu Gott gefunden hat, ein andermal
erzählte eine Sängerin, wie ihr Glaube ihr in einer schwierigen Lebenssituation geholfen hat.
Aber auch ein Interview mit einem anderen Gesprächspartner ist möglich.
Diese Person sollte aber eine starke Verbindung zum Inhalt der Gospelchurch haben. Hier ist eine intensive Recherche notwendig, damit eine
Person gefunden wird, die authentisch auf Fragen antworten kann.
Die Anmoderation der Ansprache
Der erst jetzt in Erscheinung tretende Pfarrer oder die Pfarrerin wird zunächst vom Moderator vorgestellt. Auch hier wird mit einer Art Interview
nach der persönlichen Meinung des Pfarrers, der Pfarrerin zum Thema gefragt. Die Ansprache beginnt so in der Regel mit einem persönlichen Statement, das automatisch in die Ansprache überleitet. Der Pfarrer trägt
natürlich keinen Talar.
Die Ansprache in der Gospelchurch, so die Regel, dauert fünf Minuten. Das
gelingt natürlich in den seltensten Fällen. Aber bei einer Regel, die auf fünf
Minuten pocht, kann man gewiss sein, dass die Ansprache nicht länger als
acht Minuten wird. Weist ein Pfarrer bereits vorher darauf hin, dass er länger reden wird, ist an eine Unterbrechung der Ansprache mit Musik zu
denken.
28
Die Gospelchurch
Die Mitteilungen
Die Mitteilungen beginnen immer mit der Bekanntgabe des Kollektenertrages. Wir halten es für sehr wichtig, dass die Besucher der Gospelchurch
direkt erfahren, wieviel Geld zusammen gekommen ist. Hier ist auch der
Ort, um auf vergangene Kollekten zurückzublicken und auf deren Verwendungszweck. Manchmal gibt es Dankschreiben, die vorgelesen werden. So
erfahren die Besucher, dass ihr Geld ankommt und wie es verwendet wird.
Die Mitteilungen haben Ähnlichkeit mit den Abkündigungen im Sonntagsgottesdienst, allerdings sind sie nicht gemeindegebunden, sondern sozusagen zweckgebunden und zielgruppenorientiert. Es wird hingewiesen auf
weitere Gospel-Veranstaltungen, auf Konzerte, auf die nächsten Gospelchurch-Termine, es wird zu Gospel-Workshops eingeladen, es erfolgt ein
Hinweis auf den CD-Tisch im Foyer der Kirche, wo CDs der gerade gastierenden Künstler angeboten werden. Diese Hinweise können auch vor und
nach dem Gottesdienst auf die Leinwand projiziert werden.
Ehrliche Rückmeldungen sind für die Macher der Gospelchurch wichtig. Um
sie zu bekommen, hat das Team Feedback-Bögen entwickelt, auf die auch
in den Ankündigungen hingewiesen wird. So lassen sich E-Mail-Adressen
sammeln. Wer seine E-Mail-Adresse nach der Gospelchurch da lässt, wird
später über weitere Gospel-Termine und Aktivitäten informiert.7 Der Feedback-Bogen ist ein gutes Instrument, um mit der Gospelgemeinde in Kontakt zu bleiben und sie zu vergrößern.
Schließlich gehört die Einladung zum anschließenden Gospelbistro in die
Mitteilungen, denn die gottesdienstliche Feier endet zwar mit dem Segen,
doch zum Erlebnis der Gospelchurch gehört die Einladung zum Essen, zum
Trinken, zum Austausch, zum Kennenlernen und zum Beisammensein.
Die Geschenkaktion
Die Geschenkaktion ersetzt den Fürbittenteil eines traditionellen Gottesdienstes. Mit diesem Element in der Gospelchurch wird an Menschen gedacht, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht an der Gospelchurch
teilnehmen können.
Für jede Gospelchurch werden drei Geschenke ausgewählt, die zum Thema
der Gospelchurch passen. Diese Geschenke können Gospelchurch-Besucher
mitnehmen und an ihnen nahe stehende Menschen weitergeben. Als Ge7
Aus datenrechtlichen Gründen ist es wichtig, dass derjenige, der seine E-Mail-Adresse da lässt,
auch deutlich macht, dass er Informationen wünscht. Das lässt sich durch die Bitte, ein entsprechendes Feld auf dem Feedback-Bogen anzukreuzen, sicherstellen.
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Ulrich Erker-Sonnabend und Elke Wisse
schenke eignen sich kleine Bücher, CDs, Fingerkreuze, Kerzen oder Blumen.
Die Gospelchurch-Besucher werden dabei aufgefordert, zu erzählen, für
wen sie das Geschenk mitnehmen wollen. Somit bekommt die Aktion auch
eine stark sendende Prägung. Die Geschenkaktion ist jedes Mal ein sehr
emotionsreicher Moment in der Gospelchurch. Die Geschichten, die dabei
in wenigen Sätzen erzählt werden, berichten oft von Schicksalen, die jeden
Besucher berühren.
Die gesamte Geschenkaktion wird mit einem Musikteppich unterlegt – in
der Regel mit Klavier-Improvisationen. Das steigert die Emotionalität der
Aktion. Jede Aktion wird durch entsprechende Worte eingeleitet und begleitet. Der Überbringer der Geschenke geht durch die Kirche bis weit nach
hinten, geht auf die sich meldenden Besucher zu und fragt, für wen das
Geschenk mitgenommen wird. Ein Sprecher schließt jede einzelne „Fürbitte“ mit einem Trostwort ab. Dem Sprecher steht dabei eine Auswahl an
Trostworten zur Verfügung, die je nach berichteter Geschichte ausgewählt
und gesprochen werden, so dass situativ flexibel reagiert werden kann.
Bei der Geschenkaktion heißt es: Ruhe bewahren! Nicht immer melden sich
die Besucher spontan, um ein Geschenk mitzunehmen. Hier muss man den
Menschen Zeit lassen, sich auf die für einen Gottesdienst ganz ungewohnte Situation einzustellen. Geduld und Gelassenheit sind dabei gefragt. Es
gibt immer Menschen, die sich melden.
Das Vaterunser, der Segen und der Ausklang der Gospelchurch
Mit dem Vaterunser und dem Segen geht die gottesdienstliche Feier der
Gospelchurch zu Ende. Das Vaterunser wird traditionell im Stehen gesprochen. Eingeleitet wird es vom Moderator. Der Segenszuspruch wird vom
Pfarrer oder der Pfarrerin übernommen.
Wieviel Musik es nach dem gesprochenen Segen noch gibt, ist abhängig
von der Spontaneität der beteiligten Musiker. In diese Schlussphase gehört
der Dank an die beteiligten Musiker, die persönliche Vorstellung der Bandmitglieder sowie natürlich auch der Dank an alle diejenigen, die eine Aufgabe in der Gospelchurch übernommen hatten. Dazu gehören die Küster
genauso wie die ehrenamtlichen Helfer und Helferinnen. Oft werden weitere Gospels gesungen, bis es ein natürliches Ende gibt und sich alle Besucher und am Gottesdienst Beteiligten im Gospelbistro einfinden.
30
Die Gospelchurch
Nach der Gospelchurch
Nach der Gospelchurch bleiben viele noch zusammen, sprechen über den
Gottesdienst, über die Empfindungen, die er ausgelöst hat; Kritik oder Lob
können direkt bei den „Machern“ geäußert werden; mit den Künstlern,
dem Pfarrer oder der Pfarrerin kann unmittelbar gesprochen werden. Man
bleibt zusammen bei einem Glas Bier oder Wasser, isst gemeinsam, erzählt,
unterhält sich und geht gestärkt nach Hause.
3. Exkurs: Der Einsatz technischer Medien in der Gospelchurch8
Menschen, die heute eine kirchliche Veranstaltung besuchen, kommen aus
einer Alltagswelt, in der Bild-, Ton- und Lichttechnik normal sind. So erwartet jeder Besucher Qualität in der Vermittlung von Inhalten und auch, dass
eine technische Grundausstattung in der Kirche vorhanden ist und die Verantwortlichen den Umgang mit der Technik beherrschen.
Aussagen und Stimmungen werden in der Gospelchurch durch den Einsatz
moderner Medien unterstützt. Ihr Einsatz ist kein Selbstzweck; moderne
Medien sind sozusagen die Mägde des Inhalts.
Technik muss zur Nebensache werden und funktionieren, ohne dass ihr
Einsatz auffällt. Soll eine Veranstaltung in technischer Hinsicht reibungslos
funktionieren, muss im Vorfeld genügend Zeit eingeplant werden, um die
Geräte aufzubauen und zu testen. Beispielsweise muss die Leinwand aufgestellt, der Beamer richtig positioniert und eingestellt werden. Bei Einsatz
einer Beschallungsanlage muss ein Soundcheck stattfinden. Die Scheinwerfer müssen in Position gebracht werden. Die Veranstaltung wird umso besser, je mehr der Umgang mit der Technik von selbst läuft.
Wenn eine PowerPoint-Präsentation oder andere Software-Tools in der
Gospelchurch eingesetzt werden, ist die kompetente Bedienung der Software Grundvoraussetzung. Programme wie PowerPoint verfügen über
unendliche Möglichkeiten der Gestaltung, Farbgebung, Bewegung von
Objekten, Ein- und Ausblendungen. Alle diese Möglichkeiten sollten so
sparsam wie möglich eingesetzt werden. Weniger ist mehr! Ein sparsames
Design, keine Animationen und ein ausgesuchtes Farbschema unterstützen
und verstärken die Inhalte.
8
Die Verfasser bedanken sich für diese Hinweise bei Wolf-Dieter Langenhorst, einem der
Mitorganisatoren der Gospelchurch in Düsseldorf, und bei Arne Metzner von der Firma „Medientechnik Arne Metzner“.
31
Ulrich Erker-Sonnabend und Elke Wisse
In der Regel wird die Präsentation auf einem Notebook gespeichert und
über einen Beamer projiziert. Wichtig ist, dass der Zuschauer nichts sieht,
was er nicht sehen soll, wie zum Beispiel die Icons auf dem Desktop. Windows und auch OS 10.4 (Apple) können einen eigenen Bereich auf dem
Beamer ausgeben, der zunächst nur eine Kopie des Bildschirmhintergrundes enthält. Für Präsentationen sollte dieser Hintergrund schwarz sein.
PowerPoint kann eine Präsentation auf diesem zweiten „Monitor“ ausgeben, die Besucher sehen nur das, was sie sehen sollen und werden so zum
Beispiel nicht von den Startmeldungen eines Virenscanners behelligt.
Bezüglich der Textgröße werden von PowerPoint Vorschläge gemacht. Man
ist in der Regel gut beraten, wenn man diese Vorschläge übernimmt. Es
müssen zwar weniger Folien gewechselt werden, wenn der Text eines Liedes vollständig auf eine Folie geschrieben wird, aber ob alle Besucher –
auch die in den hinteren Reihen - den Text lesen können, bleibt fraglich.
Auch hier gilt: weniger ist mehr!
Der Durchlauf einer Präsentation sollte unbedingt vorher getestet werden.
Es ist ratsam, an den Stellen, an denen keine Texte oder Bilder gezeigt werden, schwarze Folien einzubauen. Der Beamer sollte permanent laufen, das
schont die Lampe und vermeidet Fehler.
Während der Gospelchurch muss an den richtigen Stellen die richtige Folie
zu sehen sein. Falsche eingeblendete Folien lenken sofort vom Geschehen
ab. Dafür muss ein für die Technik Verantwortlicher, der den Computer
oder den Beamer bedient, den kompletten Ablauf kennen. Werden während einer Moderation beispielsweise Bilder gezeigt, muss der Techniker
den Text mitlesen können, damit die Bilder an der richtigen Stelle wechseln.
Wird ein Chor oder ein Künstler von einer Band begleitet, kommt man an
einer Beschallungsanlage nicht mehr vorbei. Die in den meisten Kirchen
vorhandenen Sprachbeschallungsanlagen helfen nicht. Die BeschallungsAnlage sollte wegen des akustischen Klangcharakters der Gospelmusik
professionellen Ansprüchen genügen.
Der Stellenwert einer guten Tonübertragung kann gar nicht hoch genug
eingeschätzt werden, da eine ungeeignete, falsch eingestellte oder zu laute
Anlage den Besuchern das Erlebnis gründlich verderben kann.
Die Hilfe eines professionellen Technikers ist anzuraten. Eine geeignete
Tonanlage kann, wenn sich die eigene Anschaffung nicht lohnt, ausgelie32
Die Gospelchurch
hen werden. Auch der Einsatz von zwei Scheinwerfern kann die Wirkung
der Darbietung mit recht einfachen Mitteln zusätzlich verbessern.
4. Ein Beispiel für eine Gospelchurch: „Heaven´s Highway“
Um einen Gesamteindruck von einer Gospelchurch zu geben, sei im Folgenden ein Ablaufplan wiedergegeben. Die hier vorgestellte Gospelchurch
wurde am Himmelfahrtstag 2006 in der evangelischen Johanneskirche in
Düsseldorf gefeiert. Die musikalische Gestaltung hatte ein Workshop-Chor
unter der Leitung des amerikanischen Gospelsängers Bob Singleton. Begleitet wurde der Chor von einer dreiköpfigen Band. Die Ansprache hielt der
Pfarrer der Johanneskirche, Dr. Uwe Vetter. Das Folgende ist die Wiedergabe des Skriptes zu dieser Gospelchurch. Vieles ist in der Umsetzung sicherlich anders gesagt worden. Der Moderator arbeitet mit Moderationskarten,
die Textstücke enthalten. Während der Gospelchurch kommt es auch darauf an, auf die Mitwirkenden und auf Situationen zu reagieren, wie beispielsweise bei den Interviews. Dabei darf dann auch der geplante Ablauf
variiert und verlassen werden.
Chor singt zwei Lieder zur Eröffnung: „Let there be glory”9 und „High and
lift it up”10
Moderator: [Begrüßung]
„Unser Gott ist im Himmel, er kann schaffen, was er will …
Der Herr denkt an uns und segnet uns …
Der Himmel ist der Himmel des Herrn …“ (Psalm 115)
Mit diesen himmlischen Gedanken aus dem 115. Psalm: Herzlich willkommen zur Gospelchurch. Sie ahnen es ja schon längst: es geht heute um den
Himmel – schließlich ist Himmelfahrt.
Unser Mottolied für heute: „Heaven`s Highway – der Weg zum Himmel“.
Und unsere musikalischer Wegweiser auf dem Weg: Bob Singleton und der
Gospeltime-Chor. Schön, dass Ihr alle da seid […].
Wir alle sind hier zusammen im Namen des Vaters, des Sohnes und des
Heiligen Geistes, des Gottes, der uns Freund ist.
Chor: „Jesus, I love calling your name”11
9
Musik und Text: Bam Crawford, Arr. R.W. Singleton.
Musik und Text: Joe Pace, Arr. R. W. Singleton.
11
Musik und Text: R.W. Singleton.
10
33
Ulrich Erker-Sonnabend und Elke Wisse
Moderator: [Hinführung]
Waren Sie heute auch draußen unterwegs? Schließlich ist Vatertag, Himmelfahrt. Mit dem Fahrrad vielleicht den Rhein entlang bis nach Kaiserswerth durch die herrlich gelben Rapsfelder? [Das Foto eines Fahrrads vor
einem Rapsfeld wird gezeigt.]
Und haben Sie sich bei der Rast ins Gras gelegt? Nach oben in den Himmel
geschaut? Die Wolken gesehen? [Foto Wolken] Wie sie über Sie hinweg
ziehen? Haben sie ihnen nachgeschaut und es auch gesehen: Vom Himmel
das Blau? Und haben Sie sich auch gefragt, was wohl dahinter kommt? Mir
kommt in solchen Momenten, wo das Wetter stimmt, ein laues Lüftchen
weht und ich in den weiten Himmel schau, immer in den Sinn: Mensch, wie
groß das alles ist - über uns. Und dann liegt auch noch ein tolles langes
Wochenende vor uns: Himmelfahrt, Himmel-auf-Erden-Tag [Foto Grillfest].
Ein Tag zum Abheben [Foto Flugzeug] – höher, weiter – ins Unendliche
[Foto Rakete]. Der Blick zum Himmel, zeigt uns, wo wir stehen [Foto Sternenhimmel] unter diesem grenzenlosen Himmelszelt, wir, die Menschen
im endlich-begrenzten Leben. Der Himmel geht über allen auf … Und doch:
er ist so weit weg – der Himmel – es gibt sehr viel mehr als nur das, was wir
sehen.
