Das Autograph – Fluch und Segen

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Das Autograph – Fluch und Segen
Das Autograph – Fluch und Segen
Probleme und Chancen für die
­musikwissenschaftliche Edition
Zum Gedenken an Klaus Döge ✝
Symposium der Fachgruppe Freie Forschungs­
institute in der Gesellschaft für Musikforschung
Reader zum Symposium
19.–21. April 2013 | Berlin
Programm
Freitag, 19. April 2013
15.00 Uhr Michael Struck, Kiel: Einführung
15.15 Uhr Reinhard Kapp, Wien: Der aufschreibende Komponist
16.30 Uhr Ulrich Krämer, Berlin: Partitur versus Particell.
Probleme der handschriftlichen Überlieferung bei Arnold Schönberg
17.15 Uhr Thomas Ertelt, Berlin: Das Particell von Alban Bergs »Lulu«, 3. Akt
19.00 Uhr Öffentlicher Hauptvortrag
Rudolf Stephan, Berlin: Töne und Noten
Anschließend Empfang
Samstag, 20. April 2012
9.30 Uhr Uwe Wolf, Stuttgart: Annäherungen an eines der ganz großen Rätsel:
Das Autograph zur h-Moll-Messe von J. S. Bach
10.15 Uhr Heide Volckmar-Waschk, Köln: Auf der Jagd nach der authentischen
Fassung. Zur Quellenlage von Joseph Haydns Sinfonie Hob. I: 73
»La Chasse«
11.30 Uhr
Michael Struck, Kiel / Kathrin Kirsch, Kiel: Werkgenetische Phasen im
Schaffen von Johannes Brahms und ihre editorische Bedeutung
a) Progression und Regression:
Vom Quellenwert der Autographe für die Edition Brahms’scher Werke
b) Korrekturphase – Erprobungsphase:
Zur Werkentstehung zwischen Redaktion und Interpretation
am Beispiel ausgewählter Korrektur- und Aufführungsabzüge von
Johannes Brahms’ Werken
14.30 Uhr Peter Hauge, Kopenhagen: Sources, Authenticity, Methodology,
and Complete Editions
15.15 Uhr Daniela Philippi, Frankfurt a. M.: Authentisch, autorisiert oder
übersehen – Zur Bewertung von Varianten zwischen Autograph und
Erstdruck in Antonín Dvořáks Streichquartetten op. 105 und op. 106
16.30 Uhr Stefan König, Karlsruhe: Überarbeitungsschichten in Max Regers
Phantasie und Fuge d-moll für Orgel op. 135 b und ihre Deutungen
17.15 Uhr Helga Lühning, Bonn: Zwiespältige Handschriften.
Die Funktion der Autographe zu »Fidelio«
20.00 Uhr
Gesprächskonzert
Überlegungen zur Frühfassung von
Felix Mendelssohn Bartholdys »Klaviertrio d-Moll op. 49«
oder »Die spektakuläre Rettung eines Autographs«
Hyperion-Trio
Hagen Schwarzrock, Klavier | Oliver Kipp, Violine |
Katharina Troe, Violoncello
Moderation: Salome Reiser
Sonntag, 21. April 2012
9.30 Uhr Salome Reiser, München: Schrift und Schriftlichkeit in den Werken
von Richard Strauss
10.15 Uhr Christine Siegert, Berlin: Autograph – Autorschaft – Bearbeitung.
Überlegungen zu einer Dreiecksbeziehung
11.30 –13.00 Uhr Autographe lesen
Round-Table-Gespräch mit den Referentinnen und Referenten
Moderation: Armin Raab (Joseph Haydn-Institut, Köln)
Workshop für Studierende
In Verbindung mit dem Symposium findet ein Workshop über Beethovens Handschriften und ihre Botschaften statt (Leitung: Julia Ronge, Jens Dufner, BeethovenArchiv, Bonn)
Termin: Samstag 13.30 –16.30 im Seminarraum des Staatlichen Instituts für Musik­
forschung. Die Teilnehmerzahl ist auf 20 beschränkt. Anmeldung ist erforderlich, bitte
per e-Mail an Ullrich Scheideler, Humboldt Universität Berlin (ullrich.scheideler@
staff.hu-berlin.de).
Reinhard Kapp | Universität der Künste, Wien
Der aufschreibende Komponist
Dass der an Beethoven entwickelte Werkbegriff, wie er hierzulande noch weitgehend die Praxis der Musikergesamtausgaben bestimmt, nicht immer in Geltung
war und nicht allen Gattungen gleichermaßen adäquat ist, hat sich zwar unter
den Philologen herumgesprochen. Aber es könnte lohnend sein, sich in der Geschichte umzusehen und die wechselnde Proportion zwischen mündlicher Weitergabe und schriftlicher Fixierung, Musizieren und Komposition, Autorschaft und
­kollektiver Produktion, Handschrift und Druck zu bedenken, von der abhängt, was
der Komponist jeweils aufschreibt, in welchen Stadien, mit welchen Mitteln und
zu welchem Zweck er das tut, und welchen Stellenwert das im Gesamtbestand
der überlieferten Quellen jeweils einnimmt. Hier hätten Philologie und historische
Musikwissenschaft noch einiges voneinander zu lernen.
Prof. Dr. Reinhard Kapp, geboren 1947 in Hof / Saale, studierte Musikwissenschaft, Philosophie
und Religionswissenschaft in Heidelberg und Berlin. Assistent an der FU Berlin, Lehraufträge.
Promotion mit einer Arbeit über das Spätwerk Robert Schumanns. 1974–78 Teilnahme an den
Interpretationskursen von Rudolf Kolisch in Mödling bei Wien. 1983 / 84 Gastprofessur an der
Gesamthochschule Kassel, 1983 ff. Redakteur an der Richard-Wagner-Forschungsstelle München.
