PP/Journal CH - 8038 Zürich
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P.P./Journal CH - 8038 Zürich FOCUSED ON YOU AND YOUR NEEDS 3...2...1....meins! Die neue Öffentlichkeit Die Zeitung der Roten Fabrik November 2007 Ausgabe Nummer 236 Corporate Design. Von der Tagi-Newstafel mit Werbefilmchen im Rail City Hauptbahnhof ist es nur ein kleiner Schritt zur Credit Suisse Erlebnispromenade am Seeufer. Genausowenig wie vom Letzigrund zum Zürich Versicherungs-Stadion. Oder eben zur UBS-Arena. Rote Fabrik Zürich Text: Etrit Hasler Strassenmusik, politische Kundgebungen, Unterschriften sammeln, ja selbst das Sitzen am falschen Ort wird unter Bewilligungspflicht und/oder Strafe gestellt. Elemente, welche die «öffentliche» Konsumstimmung stören könnten, Randständige, Punks, Asylbewerber und nicht zuletzt auch politische Gruppierungen werden aus dem öffentlichen Raum verdrängt und weggewiesen, oder, wo dies nicht möglich ist, unter konstante Überwachung gestellt. Ehemals öffentliche Institutionen im Dienste aller, wie öffentlicher Verkehr, Krankenversorgung, Tele- wie auch postalische Kommunikation und wohl bald auch die Sozialwerke werden unter dem Druck der wählenden, empörungsfähigen Öffentlichkeit ausgelagert und solange getuned, bis sie entweder profitabel oder abgeschafft sind. Der service publique, ehemals Dienst an der Öffentlichkeit nur noch als zusätzliches Mittel, die Steuern für diejenigen zu senken, die sich eben vom banalen Kampf um Lebensnotwendigkeiten bereits emanzipiert haben und sich nur noch dem sorgenfreien, ungestörten Konsum hingeben können. Damit das ideal vor sich gehen kann, werden die ehemals heterogenen Räume in einem ersten Schritt zu Monotopien, zu einseitig benutzbaren Räumen, umgewandelt, und in einem zweiten zu Erlebniswelten nach nicht im öffentlichen Raum Vielleicht gerade deswegen wollte man bei der Stadt auch nicht viel von den .ch-Zeitungsständern wissen, weder im öffentlichen Raum - ausser bei den Haltestellen der VBZ, wo es auf einen Kasten mehr oder weniger nicht mehr ankommt -, noch bei den städtischen Liegenschaften. «Wir möchten grundsätzlich keine Zeitungsständer vor unseren Liegenschaften und haben das dem Verlag auch so kommuniziert,» erzählt Hans Graf, Bereichsleiter Liegenschaften der Stadt. «Seither werden die Zeitungen einfach in die Hauseingänge gelegt, da stören sie niemanden.» Mit dieser Einstellung steht die Stadt Diese Logik manifestiert sich heute in den erneuten Diskussionen um die Öffentlichkeit an sich: Städtische Plätze, vormals Zentren des sozialen Lebens einer Gemeinde, werden unter dem Deckmantel der «öffentlichen Sicherheit» gesäubert und zunehmend zur Konsumzone erklärt: Getreu dem Prinzip «Dä schneller isch dä gschwinder» werden vormals öffentliche, also allen gehörende Flächen, an den Meistbietenden verkauft, als ob sie auf Ebay ausgeschrieben wären. Wigdorowits hält solche Fragen für Details und lobt lieber die Vorzüge seiner Zeitung. «Der Start ist geglückt, das Produkt ist gut. Natürlich haben wir noch einen langen, harten Weg vor uns. Aber wir werden die Auflage ab nächstem Jahr auf 500'000 steigern, um noch präsenter und flächendeckender zu sein. Punkt ch ist aus der Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken.» Auf die Frage, ob er sich nie überlegt habe, ob die Ständer als Werbung bewilligungspflichtig seien, lacht er nur: «Ich habe einmal scherzhaft gesagt, wenn jemand den Ständer mit nach Hause nimmt, dann ist das ein Werbegeschenk von uns.» Und fügt gleich an: «Aber wir sind auch ganz froh, wenn man sie stehen lässt.» Ganz im Gegenteil: «Das System funktioniert. In den Städten, wo wir präsent sind, haben wir 40% der Liegenschaften mit Ständern abdecken können», erklärt Wigdorowits am Telefon. «Das ist auch der sinnvollste Weg. So werden die Zeitungen nicht nass und unsere Verteiler können am nächsten Tag die überzähligen Zeitungen wieder mitnehmen.» Probleme habe es höchstens mit den Abwärten gegeben, die teilweise nicht gewusst hätten, was es mit den Ständern auf sich habe und sie kurzerhand auf die Strasse stellten, woran sich dann natürlich wieder die Stadt störte. Bei den privaten Liegenschaftsverwaltern klingt das ein bisschen weniger euphorisch. «Wir hätten uns auf jeden Fall eine bessere Kommunikation gewünscht», meint Svetlana Ilic, Sachbearbeiterin der Liegenschaftenverwaltung Verit AG. «Es gab eine einzige Vorinformation an unsere Geschäftsleitung rund einen Monat, bevor die Ständer aufgestellt wurden, die aber so nicht zu den Mitarbeitern kam. Besonders zu Beginn gab es diverse Beschwerden von Mietern und Abwärten, denen die Ständer im Weg waren.» Zwar habe man seither mit dem Punkt ch-Verlag Kontakt aufgenommen und da, wo Beschwerden vorhanden gewesen wären, seien die Ständer auch entfernt worden. Aber man staune doch ein bisschen über das Vorgehen, ohne eine Bewilligung von Seiten des Hausbesitzers einfach etwas vor die Haustür zu stellen. Zürich nicht allein da. Auch das Liegenschaftenamt der Stadt St.Gallen erteilte .ch eine Absage: «Wir stellen grundsätzlich keine Plakate oder Zeitungsständer vor unseren Häusern auf», bestätigt die stellvertretende Leiterin Jasmin Friedli eine Aussage im St.Galler Tagblatt. Die Stadt dürfe nicht einzelne Firmen bevorzugen, und ganz abgesehen davon befürchte man zusätzlichen Abfall vor den Liegenschaften. War Wigdorowits' «geniales» Vertriebssystem also ein Reinfall? Dabei ist das alles andere als selbstverständlich. Hannah Arendt stellte fest, dass die Urväter der Demokratie, die alten Griechen, ein ganz anderes Verständnis von Öffentlichkeit hatten: Die Teilnahme am «öffentlichen» Leben auf dem zentralen Platz der Polis, der Agora, war den freien (männlichen) Bürgern vorbehalten, welche die Lebensnotwendigkeiten des privaten Haushaltes überwunden hatten und in die freie Sphäre der Öffentlichkeit übergehen konnten. Dieser Logik folgend wäre ein arbeitender Mensch nicht frei, da er/sie noch mit den Lebensnotwendigkeiten beschäftigt ist, welche ihn/sie der Freiheit berauben. Ja, er darf. Zwar ist es so, dass Werbeflächen grundsätzlich bewilligungspflichtig sind, und zwar, ob auf öffentlichem oder privatem Grund. Wie Urs Spinner, Sprecher des Hochbaudepartementes der Stadt Zürich erklärt, werden die Ständer nicht als Werbung angesehen: «Wir haben vor allem auf die Verhältnismässigkeit geachtet. Natürlich haben wir es bei diesen Ständern mit etwas zu tun, das auch in diesen Bereich geht, aber sie sind ja ziemlich klein und auch offensichtlich nicht primär als Werbefläche gedacht, sondern eben als Zeitungsständer. Wir beobachten allerdings, wie sich die Situation weiterentwickeln wird.» Und das, obwohl die Stadt sonst alles andere als kulant ist im Umgang mit Werbung, ganz besonders in der Innenstadt: Im Niederdorf beispielsweise ist es nur gerade den ansässigen Läden gestattet, für sich selber Werbung zu machen. Als letzthin ein cleverer Werbemann auf die Idee kam, im Schaufenster einer Apotheke im Quartier Flachbildschirme aufzustellen, intervenierte die Stadt und bekam auch vor Kantonsgericht recht. «Natürlich ist der Werbedruck besonders in der Altstadt sehr gross, aber wir müssen auch das Stadtbild schützen», führt Urs Spinner aus. «Wir sind zwar der Ansicht, dass Werbung zu einer Stadt wie Zürich gehört, aber nicht in unbegrenzter Menge und auch nicht an allen Orten.» Als Verleger Sacha Wigdorowits bekannt gab, er plane eine neue Gratiszeitung für die Schweiz, wurde er höchstens belächelt: Als ob es neben den bereits existierenden Pendlerblättern nun noch eines brauche, wurde da moniert. Als Wigdorowits dann noch erklärte, er wolle das Blatt in alle Haushaltungen liefern, hielt man ihn endgültig für verrückt. Das sei doch nicht bezahlbar, so etwas schweizweit zu verschicken. Doch dann stellte der Verlag Punkt ch plötzlich überall in der Schweiz kleine, notenständerähnliche Gebilde auf, bei vielen Leuten direkt vor der Haustür. Und den Kritikern blieb das Lachen im Hals stecken, höchstens gefolgt von einem verschluckten: Darf der denn das? Guerillamarketing in Anwendung: Seit September ist eine neue Gratiszeitung im Umlauf, wahrscheinlich auch bei dir zu Hause vor der Tür. Wieso sie da sein darf, ist gar nicht so klar. «Wir sind ganz froh, wenn man sie stehen lässt» Kaum ein Begriff ist in den letzten Jahren so weit herum in aller Munde, ohne gleichzeitig definiert zu werden, wie die Öffentlichkeit. Von öffentlichem Raum ist da die Rede, von öffentlicher Meinung, Medienöffentlichkeit, öffentlicher Kunst, öffentlichem Privatleben, öffentlichem Dingsbums. Als ob dauernd und immerwährend klar wäre, was denn das zu bedeuten hätte. Dabei ist kein anderes Konzept im neuen Jahrtausend so sehr unter Beschuss geraten wie eben diese vielbeschworene Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit fängt da an, wo die Privatsphäre des Einzelnen aufhört, würde man denken. Öffentlich sind somit alle Dinge, die wir gemeinsam, als Gesellschaft, als soziale Gruppe, als Kollektiv - oder sonst der Staat in unserem Namen - produzieren, nutzen oder verwalten. Der öffentliche Raum wäre denn auch der Teil einer Stadt oder eines Dorfes, der Allen gehört: Ein zentraler Dorfplatz zum Beispiel, oder die Seepromenade. ht c a So m Leben das ss! Spa Und schuld an allem, wie könnte es anders sein, sind die Medien: die vielzitierte «öffentliche Meinung», welche sich bei näherer Betrachtung als nichts anderes herausstellt als der jeweils aktuelle Trend der sogenannten Meinungsmacher, die ihrerseits auch nur unter dem Druck des freien, sprich: öffentlichen, Marktes stehen. Da darf es nicht verwundern, wenn hier gleichzeitig auch noch das Privatleben vermeintlicher Vorbildfiguren öffentlich gemacht wird: People Pages ganz zuvorderst, vor Kultur, vor Politik, da wo früher das «öffentliche» Strip-Girl ihre konsumierbaren Vorzüge der nationalen Männerwelt präsentierte. Von der Peep Show zur Leitkultur in zwanzig Minuten. Und nicht einmal wir vermeintlich «Alternativen» sind davor gefeit. Wir tauchen ein in die kapitalistisch dominierte Sprache, bilden das ab, was uns die konsumierende Öffentlichkeit vormacht, ganz «zugeschnitten auf die Bedürfnisse unserer Kunden». Und das, obwohl wir nur von der letzten öffentlichen Institution, der Stadt, Geld dafür kriegen... Editorial: Etrit Hasler Werben bis zum Sieg WE LIKE TO ENTERTAIN YOU WE WANT YOUR ADVISORY SIE SIND UNSER GAST YOUR FIRST SHOPPING DESTINATION PLANEN SIE IHRE ZUKUNFT? ALWAYS A SMILE JEDEM SEIN HEIM DAMIT KOMMEN SIE GUT AN NEUE PERSPEKTIVEN FÜR SIE NÄHER BEI DEN STARS FOCUSED ON YOU AND YOUR NEEDS SCHÖN WENN MAN DIE WAHL HAT In einer übersättigten Medienlandschaft mutiert das Buhlen um die Aufmerksamkeit potentieller Kundschaft zum «Kleinen Krieg»: Guerilla-Marketing nennen es die Fachsprachler. Den nächsten Bunker aufsuchen müssen Sie trotzdem nicht. Die dicke Zigarre ist der Parisienne oder dem Nikotin-Pflaster gewichen, anstelle von weissem Rum wird Nespresso getrunken; einzig das Traktandum bleibt: die Planung von Überraschungseffekten und der strategische Kampf aus dem Hinterhalt. Auch dem subversiv-kubanischen Keller der 50er Jahre sind sie entstiegen, die modernen Guerilleros: Sie tagen im trendigen Sitzungszimmer einer x-beliebigen Firma oder Werbeagentur, tragen teure Sakkos und Turnschuhe, träumen nicht von Umsturz, wohl aber von der umsatzsteigernden, imagezuträglichen Kommunikations-Offensive per se. «Impossible is nothing» Guerilla-Marketing, so das Schlagwort, wurde gemäss Fachbüchern in den 60er Jahren in den USA entwickelt und anfangs vor allem von kleinen Unternehmen eingesetzt. Der Begriff bezeichnet eine «Strategie, bei der nichts ahnende Menschen spontan Werbebotschaften ausgesetzt werden», schreibt die Branchen-Zeitschrift Horizont. Eine weitere Klassifizierung wäre: Bei Guerilla-Marketing wird versucht, «mittels unkonventioneller Denkweise bei möglichst geringem Mitteleinsatz maximale Aufmerksamkeit zu erzeugen.» Einfacher: Mit ausgefallenen Ideen und wenig Kohle soll für möglichst viel Wirbel gesorgt werden – also frei nach dem Motto: Ein brillanter Einfall im Kopf ersetzt die Münze im Beutel. Zurück ins Sitzungszimmer. Nach dem fünfhundertsten Brainstorming werden die besten Angriffsmöglichkeiten skizziert. Letztere sind nicht immer brillant, mit Sicherheit aber durchs Band überraschend: «Wir setzen 3000 PlastikEntchen aus.» (Adidas) «Lasst uns 5000 Portemonnaies mit Hotelgutscheinen in der Stadt verstreuen.» (Luzern Tourismus) «Warum landen wir nicht ein UFO auf dem Paradeplatz?» (VBZ) «Lasst uns die Zürcher Brunnen zu "Woks" oder "Suppenschalen" umwandeln, indem wir überdimensionale Koch-Kellen reinstecken.» (Restaurant Hiltl) «Kommt, beschriften wir alte Strassenlaternen, Fahrstuhltüren, Parkbänke und weitere Objekte in der Innenstadt mit dem Hinweis 'Frisch gestrichen!'» (Schauspielhaus Zürich) Oder 'Man nehme: Dr. Oetker': «Drapieren wir Denkmäler mit napoleonischem Dreispitz und Trikolore-Schärpen.» Gesagt, getan, gebüsst Nicht nur die Schmuckbinden an den steinernen Herren sorgten für Scherereien: Derartige «Sonderbenutzungen» des öffentlichen Raums ohne Bewilligung sind hierzulande gesetzeswidrig. Manch waghalsige Aktion wird daher als «unbewilligter gesteigerter Gemeingebrauch» verzeigt. Der erwähnte Nahrungsmittelproduzent wurde zur Kasse gebeten, und auch Adidas, die VBZ sowie das Schauspielhaus mussten «tief» ins Portemonnaie greifen, um etwas Kleingeld fabrik TM rauszukramen: Letztere wurden mit jeweils ein paar hundert Franken gebüsst. Derartige Strafgelder sind überaus läppisch, bedenkt man die Verdutztheit potentieller Konsumenten und die Gratis-Werbung durch die Berichterstattung in den Medien bzw. die hohe Präsenz einer gelungenen Aktion. Einen sicherlich teureren Spass erlaubten sich ein paar Werber in den USA: Mit blinkenden Bombenattrappen wurde unlängst in verschiedenen Städten auf die Kultserie «Aqua Teen Hunger Force», die neuen Abenteuer eines sprechenden Milchshakes, einer Tüte Pommes und eines Fleischklopses, aufmerksam gemacht. Der Akzent lag bei der Aktion wohl zu sehr auf der Etymologie des Wortes Guerilla (urspr.: «Kleinkrieg») und zu wenig auf Marketing: Die Bevölkerung in Boston geriet regelrecht in Panik. Strassen, Brücken und Teile des Flusses Charles wurden gesperrt, polizeiliche Sondereinheiten zur Bombenentschärfung rückten an, zwei der Verantwortlichen wurden festgenommen. Dabei ist eines gelungen, zweifelsohne: Mittels unkonventioneller Denkweise wurde bei möglichst geringem Mitteleinsatz maximale Aufmerksamkeit erzeugt. Womit wir wieder bei der Definition von Guerilla-Marketing wären oder bei der Frage: Wie weit dürfen Werbe-Attacken gehen? Von wegen «Reklame-Pazifismus» In der Schweiz brauchen wir uns vor zu gewagten Spontanangriffen kaum zu fürchten. Nicht nur die Polizei rüffelt, kaum schwimmt ein künstliches Entlein zuviel im Teich, auch viele Firmen betrachten das Werben am Rande des Erlaubten als unseriös und bezichtigen die «Krieger» der billigen Effekthascherei. Nur gerade