Was sehen wir eigentlich vom Himmel? Was fühlen wir davon? Was erahnen wir? Ich habe darüber mal in einem Brief was gelesen – in einem Brief,
der vor 1950 Jahren geschrieben wurde und auch an uns adressiert wurde.
Der Brief stammt vom Apostel Paulus, der von sich selbst in der dritten
Person schreibt, wie er einmal eine Himmels-Erfahrung gemacht hat. WolfDieter, lies uns das mal vor, was da im 2. Korintherbrief [12,1-4] steht.12
Sprecher 1: [Lesung]
„… wir [sprechen] jetzt von den Visionen und Offenbarungen, die der Herr
schenkt. Ich kenne einen bestimmten Christen, der vor vierzehn Jahren in
den dritten Himmel versetzt wurde. Ich weiß nicht, ob er körperlich dort
war oder nur im Geist, das weiß nur Gott. Ich bin jedenfalls sicher, dass
dieser Mann ins Paradies versetzt wurde, auch wenn ich nicht weiß, ob er
körperlich dort gewesen ist oder nur im Geist. Das weiß nur Gott. Dort hörte er geheimnisvolle Worte, die kein Mensch aussprechen kann.“
Chor: „Heaven’s Highway“13
12
Es gilt in der Gospelchurch die Übereinkunft, dass sich alle mit dem Vornamen ansprechen –
wie in der Gospelszene überhaupt.
13
Musik und Text: R.W. Singleton.
34
Die Gospelchurch
Moderator und Sprecherin der Initiative „Kinder von Tschernobyl“
[Kollektenansage]
Heute haben wir Glück gehabt. Heute ist Feiertag mitten in der Woche: da
können wir aussteigen, uns ausruhen, erholen, durchatmen. Ruhetage und
Ferien bringen uns neue Perspektiven, durch die wir uns wieder fit machen.
Das brauchen wir. Das brauchen vor allem aber die, deren Alltag durch die
Verwundungen bestimmt ist, die Gottes Schöpfung von Menschenhand
zugefügt wurden. Und zu denen gehören die Kinder von Tschernobyl.
Erinnern Sie sich? Vor 20 Jahren schauten wir besorgt nach oben, weil wir
eine radioaktive Wolke fürchteten. Wer heute in Tschernobyl lebt, der trägt
nach wie vor an den schlimmen Folgen des damaligen Atomunfalls. Zum
Glück gibt es Menschen, die zu den Menschen dort in Weißrussland stehen
und die sich ihnen verbunden fühlen. So einen Menschen möchte ich Ihnen
jetzt vorstellen. Begrüßen Sie mit mir Angela Nagel vom Verein „Kinder von
Tschernobyl“ hier in Düsseldorf.
Angela, wieso engagierst du dich für die Kinder von Tschernobyl? Was
macht ihr im Verein? Wie helft ihr? Wie werden die Kinder untergebracht?
Was machen sie den ganzen Tag? Wir haben da mal ein paar Bilder [Fotos
von der Internetseite werden eingespielt; Moderator und Interviewpartnerin unterhalten sich frei über die Fotos]. Wie können wir euch bei eurem
wichtigen Engagement unterstützen? [Konkreter Hilfszweck wird genannt;
konkrete Summe; Moderator leitet zur Kollekte].
Chor: „The storm is over”14
Chor: „I’m so glad”15
Moderator: [Interview mit Bob Singleton]
Alle reden von Pisa, wir auch: Jetzt kommt nämlich der Pisa-Test in der
Gospelchurch. Meine Damen und Herren, liebe Gospelfreunde: Heute testen wir Ihr Schulenglisch. Wer weiß, was Himmel auf Englisch heißt? [erwartete Antworten: „sky“ und „heaven“ ]. Können Sie auch den Unterschied erklären? Jetzt frage ich mal einen „native speaker“, ob das so richtig
ist, wie Sie das erklären. Wir gehen einen Schritt weiter, übertreffen Pisa
und machen „Learning English with Bob”.
14
15
Musik und Text: R. Kelly, Arr.: R.W. Singleton.
Musik und Text: traditional, Arr.: R.W. Singleton.
35
Ulrich Erker-Sonnabend und Elke Wisse
[Fragenkatalog an Bob Singleton gerichtet; Moderator übersetzt und referiert Fragen und Antworten:] Bob teach us some English, please. What is
the difference between “sky” and “heaven”. [Singleton antwortet]
Heaven plays a prominent role in your songs. Tell us, do you really believe
in Heaven? Have you got an idea about what Heaven will be like?
A very personal question: Do you think, that some time you will be going to
Heaven? Have you got an idea, what sort of place Heaven could be? Will it
be a nice place? Whom are we going to meet in Heaven? What do you think,
how can we achieve to go to Heaven, or what are we to do in our life to
reach Heaven? This is a question for a piece of advice, as it were. Bob, thank
you very much. Now take us along on „Heaven’s Highway”, please.
Chor: „Heaven’s Highway” (Reprise)
Moderation: [Anmoderation der Ansprache]
„I’m climbing up Heaven’s Highway” – jeden Tag ein Stückchen weiter zum
Himmel. Sechsspurig, freie Fahrt ohne Radarfalle, offenes Verdeck, im Radio Gospelmusik zum Mitsingen … Feine Sache – der Weg zum Himmel als
Schnellweg. Oder sind wir da eher auf einem Holzweg? Wie empfindest du
das, Uwe? Gibt es etwa Abkürzungen und auch Fußwege? Unser Mottolied
weist ja auch auf die Fußstapfen Jesu hin, die die Richtung angeben. [Pfarrer gibt eine erste Antwort, dann Moderator:] Ich möchte Ihnen Uwe Vetter
vorstellen. Er ist Pfarrer dieser Kirche. Und eigentlich ein Experte für himmlische Wege … [Moderator zieht sich zurück, Pfarrer übernimmt und führt
seine Ansprache weiter].
Pfarrer: [Ansprache]16
Chor: „It’ all about you Lord”17
Sprecher 1 und 2: [Mitteilungen – Kollektenertrag und andere Hinweise
rund um Gospel, Gospelchurch und Gospelbistro]
Chor: „Goin up yonder”18
16
17
18
Die Predigt kann bezogen werden von Pfarrer Dr. Uwe Vetter: [email protected]
Musik und Text: R.W. Singleton, Arr.: Earnest Vaughn.
Musik und Text: Charlie Creath.
36
Die Gospelchurch
Sprecher 1 und 2: [Geschenkaktion, unterlegt von Klaviermusik: „Oh, how I
love Jesus“; Sprecher 1 beginnt:] Wir haben uns mitnehmen lassen auf
einen Weg himmelwärts, haben dabei gesungen, haben den heiligen Namen des Herrn im Himmel gepriesen, haben aus Worten, Gesang und Musik uns Kraft geben lassen.
In solchen Momenten sind unsere Gedanken auch bei denen, die uns nahe
sind und jetzt leider nicht hier sein können, nicht hier sein können, weil sie
krank sind, weil sie weil sie Sorgen haben, weil sie vielleicht nicht mehr
hierher in die Kirche kommen können.
Wir möchten drei kleine Holzkreuze weitergeben. Die Kreuze stammen aus
einer Werkstatt für geistig und schwer mehrfach behinderte Menschen in
Pskow – es sind so genannte Fingerkreuze. Ein Fingerkreuz ist ein greifbares
Zeichen der Hilfe und des Trostes. Es kann schweigend oder beim Gebet in
der Hand Halt geben, kann Angenommensein vermitteln, Freude und Zuversicht verspüren lassen.
Wir möchten diese Kreuze weitergeben an die, die heute nicht hier sein
können – als Zeichen, dass wir an sie denken, als Geschenk denen, denen
dieses Kreuz Trost und Hilfe sein kann, als Erinnerung und Versprechen,
dass wir uns auf Gott und sein Wort verlassen können.
Bitte melden Sie sich, wenn Sie eines der drei Kreuze mitnehmen möchten
für jemanden, der oder die heute nicht hier sein kann. [Sprecher 1 geht
weit in den Kirchraum hinein, wenn sich jemand meldet, wird gefragt, für
wen das Kreuz mitgenommen werden soll, Frage und Antwort hören die
Gospelchurch-Teilnehmer über Mikrofon].
Sprecher 2: [spricht, jeweils nachdem ein Kreuz verschenkt wurde, einen
Vers]
„Weißt du wo der Himmel ist?
Außen oder innen?
Eine Handbreit rechts und links,
du bist mitten drinnen.“
„Weißt du, wo der Himmel ist?
Nicht so tief verborgen.
Einen Sprung aus dir heraus,
aus dem Haus der Sorgen.“
37
Ulrich Erker-Sonnabend und Elke Wisse
„Weißt du, wo der Himmel ist?
Nicht so hoch da oben.
Sag doch ja zu dir und mir,
du bist aufgehoben.“
[Wilhelm Willms]
Chor: „Oh, how I love Jesus”19
Moderator: Vaterunser
Pfarrer: Segen
Chor: „May the Lord God bless you real good”20
Moderator bedankt sich bei den Beteiligten, fordert auf zum Bleiben und
zum Treffen im Gospelbistro (i.e. Café im Foyer der Johanneskirche).
19
20
Musik und Text: traditional, Arr.: R.W. Singleton.
Musik und Text: James Cleveland, Arr.: R.W. Singleton.
38
Dietmar Silbersiepe
Im Gospelgottesdienst predigen
Zur Person: Dietmar Silbersiepe ist Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Düsseldorf-Eller
1. Die Kraft des Gospel
Eindrücke nach einem Probenwochenende und einem Konzert des Gospelchors PaterNoster mit dem schwedischen Musiker und Chorleiter Joakim
Arenius:
Der „Erfolg“, die Kraft des Gospel lässt sich nicht mit objektiven Qualitätskriterien messen. Irgendwas muss passiert sein bei den Proben mit Joakim. Beschreiben lässt sich das nicht, genauso wenig wie das, was jetzt bei dem Konzert passiert: Die Menschen, die da singen und musizieren, sind bei dem gerade mal erst neu einstudierten Repertoire nicht bis in die letzten Höhen und
Harmonien perfekt, aber präsent, einfach da, geistesgegenwärtig, gegenwärtig des Geistes, der sich durch die Lieder seinen Weg in die Herzen der Zuhörer
bahnt. Kraft des Gospel. Verkündigung der Botschaft von der Liebe Gottes,
von seiner Freude und seinem Leiden an den Menschen. Göttliche Leidenschaft für die Welt und die Menschen in leidenschaftlicher Musik. Musik, die
keinen unberührt lässt, auch die nicht, die sich gegen Gott auflehnen, die
mehr Fragen als Antworten haben. Das ist Gospel.
„Thy will be done“, singt der Chor, „Oh Herr, dein Wille geschehe“, oder vielleicht besser: „Dein Werk soll sich erfüllen.“ Joakim erzählt dazu die Geschichte, von der er bereits bei den Proben erzählt hat. Sie hatten gebetet, die Mitglieder seines Chores in Schweden, unablässig gebetet für eine junge Mitsängerin, die an Krebs erkrankt war. Dann das Wunder: Die Krankheit war weg.
Dankgebete und Lobgesänge! Wenige Monate später: ihr Tod. „Die meisten
von uns konnten nicht mehr beten. Wir haben mit Gott gehadert, ihn angeklagt. Dann habe ich dieses Lied geschrieben, nach der Tonfolge aus einer
Suite von J. S. Bach: Thy will be done. Das war die Wende für mich und die
anderen. Wir konnten wieder anfangen, langsam anfangen, zu beten und zu
singen von Gott, dem Vater im Himmel, dessen Wege unergründlich sind,
genauso unergründlich wie seine Liebe“.
39
Dietmar Silbersiepe
Gospel trägt
Es ist kein Zufall, dass solche Erfahrungen in der Gospelmusik präsent sind
und „verarbeitet“ werden. Im Gospel lassen sich Erfahrungen von Leid,
Trauer und Schmerz auf besondere Weise besingen, bedenken und bewältigen. Die alten Paul-Gerhardt-Lieder eignen sich auch dazu. Weniger die
modernen Sacro-Pop-Songs, die mir oft vorkommen wie freundlich kühle
Kunstprodukte. Sie tragen nicht weit und nicht tief genug. Aber die Gospels, sie tragen. Die traditionellen, die man Spirituals nennt, und die modernen, die auch Contemporary Gospel oder Modern Gospel heißen. Sie
tragen, weil sie getragen sind von einer Geschichte, die eng mit Erfahrungen von Leid und Schmerz verknüpft ist, der Geschichte der afroamerikanischen Sklaven im 19. Jahrhundert.
Keine Kultur kommt in der Bewältigung des Lebens ohne Musik aus. Es gibt
keine Religion, keine Kirche ohne Musik. Die Psalmen der Bibel waren Gesänge. Ohne sie hätte das Volk Israel, der jüdische Glaube, in dem wir verwurzelt sind, nicht überlebt. Die Märtyrer in den Gefängnissen haben überlebt durch das Singen von Liedern. Die Sklaven auf den amerikanischen
Baumwollfeldern haben gesungen. Aus ihren Liedern ist der Gospel entstanden. Dieser Ursprung der Gospelmusik ist der Grund, warum sie heute
noch lebt, und sicher auch einer der Gründe, warum sie Einzug gehalten hat
in alle möglichen populären Musikstile: Jazz, Blues, Soul, Funk, HipHop,
Reggae, Rock und Pop.
Gospel ist populär
Gospel ist „in“, besser gesagt, populär, was ja auch etwas mit „volksnah“ zu
tun hat. Volksnah ist Gospel, weil die Lieder im besten Sinn des Wortes
eingängig sind. Jede gute Musik ist ein-gängig, rührt das Herz an, das tiefste Innere. Musik aktiviert die Phantasie, die Vorstellungskraft. Musik setzt
in „Bewegung“, den ganzen Menschen, Körper, Seele, Geist. Für viele haben
immer noch Bach, Schütz oder eben auch die Lieder von Paul Gerhardt diese
Qualität. So wird es auch bleiben im Kreis derjenigen, die in kirchlicher Tradition und im Umfeld des traditionellen Bildungsbürgertums aufwachsen.
Aber das ist mittlerweile längst nicht mehr die Mehrheit. Die Mehrheit hat
ohnehin der Kirche seit geraumer Zeit den Rücken gekehrt.
40
Im Gospelgottesdienst predigen
Im Gospel ist das Leben
In dieser Mehrheit gibt es viele, für die Gospel populär und attraktiv ist.
Und das nicht nur aufgrund der musikalischen Form, sondern auch wegen
des Inhalts. Gospel ist Leben. Im Gospel ist das Leben, musikalisch und inhaltlich.
„In vielen Gospelstücken werden menschliche Gefühle ausgedrückt, vor
allem Lebensfreude, Hoffnung, Dankbarkeit, aber auch Trauer und Verzweiflung. Das alles, in der ‚Sprache’ der Musik ausgedrückt, ist es, was
mich beim Gospel immer wieder anrührt und bewegt, vor allem, wenn ich
selber singe“ (aus einem Internetforum der Zeitschrift Chrismon).
Gospel ist Verkündigung
Und interessanterweise sind es nicht nur die allgemein menschlichen Themen wie Glück und Unglück, Freude und Trauer, Segen und Leid, die Gospel
populär machen, sondern auch die Inhalte der christlichen Botschaft. „Ich
bin eine gläubige Person, aber ich finde, dass deutsche Kirchen (tut mir leid)
sehr langweilig sind. Denen fehlt die Überzeugung und Energie! Wenn
Gospel mehr in Kirchen gebracht werden könnte, würden vielleicht auch
wieder die Menschen öfter zur Kirche gehen, besonders Jüngere, und würde
der wahre Glaube auch viel besser rüber kommen. Gospel kann das ausdrücken, was wahrer Glaube ist. Darüber müsste man sich mal ernsthaft Gedanken machen“ (Internetforum).
Diese Erfahrung machen alle Gemeinden, die Gospel „in die Kirche bringen“: Interesse findet nicht nur die Musik, sondern auch die Botschaft. „Ich
erkenne die Quelle an, aus der die Gospelmusik kommt, ein tiefer Glaube an
einen ‚christlichen’ Gott, ohne dass ich sie unbedingt selber mittragen muss
oder bisher mitgetragen habe“ (Internetforum).
