InfoBlatt 5: Vorschläge für einen Gottesdienst

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InfoBlatt 5: Vorschläge für einen Gottesdienst
Zum Gebrauch dieser Vorschläge für
einen Gottesdienst
Die folgenden Vorschläge für einen Gottesdienst beschränken sich
auf Bausteine. Aus Rücksicht auf konfessionelle und örtliche Besonderheiten wurde auf die Erarbeitung eines vollständigen Gottesdienstes verzichtet.
Die Sprechszene „...Fesseln des Unrechts lösen. Hoffnung für die
Teppichkinder“ ist für einen Gottesdienst mit Erwachsenen gedacht, die Spielszene „Wie Jogan und Lal Teppichknüpfer wurden“
eignet sich für einen Familiengottesdienst.
Die hier wiedergegebene kleine Liedauswahl beschränkt sich auf
Lieder, die nicht in den Gesangbüchern der großen Kichen zu finden sind. Das für die Sprechszene vorgeschlagene Lied „Brich mit
den Hungrigen dein Brot“ ist im neuen Evangelischen Gesangbuch
unter Nummer 420 zu finden. Es kann ersetzt werden durch das
ökumenische Lied „Brich dem Hungrigen dein Brot“ (Evangelisches Gesangbuch Nummer 418, Gotteslob Nummer 618). In diesem Falle sollte Zeile 23 der Sprechszene entsprechend umformuliert werden (statt: „Brich mit den Hungrigen dein Brot“: „Brich
dem Hungrigen dein Brot“).
Gottesdienst mit Erwachsenen
Die im zweiten Teil des InfoBlattes 5 abgedruckte Sprechszene „...
die Fesseln des Unrechts lösen: Hoffnung für die Teppichkinder“
will bei der Gestaltung des Verkündigungsteiles eines Gottesdienstes für Erwachsene helfen. Sie ist in sich geschlossen und kann an
die Stelle einer Predigt treten. Denkbar ist aber auch, daß die biblischen Bezüge der Sprechszene in einer kurzen abschließenden
Ansprache noch einmal aufgegriffen und ausgelegt werden.
Familiengottesdienst
Spielszene
Für einen Familiengottesdienst bestimmt ist die im zweiten Teil
des InfoBlattes 5 abgedruckte Spielszene „Wie Jogan und Lal Teppichknüpfer wurden“. Die Szene, die den Kindern einen Zugang
zum Schicksal der Teppichkinder erschließen will, kann mit Kindern ab etwa zehn Jahren realisiert werden, wobei es sinnvoll ist,
die „Rolle“ der Sprecherin (des Sprechers) mit einer Erwachsenen
(einem Erwachsenen) zu besetzen, da die Aufgabe der Sprecherin
(des Sprechers) nicht einfach ist, soll sie (er) doch auch sowohl die
Kinder der Gemeinde unmittelbar ansprechen und in das Spielgeschehen einbeziehen als zugleich das Spiel leiten.
Die Spielszene kann entweder in einer längeren Fassung (etwa 12
bis 15 Minuten Aufführungszeit) oder in einer gekürzten Version
(etwa 8 bis 11 Minuten) eingesetzt werden, entsprechende Hinweise enthalten die Vorbemerkungen
zur Szene.
I.2
Vorschläge für einen Gottesdienst: I. Bausteine
Ist es nicht möglich, die Szene als einstudiertes Spiel zu realisieren, kann sie auch wie folgt aufgegriffen werden:
Denkbar ist die freie Nacherzählung der Geschichte durch eine erwachsene Person, wobei die Länge
der Geschichte den jeweiligen Gegebenheiten leicht angepaßt werden kann.
Eine interessante Variante ist das improvisierte Erzählspiel, bei dem die Kinder der Gemeinde schrittweise von der Erzählerin (dem Erzähler) in das Spiel einbezogen werden. Tritt eine Person in der Geschichte zum ersten Mal auf, fragt die Erzählerin (der Erzähler), wer diese Person spielen möchte.
Entscheidend für das Gelingen des improvisierten Erzählspieles ist, daß die Erzählerin (der Erzähler)
in die Erzählung „Regieanweisungen“ einbaut, so daß die Kinder wissen, was sie zu tun haben. (Beispiel zu Zeile 55 folgende: „Jeetu und Jogan suchen also Lal. Tut Ihr beiden das einmal – ach, dort hat
sich ja Lal hingesetzt – wer mag denn Lal spielen? Du? Toll! Setz Dich mal dort auf den Stein! So,
und Ihr geht mal dorthin...“) Wenn sich die Kinder gut in der Geschichte zurechtfinden – und das ist
wahrscheinlich – können solche „Regieanweisungen“ auf wenige Bemerkungen beschränkt werden.
Gelegentlich können sich die Kinder so mit ihrer Rolle identifizieren, daß sie gebremst werden müssen
(etwa: das Kind, das Herrn Teli spielt, will richtig auf die knüpfenden Kinder einschlagen).
Schließlich ist es möglich, die Szene mit verteilten Rollen zu lesen und sie als „Hörspiel“ aufzuführen,
wozu sie leicht umgearbeitet werden muß. Diese Verwendung ist nur mit Erwachsenen sinnvoll, die in
der Lage sind, allein mit der Stimme eine ausreichende Spannung aufzubauen. In jedem Fall muß auch
ein „Hörspiel“ einstudiert werden, es ist auf Geräuscheffekte (Musik, Motorengeräusch, Knarren der
Tür usw.) angewiesen.
Ansprache
An die Spielszene sollte sich – etwa nach einem Gemeindelied – eine Ansprache anschließen.
Wurde als Lied nach dem Spiel das vorgeschlagene Lied „Ja Gott hat alle Kinder lieb“ gewählt, so
könnte dieses Lied das (theologische) Thema der Ansprache vorgeben: „Gott liebt alle Kinder“. In
diesem Falle wäre zunächst die offenkundige Spannung zwischen Lied und Spiel aufzugreifen, wobei
– wie überhaupt während der ganzen Ansprache – ein Gespräch mit den Kindern der Gemeinde angestrebt werden sollte: Etwa (in Stichworten, muß ausformuliert werden!): „Wir haben eben gesungen,
daß Gott alle Kinder lieb hat. Glaubt Ihr das? – Wie ging es aber den Kindern in der Geschichte? –
Richtig: sehr schlecht. – Kann es dann stimmen, daß Gott alle Kinder lieb hat? Wir wollen gleich darüber nachdenken, zuvor will ich Euch aber einmal vorlesen, was in der Bibel steht....“
Ein denkbarer biblischer Bezug für die Ansprache ist das „Kinderevangelium“ (etwa: Markus 10, 1316). Die Auslegung des Evangeliums sollte (möglichst im Gespräch mit den Kindern!) herausarbeiten,
daß Jesus (im Gegensatz zu den Jüngern) die Kinder ernst nimmt – und zwar gerade als Kinder: Sie
sind Vorbild für die Erwachsenen. Was machen aber die Erwachsenen mit den Kindern? Sie machen
aus ihnen zum Beispiel Arbeitssklaven. Das will Jesus nicht. Und weil Gott die Kinder besonders lieb
hat, will er, daß wir auch den Teppichkindern helfen.
