Publisher 2/00

Transcrição

Publisher 2/00
Photoshop künstlerisch verwenden
Schablonen-Graffiti
ohne Farbdämpfe
Einfache Formen ausgesprühter
Schablonen stachen noch vor zehn,
fünfzehn Jahren in allen grösseren
Städten ins Auge: simplifiziert plakativ daherkommende Konterfeis von
Persönlichkeiten wie Che Guevara,
Angela Davis, Mao Tse Dong und anderen. Auch wenn diese visuell Aufmerksamkeit erheischende Unterstreichung politischer Forderungen
zuzeiten bereits eher historisch anmutet, ist die dahinter stehende Umsetzungstechnik unter Grafiker/innen schon lange allgemein bekannt
– wenn auch hier eher mit der Airbrushpistole als der billigen Farblackdose aus Woolworth gearbeitet
wird.
Die
Grundtechnik
des
Arbeitens mit Schablonen ist ebenso
simpel wie wirkungsvoll: Man reduziere das gewünschte Motiv auf einen wirkungsvollen SchwarzweissScherenschnitt, schneide die schwarzen Bereiche weg und benutze die
weissen als Abdeckschablone, um
den freien Teil mit Farbe auszusprühen. Nach demselben Schema lässt
sich die Geschichte – ebenso wirkungsvoll – auch digital vollziehen.
Adobes Photoshop bietet genügend künstlerisches Potenzial, um
die Kreativen dazu zu verleiten, Pinsel, Lappen, Airbrushpistole
und ähnliche Utensilien gegen Tastatur, Grafiktablett und digitale
Tools einzutauschen. Eine spezielle künstlerische Technik sind
Schablonen-Graffiti: traditionell ausgeschnittene Schablonen, die
dann mit Airbrush oder Sprühlack ausgesprüht werden.
Die Grundtechnik
Wollen Sie in Photoshop etwa das
Porträtfoto von Tante Erna, Ihres
Kindes, Ihres Liebsten, einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens oder
von wem auch immer «wie ausgesprüht» aussehen lassen, gehen Sie
im Prinzip vor wie beim analogen
Vorbild: Sie erstellen aus dem Bildmotiv eine Schablone und sprühen
diese mit dem Airbrushwerkzeug
Zum Aussprühen benötigen Sie nun
einen entsprechenden Untergrund.
Um das Originalbild weiter in Reserve zu behalten, empfiehlt sich das
Anlegen einer neuen Ebene und das
Füllen der Fläche mit einer geeigneten «Grundierung» – der Einfachheit
halber Weiss. Nun müssen Sie nur
noch die erstellte Schablone als Auswahl laden und die freigegebenen
Bereiche mit dem Airbrushwerkzeug
aussprühen. Empfehlen tut sich eine
breite, weiche Werkzeugspitze (bei
Bedarf anzulegen in der Werkzeugoptionen-Palette mit «Neue Werkzeugspitze») und eine mehr oder
weniger stark reduzierte Deckkrafteinstellung. Die digitale Auswahlschablone deckt – ebenso wie ihr
Vorbild – helle Bereiche und gibt
dem Airbrush nur die dunklen Teile
zur Bearbeitung frei.
Echte Sprühfarbe und original ausgeschnittene Schablonen:
Graffiti-Schablonen-Mural (Frankfurt am Main 89)
aus. Vorteil der digitalen Arbeitsweise ist, dass die physischen Beschränkungen sowie der Erstellungsaufwand real ausgeschnittener Schablonen keine Rolle spielen: Schwarzweiss-Scherenschnitte lassen sich
über Photoshops Schwellenwertfunktionen
leicht
ermitteln,
Limits in Bezug auf kompliziertere
Gebilde (vor allem «frei schwebende» Teile, die bei analogen Schablonen immer ein Problem darstellen)
spielen keine Rolle (lassen sich aus
«Echtheitsgründen» jedoch ebenfalls nachvollziehen, wie weiter unten dargestellt wird) und Blasen an
den Fingern vom genauen Ausschneiden der Pappe werden Sie sich
auch nicht holen. Die Grundmethode: Als erstes kopieren Sie eine aussagekräftige Graustufenversion Ihres (Farb- oder Schwarzweiss-)Bildes
in einen Alpha-Kanal. Von dieser ermitteln Sie über Bild / Einstellen /
Schwellenwert die gewünschte
Schwarzweiss-Scherenschnitt-Versi-
on. Fällt diese zufriedenstellend aus,
kehren Sie den Kanal um (Schwarz
wird Weiss; Befehl / I). Das wars; die
Schablone ist nun einsatzbereit.