Gospelkonzerte und erst recht Gospelgottesdienste sind per se missionarisch. Bevor auch nur irgendjemand predigend das Wort ergreift, predigen
die Lieder. Sie predigen so, dass eben auch die, die der kirchlichen Tradition
entfremdet sind, „angesprochen“ werden. Sie predigen von der Leidenschaft Gottes für die Menschen („Don’t turn away, God is calling you“), von
der Erlösung durch Jesus („Jesus is the answer“), vom Vertrauen auf einen
Gott, der durchträgt („Through it all“), von der Hoffnung auf gewendetes
Leid, auf die neue Welt Gottes, in der kein Schmerz und kein Tod mehr sein
41
Dietmar Silbersiepe
werden („Soon and very soon“). Und das alles in einer Sprache, die einfach
und klar ist und ins Zentrum des christlichen Glaubens führt. Das heißt: Die
Sprache des Gospels ist verständlich und elementar. In Texten, die jeder
versteht, laden die Gospels zum Vertrauen auf Gott und zum Glauben an
Jesus ein. Die weitaus meisten Gospellieder besingen Jesus, den Erlöser.
Und auch das werden alle, die Gospel in die Kirche bringen, bestätigen: Die
Zuhörenden, die, die sich auf Gospel einlassen, insbesondere Menschen
ohne kirchlichen Hintergrund, und das sind nicht wenige, wissen zu schätzen, sind dankbar dafür, dass es hier nicht um dieses und jenes geht, was in
der Kirche auch wichtig ist, sondern um die zentrale Botschaft von Jesus,
dem Christus. In einer Gesellschaft, in der viele nach religiöser Orientierung
suchen, erwarten Menschen von der Kirche Antworten, zum Beispiel Antwort auf die Frage, was dem Leben Sinn und Halt gibt. Bei Gospelgottesdiensten besteht die gute Chance, dass ihre Erwartung nicht enttäuscht
wird. Gospelgottesdienste betreiben das Kerngeschäft der Kirche: die Einladung zum Glauben an Jesus. „Gospel ist Jesus“, sagt der Norweger Tore W.
Aas, Initiator der europäischen Gospelbewegung. „Gospel heißt wörtlich
übersetzt ‚Evangelium’. Nimm Jesus daraus weg, und es ist kein Gospel
mehr.“
Gospel ist Anbetung
Unzählige Gospelsongs sind lebendiger Ausdruck der Anbetung Gottes:
„Bless the Lord, oh my soul!“ Lobe den Herrn, meine Seele! Chormitglieder,
Konzert- und Gottesdienstbesucher stimmen ein in das Lob Gottes, auch
die, die nicht oder noch nicht auf dem Weg des Glaubens sind. Das ist faszinierend und kaum woanders in Kirchen und Konzertsälen zu finden. Glaubende und Nichtglaubende beten Gott an. Freudig, fröhlich, ganz selbstverständlich. Vielleicht ist gerade dies ein Schlüssel zum Verständnis für den
momentanen Erfolg der Gospelmusik. Ihre Elemente von Lobpreis und Anbetung („worship“) passen zu dem Bedürfnis vieler Menschen in der postmodernen westlichen Zivilisation nach authentischer, erfahrbarer Spiritualität. Und das ist eine ganz neue Erfahrung in der Kirche: Bevor Menschen
sich „bekehren“, sind sie „begeistert“.
2. Predigen im Gospelgottesdienst
Das alles hat Konsequenzen für die Predigt im Gospelgottesdienst.
42
Im Gospelgottesdienst predigen
Wenn Gospel trägt, besonders in Erfahrungen des Leids, kann die Predigt
keine heile Welt vorgaukeln. Wenn der Chor singt „Hear my cry“, muss ich
als Prediger darauf reagieren und nach Antworten suchen, die „tragen“.
Wenn im Gospel das Leben ist, kann es in der Predigt nicht außen vor bleiben. Was für jede Predigt gelten sollte, muss der Predigt im Gospelgottesdienst selbstverständlich sein: der Bezug zum Leben! Es kann nicht sein,
dass in den Liedern konkrete Lebensfragen angesprochen werden und die
Predigt dann abstrakt oder abgehoben dogmatisch daherkommt.
Im Internet gibt es zur Zeit unter www.ereignispredigt.de einen Predigtwettbewerb unter der Schirmherrschaft von Margot Käßmann. In der Ausschreibung ist zu lesen:
„Die Predigt ist kein Lehrvortrag. Sie redet nicht akademisch über den
Glauben, sondern in ihr kommt die Lebenserfahrung mit Gott zur Sprache.
In der Spannung zum Bibeltext, im Dialog mit dem Alltag, in der Rede, in
der Person. Wenn eine Predigt gelingt, lässt sie aufhorchen. Sie kommt aus
dem Leben und soll das Leben der Menschen bewegen.“ Ernst Lange, ein
Klassiker der Homiletik (Predigtlehre), hat uns schon vor 25 Jahren ins
Stammbuch geschrieben: „Der homiletische Akt ist eine Verständigungsbemühung. Gegenstand dieser Bemühung ist die christliche Überlieferung
in ihrer Relevanz für die gegenwärtige Situation des Hörers und der Hörergemeinde.“ Das Bemühen um den Lebensbezug der Predigt ist also keine
neue, aber eine bleibende Herausforderung. Erst recht für das Predigen in
Gospelgottesdiensten. Da könnte sonst die Gefahr bestehen, dass das gesungene Wort und das gesprochene Wort so weit auseinanderklaffen, dass
die Leute beim nächsten Mal vor der Predigt nach draußen gehen oder innerlich abschalten.
Wenn Gospel populär ist, weil die Lieder eingängig sind und das Herz anrühren, habe ich als Prediger die Aufgabe, davon auch etwas in der Predigt
„rüberzubringen“. Das ist schwer und für mich die größte Herausforderung.
Weil das weniger mit dem zu tun hat, was ich sage, sondern wie ich’s sage,
wie ich als Person wirke und bei den Zuhörenden ankomme.
„How one preaches is what one preaches.“ Die Art, wie einer predigt, macht
das aus, was er predigt. Der Satz stammt von Fred Craddock, Professor für
Predigt und Neues Testament am Southeastern Baptist Theological Seminary in North Carolina. Sinngemäß hat Craddock auch gesagt: Gottesdienste können nicht als Ergebnis klerikaler oder theologisch gebildeter Vorüber43
Dietmar Silbersiepe
legungen präsentiert werden. Nicht als Befund („findings“), sondern als
Fund („find“), nicht als Erklärung („explanation“), sondern als Erlebnis („experience“) sollen sie sich anfühlen, mitreißen, ansprechen, aufrichten und
zurecht bringen.
Für das Mitreißende in Gospelgottesdiensten sorgt die Musik. Das ist für die
Predigerin oder den Prediger entlastend und schwierig zugleich. Entlastend,
weil die Motivation zum Zuhören enorm ist. Wer bis dahin mitgegangen ist,
weil er durch die Musik mitgenommen wurde, will sich gerne jetzt auch
von der Predigt ansprechen und mitnehmen lassen. In Gottesdiensten, in
denen der Eingangsteil nicht mitnehmend ist, lastet alles auf der Predigt.
Die muss dann das vorher Versäumte wieder ausbügeln. In Gospelgottesdiensten muss sie das nicht. Aber sie muss, wie die Musik, „mitnehmen“
und zu Herzen gehen. Was für mich heißt: Ich muss die Zuhörenden in den
ersten dreißig Sekunden meiner Rede für mich und das, was ich sagen will,
einnehmen, sonst steigen sie aus. Und, was noch viel wichtiger ist: Ich muss
selber mit dem Herzen dabei sein. Die Begeisterung der Gospellieder für
den Glauben kann ich in der Predigt nur aufnehmen, wenn ich selber begeistert bin. Zu Herzen geht nur, was aus dem Herzen kommt. Auch das gilt
für jede Predigt. Aber in Gospelgottesdiensten herzlos zu predigen, kann ich
mir am wenigsten leisten. Vielleicht sollte ich besser sagen: Herzlos zu sein,
kann ich mir nicht leisten. Denn die Art, wie du predigst, wie du dich gibst,
entscheidet darüber, ob das, was du sagst, bei den Hörenden im Herzen
ankommt. Das ist, finde ich, die schwierigste Seite des Predigens. Und deswegen sollten wir Prediger vielleicht auf die Idee kommen, nach dem Gottesdienst im Vorbereitungsteam nicht nur zu fragen: Wie war die Predigt?
sondern: Wie war ich?
Wenn Gospel Verkündigung ist, muss ich als Prediger wissen: Ich bin nicht
der erste und einzige im Gottesdienst, der verkündigt. Eine Unsitte von
vielen Gottesdiensten besteht darin, die Musik als schmückendes Beiwerk
zu betrachten oder als vorbereitendes Element für die Predigt. In Gospelgottesdiensten funktioniert das nicht. Dazu hilft ein Blick in die Geschichte
des Gospels: Die Gospelsongs sind aus dem Wechselspiel zwischen Prediger
und Gemeinde entstanden. Das klassische Beispiel ist das Lied: „Go down
Moses“. Der Prediger erzählt die Geschichte von Mose, und die Gemeinde
antwortet mit: „Let my people go!“ Ihren Ursprung hat dieses Wechselspiel,
das in sich als Predigt verstanden wurde, in den afrikanischen Wurzeln der
Gospelmusik. Ein wesentliches Element der afrikanischen Musikkultur ist
bis heute das Zusammenspiel von „Call and Response“. Ein Vorsänger
„ruft“, und die anderen „antworten“.
44
Im Gospelgottesdienst predigen
Predigt und Musik greifen im Gospelgottesdienst ineinander. Das heißt: Die
Predigt kann nicht für sich stehen unabhängig von der Musik. Es kann nicht
sein, dass die Predigt thematisch an den Inhalten der Lieder vorbei geht. In
Düsseldorf haben wir gute Erfahrungen damit gemacht, die Themen der
GospelChurches – und damit auch der Predigt – mit dem Titel eines Liedes
zu verbinden.
Wenn Gospel Verkündigung ist, insbesondere für kirchenfremde Menschen,
die Rudolf Bohren als Leute bezeichnet hat, die „heimlich ihr Ohr an die
Kirchenwand halten“, dann muss ich als Prediger auch wissen: Fünf bis
sieben Minuten müssen reichen. Die Predigtverkündigung im Gospelgottesdienst ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein „Response“, eine
weiterführende Antwort auf die Verkündigung der Lieder, die im Gesamtgeschehen des Gottesdienstes den breitesten Raum einnehmen. In der
Kürze liegt die Würze der Predigt in Gospelgottesdiensten. Damit die
„heimlich“ Interessierten nicht heimlich still und leise wieder verschwinden
und ihr Ohr woanders hinhalten.
Wenn Gospel Verkündigung in einer einfachen elementaren Sprache ist
(die den Gottesdienstbesuchern in deutscher Übersetzung vorliegen sollte),
legt es sich für mich als Prediger nahe, kirchliche Insidersprache und hochtheologische Begriffe tunlichst zu vermeiden. Die Botschaft der Gospels
versteht jeder. Wenn die Predigt nur von Eingeweihten verstanden wird, ist
sie im Gospelgottesdienst fehl am Platz. Wenn Gospel Verkündigung ist,
sollten die Musiker und die Chöre den Gottesdienst nicht mit einem Konzert verwechseln und die Prediger die Predigt nicht mit einem kirchlichakademischen Vortrag.
Für mich das Wichtigste: Wenn Gospel zum Glauben an Jesus einlädt, kann
ich als Prediger nicht zu „Kirche light“ oder einem unverbindlichen Christentum einladen, das keinem wehtut und keinem hilft. Viele Gospels sprechen eine klare Sprache, die Sprache des Evangeliums von der Erlösung der
Menschen und der Welt durch Jesus, „the Saviour“, „the Lord“, „the „source
of my life“. Tore Aas würde sagen: Nimm Jesus aus der Predigt, dann ist sie
keine Predigt mehr.
Wobei in diesem Zusammenhang unbedingt zu ergänzen ist: Gospelmusik
lässt immer Spielraum, Spielraum zum Aus-sich-heraus-Gehen und In-sichGehen, zum Mitmachen und zum Meditieren, zum Einstimmen und zum
Hinterfragen, auch zum Hin- und Hergerissensein zwischen Glaube und
Zweifel (wie in der Strophe von Amazing grace: „Thro' many dangers, toils
and snares, I have already come“). Diesen Spielraum muss auch die Predigt
45
Dietmar Silbersiepe
lassen. Die Einladung zum Glauben ist keine religiöse Propaganda, die
Druck ausübt und fromme Zwangsjacken austeilt. Deswegen verzichten wir
auch in unseren GospelChurches auf das gemeinsam gesprochene Glaubensbekenntnis. Als Prediger kann ich nur hoffen, dass die Zuhörenden
offen sind oder offen werden, die Erfahrungen mit Gott, die sich in den
Liedern widerspiegeln, wahrzunehmen und für sich zu entdecken.
Wenn Gospel Anbetung ist, könnte es schön sein, sich vorher mit dem Vorbereitungsteam zusammenzusetzen, um für den Gottesdienst und die Predigt zu beten. Wir tun das viel zu selten.
Der Anbetungscharakter vieler Gospellieder fordert mich als Prediger heraus, auch hier ein Stück meiner eigenen Person sichtbar werden zu lassen.
Es darf in der Predigt gerne deutlich werden, dass mir selber das Gebet
wichtig ist.
Predigten haben das Ziel, Menschen den Glauben und die Anbetung Gottes
„schmackhaft“ zu machen. Sie haben aber auch das Ziel „zur Erkenntnis der
Wahrheit“ (1. Timotheus 2,4) zu verhelfen, auch zur Wahrheit über mich
selbst: Wo stehe ich? Wofür stehe ich? Was ist mir wichtig? Woran glaube
ich? Worauf verlasse ich mich? Im Gospelgottesdienst hat die Predigt darum auch die Aufgabe, zur kritischen Selbstprüfung und Selbstklärung beizutragen. „Kritisch“ kommt von dem griechischen „krinein“, was wörtlich
übersetzt „trennen, scheiden, unterscheiden“ heißt.
In der emotionalen Atmosphäre und Stimmung eines Gospelgottesdienstes
besteht überhaupt kein Anlass, das gefühlsmäßige Mitgehen der Menschen
als Ergebnis von Manipulation oder Autosuggestion zu verdächtigen. Wer
will sich hinstellen und behaupten: Hier wird mit dem Geist Gottes manipuliert? Der Geist weht, wo und wie er will. Und diejenigen, die sich mit der
Welle der „Begeisterung“ in die Haltung der Anbetung hineinbegeben haben, werden sich am Ende schon selber fragen: Was ist passiert? Was ist
mit mir passiert? Die Predigt hat dann die schöne die Aufgabe, die Begeisterten „kritisch“ anzusprechen, ihnen zu helfen, die Gedanken zu sortieren.
Dass ich trennen und unterscheiden lerne zwischen oberflächlichen und
echten Gefühlen, zwischen äußerer Emotion und innerer Überzeugung,
zwischen anerzogenem und selbst vergewissertem Glauben, das ist für
mich eine lebenslange Aufgabe. Ich freue mich über jede gute Predigt, die
46
Im Gospelgottesdienst predigen
mir dabei hilft. Gospelgottesdienste, in denen kein Raum ist für solche
Selbstreflexion, darf es nicht geben.
Und immer sollten sich alle, die Gottesdienste planen und durchführen,
darüber im Klaren sein: „Der Glaube ist nicht nur rational und emotional, er
ist auch phänomenal“ (Ludwig Burgdörfer), ein Phänomen des Heiligen
Geistes. Die Wirklichkeit Gottes ist höher als unsere Vernunft, auch höher
als unser Gesang und darum auch dem immer noch weit entzogen, was wir
singen und sagen können. Bescheiden sollten wir also sein. Auch in unseren
Gospelgottesdiensten. Und uns freuen an dem, was Gott selber wirkt.
Literatur
Rudolf Bohren: Predigtlehre, München 1972
Ernst Lange: Predigen als Beruf, Stuttgart 1976
Peter Bukowski: Predigt wahrnehmen. Homiletische Perspektiven, Neukirchen-Vluyn 1995
Ludwig Burgdörfer: Zeit für den „Zweitgottesdienst“?, Pfälzisches Pfarrerblatt (www.pfarrerblatt.de)
Horst Hahn: Liturgie und Predigt, in: Zu schauen die schönen Gottesdienste
des Herrn, Liturgische Blätter, Nr. 61-63, Sonderausgabe 1996
Reinhard Schmidt-Rost: Würze in der Kürze? Überlegungen zu einer Rundfunk-Homiletik, in: Hartmut Heidenreich (Hg.), „... es geht um den Menschen“, Aspekte einer biographischen Praktischen Theologie, FS Stefan
Knobloch, Bochum 1997
47
Stimmen von Gospelmusikerinnen und Gospelmusikern
Gospel: Message oder Celebration?1
Die Gospelmusik hat – wie auch die klassische Kirchenmusik – Einzug in Konzertsäle gefunden. Jahr für Jahr füllen internationale Gospelstars die klassischen Konzerthäuser. Auch Gospelkonzerte in den Kirchen erfreuen sich großer Beliebtheit. Ist Gospel also nur ein Musikstil? Zählen nur die Interpreten?
