PP/Journal CH - 8038 Zürich

Transcrição

PP/Journal CH - 8038 Zürich
P.P./Journal CH - 8038 Zürich
FOCUSED
ON YOU
AND
YOUR
NEEDS
3...2...1....meins! Die neue Öffentlichkeit
Die Zeitung der Roten Fabrik November 2007
Ausgabe Nummer 236
Corporate Design. Von der Tagi-Newstafel mit
Werbefilmchen im Rail City Hauptbahnhof
ist es nur ein kleiner Schritt zur Credit Suisse
Erlebnispromenade am Seeufer. Genausowenig wie vom Letzigrund zum Zürich Versicherungs-Stadion. Oder eben zur UBS-Arena.
Rote Fabrik Zürich
Text: Etrit Hasler
Strassenmusik, politische Kundgebungen,
Unterschriften sammeln, ja selbst das Sitzen
am falschen Ort wird unter Bewilligungspflicht
und/oder Strafe gestellt. Elemente, welche
die «öffentliche» Konsumstimmung stören
könnten, Randständige, Punks, Asylbewerber
und nicht zuletzt auch politische Gruppierungen werden aus dem öffentlichen Raum verdrängt und weggewiesen, oder, wo dies nicht
möglich ist, unter konstante Überwachung
gestellt. Ehemals öffentliche Institutionen im
Dienste aller, wie öffentlicher Verkehr, Krankenversorgung, Tele- wie auch postalische
Kommunikation und wohl bald auch die Sozialwerke werden unter dem Druck der wählenden, empörungsfähigen Öffentlichkeit ausgelagert und solange getuned, bis sie entweder
profitabel oder abgeschafft sind. Der service
publique, ehemals Dienst an der Öffentlichkeit
nur noch als zusätzliches Mittel, die Steuern
für diejenigen zu senken, die sich eben vom
banalen Kampf um Lebensnotwendigkeiten
bereits emanzipiert haben und sich nur noch
dem sorgenfreien, ungestörten Konsum hingeben können. Damit das ideal vor sich gehen
kann, werden die ehemals heterogenen Räume in einem ersten Schritt zu Monotopien, zu
einseitig benutzbaren Räumen, umgewandelt,
und in einem zweiten zu Erlebniswelten nach
nicht im öffentlichen Raum
Vielleicht gerade deswegen wollte man bei der Stadt auch nicht viel
von den .ch-Zeitungsständern wissen, weder im öffentlichen Raum
- ausser bei den Haltestellen der VBZ, wo es auf einen Kasten mehr
oder weniger nicht mehr ankommt -, noch bei den städtischen Liegenschaften. «Wir möchten grundsätzlich keine Zeitungsständer vor
unseren Liegenschaften und haben das dem Verlag auch so kommuniziert,» erzählt Hans Graf, Bereichsleiter Liegenschaften der Stadt.
«Seither werden die Zeitungen einfach in die Hauseingänge gelegt,
da stören sie niemanden.» Mit dieser Einstellung steht die Stadt
Diese Logik manifestiert sich heute in den
erneuten Diskussionen um die Öffentlichkeit
an sich: Städtische Plätze, vormals Zentren
des sozialen Lebens einer Gemeinde, werden unter dem Deckmantel der «öffentlichen
Sicherheit» gesäubert und zunehmend zur
Konsumzone erklärt: Getreu dem Prinzip «Dä
schneller isch dä gschwinder» werden vormals öffentliche, also allen gehörende Flächen, an den Meistbietenden verkauft, als ob
sie auf Ebay ausgeschrieben wären.
Wigdorowits hält solche Fragen für Details und lobt lieber die Vorzüge
seiner Zeitung. «Der Start ist geglückt, das Produkt ist gut. Natürlich
haben wir noch einen langen, harten Weg vor uns. Aber wir werden
die Auflage ab nächstem Jahr auf 500'000 steigern, um noch präsenter
und flächendeckender zu sein. Punkt ch ist aus der Medienlandschaft
nicht mehr wegzudenken.» Auf die Frage, ob er sich nie überlegt habe,
ob die Ständer als Werbung bewilligungspflichtig seien, lacht er nur:
«Ich habe einmal scherzhaft gesagt, wenn jemand den Ständer mit nach
Hause nimmt, dann ist das ein Werbegeschenk von uns.» Und fügt
gleich an: «Aber wir sind auch ganz froh, wenn man sie stehen lässt.»
Ganz im Gegenteil: «Das System funktioniert. In den Städten, wo wir
präsent sind, haben wir 40% der Liegenschaften mit Ständern abdecken
können», erklärt Wigdorowits am Telefon. «Das ist auch der sinnvollste
Weg. So werden die Zeitungen nicht nass und unsere Verteiler können am nächsten Tag die überzähligen Zeitungen wieder mitnehmen.»
Probleme habe es höchstens mit den Abwärten gegeben, die teilweise
nicht gewusst hätten, was es mit den Ständern auf sich habe und
sie kurzerhand auf die Strasse stellten, woran sich dann natürlich wieder die Stadt störte. Bei den privaten Liegenschaftsverwaltern klingt
das ein bisschen weniger euphorisch. «Wir hätten uns auf jeden Fall
eine bessere Kommunikation gewünscht», meint Svetlana Ilic,
Sachbearbeiterin der Liegenschaftenverwaltung Verit AG. «Es gab eine
einzige Vorinformation an unsere Geschäftsleitung rund einen Monat,
bevor die Ständer aufgestellt wurden, die aber so nicht zu den
Mitarbeitern kam. Besonders zu Beginn gab es diverse Beschwerden
von Mietern und Abwärten, denen die Ständer im Weg waren.» Zwar
habe man seither mit dem Punkt ch-Verlag Kontakt aufgenommen und
da, wo Beschwerden vorhanden gewesen wären, seien die Ständer
auch entfernt worden. Aber man staune doch ein bisschen über das
Vorgehen, ohne eine Bewilligung von Seiten des Hausbesitzers einfach
etwas vor die Haustür zu stellen.
Zürich nicht allein da. Auch das Liegenschaftenamt der Stadt St.Gallen
erteilte .ch eine Absage: «Wir stellen grundsätzlich keine Plakate oder
Zeitungsständer vor unseren Häusern auf», bestätigt die stellvertretende Leiterin Jasmin Friedli eine Aussage im St.Galler Tagblatt. Die Stadt
dürfe nicht einzelne Firmen bevorzugen, und ganz abgesehen davon
befürchte man zusätzlichen Abfall vor den Liegenschaften. War Wigdorowits' «geniales» Vertriebssystem also ein Reinfall?
Dabei ist das alles andere als selbstverständlich. Hannah Arendt stellte fest, dass die
Urväter der Demokratie, die alten Griechen,
ein ganz anderes Verständnis von Öffentlichkeit hatten: Die Teilnahme am «öffentlichen»
Leben auf dem zentralen Platz der Polis, der
Agora, war den freien (männlichen) Bürgern
vorbehalten, welche die Lebensnotwendigkeiten des privaten Haushaltes überwunden
hatten und in die freie Sphäre der Öffentlichkeit übergehen konnten. Dieser Logik
folgend wäre ein arbeitender Mensch nicht frei,
da er/sie noch mit den Lebensnotwendigkeiten
beschäftigt ist, welche ihn/sie der Freiheit
berauben.
Ja, er darf. Zwar ist es so, dass Werbeflächen grundsätzlich bewilligungspflichtig sind, und zwar, ob auf öffentlichem oder privatem
Grund. Wie Urs Spinner, Sprecher des Hochbaudepartementes der
Stadt Zürich erklärt, werden die Ständer nicht als Werbung angesehen: «Wir haben vor allem auf die Verhältnismässigkeit geachtet.
Natürlich haben wir es bei diesen Ständern mit etwas zu tun, das
auch in diesen Bereich geht, aber sie sind ja ziemlich klein und
auch offensichtlich nicht primär als Werbefläche gedacht, sondern
eben als Zeitungsständer. Wir beobachten allerdings, wie sich die
Situation weiterentwickeln wird.» Und das, obwohl die Stadt sonst
alles andere als kulant ist im Umgang mit Werbung, ganz besonders
in der Innenstadt: Im Niederdorf beispielsweise ist es nur gerade
den ansässigen Läden gestattet, für sich selber Werbung zu machen.
Als letzthin ein cleverer Werbemann auf die Idee kam, im Schaufenster einer Apotheke im Quartier Flachbildschirme aufzustellen,
intervenierte die Stadt und bekam auch vor Kantonsgericht recht.
«Natürlich ist der Werbedruck besonders in der Altstadt sehr gross,
aber wir müssen auch das Stadtbild schützen», führt Urs Spinner
aus. «Wir sind zwar der Ansicht, dass Werbung zu einer Stadt wie
Zürich gehört, aber nicht in unbegrenzter Menge und auch nicht an
allen Orten.»
Als Verleger Sacha Wigdorowits bekannt gab, er plane eine neue
Gratiszeitung für die Schweiz, wurde er höchstens belächelt: Als ob
es neben den bereits existierenden Pendlerblättern nun noch eines
brauche, wurde da moniert. Als Wigdorowits dann noch erklärte, er
wolle das Blatt in alle Haushaltungen liefern, hielt man ihn endgültig
für verrückt. Das sei doch nicht bezahlbar, so etwas schweizweit zu
verschicken. Doch dann stellte der Verlag Punkt ch plötzlich überall
in der Schweiz kleine, notenständerähnliche Gebilde auf, bei vielen
Leuten direkt vor der Haustür. Und den Kritikern blieb das Lachen
im Hals stecken, höchstens gefolgt von einem verschluckten: Darf
der denn das?
Guerillamarketing in Anwendung: Seit September ist eine neue Gratiszeitung im Umlauf, wahrscheinlich auch bei dir zu Hause vor der Tür.
Wieso sie da sein darf, ist gar nicht so klar.
«Wir sind ganz
froh, wenn man sie
stehen lässt»
Kaum ein Begriff ist in den letzten Jahren
so weit herum in aller Munde, ohne gleichzeitig definiert zu werden, wie die Öffentlichkeit.
Von öffentlichem Raum ist da die Rede, von
öffentlicher Meinung, Medienöffentlichkeit,
öffentlicher Kunst, öffentlichem Privatleben,
öffentlichem Dingsbums. Als ob dauernd und
immerwährend klar wäre, was denn das zu bedeuten hätte. Dabei ist kein anderes Konzept
im neuen Jahrtausend so sehr unter Beschuss
geraten wie eben diese vielbeschworene Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit fängt da an, wo
die Privatsphäre des Einzelnen aufhört, würde
man denken. Öffentlich sind somit alle Dinge,
die wir gemeinsam, als Gesellschaft, als soziale Gruppe, als Kollektiv - oder sonst der Staat
in unserem Namen - produzieren, nutzen oder
verwalten. Der öffentliche Raum wäre denn
auch der Teil einer Stadt oder eines Dorfes,
der Allen gehört: Ein zentraler Dorfplatz zum
Beispiel, oder die Seepromenade.
ht
c
a
So m Leben
das ss!
Spa
Und schuld an allem, wie könnte es anders
sein, sind die Medien: die vielzitierte «öffentliche Meinung», welche sich bei näherer Betrachtung als nichts anderes herausstellt als
der jeweils aktuelle Trend der sogenannten
Meinungsmacher, die ihrerseits auch nur unter dem Druck des freien, sprich: öffentlichen,
Marktes stehen. Da darf es nicht verwundern,
wenn hier gleichzeitig auch noch das Privatleben vermeintlicher Vorbildfiguren öffentlich
gemacht wird: People Pages ganz zuvorderst,
vor Kultur, vor Politik, da wo früher das «öffentliche» Strip-Girl ihre konsumierbaren Vorzüge der nationalen Männerwelt präsentierte.
Von der Peep Show zur Leitkultur in zwanzig
Minuten. Und nicht einmal wir vermeintlich
«Alternativen» sind davor gefeit. Wir tauchen
ein in die kapitalistisch dominierte Sprache,
bilden das ab, was uns die konsumierende Öffentlichkeit vormacht, ganz «zugeschnitten auf
die Bedürfnisse unserer Kunden». Und das,
obwohl wir nur von der letzten öffentlichen
Institution, der Stadt, Geld dafür kriegen...
Editorial: Etrit Hasler
Werben bis zum Sieg
WE
LIKE TO
ENTERTAIN
YOU
WE
WANT
YOUR
ADVISORY
SIE
SIND
UNSER
GAST
YOUR
FIRST
SHOPPING
DESTINATION
PLANEN
SIE
IHRE
ZUKUNFT?
ALWAYS
A
SMILE
JEDEM
SEIN
HEIM
DAMIT
KOMMEN
SIE
GUT AN
NEUE
PERSPEKTIVEN
FÜR
SIE
NÄHER
BEI
DEN
STARS
FOCUSED
ON YOU
AND
YOUR
NEEDS
SCHÖN
WENN
MAN DIE
WAHL
HAT
In einer übersättigten Medienlandschaft mutiert das Buhlen um die
Aufmerksamkeit potentieller Kundschaft zum «Kleinen Krieg»:
Guerilla-Marketing nennen es die Fachsprachler. Den nächsten
Bunker aufsuchen müssen Sie trotzdem nicht.
Die dicke Zigarre ist der Parisienne oder dem
Nikotin-Pflaster gewichen, anstelle von weissem
Rum wird Nespresso getrunken; einzig das Traktandum bleibt: die Planung von Überraschungseffekten und der strategische Kampf aus dem
Hinterhalt. Auch dem subversiv-kubanischen
Keller der 50er Jahre sind sie entstiegen, die
modernen Guerilleros: Sie tagen im trendigen
Sitzungszimmer einer x-beliebigen Firma oder
Werbeagentur, tragen teure Sakkos und Turnschuhe, träumen nicht von Umsturz, wohl aber
von der umsatzsteigernden, imagezuträglichen
Kommunikations-Offensive per se.
«Impossible is nothing»
Guerilla-Marketing, so das Schlagwort, wurde gemäss Fachbüchern in den 60er Jahren in
den USA entwickelt und anfangs vor allem von
kleinen Unternehmen eingesetzt. Der Begriff bezeichnet eine «Strategie, bei der nichts ahnende
Menschen spontan Werbebotschaften ausgesetzt werden», schreibt die Branchen-Zeitschrift
Horizont. Eine weitere Klassifizierung wäre: Bei
Guerilla-Marketing wird versucht, «mittels unkonventioneller Denkweise bei möglichst geringem Mitteleinsatz maximale Aufmerksamkeit zu
erzeugen.» Einfacher: Mit ausgefallenen Ideen
und wenig Kohle soll für möglichst viel Wirbel
gesorgt werden – also frei nach dem Motto: Ein
brillanter Einfall im Kopf ersetzt die Münze im
Beutel.
Zurück ins Sitzungszimmer. Nach dem fünfhundertsten Brainstorming werden die besten
Angriffsmöglichkeiten skizziert. Letztere sind
nicht immer brillant, mit Sicherheit aber durchs
Band überraschend: «Wir setzen 3000 PlastikEntchen aus.» (Adidas) «Lasst uns 5000 Portemonnaies mit Hotelgutscheinen in der Stadt
verstreuen.» (Luzern Tourismus) «Warum landen
wir nicht ein UFO auf dem Paradeplatz?» (VBZ)
«Lasst uns die Zürcher Brunnen zu "Woks"
oder "Suppenschalen" umwandeln, indem wir
überdimensionale Koch-Kellen reinstecken.»
(Restaurant Hiltl) «Kommt, beschriften wir alte
Strassenlaternen, Fahrstuhltüren, Parkbänke
und weitere Objekte in der Innenstadt mit dem
Hinweis 'Frisch gestrichen!'» (Schauspielhaus
Zürich) Oder 'Man nehme: Dr. Oetker': «Drapieren wir Denkmäler mit napoleonischem Dreispitz
und Trikolore-Schärpen.»
Gesagt, getan, gebüsst
Nicht nur die Schmuckbinden an den steinernen Herren sorgten für Scherereien: Derartige
«Sonderbenutzungen» des öffentlichen Raums
ohne Bewilligung sind hierzulande gesetzeswidrig. Manch waghalsige Aktion wird daher als
«unbewilligter gesteigerter Gemeingebrauch»
verzeigt. Der erwähnte Nahrungsmittelproduzent
wurde zur Kasse gebeten, und auch Adidas, die
VBZ sowie das Schauspielhaus mussten «tief»
ins Portemonnaie greifen, um etwas Kleingeld
fabrik
TM
rauszukramen: Letztere wurden mit jeweils ein
paar hundert Franken gebüsst. Derartige Strafgelder sind überaus läppisch, bedenkt man die
Verdutztheit potentieller Konsumenten und die
Gratis-Werbung durch die Berichterstattung in
den Medien bzw. die hohe Präsenz einer gelungenen Aktion.
Einen sicherlich teureren Spass erlaubten
sich ein paar Werber in den USA: Mit blinkenden Bombenattrappen wurde unlängst in verschiedenen Städten auf die Kultserie «Aqua
Teen Hunger Force», die neuen Abenteuer eines
sprechenden Milchshakes, einer Tüte Pommes
und eines Fleischklopses, aufmerksam gemacht. Der Akzent lag bei der Aktion wohl zu
sehr auf der Etymologie des Wortes Guerilla (urspr.: «Kleinkrieg») und zu wenig auf Marketing:
Die Bevölkerung in Boston geriet regelrecht in
Panik. Strassen, Brücken und Teile des Flusses
Charles wurden gesperrt, polizeiliche Sondereinheiten zur Bombenentschärfung rückten an,
zwei der Verantwortlichen wurden festgenommen. Dabei ist eines gelungen, zweifelsohne:
Mittels unkonventioneller Denkweise wurde bei
möglichst geringem Mitteleinsatz maximale Aufmerksamkeit erzeugt. Womit wir wieder bei der
Definition von Guerilla-Marketing wären oder
bei der Frage: Wie weit dürfen Werbe-Attacken
gehen?
Von wegen «Reklame-Pazifismus»
In der Schweiz brauchen wir uns vor zu gewagten Spontanangriffen kaum zu fürchten.
Nicht nur die Polizei rüffelt, kaum schwimmt
ein künstliches Entlein zuviel im Teich, auch
viele Firmen betrachten das Werben am Rande
des Erlaubten als unseriös und bezichtigen die
«Krieger» der billigen Effekthascherei. Nur gerade mal fünf Prozent aller Unternehmen setzen
hierzulande auf «alternative Werbeformen» wie
virales Marketing* und Guerilla-Massnahmen.
