Baustelle Dialektaussprache

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Baustelle Dialektaussprache
Baustelle Dialektaussprache
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Ausschnitt aus einer Email eines Lehramtsreferendars:
„Als gebürtiger Moselfranke und Lehramtsreferendar im niederdeutschen Sprachraum bin ich derzeit damit geplagt, dass meine Ausbilderin von mir verlangt, ich
müsse das ‚ch‘ wie in ‚ich‘ lernen. Allerdings wird der Laut schlichtweg in meiner
Heimat (und nicht nur da) nicht verwendet. Ich musste also zum Logopäden …“
Fragen
1. Wie schätzen Sie die Situation ein? Welche Intentionen liegen dem jeweiligen Verhalten von
Ausbilderin und Referendar zugrunde?
2. Welche Einstellungen und Ansichten zum Thema Sprache und Sprachvariation sind hier ersichtlich?
3. Teilen Sie die Auffassung der Ausbilderin? Welche Möglichkeiten sehen Sie zum produktiven
Umgang mit regional geprägter Aussprache im schulischen Alltag?
4. Wo beginnt oder endet das Standarddeutsche? Ist ein einzelner, als regional identifizierbarer
Laut schon eine bedeutende Abweichung vom Standard? Wie viel Variation verträgt der Standard?
Expertenblick
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Baustelle Erlebnisse mit Kiezdeutsch
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Ausschnitt aus einem Brief eines Lehrers an einen Freund:
Fragen
1. Wie bewerten Sie diesen Brief? Welche Intentionen hat der Verfasser?
2. Welche Einstellungen und Ansichten zum Thema Jugendsprache und Sprachvariation sind
hier ersichtlich?
3. Teilen Sie die Auffassung des Lehrers? Was würden Sie ihm antworten?
Expertenblick
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Baustelle In der Notaufnahme
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Eine 48-jährige Frau übt eine leitende Position in einer deutschen Bank aus, ihre Eltern stammen aus Taiong (Taiwan).
Sie berichtet über ein Erlebnis in der Notaufnahme:
„Ich kam mit starken Husten und Schmerzen in der Brust in die Notaufnahme. Eine junge Ärztin kam zur Erstbefundung. Sie wollte mich wohl danach fragen, seit wann ich
die Beschwerden habe. Was sie sagte, war folgendes – ich zitiere: ‚Seit wann‘ – jetzt
hustete sie zwei Mal – ‚Sie?‘ .“
Fragen
1. Welche Annahmen trifft die Ärztin über die Patientin, und wie kommt sie zu diesen Annahmen?
2. Wie wirkt sich die Situation auf das Selbstbild der Frau aus?
3. Wie hätte die Ärztin stattdessen auf die Patientin zugehen können?
Expertenblick
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Baustelle Mehrsprachiger Alltag I
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Eine in Berlin lebende Familie mit türkischem Hintergrund
im Gespräch. Der Jugendliche und Cousine sind in Berlin
geboren und aufgewachsen, seine Mutter und Tante sind in
Bursa (Türkei) geboren und als Kinder nach Deutschland gekommen.
Tante:
„Türkisch sollte in der Grundschule unterrichtet werden.“
Mutter:
„Du bist doch als Elternteil auch gefordert, das Türkische zu fördern.
Du kannst das doch nicht nur vom Staat erwarten.“
Tante:
„Nee, das nicht. Aber ich bin auch nicht vom Staat gefördert worden.
Wie soll ich denn mein Kind fördern, bitteschön? Ich versuche, meinen Enkelkindern so weit wie möglich Türkisch beizubringen, aber ich
wechsele immer wieder in die deutsche Sprache.“
Fragen
1. Was bedeutet „Muttersprache“ für den Jugendlichen und seine Mutter?
2. Welche Auswirkungen auf die Identität und Identifikation der zweiten und folgenden Generation sind möglich?
3. Welche Vorstellung von Mehrsprachigkeit hat die Mutter?
4. Was kann man der Vorstellung der sogenannten „doppelten Halbsprachigkeit“ entgegnen?
Expertenblick
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Baustelle Mehrsprachiger Alltag II
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Eine in Berlin lebende Familie mit türkischem Hintergrund
im Gespräch. Der Jugendliche und Cousine sind in Berlin
geboren und aufgewachsen, seine Mutter und Tante sind in
Bursa (Türkei) geboren und als Kinder nach Deutschland gekommen.