Die Ansprache kann sich auch auf einen Abschnitt des Alten Testamentes beziehen, etwa auf Jesaja
58, 6-9 (Gott will, daß wir den leidenden Kindern helfen, denn er liebt sie) oder Sacharja 8, 3-8 (Gott
wird dafür sorgen, daß die Kinder wieder spielen können, dazu können wir beitragen).
Der bibelbezogene erste Teil der Ansprache sollte einmünden in eine kindgerechte Vorstellung der
Rugmark-Initiative: Wir können etwas für die Kinder tun. Etwas ganz Einfaches: Rugmark unterstützen. Der letzte Teil der Sprechszene „...die Fesseln des Unrechts lösen. Hoffnung für die Teppichkinder“ enthält ab Zeile 213 entsprechende Informationen über Rugmark, die leicht in die Ansprache
eingearbeitet werden können; daher unterbleibt an dieser Stelle ein Formulierungsvorschlag.
Zum Schluß der Ansprache sollte noch einmal (sehr kurz!) die Brücke von der Spielszene über den
biblischen Text zu unseren Handlungsmöglichkeiten geschlagen werden.
Zur Eröffnung des Gottesdienstes
Spr. 1:
Ich grüße Euch alle, die Ihr an den Gott des Lebens glaubt.
Vorschläge für einen Gottesdienst: I. Bausteine
Spr. 2:
Unser Gott hat das Recht, seine Kinder geliebt und geachtet zu sehen.
Unser Gott duldet nicht die Ausbeutung der Kinder und Schwachen.
Wir wollen uns für Gerechtigkeit und die Rechte der Kleinen einsetzen.
Deshalb sind wir heute in Hoffnung zusammengekommen.
Spr. 1:
Im Namen des Vaters,
Spr. 2:
der das Leben in seiner ganzen Fülle gibt,
der die Kleinen liebt,
der die Welt mit den Augen eines Kindes sieht,
der Gewalt, Ungerechtigkeit und Willkür gegen seine Kinder verabscheut.
Spr. 1:
Im Namen seines Sohnes Jesus Christus,
Spr. 2:
der einer von uns wurde,
der unter den Ausgeschlossenen der Gesellschaft lebte,
der die Kinder zu sich kommen ließ und sie segnete.
Spr. 1:
Im Namen des Heiligen Geistes,
Spr. 2:
der den Weg unserer Geschichte begleitet,
der die Kleinen tröstet und beschützt,
der die Liebe bewirkt.
Gemeinde: Amen
[nach: Ökumenische Kinderwoche, Sao Paulo 1989]
Fürbitten
Spr.: 1:
Wir danken Dir für die Hoffnung, die Freude,
den Lebensmut, den uns die Kinder schenken.
Sie lehren uns, Dir ganz zu vertrauen.
Wir danken Dir für die Liebe Jesu,
der die Kinder segnete
und unter seinen Schutz stellte.
Spr. 2:
Deshalb bitten wir Dich,
daß Du unsere Gewissen anleitest,
damit wir das Wohlergehen unserer Kinder
nicht gründen auf die Ausbeutung
der Kinder anderer Völker.
Wir bitten Dich, Herr:
Gemeinde: ein gesungenes Kyrie
Spr. 1:
Wir beklagen vor Dir das Elend
der kindlichen Arbeitssklaven unserer Zeit.
Wir beklagen vor Dir das Elend
der kleinen Teppichkinder.
Wir bitten Dich, Herr:
Gemeinde: ein gesungenes Kyrie
Spr. 2:
Komm ihnen zur Hilfe mit Deinem Geist,
der die Freiheit bringt,
damit er alle Menschen beflügelt,
gemeinsam das Leid dieser Kinder zu beenden.
Wir bitten Dich, Herr:
Gemeinde: ein gesungenes Kyrie
Spr. 1:
Erneuere uns und unsere Kirche,
I.3
I.4
Vorschläge für einen Gottesdienst: I. Bausteine
damit wir Eintreten für die geknechteten Kinder
und Zeugen Deiner Liebe werden.
Wir bitten Dich, Herr:
Gemeinde: ein gesungenes Kyrie
[Bearbeitung eines Gebetes, das vom Informationzentrum Dritte Welt Herne erstellt wurde]
Ein Glaubensbekenntnis
Spr.:
Wir glauben an Gott, der uns liebt und der will, daß wir uns alle lieben.
Gemeinde: Das ist unser Gott.
Spr.:
Wir glauben an Jesus, der sich den Kindern zuwandte und sie in seine Arme nahm. Er
will eine Welt, in der alle Menschen in Frieden zusammenleben.
Gemeinde: Das ist Jesus Christus.
Spr.:
Wir glauben an den Heiligen Geist, der mit uns am Werk ist, bis all das gut und wahr ist.
Gemeinde: Das ist der Heilige Geist.
Spr.:
Wir können die Kirche sein, die die Menschen an Gott erinnert, weil wir einander lieben.
Gemeinde: Das glauben wir. Amen.
[nach: Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Canberra 1991]
Rangoli
Rangolis sind indische Blumen- oder Pflanzenmuster. Diese Segens- und Grußbilder werden auf die
Erde gemalt und mit bunten Blütenblättern ausgelegt.
Zum Beschluß des Gottesdienstes kann die Gemeinde – nach entsprechender Erläuterung – ein solches
Rangoli legen.
Ein Beispiel: Auf einem großen Karton werden die Umrisse des Warenzeichens Rugmark gezeichnet
oder ein großes Rugmark-Logo aufgeklebt (ein solches kann bei der Koordinationsstelle der Kampagne gegen Kinderarbeit in der Teppichindustrie: werkstatt ökonomie, Obere Seegasse 18, 69124 Heidelberg bezogen werden). Dieses Rugmark-Zeichen wird von der aus der Kirche ziehenden Gemeinde
gefüllt – sei es mit Blüten oder mit bunten Papierschnipseln oder anderen kleinen Gegenständen. Dabei sollten nur wenige Farben verwendet werden. Auf der Vorlage muß kenntlich gemacht werden,
welche Flächen mit welchen Farben ausgelegt werden sollen. Dabei kann die Farbgebung des Warenzeichens Rugmark übernommen werden, die Farbgebung entspricht in etwa dem Abdruck des Rugmark-Logos im Faltblatt „Hoffnung für die Teppichkinder“ (Bestell-Nr. M04). Das fertige Bild kann
bei Verwendung geeigneten Materials mit Klarsichtfolie überzogen und im Gemeindehaus, im Kindergarten oder an einem anderen Ort in der Gemeinde (Schaukasten?) aufgehängt werden – vielleicht
mit einem kurzen erklärenden Text.