Schablonenerstellung:
Eine Graustufenversion des Bildes
wird in einen Alpha-Kanal kopiert.
Anschliessend:
Schwellenwerteinstellung.
Was Auftrag, Farbe, Betonung durch
Konturenführung oder auch künstlerisch motiviertes Weglassen angeht,
haben Sie hier freie Wahl. Der Auftrag gestaltet sich – ebenso wie beim
Vorbild aus dem realen Leben – recht
intuitiv, was heisst: Sicherheit und
Routine beim Umgang mit dieser
Kombination stellen sich schnell ein;
was auch heisst: Diese Technik
schreit geradezu nach Verfeinerung...!
PUBLISHER
24
Zwei oder mehr Farben
Da Schablonen aussprühen in Photoshop so wunderbar einfach funktioniert, sind Gedanken über den weiteren Ausbau dieser Technik nahe
liegend. Am naheliegendsten ist natürlich die Option, nicht nur mehrere Farben einzubeziehen, sondern
für diese Farben auch jeweils eigene
Schablonen zu erstellen.
Wie im Beispielbild zu sehen, bietet
die Kombination einer hellen Farbe
(etwa: Gelb) mit einer dunklen
(etwa: Dunkelblau oder Schwarz) einen erheblich grösseren Gestaltungsspielraum. Allerdings: Ein bisschen
konzeptionelles Denken ist beim
«Steigern»
der
Farbpotenziale
durchaus gefragt. Die zu erstellenden zwei Schablonen sollten einen
bildmotivtechnisch sinnvollen Bezug
zueinander ergeben. Sie benötigen
also einen recht abgerippt daherkommenden hellen Scherenschnitt,
der nur elementare Schatten
schwarz anzeigt sowie einen üppigvulminanten, der weite Teile der
Grauflächen in schwarze Schatten
versenkt; in «Photoshop» übersetzt:
einen hellen und einen dunklen
Schwellenwert.
Sie kopieren Ihre Grau-Version in
zwei Alpha-Kanäle und erstellen
zwei unterschiedliche Schwellenwerte, die Sie am Ende invertieren.
(«Umgekehrt denken» ist bei dieser
Technik recht grundlegend: Schwarz
soll schliesslich später als Auswahl
zum Aussprühen freigegeben werden, was heisst: Im Kanal muss
Schwarz als Weiss vorliegen. Optional können Sie Ihre Kanal-Scherenschnitte natürlich auch unverändert
lassen; Sie müssen dann beim Laden
nur immer die Auswahl umkehren...!)
Original-Bild
Photoshop künstlerisch verwenden
Negativ wie eine Repro-Maske: Um die dunklen Bereiche später aussprühen
zu können, sollte die Maske zuvor invertiert werden.
Mit der helleren Farbe grundieren
Sie nun per Airbrush wie gehabt Ihre
Arbeitsfläche – natürlich nachdem
Sie die dunklere (mehr zum Aussprühen freigebende) Scherenschnittversion als Auswahl geladen haben.
Weiss/Farbe-Konturierungen
erbringt der Farbauftrag überall da,
wo die Schablone (Auswahl) die hellen Lichterbereiche deckt. Da diese
erste Auftragsschicht – abgesehen
von der hellen Farbe – auch in sich
unproportional wirkt, tritt nun als
Korrektiv das Ausspühen der Tiefenbereiche mit dunkler Farbe und unter Zuhilfenahme der zweiten Schablone hinzu. Sofern nicht die Schablonen in sich künstlerisch «daneben
gegangen» sind (was eigentlich nur
durch einen motivtechnisch miss-
glückten Schwellenwert zustande
gebracht werden kann), erzielen Sie
bei Farbe Nummer zwei auch im Aussprüh-Modus «Normal» gute Ergebnisse. Optional lassen sich die beiden
Farben jedoch auch mischen. Bei reduzierter Deckkraft geschieht dies
auch im Auftragsmodus «Normal»;
reizvolle Variationen und Mischtöne
zwischen unterer und oberer Farbe
lassen sich durch Ändern des Auftragsmodus leicht erstellen.
