strauss-perspektiven - Staatskapelle Dresden

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strauss-perspektiven - Staatskapelle Dresden
10. SINFONIEKONZERT 2008|2009
STRAUSS-PERSPEKTIVEN
K LASSI K P ICK N ICKT
W W W . G L A E S E R N E M A N U FA K T U R . D E
O P E N A I R KO N Z E R T M I T D E R S Ä C H S I S C H E N S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N
2 0 . J U N I 2 0 0 9 | D I E G L Ä S E R N E M A N U FA K T U R
B EG I N N: 21.00 U H R | E I N L ASS: 19.30 U H R
E I N T R I T T: 5 , – € | K I N D E R U N D J U G E N D L I C H E B I S 1 6 J A H R E E R H A LT E N
F R E I E N E I N T R I T T. K A R T E N I M VO R V E R K A U F I N D E R S C H I N K E LWA C H E
( T E L E F O N 0 3 5 1 - 4 9 1 1 - 7 0 5 ) O D E R I N D E R G L Ä S E R N E N M A N U FA K T U R .
SPIELZEIT 2008|2009
FA B I O L U I S I G E N E R A L M U S I K D I R E K T O R
S I R C O L I N D AV I S E H R E N D I R I G E N T
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10. SINFONIEKONZERT
SAMSTAG, 18. APRIL 2009, 20 UHR
SONNTAG, 19. APRIL 2009, 11 UHR
SONNTAG, 19. APRIL 2009, 20 UHR
SEMPEROPER
Fabio Luisi
DIRIGENT
Anne Schwanewilms S O P R A N (18. und 19. April, 20 Uhr)
K L A V I E R (19. April, 11 Uhr)
Emanuel Ax
STRAUSSPERSPEKTIVEN
Auch in der Saison 2008/2009 setzt Fabio Luisi seine umfangreiche Auseinandersetzung mit den Werken des «Kapell-Komponisten» Richard Strauss fort –
in diesem Falle mit dem epochalen «Zarathustra», dem virtuosen «Till», der
Burleske und den «Vier letzten Liedern». Hinzu kommt die vierte Sinfonie von
Johannes Brahms, deren Uraufführung der junge Strauss 1885 in Meiningen
miterlebte, wo er persönliche Ratschläge vom Komponisten erhielt ...
PROGRAMM
18. UND 19. APRIL, 20 UHR
RICHARD STRAUSS (1864-1949 )
«Till Eulenspiegels lustige Streiche» op. 28
Nach alter Schelmenweise – in Rondoform – für großes Orchester
«Vier letzte Lieder» für hohe Singstimme und Orchester AV 150
1. Frühling
2. September
3. Beim Schlafengehen
4. Im Abendrot
PA U S E
«Also sprach Zarathustra» op. 30
Tondichtung (frei nach Friedrich Nietzsche) für großes Orchester
Sehr breit – Von den Hinterweltlern – Von der großen Sehnsucht –
Von den Freuden- und Leidenschaften – Das Grablied – Von der Wissenschaft –
Der Genesende – Tanzlied – Das Nachtwandlerlied
19. APRIL, 11 UHR
RICHARD STRAUSS (1864-1949 )
«Till Eulenspiegels lustige Streiche» op. 28
Nach alter Schelmenweise – in Rondoform – für großes Orchester
Burleske für Klavier und Orchester d-Moll AV 85
(in einem Satz)
PA U S E
JOHANNES BRAHMS (1833-1897)
Kostenlose Konzerteinführungen jeweils 45 Minuten vor Beginn
im Kellerrestaurant der Semperoper
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Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98
1. Allegro non troppo
2. Andante moderato
3. Allegretto giocoso
4. Allegro energico e passionato
3
FA B I O L U I S I
GENERALMUSIKDIREKTOR
2007/2008 Generalmusikdirektor der
Sächsischen Staatsoper Dresden und damit auch Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Geboren in Genua, studierte er bei Aldo Ciccolini in Paris (Klavier) und bei Milan Horvat in Graz (Dirigieren). Nach einem
ersten Festengagement am Grazer Theater debütierte er ab 1987 in rascher
Folge an den Staatsopern in Berlin, München und Wien, denen er seither als
Dirigent zahlreicher Premieren und Wiederaufnahmen eng verbunden ist.
Von 1995 bis 2000 war Luisi Chefdirigent des Niederösterreichischen Tonkünstlerorchesters Wien, weitere Chefpositionen folgten beim Orchestre
de la Suisse Romande in Genf (1997-2002) und beim MDR Sinfonieorchester
Leipzig (1999-2007). Seit 2005 ist er neben seiner Dresdner Position auch
Chefdirigent der Wiener Symphoniker. Fabio Luisi gastiert regelmäßig bei
den weltweit führenden Orchestern, Festivals und Opernhäusern. Eine
besonders intensive Zusammenarbeit verbindet ihn seit 2005 mit der Metropolitan Opera New York. Mit der Sächsischen Staatskapelle arbeitete
Luisi erstmals 2002 bei den Salzburger Festspielen zusammen. Seit seinem
Amtsantritt in Dresden dirigierte er das Orchester auf erfolgreichen Tourneen durch Europa und die USA, außerdem auf einem umjubelten Gesamtgastspiel der Sächsischen Staatsoper Dresden 2007 in Japan. Neben dem
zentralen Opernrepertoire (Wagner, Verdi, Puccini, Strauss) widmet er sich
im Konzertbereich besonders der Sinfonik von Mahler und Strauss. Außerdem setzt er mit den Werken des «Capell-Compositeurs» Akzente, dessen
alljährliche Ernennung auf seine Initiative zurückgeht. Für Sony BMG spielt
er mit der Staatskapelle einen neuen Zyklus sämtlicher Orchester werke von
Richard Strauss ein. Fabio Luisi ist Träger des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst. 2006 wurde er mit dem Orden «Cavaliere
Ufficiale» der italienischen Republik ausgezeichnet.
FA BI O LU I S I I S T S E IT DE R SA I S O N
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DER JUNGE STR AUS S
(UM 1890)
DEM LEBEN
EINE NASE DREHEN ...
ZU RICHARD STRAUSS’ «TILL EULENSPIEGEL»
bei den Verrückten: die Klarinetten
vollführen wahnsinnige Sturzflüge, die Trompeten sind immer verstopft und die Hörner, ihrem ständigen Niesreiz zuvorkommend,
beeilen sich, ihnen artig ‹Gesundheit› zuzurufen. Eine große Trommel scheint mit ihrem Bum-Bum den Auftritt von Clowns zu unterstreichen. Man möchte lauthals auflachen oder um Hilfe schreien,
und man wundert sich, dass am Ende alles an seinem gewohnten
Platz ist ... Man fände nichts Besonderes dabei, wenn die Kontrabässe auf ihren Bögen bliesen, die Posaunen ihre Schalltrichter mit
irgendwelchen Werkzeugen strichen und der Dirigent auf den Knien
einer Platzanweiserin säße.» So schrieb Claude Debussy über eine
Aufführung von Richard Strauss’ «Till Eulenspiegel». Ist das nun ein
hintersinniges Lob oder aber ein hintersinniger Verriss? Debussy
bleibt süffisant und legt sich ungern fest, doch hat sich der Kollege
und Kritiker bestimmt nicht gelangweilt, und die kecken Tonkaskaden inspirierten ihn zu turbulenten Sprachgirlanden. Auch wenn Debussy in Strauss’ Kompositionen eher den «Artisten» als den «Musiker» hört und seine plastischen Tondichtungen als «Bilderbücher»
rügt – er lässt sich doch einfangen von «Till Eulenspiegels» Charme
und Frechheit. Dieser Held zeigt Flagge, und er rührt durch Witz.
«Till Eulenspiegels lustige Streiche», entstanden nach dem vitalen «Don Juan» und kurz vor dem recht deutsch-romantisch-nebulös wabernden «Also sprach Zarathustra», funktioniert bis heute als
Einstiegsdroge in die klassische Musik. Wer mag, kann Ton für Ton
verfolgen, wie Till, der «Schalksnarr», die Welt an der Nase herumführt. Und wem die Geschichte zu sehr «gemalte Musik» ist, der
wird trotzdem am artistischen Spieltrieb des Komponisten Freude
haben und der virtuosen Instrumentation des Werkes die Anerkennung nicht versagen.