Seit 1992 ordentlicher Professor für Musikgeschichte an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Veröffentlichungen zur Musik des 19. und 20. Jahrhunderts und zur Geschichte
der musikalischen Aufführung, Herausgeber (gemeinsam mit Markus Grassl) der Reihe Wiener
Veröffentlichungen zur Musikgeschichte.
Ulrich Krämer | Arnold Schönberg Gesamtausgabe, Berlin
Partitur versus Particell.
Probleme der handschriftlichen Überlieferung bei Arnold Schönberg
Für Arnold Schönberg waren Partitur und Particell zwei Aufzeichnungsformen
seiner Musik, die sowohl hinsichtlich ihrer äußeren Gestalt als auch in Hinblick
auf ihr Verhältnis zueinander als klar definierte Stationen auf dem Weg zur endgültigen Werkgestalt einer Wandlung unterworfen waren. Im Rahmen dieser Entwicklung emanzipierte sich das Particell von seiner ursprünglichen Funktion als
bloßes Übergangsstadium innerhalb des Schaffensprozesses. Dies setzte jedoch
nicht nur voraus, dass es genau wie die Partitur das jeweilige Werk als Gesamtkonzeption in allen Einzelheiten enthielt, sondern auch, dass es sich jener gegenüber
zumindest teilweise als überlegen erwies. Die Gründe für diese Entwicklung waren vielfältig und lassen sich auch als kreative Auseinandersetzung mit den eher
äußer­lichen bzw. technischen Aspekten der Komposition wie Notation, Besetzung,
Partituranordnung etc. verstehen. Schönberg hatte diesen Aspekten sein ganzes
Leben lang besondere Beachtung zukommen lassen, was zum Teil auch von den
öffentlich geführten zeitgenössischen Debatten über diese Fragen befeuert wurde.
Die Probleme, die die Particellaufzeichnung für die kritische Edition nach sich
zieht, sollen anhand eines Sonderfalls – des Particells der Jacobsleiter – diskutiert
werden.
Dr. Ulrich Krämer leitet die Forschungsstelle der Arnold Schönberg Gesamtausgabe, Berlin. Er
studierte Musikwissenschaft und Germanistik in Hamburg und Bloomington und promovierte
bei Rudolf Stephan über Alban Berg als Schüler Arnold Schönbergs. Neben seiner editorischen
Tätigkeit war er Lehrbeauftragter an der Hochschule für Musik »Hanns Eisler« und an der Universität der Künste, Berlin sowie »Visiting Scholar« am Graduate Center der City University
New York. Zu seinen wissenschaftlichen Publikationen zählen neben den für die SchönbergAusgabe vorbereiteten Bänden (u. a. die mit dem Deutschen Musikeditionspreis ausgezeichnete
Gurre-Lieder-Partitur) die Ausgaben von Alban Bergs Kompositionen aus der Studienzeit und von
­Theodor W. Adornos Kompositionen aus dem Nachlaß sowie Aufsätze und Beiträge zu Brahms,
Berg, Schönberg, Ravel und Astor Piazzolla.
Thomas Ertelt | Staatliches Institut für Musikforschung, Berlin
Das Particell von Alban Bergs »Lulu«, 3. Akt
Das Particell des III. Akts von Bergs Lulu wurde stets als Hauptquelle bei jedem
Gedanken an ›Vollendung‹, ›Fertigstellung‹ des Opernfragments in Anspruch
genommen: die ›eigentliche‹ Komposition, das Gefüge des Tonsatzes, sei darin
vollständig niedergelegt, und in Kenntnis von Bergs Arbeitsweise, insbesondere
seinem Vorgehen bei der Komposition der ersten beiden Akte, die Herstellung
der Partitur durchaus zu verantworten – der Handschrift wurde ein Quellenwert
beigemessen, der demjenigen eines Werkautographs gleichkommt. – Der Vortrag
setzt sich mit dieser Hypothese nicht durch einen kritischen Vergleich aller drei
Particelle der Oper zur nachfolgenden Textstufe der Partitur auseinander. Vielmehr
wird die Berechtigung eines solchen Vorgehens grundsätzlich in Frage gestellt:
Das Particell des III. Akts zeichnet sich durch Eigenheiten aus, die es in mancher
Hinsicht als Kompositionshandschrift, als Arbeitsmanuskript erscheinen lassen.
Aber es werden ebenso Spezifika der Handschrift aufgezeigt, die für eine verbindliche Darstellung charakteristisch sind. Die Hinzuziehung weiterer Quellen, etwa
zu den Symphonischen Stücken, für die Berg Teile der Opernmusik zur Aufführung im Konzertsaal zusammengestellt (und vorab instrumentiert) hat, führt teils
zu erhellender Klarstellung, teils zu derzeit nicht auflösbaren Widersprüchen.
Dr. Thomas Ertelt, 1955 in Weingarten geboren, studierte Musikwissenschaft und Germanistik
an der Freien Universität Berlin. 1989 Promotion bei Rudolf Stephan mit einer Arbeit über Berg
(›Alban Bergs Oper Lulu. Quellenstudien und Beiträge zur Analyse, Wien 1993‹). Forschungsschwerpunkte: Musik der Wiener Schule, Geschichte der Musiktheorie.
Seit 1992 Leiter der Historischen Abteilung des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz, Berlin, seit 2002 Direktor des Instituts. Ertelt ist Herausgeber der ›Briefwechsel der Wiener Schule‹, der Reihe ›Klang und Begriff‹ sowie externer Mitarbeiter der Ausgabe
Sämtlicher Werke Alban Bergs.