Vorschläge für einen Gottesdienst: I. Bausteine
Lieder
Ja Gott hat alle Kinder lieb
Wir wünschen, Herr, daß jedes Kind
In Ängsten die einen
Das könnte den Herren der Welt so passen
Du bist da, wo Menschen leben
I.5
I.6
Vorschläge für einen Gottesdienst: I. Bausteine
... die Fesseln des Unrechts lösen:
Hoffnung für die Teppichkinder
Konkrete Schritte zur Überwindung der Kinderarbeit
in der Teppichindustrie
5
Eine Sprechszene für vier Sprecherinnen und Sprecher mit biblischen Bezügen
1:
Hört, was Gott durch den Mund des Propheten sagt:
Das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu
entfernen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot
auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu
bekleiden, und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen.
10
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Wunden werden schnell vernarben. Deine Gerechtigkeit geht dir voran, die Herrlichkeit des Herrn folgt dir nach. Wenn du
dann rufst, wird der Herr dir Antwort geben, und wenn du um Hilfe schreist, wird er dir sagen:
Hier bin ich.
15
[Jesaja 58, 6-9, Einheitsübersetzung]
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G: Lied:
Brich mit den Hungrigen dein Brot
EG 420, 1-4
1:
Brich mit den Hungrigen dein Brot: Zum Beispiel Mainya Tamang, Nepal:
2:
Seit über zwei Jahren arbeitet Mainya Tamang in einer Teppichfabrik in Cahabil, einem schäbigen Vorort Kathmandus, der Hauptstadt des Himalaja-Königreiches Nepal. Vierzehn bis siebzehn
Stunden täglich sitzt sie vor ihrem Webstuhl, sieben Tage in der Woche. Es ist stickig, die Luft ist
voller Wollstaub. Mainya hustet ständig. Ihre Hände haben tiefe Schnittwunden, kaum verheilt.
Sie arbeitet hastig, sieht sich immer wieder nach dem Aufseher um, der sie mit dem Fahrradschlauch schlägt, wenn sie das Pensum nicht schafft. Mainya ist knapp fünf Jahre alt.
3:
Mainya ist kein Einzelfall. Wie Mainya geht es dem neunjährigen Sarahu aus einem Dorf im indischen Bundesstaat Bihar, dem dreizehnjährigen Bijay, dem siebenjährigen Radheyshan, der in einem Knüpfbetrieb in Bhadohi am Ganges zur Abbezahlung der Schulden seiner Eltern arbeiten
muß.
30
35
Wie Mainya geht es zwischen 750.000 und einer Million Kindern in der Teppichindustrie Südasiens. Wie Mainya geht es in Indien zwischen fünfzig und hundert Millionen Kindern in allen
Wirtschaftszweigen des Landes. Wie Mainya geht es auf der ganzen Welt zwischen hundert und
zweihundert Millionen Kindern: Sie müssen in den unterschiedlichsten Branchen in den verschiedensten Ländern arbeiten. Zwar unterscheidet sich ihr Alltag in vielerlei Hinsicht: die Arbeitsbedingungen sind nicht gleich, Arbeitszeiten und Entlohnung variieren – und doch verbindet
sie in vielen Fällen eines: Sie werden ihrer Kindheit beraubt, sie bleiben ohne Schul- und Ausbildung, sie haben keine Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben. Ihre Zukunft ist dunkel.
40
45
50
4:
Hundert bis zweihundert Millionen Kinder: welch unvorstellbare, welch abstrakte, welch anonyme Zahl. Und doch die erschütternde Häufung ganz konkreter, ganz besonderer Einzelschicksale.
Was soll man da tun? Man müßte eine ganze Weltordnung ändern, man müßte die Armut beseitigen, man müßte... Und doch wissen wir: All das ist so global kaum möglich. Und sicher nicht sofort. Unsere Kräfte würden nie ausreichen. Internationale Abkommen und nationale Gesetze zum
Schutz der Kinder auch nicht. Was also soll man da tun?
II.2
Vorschläge für einen Gottesdienst: II. Sprechszene
2:
Der Hinweis auf die Notwendigkeit globaler Veränderungen ist verständlich. Er hat wahrlich
seine Berechtigung. Und dennoch kann er gelegentlich den Blick auf konkrete Handlungsmöglichkeiten verstellen: Jesus hat uns auch gelehrt, im Konkreten, im Kleinen anzufangen. Dort zu
beginnen, wo Veränderung konkret möglich ist. Das Naheliegende zu tun, und nicht das Nichtstun mit dem Hinweis auf die Größe der Herausforderung zu rechtfertigen.
1:
Das Naheliegende tun – aber wer ist mein Nächster? So viel wäre zu tun, zu viel ist zu tun: Wie
da bloß anfangen! Wer ist mein Nächster?
55
Fragt so ein Schriftgelehrter, abstrakt und gescheit. Doch Jesus erzählt, wird konkret. Erzählt, wie
einer unter die Räuber fiel. Ausgeplündert und zu Boden geschlagen, lag er am Wege. Lag am
Wege des Priesters, der Größeres im Sinne hatte als dem Geschundenen zu helfen. Lag am Wege
des Leviten, der zu geschäftig war, um zu sehen, obgleich er doch sah. Lag am Wege des Mannes
aus Samarien, der ihn sah. Der schaute hin und ließ sich ein, öffnete dem Mitleiden sein Herz.
Und half, fand wie von selbst konkrete Wege der Hilfe. Verband den Überfall’nen, brachte ihn zu
einer Herberge und sorgte für ihn.
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65
Sagt Jesus zum Gelehrten: Wer von den dreien war wohl der Nächste dem, der unter die Räuber
fiel. Antwortet der Gesetzeslehrer: Der, der barmherzig an dem Geschundenen gehandelt hat.
Sagt Jesus: Dann geh’ und handle genauso.
[nach Lukas 10, 25-37]
70
2:
Sehen, sich einlassen, handeln: Konkret werden. Beschränkung: Zum Beispiel Kinderarbeit in der
Teppichindustrie. Sie geht uns in Deutschland in besonderer Weise an. Und: Wir haben in besonderer Weise Möglichkeiten zum Handeln. Und: Unser Handeln ist nötig. Dies Letzte zuerst: Unser Handeln ist nötig.
3:
Kinderarbeit in der Teppichindustrie ist nicht schlimmer als ausbeuterische Kinderarbeit in anderen Wirtschaftsbereichen. Aber sie ist – wie Kinderarbeit in vielen anderen Branchen auch – nach
internationalen Abkommen und den nationalen Gesetzen Indiens, Nepals und Pakistans verboten.
Sie ist illegal. Sie ist ein Verbrechen:
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80
Bereits sehr junge Kinder müssen arbeiten: Anfang der neunziger Jahre wurde geschätzt, daß im
indischen Teppichgürtel fast jedes dritte Kind noch nicht einmal neun Jahre alt war, als es mit
dem Teppichknüpfen anfing. In Nepal waren acht Prozent der Teppichkinder jünger als zehn. In
Pakistan sind die jüngsten Kinder nicht einmal sechs.