Für Richard Strauss war «Till Eulenspiegel» mehr als ein Possenreißer, er sah in ihm geradezu einen Revolutionär, einen «Weltverächter, der die Menschen missachtet, weil er sie im Grunde liebt»,
«EINE STUNDE NEUE MUSIK
RICHARD STRAUSS * 11. JUNI 1864 IN MÜNCHEN † 8. SEPTEMBER 1949 IN GARMISCH-PARTENKIRCHEN
«TILL EULENSPIEGELS LUSTIGE STREICHE» OP. 28
NACH ALTER SCHELMENWEISE – IN RONDOFORM – FÜR GROSSES ORCHESTER
ENTSTANDEN 1894/ 95 IN MÜNCHEN ; ABSCHLUSS DER PARTITUR AM 6. MAI 1895
URAUFGEFÜHRT AM 5. NOVEMBER IM KÖLNER GÜR ZENICH ( GÜR ZENICH-ORCHESTER, DIRIGENT: FR ANZ WÜLLNER )
GEWIDMET «MEINEM LIEBEN FREUNDE DR. ARTHUR SEIDL»
BESETZUNG PICCOLOFLÖTE, 3 FLÖTEN, 3 OBOEN, ENGLISCHHORN, 3 KL ARINE T TEN, BASSKL ARINE T TE, 3 FAGOT TE,
KONTR AFAGOT T, 4 HÖRNER, 3 TROMPE TEN, 3 POSAUNEN, TUBA, PAUKEN, SCHL AGZEUG ( 3 SPIELER ), STREICHER
VERLAG C. F. PE TERS, FR ANKFURT/ MAIN
DAUER CA. 17 MINUTEN
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einen Narren, der «die
Philister verhöhnt, der
Freiheit frönt, gegen
Dummheit wettert» –
kurz: Mit «Till Eulenspiegel» schuf Richard Strauss
ein Selbstporträt mit
Narrenkappe. Wetterte
er doch gern gegen das
Leben in den «Philisternestern» Weimar und
München, wo er arbeitete. Allerdings gehört
die fröhliche, manchmal
auch etwas peinliche
Selbstdarstellung zu den
Charakterzügen des Komponisten. In der «Sinfonia
domestica» wird er wenig
TILL EULENSPIEGEL BACK T MEERspäter
sein Familienleben
K AT Z E N . N A C H E I N E M A Q U A R E L L V O N
musikalisch auswalzen
EUGEN KLIMSCH (1895)
und in der Oper «Intermezzo» den eigenen Ehekrach auf die Bühne stellen. Treuherzig gab
Strauss zu Protokoll: «Ich sehe nicht ein, warum ich keine Sinfonie
auf mich selbst machen sollte. Ich finde mich ebenso interessant
wie Napoleon oder Alexander.» Alexander der Große, versteht sich.
Ursprünglich wollte Richard Strauss aus «Till Eulenspiegel» eine
Oper machen, aber dann wählte er doch die knackig-kurze Form der
einsätzigen Tondichtung, in der das Orchester den Erlebnissen des
Schalks eine Bühne bietet. Zwei Eulenspiegel-Motive gibt Strauss
seinem Helden mit: Ein kauziges Hornthema läutet Tills «Auftritte»
ein, wie Till passt es in kein Schema und auch nicht so recht in den
vorgegebenen Takt. Es nimmt Anlauf, schlägt Purzelbäume und
springt – vom Horn an Oboen und Klarinetten weitergereicht –
schließlich durchs ganze Orchester. Mit dem zweiten Motiv, einer
wunderbar kratzbürstigen Klarinettenfigur, wird der Narr kichern,
seine Streiche kommentieren und der Welt die Stirn bieten. Der
Komponist schickt seinen Helden auf die Reise durch die Partitur
und lässt ihn lustige Streiche spielen. Till Eulenspiegel stürzt einen
Wochenmarkt ins Chaos, hält bigotten Pfaffen eine salbungsvolle
Moralpredigt, liest den Professoren die Leviten und verliebt sich
sogar. Die Romanze beginnt stilvoll mit einem Triangelschlag und
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führt über schluchzende Geigen und Celli zu einer Ohrfeige, die die
Pauke verabreicht und mit der die Angebetete Tills Schmachten
abrupt beendet. Auch für einen Schelm hört der Spaß auf, wenn er
abblitzt – Tills Wutanfall animiert das gesamte Orchester zu eindrucksvollen Turbulenzen. Später landet Till Eulenspiegel erst vor
Gericht und dann sehr schnell am Galgen. Überaus plastisch wird
er aufgeknüpft und bis zum letzten Röcheln instrumental in Szene
gesetzt. Im Epilog lugt er aber wieder hervor und darf von dannen
hüpfen, denn solch ein Narr ist unsterblich!
Die detaillierte Geschichte Till Eulenspiegels, die sich hinter der
musikalischen Komik verbirgt, hat Strauss nach einigem Zaudern
erst ein Jahr später in die Partitur eingetragen. Als überzeugter
«Tondichter» und Wagnerianer, der auf die gänzlich andere Ästhetik eines Brahms schon mal verbal heftig eindrosch, wollte Strauss
bei den Kritikern aus dem konservativen Lager wohl nicht noch
zusätzlich Öl ins Feuer gießen, indem er seine außermusikalischen
Intentionen allzu detailliert beschrieb. «Wollen wir diesmal die
Leutchen selber die Nüsse aufknacken lassen, die der Schalk ihnen
verabreicht», so ließ er bei der Uraufführung verlauten – die Leute
verstanden Tills Streiche auch ohne Erklärung.
Nach anfänglichem Zögern, seinem «Till» eine programmatische
Erläuterung beizugeben, trug Strauss 1896 in das Partiturexemplar
des Musikpublizisten Wilhelm Mauke folgende Bemerkungen ein:
«Es war einmal ein Schalksnarr – Namens Till Eulenspiegel –
Der war ein arger Kobold – Auf zu neuen Streichen – Wartet nur, ihr
Duckmäuser – Hop! zu Pferde mitten durch die Marktweiber –
Mit Siebenmeilenstiefeln kneift er aus – In einem Mauseloch versteckt
– Als Pastor verkleidet trieft er von Salbung und Moral – Doch aus
der großen Zehe guckt der Schelm hervor – Faßt ihn ob des Spottes
mit der Religion doch ein heimliches Grauen vor dem Ende – Till als
Kavalier zarte Höflichkeiten mit schönen Mädchen tauschend –
Er wirbt um sie – Ein feiner Korb ist auch ein Korb – Schwört Rache zu
nehmen an der ganzen Menschheit – Philistermotiv – Nachdem er
den Philistern ein paar ungeheuerliche Thesen aufgestellt, überläßt er
die Verblüfften ihrem Schicksal – Grimasse von weitem –
Till’s Gassenhauer – Das Gericht – Er pfeift gleichgültig vor sich hin
– Hinauf auf die Leiter! Da baumelt er, die Luft geht ihm aus, eine
letzte Zuckung. Till’s Sterbliches hat geendet.»
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DER DIRIGENT FRANZ WÜLLNER (1832-1902)
Als Leiter der Kölner Gürzenich-Konzerte dirigierte
er u.a. die Uraufführungen von «Till Eulenspiegel»
(1895) und «Don Quixote» (1898). Von 1877 bis 1884
war er Kapellmeister an der Dresdner Hofoper, wo
er sich aber gegenüber dem aufstrebenden Ernst
(von) Schuch nicht durchsetzen konnte. Immerhin
aber leitete er 1882 mit der Bläserserenade op. 7 im
Rahmen des Tonkünstler-Vereins die erste StraussUraufführung in Dresden. Als Dirigent ist Wüllner
auch durch die Münchner Uraufführungen von
Wagners «Rheingold» (1869) und «Walküre» (1870)
FABIO LUISI UND DIE
STAATSKAPELLE DRESDEN
BEI SONY CLASSICAL
in die Geschichte eingegangen.
STRAUSS
Don Juan & Aus Italien
«Till Eulenspiegel» brachte seinem Schöpfer Ruhm und Erfolg ein,
tausend Mark zahlte der Verleger für das Manuskript, fünfhundert
weniger, als Strauss gefordert hatte. Für die nächste Partitur, «Also
sprach Zarathustra», musste man dem geschäftstüchtigen Komponisten allerdings schon das Dreifache hinblättern.
Richard Strauss neigte zu einer kraftmeierisch-bodenständigen
Sprache – gelegentlich auch in seiner Musik – und genoss es ebenso
sehr, Mittelpunkt einer fidelen Skatrunde wie eines Konzertes zu
sein. Als Dirigent war er ein unerwartet nüchternes Temperament.
Selbst «Till Eulenspiegel» dirigierte er ökonomisch, mit sparsamen
Bewegungen. Aus dem Handgelenk. Mehr braucht es ja auch nicht,
wenn der Schalk höchstselbst durch das Orchester flitzt.
Fabio Luisis hervorragende StraussNeueinspielung mit der Staatskapelle
Dresden: die sinfonische Fantasie
in G-Dur op. 16 Aus Italien und die
Tondichtung Don Juan.
Die CD erscheint in limitierter
Erstauflage als Hybrid Super Audio-CD.
Erhältlich ab 20.03.09
88697435542
88697084712
88697141972
88697299642
Ein Heldenleben
und Metamorphosen
Eine Alpensinfonie
und Vier letzte Lieder
Bruckner Sinfonie Nr. 9
„Luisi auf dem richtigen Weg.
Das Heldenleben klingt frisch,
draufgängerisch und gleichzeitig
detailgenau, vibrierend vor lauterer
Emphase.“ Fono Forum
Mit der Sopranistin Anja Harteros.
„Eine der vorzüglichsten
Einspielungen...hier stimmt alles.“
Fono Forum
ULRIKE TIMM
Am 20. Dezember 1895 dirigierte Ernst von Schuch die Dresdner
Erstaufführung von «Till Eulenspiegel» am Pult der damaligen Hofkapelle. Seitdem stand das Werk unzählige Male auf den Programmen
der heutigen Staatskapelle – in Dresden und auf Tournee. 1915 etwa
leitete Richard Strauss das Werk in einem Gastkonzert in Berlin (bei
dem auch die «Alpensinfonie» uraufgeführt wurde); 1973 erklang es
unter Herbert Blomstedt im Rahmen der ersten Japan-Tournee der
Staatskapelle. Die bislang letzte «Till»-Aufführung der Staatskapelle
liegt allerdings bereits einige Jahre zurück: Am 24. April 1991 dirigierte
Bernard Haitink das Werk zuletzt im Rahmen einer Europa-Tournee
in Barcelona!