Rudolf Stephan | Berlin
Öffentlicher Vortrag: Töne und Noten
Prof. Dr. em. Rudolf Stephan, geboren am 3. April 1925 in Linden (jetzt Bochum). Studierte 1944
bis 1947 resp. 1947 bis 1949 Musikwissenschaft in Heidelberg (Heinrich Besseler) und Göttingen
(Rudolf Gerber) und wurde dort 1950 promoviert, 1963 habilitiert. Er war daselbst Privatdozent
und wurde 1967 Ordinarius an der Freien Universität Berlin (emeritiert 1990). Stephan ist
Editionsleiter der Ausgabe sämt­licher musikalischer Werke von Arnold Schönberg (seit 1967)
und der Alban Berg Gesamtausgabe (seit 1984). 1970 bis 1976 war er Vorsitzender des Instituts
für Neue Musik und Musikerziehung (Darmstadt) und organisierte von 1964 bis 1976 dessen
alljährliche Hauptarbeitstagungen. In den Jahren 1974 bis 1976 wirkte er bei Rudolf Kolischs
Interpretationsseminaren (­Wiener Schule) in Mödling mit. Er war Präsident der Gesellschaft für
Musikforschung (1980 –1989, seit 2005 Ehren­mitglied) und 1980 bis 1996 Präsident der Internationalen Schönberg-Gesellschaft (Wien). Unter seiner Leitung fanden die drei internationalen
Schönberg-Kongresse (Wien 1974 und 1984, Duisburg 1993) statt. Stephan ist Mitglied des Deutschen Musikrats (1985–1993 im Präsidium, seit 1998 Ehrenmitglied). 1981 wurde ihm das Große
Ehrenzeichen der Republik Öster­reich verliehen.
Uwe Wolf | Carus-Verlag, Stuttgart
Annäherungen an eines der ganz großen Rätsel:
Das Autograph zur h-Moll-Messe von J. S. Bach
In kaum einem anderen Autograph häufen sich die Probleme der Bach-Forschung
in dieser Weise wie im Autograph von Bachs vermutlich letztem Opus: Der Messe
in ­h-Moll. Hier haben wir fast alle Schwierigkeiten, die ein Autograph zu bieten
hat: schwer ­lesbare Korrekturen, Überarbeitungseingriffe, Fassungsprobleme, unvollständige, wohl auch unfertige Niederschrift, zusätzliche Überarbeitungen nach
Bachs Tod und schwere Schädigung durch Tintenfraß. Dies trifft zusammen mit
dem nach wie vor ungeklärten Entstehungsanlass und der fast mystischen Aura,
die dieses Monumentalwerk umgibt.
Die für die wissenschaftliche Annäherung an das Autograph auch wieder glückliche Verbindung von Problemhaftigkeit und Berühmtheit ermöglichten in den
letzten Jahren eine neuerliche Auseinandersetzung mit ihm, die auch aufwendige
naturwissenschaftliche Verfahren zuließ. Gegenstand des Referats wird die Geschichte des Autographs und der editorischen Auseinandersetzung mit ihm bis
hin zur Tintenanalyse sein.
Dr. Uwe Wolf studierte in Tübingen und Göttingen Musikwissenschaft und Geschichte; ­Promotion
1991. Er war dann von 1991–2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Bach-Institut, von
2004–2011 leitete er das Forschungsreferat II am Leipziger Bach-Archiv. Seit 10 /2011 steht er dem
Lektorat des Carus-Verlags, Stuttgart vor. Daneben nahm er Lehraufträge an den Universitäten
von Göttingen, Leipzig und Pavia /Cremona wahr. Er hat bei verschiedenen Gesamt- und Auswahl­
ausgaben mitgearbeitet und zahlreiche Publikationen zur Musikgeschichte vornehmlich des 17.
und 18. Jahrhunderts vorgelegt. 2010 erschien seine Ausgabe der h-Moll-Messe von J. S. Bach als
der erste Band einer Reihe revidierter Bände zur Neuen Bach-Ausgabe.
Heide Volckmar-Waschk | Joseph Haydn-Institut, Köln
Auf der Jagd nach der authentischen Fassung. Zur Quellenlage von Joseph
Haydns Sinfonie Hob. I: 73 »La Chasse«
Die Quellengrundlage zur Sinfonie Hob. I: 73 ist günstig und problematisch
zugleich. Die vier Sätze entstammen unterschiedlichen Kompositionsstadien,
und entsprechend heterogen ist die Überlieferung der Autographe: Als Finale
(»La Chasse«) benutzte Haydn die 1780 datierte Ouvertüre zu La fedeltà premiata,
das Autograph (des 1. Aktes der Oper) befindet sich in der Ungarischen National­
bibliothek in Budapest. Dem 2. Satz legte er das 1784 bei Artaria veröffentlichte,
aber offensichtlich deutlich vorher komponierte Lied Gegenliebe zugrunde; das
fragmentarische Autograph des Sinfoniesatzes wird heute, zusammen mit dem
Autograph des 3. Satzes, in der Biblioteka Jagiellońska in Krakau aufbewahrt
(­früher im Besitz der Staatsbibliothek zu Berlin). Das Autograph zum wahrscheinlich zuletzt komponierten 1. Satz ist verschollen. Für ihn (sowie das letzte Drittel
des 2. Satzes) gilt es daher, unter den rund dreißig frühen Abschriften und Drucken der Sinfonie (darunter die Erstausgabe von Torricella aus dem Jahr 1782) die
zuverlässigste Quelle herauszufinden. Das vorläufige Stemma zeigt einige Besonderheiten: Anders als bei den meisten anderen Haydn-Sinfonien gab es wohl nicht
nur eine, sondern drei Ur­kopien des Autographs. Und bei der Quellenfiliation
zeigen sich bemerkenswerte Divergenzen ausgerechnet zwischen dem 1. und dem
2.–4. Satz.