Dabei entsprichts dem gängigen Credo, dass
Werbung lauter ticken – sorry: schreien – muss,
um überhaupt noch Gehör zu finden. Die Guerilleros sind überzeugt: «Offensiver, aggressiver»,
müsse sie sein, wolle man den Kampf gegen
träge, reizüberflutete Konsumenten gewinnen.
Sauteure TV-Spots und die Strassen-Tapezierung mit Plakaten im F4-/Weltformat bringen
heutzutage niemanden mehr «zum Fall» und an
die Kasse.
Mit einer solchen Erkenntnis in einem jeden
CEO- und/oder Werbeplaner-Ordner fragt man
sich natürlich: Warum bleibt unser Volk weitgehend verschont? Und: Darf man dem (vermeintlichen) Frieden trauen? Vielleicht sind die meisten
Unternehmen hierzulande tatsächlich überzeugte Reklame-Pazifisten und Paragraphenreiter,
oder aber es mangelt an guten, unterhaltsamen
Angriffs-Ideen. Denn wenn wir schon «out of
the blue» attackiert und mit dämlichen Slogans
gepeinigt werden, dann sollte es wenigstens
bestes, bahnbrechendes «Infotainment» sein.
Doch: Rein am friedsamen Geiste kann’s nicht
liegen, denn auch die Schweiz hat Querdenker
in Petto – einer trug sein Unternehmen gar revolutionär in die Öffentlichkeit, lange bevor der
Begriff «Guerilla-Marketing» überhaupt erfunden
war: «Dutti der Riese» flimmert derzeit nicht nur
über die Kinoleinwände, der Gründer der Migros
war auch ein äusserst populärer Kommunikator,
der beispielsweise schon in den 1930er-Jahren
Flugblätter über Zürich abwerfen liess (und –
am Rande erwähnt – auch mal Steine gegen ein
Fenster des Bundeshauses schmiss). Duttweiler
war ein Hitzkopf und rauchte Zigarren, vielleicht
lag’s daran. Oder am Kaffee – denn den produzierte er zeitweise gar selbst.
Text: Andrea Keller
* Unter dem Begriff Viral Marketing wird ein
Konzept verstanden, bei dem Kommunikationsbotschaften von Unternehmen kostenlos
verbreitet werden. Viral bedeutet «replizierbar»
(Duden), und entsprechend setzt Viral Marketing auf die Idee der ansteckenden Nachricht,
sprich: Mund-zu-Mund-Propaganda.
NEUIGKEITEN
AUS
DEM
JENSEITS
BLEIB
COOL
MAN
EINFACH
UNWIDERSTEHLICH
ERREICHEN
SIE
HÖHERE
ZIELE
ZWEI
JAHRE
DIE
MICH
WEITERBRINGEN
SIE
STEHEN
IM
MITTELPUNKT
WILLKOMMEN
IM
WUNSCH
PARADIES
FÜR
BEIDE
SEITEN
EIN
GEWINN
t
r
O
t
h
c
i
N
m
a
Wenn
alles passier t
Sind Einkaufscenter, Flughäfen, Highways Orte der Leere und Kulturlosigkeit?
Aus Sicht der EthnologInnen, ja. Doch in Filmen verkörpern sie Ausgangs-,
Kulminations- und Höhepunkt in einem.
Strassen, Einkaufscenter, Tankstellen und
Flughäfen sind die Bezugspunkte des modernen Lebens, und gleichzeitig sind sie jenseits
von Geschichte, Identität und Beziehung. So
zumindest die Theorie des französischen Ethnologen Marc Augé, dessen Werk «Non-Lieux,
introduction à une anthropologie de la surmodernité» seit seiner Erscheinung 1992 immer
wieder für Widerhall sorgte. Entgegengesetzt
sind diesen Nicht-Orten die ethnographischen
Orte, in denen die Geschichte mit der örtlichen Kultur und damit auch mit der Identität
des Menschen verschmilzt. Eine Shopping
Mall hingegen könnte überall stehen. Sieht
man die immer gleichen Markennamen, die
höchstens die Schriftzeichen wechseln und
die stereotype Architektur, erkennt man
nicht, ob man sich gerade in Brunei, Hong
Kong, Johannesburg oder Spreitenbach befindet. Dasselbe in Luxushotels, Tankstellen,
in Airport-Lounges und Duty-Free-Shops, auf
Highways und in öffentlichen Verkehrsmitteln.
In diesen Orten ohne direkten Bezug zur sie
umgebenden Gesellschaft tritt der Besucher
in eine Zwischenwelt des Transits und der
kommerziellen Verdinglichung ein, trennt sich
von einem Teil seines kulturellen Gepäcks,
um es nach einem Schleudergang durch den
Non-Place am Gepäckband oder Ausgangstür
wieder in Empfang zu nehmen.
In der Theorie von Marc Augé und bei denjenigen, die sich auf sie beziehen, schwingt bei
der Nennung von Non-Places ein negativer
Unterton mit. Im Non-Place verliert sich das
Individuum in der Hypermodernität, verbindet
sich Zeit, Raum und Bewegung zu einem
rastlosen, von jeglichen Bezügen losgelösten
modernen Dasein. Nicht-Orte werden als
Sinn entleert, trostlos und unheimlich empfunden und in der bildenden Kunst auch so
dargestellt. Umso interessanter ist deshalb
die Tatsache, dass in Filmen Nicht-Orte meistens eine ganz andere Rolle spielen.
Überall und nirgends zugleich
So kulminieren die Ereignisse in ActionFilmen auf Highways in Form der obligaten
Verfolgungsjagd. Selbst bei der auf Authentizität bedachten Bourne-Trilogie könnte die
Moskauer Verfolgungsjagd des zweiten Teils
überall spielen. Und im dritten Teil, «The
Bourne Supremacy», ist ein Höhepunkt des
Films, wie Jason Bourne einen Journalisten
mit Hilfe eines Prepaid-Handys durch einen
Bahnhof lotst, um ihn vor den Killern des CIA
zu retten. Die Liste liesse sich beliebig fortsetzen, von «Midnight Run» mit seiner Jagd
durch die USA bis hin zu «Speed», dessen
gesamte Handlung sich ein einem öffentlichen Verkehrsmittel abspielt.
Aber nicht nur in Action-Filmen werden die
Karten in Non-Places neu gemischt, auch
andere Genres wurden von diesen Orten inspiriert. Vielleicht liegt es daran, dass diese
identitätslosen Orte die Fantasie beflügeln,
indem unbegrenzte Zuschreibungen und
Aufladungen möglich werden. Gleichzeitig
vervielfältigt die Tatsache, dass Non-Places
überall zugleich sein könnten, die emotionalen Andockstellen der ZuschauerInnen. So
treffen beispielsweise die ProtagonistInnen
des Episodenfilms «Love Actually» am Anfang
und Ende des Films auf dem Flughafen
zusammen, und in Steven Spielbergs «Terminal» spielt gar ein ganzes Märchen vom
gestrandeten Immigranten (Tom Hanks) in
einem Flughafen.
Die Zwischenwelten, durch welche die Individuen befreit vom Ballast ihres Anhanges und
ihrer Kultur, zu einem einzigen Zweck – sei
es Konsum oder Transit – durchgeschleust
werden, eröffnen das Feld der Möglichkeiten
und lassen auch einmal Unglaubliches wahr
werden. So treffen sich die gegensätzlichen
Liebenden Juliette Binoche und Jean Reno in
«Jet Lag» im Flughafen, und auch in «Lost in
Translation» wird der gesichtlose Luxus eines
Hotels zum Ort der Begegnung zwischen
Bill Murray und Scarlett Johansson. Auch
Earl (Jason Lee) aus der Fernsehserie «My
Name is Earl» erlebt schicksalhaftes an einer
Tankstelle. Er verliert sein Millionenlos, und
beschliesst darauf, sein Leben in Ordnung
zu bringen, in dem er die Untaten seiner Vergangenheit ausbügelt. Und zieht dafür in ein
gesichtloses Motel, von dem aus das Karma
über seine Zukunft entscheiden soll.
Verbrüdernde Lebensfeindlichkeit
In den Übergangswelten von Tankstellen, Hotels und Bahnhöfen kumuliert sich der Zufall,
man begegnet sich auf seinem Durchgang
nur einmal, und doch erlebt man, sobald man
innehält, hunderte von kleinen Geschichten.
In Mallrats wird ein Shoppingcenter zum
einzigen Schauplatz eines ganzen Films, und
damit der Erlebnisse der Freunde Brodie Bruce und TS Quint. In «Subway» und «Ladrones»
spielen die wichtigsten Szenen in der U-Bahn,
und der argentinische Film «Möbius» dreht
sich sogar ganz und gar um die U-Bahn. Die
Rahmenhandlung von «Persepolis» ist das
Warten in einem Flughafen, und in «Central
Station» begegnen sich die verbitterte ältere
Briefschreiberin und der verwaiste Junge im
Bahnhof, um sich danach auf eine Reise quer
durch Brasilien zu machen. Damit hat dieser
Film, wie alle Road Movies, den Transit und
seine Stätten zur dominierenden Rahmenhandlung erhoben.
Denn wer weiss, vielleicht ist es sogar auch
schlicht die Lebensfeindlichkeit solcher Orte,
welchen die Menschen zur Verbrüderung anhält. Verbringt man drei Stunden gestrandet
an einem Busbahnhof, steigt die Wahrscheinlichkeit mit seinem Nächsten ins Gespräch
zu kommen, anders als in einem idyllischen
Park, in dem man sich auch alleine bestens
verlustieren kann. Und so treffen dann die
Versäumnisse der Hypermoderne in ihren
geschichtslosen Stätten aufeinander und
lassen das wahr werden, was durch sie verunmöglicht schien: Gemeinschaft, Beziehung,
Liebe und Abenteuer.
Text: Barbara Kunz, mit speziellem Dank an
Fabio Feller / Les Videos
Heisst das nich
t
Ehr engästin?
Der Wahlkampf 07 hat nicht nur schärfere Töne mit sich gebracht.
Mit der tourenden Bundesratsgattin Silvia, die aus ihrem Leben als «starke
Frau dahinter» erzählt, wurde die Schweizer Politik endlich (?)
auch um das lange Zeit tabuisierte Privatleben der Politiker erweitert.
Es ist Mittwochabend vor den Wahlen in
Heerbrugg, einem 2500-Seelenkaff im
sanktgallischen Rheintal, tiefes SVP-Land.
Am Eingang der Garage Eggenberger stehen
zwei Kantonspolizisten mit Knopf im Ohr,
wahrscheinlich, um potentiell gefährliche
Chaoten abzuhalten, daneben SVP-Nationalrätin Jasmin Hutter, die Wahlkampfmaterial
verteilt, Messer mit dem Aufdruck «Huttermesserscharf» - guerilla-marketing à la
Balkankriminalität. Drinnen stehen die Leute
bei Schinkengipfel und Rosé zwischen den
neusten VW-Modellen und plappern vergnügt.
Roland «Rino» Büchel, ein SVP-Kantonsrat
und Fussballmanager, wuselt durch die
Gegend, schüttelt Hände, schäkert mit Kollegen, dazwischen Toni «Strahlemann» Brunner,
der mit eingefrorenem Grinsen sein bestes
Wahlgesicht präsentiert. Einzig der Journalist
vom Lokalfernsehen ist enttäuscht, weil der
Ehrengast noch nicht da ist. «Heisst das
nicht Ehrengästin?» fragt jemand und alle
lachen. Das Publikum ist durchgehend weiss,
übwiegend männlich und bebaucht. Einer
scherzt: «Hier haben eh schon alle gewählt».
Und es besteht kein Zweifel, für welche
Partei.
Dann, plötzlich, kommt grosse Aufregung in
die Halle: Silvia ist da. Das heisst, eigentlich
ist sie eben nicht da. Auf jeden Fall hat sie
keiner gesehen. Sie sei schon ins Kino nebenan, wo der eigentliche Anlass stattfinden
wird, der Vortrag, beziehungsweise das Gespräch zwischen Toni Brunner und eben ihr,
der Übermutter einer Nation. Sylvia Blocher.
Die Ehefrau allen Übels. Veranstalter Büchel
wuselt davon, allerdings nicht ohne BaggerJasi noch einen Rüffel zu verpassen: «Wir
haben doch gesagt, keine Giveaways heute!»
Die Szene wechselt ins benachbarte Kino
Madlen. Nicht ein SVP-typischer Ort, ein Kulturkino, das draussen im Schaukasten den
deutschen Film «Schwarze Schafe» bewirbt.
Die SVP scheints nicht zu stören. Schliesslich wollte Silvia keine grossen Auftritt in
einem Festsaal, wie in der Einladung zu lesen
ist, sondern sie wollte «dort sein, wo die
Leute arbeiten, dort wo Menschen etwas für
ihr Geld tun und wo man das auch sieht und
spürt, dort, wo die Kultur gelebt wird.» Die
Zuschauer nehmen Platz in den Kinsosesseln
und warten. Silvia ist noch draussen und
redet mit der Kamera, das Schweizer Fernsehen ist da und dreht einen Dok-Film über sie.
Als sie den Saal endlich betritt, ein verhaltener Applaus, keine standing ovations, wie
man erwartet hätte. Sie wirkt etwas nervös
und vor allem überschminkt. Aus der Nähe
sieht sie aus wie eine Schaufensterpuppe.
Doch es geht immer noch nicht los. Erst eine
kurze Ansprache von Rino Büchel, dann die
grösste Überraschung des Abends: Das musikalische Vorprogramm bestreitet kein Volksmusikensemble und kein Jodlerchor, sondern
drei vermeintliche Mitglieder der Kelly Family
auf türkischen Flöten. Titel des Songs: «Die
Liebe ist wie das Wasser zum Trinken.» Im
Saal einiges an Kopfschütteln, aber man
nimmt sich zusammen, schliesslich hat man
lange gewartet, dass die «First Lady» auch
einmal das SVP-treue Rheintal besucht.
Schon immer gleichberechtigt
Und dann endlich ist es soweit. Silvia und
Toni, der als «einziger wirklich bürgerlicher
Ständeratskandidat» vorgestellt wird,
besteigen das Podium und machen es sich
in ihren Sesseln bequem. Sie sei tatsächlich nervös, wird sie von Brunner geoutet,
aber das könne er auch verstehen, man sei
ja nicht alle Tage mit einem so attraktiven
jungen Mann wie ihm auf der Bühne. Aber
genug von ihm, die Leute seien ja wegen ihr
gekommen, man wisse ja so wenig über sie.
Und sie erzählt tatsächlich. Darüber, wie sie
in Wald im Zürcher Oberland aufgewachsen
sei, einer reichen Textilgemeinde, wo man
gerne auf andere Dörfer herabschaute, wo
das Brauchtum noch in Ordnung sei, wo zu
Silvester die Männer als Chläuse und Söldner und Tells herumziehen und um Mitternacht den Rütlischwur nach Schiller zitieren.
Das habe sie schon immer geprägt, erzählt
sie, das und in der Zeit nach dem Krieg
aufgewachsen zu sein, als man den Dingen
noch Sorge hielt, den Kleidern und dem
Essen und der Umwelt. Ihr Vater habe ein
Tiefbauunternehmen gehabt, und ihre Mutter
sei eine tüchtige Frau gewesen, die «lismete»
und nähte und dreimal am Tag kochte, und
sie habe «damals schon das Gefühl bekommen, dass Frauen wirklich gleichberechtigt
waren». Den Christoph Blocher habe sie nach
ihrem Austauschjahr in Middletown, Ohio,
kenngelernt. Sie nennt ihn Christoph Blocher,
nicht Christoph, nicht Chrigi. Er habe sie in
der Badi angesprochen, erzählt sie, und lässt
erahnen, dass das nicht selbstverständlich
war. Denn immerhin war er ein zugezogener,
ein fremder Fötzel, und dazu noch Bauer.
Dementsprechend habe sie ihn auch behandelt, habe er ihr später erzählt, arrogant sei
sie gewesen, und erst, als die beiden sich
bei einer Zugfahrt vom Theater wiedertrafen,
seien sie über Lessings Nathan der Weise
ins Gespräch gekommen.
Toni langweilt sich sichtlich, während sie
spricht. Er ist sich nicht gewohnt, nicht im
Mittelpunkt zu stehen, und immerhin hat er
die Geschichten alle schon gehört. Wenn
er kann, bringt er sich wieder ins Gespräch,
zieht am liebsten Parallelen zu sich selber
oder erzählt Witze wie: «Christoph Blocher
und die Familie wandern auf die Ebenalp. Die
Kinder fragen, wie lange das dauert, Christoph Blocher antwortet: Eineinhalb Stunden.
Nach einer Stunde fragen die Kinder, wie lange es noch dauert. Christoph Blocher sagt:
Eineinhalb Stunden. Die Kinder revoltieren:
Papi, das hast du schon vor einer Stunde
gesagt! Christoph Blocher antwortet: Kinder,
eines müsst ihr euch merken. Ein SVPler
ändert seine Meinung nie.»
Die Geschichte kippt
Bis zu diesem Zeitpunkt erzählt Silvia nicht
von Politik, stattdessen die Geschichte, wie
sie als Lehrerin arbeitete, um sich und ihren
studierenden Christoph durchzubringen,
«ganz zum Missfallen der Familie», und sie
wird einem beinahe sympathisch. Eine starke
Frau, die ganz im Gegensatz steht zu dem
Bild, das die SVP sonst gerne kommuniziert.
Doch dann kippt die Geschichte. Nach der
Heirat die Politik. Und ab hier geht es nicht
mehr um sie. Es geht nur noch um Christoph.
Als ob man über den nicht schon genug
wüsste. Über sein erstes lokalpolitisches
Engagement in Meilen, über seine Wahl zum
Kantonsrat, Nationalrat, Bundesrat. Über
seinen Kampf gegen die Europäische Union.
Darüber, wie er hatte leiden müssen, wie
er in den Medien dargestellt wurde. Und
darüber, wie sie ihm in all der Zeit nicht nur
immer den Znacht gemacht habe, sondern
auch seine Auftritte geplant. Jetzt könne sie
das nicht mehr, dafür gebe es im Bundesrat
Stabsstellen. Also das kochen schon noch,
deswegen habe sie ja eine Wohnung in Bern
gesucht, damit sie für ihn am Mittag kochen
könne, während er sich einsetze für unsere
Schweiz, unsere Werte, unsere Freiheit.