mal fünf Prozent aller Unternehmen setzen hierzulande auf «alternative Werbeformen» wie virales Marketing* und Guerilla-Massnahmen. Dabei entsprichts dem gängigen Credo, dass Werbung lauter ticken – sorry: schreien – muss, um überhaupt noch Gehör zu finden. Die Guerilleros sind überzeugt: «Offensiver, aggressiver», müsse sie sein, wolle man den Kampf gegen träge, reizüberflutete Konsumenten gewinnen. Sauteure TV-Spots und die Strassen-Tapezierung mit Plakaten im F4-/Weltformat bringen heutzutage niemanden mehr «zum Fall» und an die Kasse. Mit einer solchen Erkenntnis in einem jeden CEO- und/oder Werbeplaner-Ordner fragt man sich natürlich: Warum bleibt unser Volk weitgehend verschont? Und: Darf man dem (vermeintlichen) Frieden trauen? Vielleicht sind die meisten Unternehmen hierzulande tatsächlich überzeugte Reklame-Pazifisten und Paragraphenreiter, oder aber es mangelt an guten, unterhaltsamen Angriffs-Ideen. Denn wenn wir schon «out of the blue» attackiert und mit dämlichen Slogans gepeinigt werden, dann sollte es wenigstens bestes, bahnbrechendes «Infotainment» sein. Doch: Rein am friedsamen Geiste kann’s nicht liegen, denn auch die Schweiz hat Querdenker in Petto – einer trug sein Unternehmen gar revolutionär in die Öffentlichkeit, lange bevor der Begriff «Guerilla-Marketing» überhaupt erfunden war: «Dutti der Riese» flimmert derzeit nicht nur über die Kinoleinwände, der Gründer der Migros war auch ein äusserst populärer Kommunikator, der beispielsweise schon in den 1930er-Jahren Flugblätter über Zürich abwerfen liess (und – am Rande erwähnt – auch mal Steine gegen ein Fenster des Bundeshauses schmiss). Duttweiler war ein Hitzkopf und rauchte Zigarren, vielleicht lag’s daran. Oder am Kaffee – denn den produzierte er zeitweise gar selbst. Text: Andrea Keller * Unter dem Begriff Viral Marketing wird ein Konzept verstanden, bei dem Kommunikationsbotschaften von Unternehmen kostenlos verbreitet werden. Viral bedeutet «replizierbar» (Duden), und entsprechend setzt Viral Marketing auf die Idee der ansteckenden Nachricht, sprich: Mund-zu-Mund-Propaganda. NEUIGKEITEN AUS DEM JENSEITS BLEIB COOL MAN EINFACH UNWIDERSTEHLICH ERREICHEN SIE HÖHERE ZIELE ZWEI JAHRE DIE MICH WEITERBRINGEN SIE STEHEN IM MITTELPUNKT WILLKOMMEN IM WUNSCH PARADIES FÜR BEIDE SEITEN EIN GEWINN t r O t h c i N m a Wenn alles passier t Sind Einkaufscenter, Flughäfen, Highways Orte der Leere und Kulturlosigkeit? Aus Sicht der EthnologInnen, ja. Doch in Filmen verkörpern sie Ausgangs-, Kulminations- und Höhepunkt in einem. Strassen, Einkaufscenter, Tankstellen und Flughäfen sind die Bezugspunkte des modernen Lebens, und gleichzeitig sind sie jenseits von Geschichte, Identität und Beziehung. So zumindest die Theorie des französischen Ethnologen Marc Augé, dessen Werk «Non-Lieux, introduction à une anthropologie de la surmodernité» seit seiner Erscheinung 1992 immer wieder für Widerhall sorgte. Entgegengesetzt sind diesen Nicht-Orten die ethnographischen Orte, in denen die Geschichte mit der örtlichen Kultur und damit auch mit der Identität des Menschen verschmilzt. Eine Shopping Mall hingegen könnte überall stehen. Sieht man die immer gleichen Markennamen, die höchstens die Schriftzeichen wechseln und die stereotype Architektur, erkennt man nicht, ob man sich gerade in Brunei, Hong Kong, Johannesburg oder Spreitenbach befindet. Dasselbe in Luxushotels, Tankstellen, in Airport-Lounges und Duty-Free-Shops, auf Highways und in öffentlichen Verkehrsmitteln. In diesen Orten ohne direkten Bezug zur sie umgebenden Gesellschaft tritt der Besucher in eine Zwischenwelt des Transits und der kommerziellen Verdinglichung ein, trennt sich von einem Teil seines kulturellen Gepäcks, um es nach einem Schleudergang durch den Non-Place am Gepäckband oder Ausgangstür wieder in Empfang zu nehmen. In der Theorie von Marc Augé und bei denjenigen, die sich auf sie beziehen, schwingt bei der Nennung von Non-Places ein negativer Unterton mit. Im Non-Place verliert sich das Individuum in der Hypermodernität, verbindet sich Zeit, Raum und Bewegung zu einem rastlosen, von jeglichen Bezügen losgelösten modernen Dasein. Nicht-Orte werden als Sinn entleert, trostlos und unheimlich empfunden und in der bildenden Kunst auch so dargestellt. Umso interessanter ist deshalb die Tatsache, dass in Filmen Nicht-Orte meistens eine ganz andere Rolle spielen. Überall und nirgends zugleich So kulminieren die Ereignisse in ActionFilmen auf Highways in Form der obligaten Verfolgungsjagd. Selbst bei der auf Authentizität bedachten Bourne-Trilogie könnte die Moskauer Verfolgungsjagd des zweiten Teils überall spielen. Und im dritten Teil, «The Bourne Supremacy», ist ein Höhepunkt des Films, wie Jason Bourne einen Journalisten mit Hilfe eines Prepaid-Handys durch einen Bahnhof lotst, um ihn vor den Killern des CIA zu retten. Die Liste liesse sich beliebig fortsetzen, von «Midnight Run» mit seiner Jagd durch die USA bis hin zu «Speed», dessen gesamte Handlung sich ein einem öffentlichen Verkehrsmittel abspielt. Aber nicht nur in Action-Filmen werden die Karten in Non-Places neu gemischt, auch andere Genres wurden von diesen Orten inspiriert. Vielleicht liegt es daran, dass diese identitätslosen Orte die Fantasie beflügeln, indem unbegrenzte Zuschreibungen und Aufladungen möglich werden. Gleichzeitig vervielfältigt die Tatsache, dass Non-Places überall zugleich sein könnten, die emotionalen Andockstellen der ZuschauerInnen. So treffen beispielsweise die ProtagonistInnen des Episodenfilms «Love Actually» am Anfang und Ende des Films auf dem Flughafen zusammen, und in Steven Spielbergs «Terminal» spielt gar ein ganzes Märchen vom gestrandeten Immigranten (Tom Hanks) in einem Flughafen. Die Zwischenwelten, durch welche die Individuen befreit vom Ballast ihres Anhanges und ihrer Kultur, zu einem einzigen Zweck – sei es Konsum oder Transit – durchgeschleust werden, eröffnen das Feld der Möglichkeiten und lassen auch einmal Unglaubliches wahr werden. So treffen sich die gegensätzlichen Liebenden Juliette Binoche und Jean Reno in «Jet Lag» im Flughafen, und auch in «Lost in Translation» wird der gesichtlose Luxus eines Hotels zum Ort der Begegnung zwischen Bill Murray und Scarlett Johansson. Auch Earl (Jason Lee) aus der Fernsehserie «My Name is Earl» erlebt schicksalhaftes an einer Tankstelle. Er verliert sein Millionenlos, und beschliesst darauf, sein Leben in Ordnung zu bringen, in dem er die Untaten seiner Vergangenheit ausbügelt. Und zieht dafür in ein gesichtloses Motel, von dem aus das Karma über seine Zukunft entscheiden soll. Verbrüdernde Lebensfeindlichkeit In den Übergangswelten von Tankstellen, Hotels und Bahnhöfen kumuliert sich der Zufall, man begegnet sich auf seinem Durchgang nur einmal, und doch erlebt man, sobald man innehält, hunderte von kleinen Geschichten. In Mallrats wird ein Shoppingcenter zum einzigen Schauplatz eines ganzen Films, und damit der Erlebnisse der Freunde Brodie Bruce und TS Quint. In «Subway» und «Ladrones» spielen die wichtigsten Szenen in der U-Bahn, und der argentinische Film «Möbius» dreht sich sogar ganz und gar um die U-Bahn. Die Rahmenhandlung von «Persepolis» ist das Warten in einem Flughafen, und in «Central Station» begegnen sich die verbitterte ältere Briefschreiberin und der verwaiste Junge im Bahnhof, um sich danach auf eine Reise quer durch Brasilien zu machen. Damit hat dieser Film, wie alle Road Movies, den Transit und seine Stätten zur dominierenden Rahmenhandlung erhoben. Denn wer weiss, vielleicht ist es sogar auch schlicht die Lebensfeindlichkeit solcher Orte, welchen die Menschen zur Verbrüderung anhält. Verbringt man drei Stunden gestrandet an einem Busbahnhof, steigt die Wahrscheinlichkeit mit seinem Nächsten ins Gespräch zu kommen, anders als in einem idyllischen Park, in dem man sich auch alleine bestens verlustieren kann. Und so treffen dann die Versäumnisse der Hypermoderne in ihren geschichtslosen Stätten aufeinander und lassen das wahr werden, was durch sie verunmöglicht schien: Gemeinschaft, Beziehung, Liebe und Abenteuer. Text: Barbara Kunz, mit speziellem Dank an Fabio Feller / Les Videos Heisst das nich t Ehr engästin? Der Wahlkampf 07 hat nicht nur schärfere Töne mit sich gebracht. Mit der tourenden Bundesratsgattin Silvia, die aus ihrem Leben als «starke Frau dahinter» erzählt, wurde die Schweizer Politik endlich (?) auch um das lange Zeit tabuisierte Privatleben der Politiker erweitert. Es ist Mittwochabend vor den Wahlen in Heerbrugg, einem 2500-Seelenkaff im sanktgallischen Rheintal, tiefes SVP-Land. Am Eingang der Garage Eggenberger stehen zwei Kantonspolizisten mit Knopf im Ohr, wahrscheinlich, um potentiell gefährliche Chaoten abzuhalten, daneben SVP-Nationalrätin Jasmin Hutter, die Wahlkampfmaterial verteilt, Messer mit dem Aufdruck «Huttermesserscharf» - guerilla-marketing à la Balkankriminalität. Drinnen stehen die Leute bei Schinkengipfel und Rosé zwischen den neusten VW-Modellen und plappern vergnügt. Roland «Rino» Büchel, ein SVP-Kantonsrat und Fussballmanager, wuselt durch die Gegend, schüttelt Hände, schäkert mit Kollegen, dazwischen Toni «Strahlemann» Brunner, der mit eingefrorenem Grinsen sein bestes Wahlgesicht präsentiert. Einzig der Journalist vom Lokalfernsehen ist enttäuscht, weil der Ehrengast noch nicht da ist. «Heisst das nicht Ehrengästin?» fragt jemand und alle lachen. Das Publikum ist durchgehend weiss, übwiegend männlich und bebaucht. Einer scherzt: «Hier haben eh schon alle gewählt». Und es besteht kein Zweifel, für welche Partei. Dann, plötzlich, kommt grosse Aufregung in die Halle: Silvia ist da. Das heisst, eigentlich ist sie eben nicht da. Auf jeden Fall hat sie keiner gesehen. Sie sei schon ins Kino nebenan, wo der eigentliche Anlass stattfinden wird, der Vortrag, beziehungsweise das Gespräch zwischen Toni Brunner und eben ihr, der Übermutter einer Nation. Sylvia Blocher. Die Ehefrau allen Übels. Veranstalter Büchel wuselt davon, allerdings nicht ohne BaggerJasi noch einen Rüffel zu verpassen: «Wir haben doch gesagt, keine Giveaways heute!» Die Szene wechselt ins benachbarte Kino Madlen. Nicht ein SVP-typischer Ort, ein Kulturkino, das draussen im Schaukasten den deutschen Film «Schwarze Schafe» bewirbt. Die SVP scheints nicht zu stören. Schliesslich wollte Silvia keine grossen Auftritt in einem Festsaal, wie in der Einladung zu lesen ist, sondern sie wollte «dort sein, wo die Leute arbeiten, dort wo Menschen etwas für ihr Geld tun und wo man das auch sieht und spürt, dort, wo die Kultur gelebt wird.» Die Zuschauer nehmen Platz in den Kinsosesseln und warten. Silvia ist noch draussen und redet mit der Kamera, das Schweizer Fernsehen ist da und dreht einen Dok-Film über sie. Als sie den Saal endlich betritt, ein verhaltener Applaus, keine standing ovations, wie man erwartet hätte. Sie wirkt etwas nervös und vor allem überschminkt. Aus der Nähe sieht sie aus wie eine Schaufensterpuppe. Doch es geht immer noch nicht los. Erst eine kurze Ansprache von Rino Büchel, dann die grösste Überraschung des Abends: Das musikalische Vorprogramm bestreitet kein Volksmusikensemble und kein Jodlerchor, sondern drei vermeintliche Mitglieder der Kelly Family auf türkischen Flöten. Titel des Songs: «Die Liebe ist wie das Wasser zum Trinken.» Im Saal einiges an Kopfschütteln, aber man nimmt sich zusammen, schliesslich hat man lange gewartet, dass die «First Lady» auch einmal das SVP-treue Rheintal besucht. Schon immer gleichberechtigt Und dann endlich ist es soweit. Silvia und Toni, der als «einziger wirklich bürgerlicher Ständeratskandidat» vorgestellt wird, besteigen das Podium und machen es sich in ihren Sesseln bequem. Sie sei tatsächlich nervös, wird sie von Brunner geoutet, aber das könne er auch verstehen, man sei ja nicht alle Tage mit einem so attraktiven jungen Mann wie ihm auf der Bühne. Aber genug von ihm, die Leute seien ja wegen ihr gekommen, man wisse ja so wenig über sie. Und sie erzählt tatsächlich. Darüber, wie sie in Wald im Zürcher Oberland aufgewachsen sei, einer reichen Textilgemeinde, wo man gerne auf andere Dörfer herabschaute, wo das Brauchtum noch in Ordnung sei, wo zu Silvester die Männer als Chläuse und Söldner und Tells herumziehen und um Mitternacht den Rütlischwur nach Schiller zitieren. Das habe sie schon immer geprägt, erzählt sie, das und in der Zeit nach dem Krieg aufgewachsen zu sein, als man den Dingen noch Sorge hielt, den Kleidern und dem Essen und der Umwelt. Ihr Vater habe ein Tiefbauunternehmen gehabt, und ihre Mutter sei eine tüchtige Frau gewesen, die «lismete» und nähte und dreimal am Tag kochte, und sie habe «damals schon das Gefühl bekommen, dass Frauen wirklich gleichberechtigt waren». Den Christoph Blocher habe sie nach ihrem Austauschjahr in Middletown, Ohio, kenngelernt. Sie nennt ihn Christoph Blocher, nicht Christoph, nicht Chrigi. Er habe sie in der Badi angesprochen, erzählt sie, und lässt erahnen, dass das nicht selbstverständlich war. Denn immerhin war er ein zugezogener, ein fremder Fötzel, und dazu noch Bauer. Dementsprechend habe sie ihn auch behandelt, habe er ihr später erzählt, arrogant sei sie gewesen, und erst, als die beiden sich bei einer Zugfahrt vom Theater wiedertrafen, seien sie über Lessings Nathan der Weise ins Gespräch gekommen. Toni langweilt sich sichtlich, während sie spricht. Er ist sich nicht gewohnt, nicht im Mittelpunkt zu stehen, und immerhin hat er die Geschichten alle schon gehört. Wenn er kann, bringt er sich wieder ins Gespräch, zieht am liebsten Parallelen zu sich selber oder erzählt Witze wie: «Christoph Blocher und die Familie wandern auf die Ebenalp. Die Kinder fragen, wie lange das dauert, Christoph Blocher antwortet: Eineinhalb Stunden. Nach einer Stunde fragen die Kinder, wie lange es noch dauert. Christoph Blocher sagt: Eineinhalb Stunden. Die Kinder revoltieren: Papi, das hast du schon vor einer Stunde gesagt! Christoph Blocher antwortet: Kinder, eines müsst ihr euch merken. Ein SVPler ändert seine Meinung nie.» Die Geschichte kippt Bis zu diesem Zeitpunkt erzählt Silvia nicht von Politik, stattdessen die Geschichte, wie sie als Lehrerin arbeitete, um sich und ihren studierenden Christoph durchzubringen, «ganz zum Missfallen der Familie», und sie wird einem beinahe sympathisch. Eine starke Frau, die ganz im Gegensatz steht zu dem Bild, das die SVP sonst gerne kommuniziert. Doch dann kippt die Geschichte. Nach der Heirat die Politik. Und ab hier geht es nicht mehr um sie. Es geht nur noch um Christoph. Als ob man über den nicht schon genug wüsste. Über sein erstes lokalpolitisches Engagement in Meilen, über seine Wahl zum Kantonsrat, Nationalrat, Bundesrat. Über seinen Kampf gegen die Europäische Union. Darüber, wie er hatte leiden müssen, wie er in den Medien dargestellt wurde. Und darüber, wie sie ihm in all der Zeit nicht nur immer den Znacht gemacht habe, sondern auch seine Auftritte geplant. Jetzt könne sie das nicht mehr, dafür gebe es im Bundesrat Stabsstellen. Also das kochen schon noch, deswegen habe sie ja eine Wohnung