Bernhard Rohde
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Bernhard Rohde
Prof. Dr. Bernhard Rohde HTWK Leipzig Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften Von der Mühsal des Alterns im aktivierenden Sozialstaat - Acht Thesen und ein Zugeständnis 1. Zu den bedeutsamsten Entwicklungen in den westlichen Industriestaaten zählt der stetige Rückgang der Geburten verbunden mit einem Anstieg des durchschnittlichen Lebensalters. Sinkende Kinderzahlen und wachsende Lebenserwartung führen so zu einer Veralterung der Bevölkerung, manche sprechen von „Überalterung“ oder schlimmer noch von „Vergreisung“. Anders ausgedrückt: die meisten von uns haben gute Chancen, ein hohes Alter zu erreichen und von diesen schon jetzt vielen Alten wird es künftig immer mehr geben! Oder, um es mit einem Song der Politrock-Band Floh de Cologne aus dem Jahr 1971 zu sagen: „Es hat erst angefangen, wir werden immer mehr!“ (ein Song aus der Rockoper „Profitgeier“, der seine Wiederauferstehung übrigens aktuell durch die Occupy-Bewegung erfahren hat). 2. Wann aber beginnt das Alter – wann ist man „alt“? Im Prinzip ja nach der Geburt, aber aus pragmatischen Gründen will ich die gesellschaftlich am leichtesten zu vermittelnde Alterseintrittsgrenze vorziehen – unabhängig von den individuellen Gegebenheiten: das (reguläre!) Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und den damit verbundenen Eintritt ins sogenannte Ruheständler-, Pensionärs- oder Rentnerdasein. 3. In der sozialgerontologischen Forschung der jüngeren Vergangenheit sind verschiedene Konzepte des Alters und des Alterns entwickelt worden, die unterschiedlich akzentuierte Altersbilder konstruiert haben. Ich nenne hier nur stichwortartig folgende Paradigmen: „erfolgreiches Altern“, „produktives Altern“, „zu gestaltendes Alter(n)“, „autonomes Alter(n)“ und ganz besonders das „aktive Alter“. Gerade die Aktivitätstheorie hat erhebliche Wirkung auf die normativen Grundannahmen der Gerontologie und der Altenhilfepolitik entfaltet. Auch in der Sozialen Altenarbeit zielt das Leitbild des aktiven Alter(n)s auf Teilhabe am Leben in der 2 Gemeinschaft. Folgerichtig steht deshalb auch das diesjährige EU-Programm unter dem Motto „Aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen“. Ich übersetze dieses Programm in Kürze ganz einseitig folgendermaßen: a) Du musst was im Alter tun, du musst dich betätigen und b) kümmere dich außerdem gefälligst dabei noch um die Blagen deiner Blagen! 4. So also sieht er aus, der aktivierende Sozialstaat in seinem Bemühen um ältere Menschen. Es entbehrt dabei nicht einer gewissen Komik, wie die Soziale Arbeit den Aktivitätsgedanken handhabt – eine Komik, die aus einem meines Erachtens widersprüchlichen Umgang mit dem Konzept des Aktivierens entspringt. Zur Vergegenwärtigung: Die neoliberale Kritik am Sozialstaat macht diesen zum Schuldigen an steigenden und vermeintlich nicht mehr bezahlbaren Sozialausgaben. Mit dieser Kritik geht folgerichtig auch eine Kritik an der im Sozialstaat praktizierten und finanzierten Sozialen Arbeit einher: diese sei ineffektiv, zu verständnisvoll-entschuldigend ihren Klienten gegenüber, sie mache die Menschen zudem abhängig von materiellen und psycho-sozialen Transferleistungen und schaffe mehr Probleme, als sie eigentlich löse. Diese Kritik hat die Soziale Arbeit ihrerseits heftig kritisiert, zuletzt verdichtet im „Schwarzbuch Soziale Arbeit“ der Kollegin Mechthild Seithe aus Jena. In der Profession Soziale Arbeit selbst aber sind seit den 80er Jahren durchaus eigene Strategien und Methoden wie z. B. „Empowerment“ und „Ressourcenorientierung“ entwickelt worden; also Handlungsansätze, die – entkleidet man sie ihres professionstypischen Beiwerks – im Kern genauso auf Aktivierung abzielen. Der gravierende Unterschied – so behaupten die einschlägig viel besser als ich geschulten Methodenspezialisten – sei es aber, dass im Vordergrund immer der Grundgedanke von Selbstbestimmung und Autonomie der Klienten stehe und nicht eine durch ein gesetzliches Regelwerk erzeugte Fremdmotivation. Polemisch verdichtet hieße das also aus der Wahrnehmungsperspektive Sozialer Arbeit: a) Staatliche Aktivierung per „Fordern und Fördern“ ist von Übel! b) Aktivierung mittels professionseigener Methoden der Sozialen Arbeit hingegen ist gut! 5. Die gängigen Altersbilder haben mehr oder weniger die Gemeinsamkeit, dass sie sich auf die sogenannten „jungen“ (flexiblen, mobilen, konsumfreudigen) Alten beziehen und geflissentlich diejenigen ausblenden, die diesem Bild eines dynamischen Alters nicht oder nicht mehr entsprechen (können) oder es auch gar nicht 3 wollen. Kritische Lebensereignisse werden damit in das Alter jenseits der 80 verlagert und aus dem Fokus der Aufmerksamkeit gedrängt. Mit der Konzentration auf Aktivität, Produktivität, Teilhabe und Erfolg wird ein leistungsorientiertes Altersverständnis zur Norm erhoben, das eher dem mittleren Erwerbsalter entspricht und (typische) Alterserscheinungen an den Rand schiebt. Diese Konzentration auf Leistung(sfähigkeit) des Alters vernachlässigt mithin die unvermeidlichen Alterssymptome wie Gebrechlichkeit, Krankheit, Einsamkeit und Pflegebedürftigkeit und nimmt nur auf ein „gesundes“ Alter als Normalität Bezug. 