Applaus. Jetzt sind sie da, die Standing
Ovations.
Dann darf das Publikum Fragen stellen.
«Ganz besonders kritische», wie der Veranstalter noch betont hatte. Doch es wird
nichts daraus. Eigentlich kommen gar keine
Fragen, nur Anmerkungen. Eine ältere Frau
gibt ihr Ratschläge für Christoph mit. Ein lokaler EDU-Nationalratskandidat betet für Blochers Wiederwahl, da er gesehen habe, dass
das Wort Gottes in dieser Familie wirklich
gelebt werde. Vierzig Jahre ohne Scheidung
sei heute ja leider eine Selternheit geworden.
Silvia verschweigt natürlich, dass sich eine
ihrer Töchter hat scheiden lassen von einem
Appenzeller Pfarrer. Und dann doch noch
eine Frage: Was sie denn machen würde,
wenn sie selber in die Politik ginge? «Also,
ich würde die Missbräuche bekämpfen, jetzt,
wo man endlich darüber reden darf, in den
Sozialwerken und beim Ausländerproblem
allgemein. Und, also, das mit den Krankenkassen müsste man schon mal regeln, denke
ich.» Wieder Applaus, dann Photos. Büchel,
Toni und Silvia posieren. Alle lächeln. Nur
Bagger-Jasmin steht beleidigt daneben, weil
der Rino sie vorher so «aapfurret» hat.
Text: Etrit Hasler
Bin ich doch blöd?
Mit Angst gegen
die Öffentlichkeit
Interview
mit Daniele Jenni
Je
Der öffentliche Raum wird nicht nur verkauft, sondern ist mit Wegweisungen und
Überwachung auch Hauptobjekt der nächsten Sicherheitswelle. Ein Gespräch mit Daniele Jenni zeigt Parallelen auf.
Sie haben die Wegweisung angesprochen.
In Zürich wollte die Regierung ja eine Formulierung, die es ermöglicht hätte, Menschen ausdrücklich aufgrund ihres Aussehens wegzuweisen.
FaZ: Herr Jenni, sie beschäftigen sich schon
seit Jahren mit dem Kampf um die Nutzung
des öffentlichen Raumes, der zunehmend
härter geführt wird. Wie kommt das?
Soweit sind wir in Bern zum Glück noch nicht.
In Bern wie auch in den anderen Städten, die
eine Wegweisung kennen, braucht es mindestens noch einen Verdacht, dass jemand
die öffentliche Ordnung stören könnte. Aber
grundsätzlich läuft das natürlich auf das Gleiche heraus. Die subjektive Angst des Bürgers
wird zunehmend gesteigert und konzentriert
sich auf Menschen, die nicht konform aussehen. Und die Zürcher Formulierung ist da die
logische Konsequenz dieser Geisteshaltung.
Daniele Jenni: Der Druck, neue Räume für die
geschäftliche Nutzung zu erschliessen, wird
immer stärker. Ganz im grossen betrachtet
gehört das zur gleichen Tendenz wie die Privatisierung von natürlichen Ressourcen wie
Wasser oder Luft. In einem Wirtschaftssystem,
in dem alle anderen Dinge und Märkte schon
angeeignet sind, holt man sich jetzt, was noch
nicht vergeben wird. Dazu gehört auch der
öffentliche Raum, der bisher eigentlich Allen
gehörte.
Ist das also einfach eine natürliche Folge
der Globalisierung?
Es ist einfach ein Grundgesetz der gegenwärtigen kapitalistischen Wirtschaftsordnung:
Um weiterhin Gewinne zu erzielen, muss die
Wirtschaft immer mehr Bereiche absorbieren.
Das ist aber, wie gesagt, sehr im Grossen betrachtet. Im Kleinen betrachtet, verbinden sich
hier mehrere Dinge. Da ist einerseits die wirtschaftliche Tendenz, den öffentlichen Raum
zu sterilisieren, um eine konsumfreundliche
Stimmung zu schaffen. Menschen und Aktivitäten, welche eine solche Stimmung stören
könnten, werden weggewiesen im Namen
einer zweifelhaften Cityhygiene. Andererseits
ist da aber auch ein zunehmendes Bedürfnis
nach Sicherheit und Überwachung im öffentlichen Raum, das damit einhergeht, obwohl
es grundsätzlich ganz woanders herkommt.
Die Leute haben zunehmend angst, sei das
um ihren Arbeitsplatz, sei das um ihre Lebenshaltung oder dem Klimawandel. Das wird
dann umgelenkt in Forderungen nach mehr
Sicherheit und Überwachung im öffentlichen
Raum, wie das derzeit gerade zum Beispiel in
St.Gallen diskutiert wird.
Gibt es da einen Zusammenhang? Wird das
Unsicherheitsgefühl nicht gerade dadurch
ausgelöst, dass die Leute nicht mehr über
Dinge, die eigentlich ihnen gehören, verfügen können?
Es ist durchaus denkbar, dass ein Teil der
Angstgefühle daher stammt, dass ihnen der
öffentliche Raum zunehmend weggenommen
wird. Dieses Gefühl wird dann umgelenkt von
den eigentlichen Wegnehmern, also den kommerziellen Nutzern des öffentlichen Raumes,
auf diejenigen, die sich darin aufhalten, die
dann als Sündenböcke herhalten müssen. Da
tauchen dann natürlich auch politische Parteien auf, die Ängste beackern, um daraus politisches Kapital zu schlagen.
Sie haben vorher auf die SVP angespielt.
Interessant war ja, dass sich in Zürich ausgerechnet diese Partei gegen die scharfe
Formulierung gewehrt hat.
Das stimmt, da kam bei einzelnen Vertretern
der Anti-Staats Reflex hoch, was dann dazu
geführt hat, dass der SVP Sekretär Zürich in
der WOZ Rosa Luxemburg zitierte. Aber verallgemeinern kann man das nicht. In St.Gallen
hat sich die SVP weder gegen die Wegweisung
noch gegen die Videoüberwachung gewehrt.
Und jetzt, wo auf nationaler Ebene die Ausweitung des Hooligangesetzes auf Demonstrationen geprüft werden soll, ist die SVP ganz
vorne mit dabei.
War denn das nicht ohnehin vorgesehen?
Es handelt sich dabei ja um das Gesetz zur
Wahrung der inneren Sicherheit, also ein eigentliches Anti-Terrorgesetz.
Natürlich, aber das ist verfassungsrechtlich
sehr fraglich. Dass die heiklen Paragraphen
des BWIS nur auf Sportveranstaltungen anwendbar sind, war eine Anfangskonzession,
um politische Mehrheiten zu finden. Sowohl
die Datenbank aber natürlich auch die Präventivhaft, die jetzt ja eben auch für Kundgebungen diskutiert werden soll, sind rechtlich sehr
fragwürdig. Da stösst man nicht nur bei der
Menschenrechtskonvention, sondern gerade
auch bei der Bundesverfassung an Grenzen.
Dementsprechend gab es ja auch schon bei
der Einführung des Gesetzes grossen Widerstand.
...der in sich zusammenbrach nach den
Ausschreitungen beim Meisterschaftsfinal
in Basel.
Der ging schon noch weiter. Es lag nicht nur
an dem Vorfall in Basel, dass das Referendum
nicht zustande kam. Der Grund war mehr,
dass die Bewegung grossteils aus Leuten bestand, die erst durch den Referendumskampf
politisiert wurden, denen einfach noch die Erfahrung fehlte, das durchziehen zu können.
Trotzdem, das war ein gutes Beispiel dafür,
dass es nur einen einzigen Anlass braucht,
um die Grundrechte über Bord zu werfen.
Was in Amerika mit 9/11 passiert ist, könnte
hier nach den Vorfällen von Bern genauso
passieren.
Aber gerade das Beispiel Amerika zeigt, dass
man zu schnell zu weit gegangen ist. Der Patriot Act kommt mehr und mehr unter Beschuss.
Der Security Trend ist gerade in Amerika wieder
abgeschwächt, weil man die Folgen gesehen
hat. Und in der Schweiz ist das Bewusstsein
noch da, dass die Grundrechte sich nicht daran messen, wie genehm sie gerade sind. Ich
habe an diesem Samstag in Bern festgestellt,
dass da Sympathien aus allen Schichten vorhanden sind, am Fest des Schwarzen Schafs
und bei den Blockaden waren viele Leute, die
man sonst nicht an Kundgebungen sieht. Und
entgegen den Reaktionen in den Medien habe
ich persönlich viel positive Rückmeldungen erhalten. Ein Rechtsstaat hat nicht die Möglichkeit und nicht das Recht, für totale Sicherheit
zu sorgen, und das ist in der Schweiz noch
nicht ganz in den Köpfen drin.
Sie haben aber auch Unverständnis geerntet. Sogar Ruth Genner, die Präsidentin der
Grünen hat sich von Ihnen distanziert.
Das stimmt, hängt aber nicht mit mangelndem
Sinn für Grundrechte zusammen. Die Reaktionen, die von fast allen Parteien kamen, sind
wieder nur Ausdruck dieser Angsthaltung
vor der SVP, dass man nichts gegen die machen darf, weil das denen am Ende nur nützt.
Man sitzt dann da wie ein Kaninchen vor der
Schlange und schaut zu, wie alles immer noch
schlimmer wird. Ich teile diese Haltung nicht,
und das war auch der Grund dafür, dass wir
den Marsch auf Bern nicht einfach hinnehmen
wollten.
Verzeihung, jetzt sind wir doch noch auf
Bern zu sprechen gekommen. Ich wollte das
eigentlich vermeiden, aber es gehört wohl
doch zusammen: Hat die Privatisierung des
öffentlichen Raumes – wie zum Beispiel an
einem Bahnhof - eine Konsequenz auf politische Äusserungen wie Kundgebungen,
aber auch Wahlwerbung und Unterschriften
sammeln?
se
e
l
t
tz
n!
Aber wegen den Vorfällen vom Samstag
wird es jetzt wieder einen neuen Anlauf geben.
Ach, davor habe ich keine Angst. Das ist rechtlich einfach nicht machbar. Wir haben ja schon
mildere Formen von Demonstrationsverbot
gekippt, wie zum Beispiel den Versuch, die
Spital- und Marktgasse für Kundgebungen
zu sperren. Die Grüne Partei Bern-DA und die
Demokratischen JuristInnen haben das angefochten und recht bekommen.
In Bern ist derzeit aber noch eine andere
Privatisierung des öffentlichen Raumes in
der Pipeline, die Ausdehnung der Bahnhofsordnung.
Genau, damit würden alle möglichen Dinge im
städtischen Teil des Bahnhofs verboten werden, so wie Unterschriften sammeln und demonstrieren, aber auch sitzen und liegen auf
Treppen, wo sie das im SBB-Teil des Bahnhofs
schon der Fall ist. Der Gemeinderat wollte das
ja schon vor zwei Jahren mit einem richterlichen Verbot machen und hat kurzerhand eine
Tafel montieren lassen. Wir haben mit einer
Gruppe aus 30 Institutionen Einsprache gemacht und recht bekommen, die Tafel ist zwar
noch da, hat aber keine rechtliche Relevanz.
Unser Argument war, dass das im öffentlichen
Raum nicht möglich sei, ohne dass dafür eine
rechtliche Grundlage existiere. Das hat die
Stadtregierung jetzt anerkannt und wird das
Geschäft voraussichtlich nächstes Jahr ins
Parlament bringen.
Und da wird es nicht einfach nur durchgewunken?
Das glaube ich nicht. So eine Debatte im Parlament bringt schon einiges, denn wir haben
einige Kräfte im Stadtrat, wie zum Beispiel
die Grüne Freie Liste, die zwar für solche Einschränkungen sind, aber die es sich mit ihrer
Basis verscherzen würden, wenn sie sich da
immer weiter aus dem Fenster lehnen.
Interview: Etrit Hasler
Absolut, und da sind es eben nicht nur die
nicht-konform Aussehenden, die Randständigen, die es trifft, sondern da wird ganz generell
die Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit abgeschafft. Und da kommen dann
plötzlich die diversen City-Verbände ins Spiel,
die alle schon seit Jahren jammern, wie ihnen
da das Geschäft verdorben wird und die am
liebsten gleich jegliche Kundgebung verbieten würden. Hier in Bern haben wir zum Glück
einen grossen, gut strukturierten Widerstand,
sowohl parlamentarisch als auch ausserhalb.
Das Anliegen, Demos zu verbieten, ist bisher
immer gescheitert.
ROTE FABRIK
Die Zeitung der Roten Fabrik | November Ausgabe 236
9
Choreographierte Realität
Öffentlichkeit wird inszeniert, von Bern
bis New York. Das heisst nicht, dass
sie damit an Bedeutung verliert, ganz
im Gegenteil. Gerade der Wahlkampf,
hier wie da, arbeitet zunehmend mit den
Mitteln der Fiktion.
Erstaunliche Tage in Amerika. Es
war ein Samstag im Oktober. Dämmerung. Wir sassen wie schwarze Vögel
auf unseren Brettern, draussen auf dem
Pazifik, und predigten die politische
Endlösung Kaliforniens: Einfach schaukeln und auf Wellen warten. Dann kam
die Wahnsinnsmeldung. Aus Bern. Per
SMS. Und das Schaukeln auf dem Brett
hörte einfach auf. Tinu meldete sich aus
der Münstergasse: Strassenschlacht! Polizei marschiert auf gegen Hunderte von
Autonomen. Berner Bundesplatz in der
Hand des «Schwarzen Blocks»! Freunde
marschieren auch mit. Sind die verrückt
geworden? Viel schlimmer noch: Die
verdammte SVP wird von den Krawallen
profitieren, meint Tinu. «Jetzt steht sie
als Opfer da....!!!»
Es war eine in jeder Hinsicht erstaunliche Meldung an jenem wellenlosen
Samstagnachmittag. Am Sonntag berichten New York- und LA Times über
«guerilla-ähnliche Verhältnisse in der
Hauptstadt der Schweiz». Was in den
Kommentaren besonders auffällt, ist wie
immer der besondere Spin. Fast nostalgisch klingt zum Beispiel der Versuch
eines Kolumnisten, den Hintergrund
der wilden Strassenschlacht im Zentrum
europäischer Finanzmacht und demokratischer Vorbildnation zu analysieren.
Der neue Volkssport unter den Schwarzen Blöcken der USA sei doch längst die
«Simulation in Jackassmanier», schrieb
der politische Kommentator der Los Angeles Times, ganz Neil Postman: amerikanische Jugendliche würden sich auf
You-Tube zu Tode amüsieren - und damit
demokratische Werte aufs Spiel setzen während im Finanzparadies Schweiz die
Kinder immer noch auf der Strasse ihr
revolutionäres Bewusstsein ausdrücken
würden. Internet und Fernsehen hätten
längst eine Mauer der Nichtauthentizität zwischen der Jugend und der Welt
errichtet. Die «Vermummten» der USA
seien bloss noch You-Tube-Prominente
oder heiliggesprochene Blogger. Wow!
Seit wann regt sich eine amerikanische
Mainstream-Zeitung über ihre Jugend
auf, die nicht auf die Strasse geht?
Wünscht sich das neue Amerika, nach
«Choreographierte Realität» hat es
Friedensnobelpreisträger Al Gore und
einer möglichen Frau im Weissen Haus, mal ein Schweizer Künstler namens Tom
jetzt etwa auch noch ein bisschen Rote- Skapoda genannt, der 1984 in Berlin
mehrere scheinbar sinnlose BrandanArmee-Fraktion-Action?
schläge verübt hatte. Skapoda sprengte
während vier Tagen drei Fahrzeuge in
Die perfekte Entlarvung
der Innenstadt von Berlin in die Luft,
Es sind erstaunliche Tage in Ameri- niemand kam zu Schaden, die Wagen geka. Und die Anarchie findet ganz wo- hörten ihm selber, aber für Tage waren
anders statt: In der Simulation! Keine die Zeitungen voll von Anschuldigungen
zwei Wochen waren vergangen, seit der und Mutmassungen über eine neue RAF.
Student Andrew Meyer bei einer Podi- Ein von Skapoda gefälschtes Tagebuch
umsdiskussion der Universität Florida eines RAF-Aussteiger in einer Sleeper
den Ex-Präsidentschaftsanwärter John Zelle wurde gefunden und provozierte
Kerry ins Kreuzverhör nahm, worauf er neue Spekulationen in der Presse. Bürvon Polizisten abgeführt und mit Elek- germeister Diepgen drohte der Vertrautroschocks schmerzlich traktiert wurde. ensentzug in der eigenen Partei. Kamen
24 Stunden später war der Vorfall in aller die Anschlage von Rechts oder Links?
Munde, und Meyer durchlief alle Kate- War es die Neue RAF, und wenn nicht,
gorien, die eine junge Medienpersön- dann was? Später setzte Skapoda am
lichkeit mit kurzer Halbwertszeit dieser Potsdamer Platz die Berliner Mauer in
Tage so absolviert: Er wurde Held bei Brand, der Spiegel widmete dem AtYouTube, Protagonist bei CNN, Diskus- tentat zwei Seiten, in den Tagesthemen
sionsgegenstand in Netz-Communities. spekulierte Alt-Bundeskanzler Helmut
Dort wurde er mal zum Helden hoch- Schmidt über mögliche Hintermänner
gejazzt, als Opfer greinend bedauert, aus Polen. Die choregraphierte Wirkals Spinner und Angeber verunglimpft. lichkeit fand einige Jahre später als ViSieht man sich den dreieinhalbminütigen deokunst Zugang in die Museen und von
Videomitschnitt aus dem Hörsaal, in «Skapoda» aus Bern war nie mehr was
dem sich Meyer am vergangenen Montag zu hören. Aber das ist eine ganz andere
erst mit Kerry, dann mit den Polizisten Story. Ob Meyer, Skapoda, Sacha Baron
anlegte, genauer an - dann erkennt man Cohen oder die vielen Anderen - die
sein wahres Talent sehr schnell. Meyer höchsten Anforderungen an einen im
ist ein «Prankster», ein Scherzkeks in Zeitalter medialer Allgegenwärtigkeit
«Jackass»-Manier, der medienträchtige aufgewachsenen jungen Menschen erZwischenfälle gezielt inszeniert und si- füllen sie alle mit Bravour.
muliert. Die Simulation ist sein HandVon dada zum
werk und Baudrillard sein heimlicher
Stock Exchange
Gott. Von der Sorte Meyer gibt es mittlerweilen viele. Eine Armee von kame«Fuck the System» kann nicht mehr
rabewaffneten Provokateuren, die sich
der «Simulation» bedienen, tummeln Strassenschlacht bedeuten. Damit wird
sich agressiv genau dort, wo heute die so- dem Feind geholfen (Das wusste schon
genannten Qualitätsjournalisten nette, die dada-Bewegung vor über achtzig
brave Fragen stellen. Diese Leute wollen Jahren). Die 68er nutzten ihre Spontiselbst ins Rampenlicht. Die Entwicklung Spässchen zur Unterwanderung der
von Alter Egos gilt als ihre liebste Waffe. Mächtigen und zur unblutigen RevoluDer subversive Humor dieser Leute be- tion genau so wie Ken Kesey - der gesteht darin, dass andere von der Fiktio- nialste Scherzkeks Amerikas. Seine
nalität ihres Charakters nichts wissen, «Merry Pranksters» operierten im Stil
und dass sie mit provokativen Fragen und von Fluxus-Künstler und setzten eine
Handlungen den Habitus, die sozialen ganze politische Bewegung ins Rollen.