Oder steht die Aussage der Lieder auch im Konzert im Vordergrund? Wie stehen die Gospelmusiker dazu?
Njeri Weth
Ich mag den Unterhaltungscharakter eines Gospelkonzertes. Ich finde es
schön, laut seine Emotionen heraus zu singen, zu feiern und darin auch
einem Gebet Raum zu geben. Es muss nur im Gleichgewicht bleiben. Jedes
musikalische Event kann zu einem Spektakel verkommen, ganz gleich, welches Genre dargeboten wird.
Bob Singleton
Gospelmusik gehört überall hin. Überall dorthin,
wo Menschen zuhören. Gott ist überall und
seine Botschaft sollte überall sein. Wenn ich in
einer Kirche bin, versuche ich, dass sich die
Menschen wie in einer Stadthalle fühlen. Wenn
ich in eine Stadthalle gehe, versuche ich, dass
sie sich wie in einer Kirche fühlen.
Matthias Nagel
Muss man zwischen Botschaft und Feier unterscheiden? Sollte Botschaft
nicht immer gefeiert werden und sollte jede Feier nicht auch eine Botschaft
beinhalten! Die Gospelmusik ist eine wunderbare Klammer für diese beiden zunächst getrennt scheinenden Begriffe.
1
Die hier veröffentlichten Stellungnahmen stammen aus Interviews, die Elke Wisse mit den
Musikern geführt hat, bzw. aus Fragebögen, die sie den Musikern vorgelegt hat.
48
Stimmen von Gospelmusikerinnen und Gospelmusikern
Sarah Kaiser
Das kommt auf den Inhalt des Liedes an und darauf, wie es vorgetragen
wird. Ich habe manchmal das Gefühl, dass für einige Interpreten die Show
wichtiger ist als das Transportieren einer Botschaft oder der Ausdruck einer
Hingabe an Gott. Die Musik braucht das Verständnis des Inhaltes und die
Sensibilität dafür, wie sie auf der Bühne vorgetragen wird.
Danny Plett
Gospelmusik
ist
beides:
„Message“
und
„Celebration“. Auf der Erde kann die Gute Nachricht
von Christus in dieser Form von Musik wunderbar
kommuniziert werden. Christus im Himmel zu feiern,
wird – wie ich es mir gerne vorstelle – in einem
riesigen Gospelmusik-Konzert unter der Leitung der
Engel geschehen.
Ruthild Wilson
Gospelmusik ist das Feiern der Botschaft durch Musik und Gesang und hat
eine reiche Palette an Ausdrucksmöglichkeiten: ausufernde Freude, besinnliches Hören, stilles Gebet, feierliches Ausrufen und vieles mehr.
Helmut Jost
Wir brauchen beides, und sie gibt uns beides. Das trifft aber übrigens auch
auf andere Stile zu – ganz nach dem Motto: „Wir spielen beides, Country
und Western.“
Martin Bartelworth
Es ist wie im Glauben: Was Gospel ist, bestimmt jeder und jede selbst. Gospel kann alles sein: Musik, Gebet, Begegnung mit Jesus, Spaß oder auch nur
die ärgerliche Anordnung von unerhörten Tönen.
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Elke Wisse
Frohe Botschaft singen und hören: Wirkung
und Wesen von Gospelmusik im Gottesdienst
Die Frohe Botschaft singen, eine Forderung, die fest im protestantischen
Glauben verankert ist. Aber wie sieht die Praxis des Singens in den Gottesdiensten heute aus? Wie empfinden gerade Kirchenferne die Musik im
sonntäglichen Gottesdienst?
Wer in einen Gottesdienst geht, der lässt sich normalerweise auf ein ernstes Geschehen ein. Man nimmt Platz in der Bankreihe, legt die Lesebändchen schon mal in die Gesangbuchseiten, damit man gleich schon mitsingen kann. Leise spricht man zum Nachbarn, wenn man etwas zu sagen hat,
ansonsten ist Sammlung angesagt. Still sitzen, den Raum auf sich wirken
lassen, in Stille vielleicht über das Kreuz am Altar meditieren, auf den Beginn des Gottesdienstes warten. Der beginnt traditionellerweise mit dem
Orgelvorspiel.
Die Orgel – ein Instrument, das in den sonstigen Hörerfahrungen und Hörgewohnheiten der meisten Gottesdienstbesucher nicht vorkommt, schon
gar nicht bei der jüngeren Generation. Der Musiker, der die Orgel bedient,
bleibt zudem für die Besucher in der Regel anonym. Diese Distanz zwischen
Organist und Gottesdienstbesucher ist über Jahre gewachsen, gilt als der
Normalfall in der sonntäglichen Kirchenmusikpraxis. Vom Gottesdienstbesucher wird erwartet, dass er ohne Anleitung eines Chorleiters oder Vorsängers, nur von der Orgel begleitet, die angeschlagenen Lieder aus dem
Gesangbuch laut mitsingt. Das ist in der heutigen Zeit, wo Menschen in der
Regel Musikkonsumenten sind, für viele eine Herausforderung, zumal Singen nicht mehr zu den gesellschaftlichen Gepflogenheiten gehört. Dazu
kommt, dass die Sprache vieler Choräle aus dem Gesangbuch für die Menschen heute fremd, manchmal sogar abschreckend ist. Einen Bezug zur
persönlichen Lebenssituation können viele nicht direkt ableiten. Der Gospelsänger David Thomas erlebt das so: „Hier in Europa hat man Gott in der
Kirche in der Stille erlebt. Klatschen, laut singen, sich auszudrücken, eben
das Zelebrieren war nicht erlaubt. Das ist mit Gospel anders.“
Wolfgang Teichmann sagt dazu: „Anstatt das gemeindliche Singen von
vorne anzuleiten, erklingt die Musik von der weit entfernt befindlichen
Orgel. Die Menschen werden damit (kirchen-) musikpädagogisch in ihren
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Frohe Botschaft singen und hören
Kirchenbänken völlig allein gelassen. Zu dieser fehlenden Betreuung
kommt, dass die traditionelle Kirchenmusik von sich aus schon den meisten
Menschen fremd ist, weil ihnen die Klänge und Strukturen unvertraut sind,
weil sie diese aus ihrem Alltag nicht kennen. Auf diese Weise erreicht die
traditionelle gottesdienstliche Kirchenmusik nur noch Wenige. Es klafft
eine große Lücke zwischen der alltäglichen Musikerfahrung der meisten
Menschen, die mit Jazz, Rock, Pop großgeworden sind, und der sonntäglichen Kirchenmusik, die sich überwiegend auf die Pflege der Tradition beschränkt. So sind inzwischen zwei ganz unterschiedliche musikalische Welten entstanden, die wenig miteinander zu tun haben und zwischen denen
kaum noch Brücken vorhanden sind.“1
Aufgrund dieser in Jahrhunderten gewachsenen kirchenmusikalischen
Praxis ist es nicht verwunderlich, dass zunächst Verhaltenheit gezeigt wird,
wenn im Gottesdienst ein Gospelchor seine beschwingten Lieder singt und
zum Klatschen und Mitmachen auffordert. Die Gemeinde reagiert – wenn
alles gut läuft – mit einem Wippen der Füße im Takt, vielleicht mit vorsichtigem Mitklatschen. Applaus nach einem gesungenen Lied ist oft nicht
erwünscht.
Die Erfahrung zeigt: Nur schwer lassen sich die Besucher des Sonntagsgottesdienst dazu bewegen zu klatschen, zu tanzen, aufzustehen, Gefühle zu
zeigen und diese auszuleben. Die ein Leben lang gelernten und von Generation zu Generation weiter gegebenen Verhaltensweisen in der Kirche können eben nicht so einfach durchbrochen werden. Da braucht es schon sehr
viel Motivationsarbeit und Kommunikationsfähigkeit des Chorleiters und
des Chores, damit sich eine Gemeinde in Bewegung setzt.
Gospel als ganzheitliche Erfahrung
In einer Kirche zu klatschen oder sogar zu tanzen, ist für viele Menschen
unvorstellbar, es gilt als würdelos, unangemessen, respektlos. Gerade für
kühle vom Wort geleitete Protestanten. Im Gottesdienst gelten andere
Verhaltensweisen als im sonstigen Leben. Der evangelische Gottesdienst ist
vom Geist bestimmt, der Körper muss sich disziplinieren. Dies findet man
in afro-amerikanischen Gottesdiensten nicht. Der Pfarrer Theo Lehmann
schreibt: „Es gibt für ihn (den nordamerikanischen Neger) keine Trennung von Körper und Geist, folglich auch keine Verbannung des Körperli1
Wolfgang Teichmann: „Populäre Kirchenmusik“, in: Kirchenmusik als religiöse Praxis, hg. v.
Gotthard Fermor und Harald Schroeter-Wittke, Leipzig 2005, S. 90.
51
Elke Wisse
chen aus dem geistlichen Leben. Es ist immer der ganze Mensch, der Gott
gegenübersteht.“2 Was nach Lehmann für schwarze Christen gilt, das ist
natürlich für alle anderen Christen eine Herausforderung. Allerdings lassen
sich nicht alle auf die Überwindung der Trennung von Körperlichem und
Geistlichem ein. Dabei bietet gerade Gospel ein hervorragendes Feld, auf
dem die Überwindung dieser Trennung ausprobiert werden und gelingen
kann. Denn: „Außerhalb der Kasernen wird der Körper nirgends mehr so
diszipliniert wie im Gottesdienst, nicht einmal mehr in der Schule. Da verspricht Gospel Befreiung, gibt Erlaubnis aufzustehen, sich zu bewegen, zu
klatschen.“3
Ist die „singende Kirche“ normalerweise eine sitzende Kirche, so kehren
sich mit dem Gospel im Gottesdienst die Verhältnisse um. „Der Einbezug
des Körperlichen ist in unserem gottesdienstlichen Leben auf ein Minimum
beschränkt. Die so genannte ‚singende Kirche’ ist vor allem eine sitzende
Kirche; im Sitzen wird gesungen (das bereitet zwar physische Schwierigkeiten, ist aber bequemer so), im Sitzen wird gebetet […], und im Sitzen wird
das Wort Gottes vernommen […].“4
„Wie kann man andächtig von Himmel und Erde und allen Wundern Gottes
singen, ohne seine Hände zu gebrauchen? Ich brauche meine Hände und
meine Füße, sogar meinen ganzen Körper, um alles das auszudrücken, was
mich bewegt“, drückt es die Gospelsängerin Mahalia Jackson einmal aus.“5
Gospel bringt Emotionen in den Gottesdienst. Emotionen, die in der Musik
stecken, Emotionen, die in den Gottesdienstteilnehmern stecken. Das darf
beides ausgelebt werden. Nicht selten ist die Musik Medium, um dem
gesprochenen Wort mehr Gewicht zu geben, um das gesprochene Wort
stärker wirken zu lassen.
Gospel lässt Emotionen zu. Man singt den Gospel nicht nur, man lebt ihn.
Wichtig ist es dabei, die Seele der Lieder zu treffen und zu interpretieren.
2
Das Buch „Negro Spirituals – Geschichte und Theologie“ (Stuttgart 1996) von Theo Lehmann
ist bereits 1962 in der ersten Auflage erschienen. Die zweite Auflage erschien in Form einer
fotomechanischen Wiedergabe. Im Vorwort heißt es: „Daraus ergibt sich jedoch, dass am Text
[…] nichts verändert werden konnte. Das bedeutet z.B., dass statt des heute üblichen „AfroAmerikaners“ die zur Zeit der Abfassung gebräuchliche und damals nicht als diskriminierend
geltende Ausdrucksweise „Neger“ in allen ihren Verbindungen stehen bleiben musste. Der
Gebrauch des Wortes „Neger“ ist in dieser neuen Ausgabe im gleichen Sinn historisch zu verstehen wie sein Vorkommen im Gegenstand des Buches: Negro Spirituals.“
3
Rolf Tischer: „Gospels im Gottesdienst“, in: Musik und Kirche 73, 2003, S. 18-24, Zitat S. 18.
4
Theo Lehmann: Negro Spirituals, S. 372.
5
Theo Lehmann: Negro Spirituals, S. 383.
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Frohe Botschaft singen und hören
Wenn das der Fall ist, haben die Vortragenden – egal ob Chor, Solist oder
Ensemble – das Publikum gewonnen, und sie singen sich in die Herzen ihrer
Zuhörer. Die Distanz zwischen Vortragenden und Zuhörenden ist aufgehoben, sie verschmelzen zu einer Einheit, zu einer Gemeinschaft. Nur so wirken die Vortragenden echt, man glaubt ihnen, man merkt, dass sie hinter
dem stehen und glauben, was sie singen.
So sieht es auch der Beauftragte für Popularmusik der Evangelischen Kirche
Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, Pfarrer Rolf Tischer: „Beim
Gospel geht es nicht um die möglichst perfekte Aufführung einer Komposition, sondern im Grunde um eine populärmusikalische Glaubensäußerung
(natürlich mit gesondert zu betrachtender musikästhetischer Seite unterschiedlichster Qualität), die immer dann gelingt, wenn der ‚Funke überspringt’, das heißt eine gemeinsame ‚Be-Geisterung’ aller Anwesenden sich
einstellt.“6
Joakim Arenius sagt dazu: “Gospelmusik spricht den Menschen als Ganzes
an. Sie animiert zum Singen, Tanzen, Klatschen, Rufen, Schreien und Lachen. Es ist leicht, sich Gott näher zu fühlen, wenn man ihn mit seinem
ganzen Körper und Seele lobt.“
Gospelmusik ist Glaubensmusik. Und für alle, die sich auf diese Musik einlassen, sollte auch gelten, was die Sängerin Coretta King über die „Queen of
Gospel“ Mahalia Jackson einmal sagte: „Sie glaubte, was sie sang, und sie
sang, was sie glaubte.“7
Mahalia Jackson hat ihr Leben lang ausschließlich Gospel gesungen und
diese Musikrichtung bis zur Vollendung gebracht. Theo Lehmann hat versucht, das Wesen Mahalia Jacksons und ihrer Lieder zu erfassen: „Gospel
Songs sind nun einmal Kirchenlieder, das heißt, sie sind von Hause aus
keine künstlerischen Konzertdarbietungen. Wo sie nur als solche interpretiert werden, und mag das in künstlerisch noch so perfekter Form geschehen, haben sie bereits etwas von ihrer Eigentümlichkeit verloren, sie sind
schon nicht mehr ganz echt.“8
Als Gospelsänger kann, darf und muss man sich mit seinem ganzen Wesen
in die Musik hinein geben. Man kann sich nicht in der Musik verstecken,
sondern kann seine Ängste, seine Zweifel in die Musik legen, kann sie quasi
heraus schreien. Man findet Trost in der Musik, wenn es einem richtig
6 Rolf Tischer: „Good News in Bad Times“, in: Forum Kirchenmusik, 5/2000, S. 4-13, Zitat S. 10.
7 Theo Lehmann: Der Sound der Guten Nachricht. Mahalia Jackson – Gospelmusik ist mein
Leben, Neukirchen-Vluyn, 4. Auflage 1997, S. 149.
8 Theo Lehmann: Sound, S. 145.
53
Elke Wisse
schlecht geht. Auch wenn die Lieder von Trauer und Schmerz handeln, sind
sie immer auch Ausdruck einer tiefen Hoffnung auf ein besseres Leben.