6. Insofern scheint mir auch das Leitbild des „autonomen Alterns“ trügerisch zu sein, bei dem vordergründig zwar die Ziele von Selbstbestimmung und eigenverantworteter Lebensgestaltung betagter Menschen die leicht zustimmungsfähige Legitimationsgrundlage liefern. Die entsprechend konkretisierte Altenpolitik und Altenarbeit verhält sich jedoch nach dem Handlungsmuster „Von hinten durch die Brust ins Auge“ und bügelt damit eine geschickt camouflierte Variante des aktivierenden Sozialstaates der Zielgruppe sozusagen auf. 7. Systemkritisch gewendet könnte man diese Erscheinungen in den angeblich unvermeidlichen Zusammenhang der Gesetzmäßigkeiten kapitalistischer Verwertungslogik stellen. Die Rolle Sozialer Arbeit dabei wäre dann die des beflissenen Helfers bei der Vereinnahmung einer weiteren Lebensphase. Ein kurzer Exkurs: Nach Bekanntwerden der Insolvenz der Drogeriemarktkette Schlecker hat Wirtschaftsminister Philipp Rösler den bemerkenswerten Begriff der „Anschlussverwendung“ für die arbeitslos werdenden Schlecker-Mitarbeiterinnen geprägt – für mich übrigens ein heißer Kandidat für das Unwort des Jahres. Auf mein Thema bezogen bedeutet das nun: an der gelingenden „Anschlussverwendung“ älterer Menschen wird schon seit Jahren und gegenwärtig heftig gearbeitet. Sehen wir uns noch einmal das „Leipziger Programm“ zum Europäischen Jahr an: Da geht es um „Aktiv Rad fahren im Alter“ (kann man auch passiv Rad fahren?), um „Engagiert im Alter“ und um „Potentiale älterer Arbeitnehmer/innen“. 8. Ich erlaube mir aber die Frage: Warum dies alles eigentlich? Kann man die Leute denn nicht mal im sogenannten Ruhestand wirklich „in Ruhe lassen“? Wenn es schon kein Recht auf Faulheit im Erwerbsalter geben darf, so respektiere man doch bitteschön wenigstens das Recht auf Ruhe im Alter! Hieße Autonomie, hieße Selbstbestimmung ernst genommen denn nicht wirklich, die Reife und Mündigkeit vorauszusetzen, dass Ältere ihr Leben selbstverantwortet und nicht fremdgesteu- 4 ert leben können? Schließlich hatten sie doch jahrzehntelang Zeit, genau das zu üben bzw. Einschränkungen ihrer Autonomie hinzunehmen (wegen Erwerbstätigkeit, Kindererziehung usw.). Und unterzogen sich die Älteren nicht all dieser Mühsal auch nur aufgrund des perspektivischen Versprechens, es werde im Ruhestand damit sein Ende haben, als dass sie nun nicht sehr genau wüssten, was zu tun und wie der Herbst ihres Lebens zu gestalten sei? Ja richtig, Altenhilfe und Altenarbeit bauen auf Freiwilligkeit, ein Angebot eben – stimmt schon, ich weiß es doch auch! Und dennoch: Halten wir einen Moment inne und vergegenwärtigen wir uns die (gesellschaftliche) Erwartungshaltung, die hier vermittels freiwilliger Angebote erzeugt wird. Und nun mein abschließendes mea culpa: Diese Anmerkungen als Einstieg in die Vorträge des Panels 2 sind mir nicht ganz leichtgefallen, spätestens nachdem ich gestern noch einmal die Einführung in das Panel gelesen habe – da wurde mir doch ein wenig blümerant zumute. Zudem bin ich ja einer, der die Themen von „Alter“, „Altern“ und „Sozialer Altenarbeit“ trotz allem als die Zukunftsthemen unserer Profession begreift und diese deshalb auch gerne im Studium der Sozialen Arbeit verankern will. Doch ist es im Studium der Sozialen Arbeit letztlich nicht anders als in der sogenannten Praxis: Immer wieder gilt es eine der Grundfragen unseres beruflichen Handelns zu stellen, die da lautet: „Was soll das?“ (übrigens auch der Titel eines Songs von Herbert Grönemeyer) und „Wem dient es?“ Ich schließe mit einem möglicherweise hinlänglich bekannten, von mir nur modifizierten Witz: Fragt ein Mann seinen Freund, der demnächst pensioniert wird: „Na, und was machst Du im Ruhestand?“ Sagt der Freund: „Ich werde mich einfach ein halbes Jahr lang nur in den Schaukelstuhl setzen.“ Fragt der Mann weiter: „Und dann?“ „Dann werde ich eventuell mit dem Schaukeln anfangen.“ Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Geduld mit mir! Dankeschön!