Dr. Heide Volckmar-Waschk studierte Musikwissenschaft, Geschichte und R
­ omanistik / ­Italie­nische
Philologie in Münster und Bonn. 1992 Magister Artium. 2001 Promotion mit einer Arbeit über
Die »Cantiones sacrae« von Heinrich Schütz. Entstehung, Texte, Analysen. Edition der Cantiones
sacrae in der Neuen Schütz-Ausgabe. Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes.
2000 –2005 Fachreferentin für Musik, Medienwissenschaft und Pädagogik an der Universitätsund Landesbibliothek Bonn. 2005–2010 freiberuflich tätig (unter anderem Konzerteinführungen
für das Beethovenorchester sowie das Beethovenfest in Bonn). Seit 2009 freie Mitarbeiterin des
Beethoven-Archivs Bonn; seit Februar 2011 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Joseph HaydnInstitut. Nachträglicher Kritischer Bericht zu Band XII /2, Streichquartette »Opus 9« und »Opus
17«, der Haydn-Gesamtausgabe, derzeit Arbeit an Band I/10, Sinfonien um 1780/81.
Kathrin Kirsch | Institut für Musikwissenschaft, Universität Kiel
Michael Struck | Johannes Brahms Gesamtausgabe, Universität Kiel
Werkgenetische Phasen im Schaffen von Johannes Brahms und ihre editorische Bedeutung
a) Progression und Regression: Vom Quellenwert der Autographe für die
Edition Brahms’scher Werke
b)Korrekturphase – Erprobungsphase: Zur Werkentstehung zwischen
Redaktion und Interpretation am Beispiel ausgewählter Korrektur- und
Aufführungsabzüge von Johannes Brahms’ Werken
Bei der Arbeit an der »Neuen Ausgabe sämtlicher Werke« von Johannes Brahms
(JBG) zeigte sich schon bald, dass autographe Handschriften eine zwar unverzichtbare, doch nicht absolute Stellung im Gefüge der relevanten Manuskript- und
Druckquellen haben. Einerseits geben kompositorische Korrekturen in Autographen wertvolle Informationen über den werkgenetischen Prozess. Andererseits
zeigen sich, wie Robert Pascall 1996 im Pilotband der JBG (1. Symphonie) gezeigt
hat, im Zuge der Werktext-Erstellung gegenläufige Tendenzen: Kompositorisch
werden Werke auf dem Weg von autographen und abschriftlichen Manuskripten
über Korrekturstadien bis hin zur Erstausgabe und mitunter noch darüber hinaus
weiter verfeinert, so dass die Bedeutung von Autographen im Hinblick auf den
vom Komponisten letztlich intendierten und autorisierten Werktext abnimmt.
Demgegen­über wird während jenes Prozesses der Werktext-Fixierung die Um­
setzung der Komponisten-Intention erfahrungsgemäß durch (unentdeckte) Kopisten-, Stecher- und Redaktionsfehler zunehmend abgeschwächt; hier übernehmen
Autographe wichtige Korrektur- und Evaluationsfunktionen.
Das Doppel-Referat erfasst die Position von Autographen im Gefüge der Quellen
gleichsam von den Rändern her. Zum einen wird die ambivalente Stellung von
Autographen für die philologisch-editorische Arbeit im Hinblick auf das jeweils
vorliegende bzw. ­rekonstruierbare Quellengefüge – evtl. einschließlich verbaler
Dokumente – eher generell erörtert. Exemplarisch zeigt zum anderen eine Auswertung von Korrektur- und Aufführungsabzügen, dass der Entstehungs- und
kompositorische Ausfeilungsprozess sich bis in letzte Phasen der Drucklegung
erstreckt. So müssen werkgenetische Forschung und historisch-kritische Edition
stets den gesamten Prozess der Werktext-Erstellung und Werk-Erprobung in den
Blick nehmen. Eine einseitige Orientierung am Autograph wäre dagegen regressiv,
ja erkenntnistheoretisch wie editionspraktisch kontraproduktiv.
Dr. Kathrin Kirsch, geboren 1975, schloss ihr Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und
Kunstgeschichte 2003 an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit einer Arbeit über Robert
Schumanns Humoreske op. 20 ab. 2003–2006 war sie Promotionsstipendiatin eines interdisziplinären DFG-Graduiertenkollegs zur Kulturgeschichte des Nordens an der Philosophischen Fakultät
der Universität Kiel. Die Dissertation zu Jean Sibelius’ früher Symphonik wurde dort 2007 angenommen. 2008 –2010 bearbeitete Kirsch als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Musikwissenschaftlichen Institut Kiel ein Forschungsprojekt der Fritz Thyssen Stiftung zum Korrekturprozess
bei Johannes Brahms in enger Anbindung an die Forschungsstelle der Brahms-Gesamtausgabe.
Nach freiberuflichen Tätigkeiten, u. a. der Vorbereitung der Streichquintett-Edition für die Brahms-­
Gesamtausgabe, nahm sie Ende 2012 ein Forschungsprojekt (DFG Eigene Stelle) zu Carl Philipp
Emanuel Bachs geistlich-konzertanter Vokalmusik auf.