in Bern gesucht, damit sie für ihn am Mittag kochen könne, während er sich einsetze für unsere Schweiz, unsere Werte, unsere Freiheit. Applaus. Jetzt sind sie da, die Standing Ovations. Dann darf das Publikum Fragen stellen. «Ganz besonders kritische», wie der Veranstalter noch betont hatte. Doch es wird nichts daraus. Eigentlich kommen gar keine Fragen, nur Anmerkungen. Eine ältere Frau gibt ihr Ratschläge für Christoph mit. Ein lokaler EDU-Nationalratskandidat betet für Blochers Wiederwahl, da er gesehen habe, dass das Wort Gottes in dieser Familie wirklich gelebt werde. Vierzig Jahre ohne Scheidung sei heute ja leider eine Selternheit geworden. Silvia verschweigt natürlich, dass sich eine ihrer Töchter hat scheiden lassen von einem Appenzeller Pfarrer. Und dann doch noch eine Frage: Was sie denn machen würde, wenn sie selber in die Politik ginge? «Also, ich würde die Missbräuche bekämpfen, jetzt, wo man endlich darüber reden darf, in den Sozialwerken und beim Ausländerproblem allgemein. Und, also, das mit den Krankenkassen müsste man schon mal regeln, denke ich.» Wieder Applaus, dann Photos. Büchel, Toni und Silvia posieren. Alle lächeln. Nur Bagger-Jasmin steht beleidigt daneben, weil der Rino sie vorher so «aapfurret» hat. Text: Etrit Hasler Bin ich doch blöd? Mit Angst gegen die Öffentlichkeit Interview mit Daniele Jenni Je Der öffentliche Raum wird nicht nur verkauft, sondern ist mit Wegweisungen und Überwachung auch Hauptobjekt der nächsten Sicherheitswelle. Ein Gespräch mit Daniele Jenni zeigt Parallelen auf. Sie haben die Wegweisung angesprochen. In Zürich wollte die Regierung ja eine Formulierung, die es ermöglicht hätte, Menschen ausdrücklich aufgrund ihres Aussehens wegzuweisen. FaZ: Herr Jenni, sie beschäftigen sich schon seit Jahren mit dem Kampf um die Nutzung des öffentlichen Raumes, der zunehmend härter geführt wird. Wie kommt das? Soweit sind wir in Bern zum Glück noch nicht. In Bern wie auch in den anderen Städten, die eine Wegweisung kennen, braucht es mindestens noch einen Verdacht, dass jemand die öffentliche Ordnung stören könnte. Aber grundsätzlich läuft das natürlich auf das Gleiche heraus. Die subjektive Angst des Bürgers wird zunehmend gesteigert und konzentriert sich auf Menschen, die nicht konform aussehen. Und die Zürcher Formulierung ist da die logische Konsequenz dieser Geisteshaltung. Daniele Jenni: Der Druck, neue Räume für die geschäftliche Nutzung zu erschliessen, wird immer stärker. Ganz im grossen betrachtet gehört das zur gleichen Tendenz wie die Privatisierung von natürlichen Ressourcen wie Wasser oder Luft. In einem Wirtschaftssystem, in dem alle anderen Dinge und Märkte schon angeeignet sind, holt man sich jetzt, was noch nicht vergeben wird. Dazu gehört auch der öffentliche Raum, der bisher eigentlich Allen gehörte. Ist das also einfach eine natürliche Folge der Globalisierung? Es ist einfach ein Grundgesetz der gegenwärtigen kapitalistischen Wirtschaftsordnung: Um weiterhin Gewinne zu erzielen, muss die Wirtschaft immer mehr Bereiche absorbieren. Das ist aber, wie gesagt, sehr im Grossen betrachtet. Im Kleinen betrachtet, verbinden sich hier mehrere Dinge. Da ist einerseits die wirtschaftliche Tendenz, den öffentlichen Raum zu sterilisieren, um eine konsumfreundliche Stimmung zu schaffen. Menschen und Aktivitäten, welche eine solche Stimmung stören könnten, werden weggewiesen im Namen einer zweifelhaften Cityhygiene. Andererseits ist da aber auch ein zunehmendes Bedürfnis nach Sicherheit und Überwachung im öffentlichen Raum, das damit einhergeht, obwohl es grundsätzlich ganz woanders herkommt. Die Leute haben zunehmend angst, sei das um ihren Arbeitsplatz, sei das um ihre Lebenshaltung oder dem Klimawandel. Das wird dann umgelenkt in Forderungen nach mehr Sicherheit und Überwachung im öffentlichen Raum, wie das derzeit gerade zum Beispiel in St.Gallen diskutiert wird. Gibt es da einen Zusammenhang? Wird das Unsicherheitsgefühl nicht gerade dadurch ausgelöst, dass die Leute nicht mehr über Dinge, die eigentlich ihnen gehören, verfügen können? Es ist durchaus denkbar, dass ein Teil der Angstgefühle daher stammt, dass ihnen der öffentliche Raum zunehmend weggenommen wird. Dieses Gefühl wird dann umgelenkt von den eigentlichen Wegnehmern, also den kommerziellen Nutzern des öffentlichen Raumes, auf diejenigen, die sich darin aufhalten, die dann als Sündenböcke herhalten müssen. Da tauchen dann natürlich auch politische Parteien auf, die Ängste beackern, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Sie haben vorher auf die SVP angespielt. Interessant war ja, dass sich in Zürich ausgerechnet diese Partei gegen die scharfe Formulierung gewehrt hat. Das stimmt, da kam bei einzelnen Vertretern der Anti-Staats Reflex hoch, was dann dazu geführt hat, dass der SVP Sekretär Zürich in der WOZ Rosa Luxemburg zitierte. Aber verallgemeinern kann man das nicht. In St.Gallen hat sich die SVP weder gegen die Wegweisung noch gegen die Videoüberwachung gewehrt. Und jetzt, wo auf nationaler Ebene die Ausweitung des Hooligangesetzes auf Demonstrationen geprüft werden soll, ist die SVP ganz vorne mit dabei. War denn das nicht ohnehin vorgesehen? Es handelt sich dabei ja um das Gesetz zur Wahrung der inneren Sicherheit, also ein eigentliches Anti-Terrorgesetz. Natürlich, aber das ist verfassungsrechtlich sehr fraglich. Dass die heiklen Paragraphen des BWIS nur auf Sportveranstaltungen anwendbar sind, war eine Anfangskonzession, um politische Mehrheiten zu finden. Sowohl die Datenbank aber natürlich auch die Präventivhaft, die jetzt ja eben auch für Kundgebungen diskutiert werden soll, sind rechtlich sehr fragwürdig. Da stösst man nicht nur bei der Menschenrechtskonvention, sondern gerade auch bei der Bundesverfassung an Grenzen. Dementsprechend gab es ja auch schon bei der Einführung des Gesetzes grossen Widerstand. ...der in sich zusammenbrach nach den Ausschreitungen beim Meisterschaftsfinal in Basel. Der ging schon noch weiter. Es lag nicht nur an dem Vorfall in Basel, dass das Referendum nicht zustande kam. Der Grund war mehr, dass die Bewegung grossteils aus Leuten bestand, die erst durch den Referendumskampf politisiert wurden, denen einfach noch die Erfahrung fehlte, das durchziehen zu können. Trotzdem, das war ein gutes Beispiel dafür, dass es nur einen einzigen Anlass braucht, um die Grundrechte über Bord zu werfen. Was in Amerika mit 9/11 passiert ist, könnte hier nach den Vorfällen von Bern genauso passieren. Aber gerade das Beispiel Amerika zeigt, dass man zu schnell zu weit gegangen ist. Der Patriot Act kommt mehr und mehr unter Beschuss. Der Security Trend ist gerade in Amerika wieder abgeschwächt, weil man die Folgen gesehen hat. Und in der Schweiz ist das Bewusstsein noch da, dass die Grundrechte sich nicht daran messen, wie genehm sie gerade sind. Ich habe an diesem Samstag in Bern festgestellt, dass da Sympathien aus allen Schichten vorhanden sind, am Fest des Schwarzen Schafs und bei den Blockaden waren viele Leute, die man sonst nicht an Kundgebungen sieht. Und entgegen den Reaktionen in den Medien habe ich persönlich viel positive Rückmeldungen erhalten. Ein Rechtsstaat hat nicht die Möglichkeit und nicht das Recht, für totale Sicherheit zu sorgen, und das ist in der Schweiz noch nicht ganz in den Köpfen drin. Sie haben aber auch Unverständnis geerntet. Sogar Ruth Genner, die Präsidentin der Grünen hat sich von Ihnen distanziert. Das stimmt, hängt aber nicht mit mangelndem Sinn für Grundrechte zusammen. Die Reaktionen, die von fast allen Parteien kamen, sind wieder nur Ausdruck dieser Angsthaltung vor der SVP, dass man nichts gegen die machen darf, weil das denen am Ende nur nützt. Man sitzt dann da wie ein Kaninchen vor der Schlange und schaut zu, wie alles immer noch schlimmer wird. Ich teile diese Haltung nicht, und das war auch der Grund dafür, dass wir den Marsch auf Bern nicht einfach hinnehmen wollten. Verzeihung, jetzt sind wir doch noch auf Bern zu sprechen gekommen. Ich wollte das eigentlich vermeiden, aber es gehört wohl doch zusammen: Hat die Privatisierung des öffentlichen Raumes – wie zum Beispiel an einem Bahnhof - eine Konsequenz auf politische Äusserungen wie Kundgebungen, aber auch Wahlwerbung und Unterschriften sammeln? se e l t tz n! Aber wegen den Vorfällen vom Samstag wird es jetzt wieder einen neuen Anlauf geben. Ach, davor habe ich keine Angst. Das ist rechtlich einfach nicht machbar. Wir haben ja schon mildere Formen von Demonstrationsverbot gekippt, wie zum Beispiel den Versuch, die Spital- und Marktgasse für Kundgebungen zu sperren. Die Grüne Partei Bern-DA und die Demokratischen JuristInnen haben das angefochten und recht bekommen. In Bern ist derzeit aber noch eine andere Privatisierung des öffentlichen Raumes in der Pipeline, die Ausdehnung der Bahnhofsordnung. Genau, damit würden alle möglichen Dinge im städtischen Teil des Bahnhofs verboten werden, so wie Unterschriften sammeln und demonstrieren, aber auch sitzen und liegen auf Treppen, wo sie das im SBB-Teil des Bahnhofs schon der Fall ist. Der Gemeinderat wollte das ja schon vor zwei Jahren mit einem richterlichen Verbot machen und hat kurzerhand eine Tafel montieren lassen. Wir haben mit einer Gruppe aus 30 Institutionen Einsprache gemacht und recht bekommen, die Tafel ist zwar noch da, hat aber keine rechtliche Relevanz. Unser Argument war, dass das im öffentlichen Raum nicht möglich sei, ohne dass dafür eine rechtliche Grundlage existiere. Das hat die Stadtregierung jetzt anerkannt und wird das Geschäft voraussichtlich nächstes Jahr ins Parlament bringen. Und da wird es nicht einfach nur durchgewunken? Das glaube ich nicht. So eine Debatte im Parlament bringt schon einiges, denn wir haben einige Kräfte im Stadtrat, wie zum Beispiel die Grüne Freie Liste, die zwar für solche Einschränkungen sind, aber die es sich mit ihrer Basis verscherzen würden, wenn sie sich da immer weiter aus dem Fenster lehnen. Interview: Etrit Hasler Absolut, und da sind es eben nicht nur die nicht-konform Aussehenden, die Randständigen, die es trifft, sondern da wird ganz generell die Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit abgeschafft. Und da kommen dann plötzlich die diversen City-Verbände ins Spiel, die alle schon seit Jahren jammern, wie ihnen da das Geschäft verdorben wird und die am liebsten gleich jegliche Kundgebung verbieten würden. Hier in Bern haben wir zum Glück einen grossen, gut strukturierten Widerstand, sowohl parlamentarisch als auch ausserhalb. Das Anliegen, Demos zu verbieten, ist bisher immer gescheitert. ROTE FABRIK Die Zeitung der Roten Fabrik | November Ausgabe 236 9 Choreographierte Realität Öffentlichkeit wird inszeniert, von Bern bis New York. Das heisst nicht, dass sie damit an Bedeutung verliert, ganz im Gegenteil. Gerade der Wahlkampf, hier wie da, arbeitet zunehmend mit den Mitteln der Fiktion. Erstaunliche Tage in Amerika. Es war ein Samstag im Oktober. Dämmerung. Wir sassen wie schwarze Vögel auf unseren Brettern, draussen auf dem Pazifik, und predigten die politische Endlösung Kaliforniens: Einfach schaukeln und auf Wellen warten. Dann kam die Wahnsinnsmeldung. Aus Bern. Per SMS. Und das Schaukeln auf dem Brett hörte einfach auf. Tinu meldete sich aus der Münstergasse: Strassenschlacht! Polizei marschiert auf gegen Hunderte von Autonomen. Berner Bundesplatz in der Hand des «Schwarzen Blocks»! Freunde marschieren auch mit. Sind die verrückt geworden? Viel schlimmer noch: Die verdammte SVP wird von den Krawallen profitieren, meint Tinu. «Jetzt steht sie als Opfer da....!!!» Es war eine in jeder Hinsicht erstaunliche Meldung an jenem wellenlosen Samstagnachmittag. Am Sonntag berichten New York- und LA Times über «guerilla-ähnliche Verhältnisse in der Hauptstadt der Schweiz». Was in den Kommentaren besonders auffällt, ist wie immer der besondere Spin. Fast nostalgisch klingt zum Beispiel der Versuch eines Kolumnisten, den Hintergrund der wilden Strassenschlacht im Zentrum europäischer Finanzmacht und demokratischer Vorbildnation zu analysieren. Der neue Volkssport unter den Schwarzen Blöcken der USA sei doch längst die «Simulation in Jackassmanier», schrieb der politische Kommentator der Los Angeles Times, ganz Neil Postman: amerikanische Jugendliche würden sich auf You-Tube zu Tode amüsieren - und damit demokratische Werte aufs Spiel setzen während im Finanzparadies Schweiz die Kinder immer noch auf der Strasse ihr revolutionäres Bewusstsein ausdrücken würden. Internet und Fernsehen hätten längst eine Mauer der Nichtauthentizität zwischen der Jugend und der Welt errichtet. Die «Vermummten» der USA seien bloss noch You-Tube-Prominente oder heiliggesprochene Blogger. Wow! Seit wann regt sich eine amerikanische Mainstream-Zeitung über ihre Jugend auf, die nicht auf die Strasse geht? Wünscht sich das neue Amerika, nach «Choreographierte Realität» hat es Friedensnobelpreisträger Al Gore und einer möglichen Frau im Weissen Haus, mal ein Schweizer Künstler namens Tom jetzt etwa auch noch ein bisschen Rote- Skapoda genannt, der 1984 in Berlin mehrere scheinbar sinnlose BrandanArmee-Fraktion-Action? schläge verübt hatte. Skapoda sprengte während vier Tagen drei Fahrzeuge in Die perfekte Entlarvung der Innenstadt von Berlin in die Luft, Es sind erstaunliche Tage in Ameri- niemand kam zu Schaden, die Wagen geka. Und die Anarchie findet ganz wo- hörten ihm selber, aber für Tage waren anders statt: In der Simulation! Keine die Zeitungen voll von Anschuldigungen zwei Wochen waren vergangen, seit der und Mutmassungen über eine neue RAF. Student Andrew Meyer bei einer Podi- Ein von Skapoda gefälschtes Tagebuch umsdiskussion der Universität Florida eines RAF-Aussteiger in einer Sleeper den Ex-Präsidentschaftsanwärter John Zelle wurde gefunden und provozierte Kerry ins Kreuzverhör nahm, worauf er neue Spekulationen in der Presse. Bürvon Polizisten abgeführt und mit Elek- germeister Diepgen drohte der Vertrautroschocks schmerzlich traktiert wurde. ensentzug in der eigenen Partei. Kamen 24 Stunden später war der Vorfall in aller die Anschlage von Rechts oder Links? Munde, und Meyer durchlief alle Kate- War es die Neue RAF, und wenn nicht, gorien, die eine junge Medienpersön- dann was? Später setzte Skapoda am lichkeit mit kurzer Halbwertszeit dieser Potsdamer Platz die Berliner Mauer in Tage so absolviert: Er wurde Held bei Brand, der Spiegel widmete dem AtYouTube, Protagonist bei CNN, Diskus- tentat zwei Seiten, in den Tagesthemen sionsgegenstand in Netz-Communities. spekulierte Alt-Bundeskanzler Helmut Dort wurde er mal zum Helden hoch- Schmidt über mögliche Hintermänner gejazzt, als Opfer greinend bedauert, aus Polen. Die choregraphierte Wirkals Spinner und Angeber verunglimpft. lichkeit fand einige Jahre später als ViSieht man sich den dreieinhalbminütigen deokunst Zugang in die Museen und von Videomitschnitt aus dem Hörsaal, in «Skapoda» aus Bern war nie mehr was dem sich Meyer am vergangenen Montag zu hören. Aber das ist eine ganz andere erst mit Kerry, dann mit den