Die Frohe Botschaft singen
„Der gläubige Mensch“, so heißt es bei Luther, „muß fröhlich sein und mit
Lust davon singen und sagen, dass es andere auch hören und herzu kommen … Wer aber davon nicht singen und sagen will, das ist ein Zeichen,
dass ers nicht glaubet und nicht ins neu fröhliche Testament, sondern unter das alte, faule, unlustige Testament gehört.“9
Bewegtes Singen gehört zum Glauben und zur Glaubensvermittlung. Lebendig muss beides sein. Dafür gibt es Vorbilder: „Man muß schwarze Musiker und Sänger, gleichgültig welcher Richtung, einmal ‚live’ vor ihrem –
dem schwarzen – Publikum erlebt haben, […] um dieses Wesen der afroamerikanischen Kultur zu verstehen. Den Künstlern kommt es darauf an,
mit dem Publikum in einen Dialog zu treten, sie erwarten eine Interaktion,
die sie wiederum zu noch besseren Leistungen beflügelt. Auch ein GospelMass-Choir erwartet von seinem Publikum kein stummes Dasitzen und
andächtiges Lauschen, sondern ein Mitmachen.“ 10
Dieses Mitmachen kann und sollte man als Gospelchor oder -solist auch im
Gottesdienst einfordern. Das gegenseitige Reagieren aufeinander gibt dem
Gottesdienst die besondere Atmosphäre, eine lebendige Dynamik und
macht Gottesdienstbesucher nicht zu stummen, passiven Zuhörern, sondern zum lebendigen Teil des Gottesdienstes. Und der Vortragende wird
durch die Reaktionen der Zuhörer motiviert, seinen Songs die richtige
Stimmung und Interpretation zu geben.
Die Frohe Botschaft hören
Nicht selten wird das Zuhören dem Gottesdienstbesucher entgegen kommen, denn es entspricht seiner alltäglichen Situation, in der Musik-Hören –
in allen Lebenslagen –, nicht Musik-Machen im Fokus steht. In der heutigen
Zeit, wo das gemeinsame Singen immer weniger praktiziert wird, wo Singen eher eine Peinlichkeit als eine Gewohnheit ist, holt die Gospelmusik
9 W. Koch, in Theo Lehmann, Negro Spiritual, S. 383.
10 Teddy Doering: „Gospel – Musik der Guten Nachricht und Musik der Hoffnung“, Neukirchen-Vluyn 1999, S. 249.
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Frohe Botschaft singen und hören
den Besucher da ab, wo er in seinem Alltag steht: als Musik-Konsument.
Viele Gottesdienstbesucher sind froh, dass sie nicht im Gottesdienst singen
müssen, dass sie zuhören dürfen, sich treiben lassen können von der Stimmung der Musik. Und auch das ist im Gottesdienst erlaubt und darf nicht
als Ignoranz abgestempelt werden. Denn erst wenn der Besucher die Musik
durch sein Zuhören begreift, kennenlernt und annimmt, kann er sich selbst
von der Musik anstecken und sich zum Mitsingen bewegen lassen. Das ist
ein ganz individueller Prozess, der seine Zeit braucht und auch durch die
Sozialisation der Menschen beeinflusst wird.
Viele Gospelsongs sind eher Vortragsmusik und weniger zum euphorischen
Mitmachen und Mitsingen geeignet. Bei manchen Gospel-Balladen wird ein
intensives Zuhören erwartet, eine innere Anteilnahme an den Worten des
Songs, eine emotionale Ergriffenheit und Beteiligung sind hier eher gefragt.
In diesem Fall ist die Gospelmusik Hilfe für Besinnung, für Selbstreflexion
und Neufindung. Die Musik bestärkt in diesem Fall ein innerliches Beteiligtsein am Gottesdienst.
Wie auch immer – ob durch Mitmachen oder nur Zuhören – die Gospelmusik trifft den (Kirchen-) Musikgeschmack der Menschen. Sie hat durch ihren
Charakter direkten Zugang zu unseren Gefühlen, zu unseren Herzen und
unserer Seele und kann dadurch die Frohe Botschaft vermitteln.
55
Ulrich Erker-Sonnabend
Mit offenen Ohren und Augen: Gottesdienst und
kirchliche Öffentlichkeitsarbeit
Wenn man an die Öffentlichkeit geht, dann kann man was erleben. Das erfährt die evangelische Kirche überall da, wo sie sich ernsthaft um öffentliche
Wahrnehmung bemüht und ihr besonderes Angebot profiliert und deutlich in
eine säkulare, oftmals Gott vergessende Gesellschaft hinein kommuniziert.
Dabei ist Kommunikation nicht als Einbahnstraße von der Kirche in Richtung
Welt zu denken, sondern als komplexer Prozess in beide Richtungen: aus der
Kirche hinaus in die Gesellschaft, aus der Gesellschaft hinein in die Kirche.
Dieser Kommunikationsprozess trägt zur Kirchenentwicklung bei – und manches Mal entstehen dabei besondere Gottesdienstformen. Das ist dann eine
der Überraschungen, die man erlebt.
Öffentlichkeitsarbeit hat offene Ohren und Augen
Die evangelische Kirche kommuniziert auf vielen Kanälen: Sie gibt Pressemitteilungen heraus, hat Internetauftritte, stellt eigene Zeitschriften und
Magazine her und hat zudem noch ein Ohr für Entwicklungen und Trends
in Städten und Regionen. Dass die Kirche moderne Medien nutzt, gehört
zum guten reformatorischen Erbe. Waren die Reformatoren mit dem Einsatz von Flugschriften und Druckgrafiken auf der Höhe der Medien ihrer
Zeit, so wird die heutige Kirche in diesem Bewusstsein sich modernen Medien nicht verschließen. Heutige kirchliche Öffentlichkeitsarbeit hat eine
Aufmerksamkeit für Medienentwicklungen technischer wie inhaltlicher Art
und auch eine Aufmerksamkeit für die Bedeutung von Medien im postmodernen Alltag. Das gilt natürlich für Leitmedien wie Fernsehen oder Internet, aber auch für Handy oder Telefon. 1 In direktem Kontakt mit Gemeindegliedern, aber auch über Mail oder Telefon, in der Beobachtung von
Print- und Bildschirmmedien ist manches zu erfahren, was Menschen bewegt. Das, was die Öffentlichkeitsarbeit mit offenen Ohren und Augen hört
und sieht, das Beachten dessen, was Menschen Sorge und Not bereitet,
natürlich auch
1
So gibt es zum Beispiel Aktionen, bei denen Bibeltexte per SMS auf Handys gespielt werden.
Hinzuweisen ist auch auf das Telefon als Kommunikationsmittel – siehe hierzu die epdDokumentation 35/2002: Telefon-Marketing für die Kirche. Ein Gott, ein Glaube, eine Nummer.
56
Mit offenen Ohren und Augen
von Freuden, von Trends und Moden in den Städten und Regionen, mündet
oftmals in Projekte, die weiße Flecken im kirchlichen Leben füllen.
Öffentlichkeitsarbeit wendet sich den Menschen zu: Das Beispiel eines
Alleinlebenden-Gottesdienstes
Die Auseinandersetzung mit den Interessen der Kirchenmitglieder ist ein
genuiner Aufgabenbereich von Öffentlichkeitsarbeit. Den Anfragen von
Mitgliedern nachzugehen, „ist eine besondere Form der Zuwendung“ zu
ihnen, und zwar „durch den Versuch, sie zu verstehen“. Das ist vor Jahren
bereits im Rahmen der EKD-Erhebung zur Kirchenmitgliedschaft „Fremde
Heimat Kirche“ deutlich gesagt worden: „Sie [die Mitglieder] wollen verstanden werden. Sie wollen erst einmal zur Kenntnis genommen werden,
aber sie wollen darüber hinaus verstanden und ernst genommen werden.
Auch die religionssoziologische Forschung ist eine Form der Zuwendung, in
gewisser Weise ein Besuchsdienst mit anderen Mitteln. Man kann bei Interviews die Erfahrung machen, wie sich Interviewpartner darüber freuen,
daß die Kirche sich für ihre Meinung interessiert. Demoskopie, Meinungsbefragung ist eine moderne Methode, ‚dem Volk auf’s Maul zu schauen’,
was Martin Luther bekanntlich als die Voraussetzung ansah, Gottes Wort
treffend in die Volkssprache zu übersetzen.“2 Was hier über die Meinungsbefragung gesagt wird, beschreibt sinngemäß das Zuhören und Antworten
als Tätigkeit kirchlicher Öffentlichkeits- und Informationsarbeit.
Ein Beispiel: Alle Welt redet, wenn es um heutige Lebensstile und -formen
geht, über die Singles der Großstadt. In den kirchlichen Presse- und Informationsstellen melden sich manchmal allein lebende Männer und Frauen.
Sie stehen in der Mitte ihres Lebens und fragen: „Welches gottesdienstliche
Angebot gibt es eigentlich für mich? Ich lebe allein, bin um die 40 Jahre alt,
arbeite hier in der Großstadt in einer Konzernzentrale, kenne kaum jemanden.“ Solche Anfragen sind ernst zu nehmen. Sie werden wahrgenommen
auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen, wie sie sich im
Diskurs einer Stadt, in den Medien genauso wie in Gesprächen, Leserbriefen, Chatrooms oder E-Mails abbilden. Die Öffentlichkeitsarbeit nimmt das
wahr und kommuniziert ihre Wahrnehmung von Entwicklungen und Wünschen ins Innere der Kirche. Wenn es sich dabei um dringliche Themen
handelt, wird man bemüht sein, diejenigen an einen Tisch zu bringen, die
2
Fremde Heimat Kirche. Die dritte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, hg. v. Klaus
Engelhardt u.a., Gütersloh 1997, S. 358.
57
Ulrich Erker-Sonnabend
für die Auseinandersetzung mit einem solchen Thema über die notwendige
Expertise verfügen. Da wachsen dann oftmals konkrete Projekte heran.
Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Im Falle der Singles ist so
mittlerweile an der Neanderkirche in Düsseldorf eine besondere Gottesdienstform entstanden: die Gottesdienste für „Alleinlebende und andere
Lebenskünstler“. Verantwortet werden diese Gottesdienste von der Pfarrerin der Neanderkirche gemeinsam mit Mitarbeitenden aus der Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit und einer Journalistin, die ein Buch über Alleinlebende und so genannte Singles geschrieben hat. Angestoßen haben dieses
Projekt Wahrnehmungen der Öffentlichkeitsarbeit aufgrund von Anfragen
in der kirchlichen Pressestelle. Vor dem Zusammenkommen der an dem
Projekt Beteiligten stand noch eine statistische Recherche, mit der abgeschätzt werden sollte, ob der Wunsch nach Gottesdiensten für Alleinlebende auch eine soziale Realität trifft. Dabei konnte festgestellt werden, dass
es mittlerweile in den Großstädten Quartiere gibt, in denen fast 50 Prozent
der Haushalte Alleinlebenden-Haushalte sind.3 Eine solche Zahl lässt Rückschlüsse auf die Realität des Wunsches nach AlleinlebendenGottesdiensten zu.
Öffentlichkeitsarbeit bringt sich ein: Das Beispiel der Gospelchurch
Das Beispiel des Alleinlebenden-Gottesdienstes macht deutlich, wie sich die
Öffentlichkeitsarbeit mit ihrem Sensorium in die Entwicklung kirchlicher
Angebote einbringt: Sie beobachtet, initiiert, sucht Partner, die ein Projekt
verwirklichen, gibt infrastrukturelle Hilfe, bringt Menschen zusammen,
mischt sich bei der Entwicklung der jeweiligen Gottesdienstform mit ihrem
Knowhow über Kommunikationsprozesse gestaltend ein.
So geschah und geschieht es auch bei der Entwicklung der Gottesdienstform Gospelchurch. Da stand am Anfang die Wahrnehmung, dass viele
Menschen Interesse an Gospelmusik haben. Nach einem Gespräch mit
einer Kirchenmusikerin und Gospelchorleiterin war deutlich, dass es kaum
Orte gibt, an denen Gospelmusik als verkündigende Musik ernst genommen wird. In weiteren Gesprächen, an denen auch engagierte Chorsänger
und für das Thema offene Pfarrer beteiligt waren, entwickelte sich eine
Linie. Dabei fand sich ein Kernteam zusammen: eine Chorleiterin und Expertin in Sachen Gospelmusik, ein gospelbegeisterter Verwaltungsleiter,
der auch in einem Gospelchor singt, sowie der Pressesprecher der evangeli3
Das sind so genannte Single-Haushalte und Ein-Eltern-Haushalte.
58
Mit offenen Ohren und Augen
schen Kirche in Düsseldorf. Jeweils wechselnd stößt zu diesem Kernteam
ein Pfarrer oder eine Pfarrerin dazu. Das Team diskutiert, findet Themen
und Inhalte und entwickelt so die spezifische Form einer Gospelchurch –
die Öffentlichkeitsarbeit bringt ihre Sicht der Dinge in allen Stadien ein. So
gesehen, um es einmal überspitzt zu formulieren, ist die Gospelchurch ein
Resultat evangelischer Öffentlichkeitsarbeit. Aber eine solche Rechnung
geht natürlich nur auf, wenn man Menschen findet, die für das Projekt
brennen. Öffentlichkeitsarbeit kann wahrnehmen, anregen, argumentieren,
versuchen, Rahmenbedingungen zu schaffen, für Kontakte sorgen; doch
dann bedarf es vieler, die mit Enthusiasmus, Zeitaufwand und oftmals ehrenamtlichem Engagement Ideen verwirklichen und Projekte wachsen lassen.
Öffentlichkeitsarbeit und Gottesdienst
In welchem Verhältnis stehen Öffentlichkeitsarbeit und Gottesdienst in
konkreten Projekten zueinander? Öffentlichkeitsarbeit hat auch einen Blick
für das, was außerhalb der Kirche geschieht. Öffentlichkeitsarbeit beobachtet kulturelle und gesellschaftliche Verhältnisse. Sie fragt nach Reichweiten
und Relevanz und bringt ihre Beobachtungen in die Vorbereitung von Gottesdiensten ein.4 Den Blick für das, was außerhalb der Kirche in der Gesellschaft gescheht, hat die Öffentlichkeitsarbeit nicht, um dem Markt nach
dem Mund zu reden, sondern von ihrer evangelischen Aufgabenstellung
her. Öffentlichkeitsarbeit wirkt mit am umfassenden Auftrag der Kirche,
dass die Wahrheit Gottes allen Menschen verkündet werde. 5 Dabei kommt
der Entwicklung von Kirche zugute, dass Öffentlichkeitsarbeit ein hohes
Bewusstsein für Zielgruppen und differenzierte Adressaten hat, dass sie
Trends in Kirche und Welt beobachtet und analysiert sowie nach deren
Grundlagen fragt, zudem danach fragt und wahrnimmt, was Menschen
von der Kirche erwarten. Kurz: Zur Profession von Öffentlichkeitsarbeit
gehört eine breite Wahrnehmungsfähigkeit. So verstandene Öffentlichkeitsarbeit beschränkt sich nicht nur auf das Handeln nach dem Motto:
„Das muss auch noch in die Presse.“ Öffentlichkeitsarbeit fängt früher an:
beim Beobachten, beim Wahrnehmen, beim Pläneschmieden, beim Nachdenken über das, was die Gesellschaft von der Kirche erwarten kann, und
4
Instruktiv sind in diesem Zusammenhang die Gedanken Klaus Danzeglockes in: „Mit aktuellen Themen werben“, in: Zwischentöne – Zwischenschritte: Perspektiven der Öffentlichkeitsarbeit in der Evangelischen Kirche im Rheinland, Düsseldorf 1996, S. 8-12.
5
Vgl. 1. Timotheusbrief (2,4): […] Gott […] will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur
Erkenntnis der Wahrheit kommen.“ Grundsätzlich sei für die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit
hier verwiesen auf: Gerhard Isermann, Tagesordnungspunkt Öffentlichkeit, Hannover 1995.
59
Ulrich Erker-Sonnabend
beim Gestalten konkreter kirchlicher Angebote und Formen. So hat Öffentlichkeitsarbeit Anteil am Zusammenbringen von Gemeinden. Das Besondere dabei: Es kommen Gemeinden in den Blick, die sich durch das Tagesgeschäft der Ortsgemeinden nicht bilden würden. Das gilt etwa für die Gemeinde beim Alleinlebenden-Gottesdienst oder auch für die Gemeinde, die
bei der Gospelchurch zusammenkommt. Diese Gemeinden sind geleitet
von einem besonderen Interesse, das in den neu geschaffenen Gottesdienstformen überörtlich zum Tragen kommt.
Die Öffentlichkeitsarbeit leistet aber noch Weiteres. Da ist das besondere
Knowhow für kommunikative Prozesse – einmal innerhalb oder während
eines Gottesdienstes, zum anderen natürlich auch für den Bereich der unmittelbaren Öffentlichkeitsarbeit für einen Gottesdienst.