Normen und Werte der Interviewpart- Nur so liesse sich, meinte Kesey, die
ner offenlegen. Sacha Baron Cohen hat Rechte, das Kapital oder - meinetwegen
es mit Ali G. und Borat vorgemacht. Da- - das Wahrheitsmonopol der Medien von
durch, dass er selbst zum Beispiel anti- «unten» durchlöchern. Und dann gab es
semitisch oder rassistisch auftritt, nimmt ja noch Abbie Hoffman. Während des
er Menschen ihre Hemmungen, ihre ei- Vietnam-Krieges war er einer der legengenen Vorurteile zur Schau zu stellen, därsten Kriegsgegner und Prankster. Er
unabhängig davon, ob es sich dabei um
eigenen Antisemitismus oder die Akzeptanz fremden Antisemitismus‘ handelt.
Die perfekte Entlarvung.
benutzte bewusst komödiantische und
theatralische Taktiken, wie zum Beispiel die einer Massendemonstration,
in der über 50.000 Personen versuchten,
das Pentagon mittels Psychokinese
schweben zu lassen. Er vermittelte eine
Protestkunst - Hört her, ihr schwarzen
Blöcke! - die den tierischen Ernst kritisierte, welche die politische Realität über die Menschen verhängt hatte.
Einer seiner cleversten Proteste fand
am 24. August 1967 statt: Er leitete eine
Gruppe durch das Gebäude des New
York Stock Exchange, um u.a. gegen
den Kapitalismus zu demonstrieren. Sie
warfen von der Galerie aus Hände voll
Dollarscheinen auf die sich darunter befindenden Börsenhändler. Diese bemühten sich, soviele Scheine wie möglich in
ihren Besitz zu bringen. Hoffmans Protest sollte - klingt so wunderbar naiv aus
heutiger Sicht - metaphorisch hervorheben, was die NYSE-Makler seiner Meinung nach sowieso schon laufend taten.
Und so war die Schlacht von Bern
für die Printmedien hierzulande ein
willkommenes Thema, um auf ein mögliches Comeback des Politischen zu verweisen. Dabei sollten die kommenden
US-Präsidentschaftswahlen ein besonderes Vergnügen für Prankster, JackassAnarchos, Borat-Kopisten und You-Tube-Rebellen werden. Aber auch für den
Charaktertyp des genialen Versagers,
der sich immer wieder in der Rolle des
subversiv operierenden Anarcho grosses
verdient hat. Wir kennen ihn alle. Den
Underachiever, der alles besser weiss weil er es besser weiss! Und der gerne
mal versuchen möchte, etwas Grosses
zu machen, ein Anderer zu sein - und es
vielleicht doch nie macht. Dabei werden
heute dem Ersatz-Ich des Versagers die
besten Bedingungen aller Zeiten geboten. Jeder kann alles! Jeder kann alles
bewegen! Oder, wie wir mal in den 80er
Jahren an die Wände der UBS am Bubenbergplatz gesprayt hatten: JETZT
UND ALLES!
Vielleicht war die amerikanische
Presse darum so angetan von der kleinen
Berner Anarcho-Schlacht. Noch nie hat
im amerikanischen Bewusstsein das politsche Handlen einen geringeren Status
gehabt als heute - trotz Gore, Brad Pitt,
Angelina Jolie, oder dem Liebling des
deutschen Feuilleton: George Clooney.
Noch nie liessen sich die Amerikaner
stärker von Äusserlichkeiten täuschen
und von Klischees versklaven. Das Ego
bewegt sich am Rande seiner Selbstauflösung. Erst hier, auf den Wellen des Pazifik, mit Blick Richtung Malibu, wird
deutlich, dass der Schein der PR-Politik
genauso nicht mehr tragbar ist wie der
Pseudo-Strassenkampf eines Schwarzen Blocks, weil er nur noch lächerlich
geworden ist, so grotesk wie ein missglückten Face-lifting in Malibu.
Choreographierte Realität
Öffentlichkeit wird inszeniert, von
Bern bis New York. Das heisst nicht,
dass sie damit an Bedeutung verliert,
ganz im Gegenteil. Gerade der Wahlkampf, hier wie da, arbeitet zunehmend
mit den Mitteln der Fiktion.
Text: Tom Kummer
Seite 15
Seite 9
Der Countdown läuft
Nicht einmal mehr 10 Monate bis zur
Fussball-EM. Während in allen Städten UBS-Fanmeilen geplant werden,
versucht Winterthur seinen eigenen
Weg zu gehen – und wird prompt von
SVP und PdA bekämpft.
Seite 10
schnauzpart vs. sixpack
Mit massiven Werbekampagnen
versuchen die Auskunftsdienste
1811 und 1818, die Nachfolge des
«Hundertelfi» anzutreten. Nur spielt
es im eigentlich keine Rolle, welche
Nummer wir wählen.
Seite 11
Die ROCKFABRIK
Der Kampf der Roten Fabrik um
Akzeptanz ist seit ihren Anfängen
eng mit dem Kampf für die Akzeptanz von innovativer Rockmusik
verbunden. Beides ist heute selbstverständlich – mit Letzterem lässt
sich mittlerweile sogar richtig Geld
verdienen.
Seite 11
VIVA st.pauli
Der Totenkopf des FC St. Pauli
beweist: Es ist es möglich aus einem
linkspolitischen Image durch dessen
Vermarktung Kapital zu schlagen.
Seite 12
Zynismus ist ein lifestyle
Der amerikanische Songwriter
Vic Chesnutt spielt auf seinem
neuen Album «North Star Deserter»
genau das, was sein bester Kollege
von ihm wollte. Wie es dazu kam
und warum er sich für seine Version
eines Nina-Simone-Songs schämt,
erzählt er im Gespräch mit der FaZ.
Seite 15
UNERHÖRT!
22. - 28. November 2007
Ein Zürcher Jazzfestival
Hier werden Sie gewählt
Harry Hustler und die
SVP Wahlhotline
Seite 16
Die Zeitung der Roten Fabrik | November Ausgabe 236
10
Die Zeitung der Roten Fabrik | November Ausgabe 236
11
Der Countdown läuft
Nicht einmal mehr 10 Monate bis zur
Fussball-EM. Während in allen Städten
UBS-Fanmeilen geplant werden, versucht Winterthur seinen eigenen Weg zu
gehen – und wird prompt von SVP und
PdA bekämpft.
Wir haben die Bilder von 2006 noch
frisch im Kopf: Strassenzüge voll mit
Menschen, Fanarenen bis zum letzten
Platz gefüllt mit Fussballfans, die keinen
Platz mehr in den Stadien fanden und
stattdessen die WM-Spiele in Public
Viewing Areas verfolgten. Dass das in
ähnlichem Stil auch auf die Schweiz zukommt, daran zweifelt niemand: Nicht
nur sind unsere Stadien um einiges kleiner als ihre deutschen Gegenstücke, sondern alle verfügbaren Tickets sind seit
dem 31. März 2007 schon restlos ausverkauft. Damit die tausenden von ansässigen und zugereisten Fussballfans
trotzdem nicht ganz leer ausgehen, soll
es auch bei uns Public Viewing Arenas
geben, und für diese zeigt sich freundlicherweise gleich ein ganz grosser Sponsor verantwortlich: niemand anders als
die UBS, welche nach dem Hauptsponsoring des nationalen Schwingerfestes
in Aarau nun auch etwas für den Fussball tun will, nicht zuletzt, um ihrer
Konkurrentin Credit Suisse, welche als
Hauptsponsor für die Nationalmannschaft auftritt, eins auszuwischen.
In 17 Schweizer Städten quer durch
die Schweiz verteilt – so z.B. in Biel,
Lugano, Nyon und Glarus – sollen sogenannte UBS-Arenen entstehen, vom
Sponsor stolz als «das fünfte Schweizer Stadion» bezeichnet. Hier sollen bis
zu 10’000 Plätze geboten werden vor
hochauflösenden
LED-Bildschirmen,
mit «bester Beschallungstechnik» sowie
«reichhaltigem und breitem Gastronomieangebot» - sprich Fussball in bester
Qualität mit Bier und Bratwurst gleich
dazu in den benötigten Riesenquantitäten. Klingt doch super. Wer könnte da
schon etwas dagegen haben?
alles ein bisschen anders
Die Antwort ist nicht ganz einfach: Irgendwie Winterthur. In der kleinen Zürcher Fussballstadt hatte schon ein Jahr
vor der Ausschreibung der UBS-Arenen
SP-Gemeinderat Nicolas Galladé nachgefragt, wie die Stadt Winterthur gedenke, von der EM08 als Nicht-Spielort
zu profitieren.
Schnauzbart gegen Sixpack
Privatisierte Auskunftsdienste
Der Stadtrat kam zum Schluss, dass
Winterthur tatsächlich einiges zu bieten
hätte, sowohl Fussballtechnisch wie auch
kulturell, und beschloss, sich nicht nur
auf eine UBS-Arena mit Fanmeile einzulassen, sondern gleichzeitig noch der
lokalen Kulturszene eine Plattform zu
bieten. Ausgearbeitet wurde ein Rahmenkredit von stattlichen 1.6 Millionen
Schweizer Franken, welcher für die Finanzierung diverser Dinge reichen sollte,
unter anderem die UBS-Arena, aber
auch eine Fanmeile mit kulturellem Rahmenprogramm und diversen Bühnen, auf
denen sich lokales und zugewandtes Kulturschaffen präsentieren könnte. «Der
Stadtrat hat sich gesagt, wenn wir schon
ein Public Viewing wollen, dann etwas
besonderes. In Deutschland hat man
sehr positive Erfahrungen gemacht mit
Rahmenprogrammen, die in der Nähe
sind und das lokale Gewerbe wie auch
die Kultur mit einbeziehen», erklärt
Stadträtin Pearl Pedergnana. «Die Idee
war, dass die Zuschauer aus der Viewing
Arena auf dem Wachter-Areal nach dem
Schlusspfiff in die Reithalle gegenüber
gehen und da noch ein Konzert oder eine
Lesung geniessen. Das ist viel sinnvoller,
als wenn 8‘000 Leute direkt nach Schlusspfiff auf die Strassen strömen.»
Von diesen Argumenten war der
Gemeinderat allerdings nur halbwegs
überzeugt, und Widerstand kam gleich
von allen möglichen Seiten. Die SVP
war dagegen, weil sie eine Verbindung
von Kultur und Fussball für sinnlos erachtete. «Die Fussballfans kommen
wegen dem Fussball nach Winterthur.
Die schauen die Spiele, trinken Bier und
ziehen nach dem Match weiter, um weiter
zu trinken. Die interessieren sich doch
nicht für Kultur», meint Fraktionschefin Christa Kern. Und sowieso sehe sie
nicht ein, wieso bereits subventionierte
Institutionen noch einmal Geld erhalten
sollen. Doch nicht nur die SVP, sondern
auch die Mitteparteien konnten sich mit
dem Projekt nicht so recht anfreunden.
Der Kredit wurde auf fast die Hälfte
zusammengekürzt - unter anderem
fielen den Kürzungen die Kleinbühnen auf der Fanmeile zum Opfer - und
im Hinblick auf ein von der SVP angedrohtes Referendum gleich auch noch
in zwei Teile aufgeteilt: Die UBS Arena
mit Fanmeile soll mit 665‘000 Franken
einerseits, das kulturelle Rahmenprogramm in der Reithalle mit 250‘000
Franken andererseits finanziert werden.
Hintergrund der Aufteilung der Gelder
war die Idee, dass bei einem Referendum wenigstens die Viewing Arena
gebaut werden könnte, auch wenn das
Kulturprogramm gekippt würde.
nicht auseinander dividieren
Wie angekündigt ergriff denn die
SVP auch das Referendum, und wie zum
Trotz tat es ihr die PdA gleich, wenn auch
umgekehrt: Sie ergriff kurzerhand das
Referendum gegen die UBS-Arena mit
dem Argument, es gäbe keinen Grund,
einen privaten, kommerziellen Anlass
mit Steuergeldern zu unterstützen. Nun
stimmt das Winterthurer Stimmvolk am
25. November über beide Kredite ab,
nur eben getrennt, was zur Folge haben
kann, dass nur eines der beiden Projekte
zustande kommt. Wobei das kulturelle
Rahmenprogramm nur als Zusatz und
nicht ohne die Arena gedacht werden
kann. «Die Kultur ist dabei natürlich
viel gefährdeter,» wirft Nicolas Galladé
ein. «Es ist sinnlos, das eine gegen das
andere auszuspielen, sonst stehen zum
Schluss alle mit abgesägten Hosen da.»
Und AL-Gemeinderat David Berger
schlägt in eine ähnliche Kerbe: «Das
grösste denkbare Debakel wäre eine
UBS-Arena ohne Kultur. In Winterthur
gehört das einfach zusammen, und es
beweist nur, dass die SVP vom lokalen
Fussball keine Ahnung hat, wenn sie
behauptet, die Leute kämen nur wegen
dem Fussball und dem Saufen.» Das
beweist auch die Tatsache, dass am Tag
nach dem Gemeinderatsentscheid die
verschiedenen Fussballvereine unabhängig voneinander gegenüber dem
Winterthurer Landboten signalisierten,
dass die beiden Vorlagen zusammengehörten. «Wir lassen uns nicht auseinander dividieren,» erklärte FC Winterthur-Geschäftsführer Andreas Mösli
stellvertretend.
Doch nicht nur die Fussballvereine, auch
die lokale Kulturszene mobilisiert für
die beiden Vorlagen. Ein breites Kommitee aus verschiedensten Institutionen,
darunter so etablierte wie das Musikkollegioum und das Casinotheater, aber
auch alternative wie Gaswerk, Kraftfeld und Salzhaus, haben sich im Verein
Fussballkultur Winterthur zusammengetan, um mit dem Slogan «Ohne Kultur
kein Spass» für ein zweifaches ja an der
Urne zu werben. Stadträtin Pedergnana
ist begeistert ob der Initiative: «Es ist
unglaublich spannend zu sehen, was das
Referendum bei den Kulturinstitutionen
ausgelöst hat. Wir haben hier ein schweizweit einzigartiges Projekt, das Leute aus
der Kultur zum Fussball bringen kann
und umgekehrt. Die Referenden spielen
bloss mit den Emotionen der Unzufriedenen: Globalisierungsgegner, die gegen
die Grossbank UBS stimmen wollen,
Leute, die ganz generell gegen Fussball
oder die Euro 08 sind und zum Schluss
noch die SVP, die ihrer Tradition entsprechend gegen alles Kulturelle ist.»
Natürlich hofft sie auf ein doppeltes ja an
der Urne: «Das ist eine Chance, die sich
uns in den nächsten zehn Jahren kaum
wieder bieten wird. Ein Fest für alle.»
Text: Etrit Hasler
weitere Informationen:
www.fussballkultur.ch
Abstimmung:
Am 25. November stimmt das
Winterthurer Stimmvolk über die
UBS-Arena mit Fanmeile sowie über
das kulturelle Rahmenprogramm an
der Urne ab. Der Verein Fussballkultur,
dem diverse Institutionen wie Albani
Music Club, Casinotheater, Kraftfeld,
Kulturzentrum Gaswerk, Salzhaus,
Musikkollegium, Musikfestwochen
und Salon Erika angehören kämpft
für ein zweifaches ja und startet am
2.November im Albani ab 20 Uhr
mit einem ersten Kulturanlass in den
Abstimmungskampf.
Die Rockfabrik
Der Kampf der Roten Fabrik um Akzeptanz ist seit ihren Anfängen eng mit
dem Kampf für die Akzeptanz
von innovativer Rockmusik verbunden.
Beides ist heute selbstverständlich –
mit Letzterem lässt sich mittlerweile
sogar richtig Geld verdienen.
«Es ist ein Skandal, dass die Stadt
Zürich das Opernhaus mit 84 Franken
pro Sitzplatz subventioniert, für Rockkonzerte in der Roten Fabrik aber angeblich kein Geld hat», meldete sich ein
empörter Jungsozialist während einer
Podiumsdiskussion im Juni 1980 zu
Wort. Mit der Frage, ob die Musik Bob
Marleys tatsächlich als Kultur einzustufen sei, hatte Stadtpräsident Sigi Widmer
Wochen zuvor die Stimmung zusätzlich
angeheizt. Der Rest der Argumente
ging in den Protestrufen unter - und als
«Opernkrawalle» in die Geschichte ein.
Für Spätgeborene dürfte es interessant sein zu erfahren, dass die Rote
Fabrik damals zwar mit einem zweitägigen «Grossen Fest» (unter anderem
mit Sperma, Mother’s Ruin und Liliput)
ihren Konzertbetrieb aufnahm, sich aber
schon bald szeneinterne Querelen abzuzeichnen begannen. Insbesondere wurde
die Konsumhaltung kritisiert: Den kulturellen Freiraum hatte man sich zu hart
erkämpft, um ihn nun einfach dosenbiertrinkenden Wochendpunks und dauerkiffenden Mittelschulhippies zu überlassen.
Die aktive Teilnahme an Arbeitsgruppen in den Sparten Theater, Literatur,
Kunst, Film und Video war ausdrücklich
erwünscht, doch bereits 1983 machte der
«Tell» unter dem Titel «Erfolg mit Monokultur» eine zunehmende Vormachtstellung der Musik aus.
«Sind eigentlich alle beim
Hodenbaden?»