Polizisten Story. Ob Meyer, Skapoda, Sacha Baron anlegte, genauer an - dann erkennt man Cohen oder die vielen Anderen - die sein wahres Talent sehr schnell. Meyer höchsten Anforderungen an einen im ist ein «Prankster», ein Scherzkeks in Zeitalter medialer Allgegenwärtigkeit «Jackass»-Manier, der medienträchtige aufgewachsenen jungen Menschen erZwischenfälle gezielt inszeniert und si- füllen sie alle mit Bravour. muliert. Die Simulation ist sein HandVon dada zum werk und Baudrillard sein heimlicher Stock Exchange Gott. Von der Sorte Meyer gibt es mittlerweilen viele. Eine Armee von kame«Fuck the System» kann nicht mehr rabewaffneten Provokateuren, die sich der «Simulation» bedienen, tummeln Strassenschlacht bedeuten. Damit wird sich agressiv genau dort, wo heute die so- dem Feind geholfen (Das wusste schon genannten Qualitätsjournalisten nette, die dada-Bewegung vor über achtzig brave Fragen stellen. Diese Leute wollen Jahren). Die 68er nutzten ihre Spontiselbst ins Rampenlicht. Die Entwicklung Spässchen zur Unterwanderung der von Alter Egos gilt als ihre liebste Waffe. Mächtigen und zur unblutigen RevoluDer subversive Humor dieser Leute be- tion genau so wie Ken Kesey - der gesteht darin, dass andere von der Fiktio- nialste Scherzkeks Amerikas. Seine nalität ihres Charakters nichts wissen, «Merry Pranksters» operierten im Stil und dass sie mit provokativen Fragen und von Fluxus-Künstler und setzten eine Handlungen den Habitus, die sozialen ganze politische Bewegung ins Rollen. Normen und Werte der Interviewpart- Nur so liesse sich, meinte Kesey, die ner offenlegen. Sacha Baron Cohen hat Rechte, das Kapital oder - meinetwegen es mit Ali G. und Borat vorgemacht. Da- - das Wahrheitsmonopol der Medien von durch, dass er selbst zum Beispiel anti- «unten» durchlöchern. Und dann gab es semitisch oder rassistisch auftritt, nimmt ja noch Abbie Hoffman. Während des er Menschen ihre Hemmungen, ihre ei- Vietnam-Krieges war er einer der legengenen Vorurteile zur Schau zu stellen, därsten Kriegsgegner und Prankster. Er unabhängig davon, ob es sich dabei um eigenen Antisemitismus oder die Akzeptanz fremden Antisemitismus‘ handelt. Die perfekte Entlarvung. benutzte bewusst komödiantische und theatralische Taktiken, wie zum Beispiel die einer Massendemonstration, in der über 50.000 Personen versuchten, das Pentagon mittels Psychokinese schweben zu lassen. Er vermittelte eine Protestkunst - Hört her, ihr schwarzen Blöcke! - die den tierischen Ernst kritisierte, welche die politische Realität über die Menschen verhängt hatte. Einer seiner cleversten Proteste fand am 24. August 1967 statt: Er leitete eine Gruppe durch das Gebäude des New York Stock Exchange, um u.a. gegen den Kapitalismus zu demonstrieren. Sie warfen von der Galerie aus Hände voll Dollarscheinen auf die sich darunter befindenden Börsenhändler. Diese bemühten sich, soviele Scheine wie möglich in ihren Besitz zu bringen. Hoffmans Protest sollte - klingt so wunderbar naiv aus heutiger Sicht - metaphorisch hervorheben, was die NYSE-Makler seiner Meinung nach sowieso schon laufend taten. Und so war die Schlacht von Bern für die Printmedien hierzulande ein willkommenes Thema, um auf ein mögliches Comeback des Politischen zu verweisen. Dabei sollten die kommenden US-Präsidentschaftswahlen ein besonderes Vergnügen für Prankster, JackassAnarchos, Borat-Kopisten und You-Tube-Rebellen werden. Aber auch für den Charaktertyp des genialen Versagers, der sich immer wieder in der Rolle des subversiv operierenden Anarcho grosses verdient hat. Wir kennen ihn alle. Den Underachiever, der alles besser weiss weil er es besser weiss! Und der gerne mal versuchen möchte, etwas Grosses zu machen, ein Anderer zu sein - und es vielleicht doch nie macht. Dabei werden heute dem Ersatz-Ich des Versagers die besten Bedingungen aller Zeiten geboten. Jeder kann alles! Jeder kann alles bewegen! Oder, wie wir mal in den 80er Jahren an die Wände der UBS am Bubenbergplatz gesprayt hatten: JETZT UND ALLES! Vielleicht war die amerikanische Presse darum so angetan von der kleinen Berner Anarcho-Schlacht. Noch nie hat im amerikanischen Bewusstsein das politsche Handlen einen geringeren Status gehabt als heute - trotz Gore, Brad Pitt, Angelina Jolie, oder dem Liebling des deutschen Feuilleton: George Clooney. Noch nie liessen sich die Amerikaner stärker von Äusserlichkeiten täuschen und von Klischees versklaven. Das Ego bewegt sich am Rande seiner Selbstauflösung. Erst hier, auf den Wellen des Pazifik, mit Blick Richtung Malibu, wird deutlich, dass der Schein der PR-Politik genauso nicht mehr tragbar ist wie der Pseudo-Strassenkampf eines Schwarzen Blocks, weil er nur noch lächerlich geworden ist, so grotesk wie ein missglückten Face-lifting in Malibu. Choreographierte Realität Öffentlichkeit wird inszeniert, von Bern bis New York. Das heisst nicht, dass sie damit an Bedeutung verliert, ganz im Gegenteil. Gerade der Wahlkampf, hier wie da, arbeitet zunehmend mit den Mitteln der Fiktion. Text: Tom Kummer Seite 15 Seite 9 Der Countdown läuft Nicht einmal mehr 10 Monate bis zur Fussball-EM. Während in allen Städten UBS-Fanmeilen geplant werden, versucht Winterthur seinen eigenen Weg zu gehen – und wird prompt von SVP und PdA bekämpft. Seite 10 schnauzpart vs. sixpack Mit massiven Werbekampagnen versuchen die Auskunftsdienste 1811 und 1818, die Nachfolge des «Hundertelfi» anzutreten. Nur spielt es im eigentlich keine Rolle, welche Nummer wir wählen. Seite 11 Die ROCKFABRIK Der Kampf der Roten Fabrik um Akzeptanz ist seit ihren Anfängen eng mit dem Kampf für die Akzeptanz von innovativer Rockmusik verbunden. Beides ist heute selbstverständlich – mit Letzterem lässt sich mittlerweile sogar richtig Geld verdienen. Seite 11 VIVA st.pauli Der Totenkopf des FC St. Pauli beweist: Es ist es möglich aus einem linkspolitischen Image durch dessen Vermarktung Kapital zu schlagen. Seite 12 Zynismus ist ein lifestyle Der amerikanische Songwriter Vic Chesnutt spielt auf seinem neuen Album «North Star Deserter» genau das, was sein bester Kollege von ihm wollte. Wie es dazu kam und warum er sich für seine Version eines Nina-Simone-Songs schämt, erzählt er im Gespräch mit der FaZ. Seite 15 UNERHÖRT! 22. - 28. November 2007 Ein Zürcher Jazzfestival Hier werden Sie gewählt Harry Hustler und die SVP Wahlhotline Seite 16 Die Zeitung der Roten Fabrik | November Ausgabe 236 10 Die Zeitung der Roten Fabrik | November Ausgabe 236 11 Der Countdown läuft Nicht einmal mehr 10 Monate bis zur Fussball-EM. Während in allen Städten UBS-Fanmeilen geplant werden, versucht Winterthur seinen eigenen Weg zu gehen – und wird prompt von SVP und PdA bekämpft. Wir haben die Bilder von 2006 noch frisch im Kopf: Strassenzüge voll mit Menschen, Fanarenen bis zum letzten Platz gefüllt mit Fussballfans, die keinen Platz mehr in den Stadien fanden und stattdessen die WM-Spiele in Public Viewing Areas verfolgten. Dass das in ähnlichem Stil auch auf die Schweiz zukommt, daran zweifelt niemand: Nicht nur sind unsere Stadien um einiges kleiner als ihre deutschen Gegenstücke, sondern alle verfügbaren Tickets sind seit dem 31. März 2007 schon restlos ausverkauft. Damit die tausenden von ansässigen und zugereisten Fussballfans trotzdem nicht ganz leer ausgehen, soll es auch bei uns Public Viewing Arenas geben, und für diese zeigt sich freundlicherweise gleich ein ganz grosser Sponsor verantwortlich: niemand anders als die UBS, welche nach dem Hauptsponsoring des nationalen Schwingerfestes in Aarau nun auch etwas für den Fussball tun will, nicht zuletzt, um ihrer Konkurrentin Credit Suisse, welche als Hauptsponsor für die Nationalmannschaft auftritt, eins auszuwischen. In 17 Schweizer Städten quer durch die Schweiz verteilt – so z.B. in Biel, Lugano, Nyon und Glarus – sollen sogenannte UBS-Arenen entstehen, vom Sponsor stolz als «das fünfte Schweizer Stadion» bezeichnet. Hier sollen bis zu 10’000 Plätze geboten werden vor hochauflösenden LED-Bildschirmen, mit «bester Beschallungstechnik» sowie «reichhaltigem und breitem Gastronomieangebot» - sprich Fussball in bester Qualität mit Bier und Bratwurst gleich dazu in den benötigten Riesenquantitäten. Klingt doch super. Wer könnte da schon etwas dagegen haben? alles ein bisschen anders Die Antwort ist nicht ganz einfach: Irgendwie Winterthur. In der kleinen Zürcher Fussballstadt hatte schon ein Jahr vor der Ausschreibung der UBS-Arenen SP-Gemeinderat Nicolas Galladé nachgefragt, wie die Stadt Winterthur gedenke, von der EM08 als Nicht-Spielort zu profitieren. Schnauzbart gegen Sixpack Privatisierte Auskunftsdienste Der Stadtrat kam zum Schluss, dass Winterthur tatsächlich einiges zu bieten hätte, sowohl Fussballtechnisch wie auch kulturell, und beschloss, sich nicht nur auf eine UBS-Arena mit Fanmeile einzulassen, sondern gleichzeitig noch der lokalen Kulturszene eine Plattform zu bieten. Ausgearbeitet wurde ein Rahmenkredit von stattlichen 1.6 Millionen Schweizer Franken, welcher für die Finanzierung diverser Dinge reichen sollte, unter anderem die UBS-Arena, aber auch eine Fanmeile mit kulturellem Rahmenprogramm und diversen Bühnen, auf denen sich lokales und zugewandtes Kulturschaffen präsentieren könnte. «Der Stadtrat hat sich gesagt, wenn wir schon ein Public Viewing wollen, dann etwas besonderes. In Deutschland hat man sehr positive Erfahrungen gemacht mit Rahmenprogrammen, die in der Nähe sind und das lokale Gewerbe wie auch die Kultur mit einbeziehen», erklärt Stadträtin Pearl Pedergnana. «Die Idee war, dass die Zuschauer aus der Viewing Arena auf dem Wachter-Areal nach dem Schlusspfiff in die Reithalle gegenüber gehen und da noch ein Konzert oder eine Lesung geniessen. Das ist viel sinnvoller, als wenn 8‘000 Leute direkt nach Schlusspfiff auf die Strassen strömen.» Von diesen Argumenten war der Gemeinderat allerdings nur halbwegs überzeugt, und Widerstand kam gleich von allen möglichen Seiten. Die SVP war dagegen, weil sie eine Verbindung von Kultur und Fussball für sinnlos erachtete. «Die Fussballfans kommen wegen dem Fussball nach Winterthur. Die schauen die Spiele, trinken Bier und ziehen nach dem Match weiter, um weiter zu trinken. Die interessieren sich doch nicht für Kultur», meint Fraktionschefin Christa Kern. Und sowieso sehe sie nicht ein, wieso bereits subventionierte Institutionen noch einmal Geld erhalten sollen. Doch nicht nur die SVP, sondern auch die Mitteparteien konnten sich mit dem Projekt nicht so recht anfreunden. Der Kredit wurde auf fast die Hälfte zusammengekürzt - unter anderem fielen den Kürzungen die Kleinbühnen auf der Fanmeile zum Opfer - und im Hinblick auf ein von der SVP angedrohtes Referendum gleich auch noch in zwei Teile aufgeteilt: Die UBS Arena mit Fanmeile soll mit 665‘000 Franken einerseits, das kulturelle Rahmenprogramm in der Reithalle mit 250‘000 Franken andererseits finanziert werden. Hintergrund der Aufteilung der Gelder war die Idee, dass bei einem Referendum wenigstens die Viewing Arena gebaut werden könnte, auch wenn das Kulturprogramm gekippt würde. nicht auseinander dividieren Wie angekündigt ergriff denn die SVP auch das Referendum, und wie zum Trotz tat es ihr die PdA gleich, wenn auch umgekehrt: Sie ergriff kurzerhand das Referendum gegen die UBS-Arena mit dem Argument, es gäbe keinen Grund, einen privaten, kommerziellen Anlass mit Steuergeldern zu unterstützen. Nun stimmt das Winterthurer Stimmvolk am 25. November über beide Kredite ab, nur eben getrennt, was zur Folge haben kann, dass nur eines der beiden Projekte zustande kommt. Wobei das kulturelle Rahmenprogramm nur als Zusatz und nicht ohne die Arena gedacht werden kann. «Die Kultur ist dabei natürlich viel gefährdeter,» wirft Nicolas Galladé ein. «Es ist sinnlos, das eine gegen das andere auszuspielen, sonst stehen zum Schluss alle mit abgesägten Hosen da.» Und AL-Gemeinderat David Berger schlägt in eine ähnliche Kerbe: «Das grösste denkbare Debakel wäre eine UBS-Arena ohne Kultur. In Winterthur gehört das einfach zusammen, und es beweist nur, dass die SVP vom lokalen Fussball keine Ahnung hat, wenn sie behauptet, die Leute kämen nur wegen dem Fussball und dem Saufen.» Das beweist auch die Tatsache, dass am Tag nach dem Gemeinderatsentscheid die verschiedenen Fussballvereine unabhängig voneinander gegenüber dem Winterthurer Landboten signalisierten, dass die beiden Vorlagen zusammengehörten. «Wir lassen uns nicht auseinander dividieren,» erklärte FC Winterthur-Geschäftsführer Andreas Mösli stellvertretend. Doch nicht nur die Fussballvereine, auch die lokale Kulturszene mobilisiert für die beiden Vorlagen. Ein breites Kommitee aus verschiedensten Institutionen, darunter so etablierte wie das Musikkollegioum und das Casinotheater, aber auch alternative wie Gaswerk, Kraftfeld und Salzhaus, haben sich im Verein Fussballkultur Winterthur zusammengetan, um mit dem Slogan «Ohne Kultur kein Spass» für ein zweifaches ja an der Urne zu werben. Stadträtin Pedergnana ist begeistert ob der Initiative: «Es ist unglaublich spannend zu sehen, was das Referendum bei den Kulturinstitutionen ausgelöst hat. Wir haben hier ein schweizweit einzigartiges Projekt, das Leute aus der Kultur zum Fussball bringen kann und umgekehrt. Die Referenden spielen bloss mit den Emotionen der Unzufriedenen: Globalisierungsgegner, die gegen die Grossbank UBS stimmen wollen, Leute, die ganz generell gegen Fussball oder die Euro 08 sind und zum Schluss noch die SVP, die ihrer Tradition entsprechend gegen alles Kulturelle ist.» Natürlich hofft sie auf ein doppeltes ja an der Urne: «Das ist eine Chance, die sich uns in den nächsten zehn Jahren kaum wieder bieten wird. Ein Fest für alle.» Text: Etrit Hasler weitere Informationen: www.fussballkultur.ch Abstimmung: Am 25. November stimmt das Winterthurer Stimmvolk über die UBS-Arena mit Fanmeile sowie über das kulturelle Rahmenprogramm an der Urne ab. Der Verein Fussballkultur, dem diverse Institutionen wie Albani Music Club, Casinotheater, Kraftfeld, Kulturzentrum Gaswerk, Salzhaus, Musikkollegium, Musikfestwochen und Salon Erika angehören kämpft für ein zweifaches ja und startet am 2.November im Albani ab 20 Uhr mit einem ersten Kulturanlass in den Abstimmungskampf. Die Rockfabrik Der Kampf der Roten Fabrik um Akzeptanz ist seit ihren Anfängen eng mit dem Kampf für die Akzeptanz von innovativer Rockmusik verbunden. Beides ist heute selbstverständlich – mit Letzterem lässt sich mittlerweile sogar richtig Geld verdienen. «Es ist ein Skandal, dass die Stadt Zürich das Opernhaus mit 84 Franken pro Sitzplatz subventioniert, für Rockkonzerte in der Roten Fabrik aber angeblich kein Geld hat», meldete sich ein empörter Jungsozialist während einer Podiumsdiskussion im Juni 1980 zu Wort. Mit der Frage, ob die Musik Bob Marleys tatsächlich als Kultur einzustufen sei, hatte Stadtpräsident Sigi Widmer Wochen zuvor die Stimmung zusätzlich angeheizt. Der Rest der Argumente ging in den Protestrufen unter - und als «Opernkrawalle» in die Geschichte ein. Für Spätgeborene dürfte es interessant sein zu erfahren, dass