Öffentlichkeitsarbeit kommt natürlich ins Spiel, wenn es um die konkrete
Werbung für Gottesdienste geht – mit all den klassischen Medien, die zur
Verfügung stehen, von der Pressemitteilung bis zum Plakat. Aber auch, um
die Wirkung eines Gottesdienstes einschätzen zu können, ist die Öffentlichkeitsarbeit gefragt. Sie hat Instrumentarien und Methoden der so
genannten Reichweitenanalyse im Gepäck. Das ist bei Gottesdiensten mit
recht einfachen Mitteln zu bewerkstelligen. So kann die Öffentlichkeitsarbeit Antwortbögen, mit denen Meinungen abgefragt werden, rasch entwickeln.
Dabei
wird
auch
nach
den
E-Mailadressen
von
Gottesdienstbesuchern gefragt, damit sie kostengünstig und zielgerichtet
zu weiteren Gottesdiensten eingeladen werden. Auf diese Weise lässt sich
ein neues Gottesdienstprojekt erden, nachsteuern und einschätzen. Zum
andern wächst nebenher ein spezifischer Verteiler von Interessenten für
eine bestimmte Gottesdienstform. Die Vorteile der Kontaktaufnahme per
E-Mail liegen auf der Hand: Menschen lassen sich gezielt ansprechen und
einladen; das Ganze ist nicht von einem festen Publikations-Turnus abhängig und zudem auch noch kostengünstig.
Ansonsten sollten im Umfeld von Gottesdiensten und Gottesdienstreihen
all die Mittel zum Einsatz kommen, die der kirchlichen Öffentlichkeits- und
vor allem Pressearbeit zur Verfügung stehen. Das fängt bei Pressemitteilungen an, in denen gesagt wird, welches Thema im Gottesdienst ansteht,
wer der Prediger, die Predigerin ist, von wem die Musik kommt. Diese
Pres-semitteilungen tauchen in Tages-, Wochenzeitungen und Monatsmagazinen auf, manchmal gar unter der Rubrik der Konzertankündigungen,
wenn das musikalische Geschehen in einem Gottesdienst betont wird.
Damit wird noch einmal ein anderes Publikumssegment als die mit Gottesdiensten vertrauten Besucher angesprochen. Auch gibt es für Journalisten
60
Mit offenen Ohren und Augen
eine Einladung zur Berichterstattung, was ab und zu dazu führt, dass es
einen Medienbericht über einen Gottesdienst gibt. In jedem Gottesdienst
wird eine Kollekte gesammelt, darüber gibt es am Tag danach auch eine
Pressemitteilung, die den Gottesdienst im Nachhinein in die Aufmerksamkeit rückt, den nächsten Termin nennt und auch noch etwas Öffentlichkeit
für den Kollektenzweck bringt.
Wenn heutzutage zu einem Gottesdienst eingeladen wird, dann ist dies
nicht das einzige Ereignis in einer Stadt. Am selben Tag gibt es klassische
Konzerte, Auftritte von Bands und Popstars, große Familiensportfeste in
den Stadien und Arenen. Hier lautet die Aufgabe: wahrgenommen werden,
wahrnehmbar bleiben! Da versteht sich von selbst: Öffentlichkeitsarbeit ist
notwendig. Und darüber hinaus: Öffentlichkeitsarbeit gibt aufgrund ihres
geschärften Sensoriums Impulse. Die Chance, die im Einbezug der spezifischen Fähigkeiten von Öffentlichkeitsarbeit bei der Planung und Gestaltung von Gottesdiensten liegt, besteht vor allem in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit und in ihrer Kompetenz zur Erkundung bislang unentdeckter Wege.
61
Petra Bosse-Huber
Gospel: zeitgemäße Form der Verkündigung
Zur Person: Petra Bosse-Huber ist Vizepräses der Evangelischen Kirche im
Rheinland, Düsseldorf.
„Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in
euch ist und den ihr von Gott habt und dass ihr nicht euch selbst gehört?
Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe“ (1 Korinther 6, 19f.).
Musik ist ein wunderbares Mittel, um Gott mit dem ganzen Körper zu loben. Sie lässt den Körper vibrieren, sie kann das Herz anrühren und in Bewegung versetzen. Zu allen Zeiten hat es Musik gegeben, mit der Menschen das erleben konnten. Doch jede Zeit, jede Kultur und jedes Milieu
bilden ihre eigenen Stile und Vorlieben heraus. Deshalb ist die Musik, die
Menschen in Bewegung versetzt, unterschiedlich. Viele Lieder, die wir heute in den Gesangbüchern finden, sind nicht wegen ihrer besonderen musikalischen oder textlichen Qualität aufgenommen worden, sondern, weil sie
bekannt und beliebt waren. Doch die Kirchenschlager früherer Generationen wie z. B. „Stern, auf den ich schauen“ (EG 407) oder „So nimm denn
meine Hände“ (EG 376) muten heute altmodisch an.
In unserer Zeit differenzieren sich die Milieus und damit auch die musikalischen Vorlieben immer weiter aus. Jeder Radiosender, der ein breites Publikum erreichen will, hat mehrere Spartenprogramme. Wer 1 Live hört, ist
vermutlich noch nie länger bei WDR 3‚ hängengeblieben‘.
Der Auftrag der Kirche ist es, „die Botschaft von der freien Gnade Gottes
auszurichten an alles Volk“ (Barmen VI). Deshalb darf sie sich bei ihren
Angeboten und in ihren Gottesdiensten nicht auf wenige Sparten und Musikstile beschränken, die nur Menschen aus ausgewählten Milieus ansprechen. Wenn wir die Leitvorstellung „missionarisch Volkskirche sein“ ernst
nehmen, müssen wir in der Kirchenmusik an die ganze Breite zeitgenössischer Musikstile anknüpfen. Dem entsprechend hat die Landessynode der
Evangelischen Kirche im Rheinland 2007 bei der Verabschiedung des Positionspapiers 1 im Beschluss formuliert: „Sie ermutigt alle, die in der Kir1 Positionspapier zu gegenwärtigem Stand und zukünftigen Aufgaben der Kirchenmusik in
der Evangelischen Kirche im Rheinland.
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Gospel: zeitgemäße Form der Verkündigung
chenmusik tätig sind und für sie Verantwortung tragen, durch die Pflege
des musikalischen Spektrums aller Epochen und die Förderung neuer kirchenmusikalischer Entwicklungen weiter zum Aufbau der Gemeinde beizutragen.“2 Neben den langjährig bestehenden Verbänden gibt es seit dem
vergangenen Jahr den „Verband für christliche Popularmusik in der Evangelischen Kirche im Rheinland e.V.“3, der allen, die durch neue geistliche Lieder, Gospel oder Rock- und Popmusik die frohe Botschaft weitergeben
möchten, ein Forum bietet.
Von den vielen Stilrichtungen zeitgenössischer Popmusik hat die Gospelmusik im letzten Jahrzehnt einen unerwartet hohen Zulauf bekommen. Sie
ist „eine Musik, die sich aus den Grundvokabeln der Popmusik aufbaut und
erschließt, die körperlich rhythmisch unmittelbar erfahrbar und damit ausgeprägt sinnlich ist und durch das Call & Response-Prinzip stark kommunikativ ausgerichtet ist.“4 Obwohl Gospel vornehmlich Frauen und Männer
zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr anspricht, gelingt es im Moment,
Menschen aus verschiedenen Generationen und Milieus zusammen zu
bringen.
Die Kirche des Wortes hat den Körper und die sinnliche Glaubenserfahrung
viel zu lange vernachlässigt, weil sie das Evangelium von Jesus, dem Christus, allein über den Verstand vermitteln wollte. Gospel füllt diese Lücke, die
Musik berührt nicht nur das Ohr, sie bringt die Körper mit Haut und Haar
zum Vibrieren und trifft die Tiefe der Seele. Außerdem kann Gospel Kontinente, Nationen und Kulturen zu der einen heiligen Kirche verbinden, die
miteinander in Lob, Klage, Bekenntnis und Fürbitte einstimmt. Dazu ist es
allerdings notwendig, sich die Ursprünge der afrikanisch-amerikanischen
Tradition bewusst zu machen. Gospel ist mehr als religiös gefärbte Emotion,
die an die Freizeit- und Hörgewohnheiten einer weißen europäischen Mittelschicht anknüpft. Gospel drückt die tiefe Hoffnung auf Gottes umfassende Gerechtigkeit aus, die stärker ist als alle strukturelle Gewalt, unter
der Menschen leiden.
Mit dieser Botschaft ist Gospel Verkündigung, die den Gottesdienst der
Kirche des Wortes bereichert. Dabei ist Gottesdienst in einem umfassenden
Sinn zu verstehen. Neben die traditionelle Liturgie treten neue Gottesdienstformen und die Verkündigung in der Chor- und Workshoparbeit.
Unter der Trägerschaft der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evange2 Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland 2007, Drucksache 2.
3 www.ekir-pop.de.
4 Wolfgang Teichmann: Populäre Kirchenmusik, in: Gotthard Fermor/ Harald Schroeter-Wittke.
Kirchenmusik als religiöse Praxis, Leipzig 2005, S. 90-96, hier S. 94.
63
Petra Bosse-Huber
lischen Kirche von Westfalen und der Lippischen Landeskirche ist der Gospelkirchentag zu einer schönen Tradition geworden, in die nun auch andere
Landeskirchen eintreten. Diese Tradition gilt es zu pflegen, solange Gospel
eine Musik ist, die Menschen an den Ursprung des Glaubens heran führen
kann.
Aus dem „Positionspapier Kirchenmusik“, beschlossen von der Landessynode
der EKiR am 12. Januar 2006
Ihre elementare Gestalt hat die evangelische Kirchenmusik im gottesdienstlichen Gemeindegesang. Im gemeinsamen Singen
x wendet sich die christliche Gemeinde Gott zu;
x ruft sie Gott an in Dank und Lob, in Klage und Bitte;
x bekennt sie sich zu dem dreieinen Gott;
x bringt sie sich die biblische Botschaft gegenseitig zu Gehör und eignet
sie sich an;
x teilt sie vor Gott die Freude und die Nöte des Glaubens;
x erfährt sie die Lebensdienlichkeit des Glaubens und erinnert sich ihrer
Sendung.
Das gemeinsame Singen vertieft das gesprochene und gehörte Wort und
geschieht unter verstärkter persönlicher Beteiligung und emotionaler Ergriffenheit. Es ist eine Grundgestalt der aktiven Beteiligung der ganzen
Gemeinde am Gottesdienst und erfüllt damit das Hauptkriterium für die
Gestaltung des Gottesdienstes nach dem Evangelischen Gottesdienstbuch.
Ein evangelischer Gottesdienst ohne Gemeindegesang ist außer in Gehörlosengemeinden nur als Grenzfall vorstellbar; als Normalfall könnte er
nicht hingenommen werden.
64
Hans Wülfing
Aufgaben von Chören im Gottesdienst
Zur Person: Kirchenmusikdirektor Hans Wülfing ist Kantor in Bergneustadt
und Vorsitzender des Chorverbandes in der Evangelischen Kirche im
Rheinland e.V.
Welche Funktion hat der klassische Kirchenchor im Gottesdienst?
Dass ein Kirchenchor im Gottesdienst mitwirkt, war nicht immer
selbstverständlich. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gründeten
sich Kirchenchorverbände, die sich zur Aufgabe machten, die Kirchenchöre
bzw. Kirchengesangsvereine in den Organismus der Kirche einzubinden
und nicht als Verein neben der Kirche existieren zu lassen. Der Kirchenchor
als (erste!) Basisgruppe in den Gemeinden sollte ein volles Heimatrecht im
Gottesdienst haben und der klar definierten Aufgabenstellung folgen, die
Kunst im Gottesdienst heimisch zu machen. Damit sollte die alte
Verbindung zwischen Kirche und Musik wieder hergestellt werden.
Chormusik sollte ihre Bedeutung als wesentliche Lebensäußerung der
Kirche wiedererlangen, nicht als Dekoration, sondern als theologische
Aussage, als Verkündigung und Gebet, mit den Mitteln der Musik, konkret:
des mehrstimmigen gemischten Gesangs.
Welche Aufgaben kann ein Chor heute im Gottesdienst übernehmen?
Bei der Wahl der Chorstücke ist nach der Struktur und Thematik des
Gottesdienstes bzw. des jeweiligen Sonntags zu fragen:
x In welcher Kirchenjahreszeit steht der Gottesdienst?
x Welche Texte sind vorgesehen?
x Was ist Thema des Gottesdienstes?
x Ist der Gottesdienst an eine besondere Zielgruppe gerichtet?
x Hat der Gottesdienst einen bestimmten Anlass (z.B. Taufe,
Konfirmation, Familiengottesdienst etc.)?
x Welche Form hat der Gottesdienst?
Neben dem Singen von alten oder neuen, traditionellen oder modernen
Chorstücken der kann der Chor auch andere Aufgaben übernehmen:
65
Hans Wülfing
x
x
x
x
Einführung unbekannter Lieder
Singen im Wechsel mit der Gemeinde
Kanons oder Singsprüche zum Psalm, zwischen Liedversen, als
liturgische Teile usw.
Gemeinsames Singen von mehrstimmigen Liedern im EG
Ein wesentliches Ziel des gottesdienstlichen Chorsingens sollte es sein, die
Gemeinde aktiv zum gemeinsamen Singen anzustiften. Möglichkeiten dazu
gibt es genug – für traditionelle und für Gospelchöre gleichermaßen!
66
Stimmen von Gospelmusikerinnen und Gospelmusikern
Warum singen deutsche Chöre Gospel?1
Ist das nicht aufgesetzt, wenn in einem Gottesdienst in einer evangelischen
Kirche mitten in Deutschland auf einmal englische Songs erklingen, die aus
einer Kultur jenseits des Atlantiks stammt? Warum eigentlich singen deutsche Chöre Gospel? Und: Warum ist Gospelmusik in Deutschland derzeit so
erfolgreich? Hier einige Antworten von deutschen Gospelmusikern und Gospelmusikerinnen, die mit deutschen Chören arbeiten und auftreten.
Matthias Nagel
In denke, dass die Musik ein Vakuum füllt,
welches wir in unserer verfassten Kirchenmusik
leider – vielleicht unbewusst – haben entstehen
lassen. Mit diesem Vakuum meine ich einen
gewissen stilistischen Abriss, der in den 60er
und 70er Jahren zu spüren war, als sich die
Kirchenchöre auf die Suche gemacht haben
nach rhythmischer Musik. Damals wollte man
aber die richtig groovige Musik noch nicht
zulassen. In dieses Vakuum strömte die
Gospelmusik und begeistert seitdem auch wieder die Kirchenchöre. Viele
Chöre möchten etwas von dem Zauber der Gospelmusik erfahren. Die Gospelmusik ist sicher nicht ein Heilmittel, um Kirchen zu füllen, aber sie ist
eine ernst zu nehmende Chance, um das Singen in der Kirche aufrecht zu
erhalten oder mit einer neuen Facette zu versehen. Ich möchte die Gospelmusik als eine neue Singbewegung bezeichnen.
Sarah Kaiser
Ich glaube, es liegt daran, dass es eine Musik für viele ist. Gute Gospelmusik
setzt natürlich auch voraus, dass man musikalisch fit ist und bestimmte
Fähigkeiten hat, aber trotzdem kann sie von jedem gesungen werden.
Ich glaube, dass die Freude, die in der Musik steckt, die Menschen ansteckt
1
Die hier veröffentlichten Stellungnahmen stammen aus Interviews, die Elke Wisse mit den
Musikern geführt hat, bzw. aus Fragebögen, die sie den Musikern vorgelegt hat.
67
Stimmen von Gospelmusikerinnen und Gospelmusikern
und begeistert. Es ist eine emotionale Musik. Es ist aber auch eine relativ
einfache Musik, die dadurch viele Leute anspricht und nicht nur eine bestimmte Gruppe.
David Thomas
Die Musik ist erfolgreich, weil ein tiefer Sinn in den
Texten der Lieder steckt. Das Wort ist so stark, dass
man davon berührt wird, auch wenn man nicht an
Gott glaubt. Deshalb singen viele Menschen, die
nicht an Gott glauben, trotzdem Gospelmusik.
68
Der Verband für christliche Popularmusik in der
Evangelischen Kirche im Rheinland
Neben dem Chorverband und dem Posaunenwerk hat sich der Verband für
christliche Popularmusik in der Evangelischen Kirche im Rheinland gegründet.
Wir dokumentieren einen Auszug aus seiner aktuellen Internetpräsenz
(www.ekir-pop.de).