Dr. Michael Struck, 1952 in Hannover geboren, ab 1973 Studium an Musikhochschule und
Universität Hamburg: Schulmusik, Privatmusikerziehung, Klavier/Diplom (W. Schröter), Musik­
wissenschaften (C. Floros), Pädagogik. 1984 Promotion mit der Dissertation Die umstrittenen
späten Instrumentalwerke Schumanns. 1985 zunächst im niedersächsischen Schuldienst, dann
Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle der neuen »Johannes Brahms Gesamtausgabe« an der Universität Kiel (Mitglied der Editionsleitung); Herausgeber bzw. Redakteur zahlreicher Bände. – Veröffentlichungen zur Musik des 18.–20. Jahrhunderts, weitere Werkeditionen,
Tätigkeit als Musikkritiker und Pianist (Konzerte u. a. mit dem Vokalensemble der Universität
Kiel und dem Wiesbadener Kammerchor sowie Gesprächskonzerte). 2009 einer der beiden Träger
des Schumann-Preises der Stadt Zwickau, 2010 als Mitarbeiter der Kieler Forschungsstelle Mitpreisträger des Brahms-Preises 2010 der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein.
Peter Hauge | Danish Centre for Music Publication, Copenhagen
Sources, Authenticity, Methodology, and Complete Editions
Editing a composer’s collected works such as those by Scheibe and Nielsen –
is it possible to draw up a single method that may be employed throughout a
composer’s oeuvre? This raises considerations of an intricate nature to be handled
carefully before the appropriate method is chosen.
Complex problems arise when using authorial intention as a prerequisite for a
critical edition when no surviving sources reflect primary authority; this forces
the editor to discard authorial intention as a central basis and to rely instead on
orchestral material reflecting a performance, that is interpretation, of the work.
It is vital to be aware of the context-related understanding of the work concept:
both the composer’s own understanding and that of the society, including a care­
ful evaluation of the relationship between a composer’s authorial intention as
consciously reflected by his notational practice and the intention only implied
through the performance practice of the time. One cannot impose a method on to
the material if it does respond and should not function as a straitjacket into which
the material by all means must fit but should rather engage in a dialogue. Hence
it is the very nature of the musical material that is decisive for the election of the
editorial method.
Dr. Peter Hauge, senior researcher at Danish Centre for Music Publication, The Royal Library,
Copenhagen: performance diploma and teaching degree from Det fynske Musikkonservatorium
(recorder), and MA. and Ph. D. from City University, London; has published widely on music
history (mainly renaissance and baroque) as well as on the theories of music philology and edited
works by Carl Nielsen, Peter Heise, Paul von Klenau, and Johann Adolph Scheibe. He has also
published a critical edition and translation of Robert Fludd’s De templo musicae (1618) for the
Ashgate series Music Theory in Britain, 1500–1700.
Daniela Philippi | Institut für Musikwissenschaft, Universität Frankfurt a. M.
Authentisch, autorisiert oder übersehen – Zur Bewertung von Varianten zwischen Auto­graph und Erstdruck in Antonín Dvořáks Streichquartetten op. 105
und op. 106
Die wichtigsten Quellen der beiden späten Streichquartette von Antonín Dvořák
sind jeweils ein detailliert ausnotiertes Partiturautograph sowie ein zeitgenössischer Druck. Diese auch für andere kammermusikalische Werke des Komponisten
nicht ungewöhn­liche Situation hat im Falle der Streichquartette in As-Dur op. 105
und G-Dur op. 106 die Besonderheit, dass es eine beachtliche Zahl von Varianten
zwischen Autograph und Druck gibt. Ihre Herkunft ist jedoch unklar, da der verlegerische Prozess der Notenherstellung und die Möglichkeiten etwaiger Eingriffe
des Komponisten nur schemenhaft ­rekonstruiert werden können. Mit Blick auf
editorische Entscheidungen konzentriert sich die Bewertung der Varianten daher
auf schreib- und musikanalytische Verfahren. Inwieweit die hierbei aufzudeckenden musikalischen Facetten über eine Autorintention Auskunft geben, soll kritisch
hinterfragt werden.
Prof. Dr. Daniela Philippi ist seit Sommersemester 2011 Inhaberin der Akademieprofessur am
Institut für Musikwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt a. M. und Leiterin der dortigen
Arbeitsstelle der Gluck-Gesamtausgabe. Zuvor war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der
Mainzer Arbeitsstelle der Gluck-Gesamtausgabe an der Akademie der Wissenschaften und der
Literatur sowie außerplanmäßige Professorin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Im
WS 2009 /10 und SS 2010 Vertretungsprofessorin am Institut für Musikwissenschaft der GoetheUniversität Frankfurt a. M. – Promotion 1992 (Antonín Dvořák – »Die Geisterbraut / Svatební
košile« op. 69 und »Die heilige Ludmilla / Svatá Lumila« op. 71. Studien zur großen Vokalform im
19. Jahrhundert, Tutzing 1993), Habilitation 2000 (Neue Orgelmusik. Werke und Komposi­tions­
techniken von der Avantgarde bis zur pluralistischen Moderne, Kassel 2002). Mitglied in den
Editorial Boards der New Dvořák Edition und der Bohuslav Martinů-Gesamtausgabe sowie im
Herausgeber-Gremium der Gluck-Gesamtausgabe.
Stefan König | Max-Reger-Institut, Karlsruhe
Überarbeitungsschichten in Max Regers Phantasie und Fuge d-moll für Orgel
op. 135 b und ihre Deutungen
In keinem Werk Max Regers sind tiefere Einblicke in die Schreibwerkstatt
möglich als in Phantasie und Fuge d-Moll für Orgel op. 135 b. Denn neben der
Reinschrift und dem Erstdruck stehen als Quellen auch die Entwürfe und zwei
Korrektur­fahnen zur Verfügung. Die Quellen dokumentieren dabei mehrere intensive Überarbeitungsschritte, darunter drei einschneidende Kürzungen im 1.