Mit Bruckners Sinfonie Nr. 9
knüpft Fabio Luisi an die lange
Bruckner-Tradition der Dresdner
Staatskapelle an.
ECHO Klassik 2008
www.sonyclassical.de
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STR AUS S IN SEINEN LETZ TEN LEBENS JAHREN
ABSCHIED
UND VERKLÄRUNG
ZU RICHARD STRAUSS’ «VIER LETZTEN LIEDERN»
von Richard Strauss setzen in zweifacher
Hinsicht einen Schlusspunkt: Sie markieren nicht nur das Ende eines
produktiven, erfüllten Komponistenlebens, sondern auch das einer
ganzen musikalischen Epoche. Als Richard Strauss zu komponieren begann, waren Richard Wagner und Johannes Brahms die Leitgestirne des
deutschen Musiklebens. Am Ende seines Lebens gab es die musikalische
Welt, in die Strauss hineingewachsen war und deren Tradition er fortgeführt hatte, nicht mehr. Nicht allein, dass die Musiksprache der Romantik
von der jungen Komponistengeneration als unzeitgemäß und überholt
empfunden wurde, sie galt, nachdem sie von den Machthabern des
nationalsozialistischen Regimes missbraucht worden war, als «politisch
unkorrekt». Die junge Musikavantgarde wollte den totalen Bruch mit der
musikalischen Vergangenheit und ganz neue Wege gehen. Sie orientierte
sich an den Komponisten, die während des Dritten Reichs verfemt waren,
insbesondere an Arnold Schönberg und Anton Webern. Zwölftontechnik
und serielle Kompositionsweisen waren unverbraucht und unbelastet
und schienen daher zukunftsträchtig ebenso wie elektronisch generierte
Klänge oder der Gebrauch und die Verfremdung von Alltagsgeräuschen.
Am 5. Oktober 1948 stellte Pierre Schaeffer, der Begründer der so genannten «musique concrète», sein «Concert de bruits» (Konzert der Geräusche) vor. Zwei Wochen zuvor hatte Richard Strauss das letzte seiner
«Vier letzten Lieder» vollendet.
Der damals 84-jährige Strauss komponierte diese Lieder in einer für
ihn sehr schwierigen Zeit. Seit Oktober 1945 lebte er mit seiner Frau
Pauline in der Schweiz, um in Deutschland den Unannehmlichkeiten aus
dem Weg zu gehen, die seine Einstufung als Nazi-Kollaborateur durch die
amerikanische Kriegskommission mit sich gebracht hätten. Bis zu seiner
Entnazifizierung im Juni 1948 waren seine Tantiemen eingefroren. Er versuchte, von der Schweiz aus Aufführungen seiner Werke zu initiieren und
den Kontakt zu Konzertveranstaltern und Verlegern wiederaufzunehmen. Sohn Franz, der ihn mit seiner Gattin Alice in Montreux besuchte,
erinnerte sich: «Ich habe gesehen, wie er sich quält, und habe ihm zuge-
D I E «V I E R LE T Z T E N LI E D E R»
«VIER LETZTE LIEDER» FÜR HOHE SINGSTIMME UND ORCHESTER AV 150
ENTSTANDEN Z WISCHEN MAI UND SEPTEMBER 1948 IN MONTREUX UND PONTRESINA
URAUFGEFÜHRT POSTHUM AM 22. MAI 1950 IN DER LONDONER ROYAL ALBERT HALL
( SOPR AN : KIRSTEN FL AGSTAD, PHILHARMONIA ORCHESTR A, DIRIGENT: WILHELM FURT WÄNGLER )
GEWIDMET 1. DR. WILLI SCHUH UND GAT TIN, 2. HERRN UND FR AU SEERY ( MARIA JERITZ A ),
3. HERRN UND FR AU DR. ADOLF JÖHR, 4. DR. ERNST ROTH
BESETZUNG HOHE SINGSTIMME
PICCOLOFLÖTE, 3 FLÖTEN ( 3. AUCH PICCOLO ), 2 OBOEN, ENGLISCHHORN, 2 KL ARINE T TEN, BASSKL ARINE T TE,
3 FAGOT TE, KONTR AFAGOT T, 4 HÖRNER, 3 TROMPE TEN, 3 POSAUNEN, TUBA, PAUKEN, HARFE, CELESTA, STREICHER
VERLAG BOOSE Y & HAWKES – BOTE & BOCK, BERLIN
DAUER CA. 20 MINUTEN
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redet: Papa, lass’ das Briefeschreiben und das Grübeln, schreib’ lieber ein
paar schöne Lieder. Er hat nicht geantwortet. Beim nächsten Besuch nach
ein paar Monaten kam er in unser Zimmer, legte Partituren auf den Tisch
und sagte zu Alice: ‹Da sind die Lieder, die dein Mann bestellt hat.›»
Als erstes Lied dieser Gruppe entstand «Im Abendrot». Von diesem
Gedicht Joseph von Eichendorffs fühlte sich der Komponist besonders
angerührt. Es handelt von einem Paar, das nach langer Wanderung
innehält und sich still und einsam der Abendstimmung hingibt – «wandermüde» zwar, aber dennoch empfänglich für die Schönheiten der
sie umgebenden Natur. Strauss mag es wohl als Metapher für seinen
eigenen Lebensweg und den seiner Frau Pauline empfunden haben. Die
drei anderen Gedichte «Frühling», «Beim Schlafengehen» und «September», die Strauss in der angeführten Reihenfolge zwischen Juli 1948
und September 1948 fertigstellte, stammen von Hermann Hesse, dem
Literaturnobelpreisträger von 1946. Der Titel «Vier letzte Lieder» sowie
die heute allgemein übliche Reihenfolge «Frühling», «September», «Beim
Schlafengehen» und «Im Abendrot» geht übrigens nicht auf den Komponisten, sondern auf den Leiter des Verlages Boosey & Hawkes, Ernst Roth,
zurück, der die Drucklegung betreute.
Abgesehen von «Frühling», in dem die lang ersehnte schöne Jahreszeit zur seligen Gegenwart wird, handeln die Lieder vom Abschied.
Abschied vom Tag, vom Sommer, vom Leben. Ein wenig Trauer schwingt
in ihnen mit, Resignation – und Einverständnis. Strauss gelang es meisterlich, die Stimmung der Verse in seiner Musik einzufangen. Die ideale
Verbindung von Wort und Ton zu finden, war ihm in seinen Opern und
Liedern das wichtigste künstlerische Anliegen: ein Lebensthema.
Auch diese «letzten Lieder» machen deutlich, wie eng Strauss Text
und Musik miteinander verknüpft. Der Beginn von «Frühling» pendelt
dunkel zwischen c- und as-Moll, die Erstarrung in «dämmrigen Grüften»
schildernd, in denen dem Mensch nur der Traum bleibt – von Bäumen,
blauen Lüften, frühlingshaften Düften und Vogelsang. Beim Erwähnen
jener Traumbilder bricht die erstarrte Harmonik auf, der Hörer wird in
neue entrückte klangliche Sphären geführt, bis er schließlich die beglückende Gegenwart des Frühlings in A-Dur auskosten kann. «September»
ist geprägt von herabgleitenden Melodielinien der Gesangsstimme
und abwärts führenden, triolischen Dreiklangsbrechungen der Violinen
als Symbol für das Herabtropfen des Regens und das Fallen der Blätter.
Hinzu kommt ein Wechseltonmotiv, das sich von Anfang an durch den
gesamten Instrumentalsatz zieht und das dann in variierter Form in der
Singstimme das Erschauern des Sommers, das Absterben des Gartentraums beschreibt. Im folgenden «Beim Schlafengehen» stehen sich zwei
Hauptgedanken gegenüber: die Müdigkeit am Ende des Tages und der
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DIE INTERPRETEN
DER POSTHUMEN URAUFFÜHRUNG : WILHELM
F U R T WÄ N G L E R U N D
K I R S T E N F L A G S TA D ( 1 9 5 0 )
Aufbruch, das freie Emporschwingen der Seele im Schlummer. Ein kurzes,
dem Gähnen nachempfundenes Motiv, das aus den Tiefen der Celli und
Kontrabässe aufsteigt, leitet das Lied ein. Weitgehend syllabisch schildert die Vokalstimme zunächst, wie sich das müde «Ich» auf die Nacht
vorbereitet, um dann nach einem innigen Solo der Violine in weitausgreifenden, teilweise melismatischen Gesangsbögen den freien Flügelschlag
der Seele nachzuvollziehen.