Rock wurde bereits damals auch im
Volkshaus oder im Hallenstadion abgehandelt, gleichzeitig sah sich die Betriebsgruppe der Roten Fabrik immer
mehr zum Serviceteam für gesellige
Konzertabende degradiert. Zu allem
Überfluss drohte auch noch ein Teil der
Bohème in die neu entstandene Abbruchhausszene abzuwandern. «Was ist
da eigentlich los?», ereiferte sich 1987
der «Alpenzeiger» nach einem schlecht
besuchten Konzert von Jonathan Richman. «Sind eigentlich alle gerade beim
Theaterproben, beim Hodenbaden oder
im Kino?
Es gibt keine andere Stadt in Mitteleuropa, in der eine einst rebellische Szene
dermassen schnell ihre Würde, ihr
Gesicht und ihren spröden Charme verloren hat.»
Der wüsten Analyse lag offenbar ein
schmerzhafter Abnablungsprozess zu
Grunde, dennoch oder gerade deshalb
entwickelte sich die Rote Fabrik in den
folgenden Jahren zu einem der wichtigsten Konzertveranstalter der Schweiz.
Besonders was die so genannte alternative Rockmusik anging. Von Hüsker Dü
über Sonic Youth, Pixies, den Red Hot
Chili Peppers bis hin zu Nirvana trat in
der Aktionshalle alles auf, was auf einem
repräsentativen 90er-Rocksampler nicht
fehlen darf - und das alles, bevor die
Künstler den kommerziellen Durchbruch schafften. Das Programm der Ziischtigmusig war von ähnlicher Qualität
und die Rote Fabrik für ein paar Jahre
ein Synonym für eine bestimmte Spielart
des Rock: hart, einigermassen originell,
immer sehr laut und meistens sehr schön.
Dann kam die Wohlgroth, dann kam
Seattle, dann kam Kaufleuten, dann kam
Techno und Hip-Hop war ja schon da.
Doch es kam vor allem eine neue Generation von Jugendbewegten: Das Entweder-Oder der Achtziger wurde abgelöst
vom Sowohl-als-Auch der Neunziger.
Der Fall der Mauer hatte in Europa offenbar ein grosses Partybedürfnis ausgelöst. Das Big Cat Festival 1992 in der
Fabrik markierte gewissermassen eine
Zäsur. Von nun an fand alles irgendwo
statt. Sonic Youth spielten jetzt plötzlich
im Volkshaus und Pavement verabschiedeten sich von ihren Fans am Ende des
Jahrzehnts im X-tra. Es ergaben sich jede
Menge neuer Nischen und die Karten
wurden unter Zürichs Konzert- und Partyveranstaltern neu verteilt. Das Abart
öffnete 1997 seine Türen und wirbt heute
noch mit dem Vorzug, «Zürichs Alternative zu den technoiden Dance Clubs»
zu sein. Die Abgrenzung dient dabei in
erster Linie der Positionierung. Von Nik
Kershaw über Echt bis hin zu Newcomerwettbewerben und albernen CoverBands findet dort alles Mögliche Platz.
Andererseits leistet der Club – wie auch
in jüngerer Zeit das Mascotte, das Helsinki, die Zukunft und seit Äonen das
El Lokal - immer wieder Bemerkenswertes, beweist viel Gespür für Trends
in der Rockmusik und brachte zum Beispiel Bands wie Franz Ferdinand gleich
zweimal nach Zürich - beziehungsweise
Winterthur.
Dass dabei die Alternative von gestern unter veränderten Bedingungen
immer auch der Mainstream von morgen
sein kann, liegt in der Natur der Sache.
Während sich in den Achtzigern die Rote
Fabrik noch für eine aktive «Befreiung
der Rockmusik aus dem Würgegriff des
Kommerz» (Chris Cutler) aussprach,
bekundet sie heute eher Mühe damit,
im globalisierten Markt überhaupt noch
mit bieten zu können. In gewisser Weise
sind ihr da durch ihre Geschichte, die
städtischen Subventionen und den daran
geknüpften Ethos – die Eintrittspreise
sollten eine gewisse Höhe nicht überschreiten - die Hände gebunden. Andrerseits kann es auch nicht Aufgabe des
Musikbüros sein, das im Moment ohnehin gut gedeihende Feld der Rockkonzerte unnötig zu bewässern.
Falls man nun aber die Prognose,
mit dem Verschwinden des physischen
Tonträgers würde die Tourneen für die
Künstler an kommerzieller Bedeutung
gewinnen, ernst nimmt, so dürfte sich
im Veranstaltungsbereich in naher und
ferner Zukunft einiges bewegen. Wenngleich noch völlig unklar ist, wer dieser
Flut von Konzerten eigentlich beiwohnen soll. Fest steht, dass die Rote Fabrik
den heutigen kommerziellen Veranstaltern von Rockkonzerten in gewisser
Weise den Weg geebnet hat. Fest steht
aber auch, dass es längst auch innerhalb
des Mainstreams Experten gibt, die ihr
Handwerk verstehen. «Vor 20 Jahren
waren diese Künste und ihre Millieus
noch aus der Mainstream ausgeschlossen, weswegen man sie noch leichter für
kontrovers halten konnte», merkte Diedrich Diederichsen kürzlich in einem Interview kritisch an. Dem unbekannten
Jungsozialisten von 1980 sei versichert,
dass sich die Situation inzwischen leicht
zu Gunsten der Roten Fabrik verbessert
hat. Für die Rockmusik aber sorgt heute
– wie wohl schon damals – der Markt.
Oder um es mit Stephan Gregory zu
sagen: Die «Klugheit» eines Systems bestimmt sich dadurch, wie weit es in der
Lage ist, von den Tendenzen Gebrauch
zu machen, die es negieren.
Text: Martin Söhnlein
Mit massiven Werbekampagnen versuchen die Auskunftsdienste
1811 und 1818, die Nachfolge des
«Hundertelfi» anzutreten.
Nur spielt es im eigentlich keine Rolle,
welche Nummer wir wählen
und verkauften. «Aus historischen Gründen», schrieb das Bakom damals, «handelt es sich bei allen Fernmeldedienstanbietern um dasselbe Unternehmen».
Als frühreifes Zwergobst nutzten
meine Freunde und ich die schul- und oft
elternfreien Mittwochnachmittage, um
allerlei Leute per Telefon zu veräppeln,
zu nerven und zu belästigen. Das war
vor ISDN, Skype oder MSN, Bildtelefone gab es nur in unserer Phantasie und
zurückverfolgen liessen sich die Anrufe
damals noch nicht. Fast jeden Mittwoch
erreichte ein höchstens halbwitziger
Anruf auch die Auskunftsnummer 111:
«Grüezi, chönd si mir d‘Nummere vom
Hundertelfi geh?» Das fanden wir damals
lustig. Allerdings nicht sehr lange. Spätestens als einer auf die glorreiche Idee
kam, 156-er Nummern anzuwählen
(«S‘Sextelefon!»), wurden die Eltern auf
die hohe Telefonrechnung aufmerksam
und stellten uns unter Zimmerarrest.
«Das Ziel war ein freier Markt», sagt
Olivier Girard heute. Und um den Markt
aus der Knechtschaft zu befreien, musste
man die Auskunftsnummer 111 abschaffen. Am 31. Dezember 2006 dankte das
Hundertelfi ab und die zahlreichen 18XYNummern stritten sich um seine Nachfolge. Mit einer massiven Werbekampagne, in der Schnauzbärte in hellblauen
Skianzügen auf Rollschuhen durch die
Gegend rasten und zur «Daddy Cool»Melodie der Eurodance-Gruppe Boney
M. «Achtzehn, Achtzehn!» sangen,
war klar, wer das neue Hundertelfi war.
Die Swisscom-Auskunft 1811 hingegen
verlor mit ihrem unscheinbaren Auftritt
die Werbeschlacht auf dem sogenannten
freien Markt. Zahlreiche andere Auskunftsdienste scheiterten ebenfalls: Die
Regeln des freien Markts halt. Wie sieht
es jetzt aus, fast ein Jahr, nachdem der
Markt befreit wurde? Olivier Girard
sagt: «Die Anzahl der Auskunftsdienste
ist sehr dynamisch.» Aus dem euphemistischen Wirtschaftsdeutsch übersetzt
heisst das: Die Anbieter kommen und
gehen – und zwar schnell. Denn drei Millionen Anfragen jährlich sind Voraussetzung, um eine 18XY-Nummer behalten
zu können. Der freie Markt soll doch ein
wenig eingeschränkt sein.
Seit einigen Wochen versucht 1811
mit nackten Waschbrettbäuchen auf
Werbeplakaten, die rollschuhfahrenden Schnauzbärte einzuholen. Wer ist
denn jetzt die neue Auskunftsnummer
111? Schnauzbart oder Sixpack? Genau
weiss es niemand: Das Bakom erhält die
Anzahl Anfragen erst Ende Jahr, 1818
erklärt sich in einer Medienmitteilung
zur Nummer Eins und Swisscom-Sprecher Joseph Frey sagt: «Die Anfragen
bei 1811 sind im Gegensatz zur Nummer
111 natürlich zurückgegangen.» Genaue
Zahlen seien allerdings noch nicht verfügbar. Ausserdem nehme die Bedeutung von Auskunftsdiensten tendenziell
sowieso ab, sagt Frey. «Heute speichern
sie ihre Nummern einfach in ihrem
Handy oder Festnetztelefon. Und wenn
sie eine Adresse suchen, finden sie die
dort, wo sie die Auskunftsdienste auch
finden: im Internet.»
Die zahlreichen Auskunftsdienste in
der Schweiz greifen denn auch alle auf
dieselbe Datenbank zurück – auf die
Homepage «Directories», das elektronische Telefonbuch der Swisscom. Das
Problem aus dem Jahr 2003 besteht also
immer noch: Es handelt (fast) niemand
mit Adressdaten. Sowohl 1818 als auch
1811 arbeiten mit Directories. Wenn also
alle Auskunftsdienste mit demselben
Telefonbuch arbeiten, scheinen sie sich
lediglich im mehr oder minder aggressiven Werbeauftritt und im schnelleren
Eintippen von Namen im Computer zu
unterscheiden. Weshalb also braucht es
mehrere Auskunftsdienste? Frey: «Es
braucht den Wettbewerb, denn jeder will
Geld verdienen.» Und das Bakom sagt
einmal mehr: «Freier Markt.»
111 wird 18XY
Heute ist alles anders: Das Sextelefon
hat seit kostenloser Internetpornographie ausgestöhnt und das «Hundertelfi»
erreicht man seit einigen Jahren unter
rund zehn verschiedenen Anschlüssen.
Im Jahr 2001 hat nämlich die Swisscom
das Auskunftsmonopol verloren. Seither entstanden zahlreiche Verzeichnisauskunftsdienste mit vierstelliger
Nummer, 18XY-Nummern nennt sie Olivier Girard vom Bundesamt für Kommunikation (Bakom). «Die Europäische
Konferenz für Post und Telekommunikation (CEPT) empfahl 2001, in Europa
einheitliche sechsstellige Nummern im
Format 118XYZ für Verzeichnisauskunftsdienste einzuführen, auch in der
Schweiz.» Sobald hier jedoch die Kombination 118 gewählt wird, gelangt der Anrufer automatisch zur Feuerwehr, egal
ob noch weitere Tasten gedrückt werden.
Deshalb entschied sich das Bakom für
das Format 18XY. Ab sofort konnte, wer
eine Adressauskunft wollte, nicht mehr
nur die 111 anrufen, sondern auch 1811,
1813, um nur einige zu nennen.
Nach zwei Jahren zog das Bakom
Bilanz: Fast niemand kannte die neuen
Nummern. «Von den im Januar 2001 zugeteilten achtzehn Kurznummern sind
heute nur ein paar wenige in Betrieb.»
Das Bakom begründete dies einerseits
damit, dass die Telefonauskunft zu stark
mit der Nummer 111 in Verbindung gebracht wurde. Andere Anbieter berücksichtigte kaum jemand. Einen weiteren
Grund sah das Bakom im mangelnden
Wettbewerb im Markt für Verzeichnisdaten. Es fehlte an Quellen, also Unternehmen, die Adressdaten sammelten
Freier Markt! Freier Markt!
Text: Carlos Hanimann
Die Zeitung der Roten Fabrik | November Ausgabe 236
12
Mythos, Markt und
linker Fussball
Das hat mittlerweile auch der VerDer Totenkopf des FC St. Pauli beweist:
Es ist es möglich, auch aus einem antika- ein erkannt, der inzwischen in Sachen
pitalistischen Image Kapital zu schlagen. Vermarktung den Grossen im Fussballgeschäft in Nichts nachsteht und sehr
Auf den Spuren des Mythos St.Pauli.
erfolgreich sein Image als «der etwas
Wenn mir das winterliche Zürich andere Verein» pflegt. Zahlreiche teiltemperaturbedingt meine schwarze weise originelle Aktionen zeugen davon,
Wollmütze mit dem St. Pauli-Totenkopf beispielsweise der Verkauf von «Retter»aufs Haupt nötigt, geschieht stets Son- T-Shirts, der vor einigen Jahren wie eine
derbares: Wildfremde Menschen lächeln Bombe einschlug und mithalf den FC vor
mich an, winken mir zu, oder schmettern dem drohenden Entzug der Profilizenz
mir ein «Viva St. Pauli» hinterher. Süd- zu retten; und nicht zuletzt natürlich die
kurvler des FCZ beschenken mich mit Adaption des Totenkopfs als VereinsTrikots und Flüssigem und die Bierkurve logo, obwohl dieser anfänglich von der
des FC Winterthur schliesst mich fest in Vereinsführung, als Symbol der Hamihre hopfengestählten Arme. In anderen burger Hausbesetzerszene, als zu aggresTeilen Europas ergeht es mir nicht an- siv angesehen wurde. Vielfach wird die
ders. Der Totenkopf wird überall erkannt erworbene Verkaufsprofessionalität des
und gern getragen: Auf Kapuzenpullis, Clubs von Fanseite als widersprüchlich
Mützen, Jacken, Socken, Büstenhaltern, empfunden, schliesslich ist der Grat zwiFahnen, Aufklebern und Plastiktüten, schen kapitalistischer Vermarktung und
in aller Herren Länder und oft nicht nur alternativer Ideologie verdammt schmal.
von Fussballbegeisterten, sondern auch
Vom Biederclub zu Piraten
von Menschen, denen die Balltreterei so
nahe geht wie Blocher der Islam.
Dieses neue alternative Image ist
insbesondere erstaunlich, da der Verein
Amateurweltstars
bis Mitte der 80er Jahre ähnlich durchEs ist schon ein Phänomen, dass ein schnittlich, bieder und unbedeutend
kleiner, notorisch finanzschwacher und war wie hunderte von Fussballclubs
dürftig erfolgreicher Hamburger Stadt- in Deutschland. Den Ruf, den «Pauli»
teilverein, der vier Jahre in der Amateur- heute geniesst, hat er ausschliesslich seiklasse der Regionalliga Nord dahindüm- nen Fans zu verdanken, die vor rund 20
pelte, bevor er letzte Saison wieder in Jahren für einen nachhaltigen Paradigdie zweite Bundesliga aufsteigen konn- menwechsel auf den Rängen des Stadite, es auf Augenhöhe mit europäischen ons sorgten. Die heute weit verbreitete
Spitzenclubs wie FC Barcelona, Bayern Vorstellung vom FC St. Pauli als tradiMünchen, Arsenal London oder AC tionsreichem Arbeiterverein aus einem
Mailand geschafft hat – zumindest was klassischen Arbeiterviertel mit einer
den Bekanntheitsgrad anbelangt. Doch immer schon treuen und zahlreichen
im Gegensatz zu diesen Vereinen besteht proletarischen Anhängerschaft ist zwar
die Faszination, die der FC St. Pauli aus- romantisch aber falsch. Die Heimstatt
übt, nicht in der Bewunderung erwor- des FC, das heutige Stadion am Millernbener Titel und Pokale oder etwa einem tor, ist im bürgerlichen Norden St. Paulis
Kader, in dem Weltstars mitspielen; der und nicht im hafennahen Arbeitersüden
Mythos nährt sich vielmehr vom Status angesiedelt. Ausserdem hielten sich die
des Vereins als «Underdog». Der Club Zuschauerzahlen lange Zeit in sehr eng
gilt als links, als alternativ, als bunt, als gesteckten Grenzen. Erst zwischen 1977
«anders», als eine Art Robin Hood im und 1986, als die Mannschaft eine Bergmittlerweile durchkommerzialisierten und-Tal-Fahrt zwischen 1. und 3. Liga
und eventorientierten Fussballzirkus. hinlegte, wurde ein Zuschauerschnitt
Das macht den FC St. Pauli weltweit zum von 4.000 erreicht – ein Klacks im VerSymbol im Kampf «Gross gegen Klein», gleich zu den über 15‘000 im letzten
«Arm gegen Reich», «Oben gegen Un- Jahr. Die Anhängerschaft war eher fussten», «David gegen Goliath» und den balltypisch, also apolitisch, prollig und
Totenkopf als Markenzeichen zu einem pöbelfreudig. Das änderte sich erst, als
begehrten Accessoire für Alle, die sich Ende der 1980er Jahre einige Hausbesetzer der Hafenstrasse und Mitglieder der
mit diesem Kampf assoziieren.
bunt gefächerten alternativen Szene das
Millerntor für sich entdeckten und sich
zu Heimspielen im legendären «schwarzen Block» trafen. Aus jener Zeit stammt
auch der Totenkopf als Symbol der St.
Pauli Fans.
Die Legende besagt, dass «Doc Mabuse», ein damaliger Hafenstrassebewohner, als erster eine Totenkopffahne
mit ins Stadion schleppte. Diese Fahne
war seinerzeit das hanseatische Pendant
zum allseits bekannten Hausbesetzerzeichen und wurde in der Tradition
jahrhundertealter Piraterie benutzt, die
in Hamburg seit jeher mit dem Namen
Klaus Störtebeker verbunden ist und
den Kampf gegen das Establishment
versinnbildlicht. Die Heimspiele wurden
zum Treffpunkt der alternativen Szene,
Punks und Politaktivisten. Schliesslich
war die Hafenstrasse für die Hamburger
Linke von hohem Symbolgehalt: In jahrelangen Auseinandersetzungen mit der
Stadtregierung und Polizei hatten die
Besetzer der hafennahen Häuser die genossenschaftliche Nutzung der Gebäude
erkämpft. Die Stimmung im Stadion
änderte sich während dieser Zeit deutlich: Die sonst üblichen Hetzrufe und
Beleidigungen gegenüber Referee und
insbesondere dunkelhäutigen Gegenspielern unterblieben weitgehend. Statt
dessen feuerte man exzessiv die eigene
Mannschaft an und feierte Party – meist
unabhängig vom Spielausgang.