­Korrekturabzug (eine in der Phantasie und zwei in der Fuge), die Forschung wie
Interpreten unvermindert beschäftigen.
Der Beitrag widmet sich den textdynamischen Prozessen in Regers letztem vollendeten Orgelwerk unter verschiedenen Aspekten. Auf der Basis neuer Erkennt­
nisse, die sich im Zuge der Edition des Werkes im Rahmen der Reger-Werkausgabe
(RWA) ergeben haben, werden die Überarbeitungsschichten in ihrer zeitlichen
Dimension betrachtet: von der Entwicklung der Idee, ihrer Überarbeitung beim
Schreiben, bis hin zu den deutlich s­ päteren, teilweise redaktionellen Überarbeitungen unter gewandelter Ästhetik. Beson­deres Interesse kommt dabei der noch
ungekürzten Textstufe zu, die in der Aufführungspraxis – obgleich vom Komponisten nicht autorisiert – mittlerweile fest verankert ist und durch die editorische
Fragestellungen mit der Rezeptionsgeschichte in Berührung gebracht werden.
Dr. Stefan König, geboren 1977 in München, studierte Musikwissenschaft und Neuere Deutsche
Literatur und Medien an der Philipps-Universität Marburg und der Università degli Studi di
Padova. Promotion 2006 in Marburg mit der Dissertation Die italienische Sinfonie 1900 –1945.
Quellen, Werke, Rezeption (Wiesenfelden 2011). Stipendiat am Deutschen Historischen Institut
in Rom (2002/2003) und am Deutschen Studienzentrum in Venedig (2004). Von 1999 bis 2007
Mitarbeiter im Musikverlag / Antiquariat Katzbichler in München bzw. Wiesenfelden, ab 2006
freier Mitarbeiter bei der Süddeutschen Zeitung (Lokalredaktion Ebersberg). Seit Januar 2008
wissenschaftlicher Mitarbeiter im Max-Reger-Institut, Karlsruhe, zunächst im DFG-Projekt RegerBriefe-Verzeichnis (RBV), sodann ab Mai 2009 im Akademieprojekt Reger-Werkausgabe (RWA).
Von April 2008 bis Juli 2009 ferner Geschäftsführer der Fördergemeinschaft Kunst e. V. in Karlsruhe (zusammen mit Agnes Michalak).
Helga Lühning | Bonn
Zwiespältige Handschriften. Die Funktion der Autographe zu »Fidelio«
Für die letzte Fassung seiner Oper schrieb Beethoven Manuskripte nur dann
eigen­händig, wenn er eine Nummer ganz oder weitgehend neu komponierte.
Korrekturen, Revisionen, auch weitgehende Änderungen trug er dagegen in Kopistenabschriften ein, die er dem Material der älteren Fassung (Leonore) entnahm.
Diese Manuskripte, die man irreführend als »Überprüfte Abschriften« bezeichnet,
wurden dadurch quasi zu Autographen. Wie (echte) Autographe sehen sie aus, als
seien sie nur Arbeitsmanuskripte. Erst bei genauer Prüfung wird erkennbar, dass
sie oft die fertige Version enthalten.
Das letzte Stadium ist dann (wie bei den meisten anderen Werken Beethovens)
in vergleichsweise harmlos wirkenden, sauberen Kopistenabschriften überliefert.
Für die Edition sind sie die wichtigsten Zeugnisse, obwohl sie im Opernbetrieb
der Zeit eigentlich auch nur ein Durchgangsstadium repräsentieren. Sie scheinen
fast darauf zu warten, ­wieder von einer neuen Version übermalt zu werden. Selbstverständlich geschah das auch, allerdings nicht mehr mit Beethovens Beteiligung.
Autographe und »Quasi-Autographe« sind mit ihrer Fülle an Informationen die
interessanteren Quellen. Über das (fast schon mystische) Faszinosum von Beethovens Handschrift hinaus geben sie Aufschlüsse über kompositorische, ästhetische
und dramaturgische E
­ ntscheidungen. Für die Edition aber repräsentieren sie tatsächlich nur ein Durchgangsstadium, für das eine angemessene Darstellungsform
erst noch gefunden werden müsste.
Dr. Helga Lühning studierte an der FU und am Stern’schen Konservatorium in Berlin und an
der Universität Erlangen. Promotion 1974 mit einer Arbeit über die Opera seria. Von 1974 bis
1981 Assistentin am Musikwissenschaftlichen Institut in Erlangen, 1977/78 am Deutschen Historischen Institut in Rom. Von 1981 bis 2008 Mitarbeiterin des Beethoven-Archivs, Bonn. 1991 bis
2003 Sprecherin der Fachgruppe Freie Forschungsinstitute, 1991 bis 2009 Mitglied des Beirats,
2001 bis 2005 Schriftleiterin im Vorstand der Gesellschaft für Musikforschung. Seit 2005 Mitglied
der Akademie für Mozart-Forschung am Mozarteum Salzburg. – Forschungsschwerpunkte: Musik von Mozart und Beethoven, Klavierlied, italienische und deutsche Oper im 18. und 19. Jahrhundert, Libretto, Edition.