Die Orchestereinleitung zu «Im Abendrot» mit den unisono geführten Holzbläsern und hohen Streichern lässt eine Atmosphäre von Weite,
Ruhe und ländlicher Einsamkeit entstehen. Die müden Wandernden
stehen am Gipfel, zurückblickend und Ausschau haltend zugleich. Auch
hier zeichnet die Musik die Dichtung genau nach. Beispiele dafür sind
die aufstrebende Melodieführung der Gesangsstimme und die beiden
trillernden Flöten, die ein aufsteigendes Lerchenpaar charakterisieren,
sowie die harmonische Eindunklung bei den Worten «das wir uns nicht
verirren». Die am Ende des Gedichtes von Eichendorff aufgestellte Frage «Ist dies etwa der Tod?» beantwortet Strauss im Nachspiel mit dem
Zitat des Verklärungsmotivs aus seiner Sinfonischen Dichtung «Tod und
Verklärung». Alle vier Lieder zeichnen sich durch eine raffinierte Instrumentierung, klanglichen Wohllaut und melodische Gelöstheit aus. Bei
aller Schönheit strahlen sie aber auch eine gewisse Distanziertheit und
Abgeklärtheit aus, so als wären sie nicht mehr von dieser Welt. Gerade
das erregte die Kritik vieler Zeitgenossen: Wie konnte man nach den
Schrecken des Zweiten Weltkriegs und nach Auschwitz nur solch weltfremde Töne finden?! Richard Strauss hat die Uraufführung seiner Lieder
im Mai 1950 mit Kirsten Flagstad als Solistin und die Reaktionen darauf
nicht mehr erlebt. Er starb am 8. September 1949.
Übrigens: Nach den «Vier letzten Liedern» vollendete der Komponist
noch ein weiteres Werk, das Klavierlied «Malven». Das Originalmanuskript schenkte er der Sängerin Maria Jeritza, die es bis zu ihrem Tod 1982
in ihrem Safe aufbewahrte.
NICOLE RESTLE
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RICHARD STRAUSS
«VIER LETZTE LIEDER»
FRÜHLING
HERMANN HESSE
BEIM SCHLAFENGEHEN
HERMANN HESSE
In dämmrigen Grüften
träumte ich lang
von deinen Bäumen und blauen Lüften,
von deinem Duft und Vogelsang.
Nun der Tag mich müd gemacht,
soll mein sehnliches Verlangen
freundlich die gestirnte Nacht
wie ein müdes Kind empfangen.
Nun liegst du erschlossen
in Gleiß und Zier,
von Licht übergossen
wie ein Wunder vor mir.
Hände laßt von allem Tun,
Stirn vergiß du alles Denken,
alle meine Sinne nun
wollen sich in Schlummer senken.
Du kennst mich wieder,
du lockst mich zart,
es zittert durch all meine Glieder
deine selige Gegenwart!
Und die Seele unbewacht
will in freien Flügen schweben,
um im Zauberkreis der Nacht
tief und tausendfach zu leben.
SEPTEMBER
HERMANN HESSE
IM ABENDROT
JOSEPH VON EICHENDORFF
Der Garten trauert,
kühl sinkt in die Blumen der Regen.
Der Sommer schauert
still seinem Ende entgegen.
Wir sind durch Not und Freude
gegangen Hand in Hand;
vom Wandern ruhen wir [beide]*
nun überm stillen Land.
Golden tropft Blatt um Blatt
nieder vom hohen Akazienbaum.
Sommer lächelt erstaunt und matt
in den sterbenden Gartentraum.
Rings sich die Täler neigen,
es dunkelt schon die Luft,
zwei Lerchen nur noch steigen
nachträumend in den Duft.
Lange noch bei den Rosen
bleibt er stehn, sehnt sich nach Ruh.
Langsam tut er die [großen]*
müdgewordnen Augen zu.
Tritt her und laß sie schwirren,
bald ist es Schlafenszeit,
daß wir uns nicht verirren
in dieser Einsamkeit.
O weiter, stiller Friede!
So tief im Abendrot –
wie sind wir wandermüde –
ist dies etwa der Tod?
* von Strauss nicht vertont
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ANNE
SCHWANEWILMS
SOPRAN
zählt zu den führenden Strauss-Interpretinnen
unserer Zeit. Mit ihrem Rollendebüt als Arabella an der Oper Frankfurt
erweiterte sie im Januar 2009 ihr Repertoire um eine weitere Strauss-Partie. Zentrale Stationen ihrer Karriere waren ihr Debüt bei den Bayreuther
Festspielen als Gutrune im Jahr 1996 sowie ihr umjubelter Auftritt beim
Glyndebourne Festival im Jahr 2002 als Euryanthe in Webers gleichnamiger
Oper unter der Leitung von Sir Simon Rattle. Für Aufsehen sorgte auch ihre
Mitwirkung bei den Wiederentdeckungen der Schreker-Opern «Der Ferne
Klang» (Berlin, 2001) und «Die Gezeichneten» (Salzburg, 2005). In Opern von
Richard Strauss sang sie u.a. 2006 die Marschallin an der Lyric Opera in Chicago, die Chrysothemis an der Mailänder Scala sowie die Ariadne am Royal
Opera House Covent Garden in London. Anne Schwanewilms ist auch ein
gern gesehener Gast auf den internationalen Konzertpodien und musiziert
regelmäßig mit Orchestern wie den Berliner Philharmonikern, dem Concertgebouworkest Amsterdam und dem London Symphony Orchestra unter
Dirigenten wie Daniel Barenboim, Sir Colin Davis, Christoph von Dohnányi,
Riccardo Chailly, Seiji Ozawa und James Levine. Dem Dresdner Publikum
ist sie als Danae in Strauss’ «Die Liebe der Danae» sowie als Marschallin
bestens bekannt. Letztgenannte Partie sang sie unter Fabio Luisi auch im
Rahmen der «Rosenkavalier»-Vorstellungen im Herbst 2007 in Tokio, deren
Mitschnitt vor kurzem auf DVD erschienen ist.
ANNE SCHWANEWILMS
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DER DIR IGENT UND PIANI S T HAN S VON BÜLOW (1830 -1894)
ER LEHNTE DIE AUFFÜHRUNG DER BURLESKE AB
«EIN WIDERHAARIGES STÜCK»
ZU RICHARD STRAUSS’ BURLESKE
ist Richard Strauss als Opernkomponist und genialischer Beherrscher des Orchesters gespeichert, der die Sinfonische Dichtung nach Franz Liszt auf ein handwerklich nie wieder erreichtes Niveau hob. Vergessen war dagegen
lange das Frühwerk des Sohnes eines Hornisten und einer Erbin der
Münchner Bierbrauerdynastie Pschorr. Strauss selber hat sich in
reifen Jahren vom epigonalen Brahms-Ton seiner frühen Sonaten
für Violine oder Violoncello distanziert; doch nur wenige Interpreten überprüften diese Selbstkritik und stellten beispielsweise die
Klaviersonate des 17-jährigen zur Diskussion – wie der kanadische
Exzentriker Glenn Gould. Aus der Perspektive des späteren «Modernisten» Strauss, der den Zeitgeist am Ende des 19. Jahrhunderts
in harmonisch und klangtechnisch höchst innovativen, einsätzigen
Orchesterpoemen einfing, wirkten die Sonaten, Serenaden und
Sinfonien der Frühzeit wie Ladenhüter einer überwundenen Musikepoche – auch wenn sie handwerklich viele zeitgenössische Werke
übertrafen.
Zwei Ausnahmen bestätigen die Regel: Während das erste Hornkonzert Es-Dur (1882) von den stets repertoirehungrigen Hornisten
dankbar aufgenommen wurde, haben sich die Pianisten nur hin und
wieder an die Burleske d-Moll erinnert. Ein Stück, das im Klaviersatz
so kernig und Brahmsisch-saftig komponiert ist, dass man sich
fragt, warum Strauss das Klavier später kaum mehr als Soloinstrument einsetzte (erst der einarmige Pianist Paul Wittgenstein verstand in den 1920er Jahren diese Zurückhaltung durch gutes Honorar zu brechen und Strauss zur Komposition des «Parergon» zur
«Sinfonia domestica» – uraufgeführt 1925 in der Semperoper – und
des «Panathenäenzugs» zu bewegen). Die Erklärung liegt wohl darin, dass Strauss das Solokonzert generell als altmodische Gattung
ansah, die zu sehr an das Zeitalter des eitlen Virtuosenzirkus gebun-
I M KO LLE K T I V E N B E W U S S T S E I N
BURLESKE D-MOLL FÜR KLAVIER UND ORCHESTER AV 85
ENTSTANDEN 1885/ 86 IN MEININGEN UND MÜNCHEN
URAUFGEFÜHRT AM 21. JUNI 1890 IN EISENACH
( SOLIST: EUGEN D’ALBERT, ORCHESTER DER ADMV-TONKÜNSTLER-VEREINIGUNG, DIRIGENT: RICHARD STR AUSS )
GEWIDMET DEM PIANISTEN EUGEN D’ALBERT
BESETZUNG SOLOKL AVIER
PICCOLOFLÖTE, 2 FLÖTEN, 2 OBOEN, 2 KL ARINE T TEN, 2 FAGOT TE, 4 HÖRNER, 2 TROMPE TEN, PAUKEN, STREICHER
VERLAG C. F. PE TERS, FR ANKFURT/ MAIN
DAUER CA. 20 MINUTEN
18
19
STR AUS S MIT ALE X ANDER RIT TER
D A S H O F T H E AT E R I N M E I N I N G E N
GEMÄLDE VON LEOPOLD GR AF VON K ALCKREUTH
(UM 1890)
den war, als dass sie noch musikalisches Neuerungspotenzial geboten
hätte. Spätestens die Begeisterung für die Opern Richard Wagners, die
in der Meininger Zeit durch den Geiger und Komponisten Alexander
Ritter entflammt wurde, inspirierte Strauss dann zu neuen Lösungen
außerhalb des traditionellen Formenkanons.