Mutter:
„Jetzt kommen wir mal zum Problem. Dein Serbisch ist wirklich mangelhaft –wie fühlst du dich denn dabei?“
Sohn:
„Ich finde das nicht schlimm, weil ich besser Deutsch kann als Serbisch.“
Mutter:
„Ja eben. Aber du bist ein Serbe. Fehlt dir die serbische Sprache nicht?“
Sohn:
„Ja, naja. Ich würde es schon schön finden, wenn ich sie besser könnte, aber ich finde es reicht, mich zu verständigen.“ (…)
Mutter:
„Er kann sich in Serbien nicht immer und überall verständigen. (...) Die
dritte bzw. vierte Generation hat ein Problem. Sie kann kaum Serbisch
reden. Das ist auch schade, wenn man seine eigene Muttersprache
nicht sprechen kann.“
Fragen
1. Welche Ansichten über die Förderung von Familiensprachen kommen hier zum Ausdruck?
2. Wie stehen Sie zu der Forderung, Türkisch als Unterrichtsfach in der Schule anzubieten?
3. Wenn in den Schulen Türkisch unterrichtet wird, wie sollte dieser Unterricht aussehen? Welche Varianten des Türkischen sollten vermittelt werden?
4. Wie könnte man mit dem Problem umgehen, dass die Anzahl möglicher zusätzlicher Sprachen
an den Schulen sehr hoch wird? (Zum Beispiel Türkisch, Arabisch, Kurdisch, Farsi, Bosnisch/
Serbisch/Kroatisch, Albanisch, Rumänisch, Bulgarisch, Italienisch...)
Expertenblick
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Baustelle Sprachbiographien
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„Konnten uns unsere Familien nicht helfen, dann standen sie zumindest nicht im
Weg: Sie ließen andere helfen. Da waren deutsche Nachbarn, Lehrer, Bekannte, die
an uns glaubten. Die 70jährige Frau bei der Caritas, die ein Jahr lang zwei-, dreimal
die Woche mehrere Stunden lang den polnischen Kinder Deutsch beibrachte, ohne
Geld dafür zu verlangen. Die strenge Lehrerin, die sich damit durchsetzte, dass der
Junge aus Polen auf ein Gymnasium kam, obwohl sein Deutsch noch gebrochen
klang.“
Aus: Özlem Topçu, Alice Bota, Khuê Pham: Wir neuen Deutschen. Wer wir sind, was wir wollen.
Hamburg: Rowohlt 2012. S.127.
Özlem Topçu, Alice Bota und Khuê Pham sind Politikredakteurinnen bei der ZEIT und stammen
aus Familien türkischer, polnischer bzw. vietnamesischer Herkunft.
Fragen
1. Wie sah die Sprachenwelt der Autorinnen im Kindesalter aus? Wie haben Sie das Deutsche
erworben, wie die Sprachen ihrer Familien?
2. Welche Schlüsse kann man aus diesen Erfahrungen für den Erwerb der deutschen Sprache in
mehrsprachigen Familien ziehen? Lassen sich daraus Empfehlungen ableiten?
3. Wie kann die Schule solche Sprachbiographien konstruktiv begleiten?
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Baustelle Sprachentwicklung I
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Hans Zehetmair (CSU, ehem. Kultusminister von Bayern, Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung und des Rates für deutsche Rechtschreibung) über die Entwicklung der Sprache:
„Die deutsche Sprache wird immer weniger gepflegt.“
„Alles ist super, top, geil, aber nicht mehr authentisch.“
„Es hat nichts mit einem höheren Bildungsgrad zu tun, wenn man Wörter auf Englisch sagt, die man ebenso auch auf Deutsch formulieren könnte.“
Fragen
1. Welche Vorstellung von Sprachwandel hat Hans Zehetmair?
2. Was ist für ihn „das Deutsche“, was gehört nicht dazu?
3. Welche Haltung vertritt er gegenüber Jugendsprache?
4. Zehetmair sagt, der Gebrauch von Anglizismen habe nichts mit einem höheren Bildungsgrad
zu tun. Womit hat es nach Zehetmairs Ansicht stattdessen zu tun? Würden Sie dem zustimmen?