Salome Reiser | Kritische Ausgabe der Werke von Richard Strauss, München
Schrift und Schriftlichkeit in den Werken von Richard Strauss
Die autographen Partituren von Richard Strauss gelten gemeinhin als sehr sauber
und geradezu kalligraphisch gestaltet. In einigen Fällen dienten sie unmittelbar
als Stichvorlage für den Druck. Bisweilen wies der Komponist den Verlag dabei an,
man möge für die Publikation nicht nur den Inhalt, sondern auch die äußere Form
der autographen Niederschrift übernehmen. Gleichzeitig haben sich Manuskripte
erhalten, die einzig dazu gedacht waren, beim etwaigen Eintreten einer finan­
ziellen Notlage veräußert zu werden. Ist die Funktion der autographen Partitur
bei Strauss also dem Schaffensprozess ent­hoben? Und wie verhält es sich mit
der Vielzahl an weiteren autographen Quellen, unter denen ein- und mehrstufige
Skizzen­niederschriften ebenso vertreten sind wie teilweise oder auch komplett
ausgeführte Particelle? Anhand ausgewählter Beispiele unterschiedlicher Gattungen und Zeitperioden soll dargelegt werden, mit welcher Intention und auf welchem Wege die meist vollstimmigen, großformatigen Partituren erarbeitet wurden, und ob beziehungsweise wo genau sich die Werkentstehung lokalisieren lässt.
Dr. Salome Reiser studierte Musikwissenschaft, Philosophie sowie Lateinische Philologie des
Mittel­­alters und der Neuzeit an den Universitäten Heidelberg und Wien und wurde mit einer
Arbeit über Franz Schuberts frühe Streichquartette promoviert. Sie war mehrere Jahre lang
als wissenschaftliche Mitarbeiterin zunächst der Brahms Gesamtausgabe, dann der Leipziger
Ausgabe der Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy tätig und ist nun Editionsleiterin der
Richard-Strauss-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften an der LudwigMaximilians-Universität München. Darüber hinaus fungiert sie als Editionsbeirätin der GustavMahler-Gesamtausgabe Wien sowie derzeit als stellvertretende Sprecherin der Fachgruppe Freie
Forschungsinstitute.
Christine Siegert | Universität der Künste, Berlin
Autograph – Autorschaft – Bearbeitung. Überlegungen zu einer
Dreiecksbeziehung
Während man gemeinhin davon ausgeht, es stünde fest, dass es sich bei einem
Autograph um eine Eigenschrift des Autors / der Autorin handelt, wird diese Defi­
nition fragwürdig, wenn wir es mit Phänomenen zu tun haben, bei denen sich
Autor bzw. Autorin nicht umstandslos definieren lassen – zum Beispiel im Fall
von Bearbeitungen.
Quellen von Opernbearbeitungen des späten 18. Jahrhunderts nennen üblicherweise den Autor der Ausgangsoper als Hauptautor auf der Titelseite; in Wiener
Quellen werden häufig auch Autoren von Einlagearien vermerkt, sodass sich eine
Hierarchisierung der Autorschaft ergibt. Doch auch, wenn die Quellen dies nicht
extra angeben, enthalten Opernpartituren häufig Einlagen anderer Autoren, die
teilweise autograph überliefert sind und selbst weiter bearbeitet werden konnten, sodass sich eine multiple Autorschaft ergibt. Auf der anderen Seite steht die
Intention des ursprünglichen Autors der Oper, der solche Bearbeitungsvorgänge
als Charakteristikum des offenen Werks konzeptuell ermöglichte und demnach
mitverantwortet.
Der editorische Umgang mit Opernbearbeitungen kann nach wie vor als experimentell beschrieben werden, wobei gedruckte und digitale Ausgaben naturgemäß
unterschiedliche Möglichkeiten eröffnen: In Joseph Haydn Werke werden Einlage­
arien und Arienbearbeitungen in unterschiedlichen Bänden präsentiert und der
Bearbeitungskontext in den Worttexten beschrieben; in der neuen MEI-basierten
Edirom-Edition von zwei Opern Giuseppe Sartis ist die Dokumentation der Breite
der Überlieferung anhand ausgewählter Quellen vorgesehen.
Prof. Dr. Christine Siegert ist Juniorprofessorin für Musikwissenschaft – Gender Studies an der
Universität der Künste Berlin. Nach ihrer Promotion an der Hochschule für Musik und Theater
Hannover über die italienischen Opern Luigi Cherubinis war sie von 2003 bis 2006 Wissenschaftliche Angestellte am DFG-Projekt »Joseph Haydns Bearbeitungen von Arien anderer Kompo­
nisten« (Universität Würzburg, Joseph Haydn-Institut Köln), von 2006 bis 2009 Wissenschaftliche
Mitarbeiterin am Joseph Haydn-Institut und von 2009 bis 2010 am Akademien-Projekt »Opera
– Spektrum des europäischen Musiktheaters in Einzeleditionen« an der Universität Bayreuth, zuletzt als Leiterin der Arbeitsstelle. Seit 15. März 2013 leitet sie das von der Einstein Stiftung Berlin
finanzierte Projekt »A Cosmopolitan Composer in Pre-Revolutionary Europe – ­Giuseppe Sarti«
in Kooperation mit Dr. Bella Brover-Lubovsky (Hebrew University Jerusalem) und Prof. Dr. Dörte
Schmidt (Universität der Künste Berlin) und bereitet derzeit die Edition von Haydns Arienbearbeitungen für die Haydn-Gesamtausgabe vor.
Autographe lesen
Round-Table-Gespräch mit den Referentinnen und Referenten
Moderation: Armin Raab | Joseph Haydn-Institut, Köln
Was muss man, um ein Autograph richtig zu lesen, über N
­ otationsgewohn­heiten
der Zeit und über Schreibeigentümlichkeiten des Autors wissen? Wie verhält
sich eine Edition im Spannungsfeld zwischen einer bloßen Übertragung des
Autographs und Vervollständigung oder gar Korrektur? Wie ist der Bezug eines
Autographs zu anderen Quellen, welche Konsequenzen hat dies für die Suche nach
dem zu edierenden Werk? Was verraten uns Autographe jenseits ihrer Funktion
als Editionsquelle über den Entstehungsprozess? Und nicht zuletzt: Was kann ein
Nachwuchswissenschaftler von den erfahrenen Editoren, was können aber auch
diese aus den Problemen bei der Edition anderer Komponisten lernen?