So kommen für die Komposition der Burleske, die Strauss im November 1885 begann und 1886 abschloss, eigentlich nur zwei Motive in
Frage: zum einen der stets drängende Wunsch, einem größeren Publikum bekannt zu werden; zum anderen das Bedürfnis, seinem engagierten Förderer, dem Pianisten und Dirigenten Hans von Bülow, eine
Hommage in die Finger zu schreiben. Bülow war es, der den 21-jährigen
Strauss als Interimsdirigenten an die Hofkapelle in Meiningen geholt
hatte – eines Orchesters, das Bülow durch rigorose Probendisziplin
zu einer der ersten Kapellen im Reich herangezogen hatte. Allerdings
zeigte sich der Mentor über das «Klavierkonzert», wie Strauss die Burleske nannte, keineswegs hoch erfreut. «Jeden Takt eine andere Handstellung», polterte Bülow, «glauben Sie, ich setzte mich vier Wochen
hin, um so ein widerhaariges Stück zu studieren?» Dagegen erkannte
Bülows Kollege Eugen d’Albert den Wert des Konzertstücks, nahm
einige Retuschen am «widerhaarigen» Klaviersatz vor und spielte die
20
Burleske erstmals am 21. Juni 1890 beim Tonkünstlerfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins in Eisenach – im selben Konzert, in
dem sich mit der Uraufführung der Tondichtung «Tod und Verklärung»
schon ein ganz anderer Strauss zu Wort meldete.
Auch wenn die Brahms-Anklänge in der motivischen Dichte der
Burleske unüberhörbar sind, entfernt sich Strauss schon deutlich von
seinem skeptisch verehrten Vorbild. Dass er nicht die mehrsätzige
Konzertform wählte, sondern einen monolithischen Sonatensatz mit
einigen fantastischen Elementen, erinnert eher an die Klavierkonzerte
von Liszt oder die einsätzige Urform des Schumannschen Konzerts.
Wie Liszt und Schumann zielte Strauss dabei auf höchste Dichte und
Einheitlichkeit des motivischen Materials, das er aus einer Keimzelle
gewinnt: dem spektakulären Motto der vier Pauken am Beginn der
Burleske. Es verschafft dem Stück einen impulsiven, düster drängenden Grundcharakter, gibt den Hauptrhythmus der meisten Themen an
und bestimmt in seinem nahezu symmetrischen Aufbau etliche Motive des Werks. Die Solointroduktion des Klaviers führt ein weiteres,
diesmal punktiertes, Kernmotiv ein, das den ersten Themenkomplex
beherrscht. Ein ruhiger, schwärmerisch ausgreifender Seitensatz des
Klaviers basiert wiederum auf dem Paukenmotto, während der ab-
21
DER PIANIST UND KOMPONIST
EUGEN D’ALBERT (1832-1902)
Er spielte die Uraufführung der Burleske,
nachdem Hans von Bülow das Werk
abgelehnt hatte. Der Meisterschüler Franz
Liszts, dem Strauss die Burleske daraufhin
widmete, konzertierte auch mehrfach mit
der Dresdner Hofkapelle. D’Albert galt zudem
als einer der führenden Opernkomponisten
der Zeit und schuf mit «Tiefland» (1903) eine
deutsche Variante des italienischen Verismo.
Allein drei seiner zahlreichen Opern wurden in
Dresden uraufgeführt.
schließende Scherzando-Teil (a tempo, vivo) den eher schwerfälligen
Paukenrhythmus zu perlender Leichtigkeit verwandelt. Im Wechsel
von längeren Solo- und Tutti-Abschnitten bewegt sich die Durchführung durch entfernte harmonische Regionen, kehrt aber mit dem
Soloeinsatz der (stets gleich gestimmten) Pauken zu d-Moll und damit
zur Reprise zurück. Was nach deren Ende als zweite Durchführung
beginnt, entwickelt sich allmählich zu einer ausgedehnten Solokadenz
mit Orchesterbegleitung, die noch einmal die ganze Ausdrucksspanne
der Burleske bis hin zur kitschigen Walzerseligkeit beschwört. Eine
fiebrige Stretta (molto vivo) kündigt einen donnernden, Applaus heischenden Schluss an. Doch wie in den meisten seiner Sinfonischen
Dichtungen enttäuscht Strauss konventionelle Erwartungen und lässt
das Werk nach dem letzten Dialog zwischen Klavier und Pauken im
Nichts verklingen ...
MICHAEL STRUCK-SCHLOEN
Am 24. Oktober 1924 leitete Richard Strauss die Dresdner Erstaufführung
der Burleske am Pult der Sächsischen Staatskapelle in der Semperoper
(Solistin: Wera Schapira). Das Konzert fand im Rahmen der Dresdner
Feierlichkeiten zum 60. Geburtstag des Komponisten statt.
22
EMANUEL AX
KLAVIER
vereint Emanuel Ax in seinem Spiel makellose Virtuosität mit einem außergewöhnlichen Sinn für Poesie. Groß ist die
Spannbreite seiner musikalischen Aktivitäten. So ist er ein regelmäßiger Gast
bei den führenden Sinfonieorchestern weltweit, gibt Recitals in den bedeutendsten Konzertsälen, spielt Kammerkonzerte und setzt sich für zeitgenössische
Komponisten ein, indem er ihre Werke spielt und auch in Auftrag gibt. Geboren
im polnischen Lvov, verbrachte Emanuel Ax seine Kindheit im kanadischen Winnipeg, später studierte er bei Mieczylaw Munz an der Juilliard School of Music in
New York und gewann schon bald den Young Concert Artists Award. Grundstein
für seine einzigartige Karriere war 1974 der Erste Preis beim Arthur-RubinsteinWettbewerb in Tel Aviv. Seit 1987 verbindet ihn ein Exklusiv-Vertrag mit Sony
Classical. Für seine Einspielung von Haydn-Klaviersonaten wurde Ax mit einem
Grammy Award ausgezeichnet. Zu den Höhepunkten der vergangenen Jahre
zählen eine Reihe von Konzerten unter dem Titel «Perspectives» an der New
Yorker Carnegie Hall (mit einem Fokus auf der Musik von Claude Debussy) sowie
in der Saison 2005/2006 seine Residenz bei den Berliner Philharmonikern mit
Konzerten unter der Leitung von Sir Simon Rattle in Berlin und New York. Mit der
Sächsischen Staatskapelle Dresden musizierte Emanuel Ax zuletzt im April 2005
in Dresden und auf einer anschließenden USA-Tournee unter der Leitung von
Myung-Whun Chung.
WIE KAUM EIN ANDERER PIANIST
23
S O N N E N A U F G A N G A U S S TA N L E Y K U B R I C K S
« 2 0 0 1 – A S P A C E O D Y S S E Y» ( 1 9 6 8 )
«SINFONISCHER
OPTIMISMUS IN
FIN-DE-SIÈCLE-FORM»
ZU RICHARD STRAUSS’ «ALSO SPRACH ZARATHUSTRA»
gefolgt von einer aufsteigenden Trompetenfanfare, plötzlich hereinfahrende Orchesterakkorde,
ein stampfendes Paukensolo. Zweimalige Wiederholung des Ganzen,
zum Abschluss eine strahlende Kadenz mit gewaltigem Schlussakkord,
der im vollen Register der Orgel nachklingt ... Wer kennt ihn nicht, den
Beginn von Richard Strauss’ «Also sprach Zarathustra»? Schon bei der
Uraufführung der Tondichtung nach Friedrich Nietzsche, die der Komponist im November 1927 in Frankfurt am Main dirigierte, machten diese Takte großen Eindruck. Und seit Stanley Kubrick sie 1968 in seinem
Science-Fiction-Klassiker «2001 – A Space Odyssey» verwendete (woran
die TV-Werbung dankbar anknüpfte), gehören diese zwei Minuten zum
wohl Bekanntesten der klassischen Musik überhaupt.
Was veranlasste Strauss, Nietzsches «Zarathustra» zu vertonen,
dieses «Buch für Alle und Keinen» – wie es im Untertitel heißt – mit
seiner Lehre vom «Übermenschen», das nach seinem Erscheinen 1883
auf heftigen Widerspruch und leidenschaftliche Begeisterung stieß?
Neben der lebensbejahenden Kraft, der Opposition gegen gründerzeitliche Zwänge, dürfte Strauss vor allem die Musikalität der Sprache
fasziniert haben, die schon Nietzsche selber von der Dichtung als einer
«Sinfonie» sprechen ließ. So war Strauss auch nicht der Einzige, der den
«Zarathustra» um die Jahrhundertwende in Musik setzte: Oscar Fried,
Frederic Delius und Siegmund von Hausegger etwa schrieben ebenfalls Kompositionen über diesen Stoff. Und Gustav Mahler machte ihn
– zeitgleich mit Strauss – zur Grundlage seiner dritten Sinfonie.