Der Arbeitstag der Teppichkinder ist lang, in der Regel zehn schwere Stunden, und in besonders
schlimmen Fällen sogar noch viel länger. Ihre Gesundheit wird ruiniert. Die hohe Konzentration
von Wollfasern in der Luft verursacht bleibende Schäden der Atemwege, die extrem schlechte
Beleuchtung mindert das Sehvermögen, und die schweren Werkzeuge wie die körperliche Anstrengung führen zu Gelenk- und Bandscheibenschäden. Daher gehört in Indien die Teppichindustrie zu jenen „gefährlichen Industrien“, in denen die Arbeit von Kindern streng verboten ist.
Die Teppichkinder werden schlecht bezahlt, in Indien verdienen sie weniger als ein Fünftel des
gesetzlichen Mindestlohnes.
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90
95
100
1:
Und unter den „Teppichkindern“ ist der Anteil der Kindersklaven hoch, die als Schuldknechte in
der Regel ohne Lohn zur „Tilgung“ von Schulden ihrer Eltern arbeiten müssen: Die Kinder sind
oft viele Jahre von ihren Familien abgeschnitten, die häufig nicht wissen, wohin die Kindersklaven von dubiosen Geldverleihern und „Arbeitsvermittlern“ gebracht wurden. Wieviele dieser
Schuldknechte in der Teppichindustrie arbeiten, weiß niemand. Schätzungen sprachen Anfang der
neunziger Jahre von 100.000 bis 150.000 Kindersklaven. Vor allem die Kindersklaven werden oft
körperlich mißhandelt, nicht selten sexuell mißbraucht und gefoltert. Ihre Lebenserwartung ist gering.
Herr, warum bleibst du so fern, verbirgst dich in Zeiten der Not?
In seinem Hochmut quält der Frevler die Armen.
Er liegt auf der Lauer in den Gehöften
und will den Schuldlosen heimlich ermorden; seine Augen spähen aus nach den Armen.
Vorschläge für einen Gottesdienst: II. Sprechszene
II.3
Herr, steh auf, Gott, erheb deine Hand,
vergiß die Gebeugten nicht!
105
[Psalm 10, 1,2a,8,12, Einheitsübersetzung]
2:
Das Zweite: Kinderarbeit in der Teppichindustrie geht uns in Deutschland in besonderer Weise
an. Sie ist uns näher, als dies viele andere Formen der Kinderarbeit sind.
4:
Deutschland ist der weltgrößte Absatzmarkt für handgeküpfte Orientteppiche. Im Jahr 1994 gingen 40 Prozent der Weltausfuhr nach Deutschland. Im selben Jahr verkaufte Indien 50 Prozent
seiner Teppiche nach Deutschland und Nepal über 80 Prozent: Der Weltmarkt für handgeknüpfte
Teppiche wird also von Deutschland beherrscht.
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115
Kinderarbeit in der Teppichindustrie geht uns in Deutschland in besonderer Weise an, sie hat
etwas mit uns zu tun. Sie ist ein Beispiel dafür, daß die Länder des Südens arm sind, weil wir
reich sind, sie ist zu großen Teilen eine Folge der Art und Weise unseres Reichtums: Als spätestens mit Beginn der achtziger Jahre die Währungen der Länder Südasiens gegenüber der DM verfielen, wurden die handgeknüpften Orientteppiche für die deutschen (und das gilt auch für die
US-amerikanischen) KäuferInnen immer billiger. Der Teppichhandel dieser Länder nutzte die
Chance: Immer mehr Teppiche wurden bestellt, zunächst in Indien, seit Anfang der neunziger
Jahre auch in Nepal. Die Nachfrage explodierte und mit ihr die Produktion: Im indischen Teppichgürtel waren 1973 erst 73.000 Knüpfer beschäftigt, heute sind es fast 1,2 Millionen.
120
Folge der Produktionsausweitung war, daß die indischen Teppichhersteller und -exporteure nicht
mehr in der Lage waren, die gesamte ihnen nachgelagerte Produktion zu überschauen. Daher entstanden Ketten mit bis zu sechs Mittelsmännern („Contractors“), die die Produktion vor Ort koordinieren und organisieren, Arbeitskräfte beschaffen und weitere Aufgaben übernehmen. Der mit
den Importeuren ausgehandelte Exportpreis aber berücksichtigt die Länge der logistischen Kette
(und damit die Lohnkosten für die Mittelsmänner) nicht und der Exporteur ist nicht gewillt, die
logistischen Kosten zu tragen. Daher werden diese in der Kette weitergereicht: Der Knüpfstuhlbesitzer wird immer schlechter bezahlt und ist daher häufig gezwungen, die billigste Arbeitskraft
einzusetzen: Der sprunghaft gestiegene Bedarf an Arbeitskräften wurde zu 50 bis 70 Prozent mit
Kindern und Kindersklaven gedeckt.
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Was wir heute als ausbeuterische Kinderarbeit in der Teppichindustrie beklagen, ist ein junges
Phänomen. Nicht einmal zwanzig Jahre alt. Sicher: Auch früher halfen Kinder beim Teppichknüpfen mit, auch früher wurden die Kinder ausgebeutet. Doch in der Regel geschah dies in Familienbetrieben, zumindest aber im eigenen Dorf. Heute arbeiten drei Viertel der im indischen
Teppichgürtel knüpfenden Kindern eben gerade nicht in Familienbetrieben, und etwas mehr als
die Hälfte der „Teppichkinder“ kommt von weit entfernten Dörfern, teilweise bis zu 400 km von
der Knüpfregion entfernt.
135
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1:
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Herr, warum bleibst du so fern, verbirgst dich in Zeiten der Not?
In seinem Hochmut quält der Frevler die Armen.
Er liegt auf der Lauer in den Gehöften
und will den Schuldlosen heimlich ermorden; seine Augen spähen aus nach den Armen.
Herr, steh auf, Gott, erheb deine Hand,
vergiß die Gebeugten nicht!
[Psalm 10, 1,2a,8,12, Einheitsübersetzung]
150
2:
Gott vergißt die Gebeugten nicht. Sein Sohn kam als Befreier. Als Befreier von Knechtschaft und
Tod. Weil Jesus uns frei macht, können wir die Geschundenen an unserem Wege sehen. Weil Jesus uns frei macht, müssen wir nicht an den Geschundenen vorübergehen, können wir konkrete
Wege der Veränderung sehen. Die Knechtschaft der Knechte muß nicht weitergehen wie immer.
155
G: Lied:
Das könnte den Herren der Welt ja so passen
II.4
2:
Noch einmal: Kinderarbeit und Kindersklaverei in der Teppichindustrie ist nicht schlimmer als
ausbeuterische Kinderarbeit in anderen Branchen. Aber hier haben wir in besonderer Weise Möglichkeiten zum Handeln. Sie ist uns näher, als dies viele andere Formen der Kinderarbeit sind.
3:
Die Teppichproduktion ist auf wenige Länder konzentriert: Allein Indien und Nepal stellten 1995
fast 55 Prozent der deutschen Teppicheinfuhren – und die Produktion dieser beiden Lieferländer
wird weithin von den Wünschen des deutschen Marktes beherrscht.