Politische Stadionordnung
Die neuen Fans brachten mit dem
Millerntor-Roar! das erste FussballFanzine Deutschlands heraus. Ein Novum, denn bislang gab es bundesweit
kein solches Organ. Miilerntor-Roar!
nahm dann auch eine Schlüsselrolle in
der Formierung einer alternativen, politisch engagierten Fanszene ein. Neben
ausführlichen Sportberichten wurden
auch die sozialen Probleme des Stadtteils thematisiert. Dabei legte die Redaktion ein entschlossenes Auftreten
gegen Fremdenfeindlichkeit an den Tag.
Der Einfluss der Fanszene auf den
Verein begann spätestens 1991 deutlich
zu werden, als die Aufnahme des Paragraphen 6 in die Stadionordnung erwirkt
wurde. Erstmals war in einem deutschen
Fussballstadion beim FC St. Pauli folgendes zu lesen: Ǥ6: Verboten ist den
Besuchern: Parolen zu rufen, die nach
Art oder Inhalt geeignet sind, Dritte
aufgrund ihrer Hautfarbe, Religion oder
sexuellen Orientierung zu diffamieren.»
Auch in den Folgejahren waren es meist
Faninitiativen, die dazu führten, das sich
der FC St. Pauli immer mehr als integrativer Bestandteil des Stadtteils empfand,
welcher sich im konstitutiven Selbstbild des Vereins als verantwortungsbewusster, toleranter, antirassistischer und
antisexistischer Fussballclub äussert.
So betrachtet ist der Totenkopf heute
nicht nur Symbol einer erfolgreichen,
aber auch fragwürdigen Vermarktungsstrategie linker Werte, er ist auch ein
Symbol für die Existenz einer linken
Fankultur, die den Ausüchsen des kommerziellen Fussballgeschäfts nicht einfach hilflos ausgeliefert ist.
Aussichten
Der Spagat zwischen einem linksalternativen Image und den Anforderungen, denen ein professioneller Fussballverein ausgesetzt ist, scheint vorerst
gelungen. Natürlich gibt es immer wieder kritische Fanstimmen, die vor einem
Ausverkauf der Werte warnen; glaubt
man aber der Vereinsführung, gibt es
keine Fundamentalopposition gegen die
Vermarktung des FC St. Pauli. Das mag
einerseits daran liegen, dass spätestens
seit der Erstligasaison 2001/2002 bei den
FC-Fans das Protestpotential spürbar
zurückgegangen ist, andererseits auch
an der Einsicht vieler Fans, dass es für
das professionelle Überleben des Vereins sinnvoll ist, in der kommerziellen
Welt des Fussballs eine Nische gefunden
zu haben. Schliesslich will man auch auf
St. Pauli, bei aller Leidensfähigkeit der
Anhänger, den Verbleib in den professionellen Ligen gesichert wissen. Die
Vermarktung des Totenkopfs und der
Fanartikel allgemein bildet heute die
Haupteinkommensquelle für den Verein. Sucht der FC St. Pauli auch künftig
den Konsens mit seinen Fans und seinem Stadtteil, bleibt die Vermarktung,
unabhängig von sportlichen Erfolgen,
originell, durchdacht, medienwirksam
und erfolgreich.
Text: Kyros Kikos
13
Die Zeitung der Roten Fabrik | November Ausgabe 236
Die Zeitung der Roten Fabrik | November Ausgabe 236
15
Zynismus ist ein Lifestyle
Vic Chesnutt
Vic Chesnutt
Nur wenige Songwriter geniessen
unter ihresgleichen einen derart exquisiten Ruf: Zu Vic Chesnutts Förderern
und Fans gehören Leute wie Michael
Stipe von R.E.M. und Kurt Wagner von
Lambchop, die 1998 mit Chesnutt zusammen in der Roten Fabrik auftraten.
Für den kommerziellen Durchbruch
klingt seine Musik allerdings zu
eigenwillig, seine Texte zu verstörend.
Meist beschäftigt sich der Mann aus
Georgia mit den dunkleren Seiten des
Daseins: Sucht, Depressionen und
die Auseinandersetzung mit seiner
Behinderung.
1983 baute Chesnutt betrunken einen
Autounfall und ist seither auf einen
Rollstuhl angewiesen. Seit den frühen
90ern hat der heute 42-Jährige ein
knappes Dutzend Alben eingespielt
und dabei immer wieder andere
Kollaborateure engagiert. Vor wenigen Wochen erschien «North Star
Deserter» auf dem kanadischen Label
Constellation, Heimat von brachialen
Post-Rock-Truppen wie Godspeed!
You Black Emperor und A Silver
Mt. Zion Orchestra, aus denen die
Begleitmusiker rekrutiert wurden. Und
so präsentiert Chesnutt auf diesem
erschütternden Album nicht nur seine
vertrauten, verloren-folkigen Songs,
sondern auch einige veritable Brecher,
in denen er seine Liebe zu verzerrten
Gitarren hemmungslos auslebt.
Auf deinem letzten Album hast du
mit Altmeistern wie Van Dyke Parks
und dem Gitarristen Bill Frisell gearbeitet, diesmal begleiten dich junge Wilde:
Guy Picciotto von Fugazi und die
kanadische Post-Rock-Truppe A Silver
Mt. Zion Orchestra. Wie kam es dazu?
Das hängt damit zusammen, dass die
neue Platte von meinem besten Kollegen, dem Filmemacher Jem Cohen,
erträumt wurde. Es war seine Idee,
dass ich mit genau diesen Leuten exakt
diese Platte mache. Er wählte auch
die Songs aus.
Du hast einfach gemacht, was er wollte?
Genau. Und was er von mir wollte, war
die Art Vic-Chesnutt-Platte, die er sich
schon immer gewünscht hatte.
Und ist er glücklich mit dem Resultat?
Das ist er. Und ich bin es auch.
Es ist auch mein liebstes
Vic-Chesnutt-Album.
Ihr habt im Hotel2Tango-Studio in
Montreal aufgenommen. Hast du
den Musikern die Lieder vorgespielt
und gesagt, wie du’s gern hättest oder
habt ihr viel gejammt?
Nein, das finde ich überhaupt nicht.
Digital tönt gut für mich. Aber ich will
meine Musik auf Vinyl. Denn wenn
der grosse Gamma-Ray-Boost kommt
und alle elektronisch gespeicherten
Informationen auslöscht, dann kann ich
meine Musik immer noch mit einer kleinen Nadel ab Platte hören.
Ich hab gelesen, du hättest den Geist von
Nina Simone ins Studio eingeladen.
Das stimmt, ich hab sie eingeladen, doch
sie ist nicht aufgetaucht – leider.
Dafür hast du einen Song von ihr gecovert: «Fodder on her Wings». Wie kamst
du darauf?
Das hat sich im Studio ergeben.
Ich sass vor dem Mikrophon, während
alle anderen im Kontrollraum waren.
Zwischendurch spielte ich dieses Lied –
mein absoluter Lieblingssong – ,
einfach für den Kick, weil es sich gut
anhörte im Kopfhörer. Die anderen
meinten: Heilige Scheisse, das musst du
aufnehmen. Jem liebte es und packte es
auf die Platte. Obwohl ich ihn bat, das
nicht zu tun.
Wieso denn das?
Weil es mir peinlich ist.
Beides irgendwie. Jem Cohen war im
Studio dabei und wirkte als Regisseur.
Er hat die Aufnahmen aufgezogen
wie einen Filmdreh – jeder Song war
wie eine Szene. Er sagte zum Beispiel:
Bei dem Lied hier spielt bloss Vic zusammen mit einer Violine. Dann liess
er uns machen und sah zu, was passierte.
Neben spartanischen Folksongs gibt es
diesmal auch einige unerwartet krachige, epische Stücke.
Auch das war Jems Idee. Er wollte das
Intime und das Explosive. Denn ich
mache ja beides: Bei Auftritten spiele
ich manchmal allein mit meiner kleinen
Gitarre. Wenn aber eine Band dabei
ist, hab ich’s gern laut und verzerrt.
Ich liebe Verzerrung! Wobei das Wort
Liebe noch zuwenig stark ist für das,
was ich für Verzerrung empfinde. Ich
kann’s nicht beschreiben. Es ist einfach
so: Ugh!
Ihr nahmt ziemlich altmodisch auf:
analog auf Zwei-Inch-Tonband.
Findest du denn deine Version
misslungen?
Ja. Ich hab das Lied vor etwa fünfzehn
Jahren gelernt. Und seither spiele ich
es einfach aus dem Gedächtnis. Das
machte die Sache etwas heikel. Was mir
besonders peinlich ist: Ich hab die letzte
Zeile weggelassen.
Weil du sie vergessen hast oder war
das Absicht?
Ich wusste einfach nie, was zur Hölle
sie da eigentlich singt! Es ist in
einer Fremdsprache, ich glaube französisch. Darum hab ich die letzte Zeile
immer weggelassen. Und jetzt schäm
ich mich dafür.
Ein Attribut, das in der Beschreibung
deiner Lieder immer wieder auftaucht,
ist «zynisch». Wie siehst du das?
Ich bin sehr zynisch.
Was bedeutet das konkret?
Es war eine Bandmaschine mit 24
Spuren, glaube ich. Und beim Mix
hatten wir kein automatisierbares Pult.
Wir haben die Regler nach alter Sitte
von Hand geschoben. Das fühlt sich an,
als würdest du ein Orchester dirigieren
oder ein antiquiertes Instrument aus
dem Mittelalter spielen.
Das Album kommt auch als DoppelVinyl raus und zwar in bester 180Gramm-Qualität. Findest du, analog
klingt besser?
Na ja, dass ich halt zynisch bin.
Kann es sein, dass Zynismus oft mit Sarkasmus und Ironie verwechselt wird?
Sarkasmus und Ironie sind bloss
bestimmte Ausdrucksformen des
Zynismus.
Wie meinst du das?
Zynismus ist ein Lifestyle, Sarkasmus ist
eine Gewohnheit, verstehst du? Ironie
und Sarkasmus sind Gewohnheiten, die
sich zu einem Lifestyle verbinden.
Siehst du Verbindungen zwischen Zynismus und Nihilismus?
Jetzt wirst du... Das ist mir zu
persönlich.
Okay. Vor ein paar Jahren hast du
gesagt, dass du Marihuana für medizinische Zwecke legalisieren würdest.
Hab ich das gesagt?
Zumindest habe ich das in einem Interview gelesen. Glaubst du an SelbstMedikation?
Das muss man! Jeder sollte das tun.
Du kannst dich nicht nur auf PharmaUnternehmen verlassen, die dir
Medikamente in den Rachen stopfen.
All diese Chemikalien, die durch
deinen Körper fliessen! Dabei gibt es
auch althergebrachte Heilmittel, die
sehr wirksam sind.
Du bist schon in den 90ern in der Roten
Fabrik aufgetreten – irgendwelche speziellen Erinnerungen?
Ich kann mich an rein gar nichts erinnern. Damals war ich total kaputt: besoffen und voll auf Drogen. Da hab ich
ausgiebig Selbst-Medikation betrieben
und war total selbstmörderisch drauf.
Mittlerweile geht’s dir hoffentlich
besser.
Ehm, vielleicht. Jetzt gerade im
Moment geht’s mir gut.
Von Reto Aschwanden
Vic Chesnutt live: 8. November,
Clubraum Rote Fabrik
UNERHÖRT!
22. - 28. November 2007
Ein Zürcher Jazzfestival
Eine Woche Jazz. Die Manifestation der starken Zürcher Szene.
Ein Fest mit MusikerInnen verschiedener Szenen und mehrerer
Generationen. Eine Verneigung vor
den Pionieren der Black Music.
Ein Windstoss aus der Berliner Szene. Eine Vernetzung von Publikum,
Veranstaltern und MusikstudentInnen.
Guests in Residence
Im Mittelpunkt des diesjährigen
Festivals stehen drei Instanzen des
Jazz: Oliver Lake, Reggie Workman,
Andrew Cyrille. Diese Grössen der
Black Music verkörpern den modernen Jazz geradezu. Sie waren bei dessen jüngerer Entwicklung stilbildend
dabei, spielten mit John Coltrane,
Thelonious Monk oder Cecil Taylor.
Die drei Musiker begegnen in verschiedensten Besetzungen Zürcher
MusikerInnen. Als Gast ins Trio 3
laden die drei Amerikaner die Zürcher Pianistin Irène Schweizer ein.
Oliver Lake spielt mit der Zürcher
Rhythmus-Gruppe Christian Weber (b) und Dieter Ulrich (dr), und
Andrew Cyrille trifft sich zu einem
Drums-Duo mit Lucas Niggli. Reggie Workman mit seinem wunderbaren Bass-Sound ist solo zu hören.
Dass mit dem Speech Quartet um
Amiri Baraka vier weitere Koryphäen der Black Music auftreten, ist
eine zusätzliche Verbeugung vor den
Jazz-Pionieren afrikanisch-amerikanischer Herkunft. – Einen jungen,
nordeuropäischen Gegenpol dazu
schafft sicher das Solokonzert von
Bugge Wesseltoft.
Berlin
seiner Band Fractal, Stefan Rusconi im Trio, Nat Su als Gast bei Michael Jaeger und Kerouac, Marino
Pliakas und Michael Wertmüller
mit dem Wuppertaler Saxofonisten
Peter Brötzmann, Irène Schweizer
mit dem Trio 3, Christian Weber
und Dieter Ulrich mit Oliver Lake
und Peter Schärli mit seiner bunten
Truppe «Hot Peace». Abenteuerund Entdeckungsfahrten durch die
Welt des Jazz.
Unerhört! An den Schulen
«Das Unerhört!-Festival begeistert den Nachwuchs für den
Jazz» titelte die «Frankfurter Rundschau» ihren Festivalbericht vom
letzten Jahr. Jazz und improvisierte
Musik auch in die Aulen der Mittelschulen zu tragen, ist eines der
zentralen Anliegen der Unerhört!MacherInnen. Nachdem letztes Jahr
Billiger Bauer in verschiedenen Mittelschulen aufgetreten ist, wird die
Langzeit-Working-Band von Lucas
Niggli ZOOM heuer an drei Schulen
auftreten. Zum ersten Mal stehen
dieses Jahr Studierende auf der Festivalbühne. Die Big Band der Musikhochschule Luzern eröffnet das
Unerhört!. Seit Jahren arbeitet die
Schule mit internationalen Gastdozenten. In Kooperation mit dem
Unerhört! führt Barry Guy, einer
der bedeutendsten Komponisten für
Jazzorchester, einen Workshop und
probt mit den jungen Jazzprofis der
Luzerner Musikhochschule seine
Komposition «Harmos», die vom
All-Star-Orchester des britischen
Jazz, dem London Jazz Composers
Orchestra, uraufgeführt wurde. Am
gleichen Abend bringt die Luzerner
Big Band auch ein neues Stück des
Komponisten Christoph Baumann
zur Aufführung. Für die Jazzabteilung der Zürcher Hochschule der
Künste konnten wir aus Peter Schärlis Band Glenn Ferris gewinnen, der
mit seiner Workshop-Band schliesslich sogar die Clubbühne des «Mehrspur» besteigen wird.
Berlin präsentiert sich in den letzten Jahren als eines der aufregenden
Zentren des europäischen Jazz. Zwei
Gruppen bringen Berliner Luft nach
Zürich. Das Berliner Urgestein Ulrich Gumpert, bekannt vom Zentralquartett, stellt seine neue Band
mit jungen Musikern vor: Ben Abarbanel-Wolff, Michael Griener, Jan
Hans Hassler im Bürgerasyl
Roder. Die Wahlberlinerin Aki Takase spielt mit der Saxofonistin Silke
Letztes Jahr war das Unerhört!
Eberhard: Ihre «Ornette Coleman
Anthology» ist eine originelle Aus- erstmals auch im Zürcher Alterseinandersetzung mit dem Frühwerk heim Bürgerasyl/Pfrundhaus zu
Gast. Der Duo-Auftritt von Günter
des Meisters.
«Baby» Sommer und Rafik Schami
wurde mit grossem Applaus gefeiert.
Starke Szene Schweiz
Dieses Jahr bringen wir am selben
Am Unerhört!, dem Festival der Ort – diesmal öffentlich und ohne
Zürcher MusikerInnen, stehen Zür- Eintritt – Hans Hassler, den Schweicher und Schweizer MusikerInnen zer König des Akkordeons und
prominent auf der Bühne: Lucas Grenzgänger zwischen den Stilen
Niggli mit Nils Wogram und Phi- und Genres, auf die Bühne. (pd)
lipp Schaufelberger in der Urform
von ZOOM sowie im Duo mit An- Komplettes Programm im 3.Bund
drew Cyrille, Yves Reichmuth mit oder unter www.unerhoert.ch
Die Zeitung der Roten Fabrik | November Ausgabe 236
16
Hier werden Sie gewählt
Harry Hustler und die SVP Wahlhotline
Bürgerfreundlich wie sie ist, hat die SVP vor den
Wahlen ein Callcenter eingerichtet, bei dem
man sich als unbedarfter Wähler informieren
konnte, wie man denn zu wählen hätte. Zwei ausgewählte Gespräche mit den fleissigen Wahlhelfern
der SVP Wahlhotline.
SVP Wahlhotline, mein Name ist Kaufmann.
Guten Tag Herr Kaufmann, hier Frei am Apparat.
Ich hätte da eine Frage zu den Wahlen. Ein Kollege
von mir hat so etwas von Streichen auf den Wahllisten gesagt, doch leider verstehe ich das nicht so
genau. Es ist eben das erst Mal, dass ich abstimmen darf.
Ja, Herr Frei, Ihr Kollege hat da das Panaschieren
und Kumulieren angesprochen. Sie können auf den
vorgedruckten Listen Personen doppelt aufführen,
oder Personen rausstreichen. Wenn Sie einen Kandidaten doppelt auflisten, so hilft ihm das gewählt
zu werden.
Wissen Sie, Herr Kaufmann, mein Problem ist
Folgendes: Ich stimme im Kanton St. Gallen ab,
und möchte eigentlich die SVP möglichst optimal
unterstützen, denn die machen etwas gegen diese
*@&! Ausländer, jedoch muss ich auch noch zwei
FDP-Kandidaten wählen, das sind gute Bekannte
meiner Eltern.