Musik steckt an
Wer jemals erlebt hat, wie ansteckend Glaubenskraft und Lebensfreude
sein können, die von einem jazzig swingenden Gospel oder von einem
groovenden religiösen Rocksong ausgeht, den lässt diese Musik nicht mehr
los. Möchte mehr davon. Und zwar in der Kirche. Das ist der angesagte Ort
für Be-Geist-erung. Es geht schließlich um Kirchenmusik.
Musik ist Religion
Ob im Gewand eines traditionellen Spirituals mit seinem Schrei der Verzweiflung, eines alten oder neuen Gospels mit der Botschaft von Hoffnung
und Zuversicht, eines souligen Blues-, Rock- oder Popsongs: diese musikalischen Formen sind Ausdruck unseres heutigen Lebensgefühls und deshalb
wie geschaffen für das Überbringen der zeitlosen Frohen Botschaft. Mit
ihrer lebendigen Rhythmik bewegen diese neuen Kirchentöne die Menschen: Sie stiften Gemeinschaft, lassen Spiritualität erleben und bereichern
die Glaubenspraxis. In Konzerten, in Gottesdiensten, auf Festivals.
Kirchenmusik hat viele Farben
Das musikalische Mosaik in der Evangelischen Kirche im Rheinland wird
immer bunter und vielgestaltiger. Das ist gut so. Viele, nicht nur im jugendlichen Alter, singen inzwischen selber in einem der zahlreicheren Gospelchöre mit. Andere finden sich in Bands zusammen, um die Songs der Chöre,
kleiner Ensembles oder von Solisten instrumental zu begleiten. Eindrucksvoll lassen uns Musicals spannende biblische Geschichten miterleben.
Wir vernetzen Menschen und Ideen
Allein Vor-sich-hin-Werkeln war gestern. Netzwerke nutzen ist heute! Mit
dem Verband für christliche Popularmusik in der Evangelischen Kirche im
Rheinland möchten wir eine Plattform bieten, die zum Austausch zwischen
Musikern und Gemeinden anregt.
69
Stimmen von Gospelmusikerinnen und Gospelmusikern
Gospel und traditionelle Kirchenmusik1
Matthias Nagel
Die Unterschiede liegen im Rhythmus und in der Satzstruktur. In der traditionellen Kirchenmusik sprechen wir vom klassischen vier- oder dreistimmigen Satz, dem so genannten Kontrapunkt, der strengen und mühsam
erlernten Regeln folgt. In der Gospelmusik ist der Satz in der engen Lage
geschrieben, das heißt, die Melodie hat Vorrang und die beiden nächsten
Stimmen hängen sich gewissermaßen an die Akkorde dran. Das ist etwas
anderes als der klassische Kontrapunkt. Aber dadurch wird die Musik sehr
griffig, sehr gut wahrnehmbar und auch improvisationsgeeignet. Die
Stimmführung in der Gospelmusik ist nicht wirklich eigenständig, sondern
aneinander gekoppelt, dadurch hat die Musik eine unglaubliche Power.
Und rhythmisch kommen sämtliche Elemente mit hinein, die im Bereich
der Popularmusik in den letzten Jahrzehnten entstanden sind.
Helmut Jost
Die Hauptunterschiede liegen in der Sprache, in der
Art zu singen (nämlich bisweilen entfesselt) und
nicht zuletzt in einer Gefühlsbetontheit, die nichts
Schwärmerisches, sondern für verkopfte Mitteleuropäer etwas Befreiendes hat.
Danny Plett
Ich denke, der Hauptunterschied zwischen der Gospelmusik und der klassischen Kirchenmusik liegt darin, dass die eine mehr das Herz und die Gefühle und die andere den Kopf, den Intellekt anspricht
1
Die hier veröffentlichten Stellungnahmen stammen aus Interviews, die Elke Wisse mit den
Musikern geführt hat, bzw. aus Fragebögen, die sie den Musikern vorgelegt hat.
70
Stimmen von Gospelmusikerinnen und Gospelmusikern
Martin Bartelworth
Gospel ist Gemeindemusik und keine
Kirchenmusik.
Für
mich
greift
die
Gospelmusik die alltäglichen Hörgewohnheiten auf. Rhythmus, Klang und Melodieführung sind aus Film, Funk und Fernsehen
bekannt. In der der traditionellen Kirchenmusik steht das Musikstück im Vordergrund.
In der Gospelmusik wird ein Lied „gelebt“, das heißt, durch den oder die
Vortragende(n) kommt es zu einer Verschmelzung von Emotionen, Glauben
und Tönen. Dieses immer einmalige Erlebnis wird mit der Gemeinde geteilt
und durch die Gemeinde erweitert.
Njeri Weth
Musikalisch gesehen gibt es große Unterschiede in der Instrumentierung.
E-Piano und Band statt Orchester und Orgel. Die Gemeinsamkeiten sind
Strophenformen der Lieder, Mehrstimmigkeit und Vielfalt der Texte. Es gibt
zu jeder Zeit des Kirchenjahres auch genügend Repertoire in der Gospelmusik. Der Hauptunterschied liegt für mich eher darin, ob die Musik, die man
im Gottesdienst singt, „lebendig“ klingt oder „steif“, im schlimmsten Fall
„heruntergeleiert“. Auch einem Choral steht es gut, wenn er einmal in einem neuen Arrangement erklingt. Gospels werden nie genau gleich gesungen, weil in dieser Musik die Hemmschwelle nicht so groß ist, seinen Emotionen freien Lauf zu lassen. Das macht den Gospel so lebendig.
71
Gospel in der Sicht rheinischer Kirchenmusikerinnen
und Kirchenmusiker
Bitte schreiben Sie eine Seite (oder eine halbe oder zwei) zu dem Phänomen
„Gospel“, wie es sich für Sie darstellt, z.B.
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zu einem „Gospel“-Chor, den Sie leiten
zu einem „Gospel“-Chor, den Sie nicht leiten
zu den Menschen, die da mitmachen, ihren Altern, ihren Milieus
zu Veränderungen in Gemeinden und ihrem Musikleben
zu Veränderungen bei Ihnen selbst
zu der Musik, die da erklingt, und zu ihren Wirkungen, die sie auslöst
zu den Texten, die da gesungen werden
zu dem Verhältnis von „Gospel“ und traditioneller Kirchenmusik
zu den Diskussionen, die es dazu in Ihrem Wirkungskreis gibt
zu den Gedanken, die Sie sich dazu machen
zu den Gefühlen, die Ihnen dazu kommen
zu Gottesdiensten mit „Gospel“-Musik
zu der Frömmigkeit, die „Gospel“ voraussetzt und/ oder weckt und
stärkt
zu Koalitionen und Entzweiungen, die „Gospel“ ausgelöst hat
zu ...
Über die Kirchenkreiskantorinnen und -kantoren hatte ich diese Bitte an die
Kirchenmusikerinnen und -musiker der Evangelischen Kirche im Rheinland
gerichtet. Wie viele diese Bitte tatsächlich erreicht hat, weiß ich nicht. Den
dreizehn Kolleginnen und Kollegen, von denen ich Rückäußerungen erhalten
habe, danke ich herzlich: Martin Bambauer, Matthias Bönner, Karl-Georg
Brumm, Roselies Evang-Kords, Arnhild Jahnke, Jörg Martin Kirschnereit, Christian Pollmann, Susanne Rohland-Stahlke, Ulrike Samse, Ansgar Schlei, Christoph Spengler, Ulrike von Weiß, Michael Wulf-Schnieders. Aus ihren Voten
stelle ich eine Auswahl zusammen, ohne sie zu typisieren oder zu kommentieren. In ihrer Vielstimmigkeit, ihrem Farben- und Nuancenreichtum vermitteln
sie einen zwar nicht repräsentativen, aber authentischen Eindruck von dem,
was die Fachleute der Kirchenmusik in der Fläche unserer Kirche über den
Gospel denken und wie sie ihn selbst praktizieren. ME
Ein Fehlschluss ist, dass das Singen des Chores im Gottesdienst zu unglaublichen Besucherströmen führt. Wir singen regelmäßig im Gottesdienst, und
72
Gospel in der Sicht rheinischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker
es sind vor allem dadurch mehr Leute, dass der Chor da ist. Das finde ich
aber auch legitim, denn so erleben auch die kirchenferneren Chormitglieder
doch zumindest einen Gottesdienst im Monat, für mich ein Stück innerer
Mission.
x
Unser Pfarrer wünscht sich eine Begleitung des Gottesdienstes mit
aktueller Musik (Stichwort: niederschwelliger Zugang), die Gemeinde
„findet die neue Musik gut“.
x
Ich habe mit Pop und Gospel stets nur die besten Erfahrungen gemacht. Diese Musik ist wie kaum eine andere generationsübergreifend
und damit eine seltene Möglichkeit, über alle Altersgrenzen hinweg
miteinander zu musizieren. Über die Texte wird mehr transportiert, als
ich mir anfangs klar gemacht habe, was mich natürlich sehr freut.
x
Wer kopiert, verliert! Gospelchöre, die sich in Kutten kleiden, „eine
Show abziehen“, um dem amerikanischen Original am nächsten zu
sein, wirken auf mich alles andere als authentisch – und dies berührt
eines der grundsätzlichen gesellschaftlichen Probleme, an denen wir
leiden: Authentizität!
x
Wer sich ganz einer Richtung verschreibt, sollte dort mehr erreichen,
als ein durchschnittlicher „Breitband-Chor“ auch könnte. Das trifft
meiner Erfahrung nach leider auf viele Gospelchöre nicht zu.
x
Den Chor bezeichne ich mittlerweile sehr bewusst als „Pop- und Gospelchor“, denn wenn man „nur Gospel“ macht, läuft sich die Sache in
meinen Augen irgendwann tot und wird uninteressant. Ein Kirchenchor
singt in der Regel auch nicht nur Schütz.
x
Der mit der Darstellung dieser Musik untrennbar verbundene Bewegungsimpetus ist sicherlich ein nicht zu unterschätzender Impuls für
Hörer und Ausführende, der ggf. auch in sublimierter Form der so genannten klassischen Kirchenmusik dienlich sein kann – sprich: auch ein
mit schwungvollem Körpergefühl gesungenes „Ehre sei dir, Gott, gesungen“ aus Bachs WO kann diese Einheit von Körper und Musik beinhalten.Man folgt eigentlich mit Gospelgesang einem ganz alten
Brauch, die aktuelle U-Musik vom Stil her in die Kirche zu holen. Das
gab es schon im 16. Jahrhundert!
Mein Herz schlägt ganz sicher für die alte Musik, aber ich habe auch
Spaß am Gospel und kann diese Musik auch nach außen vertreten.
x
73
Gospel in der Sicht rheinischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker
x
Die Musik, die erklingt, beschränkt sich leider auf sehr populäre Lieder:
„O Happy Day“, „Good News“ etc. bis hin zu Popsongs (Robbie Williams
etc.). Was Robbie Williams im Gottesdienst soll, entzieht sich meiner
Kenntnis.
x
Wichtig für die „Gospellandschaft“ in unserer Kirche wäre es, die meist
nebenamtlich oder gar ehrenamtlich Tätigen angemessen aus- und
fortzubilden, was ja immer mehr etabliert wird. Ich persönlich stelle regelmäßig fest, dass der Chorgesang im Hinblick auf guten Umgang mit
der Stimme und Gestaltung der Musik nicht ausreichend ist. Die Stimmen der Chorsänger im Gospelchor sind oft verbildet, es wird mehr geschrieen als gesungen.
x
Ich denke, wir haben zurzeit eine Gospel-Welle, der es so wie dem NGL
und den Beatmessen ergehen wird. Einiges Erhaltenswerte wird erhalten bleiben, insgesamt wird die Bewegung aber wieder zurückgehen.
Ein Allheilmittel für die als verstaubt angesehene Kirchenmusik (was
sie bei uns nicht ist, aber die Leute, die so reden, haben uns noch nicht
gehört) ist Gospel nicht, daher sollte man nicht seine ganze Arbeit nur
dahin ausrichten, sondern Gospel im gesunden Mix mit Augenmaß in
die Arbeit einfließen lassen.
x
Unser Gospelgesang ist eine „Light-Version“ des Gospelgesangs der
farbigen Amerikaner.
x
Die Entwicklung der Pop-Musik ging natürlich nicht spurlos an unserer
Familie vorüber, und eine gewisse Begeisterung für manche BeatlesSongs hatte sich auch bei mir eingestellt. Allerdings bedaure ich nunmehr, dass ich nie daran interessiert war, auf dem Gebiet der PopMusik auch irgendetwas am Klavier zu probieren. Hinzu kommt, dass
im Studium nicht ansatzweise der Bereich des NGL gestreift wurde –
ein inakzeptables Manko für eine Ausbildung zum Kirchenmusiker!
Gospel singen kann man nur, wenn man meint, was man singt. Dieser
Grundvoraussetzung folgt Außenwirkung. Der Gospel gehört in den
Gottesdienst oder in ein Konzert, das eigentlich ein „Gottes-Dienst“ ist.
Dann erreicht er die Menschen und wirkt in der Tiefe.
x
Kritisch betrachte ich allerdings von jeher den Versuch – hier spreche
ich gezielt von deutschen Laien-Gospelchören –, die Mentalität und vor
allem Klanglichkeit afro-amerikanischer Gospelmusik in unsere Breiten
zu „transponieren“. Hier habe ich bisher stets die engen Grenzen dessen erlebt, was ich für mich als „Gospel in evangelischen Kirchen“ defi-
74
Gospel in der Sicht rheinischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker
niere: sowohl die Begrenztheit der musikalischen Strukturen als auch
die für viele Gospelchöre unüberwindbare Hürde, diese Musik wirklich
authentisch darzustellen. Im Wissen um diese Begrenzungen übt Gospelmusik für mich als Kirchenmusiker einen eher geringen Reiz aus.
x
Eine grundsätzliche Diskussion über Gospel und Pop in der Kirche erübrigt sich m. E., da diese Entwicklung ja schon längst Einzug in die Kirchen gehalten hat, und allerorten von den Gemeinden gewünscht wird.
(Ergebnis einer Gemeindeumfrage in unserer Gemeinde in Bezug auf
die Kirchenmusik: mehr Gospelmusik).
x
Pop und Gospel ist weit mehr als „Musik für Jugendliche“. Die Rolling
Stones-Generation erreicht mittlerweile die Siebzig. Popmusik durchzieht alle Altersstufen der Gesellschaft, das zeigt sich auch deutlich in
den Chören. Aber auch Jugendliche lassen sich damit begeistern. Singen ist absolut nicht „out“, wenn es richtig gut gemacht wird.
x
Gospel geht nicht, wenn man nicht glaubt. Ich hege die Hoffnung, das
Gospel genau so gut verkündigen kann wie eine Matthäuspassion von
Bach.
x
Mindestens 90% aller Deutschen bräuchten eine Einzelstimmbildung,
um in der Lage zu sein, einen gehörten Ton mit der eigenen Stimme
wiederzugeben. Einher mit dieser Entwicklung geht das Desinteresse
an klassischer Musik, die doch von den meisten als unverständlich und
langweilig abgetan wird und nur noch von einer kleinen „elitären“ Gesellschaftsschicht gepflegt wird. So wird es wohl in naher Zukunft wegen des großen Nachwuchsmangels zu einem „Aussterben“ vieler Chöre, nicht nur in der Kirche kommen. Insofern müssen wir uns freuen,
wenn neue Gospelchöre ins Leben gerufen werden und Menschen
Freude am Singen finden.
Das Verhältnis zwischen Gospel/Pop und traditioneller Musik ist bei
mir sehr entspannt, weil ich es nicht gegeneinander setze.
x
x
Sehr wohl beneide ich KollegInnen, die piano-technisch auf diesem
Gebiet versiert sind. Die Anerkennung in der Gemeinde ist Ihnen zu
Recht gewiss.
x
In unserer Gemeinde gibt es keinen Gospelchor. Ich werde keinen leiten, da ich ihn nicht auf dem Niveau anbieten könnte, das ich als Profi
von mir verlange. Das heißt nicht, das Gospel bei uns nicht vorkommt.