160
165
Hinzu kommt, daß die Teppichproduktion fast ausschließlich für den Export bestimmt und zu 85
bis 90 Prozent Auftragsproduktion ist. Die Importeure legen also Qualität, Design und weitere
Eigenschaften der von ihnen georderten Teppiche bei Auftragsvergabe fest. Verlangen sie von
Erwachsenen geknüpfte Teppiche, sind die Hersteller zur Lieferung solcher Teppiche gezwungen,
entsprechende Kontrollen vorausgesetzt: Die schrittweise Abschaffung der Kinderarbeit in der
Teppichindustrie ist allein dann schon möglich, wenn dies der deutsche Markt fordert.
170
Das aber heißt: Der Skandal der Kinderarbeit in der Teppichindustrie ist überschaubar. Er ist überwindbar. Nicht von heute auf morgen, auch nicht übermorgen. Aber wenn wir alle mithelfen,
vielleicht in zwanzig Jahren: Es würde reichen, wenn allein in Deutschland immer mehr Menschen Teppiche ohne Kinderarbeit kaufen würden. Das gäbe einen starken Anreiz für die Herstellerländer, immer mehr auf Kinderarbeit in der Teppichindustrie zu verzichten. Nicht aus Gründen
der Barmherzigkeit, sondern ganz einfach, weil der Markt für Teppiche ohne Kinderarbeit wachsen, die Absatzchancen für Teppiche mit Kinderarbeit aber sinken würden.
175
Und: Beschäftigte die arbeitsintensive Teppichindustrie statt ausgebeuteter Kinder erwachsene
Knüpferinnen und Knüpfer und zahlte sie diesen dann Löhne, die mindestens den staatlichen
Mindestlöhnen entsprechen, könnte sich damit die soziale Lage von Hunderttausenden von Familien verbessern: Statt der Kinder würden Väter und Mütter arbeiten, die heute in extrem großer
Zahl ohne bezahlte Arbeit, und das heißt, ohne Einkommen sind. Würde sich die soziale Lage der
Familien verbessern, könnten diese ihre Kinder statt zur Arbeit in die Schule schicken:
180
Der Teufelskreis Armut – Kinderarbeit – keine Schul- und Ausbildung der gesundheitlich ruinierten Kinder – wiederum Armut als Folge – und wiederum Kinderarbeit, dieser Teufelskreis also
kann durchbrochen werden.
185
2:
Sehen, sich einlassen, handeln: Konkret werden. So konkret, wie der Mann aus Samarien, der den
Ausgeplünderten fand: Über die Motive des Priesters, der am Ausgeplünderten vorüberging, sagt
Jesus in seiner Geschichte nichts. Über die Motive des Leviten, der am Ausgeplünderten vorüberging, sagt Jesus nichts. Die konkreten Schritte des Mannes aus Samarien aber beschreibt er auffällig ausführlich. Als habe er seine Freude an der konkreten Tat:
1:
Dann kam ein Mann aus Samarien, der auf der Reise war. Als er ihn sah, hatte er Mitleid, ging zu
ihm hin, goß Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein Reittier,
brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. Am andern Morgen holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es
dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.
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[Lukas 10, 33-35, Einheitsübersetzung]
200
205
Vorschläge für einen Gottesdienst: II. Sprechszene
2:
Sehen, sich einlassen, handeln: Konkret werden. So konkret, wie der Mann aus Samarien.
4:
Wir haben die Chance für den Einstieg in konkrete Veränderungen! Darauf haben Menschen- und
Kinderrechtsorganisationen in Südasien seit über zehn Jahren aufmerksam gemacht. Sie haben
Brot für die Welt, Misereor und terre des hommes um Unterstützung gebeten. Deshalb haben die
deutschen Hilfswerke vor rund fünf Jahren die Kampagne gegen Kinderarbeit in der Teppichindustrie gestartet. Zu den Trägerorganisationen dieser Kampagne gehört mittlerweile auch Unicef
Deutschland.
Vorschläge für einen Gottesdienst: II. Sprechszene
II.5
Die südasiatischen Kinderrechtsorganisationen kämpfen seit über fünfzehn Jahren für eine bessere Zukunft der Teppichkinder. Sie befreiten Tausende von Kindersklaven. Sie führen Rehabilitations-, Sozial- und Ausbildungsprogramme durch – unterstützt von Hilfswerken aus Deutschland,
weiteren europäischen Ländern und Nordamerika.
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Vor allem aber entwickelten sie Anfang der neunziger Jahre gemeinsam mit ihren deutschen Partnern die Idee eines Warenzeichens für Teppiche ohne Kinderarbeit. Denn gäbe es ein solches Warenzeichen, dann könnten Kundinnen und Kunden Teppiche von Herstellern erkennen, die auf illegale Kinderarbeit verzichten und die sich kontrollieren lassen. Würden dann immer mehr deutsche Kundinnen und Kunden solche Teppiche mit dem Warenzeichen kaufen, würden immer
mehr Hersteller dazu übergeben, auf illegale Kinderarbeit zu verzichten.
215
Diese so einfach klingende Idee wurde in oft mühsamen Schritten realisiert: Den südasiatischen
Kinderrechtsorganisationen und den beteiligten deutschen Hilfswerken gelang es, ein deutschindisches Exportförderungsprojekt für die Vorbereitung der Einführung eines solchen Warenzeichens zu gewinnen. Die deutsche Bundesregierung unterstützte das Vorhaben: Aus der Idee war
Wirklichkeit geworden.
220
225
4:
230
Mittlerweile gibt es dieses Warenzeichen. Es heißt Rugmark – zu deutsch schlicht: Teppichzeichen. Rugmark wird bisher vergeben von der Rugmark-Foundation India und der Nepal Rugmark
Foundation. Die Markteinführung fördern das Rugmark Deutschlandbüro und die RugmarkFoundation USA. Weitere Käuferländer werden bald folgen, vielleicht auch weitere Herstellerländer.
Das Warenzeichen Rugmark erhalten Teppichhersteller und -exporteure in Indien und Nepal,
wenn sie erstens auf illegale Kinderarbeit verzichten. Erlaubt ist nach den Vergabekriterien für
das Warenzeichen lediglich, daß Knüpfstuhlbesitzer eigene Kinder oder Geschwister unter 14
Jahren dann beschäftigen dürfen, wenn der regelmäßige Schulbesuch der Kinder gewährleistet ist.
Zweitens müssen die Rugmark-Lizenznehmer bereit sein, jederzeit Kontrollen durch die Inspekteure der Rugmark-Gesellschaften zuzulassen. Mittlerweile gibt es ein ausdifferenziertes Kontrollsystem, und im indischen Teppichgürtel genießen die Rugmark-Inspekteure den Ruf absoluter Unbestechlichkeit.
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Drittens müssen die Rugmark-Lizenznehmer Löhne zahlen, die mindestens den staatlichen Mindestlöhnen entsprechen.
240
Damit ist Rugmark das einzige Warenzeichen für Teppiche ohne illegale Kinderarbeit, das von
unabhängiger Seite vergeben wird und das mit neutralen und effizienten Kontrollen verbunden
ist.