die Rote Fabrik damals zwar mit einem zweitägigen «Grossen Fest» (unter anderem mit Sperma, Mother’s Ruin und Liliput) ihren Konzertbetrieb aufnahm, sich aber schon bald szeneinterne Querelen abzuzeichnen begannen. Insbesondere wurde die Konsumhaltung kritisiert: Den kulturellen Freiraum hatte man sich zu hart erkämpft, um ihn nun einfach dosenbiertrinkenden Wochendpunks und dauerkiffenden Mittelschulhippies zu überlassen. Die aktive Teilnahme an Arbeitsgruppen in den Sparten Theater, Literatur, Kunst, Film und Video war ausdrücklich erwünscht, doch bereits 1983 machte der «Tell» unter dem Titel «Erfolg mit Monokultur» eine zunehmende Vormachtstellung der Musik aus. «Sind eigentlich alle beim Hodenbaden?» Rock wurde bereits damals auch im Volkshaus oder im Hallenstadion abgehandelt, gleichzeitig sah sich die Betriebsgruppe der Roten Fabrik immer mehr zum Serviceteam für gesellige Konzertabende degradiert. Zu allem Überfluss drohte auch noch ein Teil der Bohème in die neu entstandene Abbruchhausszene abzuwandern. «Was ist da eigentlich los?», ereiferte sich 1987 der «Alpenzeiger» nach einem schlecht besuchten Konzert von Jonathan Richman. «Sind eigentlich alle gerade beim Theaterproben, beim Hodenbaden oder im Kino? Es gibt keine andere Stadt in Mitteleuropa, in der eine einst rebellische Szene dermassen schnell ihre Würde, ihr Gesicht und ihren spröden Charme verloren hat.» Der wüsten Analyse lag offenbar ein schmerzhafter Abnablungsprozess zu Grunde, dennoch oder gerade deshalb entwickelte sich die Rote Fabrik in den folgenden Jahren zu einem der wichtigsten Konzertveranstalter der Schweiz. Besonders was die so genannte alternative Rockmusik anging. Von Hüsker Dü über Sonic Youth, Pixies, den Red Hot Chili Peppers bis hin zu Nirvana trat in der Aktionshalle alles auf, was auf einem repräsentativen 90er-Rocksampler nicht fehlen darf - und das alles, bevor die Künstler den kommerziellen Durchbruch schafften. Das Programm der Ziischtigmusig war von ähnlicher Qualität und die Rote Fabrik für ein paar Jahre ein Synonym für eine bestimmte Spielart des Rock: hart, einigermassen originell, immer sehr laut und meistens sehr schön. Dann kam die Wohlgroth, dann kam Seattle, dann kam Kaufleuten, dann kam Techno und Hip-Hop war ja schon da. Doch es kam vor allem eine neue Generation von Jugendbewegten: Das Entweder-Oder der Achtziger wurde abgelöst vom Sowohl-als-Auch der Neunziger. Der Fall der Mauer hatte in Europa offenbar ein grosses Partybedürfnis ausgelöst. Das Big Cat Festival 1992 in der Fabrik markierte gewissermassen eine Zäsur. Von nun an fand alles irgendwo statt. Sonic Youth spielten jetzt plötzlich im Volkshaus und Pavement verabschiedeten sich von ihren Fans am Ende des Jahrzehnts im X-tra. Es ergaben sich jede Menge neuer Nischen und die Karten wurden unter Zürichs Konzert- und Partyveranstaltern neu verteilt. Das Abart öffnete 1997 seine Türen und wirbt heute noch mit dem Vorzug, «Zürichs Alternative zu den technoiden Dance Clubs» zu sein. Die Abgrenzung dient dabei in erster Linie der Positionierung. Von Nik Kershaw über Echt bis hin zu Newcomerwettbewerben und albernen CoverBands findet dort alles Mögliche Platz. Andererseits leistet der Club – wie auch in jüngerer Zeit das Mascotte, das Helsinki, die Zukunft und seit Äonen das El Lokal - immer wieder Bemerkenswertes, beweist viel Gespür für Trends in der Rockmusik und brachte zum Beispiel Bands wie Franz Ferdinand gleich zweimal nach Zürich - beziehungsweise Winterthur. Dass dabei die Alternative von gestern unter veränderten Bedingungen immer auch der Mainstream von morgen sein kann, liegt in der Natur der Sache. Während sich in den Achtzigern die Rote Fabrik noch für eine aktive «Befreiung der Rockmusik aus dem Würgegriff des Kommerz» (Chris Cutler) aussprach, bekundet sie heute eher Mühe damit, im globalisierten Markt überhaupt noch mit bieten zu können. In gewisser Weise sind ihr da durch ihre Geschichte, die städtischen Subventionen und den daran geknüpften Ethos – die Eintrittspreise sollten eine gewisse Höhe nicht überschreiten - die Hände gebunden. Andrerseits kann es auch nicht Aufgabe des Musikbüros sein, das im Moment ohnehin gut gedeihende Feld der Rockkonzerte unnötig zu bewässern. Falls man nun aber die Prognose, mit dem Verschwinden des physischen Tonträgers würde die Tourneen für die Künstler an kommerzieller Bedeutung gewinnen, ernst nimmt, so dürfte sich im Veranstaltungsbereich in naher und ferner Zukunft einiges bewegen. Wenngleich noch völlig unklar ist, wer dieser Flut von Konzerten eigentlich beiwohnen soll. Fest steht, dass die Rote Fabrik den heutigen kommerziellen Veranstaltern von Rockkonzerten in gewisser Weise den Weg geebnet hat. Fest steht aber auch, dass es längst auch innerhalb des Mainstreams Experten gibt, die ihr Handwerk verstehen. «Vor 20 Jahren waren diese Künste und ihre Millieus noch aus der Mainstream ausgeschlossen, weswegen man sie noch leichter für kontrovers halten konnte», merkte Diedrich Diederichsen kürzlich in einem Interview kritisch an. Dem unbekannten Jungsozialisten von 1980 sei versichert, dass sich die Situation inzwischen leicht zu Gunsten der Roten Fabrik verbessert hat. Für die Rockmusik aber sorgt heute – wie wohl schon damals – der Markt. Oder um es mit Stephan Gregory zu sagen: Die «Klugheit» eines Systems bestimmt sich dadurch, wie weit es in der Lage ist, von den Tendenzen Gebrauch zu machen, die es negieren. Text: Martin Söhnlein Mit massiven Werbekampagnen versuchen die Auskunftsdienste 1811 und 1818, die Nachfolge des «Hundertelfi» anzutreten. Nur spielt es im eigentlich keine Rolle, welche Nummer wir wählen und verkauften. «Aus historischen Gründen», schrieb das Bakom damals, «handelt es sich bei allen Fernmeldedienstanbietern um dasselbe Unternehmen». Als frühreifes Zwergobst nutzten meine Freunde und ich die schul- und oft elternfreien Mittwochnachmittage, um allerlei Leute per Telefon zu veräppeln, zu nerven und zu belästigen. Das war vor ISDN, Skype oder MSN, Bildtelefone gab es nur in unserer Phantasie und zurückverfolgen liessen sich die Anrufe damals noch nicht. Fast jeden Mittwoch erreichte ein höchstens halbwitziger Anruf auch die Auskunftsnummer 111: «Grüezi, chönd si mir d‘Nummere vom Hundertelfi geh?» Das fanden wir damals lustig. Allerdings nicht sehr lange. Spätestens als einer auf die glorreiche Idee kam, 156-er Nummern anzuwählen («S‘Sextelefon!»), wurden die Eltern auf die hohe Telefonrechnung aufmerksam und stellten uns unter Zimmerarrest. «Das Ziel war ein freier Markt», sagt Olivier Girard heute. Und um den Markt aus der Knechtschaft zu befreien, musste man die Auskunftsnummer 111 abschaffen. Am 31. Dezember 2006 dankte das Hundertelfi ab und die zahlreichen 18XYNummern stritten sich um seine Nachfolge. Mit einer massiven Werbekampagne, in der Schnauzbärte in hellblauen Skianzügen auf Rollschuhen durch die Gegend rasten und zur «Daddy Cool»Melodie der Eurodance-Gruppe Boney M. «Achtzehn, Achtzehn!» sangen, war klar, wer das neue Hundertelfi war. Die Swisscom-Auskunft 1811 hingegen verlor mit ihrem unscheinbaren Auftritt die Werbeschlacht auf dem sogenannten freien Markt. Zahlreiche andere Auskunftsdienste scheiterten ebenfalls: Die Regeln des freien Markts halt. Wie sieht es jetzt aus, fast ein Jahr, nachdem der Markt befreit wurde? Olivier Girard sagt: «Die Anzahl der Auskunftsdienste ist sehr dynamisch.» Aus dem euphemistischen Wirtschaftsdeutsch übersetzt heisst das: Die Anbieter kommen und gehen – und zwar schnell. Denn drei Millionen Anfragen jährlich sind Voraussetzung, um eine 18XY-Nummer behalten zu können. Der freie Markt soll doch ein wenig eingeschränkt sein. Seit einigen Wochen versucht 1811 mit nackten Waschbrettbäuchen auf Werbeplakaten, die rollschuhfahrenden Schnauzbärte einzuholen. Wer ist denn jetzt die neue Auskunftsnummer 111? Schnauzbart oder Sixpack? Genau weiss es niemand: Das Bakom erhält die Anzahl Anfragen erst Ende Jahr, 1818 erklärt sich in einer Medienmitteilung zur Nummer Eins und Swisscom-Sprecher Joseph Frey sagt: «Die Anfragen bei 1811 sind im Gegensatz zur Nummer 111 natürlich zurückgegangen.» Genaue Zahlen seien allerdings noch nicht verfügbar. Ausserdem nehme die Bedeutung von Auskunftsdiensten tendenziell sowieso ab, sagt Frey. «Heute speichern sie ihre Nummern einfach in ihrem Handy oder Festnetztelefon. Und wenn sie eine Adresse suchen, finden sie die dort, wo sie die Auskunftsdienste auch finden: im Internet.» Die zahlreichen Auskunftsdienste in der Schweiz greifen denn auch alle auf dieselbe Datenbank zurück – auf die Homepage «Directories», das elektronische Telefonbuch der Swisscom. Das Problem aus dem Jahr 2003 besteht also immer noch: Es handelt (fast) niemand mit Adressdaten. Sowohl 1818 als auch 1811 arbeiten mit Directories. Wenn also alle Auskunftsdienste mit demselben Telefonbuch arbeiten, scheinen sie sich lediglich im mehr oder minder aggressiven Werbeauftritt und im schnelleren Eintippen von Namen im Computer zu unterscheiden. Weshalb also braucht es mehrere Auskunftsdienste? Frey: «Es braucht den Wettbewerb, denn jeder will Geld verdienen.» Und das Bakom sagt einmal mehr: «Freier Markt.» 111 wird 18XY Heute ist alles anders: Das Sextelefon hat seit kostenloser Internetpornographie ausgestöhnt und das «Hundertelfi» erreicht man seit einigen Jahren unter rund zehn verschiedenen Anschlüssen. Im Jahr 2001 hat nämlich die Swisscom das Auskunftsmonopol verloren. Seither entstanden zahlreiche Verzeichnisauskunftsdienste mit vierstelliger Nummer, 18XY-Nummern nennt sie Olivier Girard vom Bundesamt für Kommunikation (Bakom). «Die Europäische Konferenz für Post und Telekommunikation (CEPT) empfahl 2001, in Europa einheitliche sechsstellige Nummern im Format 118XYZ für Verzeichnisauskunftsdienste einzuführen, auch in der Schweiz.» Sobald hier jedoch die Kombination 118 gewählt wird, gelangt der Anrufer automatisch zur Feuerwehr, egal ob noch weitere Tasten gedrückt werden. Deshalb entschied sich das Bakom für das Format 18XY. Ab sofort konnte, wer eine Adressauskunft wollte, nicht mehr nur die 111 anrufen, sondern auch 1811, 1813, um nur einige zu nennen. Nach zwei Jahren zog das Bakom Bilanz: Fast niemand kannte die neuen Nummern. «Von den im Januar 2001 zugeteilten achtzehn Kurznummern sind heute nur ein paar wenige in Betrieb.» Das Bakom begründete dies einerseits damit, dass die Telefonauskunft zu stark mit der Nummer 111 in Verbindung gebracht wurde. Andere Anbieter berücksichtigte kaum jemand. Einen weiteren Grund sah das Bakom im mangelnden Wettbewerb im Markt für Verzeichnisdaten. Es fehlte an Quellen, also Unternehmen, die Adressdaten sammelten Freier Markt! Freier Markt! Text: Carlos Hanimann Die Zeitung der Roten Fabrik | November Ausgabe 236 12 Mythos, Markt und linker Fussball Das hat mittlerweile auch der VerDer Totenkopf des FC St. Pauli beweist: Es ist es möglich, auch aus einem antika- ein erkannt, der inzwischen in Sachen pitalistischen Image Kapital zu schlagen. Vermarktung den Grossen im Fussballgeschäft in Nichts nachsteht und sehr Auf den Spuren des Mythos St.Pauli. erfolgreich sein Image als «der etwas Wenn mir das winterliche Zürich andere Verein» pflegt. Zahlreiche teiltemperaturbedingt meine schwarze weise originelle Aktionen zeugen davon, Wollmütze mit dem St. Pauli-Totenkopf beispielsweise der Verkauf von «Retter»aufs Haupt nötigt, geschieht stets Son- T-Shirts, der vor einigen Jahren wie eine derbares: Wildfremde Menschen lächeln Bombe einschlug und mithalf den FC vor mich an, winken mir zu, oder schmettern dem drohenden Entzug der Profilizenz mir ein «Viva St. Pauli» hinterher. Süd- zu retten; und nicht zuletzt natürlich die kurvler des FCZ beschenken mich mit Adaption des Totenkopfs als VereinsTrikots und Flüssigem und die Bierkurve logo, obwohl dieser anfänglich von der des FC Winterthur schliesst mich fest in Vereinsführung, als Symbol der Hamihre hopfengestählten Arme. In anderen burger Hausbesetzerszene, als zu aggresTeilen Europas ergeht es mir nicht an- siv angesehen wurde. Vielfach wird die ders. Der Totenkopf wird überall erkannt erworbene Verkaufsprofessionalität des und gern getragen: Auf Kapuzenpullis, Clubs von Fanseite als widersprüchlich Mützen, Jacken, Socken, Büstenhaltern, empfunden, schliesslich ist der Grat zwiFahnen, Aufklebern und Plastiktüten, schen kapitalistischer Vermarktung und in aller Herren Länder und oft nicht nur alternativer Ideologie verdammt schmal. von Fussballbegeisterten, sondern auch Vom Biederclub zu Piraten von Menschen, denen die Balltreterei so nahe geht wie Blocher der Islam. Dieses neue alternative Image ist insbesondere erstaunlich, da der Verein Amateurweltstars bis Mitte der 80er Jahre ähnlich durchEs ist schon ein Phänomen, dass ein schnittlich, bieder und unbedeutend kleiner, notorisch finanzschwacher und war wie hunderte von Fussballclubs dürftig erfolgreicher Hamburger Stadt- in Deutschland. Den Ruf, den «Pauli» teilverein, der vier Jahre in der Amateur- heute geniesst, hat er ausschliesslich seiklasse der Regionalliga Nord dahindüm- nen Fans zu verdanken, die vor rund 20 pelte, bevor er letzte Saison wieder in Jahren für einen nachhaltigen Paradigdie zweite Bundesliga aufsteigen konn- menwechsel auf den Rängen des Stadite, es auf Augenhöhe mit europäischen ons sorgten. Die heute weit verbreitete Spitzenclubs wie FC Barcelona, Bayern Vorstellung vom FC St. Pauli als tradiMünchen, Arsenal London oder AC tionsreichem Arbeiterverein aus einem Mailand geschafft hat – zumindest was klassischen Arbeiterviertel mit einer den Bekanntheitsgrad anbelangt. Doch immer schon treuen und zahlreichen im Gegensatz zu diesen Vereinen besteht proletarischen Anhängerschaft ist zwar die Faszination, die der FC St. Pauli aus- romantisch aber falsch. Die Heimstatt übt, nicht in der Bewunderung erwor- des FC, das heutige Stadion am Millernbener Titel und Pokale oder etwa einem tor, ist im bürgerlichen Norden St. Paulis Kader, in dem Weltstars mitspielen; der und nicht im hafennahen Arbeitersüden Mythos nährt sich vielmehr vom Status angesiedelt. Ausserdem hielten sich die des Vereins als «Underdog». Der Club Zuschauerzahlen lange Zeit in sehr eng gilt als links, als alternativ, als bunt, als gesteckten Grenzen. Erst zwischen 1977 «anders», als eine Art Robin Hood im und 1986, als die Mannschaft eine Bergmittlerweile durchkommerzialisierten und-Tal-Fahrt zwischen 1. und 3. Liga und eventorientierten Fussballzirkus. hinlegte, wurde ein Zuschauerschnitt Das macht den FC St. Pauli weltweit zum von 4.000 erreicht – ein Klacks im VerSymbol im Kampf «Gross gegen Klein», gleich zu den über 15‘000 im letzten «Arm gegen Reich», «Oben gegen Un- Jahr. Die Anhängerschaft war eher fussten», «David gegen Goliath» und den balltypisch, also apolitisch, prollig und Totenkopf als Markenzeichen zu einem pöbelfreudig. Das änderte sich erst, als begehrten Accessoire für Alle, die sich Ende der 1980er Jahre einige Hausbesetzer der Hafenstrasse und Mitglieder der mit diesem Kampf