Strauss komponierte seine Tondichtung «frei nach Friedrich Nietzsche», das Programmatische des Werkes wollte er keineswegs überbewertet sehen. Entsprechend «frei» ging er mit der Vorlage um, übernahm nur eine kleine Auswahl an Kapitelüberschriften, deren Reihenfolge er zudem abänderte. Der gesamten Partitur stellte er das erste
Kapitel des Buches, «Zarathustras Vorrede», als Einführung voran – und
verzichtete dafür auf den ursprünglich geplanten, ironischen Unter titel
«Sinfonischer Optimismus in Fin-de-Siècle-Form, dem 20. Jahrhundert
gewidmet.»
E I N V I B R I E R E N D E R O R G E L P U N K T,
«ALSO SPRACH ZARATHUSTRA» OP. 30
TONDICHTUNG ( FREI NACH FRIEDRICH NIE TZSCHE ) FÜR GROSSES ORCHESTER
ENTSTANDEN Z WISCHEN 1894 UND 1896 IN MARQUARTSTEIN ( OBERBAYERN ) UND MÜNCHEN
URAUFGEFÜHRT AM 27. NOVEMBER 1896 IN FR ANKFURT/ MAIN
( FR ANKFURTER MUSEUMS-ORCHESTER, DIRIGENT: RICHARD STR AUSS )
BESETZUNG PICCOLOFLÖTE, 3 FLÖTEN ( 3. AUCH 2. PICCOLO ), 3 OBOEN, ENGLISCHHORN, ES-KL ARINE T TE,
2 KL ARINE T TEN, BASSKL ARINE T TE, 3 FAGOT TE, KONTR AFAGOT T, 6 HÖRNER, 4 TROMPE TEN, 3 POSAUNEN,
2 BASSTUBEN, PAUKEN, SCHL AGZEUG ( 3 SPIELER ), 2 HARFEN, ORGEL, STREICHER
VERLAG C. F. PE TERS, FR ANKFURT/ MAIN
DAUER CA. 35 MINUTEN
24
25
«Zarathustras Vorrede»:
Als Zarathustra dreissig Jahr alt war, verliess er seine Heimat und den See seiner
Heimat und ging in das Gebirge. Hier genoss er seines Geistes und seiner Einsamkeit
und wurde dessen zehn Jahre nicht müde. Endlich aber verwandelte sich sein Herz
– und eines Morgens stand er mit der Morgenröte auf, trat vor die Sonne hin und
sprach also:
«Du grosses Gestirn! Was wäre Dein Glück, wenn Du nicht die hättest, welchen Du
leuchtest! Zehn Jahre kamst Du hier herauf zu meiner Höhle: Du würdest Deines
Lichtes und dieses Weges satt geworden sein, ohne mich, meinen Adler und meiner
Schlange. Aber wir warteten Deiner an jedem Morgen, nahmen Dir Deinen Überfluss
ab und segneten Dich dafür. Siehe! Ich bin meiner Weisheit überdrüssig, wie die Biene,
die des Honigs zu viel gesammelt hat, ich bedarf der Hände, die sich ausstrecken.
Ich möchte verschenken und austheilen, bis die Weisen unter den Menschen wieder
einmal ihrer Thorheit und die Armen wieder einmal ihres Reichthums froh geworden
sind. Dazu muss ich in die Tiefe steigen, wie Du des Abends thust, wenn Du hinter das
Meer gehst und noch der Unterwelt Licht bringst Du überreiches Gestirn! Dazu muss,
gleich Dir, untergehen, wie die Menschen es nennen, zu denen ich hinab will. So segne
mich denn, Du ruhiges Auge, das ohne Neid auch ein allzu grosses Glück sehen kann.
Segne den Becher, welcher überfliessen will, dass das Wasser golden aus ihm fliesse
und überallhin den Abglanz Deiner Wonne trage. Siehe! Dieser Becher will wieder leer
werden, und Zarathustra will wieder Mensch werden.»
– Also begann Zarathustra’s Untergang.
Die vorgeschriebene Orchesterbesetzung erreicht bereits annähernd die
Größe des späteren «Salome»-Orchesters (mit sechs Hörnern und vier Trompeten); Strauss verlangt außerdem eine zweite Tuba sowie – zum ersten
Mal in seinem Schaffen – eine Orgel. Formal entfernte er sich von der in den
früheren Tondichtungen verbindlichen Sonatensatzform, gab diese aber
nicht völlig auf: Exposition, Durchführung und Reprise sind in Umrissen
noch erkennbar, allerdings überlagert vom Prinzip einer ständigen Themenmetamorphose. Von zentraler Bedeutung ist schließlich die symbolische
Konfrontation zweier Tonarten: C-Dur als Tonart der Natur, H-Dur bzw.
h-Moll als die des Menschen; innerhalb der Tonleiter so nah und harmonisch
so fern – diese Dialektik durchzieht das ganze Werk.
Den Anfang macht die Natur: In der berühmten Einleitung wird quasi der
feierliche Schöpfungsakt beschrieben; die Trompeten stellen das Natur-Motiv vor (mit der Naturtonfolge c-g-c). Raunend schließen die «Hinterweltler»,
genauer: die an Gott Glaubenden, an. Der Atheist Strauss lässt die Hörner
das «Credo» der römischen Liturgie anstimmen, Streicher und Orgel steigern
sich zu einem sonoren Glaubensgesang. In «Von der großen Sehnsucht»
wird dieser Sphäre ein Sehnsuchtsthema gegenüber gestellt, eine aufbrau-
26
DER PHILO S OPH FR IEDR ICH NIE T Z S CHE (1844 -190 0 )
UND DER TITEL SEINER 1883 ER SCHIENENEN SCHRIF T
sende Geste der Bässe drängt zu den ekstatischen «Freuden und
Leidenschaften». Auf deren Höhepunkt erklingt in den Posaunen ein
Motiv des Überdrusses: «Siehe! Ich bin meiner Weisheit überdrüssig,
wie die Biene, die des Honigs zu viel gesammelt hat» (Nietzsche). Mit
dem schaurig-schönen «Grablied» beginnt die Durchführung. Über
eine zwölftönige, spröde Fuge («Von der Wissenschaft») schwingt
sich die Musik zu erotischer Geigensinnlichkeit auf (Wagners «Venusberg» lässt grüßen); in mächtigem C-Dur gebietet die Natur Einhalt:
«Der Genesende». Die Holzbläser geraten in einen «Taumel des
Lachens», bevor mit dem «Tanzlied» die Reprise erreicht wird. Hier
steigert sich das Orchester, unterstützt von früheren Motiven, zu
einer walzerseligen «Apotheose der Natur» (Gottfried Eberle), die im
«Nachtwandlerlied» schließlich verklärt wird. Am Schluss stehen sich
ätherische H-Dur-Akkorde und das gezupfte Natur-Motiv gegenüber:
keine Synthese, vielmehr ein großes Fragezeichen.
TOBIAS NIEDERSCHLAG
Am 2. April 1897 dirigierte Ernst von Schuch die Dresdner Erstaufführung des «Zarathustra», von der er dem Komponisten berichtete: «Der
Erfolg war bedeutend!» Das Werk stand seitdem viele Male auf den
Kapellprogrammen und war eines der bevorzugten Tourneestücke des
ehemaligen Chefdirigenten Giuseppe Sinopoli.
27
D E R B E G I N N D E S V I E R T E N S AT Z E S
IN BRAHMS’ HANDSCHRIFT
ENDPUNKT
UND FORTSCHRITT
ZU JOHANNES BRAHMS’ VIERTER SINFONIE
B R A H M S KO M P O N I E R T E
JOHANNES BRAHMS * 7. MAI 1833 IN HAMBURG, † 3. APRIL 1897 IN WIEN
SINFONIE NR. 4 E-MOLL OP. 98
ENTSTANDEN IM SOMMER 1884 UND 1885 IN MÜR Z ZUSCHL AG ( STEIERMARK )
URAUFGEFÜHRT AM 25. OK TOBER 1885 IN MEININGEN
( HER ZOGLICHE HOFK APELLE, DIRIGENT: JOHANNES BR AHMS )
BESETZUNG 2 FLÖTEN, 2 OBOEN, 2 KL ARINE T TEN, 2 FAGOT TE, KONTR AFAGOT T, 4 HÖRNER, 2 TROMPE TEN,
3 POSAUNEN, PAUKEN, TRIANGEL, STREICHER
VERLAG BREITKOPF & HÄRTEL, WIESBADEN / LEIPZIG
DAUER CA. 45 MINUTEN
28
seine vierte Sinfonie 1884 und 1885 im österrei-
chischen Mürzzuschlag am Semmering, wo er in diesen Jahren die Sommermonate verbrachte. «Die Kirschen werden hier nicht süß», schrieb er
von dort an eine Freundin und spielte damit auf den herben Charakter des
Werkes an. Und so verstörte die Sinfonie denn auch viele seiner Freunde
und Bewunderer, denen er sie zunächst auf dem Klavier vorspielte. Clara
Schumann etwa reagierte völlig ratlos, und der Wiener Kritiker und spätere
Brahms-Biograf Max Kalbeck riet, das Werk – zumindest teilweise – zurückzuziehen. Elisabet von Herzogenberg, eine besonders enge und aufrichtige
Freundin, brachte die Eindrücke vermutlich auf den Punkt, als sie schrieb:
«Es ist mir, als wenn eben diese Schöpfung zu sehr auf das Auge des Mikroskopikers berechnet wäre, als wenn nicht für jeden einfachen Liebhaber die
Schönheiten alle offen da lägen, und als wäre es eine kleine Welt für die
Klugen und Wissenden ...»