Und die Kinder, die bei den Kontrollen gefunden werden oder die ein Lizenznehmer beschäftigt
hatte, bevor er Lizenznehmer wurde, finden einen Platz in Rehabilitations- und Ausbildungsprojekten, bis sie zu ihren Familien zurückkehren können. Auch dort, in ihrer Heimat, werden solche
Projekte aufgebaut. Deutsche Importeure von Rugmark-Teppichen leisten einen finanziellen Beitrag für solche Projekte.
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250
255
3:
Rugmark ist also ein Beispiel dafür, daß konkrete Schritte möglich sind. Und Rugmark ist eine
Erfolgsgeschichte: Bis Mitte September 1996 wurden bereits rund 298.000 Teppiche mit Rugmark nach Deutschland verschifft, die von 114 Lizenznehmern stammen. Viele weitere Unternehmen haben die Rugmark-Lizenz beantragt. Bald werden auch die ersten Rugmark-Teppiche
aus Nepal in Deutschland sein.
Immer mehr deutsche Händler bieten Rugmark-Teppiche an, fast überall in Deutschland.
Jetzt sind die Teppichkäuferinnen und -käufer am Zuge. Jetzt kommt es darauf an, daß sich Rugmark-Teppiche auf dem deutschen Markt immer mehr durchsetzen.
Darum haben Brot für die Welt, Misereor, terre des hommes und Unicef Deutschland dazu aufgerufen, Rugmark zu unterstützen.
II.6
Vorschläge für einen Gottesdienst: II. Sprechszene
Noch ist es ein weiter Weg, bis Kinderarbeit in der Teppichindustrie abgeschafft ist. Aber erste
Erfolge gibt es, die Zahl der Teppichkinder ist rückläufig. Wenn jetzt die Nachfrage nach Rugmark-Teppichen auf dem deutschen Markt weiter wächst, dann könnte es – vielleicht in zwanzig
Jahren – wirklich so weit sein: Daß kein Kind auf dieser Erde mehr einen Teppich knüpfen muß.
Dann hätten die fünfjährige Mainya Tamang, der neunjährige Sarahu, der dreizehnjährige Bijay,
der siebenjährige Radheyshan und all die anderen Kinder eine Chance. Und ihre in der Regel oft
arbeitslosen Väter könnten einen gut bezahlten Arbeitsplatz finden: Statt der Kinder würden dann
die Väter arbeiten, damit die Kinder zur Schule gehen können.
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265
Mehr noch: Vielleicht könnte dies zum Einstieg in die Abschaffung ausbeuterischer Kinderarbeit
und Kindersklaverei nicht nur in der Teppichindustrie und nicht nur in Südasien werden.
270
2:
Kinderarbeit in der Teppichindustrie ist uns näher als die Kinderarbeit in vielen anderen Wirtschaftsbereichen. Wir in Deutschland haben aufgrund unserer Marktmacht besondere Möglichkeiten zum konkreten Handeln. Und wir sind in besonderer Weise zum Handeln aufgefordert:
Denn Kinderarbeit in der Teppichindustrie hat etwas mit uns zu tun: Mit dem deutschen Markt,
mit dem deutschen Handel, mit den deutschen Verbraucherinnen und Verbrauchern.
1:
Hört, was Gott durch den Mund des Propheten sagt:
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280
285
Das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu
entfernen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot
auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu
bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen.
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Wunden werden schnell vernarben. Deine Gerechtigkeit geht dir voran, die Herrlichkeit des Herrn folgt dir nach. Wenn du
dann rufst, wird der Herr dir Antwort geben, und wenn du um Hilfe schreist, wird er dir sagen:
Hier bin ich.
[Jesaja 58, 6-9, Einheitsübersetzung]
Spielszene:
Wie Jogan und Lal Teppichknüpfer wurden
Szenische Bearbeitung eines Auszuges aus: Hans-Martin Große-Oetringhaus: Jogan haut ab. Berlin: Elefanten Press, 1990
Vorbemerkungen:
1. Die folgende Szene dauert – je nach Art des Spielens – 12 bis 15 Minuten; sollte dies zu lange sein, kann die Eingangsszene (Jogan und Jeetu suchen Lal) gestrichen werden. Die gekürzte Szene beginnt dann mit Zeile 108, wobei
die Sprecherin neu einleiten muß. (Etwa: Aufnahme der Zeilen 1 bis 21, dann: „Ein kleines Dorf in Nordindien. Die
drei Freunde Jogan, Jeetu und Lal sind draußen vor dem Dorf bei den Büffeln und Kühen ihrer Eltern und Nachbarn. Die hüten sie jeden Tag. Denn die Eltern der drei Freunde sind sehr arm. Deshalb müssen die Kinder mithelfen. Plötzlich...“) Dann weiter mit Zeile 109. Die Kürzung verringert die Spielszene um etwa vier Minuten.
2. Die Sprecherin (der Sprecher) kann den Text ablesen (dann möglichst hinter einem Lesepult stehend). Besser ist es,
wenn sie (er) frei erzählt.
3. Der folgende Text versteht sich als Vorschlag, er ist von den Kindern nicht wörtlich zu lernen. Wenn die Kinder
eigene Formulierungen verwenden, kann das Spiel lebendiger werden.
4. Auf den „Festzug“ kann verzichtet werden, Jogan und Jeetu können dann in Richtung Gemeinde schauen und deuten dorthin, wo sich der „gedachte“ Festzug befindet.
5. Die kurzen Einspielungen indischer Musik können entfallen oder ersetzt werden durch passende kurze (improvisierte) Passagen auf der Orgel oder eines Instrumentalkreises (Orffsche Instrumente!).
6. Wichtig ist, daß die Kinder für die Gemeinde immer gut sichtbar sind, auch wenn sie hocken. Daher empfiehlt sich
eine erhöhte Spielfläche. Sollte die nicht zur Verfügung stehen, sollten die Kinder auf Hockern sitzen. Die vier Jungen vor dem Knüpfstuhl können auch auf einer Bank (ohne Lehne) sitzen.
7. Die Sprecherin (der Sprecher) sollte versuchen, die Kinder der Gemeinde mit einzubeziehen. Einige Vorschläge
enthält der Text. Unter Umständen können sich die Kinder aus der Gemeinde auch dem „Festzug“ anschließen.
8. „Hütte“ und „Knüpfstuhl“ sollten nur mit wenigen Latten angedeutet werden.
9. Mitwirkende:
Sprecherin/Sprecher
Jogan
Jeetu
Lal
Der Fremde
Herr Teli
1. Junge am Knüpfstuhl
2. Junge am Knüpfstuhl
3. Junge am Knüpfstuhl
4. Junge am Knüpfstuhl
eventuell Kinder des Festzuges, die später auch das
„Motorengeräusch“ erzeugen.
(indische Musik, die langsam ausklingt)
Sprecherin: (steht am Rand der Spielfläche, zu den Kindern im Gottesdienst)
Heute wollen wir Euch eine Geschichte aus Indien spielen.
Wißt Ihr, wo das Land liegt?
5
Kinder:
(antworten vielleicht)
Sprecherin: (geht auf die Antworten der Kinder kurz ein, etwa wie folgt)
Richtig, Indien ist ein riesiges Land in Asien. Viel, viel größer als Deutschland... Und noch eine
Frage: Nachher wird einige Male das Wort „Rupie“ fallen – habt Ihr eine Ahnung, was das sein
könnte?