assoziieren. bunt gefächerten alternativen Szene das Millerntor für sich entdeckten und sich zu Heimspielen im legendären «schwarzen Block» trafen. Aus jener Zeit stammt auch der Totenkopf als Symbol der St. Pauli Fans. Die Legende besagt, dass «Doc Mabuse», ein damaliger Hafenstrassebewohner, als erster eine Totenkopffahne mit ins Stadion schleppte. Diese Fahne war seinerzeit das hanseatische Pendant zum allseits bekannten Hausbesetzerzeichen und wurde in der Tradition jahrhundertealter Piraterie benutzt, die in Hamburg seit jeher mit dem Namen Klaus Störtebeker verbunden ist und den Kampf gegen das Establishment versinnbildlicht. Die Heimspiele wurden zum Treffpunkt der alternativen Szene, Punks und Politaktivisten. Schliesslich war die Hafenstrasse für die Hamburger Linke von hohem Symbolgehalt: In jahrelangen Auseinandersetzungen mit der Stadtregierung und Polizei hatten die Besetzer der hafennahen Häuser die genossenschaftliche Nutzung der Gebäude erkämpft. Die Stimmung im Stadion änderte sich während dieser Zeit deutlich: Die sonst üblichen Hetzrufe und Beleidigungen gegenüber Referee und insbesondere dunkelhäutigen Gegenspielern unterblieben weitgehend. Statt dessen feuerte man exzessiv die eigene Mannschaft an und feierte Party – meist unabhängig vom Spielausgang. Politische Stadionordnung Die neuen Fans brachten mit dem Millerntor-Roar! das erste FussballFanzine Deutschlands heraus. Ein Novum, denn bislang gab es bundesweit kein solches Organ. Miilerntor-Roar! nahm dann auch eine Schlüsselrolle in der Formierung einer alternativen, politisch engagierten Fanszene ein. Neben ausführlichen Sportberichten wurden auch die sozialen Probleme des Stadtteils thematisiert. Dabei legte die Redaktion ein entschlossenes Auftreten gegen Fremdenfeindlichkeit an den Tag. Der Einfluss der Fanszene auf den Verein begann spätestens 1991 deutlich zu werden, als die Aufnahme des Paragraphen 6 in die Stadionordnung erwirkt wurde. Erstmals war in einem deutschen Fussballstadion beim FC St. Pauli folgendes zu lesen: «§6: Verboten ist den Besuchern: Parolen zu rufen, die nach Art oder Inhalt geeignet sind, Dritte aufgrund ihrer Hautfarbe, Religion oder sexuellen Orientierung zu diffamieren.» Auch in den Folgejahren waren es meist Faninitiativen, die dazu führten, das sich der FC St. Pauli immer mehr als integrativer Bestandteil des Stadtteils empfand, welcher sich im konstitutiven Selbstbild des Vereins als verantwortungsbewusster, toleranter, antirassistischer und antisexistischer Fussballclub äussert. So betrachtet ist der Totenkopf heute nicht nur Symbol einer erfolgreichen, aber auch fragwürdigen Vermarktungsstrategie linker Werte, er ist auch ein Symbol für die Existenz einer linken Fankultur, die den Ausüchsen des kommerziellen Fussballgeschäfts nicht einfach hilflos ausgeliefert ist. Aussichten Der Spagat zwischen einem linksalternativen Image und den Anforderungen, denen ein professioneller Fussballverein ausgesetzt ist, scheint vorerst gelungen. Natürlich gibt es immer wieder kritische Fanstimmen, die vor einem Ausverkauf der Werte warnen; glaubt man aber der Vereinsführung, gibt es keine Fundamentalopposition gegen die Vermarktung des FC St. Pauli. Das mag einerseits daran liegen, dass spätestens seit der Erstligasaison 2001/2002 bei den FC-Fans das Protestpotential spürbar zurückgegangen ist, andererseits auch an der Einsicht vieler Fans, dass es für das professionelle Überleben des Vereins sinnvoll ist, in der kommerziellen Welt des Fussballs eine Nische gefunden zu haben. Schliesslich will man auch auf St. Pauli, bei aller Leidensfähigkeit der Anhänger, den Verbleib in den professionellen Ligen gesichert wissen. Die Vermarktung des Totenkopfs und der Fanartikel allgemein bildet heute die Haupteinkommensquelle für den Verein. Sucht der FC St. Pauli auch künftig den Konsens mit seinen Fans und seinem Stadtteil, bleibt die Vermarktung, unabhängig von sportlichen Erfolgen, originell, durchdacht, medienwirksam und erfolgreich. Text: Kyros Kikos 13 Die Zeitung der Roten Fabrik | November Ausgabe 236 Die Zeitung der Roten Fabrik | November Ausgabe 236 15 Zynismus ist ein Lifestyle Vic Chesnutt Vic Chesnutt Nur wenige Songwriter geniessen unter ihresgleichen einen derart exquisiten Ruf: Zu Vic Chesnutts Förderern und Fans gehören Leute wie Michael Stipe von R.E.M. und Kurt Wagner von Lambchop, die 1998 mit Chesnutt zusammen in der Roten Fabrik auftraten. Für den kommerziellen Durchbruch klingt seine Musik allerdings zu eigenwillig, seine Texte zu verstörend. Meist beschäftigt sich der Mann aus Georgia mit den dunkleren Seiten des Daseins: Sucht, Depressionen und die Auseinandersetzung mit seiner Behinderung. 1983 baute Chesnutt betrunken einen Autounfall und ist seither auf einen Rollstuhl angewiesen. Seit den frühen 90ern hat der heute 42-Jährige ein knappes Dutzend Alben eingespielt und dabei immer wieder andere Kollaborateure engagiert. Vor wenigen Wochen erschien «North Star Deserter» auf dem kanadischen Label Constellation, Heimat von brachialen Post-Rock-Truppen wie Godspeed! You Black Emperor und A Silver Mt. Zion Orchestra, aus denen die Begleitmusiker rekrutiert wurden. Und so präsentiert Chesnutt auf diesem erschütternden Album nicht nur seine vertrauten, verloren-folkigen Songs, sondern auch einige veritable Brecher, in denen er seine Liebe zu verzerrten Gitarren hemmungslos auslebt. Auf deinem letzten Album hast du mit Altmeistern wie Van Dyke Parks und dem Gitarristen Bill Frisell gearbeitet, diesmal begleiten dich junge Wilde: Guy Picciotto von Fugazi und die kanadische Post-Rock-Truppe A Silver Mt. Zion Orchestra. Wie kam es dazu? Das hängt damit zusammen, dass die neue Platte von meinem besten Kollegen, dem Filmemacher Jem Cohen, erträumt wurde. Es war seine Idee, dass ich mit genau diesen Leuten exakt diese Platte mache. Er wählte auch die Songs aus. Du hast einfach gemacht, was er wollte? Genau. Und was er von mir wollte, war die Art Vic-Chesnutt-Platte, die er sich schon immer gewünscht hatte. Und ist er glücklich mit dem Resultat? Das ist er. Und ich bin es auch. Es ist auch mein liebstes Vic-Chesnutt-Album. Ihr habt im Hotel2Tango-Studio in Montreal aufgenommen. Hast du den Musikern die Lieder vorgespielt und gesagt, wie du’s gern hättest oder habt ihr viel gejammt? Nein, das finde ich überhaupt nicht. Digital tönt gut für mich. Aber ich will meine Musik auf Vinyl. Denn wenn der grosse Gamma-Ray-Boost kommt und alle elektronisch gespeicherten Informationen auslöscht, dann kann ich meine Musik immer noch mit einer kleinen Nadel ab Platte hören. Ich hab gelesen, du hättest den Geist von Nina Simone ins Studio eingeladen. Das stimmt, ich hab sie eingeladen, doch sie ist nicht aufgetaucht – leider. Dafür hast du einen Song von ihr gecovert: «Fodder on her Wings». Wie kamst du darauf? Das hat sich im Studio ergeben. Ich sass vor dem Mikrophon, während alle anderen im Kontrollraum waren. Zwischendurch spielte ich dieses Lied – mein absoluter Lieblingssong – , einfach für den Kick, weil es sich gut anhörte im Kopfhörer. Die anderen meinten: Heilige Scheisse, das musst du aufnehmen. Jem liebte es und packte es auf die Platte. Obwohl ich ihn bat, das nicht zu tun. Wieso denn das? Weil es mir peinlich ist. Beides irgendwie. Jem Cohen war im Studio dabei und wirkte als Regisseur. Er hat die Aufnahmen aufgezogen wie einen Filmdreh – jeder Song war wie eine Szene. Er sagte zum Beispiel: Bei dem Lied hier spielt bloss Vic zusammen mit einer Violine. Dann liess er uns machen und sah zu, was passierte. Neben spartanischen Folksongs gibt es diesmal auch einige unerwartet krachige, epische Stücke. Auch das war Jems Idee. Er wollte das Intime und das Explosive. Denn ich mache ja beides: Bei Auftritten spiele ich manchmal allein mit meiner kleinen Gitarre. Wenn aber eine Band dabei ist, hab ich’s gern laut und verzerrt. Ich liebe Verzerrung! Wobei das Wort Liebe noch zuwenig stark ist für das, was ich für Verzerrung empfinde. Ich kann’s nicht beschreiben. Es ist einfach so: Ugh! Ihr nahmt ziemlich altmodisch auf: analog auf Zwei-Inch-Tonband. Findest du denn deine Version misslungen? Ja. Ich hab das Lied vor etwa fünfzehn Jahren gelernt. Und seither spiele ich es einfach aus dem Gedächtnis. Das machte die Sache etwas heikel. Was mir besonders peinlich ist: Ich hab die letzte Zeile weggelassen. Weil du sie vergessen hast oder war das Absicht? Ich wusste einfach nie, was zur Hölle sie da eigentlich singt! Es ist in einer Fremdsprache, ich glaube französisch. Darum hab ich die letzte Zeile immer weggelassen. Und jetzt schäm ich mich dafür. Ein Attribut, das in der Beschreibung deiner Lieder immer wieder auftaucht, ist «zynisch». Wie siehst du das? Ich bin sehr zynisch. Was bedeutet das konkret? Es war eine Bandmaschine mit 24 Spuren, glaube ich. Und beim Mix hatten wir kein automatisierbares Pult. Wir haben die Regler nach alter Sitte von Hand geschoben. Das fühlt sich an, als würdest du ein Orchester dirigieren oder ein antiquiertes Instrument aus dem Mittelalter spielen. Das Album kommt auch als DoppelVinyl raus und zwar in bester 180Gramm-Qualität. Findest du, analog klingt besser? Na ja, dass ich halt zynisch bin. Kann es sein, dass Zynismus oft mit Sarkasmus und Ironie verwechselt wird? Sarkasmus und Ironie sind bloss bestimmte Ausdrucksformen des Zynismus. Wie meinst du das? Zynismus ist ein Lifestyle, Sarkasmus ist eine Gewohnheit, verstehst du? Ironie und Sarkasmus sind Gewohnheiten, die sich zu einem Lifestyle verbinden. Siehst du Verbindungen zwischen Zynismus und Nihilismus? Jetzt wirst du... Das ist mir zu persönlich. Okay. Vor ein paar Jahren hast du gesagt, dass du Marihuana für medizinische Zwecke legalisieren würdest. Hab ich das gesagt? Zumindest habe ich das in einem Interview gelesen. Glaubst du an SelbstMedikation? Das muss man! Jeder sollte das tun. Du kannst dich nicht nur auf PharmaUnternehmen verlassen, die dir Medikamente in den Rachen stopfen. All diese Chemikalien, die durch deinen Körper fliessen! Dabei gibt es auch althergebrachte Heilmittel, die sehr wirksam sind. Du bist schon in den 90ern in der Roten Fabrik aufgetreten – irgendwelche speziellen Erinnerungen? Ich kann mich an rein gar nichts erinnern. Damals war ich total kaputt: besoffen und voll auf Drogen. Da hab ich ausgiebig Selbst-Medikation betrieben und war total selbstmörderisch drauf. Mittlerweile geht’s dir hoffentlich besser. Ehm, vielleicht. Jetzt gerade im Moment geht’s mir gut. Von Reto Aschwanden Vic Chesnutt live: 8. November, Clubraum Rote Fabrik UNERHÖRT! 22. - 28. November 2007 Ein Zürcher Jazzfestival Eine Woche Jazz. Die Manifestation der starken Zürcher Szene. Ein Fest mit MusikerInnen verschiedener Szenen und mehrerer Generationen. Eine Verneigung vor den Pionieren der Black Music. Ein Windstoss aus der Berliner Szene. Eine Vernetzung von Publikum, Veranstaltern und MusikstudentInnen. Guests in Residence Im Mittelpunkt des diesjährigen Festivals stehen drei Instanzen des Jazz: Oliver Lake, Reggie Workman, Andrew Cyrille. Diese Grössen der Black Music verkörpern den modernen Jazz geradezu. Sie waren bei dessen jüngerer Entwicklung stilbildend dabei, spielten mit John Coltrane, Thelonious Monk oder Cecil Taylor. Die drei Musiker begegnen in verschiedensten Besetzungen Zürcher MusikerInnen. Als Gast ins Trio 3 laden die drei Amerikaner die Zürcher Pianistin Irène Schweizer ein. Oliver Lake spielt mit der Zürcher Rhythmus-Gruppe Christian Weber (b) und Dieter Ulrich (dr), und Andrew Cyrille trifft sich zu einem Drums-Duo mit Lucas Niggli. Reggie Workman mit seinem wunderbaren Bass-Sound ist solo zu hören. Dass mit dem Speech Quartet um Amiri Baraka vier weitere Koryphäen der Black Music auftreten, ist eine zusätzliche Verbeugung vor den Jazz-Pionieren afrikanisch-amerikanischer Herkunft. – Einen jungen, nordeuropäischen Gegenpol dazu schafft sicher das Solokonzert von Bugge Wesseltoft. Berlin seiner Band Fractal, Stefan Rusconi im Trio, Nat Su als Gast bei Michael Jaeger und Kerouac, Marino Pliakas und Michael Wertmüller mit dem Wuppertaler Saxofonisten Peter Brötzmann, Irène Schweizer mit dem Trio 3, Christian Weber und Dieter Ulrich mit Oliver Lake und Peter Schärli mit seiner bunten Truppe «Hot Peace». Abenteuerund Entdeckungsfahrten durch die Welt des Jazz. Unerhört! An den Schulen «Das Unerhört!-Festival begeistert den Nachwuchs für den Jazz» titelte die «Frankfurter Rundschau» ihren Festivalbericht vom letzten Jahr. Jazz und improvisierte Musik auch in die Aulen der Mittelschulen zu tragen, ist eines der zentralen Anliegen der Unerhört!MacherInnen. Nachdem letztes Jahr Billiger Bauer in verschiedenen Mittelschulen aufgetreten ist, wird die Langzeit-Working-Band von Lucas Niggli ZOOM heuer an drei Schulen auftreten. Zum ersten Mal stehen dieses Jahr Studierende auf der Festivalbühne. Die Big Band der Musikhochschule Luzern eröffnet das Unerhört!. Seit Jahren arbeitet die Schule mit internationalen Gastdozenten. In Kooperation mit dem Unerhört! führt Barry Guy, einer der bedeutendsten Komponisten für Jazzorchester, einen Workshop und probt mit den jungen Jazzprofis der Luzerner Musikhochschule seine Komposition «Harmos», die vom All-Star-Orchester des britischen Jazz, dem London Jazz Composers Orchestra, uraufgeführt wurde. Am gleichen Abend bringt die Luzerner Big Band auch ein neues Stück des Komponisten Christoph Baumann zur Aufführung. Für die Jazzabteilung der Zürcher Hochschule der Künste konnten wir aus Peter Schärlis Band Glenn Ferris gewinnen, der mit seiner Workshop-Band schliesslich sogar die Clubbühne des «Mehrspur» besteigen wird. Berlin präsentiert sich in den letzten Jahren als eines der aufregenden Zentren des europäischen Jazz. Zwei Gruppen bringen Berliner Luft nach Zürich. Das Berliner Urgestein Ulrich Gumpert, bekannt vom Zentralquartett, stellt seine neue Band mit jungen Musikern vor: Ben Abarbanel-Wolff, Michael Griener, Jan Hans Hassler im Bürgerasyl Roder. Die Wahlberlinerin Aki Takase spielt mit der Saxofonistin Silke Letztes Jahr war das Unerhört! Eberhard: Ihre «Ornette Coleman Anthology» ist eine originelle Aus- erstmals auch im Zürcher Alterseinandersetzung mit dem Frühwerk heim Bürgerasyl/Pfrundhaus zu Gast. Der Duo-Auftritt von Günter des Meisters. «Baby» Sommer und Rafik Schami wurde mit grossem Applaus gefeiert. Starke Szene Schweiz Dieses Jahr bringen wir am selben Am Unerhört!, dem Festival der Ort – diesmal öffentlich und ohne Zürcher MusikerInnen, stehen Zür- Eintritt – Hans Hassler, den Schweicher und Schweizer MusikerInnen zer König des Akkordeons und prominent auf der Bühne: Lucas Grenzgänger zwischen den Stilen Niggli mit Nils Wogram und Phi- und Genres, auf die Bühne. (pd) lipp Schaufelberger in der Urform von ZOOM sowie im Duo mit An- Komplettes Programm im 3.Bund drew Cyrille, Yves Reichmuth mit oder unter www.unerhoert.ch Die Zeitung der Roten Fabrik | November Ausgabe 236 16 Hier werden Sie gewählt Harry Hustler und die SVP Wahlhotline Bürgerfreundlich wie sie ist, hat die SVP