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Baustelle Sprachentwicklung II
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Hans Zehetmair (CSU, ehem. Kultusminister von Bayern, Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung und des Rates für deutsche
Rechtschreibung) über elektronische Kommunikation:
„Einer SMS mangelt es an Gefühl und Herzlichkeit.“
„Wenn ein Arzt keine Operationen mehr durchführt, verlernt er sein Handwerk und der
Patient leidet. Wenn man nur noch verkürzt kommuniziert, leidet die Sprache.“
„Ich will die moderne Technik nicht verurteilen, aber die Jugend darf sich von der
schwindelerregenden Entwicklung nicht vereinnahmen lassen.“
Fragen
1. Wie stellt sich Hans Zehetmair die elektronische Kommunikation vor? Woran misst er die Leistungsfähigkeit von SMS-Sprache?
2. Wie beurteilen Sie die Phänomene in Chat-Sprache und SMS, die Zehetmair als „Verkürzung“
darstellt?
3. Wie wirkt sich nach Zehetmairs Vorstellung die umfangreiche Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel auf die Sprachfähigkeit von Jugendlichen aus? Stimmen Sie dieser Einschätzung zu? Welchen Stellenwert haben die Sprachformen in Chats und SMS im Sprachrepertoire
von Jugendlichen?
Expertenblick
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Baustelle Stereotype
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„Was mich in Deutschland auf die Palme bringt, ist diese latente Ausländerfeindlichkeit, bei der die Leute nicht mal merken, dass sie jemanden diskriminieren. (. .
.) Ich habe in Baden-Württemberg Abitur gemacht und dort auch mein Jurastudium abgeschlossen. Nach dem Studium habe ich mich in verschiedenen Kanzleien
vorgestellt. In zwei Fällen haben die mich sogar gefragt, ob ich Briefe in deutscher
Sprache aufsetzen kann, weil das ja das tägliche Brot der Anwälte sei. (...) Ich habe
mich dann über diese Menschen so geärgert und das habe ich die dann auch spüren
lassen. Die waren überrascht, warum ich mich aufrege. So nach dem Motto: ‚Die
Ausländerin muss nicht unbedingt Deutsch können’.”
Aus: Özlem Topçu, Alice Bota, Khuê Pham: Wir neuen Deutschen. Wer wir sind, was wir wollen.
Hamburg: Rowohlt 2012. S.127.
Özlem Topçu, Alice Bota und Khuê Pham sind Politikredakteurinnen bei der ZEIT und stammen
aus Familien türkischer, polnischer bzw. vietnamesischer Herkunft.
Fragen
1. Wie werden in den beschrieben Situationen Stereotype beschrieben? Welche Annahmen treffen die Beteiligten über die Juristin?
2. Welche Auswirkungen haben die Annahmen auf die Selbstwahrnehmung der Juristin?
3. Welche Rolle spielt die Sprache in dem geschilderten Fall?
4. Wie hätten die Beteiligten ihr stattdessen gegenübertreten können?
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Baustelle Unterrichtserfolg
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Eine Gymnasiallehrerin berichtet einem Kollegen von einem Erlebnis aus ihrem Schulalltag in Berlin:
„ Ich sag‘ dir, ich weiß nicht mehr, was ich machen soll… Grad war ich in meiner 10,
mach ne ganze Stunde zu Präpositionen – welche gibt es, welchen Fall fordern die
usw. du weißt schon. Und was muss ich mir dann nach der Stunde anhören? Kaum
hat es geklingelt, ruft Sara laut: ‚Wolln wa Mensa gehn?’ und weißt du was? Sie
schaut mich dabei auch noch direkt an! Nicht zu glauben, oder? Da frag ich mich
doch, warum ich überhaupt noch unterrichte… Es bringt ja eh nichts!“
Fragen
1. Wie schätzen Sie die Situation ein? Welche Intentionen liegen dem jeweiligen Verhalten von
Lehrerin und der Schülerin zugrunde?
2. Welche Einstellungen und Ansichten zum Thema Sprache und Sprachvariation kommen jeweils zum Tragen?
3. Teilen Sie die Interpretation der Lehrerin? Welche alternativen Deutungen sind möglich? Was
würden Sie ihr entgegnen?
Expertenblick
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