10
Kinder:
(antworten vielleicht)
Sprecherin: Genau, so heißt das indische Geld.
So, jetzt kann es gleich losgehen.
Aber vorher kommt doch bitte nach vorne in die ersten Bankreihen (Stuhlreihen), dann könnt
Ihr besser sehen.
III.2
15
Vorschläge für einen Gottesdienst: III. Spielszene
Kinder:
(setzen sich um)
Jogan:
(tritt auf)
Sprecherin: Also: Ein kleines Dorf in Nordindien Anfang November: Diwali, das Neujahrsfest, wird prächtig gefeiert. Das ganze Dorf ist auf den Beinen. Auch Jeetu, der seinen Freund Jogan sucht.
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Jeetu:
(tritt auf, geht etwas umher und schließlich zu Jogan)
Jogan:
(schaut gebannt in Richtung Festzug)
Jeetu:
He, Jogan! Da steckst Du!
Jogan:
(begeistert)
Da, der Festzug!
Festzug:
(Kinder in bunten Gewändern mit Flöten und Trommeln kommen sehr langsam aus dem Kirchenschiff/aus der Mitte der Gemeinde auf die Spielfläche und gehen vor Jogan und Jeetu vorbei in Richtung Sprecherin, dabei darauf achten, daß Jogan und Jeetu nicht verdeckt werden)
Jogan:
Siehst Du die Trommler, Jeetu?
Die Flötenspieler in ihren hellen Gewändern?
Ist das nicht schön!
25
30
35
(leise indische Musik, in die hinein die folgenden Sätze gesprochen werden)
Jeetu:
(winkt lässig ab)
Das ist doch gar nichts. Die Musik im Kino war viel besser.
Jogan:
(sauer)
Bist ein blöder Angeber, Jeetu!
Sprecherin: Jogan tut so, als ob er sauer wäre. Aber in Wirklichkeit trifft ihn Jeetus Angeberei deshalb, weil
er selbst gerne einmal ins Kino gegangen wäre.
(langsam verklingt die Musik)
Sprecherin: Langsam zieht der Festzug vorüber.
Festzug:
40
Sprecherin: Jogan und Jeetu laufen dem Zug nach.
Jogan
und Jeetu:
(umarmen sich, laufen dem Festzug einige wenige Schritte nach
und kehren dann wieder zurück zur Mitte der Spielfläche, der folgende Wortwechsel im Gehen)
Jogan:
Wo ist eigentlich Lal?
Jeetu:
(zuckt mit den Schultern)
Weiß nicht. Hab ihn heute noch nicht gesehen.
Jogan:
Vielleicht ist er mit den Büffeln und Kühen auf dem Feld.
Jeetu:
Doch nicht am Neujahrsfest!
Jogan:
(nickt)
Da hast Du recht.
45
50
(zieht langsam wieder in Richtung Kirchenschiff/Gemeinde)
Jogan und Jeetu:
(bleiben umarmt stehen)
Sprecherin: Wenn nicht gerade Diwali oder ein anderes großes Fest ist, hüten Jogan und Lal die Büffel ihrer
Eltern und die zwei Kühe des Nachbarn. Dafür erhalten sie hin und wieder einen Becher Molke.
Heute aber müssen sie nicht mit den Tieren aufs Feld.
Wo also mag Lal sein?
55
Lal:
(nimmt am anderen Ende der Spielfläche – „unter einem Baum“ – Platz, hockt traurig auf einem Stein [Hocker])
Jogan und Jeetu:
(bleiben umarmt, gehen ein wenig)
Vorschläge für einen Gottesdienst: III. Spielszene
Jogan:
(löst sich plötzlich von Jeetu, gibt ihm einen Stoß mit dem Ellenbogen)
Jeetu:
(schreit belustigt auf)
Au! Spinnst Du?
Jogan:
Schau mal! Dort drüben unter dem Tamarinden-Baum!
Ist das nicht Lal?
Jeetu:
Tatsächlich, da hockt er!
60
Jogan und Jeetu:
65
70
He, Lal!
Jogan:
Was ist los mit dir? Magst Du Diwali nicht, oder was?
Warum bist du denn nicht mit auf der Straße?
Lal:
(bleibt hocken, zuckt mit den Schultern)
Jeetu:
Ja, was ist denn? Nun red’ schon!
Lal:
(traurig)
In diesem Jahr fällt das Neujahrsfest für uns aus, hat Vater gesagt.
(Pause, dann langsam weiter)
Gestern war er beim Landbesitzer
und wollte einen kleinen Vorschuß auf die nächste Ernte.
Nur soviel, daß es für einen neuen Sari
und Rosinen und Nüsse für den Reis reicht.
Aber der Geizhals von Landbesitzer wollte nicht.
(Lal spuckt verächtlich auf den Boden)
Schließlich hat er sich doch erweichen lassen.
Aber Zinsen will er für den Vorschuß haben!
Die kann Vater nie zurückzahlen!
Vater hat dann gerade so viele Rupien genommen,
daß es reicht, um ausreichend Reis kaufen zu können.
Aber das Neujahrsfest muß ausfallen in diesem Jahr,
hat Vater gesagt. Bedankt euch beim Landbesitzer.
Jogan:
(nickt)
Der Halsabschneider! Aber wir sind zu arm und zu schwach,
um uns zu wehren!
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85
90
(laufen zu Lal)
Jeetu:
75
Sprecherin: Die meisten Bauern im Dorf müssen auf den Feldern des Landbesitzers als Tagelöhner arbeiten.
Und abends beackern sie ihr eigenes kleines Stückchen Land. Denn von dem, was der Großgrundbesitzer zahlt, kann niemand leben. Deshalb müssen alle in der Familie mithelfen, auch
die Kinder. Auch Lal, Jeetu und Jogan. Hören wir ihnen weiter zu:
Jogan:
(zu Lal)
Komm doch wenigstens mit an die Straße.
Dann kannst du auch noch mitfeiern.
Lal:
(schüttelt den Kopf)
Nein.
95
Sprecherin: Jogan versucht, ihn vom Boden hochzuziehen.
Jogan:
100
(versucht, Lal hochzuziehen)
Sprecherin: Aber alles Drängen hilft nichts.
Lal bleibt unter dem Tamarinden-Baum sitzen.
Lal:
105
III.3
(spricht zu sich selbst, wie im Traum)
Eines Tages! Eines Tages werde ich es schaffen!
Ich werde Geld verdienen, so viel, daß ich feiern kann.
Und der ganzen Familie werde ich neue Kleider kaufen...
III.4
Vorschläge für einen Gottesdienst: III. Spielszene
(kurze indische Musik)
Jogan,
Jeetu und
Lall:
110
115
Sprecherin: Am nächsten Tag sind die drei Freunde draußen vor dem Dorf bei den Büffeln und Kühen.
Plötzlich...
Jogan:
(zeigt in Richtung des Fremden)
He! Schaut mal, da kommt ein Fremder!