Tatsächlich hatte sich Brahms in diesem Werk, mehr noch als in seinen
früheren Sinfonien, über die traditionellen Vorstellungen von Gestalt und
Gestus einer Sinfonie hinweggesetzt. Er führte hier das Kompositionsprinzip der «entwickelnden Variation» – die permanente motivisch-thematische Arbeit und die konstruktive Verklammerung der Sätze untereinander –
an die Grenze des im 19. Jahrhundert Möglichen; auch der Rückgriff auf
überlieferte Formmodelle, ein weiteres Merkmal seines Spätstils, ist in
diesem Werk auf einen letzten Höhepunkt geführt. Kurzum: Brahms zog
mit der vierten Sinfonie nicht nur ein Resümee seines eigenen sinfonischen
Schaffens (anschließend schrieb er nur noch Lieder und Kammermusik),
sondern der Sinfoniekomposition bis dato ganz allgemein. Dass ihm dabei,
neben aller Konstruktion und handwerklichen Souveränität, auch ein emotional äußerst tiefgründiges Werk gelang – dies mussten später auch die
Kritiker zugeben. So bekannte beispielsweise Brahms’ langjähriger musikalischer Chirurgenfreund Theodor Billroth, «daß das Werk als Ganzes mehr
bedeutet, als es nach dem ersten Anhören scheint».
Brahms hatte es den Hörern allerdings auch nicht leicht gemacht:
Bereits der Kopfsatz ist hochartifiziell gestaltet, lässt das variative Prinzip
deutlich erkennen. Nahezu beiläufig hebt die Sinfonie mit einer Folge von
29
BRAHMS MIT DEM DIRIGENTEN
HANS VON BÜLOW (1885)
Terzen und Sexten in den Violinen an – das Hauptthema, das sich, ungewöhnlich genug, aus umformbaren Themenpartikeln zusammensetzt.
Seine Terzspannung beherrscht die Konstruktion des ganzen Satzes, mehr
noch: sie ist quasi der thematische Kern der gesamten Sinfonie. Schon bei
der ersten Wiederholung wird das Thema rhythmisch verändert und auf
verschiedene Instrumente verteilt. Über einen markanten Unisono-Gedanken der Bläser, gefolgt von einer expansiven Cellomelodie, wird schließlich
der Seitensatz erreicht: eine schmeichelnde Melodie in Flöte und Horn,
die von Streichereinwürfen dezent begleitet wird. Angesichts der ständigen thematischen Entwicklung verliert die Durchführung ihre eigentliche
Bedeutung. «Durchführung» – das ist quasi der ganze Satz. Originell ist
schließlich auch der Eintritt der Reprise: Der erste Teil des Hauptthemas
wird hier zunächst extrem gedehnt, ein scheinbarer Ruhepunkt, bevor der
energische Fluss mit der zweiten Hälfte wiederkehrt.
Der langsame zweite Satz, Andante moderato, zeichnet sich durch seine
besonders fein disponierten Klangfarben aus; der charakteristische Wechsel von Streichern und Bläsern hat hier eine beinahe chorische Wirkung. Am
Anfang stellen die Bläser, zunächst im Unisono, später gestützt von einer
Pizzicato-Begleitung der Streicher, das punktiert schreitende Hauptthema
vor. Mit kirchentonalen Wendungen trägt es einen fremdartigen, archai-
30
schen Charakter. Einen Gegensatz dazu bildet das expressive zweite Thema,
ein innig fließender Streichergesang, der von zarten Gegenstimmen um-
spielt wird. Im Verlauf des Satzes kommt es immer wieder zu dramatischen
Steigerungen, Episoden aggressiver Erregtheit versuchen die elegische
Grundstimmung zu durchbrechen. Die Unruhe klingt auch dann noch nach,
wenn gegen Ende das Seitenthema in sattem Streicherklang, hymnisch
überhöht, noch einmal wiederkehrt.
An dritter Stelle steht ein Allegro giocoso, ein energischer, bisweilen
grotesker Scherzosatz (übrigens der einzige schnelle dritte Satz in Brahms’
gesamtem Sinfonieschaffen), der durch den Einsatz des Triangels eine
besondere Farbe erhält. Formal ist diese Musik durchaus sinfonisch ambitioniert, sie lässt Ansätze zu einem Sonatensatz erkennen. Einem sperrigen ersten Thema mit metrisch verschobenen Rhythmen und starren
Akkordblöcken steht ein heiter verspieltes Seitenthema in Streichern und
Holzbläsern gegenüber. Nur an wenigen Stellen wird der schwungvoll vorantreibende Charakter unterbrochen und in lyrischere Bahnen gelenkt,
etwa in der Mitte des Satzes, wo tempomäßig zurückgenommene Bläserphrasen rudimentär an ein Trio erinnern – bevor sich unvermittelt wieder
der stampfende Hauptteil Bahn bricht.
Gebändigt wird die Energie in der strengen Architektur des Finalsatzes,
dem monumentalen Höhepunkt der Sinfonie. Hier werden das permanente Variieren und der Rückgriff auf überlieferte Formmodelle auf die
Spitze getrieben. Brahms gestaltete den Satz als eine große Passacaglia
(die übrigens in seinen «Haydn-Variationen» bereits vorgeprägt ist): Über
einem gleich bleibenden Bassthema, das er – leicht chromatisiert – der
Kantate «Nach dir, Herr, verlanget mich» BWV 150 von Johann Sebastian
Der junge Richard Strauss, der 1885 als Kapellmeister in Meiningen die Uraufführung der vierten Sinfonie unter Brahms’ Leitung miterlebte, schwärmte anschließend in den höchsten Tönen: «Ein Riesenwerk, von eminentem
Schwung und Kraft, neu und originell ... Es ist schwer, alles das Herrliche, was
dieses Werk enthält, mit Worten zu definieren, man kann nur immer wieder
andächtig zuhören und bewundern.» Brahms besuchte bei seinem Aufenthalt
auch eine Aufführung von Strauss’ früher f-Moll-Sinfonie und gab dem jungen
Kollegen anschließend eine «beherzigenswerte Lehre: ‹Junger Mann, sehen
Sie sich genau die Schubertschen Tänze an und versuchen Sie sich in der Erfindung einfacher und achttaktiger Melodien.› Ich verdanke es hauptsächlich
Johannes Brahms, daß ich seitdem nicht mehr verschmäht habe, eine populäre Melodie ... auch wirklich in meine Arbeiten aufzunehmen.» Später distanzierte sich Strauss allerdings von dem frühen Vorbild und sprach nur noch vom
«ledernen Johannes».
31
Am 10. März 1886 dirigierte Johannes
Brahms die Dresdner Erstaufführung seiner
vierten Sinfonie in der Semperoper.
Im ersten Konzertteil war er zudem als
Solist seines zweiten Klavierkonzertes zu
erleben, das er bereits 1882 gemeinsam mit
der Dresdner Hofkapelle musiziert hatte
– im gleichen Jahr, in dem Richard Strauss
erstmals mit der Kapelle in Kontakt kam.
ASIEN-TOURNEE
UND WIEN-GASTSPIEL
Die Staatskapelle gastiert mit Fabio Luisi
in Wien, Japan, China und Südkorea
FABIO LUISI
ANNE SCHWANEWILMS
EMANUEL AX K L A V I E R
Bach entnahm, wird in nicht weniger als 30 Variationen die gesamte sinfonische Ausdruckspalette ausgereizt. In der Variationenfolge scheinen
unterschwellig außerdem die Umrisse eines Sonatensatzes durch, die für
eine klare Dreiteilung sorgen: Auf einen energischen Expositionsteil folgt,
eingeleitet durch ein melismatisches Flötensolo, eine ruhigere Durchführungsepisode, die in einem weihevollen Posaunenchoral gipfelt. Mit Vehemenz setzt schließlich die Reprise ein und führt den Satz in soghafter Steigerung zu einem dramatischen Stretta-Schluss – ein Ende von fatalistischer
Endgültigkeit, das zugleich eine Entwicklung abschließt, die bei Haydn und
Mozart ihren Ausgang genommen hatte.
Als «ganz eigenartig, ganz neu», erfüllt von «eherner Individualität»,
empfand Hans von Bülow die Sinfonie, der Brahms für die Uraufführung
am 25. Oktober 1885 seine Meininger Hofkapelle zur Verfügung stellte. Auf
einer anschließenden Konzerttournee durch Westdeutschland und Holland
stellte er – im Wechsel mit Brahms – das Werk einem breiteren Publikum
vor und verhalf ihm so zum triumphalen Durchbruch. Schon bald zeigte
die Musik auch zukunftsweisende Auswirkungen – etwa auf den jungen
Richard Strauss, der als zweiter Kapellmeister neben Bülow die Meininger
Uraufführung miterlebte und von Brahms wohlwollende Ratschläge erhielt.