Also Herr Frei, dann nehmen Sie am Besten die
SVP-Liste, das ist Liste Zwei und streichen da
zwei Kandidaten und ersetzen diese durch die Bekannten ihrer Eltern.
Ah, OK, Herr Kaufmann, könnte ich auch die
leere Liste verwenden, welche bei den Wahlunterlagen dabei war?
Klar Herr Frei, das können Sie auch machen. Sie
müssen einfach darauf achten, dass nicht mehr als
12 Namen auf der Liste stehen, wobei sie jeweils
die Kandidaten doppelt aufführen können. Das
heisst demnach, dass Sie sechs Personen auf der
Liste eintragen können. Wenn Sie nun die leere
Liste verwenden, müssen Sie darauf achten, dass
Sie als Listenbezeichnung SVP, Liste 2 eintragen,
und nicht vergessen, neben die Namen der Kandidaten die Kandidatennummer zu schreiben. Da Sie
ja sagten, dass sie das Ausländerthema interessiert
und da sie noch jung sind, empfehle ich ihnen Toni
Brunner und Lukas Reimann je zweimal auf die
Liste zu setzen, denn diese sind jung und setzen
sich für eine harte Hand im Umgang mit den Ausländern ein. Lukas Reimann zum Beispiel ist noch
ein ganz Junger wie Sie, er kommt aus Wil und
ist Jus-Student. Den sollten Sie mit ihrer Stimme
stärken. Ich hätte da noch ein Anliegen an Sie,
Herr Frei: Sagen Sie doch auch ihren Kollegen und
Kolleginnen, dass Sie unbedingt die SVP wählen
sollen, und vor allem die Kandidaten Brunner und
Reimann.
Das mach ich doch. Also Herr Kaufmann, ich
danke Ihnen für die wertvollen Informationen.
Da gibt es nichts zu danken Herr Frei, wir wollen
ja beide dasselbe. Guten Abend.
TINA ROCKS THE LINE
SVP Wahlhotline Förster, was kann ich
für Sie tun?
Gut Abend, hier Lukovic an Telephon. Ich
frisch Schweiz Pass, erst mal stimmen. Sie
sagen, welch Partei für Ausländer.
Herr Lukovic, ich empfehle Ihnen, die SVP
zu wählen, denn wir setzen uns für
Ausländer ein. Genau für solche Ausländer
wie Sie Herr Lukovic, die sich hier in unserer
Inserat in der FabrikZeitung
Schweiz integrieren.
vom November 07
Nr. 236
Aber mein Kolleg sagen SVP
nix gut,
gegen Ausländer.
IG Rote Fabrik
Nein, nein, Herr Lukovic, Seestrasee
das stimmt395
nicht.
8038
Wir sind nicht gegen Ausländer,Zürich
nur
gegen jene, die sich nicht an die Regeln und
Gesetze in unserem Land halten können.
Solche Anständigen Leute wie Sie haben wir
gerne in der Schweiz.
Also ich nix sicher, noch mal überleg und mit
mein Kollegen reden.
Was gibt es da noch zu überlegen, Herr Lukovic? Wählen sie ganz einfach die SVP. Denn
wenn es nach uns geht, machen wir das bestmögliche für Leute wie Sie. Sie wollen ja auch
nicht, dass mit den hohen Steuern, die Sie bezahlen, faule Sozialschmarotzer und Schein-invalide ein gutes Leben führen können. Wissen
Sie, Ausländer wie Sie, die hier arbeiten und
sich anpassen, sind wirklich willkommen.
Das, was wir hier nicht haben möchten, sind
Leute, die nicht arbeiten wollen, und solche,
die kriminell werden. Haben Sie Kinder Herr
Lukovic?
Ja ich hab ein Sohn und ein Tochter, warum?
Sehen Sie, Herr Lukovic, Sie wollen ja auch
nicht, dass ihren Kindern etwas zustösst. Zum
Beispiel, dass Ihre Tochter Vergewaltigt
wird, oder dass man Ihrem Sohn Drogen
verkauft, oder?
Ja, da Sie schon recht, will nich, dass Kinder
was passieren.
Also verstehen Sie mich jetzt, Herr Lukovic, wir von der Schweizerischen Volkspartei haben nichts gegen Ausländer. Aber die,
die sich hier in der Schweiz nicht benehmen
können oder wollen, die brauchen wir hier
nicht. Die sollen in das Land zurück, wo sie
hergekommen sind und dort dem Staat auf der
Tasche liegen, Drogen verkaufen und unschuldige Leute zusammenschlagen. Deshalb empfehle ich Ihnen wärmstens, am 21. Oktober die
SVP zu wählen.
Also gut ich mach so wie sie sag. Danke,
schön Abig.
Ich danke Ihnen, Herr Lukovic und wünsche
Ihnen auch einen schönen Abend.
IMPRESSUM
Kontakt:
Fabrik Zeitung
Seestrasse 395
Postfach 1073
8048 Zürich
[email protected]
Herausgeberin:
IG Rote Fabrik
Seestrasse 395, 8038 Zürich
Tel. 044/ 485 58 08
www.rotefabrik.ch
Redaktion:
[email protected]
Gestaltung:
[email protected]
Plakat:
[email protected]
Mit Texten von:
Andrea Keller, Tom Kummer,
Martin Söhnlein, Barbara
Kunz, Reto Aschwanden,
Kyros Kikos, Etrit Hasler,
Carlos Hanimann,
Harry Hustler
Druck:
Ropress Genossenschaft
Baslerstrasse 106
8048 Zürich
Website:
www.glashaus.ch/faz
Auflage:
3‘500 Exemplare
Erscheinungsweise:
monatlich
Abonnemente:
35 Fr. pro Jahr/10 Ausgaben
60 Fr. Soliabonnement
[email protected]
Wir suchen per 1. Mai 2008 oder nach Absprache
eine/n qualifizierte/n
TONTECHNIKER/IN (80 - 100%)
für die Beschallung von Konzerten, Theater, Lesungen,
etc. Aufgrund der Teamzusammensetzung wird ein
Mann bevorzugt.
Du bietest:
- Mehrjährige Erfahrung im tontechnischen Bereich (Live)
- Kenntnisse in Elektronik (Reparatur, Wartung)
- Einen gesunden Rücken
- Fremdsprachen- und PC-Kenntnisse
- Kommunikative und soziale Kompetenz
- Ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein
- Bereitschaft, überall anzupacken und unregelmässige
Arbeitszeiten in Kauf zu nehmen
Wir bieten:
- Betriebsführung im Kollektiv
- Ein interessantes kulturelles Umfeld
- Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen und umzusetzen
- Einheitslohn, gute Sozialleistungen und Weiterbildungsmöglichkeiten
- 6 Wochen Ferien, 40 Stunden-Woche
Sende deine schriftliche Bewerbung bis zum 15.11.07 an:
IG Rote Fabrik, Postfach 1073, 8038 Zürich
Infos: 044 485 58 18, Franziska Rütimann verlangen
oder E-Mail an: [email protected]
Epilog „Lost in mUsic“ Ausgabe
CIO`s Top 10
My Bloody Valentine – Loveless (Creation)
Autechre – Amber (Warp)
Spacemen 3 - The Perfect Prescription (Glass Rec.)
LFO – We Are Back (Warp)
Joy Division – Unknown Pleasures (Factory)
The Other People Place – Lifestyles Of The Laptop Café (Warp)
Sonic Youth – Daydream Nation (Blast First)
Repeat aka Plaid & Mark Broom – Repeats (a13)
Aphex Twin – I Care Because Because You Do (Warp)
Prince – Sign ‚O‘ The Times (Paisley Park)
d
r
i
B
w
e
r
d
An
m
u
a
r
b
Clu
k
i
r
b
a
F
Rote
7
0
0
2
.
1
14.1
Sa 03. NOV / 21.00h
// Aktionshalle
Enter the Dancehall:
GYPTIAN / Boss Hi-Fi
Aktuelles Album: «Biological Warfare»
www.artistsonly.com/cocoa.htm
Fr 09 November / 21.00h
Aktionshalle
Enter The Dancehall:
COCOA TEA / Ryan Bailey / Boss Hi-Fi
Aktuelles Album: «Armchair Apocrypha»
www.andrewbird.net
Mi 14. NOV / 21.00h
// Clubraum
A Thousand Leaves:
ANDREW BIRD / Loney, Dear
Aktuelles Album: «No Shouts No Calls»
www.electrelane.com
Sa 17. NOV / 21.00h
// Clubraum
Sugarshit Sharp:
ELECTRELANE / The Delilahs / Anni Rossi
Aktuelles Album: Mando Diao «Never seen the
Light of Day»
www.mandodiao.com
Mag sein, dass Rockmusik gerade wieder im Trend
lag, als die schwedische Band Mando Diao vor fünf
Jahren ihr erstes Album veröffentlichte. Und sicher
war die Grossmäuligkeit der beiden Frontleute
Gustav Norén und Björn Dixgard der Skepsis, die
sich hie und da gegenüber der stark von den Beatles
inspirierten Truppe regte, auch nicht abträglich.
Nun, Trends gehen wieder, gute Bands bleiben.
Und Mando Diao – die Bedeutung des Bandnamens soll Dixgard angeblich im Traum aufgegangen
sein (das Metier Legendenbildung beherrschen
sie) – erfüllen etliche wichtige Merkmale einer sehr
guten Band: auf «Bring ’Em In» folgten mit «Hurricane Bar» und «Ode To Ochrasy» zwei Alben,
die Mut zur Entwicklung zeigten und wiederum
fast ebenso Hit bestückt waren, wie die glänzende
Debütscheibe. Eine Entwicklung vom Rock’n’Roll
zum klassischen Gitarren-Pop, mit Seitensprüngen,
Attitüde und jeder Menge guter, griffiger Songs.
Jetzt stellt Dixgard mit einer anderen Formation
schon mal Songs des neuen Albums «Never Seen
The Light Of Day» vor.
MI 21. NOV / 20.00h
// Fabriktheater
Culturescapes Rumänien: TRIO CONTRASTE
TABU SUITE - zeitgenössische Musik aus
Rumänien
Di, 20. NOV / 21.00h pünktlich!
// Ziegel Oh Lac
Black Mountain / Future Of The Left
Als Molly McGuire das letzte Mal in der Fabrik
auftreten sollte, streikte sie. Damals spielte sie
Bass bei Ex-QOTSA-Querkopf Nick Oliveri, der
während der Tour derart ausrastete, dass seine Begleitmusiker das Handtuch warfen. Oliveri spielte
dann solo. Nun kommt Molly McGuire mit ihrer
eigenen Band: The Spores. Auf dem Debüt «Imagine The Future» fabriziert das Trio scheppernden
Elektro-Rock, wie ihn Peaches-Fans goutieren
und jenen dreckigen Grunge-Pop, den in den
90ern Bands wie die Breeders drauf hatten. Molly
verehrt Kraftwerk und Nina Hagen, noch mehr
liebt sie aber ihre selbstgenähten Handpuppen,
die bei Konzerten prominente Auftritte haben.
Manche fühlen sich von diesem überdrehten Theater überfordert. So befand ein Schweizer Blogger
nassforsch: «Ich schenke die Platte wahrscheinlich
jemandem, den ich hasse.» Solche Feinde wünscht
man sich, denn für Leute mit Ahnung liefern The
Spores sperriges, schräges und super unterhaltendes Entertainment.
Di, 27.NOV / 21.30h
// Ziegel Oh Lac
The Spores plus Support
Programm der Roten Fabrik
November 2007 Nr. 236
Di 6. NOV / 21.30h
// Ziegel oh Lac
Califone / Home Of The Lame (solo)
Es nimmt kein Ende: Monat für Monat fällt ein
weiterer Kanadier-Trupp in Europa ein. Solange
sie das Niveau scheinbar mühelos halten, wollen
wir das begrüssen. Nun sind Black Mountain im
Anmarsch und das ziemlich breitbeinig. Die Riffs
dröhnen wie einst bei Led Zeppelin und Blue
Cheer, doch bevor der vorlaute Bescheidwisser
in der dritten Reihe «Retrorock» schreien kann,
trötet ein Saxophon dazwischen. Und wenn Amber
Webbers Stephan McBean am Mikro ablöst, macht
die Band plötzlich einen auf Velvet Underground.
Hier wird nicht einfach rumgewummert – dieses
Quintett aus Vancouver findet stets den Song im
Dröhnen! Erinnert sich noch jemand an McClusky,
diese Waliser mit ihrem abgezirkelten Knüppelrock? Nun präsentieren Sänger/Gitarrist Falco Falkous und Drummer Jack Egglestone die Nachfolge-Band: Future Of The Left. Ihr Debüt «Curses»
pendelt stilsicher zwischen Math-Core und Melodie. Mit neckischem Zweifinger-Keyboard und prägnanter Singstimme sorgt Falkous für eingängige
Momente – bis er ansatzlos zum Brüllwürfel mutiert, während hinter ihm die Screamo-Post abgeht.
Intensive Wechselbäder garantiert!
Fabriktheater
schnittplätze
begleitete videowerkstatt
videokurse
projektbegleitung
überspielungen DV / DVD / SVHS / Beta / Hi8
Final Cut Studio Projektbezogen (3 Tage)
Final Cut Pro, Motion, Soundtrack Pro
speziell auf dein Projekt massgeschneidert
18. - 20. Januar 2008
CH 450.-
Bürozeiten:
Dienstags 10-13 Uhr
Donnerstags 17-20 Uhr
Tel. 044 485 58 78
[email protected]
www.fabrikvideo.ch
Für Gruppen ab 3 Personen können eigene Kurse
und Daten vereinbart werden.
-
- Motion FCP (2 Tage)
- Sa-So . 8. + 9. Dezember 2007
- CHF 240.-
- Intensivkurs Videobearbeitung (3 Tage)
- Final Cut Studio mit Motion, DVD Studio Pro,
Aufbereitung fürs Internet
- Fr-So 23. – 25. November 2007
- CHF 450.-
-
Video
Einfach machen sie es einem nicht, Califone aus
Chicago. Hervorgegangen aus der Sub-Pop-Truppe
Red Red Meat durchstreift die Band um Tim Rutili
und Ben Massarella ein wahrhaft weites Feld amerikanischer Musik. Sie erkunden mit Banjo und
Bluegrass-Fiedel Folk und versinken wenig später
bereits in archaischen Blues-Sümpfen. Bis hierhin
kann der grösste Teil der Americana-Gemeinde
folgen. Doch plötzlich geht‘s ruckzuck in die Gegenwart: elektronische Stolperbeats, knisternde
Noise-Samples, grollendes Feedback. Califone
vermengen die Stile ohne jede Scheu und behalten dabei stets den Song im Blick. Kein Wunder
werden sie von der Fachpresse oft in einem Atemzug mit Wilco genannt. Zu recht: Wer Jeff Tweedy
und Co. schätzt, findet in Califone eine überaus
lohnende Herausforderung.
Hinter Home Of The Lame verbirgt sich der deutsche Felix Gebhard. Der Songwriter entstammt
dem Umfeld des Labels Grand Hotel Van Cleef,
spielte Bass bei der Hansen Band und zog zwischendurch der Liebe wegen nach Schweden. Nun
reist er solo an, um das Publikum mit seiner tiefen,
warmen Stimme zu verzaubern.
Di, 13.NOV / 21.30h
// Ziegel oh Lac
Asobi Seksu plus Support
Asobi Seksu kommen aus New York, haben
eine japanische Sängerin und tönen nach englischen Bands der späten 80er. Lush klingen an
und manchmal My Bloody Valentine: bebende
Gitarrenwände und weite Hallräume, dazu die
traumwandlerische Stimme von Yuki, die zwischen
englisch und japanisch wechselt, ohne dass das
gross auffällt. Auf die Shoegazer-Schublade sollte
man das Quartett allerdings nicht reduzieren.
Denn neben somnambuler Verzerrung bieten
Asobi Seksu auch (indie-) poppige Passagen und
Hochspannungs-Arrangements mit Glockenspiel
und Violine, die vage Erinnerungen an die vergessenen Miranda Sex Garden wecken. Zuweilen
wirkt diese Mischung aus brachial und verführerisch fast so unheimlich wie ein Film von David
Lynch. Auf ihrer ersten Europareise präsentieren
Asobi Seksu ihr Zweitwerk «Citrus», ein Album
wie ein Nervenzusammenbruch in Watte.
Fabrikjazz
8. NOV / 21.00h
// Aktionshalle
Kurzschluss:
Powerpoint-Karaoke
MI 28. NOV / 21.00h
// MEHRSPUR MUSIC CLUB,
WALDMANNSTRASSE 12
Glenn Ferris Workshop-Band
ca. 22.00h: Jazzbaragge Wednesday Jam mit Chris
Wiesendanger, Dominique Giro und
Dieter Ulrich
DI 27. NOV / 20.30h
// Jazzclub Moods
Peter Scharli Special Sextet feat. Glenn ferris
«Hot Peace»
Speech Quartet
MO 26. NOV / 20.30h
// Jazzclub Moods
Andrew Cyrille – Lucas Niggli
Bugge Wesseltoft solo
// Jazzclub Moods
Oliver Lake – Christian Weber – Dieter Ulrich
Reggie Workman solo
Brötzmann – Pliakas – Wertmüller
SO 25. NOV / 19.00h
UNERHÖRT! Ein Zürcher Jazzfestival
UNERHÖRT!
Ein Zürcher Jazzfestival
(ausführlicher Bericht S.15)
DO 22. NOV / 20.00h
// Fabriktheater
Barry Guy, Christoph Baumann und Big Band
der Musikhochschule Luzern
FR 23. NOV / 20.00h
// Clubraum
Kerouac feat. Nat Su
Aki Takase – Silke Eberhard «Ornette Coleman
Anthology»
Ulrich Gumpert Quartett
Nochturne ca. 23.00h: Rusconi Trio
SA 24. NOV / 20.00h
// Fabriktheater
Yves Reichmuth Fractal
Lucas Niggli Zoom
Oliver Lake – Reggier Workman – Andrew Cyrille feat. Irène Schweizer
Nocturne ca. 23.00h: Rusconi Trio
So 11. NOV / 20.30h
// Fabriktheater
Marc Ribot – Solo US
Marc Ribot, g/voice
SO 25. NOV / 16.00h
// Bürgerasyl/Pfrundhaus
Hans Hassler Solo
öffentliches Konzert, freier Eintritt mit Kollekte
DO 22. NOV / 20.00h
// Clubraum
Culturscapes Rumänien: ANA BLANDIANA
Lesung & Gespräch
Idee: ASFALTprinzessinnen
Regie: Sarah Jaggi, Spiel: Pilu Lydlow und Sibilla
Semadeni
Ausstattung: Philipp Stengele
Dias/ Flyer: Daniel Hertli
Amelie und Wum betreiben unter der Erde eine
ambulante Praxis für Insekten. Jeder ist willkommen, die Biene mit Bienenstich oder auch die
schwerverletzte Kellerassel. Alles nimmt seinen
gewohnten Gang bis eines Morgens plötzlich die
Erde zittert und die Decke bröckelt. Verzweifelt
versuchen Amelie und Wum sich in Sicherheit zu
bringen. Um den Feind zu vertreiben, lassen sie sich
was ganz Besonderes einfallen.