vor den Wahlen ein Callcenter eingerichtet, bei dem man sich als unbedarfter Wähler informieren konnte, wie man denn zu wählen hätte. Zwei ausgewählte Gespräche mit den fleissigen Wahlhelfern der SVP Wahlhotline. SVP Wahlhotline, mein Name ist Kaufmann. Guten Tag Herr Kaufmann, hier Frei am Apparat. Ich hätte da eine Frage zu den Wahlen. Ein Kollege von mir hat so etwas von Streichen auf den Wahllisten gesagt, doch leider verstehe ich das nicht so genau. Es ist eben das erst Mal, dass ich abstimmen darf. Ja, Herr Frei, Ihr Kollege hat da das Panaschieren und Kumulieren angesprochen. Sie können auf den vorgedruckten Listen Personen doppelt aufführen, oder Personen rausstreichen. Wenn Sie einen Kandidaten doppelt auflisten, so hilft ihm das gewählt zu werden. Wissen Sie, Herr Kaufmann, mein Problem ist Folgendes: Ich stimme im Kanton St. Gallen ab, und möchte eigentlich die SVP möglichst optimal unterstützen, denn die machen etwas gegen diese *@&! Ausländer, jedoch muss ich auch noch zwei FDP-Kandidaten wählen, das sind gute Bekannte meiner Eltern. Also Herr Frei, dann nehmen Sie am Besten die SVP-Liste, das ist Liste Zwei und streichen da zwei Kandidaten und ersetzen diese durch die Bekannten ihrer Eltern. Ah, OK, Herr Kaufmann, könnte ich auch die leere Liste verwenden, welche bei den Wahlunterlagen dabei war? Klar Herr Frei, das können Sie auch machen. Sie müssen einfach darauf achten, dass nicht mehr als 12 Namen auf der Liste stehen, wobei sie jeweils die Kandidaten doppelt aufführen können. Das heisst demnach, dass Sie sechs Personen auf der Liste eintragen können. Wenn Sie nun die leere Liste verwenden, müssen Sie darauf achten, dass Sie als Listenbezeichnung SVP, Liste 2 eintragen, und nicht vergessen, neben die Namen der Kandidaten die Kandidatennummer zu schreiben. Da Sie ja sagten, dass sie das Ausländerthema interessiert und da sie noch jung sind, empfehle ich ihnen Toni Brunner und Lukas Reimann je zweimal auf die Liste zu setzen, denn diese sind jung und setzen sich für eine harte Hand im Umgang mit den Ausländern ein. Lukas Reimann zum Beispiel ist noch ein ganz Junger wie Sie, er kommt aus Wil und ist Jus-Student. Den sollten Sie mit ihrer Stimme stärken. Ich hätte da noch ein Anliegen an Sie, Herr Frei: Sagen Sie doch auch ihren Kollegen und Kolleginnen, dass Sie unbedingt die SVP wählen sollen, und vor allem die Kandidaten Brunner und Reimann. Das mach ich doch. Also Herr Kaufmann, ich danke Ihnen für die wertvollen Informationen. Da gibt es nichts zu danken Herr Frei, wir wollen ja beide dasselbe. Guten Abend. TINA ROCKS THE LINE SVP Wahlhotline Förster, was kann ich für Sie tun? Gut Abend, hier Lukovic an Telephon. Ich frisch Schweiz Pass, erst mal stimmen. Sie sagen, welch Partei für Ausländer. Herr Lukovic, ich empfehle Ihnen, die SVP zu wählen, denn wir setzen uns für Ausländer ein. Genau für solche Ausländer wie Sie Herr Lukovic, die sich hier in unserer Inserat in der FabrikZeitung Schweiz integrieren. vom November 07 Nr. 236 Aber mein Kolleg sagen SVP nix gut, gegen Ausländer. IG Rote Fabrik Nein, nein, Herr Lukovic, Seestrasee das stimmt395 nicht. 8038 Wir sind nicht gegen Ausländer,Zürich nur gegen jene, die sich nicht an die Regeln und Gesetze in unserem Land halten können. Solche Anständigen Leute wie Sie haben wir gerne in der Schweiz. Also ich nix sicher, noch mal überleg und mit mein Kollegen reden. Was gibt es da noch zu überlegen, Herr Lukovic? Wählen sie ganz einfach die SVP. Denn wenn es nach uns geht, machen wir das bestmögliche für Leute wie Sie. Sie wollen ja auch nicht, dass mit den hohen Steuern, die Sie bezahlen, faule Sozialschmarotzer und Schein-invalide ein gutes Leben führen können. Wissen Sie, Ausländer wie Sie, die hier arbeiten und sich anpassen, sind wirklich willkommen. Das, was wir hier nicht haben möchten, sind Leute, die nicht arbeiten wollen, und solche, die kriminell werden. Haben Sie Kinder Herr Lukovic? Ja ich hab ein Sohn und ein Tochter, warum? Sehen Sie, Herr Lukovic, Sie wollen ja auch nicht, dass ihren Kindern etwas zustösst. Zum Beispiel, dass Ihre Tochter Vergewaltigt wird, oder dass man Ihrem Sohn Drogen verkauft, oder? Ja, da Sie schon recht, will nich, dass Kinder was passieren. Also verstehen Sie mich jetzt, Herr Lukovic, wir von der Schweizerischen Volkspartei haben nichts gegen Ausländer. Aber die, die sich hier in der Schweiz nicht benehmen können oder wollen, die brauchen wir hier nicht. Die sollen in das Land zurück, wo sie hergekommen sind und dort dem Staat auf der Tasche liegen, Drogen verkaufen und unschuldige Leute zusammenschlagen. Deshalb empfehle ich Ihnen wärmstens, am 21. Oktober die SVP zu wählen. Also gut ich mach so wie sie sag. Danke, schön Abig. Ich danke Ihnen, Herr Lukovic und wünsche Ihnen auch einen schönen Abend. IMPRESSUM Kontakt: Fabrik Zeitung Seestrasse 395 Postfach 1073 8048 Zürich [email protected] Herausgeberin: IG Rote Fabrik Seestrasse 395, 8038 Zürich Tel. 044/ 485 58 08 www.rotefabrik.ch Redaktion: [email protected] Gestaltung: [email protected] Plakat: [email protected] Mit Texten von: Andrea Keller, Tom Kummer, Martin Söhnlein, Barbara Kunz, Reto Aschwanden, Kyros Kikos, Etrit Hasler, Carlos Hanimann, Harry Hustler Druck: Ropress Genossenschaft Baslerstrasse 106 8048 Zürich Website: www.glashaus.ch/faz Auflage: 3‘500 Exemplare Erscheinungsweise: monatlich Abonnemente: 35 Fr. pro Jahr/10 Ausgaben 60 Fr. Soliabonnement [email protected] Wir suchen per 1. Mai 2008 oder nach Absprache eine/n qualifizierte/n TONTECHNIKER/IN (80 - 100%) für die Beschallung von Konzerten, Theater, Lesungen, etc. Aufgrund der Teamzusammensetzung wird ein Mann bevorzugt. Du bietest: - Mehrjährige Erfahrung im tontechnischen Bereich (Live) - Kenntnisse in Elektronik (Reparatur, Wartung) - Einen gesunden Rücken - Fremdsprachen- und PC-Kenntnisse - Kommunikative und soziale Kompetenz - Ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein - Bereitschaft, überall anzupacken und unregelmässige Arbeitszeiten in Kauf zu nehmen Wir bieten: - Betriebsführung im Kollektiv - Ein interessantes kulturelles Umfeld - Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen und umzusetzen - Einheitslohn, gute Sozialleistungen und Weiterbildungsmöglichkeiten - 6 Wochen Ferien, 40 Stunden-Woche Sende deine schriftliche Bewerbung bis zum 15.11.07 an: IG Rote Fabrik, Postfach 1073, 8038 Zürich Infos: 044 485 58 18, Franziska Rütimann verlangen oder E-Mail an: [email protected] Epilog „Lost in mUsic“ Ausgabe CIO`s Top 10 My Bloody Valentine – Loveless (Creation) Autechre – Amber (Warp) Spacemen 3 - The Perfect Prescription (Glass Rec.) LFO – We Are Back (Warp) Joy Division – Unknown Pleasures (Factory) The Other People Place – Lifestyles Of The Laptop Café (Warp) Sonic Youth – Daydream Nation (Blast First) Repeat aka Plaid & Mark Broom – Repeats (a13) Aphex Twin – I Care Because Because You Do (Warp) Prince – Sign ‚O‘ The Times (Paisley Park) d r i B w e r d An m u a r b Clu k i r b a F Rote 7 0 0 2 . 1 14.1 Sa 03. NOV / 21.00h // Aktionshalle Enter the Dancehall: GYPTIAN / Boss Hi-Fi Aktuelles Album: «Biological Warfare» www.artistsonly.com/cocoa.htm Fr 09 November / 21.00h Aktionshalle Enter The Dancehall: COCOA TEA / Ryan Bailey / Boss Hi-Fi Aktuelles Album: «Armchair Apocrypha» www.andrewbird.net Mi 14. NOV / 21.00h // Clubraum A Thousand Leaves: ANDREW BIRD / Loney, Dear Aktuelles Album: «No Shouts No Calls» www.electrelane.com Sa 17. NOV / 21.00h // Clubraum Sugarshit Sharp: ELECTRELANE / The Delilahs / Anni Rossi Aktuelles Album: Mando Diao «Never seen the Light of Day» www.mandodiao.com Mag sein, dass Rockmusik gerade wieder im Trend lag, als die schwedische Band Mando Diao vor fünf Jahren ihr erstes Album veröffentlichte. Und sicher war die Grossmäuligkeit der beiden Frontleute Gustav Norén und Björn Dixgard der Skepsis, die sich hie und da gegenüber der stark von den Beatles inspirierten Truppe regte, auch nicht abträglich. Nun, Trends gehen wieder, gute Bands bleiben. Und Mando Diao – die Bedeutung des Bandnamens soll Dixgard angeblich im Traum aufgegangen sein (das Metier Legendenbildung beherrschen sie) – erfüllen etliche wichtige Merkmale einer sehr guten Band: auf «Bring ’Em In» folgten mit «Hurricane Bar» und «Ode To Ochrasy» zwei Alben, die Mut zur Entwicklung zeigten und wiederum fast ebenso Hit bestückt waren, wie die glänzende Debütscheibe. Eine Entwicklung vom Rock’n’Roll zum klassischen Gitarren-Pop, mit Seitensprüngen, Attitüde und jeder Menge guter, griffiger Songs. Jetzt stellt Dixgard mit einer anderen Formation schon mal Songs des neuen Albums «Never Seen The Light Of Day» vor. MI 21. NOV / 20.00h // Fabriktheater Culturescapes Rumänien: TRIO CONTRASTE TABU SUITE - zeitgenössische Musik aus Rumänien Di, 20. NOV / 21.00h pünktlich! // Ziegel Oh Lac Black Mountain / Future Of The Left Als Molly McGuire das letzte Mal in der Fabrik auftreten sollte, streikte sie. Damals spielte sie Bass bei Ex-QOTSA-Querkopf Nick Oliveri, der während der Tour derart ausrastete, dass seine Begleitmusiker das Handtuch warfen. Oliveri spielte dann solo. Nun kommt Molly McGuire mit ihrer eigenen Band: The Spores. Auf dem Debüt «Imagine The Future» fabriziert das Trio scheppernden Elektro-Rock, wie ihn Peaches-Fans goutieren und jenen dreckigen Grunge-Pop, den in den 90ern Bands wie die Breeders drauf hatten. Molly verehrt Kraftwerk und Nina Hagen, noch mehr liebt sie aber ihre selbstgenähten Handpuppen, die bei Konzerten prominente Auftritte haben. Manche fühlen sich von diesem überdrehten Theater überfordert. So befand ein Schweizer Blogger nassforsch: «Ich schenke die Platte wahrscheinlich jemandem, den ich hasse.» Solche Feinde wünscht man sich, denn für Leute mit Ahnung liefern The Spores sperriges, schräges und super unterhaltendes Entertainment. Di, 27.NOV / 21.30h // Ziegel Oh Lac The Spores plus Support Programm der Roten Fabrik November 2007 Nr. 236 Di 6. NOV / 21.30h // Ziegel oh Lac Califone / Home Of The Lame (solo) Es nimmt kein Ende: Monat für Monat fällt ein weiterer Kanadier-Trupp in Europa ein. Solange sie das Niveau scheinbar mühelos halten, wollen wir das begrüssen. Nun sind Black Mountain im Anmarsch und das ziemlich breitbeinig. Die Riffs dröhnen wie einst bei Led Zeppelin und Blue Cheer, doch bevor der vorlaute Bescheidwisser in der dritten Reihe «Retrorock» schreien kann, trötet ein Saxophon dazwischen. Und wenn Amber Webbers Stephan McBean am Mikro ablöst, macht die Band plötzlich einen auf Velvet Underground. Hier wird nicht einfach rumgewummert – dieses Quintett aus Vancouver findet stets den Song im Dröhnen! Erinnert sich noch jemand an McClusky, diese Waliser mit ihrem abgezirkelten Knüppelrock? Nun präsentieren Sänger/Gitarrist Falco Falkous und Drummer Jack Egglestone die Nachfolge-Band: Future Of The Left. Ihr Debüt «Curses» pendelt stilsicher zwischen Math-Core und Melodie. Mit neckischem Zweifinger-Keyboard und prägnanter Singstimme sorgt Falkous für eingängige Momente – bis er ansatzlos zum Brüllwürfel mutiert, während hinter ihm die Screamo-Post abgeht. Intensive Wechselbäder garantiert! Fabriktheater schnittplätze begleitete videowerkstatt videokurse projektbegleitung überspielungen DV / DVD / SVHS / Beta / Hi8 Final Cut Studio Projektbezogen (3 Tage) Final Cut Pro, Motion, Soundtrack Pro speziell auf dein Projekt massgeschneidert 18. - 20. Januar 2008 CH 450.- Bürozeiten: Dienstags 10-13 Uhr Donnerstags 17-20 Uhr Tel. 044 485 58 78 [email protected] www.fabrikvideo.ch Für Gruppen ab 3 Personen können eigene Kurse und Daten vereinbart werden. - - Motion FCP (2 Tage) - Sa-So . 8. + 9. Dezember 2007 - CHF 240.- - Intensivkurs Videobearbeitung (3 Tage) - Final Cut Studio mit Motion, DVD Studio Pro, Aufbereitung fürs Internet - Fr-So 23. – 25. November 2007 - CHF 450.- - Video Einfach machen sie es einem nicht, Califone aus Chicago. Hervorgegangen aus der Sub-Pop-Truppe Red Red Meat durchstreift die Band um Tim Rutili und Ben Massarella ein wahrhaft weites Feld amerikanischer Musik. Sie erkunden mit Banjo und Bluegrass-Fiedel Folk und versinken wenig später bereits in archaischen Blues-Sümpfen. Bis hierhin kann der grösste Teil der Americana-Gemeinde folgen. Doch plötzlich geht‘s ruckzuck in die Gegenwart: elektronische Stolperbeats, knisternde Noise-Samples, grollendes Feedback. Califone vermengen die Stile ohne jede Scheu und behalten dabei stets den Song im Blick. Kein Wunder werden sie von der Fachpresse oft in einem Atemzug mit Wilco genannt. Zu recht: Wer Jeff Tweedy und Co. schätzt, findet in Califone eine überaus lohnende Herausforderung. Hinter Home Of The Lame verbirgt sich der deutsche Felix Gebhard. Der Songwriter entstammt dem Umfeld des Labels Grand Hotel Van Cleef, spielte Bass bei der Hansen Band und zog zwischendurch der Liebe wegen nach Schweden. Nun reist er solo an, um das Publikum mit seiner tiefen, warmen Stimme zu verzaubern. Di, 13.NOV / 21.30h // Ziegel oh Lac Asobi Seksu plus Support Asobi Seksu kommen aus New York, haben eine japanische Sängerin und tönen nach englischen Bands der späten 80er. Lush klingen an und manchmal My Bloody Valentine: bebende Gitarrenwände und weite Hallräume, dazu die traumwandlerische Stimme von Yuki, die zwischen englisch und japanisch wechselt, ohne dass das gross auffällt. Auf die Shoegazer-Schublade sollte man das Quartett allerdings nicht reduzieren. Denn neben somnambuler Verzerrung bieten Asobi Seksu auch (indie-) poppige Passagen und Hochspannungs-Arrangements mit Glockenspiel und Violine, die vage Erinnerungen an die vergessenen Miranda Sex Garden wecken. Zuweilen wirkt diese Mischung aus brachial und verführerisch fast so unheimlich wie ein Film von David Lynch. Auf ihrer ersten Europareise präsentieren Asobi Seksu ihr Zweitwerk «Citrus», ein Album wie ein Nervenzusammenbruch in Watte. Fabrikjazz 8. NOV / 21.00h // Aktionshalle Kurzschluss: Powerpoint-Karaoke MI 28. NOV / 21.00h // MEHRSPUR MUSIC CLUB, WALDMANNSTRASSE 12 Glenn Ferris Workshop-Band ca. 22.00h: Jazzbaragge Wednesday Jam mit Chris Wiesendanger, Dominique Giro und Dieter Ulrich DI 27. NOV / 20.30h // Jazzclub Moods Peter Scharli Special Sextet feat. Glenn ferris «Hot Peace» Speech Quartet MO 26. NOV / 20.30h // Jazzclub Moods Andrew Cyrille – Lucas Niggli Bugge Wesseltoft solo // Jazzclub Moods Oliver Lake – Christian Weber – Dieter Ulrich Reggie Workman solo Brötzmann – Pliakas – Wertmüller SO 25. NOV / 19.00h UNERHÖRT! Ein Zürcher Jazzfestival UNERHÖRT! Ein Zürcher Jazzfestival (ausführlicher Bericht S.15) DO 22. NOV / 20.00h // Fabriktheater Barry Guy, Christoph Baumann und Big Band der Musikhochschule Luzern FR 23. NOV / 20.00h // Clubraum Kerouac feat. Nat Su Aki Takase – Silke Eberhard «Ornette Coleman Anthology» Ulrich Gumpert Quartett Nochturne ca. 23.00h: Rusconi Trio SA 24. NOV / 20.00h // Fabriktheater Yves Reichmuth Fractal Lucas Niggli Zoom Oliver Lake – Reggier Workman – Andrew Cyrille feat. Irène Schweizer Nocturne ca. 23.00h: Rusconi Trio So 11. NOV / 20.30h // Fabriktheater