Es fließt in die Arbeit im Kirchenchor mit ein (zu steif im Rhythmus,
75
Gospel in der Sicht rheinischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker
Englisch auf Volksschulniveau), wo es allen auch Spaß macht, wenn
man erstmal die Abneigung gegen die fremde Sprache überwunden
hat.
x
Ich denke in meinem Wirkungskreis ist die Tatsache, dass sich Kirchenmusik auf drei Chöre verteilt ein wesentlicher Faktor für die „Reibungslosigkeit“, mit der „Gospel“ bei uns gesungen werden kann.
x
Schon in den 60er Jahren kamen erste Gospels/Spirituals nach
Deutschland. Sie wurden viele Jahre von kirchlicher Seite nicht wahrgenommen bzw. abgelehnt. Die „verschlafene“ Kirche ist nun ca. 30
Jahre später auf die Gospels als „etwas ganz Neues“ aufmerksam geworden.
x
Die ca. 30 Mitglieder sind zwischen 12 und 68 Jahre alt. Die große Altersspanne ist völlig unproblematisch. „Gospel“ ist also generationenübergreifend.
x
Natürlich ist nicht zu übersehen, dass diese Musik zahlreiche Menschen
– auch in meiner Gemeinde und auch in meinem Chor – begeistert,
deshalb mache ich sie auch ab und zu (z.B. bei Konfirmationen), nehme
auch eine Band dazu und spiele selbst Keyboard, tue das alles aber
nicht aus persönlicher Leidenschaft.
x
Es ist eine tolle Erfahrung, als „altgediente klassische“ Kirchenmusikerin über neue musikalische Wege auch ganz neue menschliche Erfahrungen – sowohl in der eigenen Gruppe als auch im internationalen
Kontakt – machen zu dürfen.
Wäre es nicht sinnvoller, zum einen ernsthaft und mutig mit der alten
gottesdienstlichen Musik zu arbeiten und zum anderen die Produktion
von niveauvollen Neuen Geistlichen Liedern wieder zu verstärken, die
deswegen nicht unbedingt avantgardistisch und den Gottesdienstbesuchern fremd sein müssen, anstatt sich in das Allheilmittel Gospel zu
flüchten?
x
x
Der weitaus größte Teil in der Gemeinde ist von dem „frischen Wind“
dieses Chores sehr angetan, aber beim Weihnachtsgottesdienst kamen
auch vereinzelt Gegenstimmen: „Wir sind doch hier nicht in Amerika,
Gospel ist gut, aber nicht beim traditionellen Weihnachtsfest …“
x
Welche Musik: Gospel, Spiritual, neues geistliches Lied, Taizé, manches
aus dem Pop-Bereich – aber alles unter der Leitung einer Barock-
76
Gospel in der Sicht rheinischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker
Klassik-Romantik-Ausgebildeten, manchmal probend wie „ein Blinder
von der Farbe redend“. Da war ich froh über die Möglichkeit, berufsbegleitend eine Ausbildung für Popularmusik in der Kirche in Trossingen
machen zu können.
x
Für mich bleibt „Gospel“ trivial und nur eine Übergangserscheinung.
x
Ein Altersschwerpunkt sind Damen mittleren Alters, denen Strukturen
wie Chorkleidung, Präsentation auf einer Bühne, choreographische
Bewegung/Tanz und Diskussion liegen.
x
Diese Musik läuft bei uns manchmal Gefahr, in Schlagerhaftigkeit abzudriften.
x
Ich stelle immer wieder fest, dass nur wenige Leute die rhythmische
Kompetenz besitzen, die für diese oftmals sehr synkopierte Musik erforderlich ist. Mich wundert das in den Proben immer wieder, wo es
doch Tatsache ist, dass die meisten Menschen diese moderneren
Rhythmen viel mehr mit der Muttermilch eingesogen haben als wir Kirchenmusiker.
x
Die englische Sprache bietet den Gospelsängern einen gewissen
„Schutz“ vor allzu verständlichen, nahe gehenden Texten im Vergleich
zu deutschsprachigen Liedern aus „Klassik“ und Pop; manchmal gibt es
das Gefühl von Überraschung und Bestürzung bei gesungenen oder
vorgetragenen Übersetzungen.
Ob das Singen im Gospelchor bei den Choristen die Frömmigkeit weckt
oder stärkt, kann ich nicht beurteilen. Fest steht allerdings, dass für viele Sänger dieser Chor die geeignete Plattform ist, um am gottesdienstlichen Leben der Gemeinde teilzuhaben. Auch sind zum Teil sehr kompetente Sänger hinzu gestoßen, die ich dann auch für meinen ProjektKammerchor gewinnen konnte und die erst durch das Singen im Gospelchor ihre Begeisterung für andere, anspruchsvolle Kirchenmusik
entdeckt haben.
x
x
Der Einstieg in Gospelchöre ist in der Regel nicht schwierig und kann
für musikalisch bisher Untätige zu einem ausfüllenden Hobby werden.
Wer aber schon vorher Musik gemacht hat, für den ist Gospelmusik
meist eine vorübergehende Abwechslung, kaum eine endgültige Bestimmung.
77
Gospel in der Sicht rheinischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker
x
Die Texte wirken anachronistisch, sie drücken nicht unsere Gedanken
aus, sondern die der unterdrückten Sklaven vor über 100 Jahren. Wir
sollten in Europa unsere eigene „Gospelmusik“, meinetwegen als Pop
oder Rap, finden und entwickeln.
x
Gospelsänger sind in der Regel musikalisch weniger vorgebildet als
Kirchenchor- bzw. Kantoreisänger, haben aber ein größeres Selbstbewusstsein, da aufgrund der Verbindung zur Pop-Musik das Interesse
und die Neugier durch Medien und bisher nicht erschlossene Zuhörerkreise höher als in der Klassik ist.
x
Man erreicht die Zuhörer auf eine körperliche Art und Weise ganz direkt, und man kann sie durch „call & response“ unmittelbar teilnehmen
lassen.
x
Die große Zeit der deutschen Gospelchorbewegung und -gründungen
sehen wir in den 90er Jahren und damit im Abschwung begriffen. Gospelveranstaltungen in Gemeinde und auf Kirchentagen sind nicht mehr
automatisch voll; viele Chöre haben weniger Mitglieder als in den
90ern und suchen, ausgehend von den ca. 30 traditionellen Gospelliedern, die man immer wieder hört, ein eigenes Profil durch die Aufnahme von Modern Gospel, Afrikanischem, Oratorischem, Neukompositionen, NGL, Pop.
x
Besonders gerne werden afrikanische Befreiungslieder gesungen. Auch
die entsprechende rhythmische Begleitung mit Congas, Shake-Ei,
Schnipsen usw. versprüht viel von ganzheitlicher Musizierfreude (ganz
bewusst entgegen der Unterdrückungsthematik in den Spirituals). Ansonsten empfinden wir die Texte und die Musik auch oftmals als ziemlich flach. Andererseits lassen sich unkomplizierte Lieder auch sehr direkt und elementar „aus dem Bauch heraus“ singen, so dass der Funke
der frohen Botschaft in Gottesdiensten leichter überspringt als bei einer mühsam einstudierten Motette. Allerdings empfinde ich es als
Chorleiterin oftmals als Schwerstarbeit, dieses ganzheitliche Musizieren aus den Leuten herauszukitzeln (man sieht eben auch oft Gospelchöre, die stocksteif dastehen und einen sehr „trauerklößigen“ Eindruck machen).
x
Natürlich erreicht gerade Pop und Gospel sehr schnell die emotionale
Ebene der Menschen. Ganz interessant ist, dass ich anfangs sehr darum
kämpfen musste, auch deutsche Songs einzuführen, „die sind ja so
78
Gospel in der Sicht rheinischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker
fromm“. Mittlerweile ist es aber so, dass das ganz selbstverständlich
hingenommen wird.
x
Wir sind kein Gospelchor, denn wir singen (leider) meistens nach Noten
und immer auskomponiert – aber wir singen sehr gerne Gospels. Wir
sind kein Pop-Chor, dafür fehlt uns die Bühnenpräsenz und dafür sind
wir „zu geistlich“, aber der eine oder andere Beatles- oder Abba-Song
u.ä. läuft uns gut von den Lippen. Wir sind kein Jazzchor, denn wir lassen uns stilistisch nicht auf eine Richtung festlegen. Von allem etwas –
auf der Basis von Kirche und Gottesdienst und eben auch klassischer
Kirchenmusik im Sinn von Verkündigung, Lob und Gebet.
x
Die SängerInnen machen mit Begeisterung mit (meist Hausfrauen und
berufstätige Frauen zwischen 35 und 45 Jahren, dazu ein bis zwei Männer).
x
Gospel ist „in“ und oft gewünscht, auch vom Presbyterium. Die Zuhörer
– auch der älteren Generation – sind begeistert wegen der frischen,
schwungvollen Musik.
79
Biografien und Diskografien x Literatur x Webadressen
Biografien und Diskografien · Literatur · Webadressen
Biografien und Diskografien
Joakim Arenius
Joakim Arenius kommt aus Schweden und ist Musikproduzent, Arrangeur,
Komponist und Chor- und Workshopleiter. Von 1996 bis 2004 war er der
Leiter des Gospelchores „Joybells“. Heute arbeitet er mit seinem neuen
Chor „Praise Unit“.
www.joakimarenius.com
CDs (Auswahl): Joybells: What a Wonderful World, Having Church, Gospelchoir Today; Praise Unit: Whole
Martin Bartelworth
Martin Bartelworth ist Geschäftsführer des Internationalen Gospelkirchentages, der alle zwei Jahre bundesweit in Kooperation mit der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD) und Landeskirchen veranstaltet wird. Seit 1995
ist er Leiter der „Creativen Kirche“ im Evangelischen Kirchenkreis Hattingen-Witten.
www.creative-kirche.de
www.gospel.de
Helmut Jost
Seit Mitte der 90er Jahre widmet sich der Musiker, Produzent und Arrangeur der Gospelmusik. Sein musikalisches und persönliches Engagement in
der internationalen Gospel-Musikszene zeigt sich neben der Studioarbeit
als Musiker und Produzent in besonderer Weise in den umfangreichen
Konzertaktivitäten und seiner intensiven Workshop-Arbeit.
www.helmutjost.de
CDs (Auswahl): Gospelfire, Send a Revival, Gospel Celebration, Learning
Gospel I + II, Coming Home - The best Old Gospel Hymns
Sarah Kaiser
Die gebürtige Berlinerin Sarah Kaiser studierte Jazzgesang in England, den
USA und Deutschland. Gospel, Soul und Jazz sind wichtige Elemente ihrer
Musik. Seit Mai 2001 leitet sie den Berliner Gospelchor „Soul 2 Soul“. Der
Schwerpunkt der Arbeit sind ihre Solo-Konzerte.
www.sarahkaiser.de
CDs: Geistesgegenwart, Gast auf Erden, Miracles
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Biografien und Diskografien x Literatur x Webadressen
Matthias Nagel
Matthias Nagel war von 1984 bis 2003 Kantor der Evangelischen Kirchengemeinde Düsseldorf-Garath. Seit Juli 2003 ist er Kirchenmusikdirektor in
der Arbeitsstelle für Gottesdienst und Kirchenmusik der Evangelischen
Kirche von Westfalen in Villigst.
Danny Plett
Der Kanadier Danny Plett lebt seit 1992 in Deutschland, wo er mit der internationalen christlichen Organisation „Janz Team“ zusammenarbeitet. Er
bringt sich als Solist, Songschreiber und Produzent vielfältig ein.
www.danny-plett.de
CDs (Auswahl): Modern Gospel, Like a river, Best of Danny Plett, Come to
the cross, Wunder über Wunder
Bob Singleton
Bob Singleton wurde in New York geboren. Seit der Gründung der „Golden
Gospel Singers“ gastiert Singleton in vielen Ländern der Welt, um die „Gute
Nachricht“ zu verbreiten. Er hat unzählige Lieder geschrieben, eine Vielzahl
von Künstlern produziert und wurde zu einem Trendsetter in der Welt der
Gospelmusik.
www.goldengospelsingers.com
CD (Auswahl): Forever live, a cappella praise, with love
David Thomas
Seine Wurzeln hat David Thomas in der Karibik. Aufgewachsen ist er als
Sohn eines Pastors in England, heute lebt er in Deutschland. Ab 1995 war
David Thomas als „Papa, die Dampf-Lok“, beim Starlight-Express in Bochum
zu sehen. Heute ist Thomas europaweit ein gefragter GospelWorkshopleiter, Songwriter und Solist.
CD: Victory
Njeri Weth
Njeri Weth hat deutsche und kenianische Wurzeln und ist in Münster,
Westfalen, aufgewachsen. Sie ist ausgebildete Opernsängerin und singt
heute Contemporary Gospel und Eigenkompositionen, die sie „Soulpictures“ nennt. Sie interpretiert ihre Kompositionen mit Einflüssen aus Soul,
Gospel und Spiritual.
www.njeri.org
Ruthild Wilson
Die Sängerin, Texterin, Komponistin und Vocalcoach Ruthild Wilson erhielt
1981 eine Gesangsausbildung an der Folkwang-Musikschule Essen (Musical,
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Biografien und Diskografien x Literatur x Webadressen
Pop, Rock). Seit einigen Jahren gibt sie Solo-Gesangs-Workshops mit den
Schwerpunkten Stimmbildung, Improvisation, Interpretation und ChorWorkshops unter anderem mit Helmut Jost und David Thomas.
www.ruthildwilson.de
Alle hier aufgeführten CDs oder Songbooks gibt es u.a. bei:
www.gerth.de, www.gospel.de, www.gospel-in-duesseldorf.de
Literatur
Joachim-Ernst Berendt: Das Jazzbuch. Von New Orleans bis in die achtziger
Jahre. Überarbeitet und fortgeführt von Günther Huesmann, Frankfurt
1997.
Ingo Bredenbach: „Kirchenmusik – ein Lebensmittel“. Vortrag auf der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland am 10. Januar 2006,
Thema: Gottesdienst 24/2006, S. 4–14.
Teddy Doering: Gospel. Musik der Guten Nachricht und Musik der Hoffnung, Neukirchen-Vluyn 1999.
Teddy Doering: „We´ll understand it better by and by“, Musik und Kirche 73,
1/2003, S. 4-10.
Tilmann Haberer: Die Thomasmesse. Ein Gottesdienst für Ungläubige,
Zweifler und andere gute Christen, München 2002.
Gerhard Isermann: Tagesordnungspunkt Öffentlichkeit, Hannover 1995.
Janheinz Jahn (Hg.): Negro Spirituals, Frankfurt 1962.
Theo Lehmann: Negro Spirituals. Geschichte und Theologie, Stuttgart 1996
(Die Erstausgabe dieser Dissertation erschien 1965 bei der Evangelischen
Verlagsanstalt Berlin).
Theo Lehmann: Nobody knows … Negro Spirituals, Leipzig, 2. Auflage 1963.
Theo Lehmann: Der Sound der Guten Nachricht. Mahalia Jackson – Gospelmusik ist mein Leben. Neukirchen-Vluyn, 4. Auflage 1997.
Walter Opp: Handbuch des kirchenmusikalischen Dienstes im Nebenamt,
Berlin 1977.
82
Biografien und Diskografien x Literatur x Webadressen
Rolf Tischer: „Gospels im Gottesdienst“, Musik und Kirche 73 (2003), S. 1824.
Rolf Tischer: „Good News in Bad Times. Die neue Gospelchor-Bewegung der
Evangelischen Kirche“, Forum Kirchenmusik, 5/2000, S. 4 – 13.
Andrew Wilson-Dickson: Geistliche Musik. Ihre großen Traditionen vom
Psalmengesang zum Gospel, Gießen 1994.
***
Erweitertes Musikspektrum in der Kirche. Ein Diskussionspapier, erarbeitet
vom Ausschuss für Gottesdienst und Kirchenmusik der Evangelischen Kirche im Rheinland, 2003.
Positionspapier zu gegenwärtigem Stand und zukünftigen Aufgaben der
Kirchenmusik in der Evangelischen Kirche im Rheinland, 2006.
„Missionarische Volkskirche“. Hearing am 24.08.2006. Arbeitskreis Missionarische Kirche, Evangelische Kirche im Rheinland 2006.
Websites
www.gospel.de
www.berlin-gospel-web.de
www.gospel-in-duesseldorf.de
www.musikundkirche.de
www.nrw-gospel.de
www.forum-kirchenmusik.de
www.miz.ch/documents/musikberuf/25/de.pdf
83
Herausgegeben von der
Arbeitsstelle für Gottesdienst und
Kindergottesdienst der EKiR
– Bereich Gottesdienst –
im Theologischen Zentrum Wuppertal
Missionsstraße 9a
42285 Wuppertal
Fon: 0202 - 2820 - 320
Fax: 0202 - 2820 - 330
E-Mail [email protected]
www.ekir.de/gottesdienst
In Kooperation mit:
www.evangelisch-in-duesseldorf.de
Auflage: 6.500

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