Entwickelt von Ivo Engeler in Zusammenarbeit mit
Beat Sprenger, Mathias Frei, Michael Oberholzer
und Andreas Brändle.
Das Internet ist voll von bizarren Vorträgen
– zusammengeschraubt aus Stichworten und
Abbildungen mit Hilfe des Microsoftprogramms
Powerpoint. Anders als bei Gesangskaraoke wählen
Mutige an diesem Abend aus einer thematisch geordneten Palette eine Powerpoint-Präsentation aus
und versuchen sich in Improvisationskunst.
Ana Blandiana, 1942 in Timisoara geboren, war
eine anerkannte Autorin und Verlegerin als sie in
den späten 80er Jahren im Protest gegen Ceausescus Regime politische Gedichte veröffentlichte und
zu einer zentralen Figur des politischen Umbruchs
wurde. Ana Blandiana ist Initiatorin und Präsidentin von Memorial Sighet, einer Gedenkstätte für
die Opfer des Kommunismus und des antikommunistischen Widerstands in Rumänien. Sie steht
heute dem rumänischen PEN Club vor. Ihre Werke
wurden in 16 Sprachen übersetzt.
Moderation: Daniel Ursprung; Übersetzung:
Franz Hodjak
Sa 17. NOV / 17.00h Premiere
So 18. NOV / 11.00h
Theater ab 5:
ASFALTprinzessinnen: ELFmilliMETER
SO 25. NOV / 20.00h
// Clubraum
Culturscapes Rumänien:
SHUKAR COLLECTIVE
Konzert – Balkan-Roma-Elektro-Folk
Die Töne vom Balkan boomen: Eines der gewagtesten Experimente ist Shukar Collective. Mit
den drei Romamusikern Napoleon, bekannt von
Taraf de Haïdouks, Tamango und Claşic als musikalischem Kern. Mit rauem Gesang, staccatoartigen
Anfeuerungsrufen, kombiniert mit den Rhythmen
archaischer Instrumente wie Löffel, Rahmen- und
Holztrommel halten sie die Musik der Ursari, der
Bärenzähmerzunft, lebendig. Ins Hier und Jetzt
wird diese Tradition durch ein flippiges Elektronikteam versetzt, zu dem der europaweit gefeierte DJ
Vasile zählt. Die Idee, die hinter Shukar Collective
steckt, besteht in der Reorchestrierung folkloristisch angehauchter Stücke mit zeitgemässen Technologien und Methoden, ohne deren Herkunft und
Originalität zu verleugnen.
Diskografie: Marc Ribot: «Asmodeus, John
Zorn – Masada Book Two», Tzadik TZ 8035,
2007. Marc Ribot: «Spiritual Unity», PI Recordings PI 15, 2004. Marc Ribot: «Soundtracks
II», Tzadik TZ 7516, 2003.
Der Gitarrist Marc Ribot gehört zu den gefragtesten Musikern der Downtownszene von
New York. Man findet sein Spiel aber auch auf
Alben von Tom Waits, Caetano Veloso, Laurie
Anderson und immer wieder in Projekten von
John Zorn, so zum Beispiel als Teil von Electric
Masada. Über die Jahre hat er immer seine
eigenen Projekte wie Rootless Cosmopolitans,
Shrek, Los Cubanos Postizos, Spiritual Unity
gepflegt. Letzteres ist ganz der Musik von
Albert Ayler verschrieben. Als Solist hat er auf
der CD «Saints» (2002) nebst Ayler, Lennon/
McCartney und eigenem auch eine Reihe von
Traditionals auf herausragende Weise interpretiert. Jetzt ist Ribot mit einem neuen Soloprogramm unterwegs, bei dem er mit Hilfe von
Gitarre und Stimme die Stille erkundet.
Etablierte zeitgenössische Musik aus Rumänien
stellen Ion Bogdan Ştefănescu, Soloflötist beim
Bukarester Philharmonischen Orchester George
Enescu, Sorin Petrescu und Doru Roman, Klaviersolist und erster Perkussionist beim Philharmonischen Orchester Timişoara, vor. 1990 wurden
die drei Ausnahmemusiker als Trio Contraste mit
dem Staatspreis des rumänischen Komponistenverbandes ausgezeichnet. Das Trio gastiert weltweit
auf zahlreichen, bedeutenden Festivals.
Ziischtigsmusig
NOVEMBER 2007
Aktuelles Album: «My Name is Gyptian»
www.gyptian.com
Musikbüro
Erst seit gut zwei Jahren ist Windel Beneto Edwards alias Gyptian ein heller Stern am Himmel
der Karibik. Mit den Songs «Is There A Place» und
«Serious Times» schaffte der Sänger aus Jamaika dann aber gleich auch den Sprung über die
Inseln hinaus. Spätestens seit seinem Ende 2006
erschienen Album «My Name Is Gyptian» ist der
23-Jährige den Fans von Lovers Rock und Roots
Reggae auf der ganzen Welt ein Begriff. Politische
Belange und Herzensangelegenheiten bestimmen
seine Texte, einfache, von seiner Stimme getragene
Songstrukturen seine Musik. Bei «Serious Times»
reichen ein Saxophon, schleppender Percussionseinsatz und etwas Gitarre, um die Gesangsmelodie anzureichern. Reggae zum sich in den Armen
liegen und das Feuerzeug schwenken.
Ganz klar, Electrelane haben eine romantische
Seite. Aber sie lassen die Romantik nicht zu lange
gewähren. Kaum ist der Höhepunkt erreicht,
beginnt die Sache auch schon zu kippen. Mal lärmender Rock, mal richtiger Noise, mal minimale
Piano-Figuren durchbrechen die Songaufbauten
der vierköpfigen Frauenband aus der englischen
Küstenstadt Brighton. Danach ziehen sie das
Tempo wieder an, oder brechen abrupt ab. Sie
selbst führen Neu!, Stereolab, Sonic Youth und
Velvet Underground als ihre Einflüsse an. Frontfrau Verity Susman wechselt zwischen Keyboard,
Farfisa, Gitarre, Saxophon, Klarinette, und auch
Rückkopplungen und Alltagsgeräusche wie ein
langsam vorbeidampfender Zug oder Fussball-Fangesänge mischen sich dazu. Das muss nicht virtuos
sein, um punkig und überraschend zu klingen.
Das alljährliche Festival Culturescapes – Kulturlandschaften – bringt osteuropäische Regionen,
die uns trotz geografischer Nähe relativ fremd sind,
in ihrer Geschichte und kulturellen Vielfalt nahe,
in diesem Jahr Rumänien. Das Festival lädt dazu
ein, diese fremden Welten mit ihrer musikalischen,
literarischen und künstlerischen Tradition und
zugleich Gegenwart kennen zu lernen.
Es ist die Überzeugung des Festivals, dass Europa,
in Kenntnis und Würdigung seiner kulturellen
Vielfalt, die Möglichkeit einer funktionierenden
«open society» besitzt. Allerdings hat eine wirtschaftliche Öffnung von Grenzen nicht zwangsläufig einen gleichwertigen kulturellen Austausch zur
Folge. Das Projekt ist ein Versuch, dem Defizit an
Erfahrungen mit anderen Kulturen, insbesondere
mit den uns nahe stehenden ost-europäischen, mittels eines reichen und differenzierten Programms
entgegenzuwirken.
Gesamtprogramm, Infos und Details unter
www.culturscapes.ch
Mi 28. NOV / 21.00h
// Clubraum
Sugarshit Sharp:
BJÖRN DIXGARD (MANDO DIAO) /
SupportSolo Tour with Special Friends of the
Singer & Soul of Mando Diao…
Schichtbetrieb im Lande Illinois. SchrummelGitarre, Violine, Madoline, Glockenspiel, nuscheliger Gesang, etwas Folk, etwas Rock und wo’s
passt auch kurze Pfeifeinlagen stapeln sich bei
Andrew Bird zu gern etwas schlagseitigen Songs
auf. Immer mal wieder mit diesem oder jenem
kollaborierend, hat der Farmer in den elf Jahren
seit seinem Debütalbum «Music Of Hair» schon
ein beachtliches Opus gesongwritert. Auf der
Bühne lässt Bird seine Songs meist mit Hilfe eines
Mehrspur-Loopgeräts entstehen. In letzter Zeit
begleiten ihn dazu oft Schlagzeuger Martin Dosh
und Bassist Jeremy Ylvisaker. Aber was uns genau
erwartet, wissen wir nicht. Und das ist gut so. Mag
sein, dass ihn seine Mutter wegen der etwas nachlässigen Artikulation rügt, wir schätzen Bird wegen
der behutsam gehegten, und mit schönen Melodien
umschlossenen Wehmütigkeit in seinen Songs.
Sa 10 NOV / 21.00h
// Aktionshalle
Sugarshit Sharp:
NOMEANSNO / Married 2 Music
Aktuelles Album: «All Roads Lead To Ausfahrt»
www.nomeanswhatever.com
Nein heisst nun mal nein. Ein klares Nein zu Starallüren, Anerkennung der eigenen Vorreiterrolle
oder zu irgendwelchen Kompromissen. Die Band
um die beiden Brüder Rob und John Wright wurde
1979 im Keller des Elternhauses in Victoria, British
Columbia, gegründet. Sie nennen sich selber Punks,
obwohl ihr Musik mit Punk streng genommen nicht
viel zu tun hat. «Math Rock» und «Jazz Punk» sind
weitere Stilbegriffe, die mit denen ihre Musik schon
bedacht worden ist. Rob spielt den an radikalem
Jazz geschulten Bass, John das mühelos die Tempi
wechselnde Schlagzeug, Tom Holliston bedient die
Gitarre und singt in aller Heftigkeit. Und obwohl
sie praktisch keine Band als direkten Einfluss
anführt, weil ihre Musik halt einfach schwer zu kopieren ist, haben sie doch weltweit eine sehr grosse
Fangemeinde. «All Roads Lead To Ausfahrt»
und für Musikfans führt kein Weg an Nomeansno
vorbei.
Musikalische Intermezzi: Tomas Vysusil
Edition 8-Programmvorstellung: Geri Balsiger und
Heinz Scheidegger
Zur Notwendigkeit einer kritischen Forschung für
eine kritische Praxis: Podiums- und Publikumsdiskussion mit Walter Angst (Journalist), Branka
Goldstein (IG Sozialhilfe), Marianne Rychner (Soziologin) und Kurt Wyss
FR 16. NOV / 19.30h
// Clubraum
KOFO – Gehörlosenforum
«The Transgender Society is the Family»
Was bedeutet «transsexuell» ? In der Schweiz leben
ungefähr 2500 Transsexuelle, aber wie sieht es
mit den gehörlosen Transsexuellen aus? Frauen /
Männer, die sich in Mann / Frau umwandeln und so
leben möchten, gibt es. Betty aus England erzählt
aus ihrem Leben... – GebärdensprachdolmetscherInnnen werden anwesend sein.
Weitere Informationen und genauere Details:
www.topdix.ch
Organisation: topdix.ch in Zusammenarbeit mit
der Roten Fabrik und sichtbar Gehörlose Zürich.
MI 21. NOV / 19.30h
// Clubraum
FABRIKGESPRÄCHE – Populismus und die
anstehende Bundesratswahl
Unter dem Titel «Fabrikgespräche» werden in
regelmässigem Abstand aktuelle politische Themen
aufgegriffen, diskutiert und debattiert. Die Veranstaltungen richten sich an alle, die sich kritisch mit
aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen auseinandersetzen wollen. Ein Spezialwissen wird nicht
vorausgesetzt. Mit der Reihe «Fabrikgespräche»
bauen die Konzeptgruppe der Roten Fabrik und
WOZ Die Wochenzeitung auf ihr langjähriges Engagement, politische Themen kritisch zu reflektieren und zu diskutieren. Das Thema des Gespräches
am 21. November wird politischer Populismus im
Zusammenhang mit der anstehenden Bundesratswahl sein. Bei Redaktionsschuss stand der Veranstaltungsablauf noch nicht fest. Informationen dazu
unter: www.rotefabrik.ch
Culturescapes Festival
Während seiner über 30-jährigen Karriere hat
der verehrte Rasta wie kein Anderer zuckersüsse
Romantizismen mit tiefgründigen Inhalten vereint.
Für jedes «Immigration Laws» und «Ease Up
President Botha» hat Cocoa Tea eine melodische
Erfrischung im Lovers Rock-Style herausgebracht,
etwa «Lost My Sonia» oder «Good Life», die so
süß und geschmackvoll sind, wie es der Name ihres
Urhebers erahnen lässt. Abgerundet wird einer der
vielfältigsten Hitkataloge mit bewegenden RastaHymnen wie «Holy Mount Zion» und «Israel‘s
King». Diesen Mix setzt er auch auf seinem 20.
Album «Save Us Oh Jah» fort. Die Songs changieren von romantischem Verlangen in «Don’t Take
Your Love Away» und unterdrückter Leidenschaft
in «It Was A Charm» bis hin zum sengenden «Can’t
Tek The Fire Bun» und dem Babylon richtenden
«Wave Your Hand». Die strengen Ermahnungen
an die Politiker, die immer wieder in seinen Texten
mitschwingen, haben dazu geführt, dass einige
seiner Songs nicht nur in Jamaika mit einem RadioBann belegt wurden.
Do 08. NOV / 21.00h
// Clubraum
A Thousand Leaves:
VIC CHESNUTT & BAND
(feat. Members of Godspeed/Silver Mt Zion &
Fugazi) / Support
Aktuelles Album: «North Star Deserter»
www.vicchesnutt.com/
Kaum ein Songwriter ordnet seine Musik so deutlich seinen Worten zu wie Vic Chesnutt. Vielleicht
ist Untermalung das richtige Wort, vielleicht auch
nicht. Denn wenn der bald 42-jährige seine mit an
Bob Dylan erinnernder Poesie gespickten Texte
vorträgt, kann die Musik auch urplötzlich aus ihrem
stillen Gram in heftigen Zorn ausbrechen. Aber
auch wenn die elektrischen Gitarren die eigenwillig
betonende Stimme des Barden aus Athens, Georgia
zwischenzeitlich überlagern, behält sie doch immer
das letzte Wort. Einst entdeckt und produziert
von R.E.M.-Sänger Michael Stipe, rollt Chesnutt
mit seinem Rollstuhl seit Jahren mehr oder (eher)
weniger behaglich unter dem Radar der grossen Öffentlichkeit. Durch ein Feld, in dem Lieder gleich
bedeutend mit Gedichten sind.
Konzeptbüro
SO 04. NOV / 20.00h
// Aktionshalle
ALP – Panzerkreuzer Potemkin
Der Stummfilmklassiker von Sergej Eisenstein, neu
livevertont von ALP
Angewidert von scheusslichem Geruch, unterbrechen am Morgen des 27. Juni 1905 die Matrosen der
«Potemkin» ihre Decksarbeiten. Hier liegt mehr
in der Luft als nur der Gestank fauligen Fleisches.
Afanasi Matuschenkow, Fjodor Mischkin und
Josef Dymtschenkow waren die Männer, die sich
schon den ganzen Morgen darum bemüht hatten,
der Missstimmung in den unteren Decks, Plan und
Richtung zu geben. «Holt euch selbst Gewehre und
Munition», wurde geschrien, «Wir übernehmen das
Kommando über das Schiff!»
Niemals berechenbar und unwiederholbar einmalig sorgen ALP für eine Symbiose aus wohligem
Schauer, Gänsehaut und eiskalten Bigbeatguitarnoiseambientsound. Im Halbdunkel der Filmprojektion arbeiten Bass, Gitarren, Orgel, Schlagzeug,
Laptopsound und intuitives Djing daran, dem Filmklassiker ein zeitgemäßes Klangbett zu verleihen.
Panzerkreuzer Potemkin; UDSSR 1925; Regie:
Sergej Eisenstein; Buch: Nina AgadshanowaSchutko, Sergej Eisenstein; Kamera: Eduard Tissè;
Darsteller: Alexander Antonow, Wladimir Barski,
Gigori Alexandrow, Wladimir Bakaski, Mitglieder
des Proletkult-Ensambles, Mannschaften der Roten
Flotte
DO 15. NOV / 20.00h
// Clubraum
Lesung: KURT WYSS
Workfare: Alles zur neuen strafenden Sozialpolitik
In den vergangenen zwanzig Jahren wurde in vielen
Ländern eine neue Sozialpolitik unter Stichworten wie Work Not Welfare, Arbeit statt Sozialhilfe, Arbeitsintegration, 1-Euro-Jobs, Integration
statt Rente oder Ähnlichem durchgesetzt. Diese
Sozialpolitik lässt sich mit einem aus dem Amerikanischen stammenden Neologismus kurz als
Workfare bezeichnen. Die vorgelegte Untersuchung unternimmt den im deutschsprachigen Raum
bislang einzigartigen Versuch, Workfare in einer
umfassenden Weise zu erklären. Die Untersuchung
bleibt nicht bei den Oberflächenphänomenen
stehen, sondern bestimmt die Sache gleichsam von
den Wurzeln her. Kurt Wyss, Jahrgang 1959, Soziologe, arbeitet seit 1994 mit eigenem Büro für Sozialforschung in Zürich schwergewichtig zu Fragen der
Sozialpolitik und der sozialpolitischen Entwicklung. Er führt Forschungsarbeiten im Auftrag
öffentlicher Institutionen durch, hält Vorträge und
Vorlesungen an Universitäten und Fachhochschulen und publiziert regelmässig. Sein Hauptinteresse
gilt der soziologischen Kritik von gesellschaftlichen
Prozessen der Entmündigung respektive Sozialdisziplinierung von Menschen.

Documentos relacionados