Dritte Farbe? Kein Problem: Sie verfahren wie zuvor beschrieben; erstellen nur eine weitere Schablone. Die
Scherenschnitt-Varianten bei drei
Farbaufträgen sind: dunkler Schwellenwert (helle Farbe), mittlerer
Schwellenwert (mittlere Farbe) und
Mehr Effekte und Variationsmöglichkeiten lassen sich durch das Verwenden
von zwei oder drei Farben und Schablonen erzielen.
Ein paar
Handgriffe und
schon Wirkung:
ausgesprühte
Schablone. Farbe
und Plastizität
wurden durch
Hinzunahme
von Schwarz
als zweiter
Sprühfarbe
erhöht.
abgespeckt heller Schwellenwert
(dunkle Farbe/Schwarz). Das Jonglieren mit Schablonen und Farben wird
Ihnen mit etwas Übung jedoch bald
vertraut sein.
die Methode selbst: Ist etwa Ihr Originalmotiv ein Farbbild, haben Sie
natürlich auch die Option, dessen
Farbkonstellation künstlerisch in Ihr
digitales Mural einzubeziehen.
Graffito «de luxe»:
Ebenen und Farbauszüge
Diejenigen unter Ihnen, die viel mit
Photoshops-Ebenenmodi arbeiten,
werden vermutlich bereits beim Lesen des letzten Absatzes auf die Idee
gekommen sein: Das Variieren des
Farbauftrags per Ebenen-Modus
(Werkzeugoptionen-Palette) bringt
zwar interessante Effekte, ist aber im
Prinzip eine endgültige Angelegenheit – es sei denn, die History-Palette (und der nötige RAM) zum «Rückgängig-Machen» ist fest in Ihre Arbeitsroutinen integriert. Spielraum
zum Ausprobieren erhalten Sie,
wenn Sie die einzelnen Farbaufträge
von vornherein separat als Ebenen
anlegen und Modus und Deckkraft
am Schluss künstlerisch frei einstellen. Vorteil: Nach-bearbeiten lassen
sich so auch Farben, Kontraste, Helligkeit sowie bei Bedarf der Auftrag
selbst. Eine weitere Variante betrifft
Kanalpalette als Tummelfeld
für kreative Ideen
Ansatzpunkt sind hier die Kanäle, die
zur Erstellung der Scherenschnittschablonen herangezogen werden.
Liegt Ihr Bild etwa im RGB-Modus
vor, können Sie die unterschiedlichen Helligkeitsgewichtungen des
Rot-, Grün- und Blau-Kanals gleich
beim Erstellen der Schwellenwerte
ausnutzen: indem Sie nicht eine neutrale Graustufen-Bildversion als Arbeitsvorlage nehmen, sondern die
vorhandene
Informationsvielfalt
kreativ nutzen: die gesichtshelle RotKanal-Version etwa für die pastellenen Flächen, den insgesamt dunklen
Blau-Kanal für eine unorthodoxe
Mittelfarben-Variante und den in der
Regel kontrast- und konturenreichsten Grün-Kanal für die SchwarzSchablone. Das Beispiel nur als Anregung – der Fantasie sind hier keine
Grenzen gesetzt...!
PUBLISHER
25
Photoshop künstlerisch verwenden
echte Leben – und zwar in den beiden Bereichen Schablone und Farbauftrag. Was Erstere angeht, ist ein
einfacher Schwellenwert viel zu fein,
um als Airbrush-Schablone durchzugehen. Doch unsere digitalen AlphaKanal-Schablonen lassen sich mit ein
paar Handgriffen durchaus auf «lebensecht» trimmen. Um ein naturgemäss gröberes «Handmade»-Outfit
herauszuarbeiten, ist eine Glättung
des Graustufenkanals vor der Schwellenwert-Generierung unerlässlich.