Marc Ribot – Solo US Marc Ribot, g/voice SO 25. NOV / 16.00h // Bürgerasyl/Pfrundhaus Hans Hassler Solo öffentliches Konzert, freier Eintritt mit Kollekte DO 22. NOV / 20.00h // Clubraum Culturscapes Rumänien: ANA BLANDIANA Lesung & Gespräch Idee: ASFALTprinzessinnen Regie: Sarah Jaggi, Spiel: Pilu Lydlow und Sibilla Semadeni Ausstattung: Philipp Stengele Dias/ Flyer: Daniel Hertli Amelie und Wum betreiben unter der Erde eine ambulante Praxis für Insekten. Jeder ist willkommen, die Biene mit Bienenstich oder auch die schwerverletzte Kellerassel. Alles nimmt seinen gewohnten Gang bis eines Morgens plötzlich die Erde zittert und die Decke bröckelt. Verzweifelt versuchen Amelie und Wum sich in Sicherheit zu bringen. Um den Feind zu vertreiben, lassen sie sich was ganz Besonderes einfallen. Entwickelt von Ivo Engeler in Zusammenarbeit mit Beat Sprenger, Mathias Frei, Michael Oberholzer und Andreas Brändle. Das Internet ist voll von bizarren Vorträgen – zusammengeschraubt aus Stichworten und Abbildungen mit Hilfe des Microsoftprogramms Powerpoint. Anders als bei Gesangskaraoke wählen Mutige an diesem Abend aus einer thematisch geordneten Palette eine Powerpoint-Präsentation aus und versuchen sich in Improvisationskunst. Ana Blandiana, 1942 in Timisoara geboren, war eine anerkannte Autorin und Verlegerin als sie in den späten 80er Jahren im Protest gegen Ceausescus Regime politische Gedichte veröffentlichte und zu einer zentralen Figur des politischen Umbruchs wurde. Ana Blandiana ist Initiatorin und Präsidentin von Memorial Sighet, einer Gedenkstätte für die Opfer des Kommunismus und des antikommunistischen Widerstands in Rumänien. Sie steht heute dem rumänischen PEN Club vor. Ihre Werke wurden in 16 Sprachen übersetzt. Moderation: Daniel Ursprung; Übersetzung: Franz Hodjak Sa 17. NOV / 17.00h Premiere So 18. NOV / 11.00h Theater ab 5: ASFALTprinzessinnen: ELFmilliMETER SO 25. NOV / 20.00h // Clubraum Culturscapes Rumänien: SHUKAR COLLECTIVE Konzert – Balkan-Roma-Elektro-Folk Die Töne vom Balkan boomen: Eines der gewagtesten Experimente ist Shukar Collective. Mit den drei Romamusikern Napoleon, bekannt von Taraf de Haïdouks, Tamango und Claşic als musikalischem Kern. Mit rauem Gesang, staccatoartigen Anfeuerungsrufen, kombiniert mit den Rhythmen archaischer Instrumente wie Löffel, Rahmen- und Holztrommel halten sie die Musik der Ursari, der Bärenzähmerzunft, lebendig. Ins Hier und Jetzt wird diese Tradition durch ein flippiges Elektronikteam versetzt, zu dem der europaweit gefeierte DJ Vasile zählt. Die Idee, die hinter Shukar Collective steckt, besteht in der Reorchestrierung folkloristisch angehauchter Stücke mit zeitgemässen Technologien und Methoden, ohne deren Herkunft und Originalität zu verleugnen. Diskografie: Marc Ribot: «Asmodeus, John Zorn – Masada Book Two», Tzadik TZ 8035, 2007. Marc Ribot: «Spiritual Unity», PI Recordings PI 15, 2004. Marc Ribot: «Soundtracks II», Tzadik TZ 7516, 2003. Der Gitarrist Marc Ribot gehört zu den gefragtesten Musikern der Downtownszene von New York. Man findet sein Spiel aber auch auf Alben von Tom Waits, Caetano Veloso, Laurie Anderson und immer wieder in Projekten von John Zorn, so zum Beispiel als Teil von Electric Masada. Über die Jahre hat er immer seine eigenen Projekte wie Rootless Cosmopolitans, Shrek, Los Cubanos Postizos, Spiritual Unity gepflegt. Letzteres ist ganz der Musik von Albert Ayler verschrieben. Als Solist hat er auf der CD «Saints» (2002) nebst Ayler, Lennon/ McCartney und eigenem auch eine Reihe von Traditionals auf herausragende Weise interpretiert. Jetzt ist Ribot mit einem neuen Soloprogramm unterwegs, bei dem er mit Hilfe von Gitarre und Stimme die Stille erkundet. Etablierte zeitgenössische Musik aus Rumänien stellen Ion Bogdan Ştefănescu, Soloflötist beim Bukarester Philharmonischen Orchester George Enescu, Sorin Petrescu und Doru Roman, Klaviersolist und erster Perkussionist beim Philharmonischen Orchester Timişoara, vor. 1990 wurden die drei Ausnahmemusiker als Trio Contraste mit dem Staatspreis des rumänischen Komponistenverbandes ausgezeichnet. Das Trio gastiert weltweit auf zahlreichen, bedeutenden Festivals. Ziischtigsmusig NOVEMBER 2007 Aktuelles Album: «My Name is Gyptian» www.gyptian.com Musikbüro Erst seit gut zwei Jahren ist Windel Beneto Edwards alias Gyptian ein heller Stern am Himmel der Karibik. Mit den Songs «Is There A Place» und «Serious Times» schaffte der Sänger aus Jamaika dann aber gleich auch den Sprung über die Inseln hinaus. Spätestens seit seinem Ende 2006 erschienen Album «My Name Is Gyptian» ist der 23-Jährige den Fans von Lovers Rock und Roots Reggae auf der ganzen Welt ein Begriff. Politische Belange und Herzensangelegenheiten bestimmen seine Texte, einfache, von seiner Stimme getragene Songstrukturen seine Musik. Bei «Serious Times» reichen ein Saxophon, schleppender Percussionseinsatz und etwas Gitarre, um die Gesangsmelodie anzureichern. Reggae zum sich in den Armen liegen und das Feuerzeug schwenken. Ganz klar, Electrelane haben eine romantische Seite. Aber sie lassen die Romantik nicht zu lange gewähren. Kaum ist der Höhepunkt erreicht, beginnt die Sache auch schon zu kippen. Mal lärmender Rock, mal richtiger Noise, mal minimale Piano-Figuren durchbrechen die Songaufbauten der vierköpfigen Frauenband aus der englischen Küstenstadt Brighton. Danach ziehen sie das Tempo wieder an, oder brechen abrupt ab. Sie selbst führen Neu!, Stereolab, Sonic Youth und Velvet Underground als ihre Einflüsse an. Frontfrau Verity Susman wechselt zwischen Keyboard, Farfisa, Gitarre, Saxophon, Klarinette, und auch Rückkopplungen und Alltagsgeräusche wie ein langsam vorbeidampfender Zug oder Fussball-Fangesänge mischen sich dazu. Das muss nicht virtuos sein, um punkig und überraschend zu klingen. Das alljährliche Festival Culturescapes – Kulturlandschaften – bringt osteuropäische Regionen, die uns trotz geografischer Nähe relativ fremd sind, in ihrer Geschichte und kulturellen Vielfalt nahe, in diesem Jahr Rumänien. Das Festival lädt dazu ein, diese fremden Welten mit ihrer musikalischen, literarischen und künstlerischen Tradition und zugleich Gegenwart kennen zu lernen. Es ist die Überzeugung des Festivals, dass Europa, in Kenntnis und Würdigung seiner kulturellen Vielfalt, die Möglichkeit einer funktionierenden «open society» besitzt. Allerdings hat eine wirtschaftliche Öffnung von Grenzen nicht zwangsläufig einen gleichwertigen kulturellen Austausch zur Folge. Das Projekt ist ein Versuch, dem Defizit an Erfahrungen mit anderen Kulturen, insbesondere mit den uns nahe stehenden ost-europäischen, mittels eines reichen und differenzierten Programms entgegenzuwirken. Gesamtprogramm, Infos und Details unter www.culturscapes.ch Mi 28. NOV / 21.00h // Clubraum Sugarshit Sharp: BJÖRN DIXGARD (MANDO DIAO) / SupportSolo Tour with Special Friends of the Singer & Soul of Mando Diao… Schichtbetrieb im Lande Illinois. SchrummelGitarre, Violine, Madoline, Glockenspiel, nuscheliger Gesang, etwas Folk, etwas Rock und wo’s passt auch kurze Pfeifeinlagen stapeln sich bei Andrew Bird zu gern etwas schlagseitigen Songs auf. Immer mal wieder mit diesem oder jenem kollaborierend, hat der Farmer in den elf Jahren seit seinem Debütalbum «Music Of Hair» schon ein beachtliches Opus gesongwritert. Auf der Bühne lässt Bird seine Songs meist mit Hilfe eines Mehrspur-Loopgeräts entstehen. In letzter Zeit begleiten ihn dazu oft Schlagzeuger Martin Dosh und Bassist Jeremy Ylvisaker. Aber was uns genau erwartet, wissen wir nicht. Und das ist gut so. Mag sein, dass ihn seine Mutter wegen der etwas nachlässigen Artikulation rügt, wir schätzen Bird wegen der behutsam gehegten, und mit schönen Melodien umschlossenen Wehmütigkeit in seinen Songs. Sa 10 NOV / 21.00h // Aktionshalle Sugarshit Sharp: NOMEANSNO / Married 2 Music Aktuelles Album: «All Roads Lead To Ausfahrt» www.nomeanswhatever.com Nein heisst nun mal nein. Ein klares Nein zu Starallüren, Anerkennung der eigenen Vorreiterrolle oder zu irgendwelchen Kompromissen. Die Band um die beiden Brüder Rob und John Wright wurde 1979 im Keller des Elternhauses in Victoria, British Columbia, gegründet. Sie nennen sich selber Punks, obwohl ihr Musik mit Punk streng genommen nicht viel zu tun hat. «Math Rock» und «Jazz Punk» sind weitere Stilbegriffe, die mit denen ihre Musik schon bedacht worden ist. Rob spielt den an radikalem Jazz geschulten Bass, John das mühelos die Tempi wechselnde Schlagzeug, Tom Holliston bedient die Gitarre und singt in aller Heftigkeit. Und obwohl sie praktisch keine Band als direkten Einfluss anführt, weil ihre Musik halt einfach schwer zu kopieren ist, haben sie doch weltweit eine sehr grosse Fangemeinde. «All Roads Lead To Ausfahrt» und für Musikfans führt kein Weg an Nomeansno vorbei. Musikalische Intermezzi: Tomas Vysusil Edition 8-Programmvorstellung: Geri Balsiger und Heinz Scheidegger Zur Notwendigkeit einer kritischen Forschung für eine kritische Praxis: Podiums- und Publikumsdiskussion mit Walter Angst (Journalist), Branka Goldstein (IG Sozialhilfe), Marianne Rychner (Soziologin) und Kurt Wyss FR 16. NOV / 19.30h // Clubraum KOFO – Gehörlosenforum «The Transgender Society is the Family» Was bedeutet «transsexuell» ? In der Schweiz leben ungefähr 2500 Transsexuelle, aber wie sieht es mit den gehörlosen Transsexuellen aus? Frauen / Männer, die sich in Mann / Frau umwandeln und so leben möchten, gibt es. Betty aus England erzählt aus ihrem Leben... – GebärdensprachdolmetscherInnnen werden anwesend sein. Weitere Informationen und genauere Details: www.topdix.ch Organisation: topdix.ch in Zusammenarbeit mit der Roten Fabrik und sichtbar Gehörlose Zürich. MI 21. NOV / 19.30h // Clubraum FABRIKGESPRÄCHE – Populismus und die anstehende Bundesratswahl Unter dem Titel «Fabrikgespräche» werden in regelmässigem Abstand aktuelle politische Themen aufgegriffen, diskutiert und debattiert. Die Veranstaltungen richten sich an alle, die sich kritisch mit aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen auseinandersetzen wollen. Ein Spezialwissen wird nicht vorausgesetzt. Mit der Reihe «Fabrikgespräche» bauen die Konzeptgruppe der Roten Fabrik und WOZ Die Wochenzeitung auf ihr langjähriges Engagement, politische Themen kritisch zu reflektieren und zu diskutieren. Das Thema des Gespräches am 21. November wird politischer Populismus im Zusammenhang mit der anstehenden Bundesratswahl sein. Bei Redaktionsschuss stand der Veranstaltungsablauf noch nicht fest. Informationen dazu unter: www.rotefabrik.ch Culturescapes Festival Während seiner über 30-jährigen Karriere hat der verehrte Rasta wie kein Anderer zuckersüsse Romantizismen mit tiefgründigen Inhalten vereint. Für jedes «Immigration Laws» und «Ease Up President Botha» hat Cocoa Tea eine melodische Erfrischung im Lovers Rock-Style herausgebracht, etwa «Lost My Sonia» oder «Good Life», die so süß und geschmackvoll sind, wie es der Name ihres Urhebers erahnen lässt. Abgerundet wird einer der vielfältigsten Hitkataloge mit bewegenden RastaHymnen wie «Holy Mount Zion» und «Israel‘s King». Diesen Mix setzt er auch auf seinem 20. Album «Save Us Oh Jah» fort. Die Songs changieren von romantischem Verlangen in «Don’t Take Your Love Away» und unterdrückter Leidenschaft in «It Was A Charm» bis hin zum sengenden «Can’t Tek The Fire Bun» und dem Babylon richtenden «Wave Your Hand». Die strengen Ermahnungen an die Politiker, die immer wieder in seinen Texten mitschwingen, haben dazu geführt, dass einige seiner Songs nicht nur in Jamaika mit einem RadioBann belegt wurden. Do 08. NOV / 21.00h // Clubraum A Thousand Leaves: VIC CHESNUTT & BAND (feat. Members of Godspeed/Silver Mt Zion & Fugazi) / Support Aktuelles Album: «North Star Deserter» www.vicchesnutt.com/ Kaum ein Songwriter ordnet seine Musik so deutlich seinen Worten zu wie Vic Chesnutt. Vielleicht ist Untermalung das richtige Wort, vielleicht auch nicht. Denn wenn der bald 42-jährige seine mit an Bob Dylan erinnernder Poesie gespickten Texte vorträgt, kann die Musik auch urplötzlich aus ihrem stillen Gram in heftigen Zorn ausbrechen. Aber auch wenn die elektrischen Gitarren die eigenwillig betonende Stimme des Barden aus Athens, Georgia zwischenzeitlich überlagern, behält sie doch immer das letzte Wort. Einst entdeckt und produziert von R.E.M.-Sänger Michael Stipe, rollt Chesnutt mit seinem Rollstuhl seit Jahren mehr oder (eher) weniger behaglich unter dem Radar der grossen Öffentlichkeit. Durch ein Feld, in dem Lieder gleich bedeutend mit Gedichten sind. Konzeptbüro SO 04. NOV / 20.00h // Aktionshalle ALP – Panzerkreuzer Potemkin Der Stummfilmklassiker von Sergej Eisenstein, neu livevertont von ALP Angewidert von scheusslichem Geruch, unterbrechen am Morgen des 27. Juni 1905 die Matrosen der «Potemkin» ihre Decksarbeiten. Hier liegt mehr in der Luft als nur der Gestank fauligen Fleisches. Afanasi Matuschenkow, Fjodor Mischkin und Josef Dymtschenkow waren die Männer, die sich schon den ganzen Morgen darum bemüht hatten, der Missstimmung in den unteren Decks, Plan und Richtung zu geben. «Holt euch selbst Gewehre und Munition», wurde geschrien, «Wir übernehmen das Kommando über das Schiff!» Niemals berechenbar und unwiederholbar einmalig sorgen ALP für eine Symbiose aus wohligem Schauer, Gänsehaut und eiskalten Bigbeatguitarnoiseambientsound. Im Halbdunkel der Filmprojektion arbeiten Bass, Gitarren, Orgel, Schlagzeug, Laptopsound und intuitives Djing daran, dem Filmklassiker ein zeitgemäßes Klangbett zu verleihen. Panzerkreuzer Potemkin; UDSSR 1925; Regie: Sergej Eisenstein; Buch: Nina AgadshanowaSchutko, Sergej Eisenstein; Kamera: Eduard Tissè; Darsteller: Alexander Antonow, Wladimir Barski, Gigori Alexandrow, Wladimir Bakaski, Mitglieder des Proletkult-Ensambles, Mannschaften der Roten Flotte DO 15. NOV / 20.00h // Clubraum Lesung: KURT WYSS Workfare: Alles zur neuen strafenden Sozialpolitik In den vergangenen zwanzig Jahren wurde in vielen Ländern eine neue Sozialpolitik unter Stichworten wie Work Not Welfare, Arbeit statt Sozialhilfe, Arbeitsintegration, 1-Euro-Jobs, Integration statt Rente oder Ähnlichem durchgesetzt. Diese Sozialpolitik lässt sich mit einem aus dem Amerikanischen stammenden Neologismus kurz als Workfare bezeichnen. Die vorgelegte Untersuchung unternimmt den im deutschsprachigen Raum bislang einzigartigen Versuch, Workfare in einer umfassenden Weise zu erklären. Die Untersuchung bleibt nicht bei den Oberflächenphänomenen stehen, sondern bestimmt die Sache gleichsam von den Wurzeln her. Kurt Wyss, Jahrgang 1959, Soziologe, arbeitet seit 1994 mit eigenem Büro für Sozialforschung in Zürich schwergewichtig zu Fragen der Sozialpolitik und der sozialpolitischen Entwicklung. Er führt Forschungsarbeiten im Auftrag öffentlicher Institutionen durch, hält Vorträge und Vorlesungen an Universitäten und Fachhochschulen und publiziert regelmässig. Sein Hauptinteresse gilt der soziologischen Kritik von gesellschaftlichen Prozessen der Entmündigung respektive Sozialdisziplinierung von Menschen.