Zumindest in seinen frühen Orchesterwerken ist davon noch einiges zu
spüren (wenn Strauss auch wenig später in das Lager der «Neudeutschen»
abwanderte). Längerfristiger und substanzieller wirkte die Sinfonie schließlich auf die Komponisten der Zweiten Wiener Schule und ihre Nachfolger:
Denn es war vor allem die – zunächst irritierende, hier aber in höchster
Konzentration verwirklichte – Technik der «entwickelnden Variation», die
Arnold Schönberg viele Jahre später (1933) von Brahms als «dem Fortschrittlichen» sprechen ließ.
TOBIAS NIEDERSCHLAG
32
ASIEN-TOURNEE
DIRIGENT
SOPRAN
GASTKONZERTE IN WIEN
20. April 2009 Wien, Musikverein (1)
21. April 2009 Wien, Musikverein (2)
1)
Richard Strauss
«Till Eulenspiegels lustige Streiche» op. 28
«Vier letzte Lieder»
«Also sprach Zarathustra» op. 30
2)
Richard Strauss
«Don Juan» op. 20
Burleske für Klavier und Orchester d-Moll
Johannes Brahms
Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98
22. April – 11. Mai 2009
25. April 2009 Kawasaki,
Muza Kawasaki Symphony Hall
26. April 2009 Osaka, Symphony Hall
27. April 2009 Nagoya, Aichi Arts Center
29. April 2009 Tokio, Suntory Hall
30. April 2009 Tokio, Bunka Kaikan
1. Mai 2009 Tokio, Suntory Hall
3. Mai 2009 Hong Kong, Cultural Centre
4. Mai 2009 Hong Kong, Cultural Centre
6. Mai 2009 Schanghai, Oriental Arts Center
7. Mai 2009 Peking,
National Centre for the Performing Arts
9. Mai 2009 Seoul,
Sejong Center for the Performing Arts
10. Mai 2009 Seoul,
Sejong Center for the Performing Arts
REPERTOIRE
Ludwig van Beethoven
Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll op. 37
Johannes Brahms
Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98
Richard Strauss
«Also sprach Zarathustra» op. 30
Burleske für Klavier und Orchester d-Moll
«Don Juan» op. 20
«Ein Heldenleben» op. 40 (mit Originalschluss)
«Eine Alpensinfonie» op. 64
«Till Eulenspiegels lustige Streiche» op. 28
33
10. SINFONIEKONZERT 2008|2009
ORCHESTERBESETZUNG
1. VIOLINEN
B R AT S C H E N
Roland Straumer 1. Konzertmeister
Michael Eckoldt
Thomas Meining
Michael Frenzel
Volker Dietzsch
Johanna Mittag
Birgit Jahn
Henrik Woll
Anja Krauß
Annika Thiel
Roland Knauth
Anselm Telle
Sae Shimabara
Franz Schubert
Caterina Frenzel*
Bettina Sartorius*
Michael Neuhaus Solo
Andreas Schreiber
Stephan Pätzold
Michael Schöne
Uwe Jahn
Ulrich Milatz
Ralf Dietze
Zsuzsanna Schmidt-Antal
Claudia Briesenick
Hans-Joachim Bläser*
Reinald Ross*
Christoph Starke*
2. VIOLINEN
Reinhard Krauß Konzertmeister
Frank Other
Annette Thiem
Günter Friedrich
Stephan Drechsel
Jens Metzner
Ulrike Scobel
Olaf-Torsten Spies
Alexander Ernst
Holger Grohs
Kay Mitzscherling
Martin Fraustadt
Stanko Madić
Johanna Fuchs
34
VIOLONCELLI
Peter Bruns Konzertmeister
Isang Enders Konzertmeister
Friedwart Christian Dittmann Solo
Martin Jungnickel
Linhardt Schneider
Andreas Priebst
Johann-Christoph Schulze
Jakob Andert
Anke Heyn
Matthias Schreiber*
KONTRABÄSSE
Andreas Wylezol Solo
Reiner Barchmann* Solo
Torsten Hoppe
Christian Rolle*
Fred Weiche
Reimond Püschel
Thomas Grosche
Johannes Nalepa
FLÖTEN
TROMPETEN
Eckart Haupt Solo
Rozália Szabó Solo
Bernhard Kury
Cordula Bräuer
Jens-Jörg Becker
Mathias Schmutzler Solo
Lukas Beno* Solo
Volker Stegmann
Sven Barnkoth
Gerd Graner
OBOEN
POSAUNEN
Bernd Schober Solo
Céline Moinet Solo
Sibylle Schreiber
Volker Hanemann
Michael Goldammer
Uwe Voigt Solo
Nicolas Naudot Solo
Jürgen Umbreit
Frank van Nooy
TUBA
KLARINETTEN
Hans-Werner Liemen Solo
Jens-Peter Erbe Solo
Wolfram Große Solo
Thomas Holzmann + Solo
Egbert Esterl
Jan Seifert
Uwe Fritzsching*
Bernhard Schmidt Solo
Thomas Käppler Solo
FA G O T T E
SCHLAGZEUG
Erik Reike Solo
Joachim Hans Solo
Hannes Schirlitz
Joachim Huschke
Andreas Börtitz
Frank Behsing
Dirk Reinhold
Stefan Seidl
HÖRNER
Erich Markwart Solo
Jochen Ubbelohde Solo
Robert Langbein Solo
Renate Rasch* Solo
Andreas Langosch
Harald Heim
Manfred Riedl
Julius Rönnebeck
Eberhard Kaiser
Klaus Gayer
PA U K E N
HARFEN
Vicky Müller Solo
Astrid von Brück Solo
ORGEL
Jobst Schneiderat
C E L E S TA
Rita Markwart*
* als Gast
+
Orchesterakademist
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VORSCHAU
KONZERT IN DER FRAUENKIRCHE III
SAMSTAG, 23. MAI 2009, 20 UHR
FRAUENKIRCHE
Reinhard Goebel D I R I G E N T
Simone Kermes S O P R A N
« P E R L’ O R C H E S T R A D I D R E S D A »
Johann Adolf Hasse
Sinfonia g-Moll
Antonio Vivaldi
Concerto A-Dur RV 585
Georg Philipp Telemann
Suitenkonzert F-Dur TWV 51:F4
Johann Joachim Quantz
«Exultate, o stellae beatae»
Johann Friedrich Fasch
Concerto D-Dur «La Caccia»
Im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele
IMPRESSUM
Sächsische Staatsoper Dresden
Intendant Prof. Gerd Uecker
Generalmusikdirektor Fabio Luisi
Spielzeit 2008|2009
Herausgeben von der Intendanz
© April 2009
REDAKTION
Tobias Niederschlag
M I TA R B E I T
Anne Neubert
G E S T A LT U N G U N D S AT Z
schech.net | www.schech.net
DRUCK
Union Druckerei Dresden GmbH
ANZEIGENVERTRIEB
Keck & Krellmann Werbeagentur GmbH
i.A. der Moderne Zeiten Medien GmbH
Telefon. (0351) 25 00 670
e-Mail: [email protected]
www.kulturwerbung-dresden.de
BILDER
Fabio Luisi: Matthias Creutziger; Sämtliche
Abbildungen zu Strauss: Richard-StraussInstitut, Garmisch-Partenkirchen; außer:
Szene aus «2001 – A Space Odyssey»: © Sony
Pictures Entertainment; Anne Schwanewilms:
Agenturfoto; Emanuel Ax: J. Henry Fair;
Abbildungen zu Brahms: Christine Jacobsen
(Hrsg.), Johannes Brahms. Leben und Werk,
Wiesbaden 1983; Programmzettel Dresden:
Archiv der Sächsischen Staatsoper Dresden
TEXTE
Ulrike Timm, «Dem Leben eine Nase drehen ...»:
aus Ulrike Timm, 50 Klassiker Orchestermusik,
Hildesheim 2004; Nicole Restle, «Abschied
und Verklärung»: aus den Programmheften
des Symphonieorchesters des Bayerischen
Rundfunks München (2006/2007); Michael
Struck-Schloen, «Ein widerhaariges Stück»:
Aus den Programmheften des WDR Sinfonieorchesters Köln (2004/2005); Tobias Niederschlag, «Sinfonischer Optimismus in Fin-deSiècle-Form» und «Endpunkt und Fortschritt»:
Originalbeiträge für die Programmhefte der
Sächsischen Staatskapelle Dresden
Urheber, die nicht ermittelt oder erreicht
werden konnten, werden wegen nachträglicher
Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.
Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus
urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet.
W W W. S T A AT S K A P E L L E - D R E S D E N . D E
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So sieht es aus, wenn wir Diamanten
ein schönes Kompliment machen.
Denn das größte Kompliment für einen Diamanten sind
die raffinierten Fassungen der Juwelenringe Flamenco, Krone
und Colonna. Wie jedes Schmuckstück BY KIM sind sie Ausdruck von Kreativität
in Verbindung mit edelsten Materialien und handwerklicher Perfektion.
Dresden An der Frauenkirche 20 Telefon 0351.496 53 13
Hamburg London Paris New York wempe.DE

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