Also: leichte Dosis Gaussscher Weichzeichner (2 bis 5) oder alternativ
Helligkeit interpolieren/Selektiver
Weichzeichner. Um die Konturen und
Linien stärker zu betonen, kommt
der Unscharf-maskieren-Filter zum
Zuge. Wichtig ist hier die Radius-Einstellung: eine lokale Hervorhebung
der Zeichnung funktioniert mit bildmotiv-abhängigen Werten zwischen
5 und 12 (ausgehend von 300 ppi
Druckauflösung; bei 72 ppi-Bildern
den Radius entsprechend geringer
dosieren...!) und relativ hoher Stärke.
Einen verblüffend «ausgeschnittenen» Touch schliesslich vermittelt der
Kunstfilter Farbpapier-Collage mit
einem Abstaktions-Level im unterenmittleren Bereich sowie mittlerer Genauigkeit. Das Ende vom Lied: Zum
Schluss wird bei diesen optimierten
Versionen wie gehabt der Schwellenwert ermittelt.
Ein Augenmerk gilt es schliesslich
noch auf den Farbauftrag als solchen
zu legen. Für wirklich realistische Effekte (insbesondere aus dem Genre
«Strassen-Graffiti») ist Photoshops
Airbrushwerkzeug nämlich viel zu
fein! Behelfen können Sie sich zwar
auch mit dem Auftragsmodus
«Sprenkeln»; dieser gerät im Gegenzug aber zu grob und pixelig. Eine
Behelfsmethode ist hier das Filtern
der Airbrush-Auftrags-Ebene mit
dem Filter Störungen hinzufügen
mit leichter Dosis und monochromer
Filterungsmethode.
Optimiertes Graffity: Neben dem Arbeiten mit
optimierten Schablonen wurde auch der Farbauftrag
selbst durch das Hinzufügen von Störungen realitätsliker gestaltet. Bei unserem Motiv bot sich ein
zusätzlich leichtes Aussprühen des Hintergrundbereichs an (Maske).
Graffito «lebensecht»:
Feinarbeit
Abgesehen von der hier nur skizzierten Bearbeitungsvielfalt, die digitale Programme nun einmal ermögli-
chen, ist jedoch noch was anderes zu
berücksichtigen: Um tatsächlich wie
ausgesprühte Schablonen daherzukommen, benötigen Arbeiten dieser
Couleur noch etwas Angleichung ans
Erforderlich ist hier allerdings zwingend das Anlegen von Auftrags-Ebenen bei mehreren Farben/Schablonen, da sich sonst die wiederholte
Störungs-Einrechnung unschön potenzieren würde. Eine weitere Variationsmöglichkeit ist, die Konturenführung analoger Künstler/innen
den Schablonenkonturen entlang
nachzuvollziehen. FarbeindrucksVerstärkungen erzielen Sie hier mit
dem
Unscharf-maskieren-Filter,
wenn Sie einen hohen Radius (20, 50
oder mehr) mit moderater Stärke
kombinieren.
Abschliessend anzumerken wäre zu
diesem «Photoshop-Graffiti-Kurzkurs» allenfalls noch, dass im Rahmen dieses Artikels natürlich nur die
elementaren Grundtechniken skizziert werden konnten. Da Kunsttechniken dieser Art jedoch an sich sehr
«freestylig» sind, werden Sie beim
Ausprobieren der Methoden ohne
Mühe auf sinnvoll kreative Erweiterungsmöglichkeiten stossen. Die
Kunst ist frei!
Günter Schuler
Günter Schulers im SmartBookVerlag erschienenes «KreativKochbuch» kann über unseren Shop
bestellt werden (siehe Seite 45).
Der Autor
Günter Schuler, Jahrgang 55, beschäftigt sich als freier Grafiker,
Autor und Photoshop-Crack seit
Jahren mit kreativer Bildbearbeitung. Neben dem Kreativ-Kochbuch ist von ihm ebenfalls bei
SmartBooks erschienen: «Photoshop Filter Factory» – ein Kompendium zur userdefinierten Filter Factory-Plug-In-Erstellung in
Photoshop.
Optimierte Schablone (noch positiv): Bewusst vergröbert und daher echter kommt diese Schablone daher. Per
Scharfzeichnung wurden die Linien betont; den Scherenschnitt-Look besorgte der Kunstfilter Farbpapier-Collage.
PUBLISHER
26
Schulers Plug-in-Edition «Creative Filters» mit 69 Photoshop-Modulen kann über Arktis Software
(www.arktis.de) bezogen werden.