In dem Rundgespräch sollen die in den vorangehenden Sitzungen behandelten
Themen noch einmal gebündelt, aber auch weitere, übergreifende Fragen angesprochen werden. Neben den Gesprächsteilnehmern auf dem Podium und den
Referenten werden die Zuhörer einbezogen, um die Runde zu einer Abschluss­
diskussion zu erweitern.
Dr. Armin Raab, geboren 1956, studierte Musikwissenschaft, Theaterwissenschaft und Neuere
Deutsche Literaturgeschichte in Erlangen. Magister Artium 1983, Promotion 1988 mit einer
Arbeit über Funktionen des Unisono. Dargestellt an Streichquartetten und Messen von Joseph
Haydn. Seit 1989 externer Mitarbeiter des Beethovenarchivs Bonn, seit 1992 dort als wissenschaftlicher Angestellter, Edition von drei Bänden der neuen Beethoven-Gesamtausgabe. Seit 1997 am
Joseph Haydn-Institut Köln. Seit 1999 wissenschaftlicher Leiter des Instituts, damit verbunden
Editionsleitung der Gesamtausgabe Joseph Haydn Werke und Herausgabe der Haydn-Studien.
Edition von Haydns Die Jahreszeiten, zwei Folgen der Haydn-Bibliographie, Mitherausgeber des
Haydn-Lexikons (Laaber 2010). Seit 2012 Sprecher der Fachgruppe Freie Forschungsinstitute in
der Gesellschaft für Musikforschung.
Beethovens Handschriften und ihre Botschaften
Workshop für Studierende
Leitung: Julia Ronge und Jens Dufner (Beethoven-Archiv, Bonn)
Im Unterschied zu gedruckten Notentexten erfordert das Lesen von Autographen
Hinter­grundwissen: Erst mit der Kenntnis von Schreibgepflogenheiten der Zeit
und einer gewissen Vertrautheit mit den individuellen Notationsgewohnheiten
des Komponisten ist es möglich, den geschriebenen Text zu verstehen. Beethovens
Autographe scheinen dabei eine besondere Herausforderung darzustellen. Seine
Handschrift gilt wie kaum eine andere Musikerhandschrift als Inbegriff des Unlesbaren und schwer Zugänglichen.
Bei näherer Betrachtung relativiert sich dieser Mythos. Letztlich stellen sich beim
Lesen und Übertragen Beethovenscher Handschriften ähnliche Probleme wie für
andere Musikerhandschriften. Der Workshop wird das Leseverständnis fördern
und Techniken zur Übertragung und Deutung von Beethovens Autographen vermitteln. Dabei wird auch deutlich werden, welche Botschaften die Manuskripte
über den gültigen Notentext hinaus enthalten. Im Falle Beethovens lässt sich anschaulich zeigen, dass die Handschriften nicht nur das vermeintliche Endprodukt
eines Schaffensprozesses wiedergeben, sondern auch Einblicke in diesen Prozess
erlauben.
Zur Einführung in den Gegenstand wird als Vorbereitung die Lektüre des Aufsatzes von Lewis Lockwood vorausgesetzt: »On Beethoven’s Sketches and Autographs: Some Problems of Definition and Interpretation«, in: Acta Musicologica
42 (1970), Fasc. I–II, S. 32–47, auf Deutsch erschienen: »Über Beethovens Skizzen
und Autographe: einige Definitions- und Interpretationsprobleme«, in: Ludwig
van Beethoven, hrsg. von Ludwig Finscher, Darmstadt: Wissenschaftliche Buch­
gesellschaft, 1983, S. 113–138.
Dr. Julia Ronge studierte Musikwissenschaft und Geschichte in Würzburg und Paris. 2010 Promotion an der Technischen Universität Berlin mit einer Arbeit über Beethovens ­Kompositionsstudien.
Seit 2002 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Beethoven-Haus, seit 2008 im Beethoven-Archiv.
Herausgeberin der Bände mit Beethovens Kompositionsstudien bei Haydn, Albrechtsberger und
Salieri sowie mit Beethovens Exzerpten aus musiktheoretischen Werken in der neuen BeethovenGesamtausgabe.
Dr. des. Jens Dufner studierte Musikwissenschaft, Italienische Philologie und Slavistik an den
Universitäten Bonn und Köln. Magister Artium 1999 in Bonn mit einer Arbeit über Franz Schuberts Symphoniefragment E-Dur D 729, Promotion 2012 in Köln mit einer Dissertation zu Joseph ­Martin Kraus und seiner Oper Æneas i Carthago. Seit 1998 im Beethoven-Archiv tätig, seit
2004 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Gesamtausgabe. Derzeitiges Projekt ist die Edition
der Fünften und der Sechsten Symphonie.
Fachgruppe Freie Forschungsinstitute
Abbildungen
Ludwig van Beethoven: Sinfonie c-Moll, op. 67 ,
Autograph, 1807–1808 (Ausschnitt)
© Staatsbibliothek zu Berlin,
Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv
Sign.: Mus.ms.autogr. Beethoven, L. v., Mendelssohn-Stiftung 8
Arnold Schönberg am Schreibtisch, Brentwood (LA),
Rockingham Avenue, 1940 (Fotografie, Ausschnitt)
© Arnold Schönberg Center | Bildarchiv (ASC-ID: PH 1195)

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