Fremder:
(tritt auf, geht langsam auf die drei Freunde zu)
Lal:
(stößt Jogan mit dem Ellenbogen in die Seite, kichert verlegen)
Was will der denn?
Fremder:
(steht jetzt bei den Jungen)
Hallo, Ihr drei?
Sind das eure Büffel, die da vorne neben der Straße grasen?
(der Fremde zeigt in Richtung Gemeinde)
Jeetu:
Ja, die hüten wir. Jeden Tag.
Fremder:
Und was bekommt ihr dafür?
Lal:
(erstaunt)
Nichts! Das sind doch die Tiere von unseren Familien und Nachbarn!
Fremder:
(mit gespieltem Erstaunen)
Was, Ihr macht diese Arbeit Tag für Tag?
Und bekommt nichts dafür?
Jogan:
Manchmal kriegen wir etwas Molke.
Fremder:
Das ist alles?
(lacht verächtlich)
Bei uns in Ramnagar ist das nichts besonderes.
Das bekommt man doch jeden Tag. Und nicht nur das.
Morgens, mittags und abends gibt’s was zu essen.
Nicht nur ein oder zwei Chapattis und etwas Pfeffersoße
wie bei euch.
Nein, bei uns in Ramnagar gibt es sogar Fleisch in der Soße.
Und Gewürze und Gemüse gibt es auch.
Da läuft Euch das Wasser im Mund zusammen.
Jeetu:
(sehr erstaunt)
Wirklich?
Lal:
So reich sind die Menschen in Ramnagar!
Fremder:
Das ist noch gar nichts! Bei uns haben die Dörfer gute Straßen.
Die Kinder haben Fahrräder. Die Erwachsenen fahren Auto.
(betont)
Und dann das Kino! Das müßt Ihr sehen!
Wart Ihr schon einmal im Kino?
Jeetu:
(stolz)
Ja, ich schon!
Aber die beiden da noch nie!
Fremder:
Dann wird es ja Zeit, daß ihr es einmal kennenlernt.
Jogan:
Aber wir haben doch kein Geld!
Fremder:
(lacht falsch)
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150
(stehen während der Musik auf und gehen zur anderen Seite der
Spielfläche und hocken sich dort [für die Gemeinde gut sichtbar] hin)
Vorschläge für einen Gottesdienst: III. Spielszene
Ja, was guckt ihr, als ob ich Märchen erzählen würde.
Kommt doch einfach mit.
(macht eine kleine Pause)
Wißt ihr, ein guter Freund hat nämlich Knüpfstühle.
Bei ihm könnt ihr Teppiche knüpfen und wohnen.
Das Knüpfen ist ganz einfach zu erlernen.
Zehn Rupien verdient ihr bestimmt am Tag.
Und wenn ihr euch geschickt anstellt und schnell seid,
dann können es wohl auch zwanzig sein.
155
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Jeetu:
(erstaunt)
Was, so viel Geld?
Lal:
Dann könnte ich ja nächstes Jahr beim Neujahrsfest mitfeiern!
Meinem Vater könnte ich Geld geben.
Meiner Mutter könnte ich einen Sari kaufen.
(Pause)
Ich will gleich zu meinem Eltern laufen und alles erzählen!
Fremder:
Nein, nein. Dazu haben wir keine Zeit mehr.
Jeden Augenblick kann der Bus kommen.
Wir sollten schon mal ein Stück die Straße entlanggehen.
Bis Ramnagar ist es weit.
Jogan:
Wie weit denn?
Fremder:
Bestimmt sieben Stunden.
Jogan:
So weit! Wir haben doch gar kein Geld für den Bus!
Fremder:
Ach, das ist doch kein Problem. Ich bezahle schon.
Wenn ihr erst einmal verdient,
könnt ihr mir das Geld ja zurückgeben.
Jeetu:
Aber wir können doch nicht so einfach gehen,
ohne unseren Eltern Bescheid zu sagen!
Fremder:
Dazu ist jetzt keine Zeit!
Ich kann ja Euren Eltern später sagen, wo Ihr seid.
Also, was ist? Wollt Ihr mit?
Wollt Ihr ein besseres Leben führen oder nicht?
Wollt Ihr auch mal ins Kino gehen?
Wollt Ihr Euren Eltern Geld geben können?
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Sprecherin: Und ob das Jogan, Jeetu und Lal wollen!
Aber so einfach gehen?
(zu den Kindern in der Gemeinde gewandt)
Was würdet Ihr denn machen? Wärt Ihr mitgegangen?
Kinder:
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200
(antworten vielleicht)
Sprecherin: (geht kurz auf die Antworten der Kinder ein, dann:)
Die drei Freunde zögern noch immer.
Der Fremde redet lauter. Er schaut Jeetu in die Augen.
Doch Jeetu schüttelt den Kopf.
Jeetu:
(schüttelt den Kopf)
Ich kann nicht.
(Pause)
Und – ich war ja auch schon mal im Kino.
Fremder:
Na gut, ist ja Dein Pech.
(zu Lal und Jogan)
III.5
III.6
Vorschläge für einen Gottesdienst: III. Spielszene
Und ihr zwei? Was ist mit Euch?
Jogan:
(zögernd, langsam)
Ich würde ja gerne. Aber die Tiere!
Die müssen wir doch nach Hause bringen.
Fremder:
(zeigt auf Jeetu)
Das kannst Du doch machen.
Jeetu:
(nickt)
Klar! Und Euren Eltern kann ich auch Bescheid geben.
Fremder:
Dann ist ja alles in Ordnung. Kommt ihr jetzt mit?
Sonst werde ich mich eben nach anderen Jungen umsehen.
Jogan:
Gut, ich fahre mit.
Wenn es mir nicht gefällt, komme ich wieder zurück.
Lal:
Wenn du fährst, fahre ich auch.
Fremder:
Schnell! Da vorne kommt der Bus!
Kinder:
(Die Kinder, die den Festzug gespielt haben, machen Motorengeräusche.)
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Fremder, Lal, Jogan:
(laufen zum – gedachten – Bus und steigen ein)
Sprecherin: So steigen also Lal und Jogan mit dem Fremden in den Bus ein. Die Fahrt dauert lange.
Kinder:
220
(Motorengeräusch klingt aus)
Gemeinde: Lied: In Ängsten die einen
(Während des Liedes wird die „Hütte“ mit dem „Knüpfstuhl“ aufgebaut: Einige wenige Latten deuten „Hütte“ und „Knüpfstuhl“ an. Der „Knüpfstuhl“ ist mit wenigen Fäden [Andeutungen genügen!] bespannt; vielleicht hängt an dem Rahmen auch ein kleiner Teppich.)
Vier Jungen:(hocken sich vor dem „Knüpfstuhl“ auf den Boden)
225
Herr Teli:
(stellt sich hinter die Jungen)
Sprecherin: Endlich hält der Bus in einem kleinen Dorf.
Fremder, Lal, Jogan:
(steigen aus und gehen zur Hütte)
Sprecherin: Der Fremde, Lal und Jogan steigen aus. Sie laufen zu einer kleinen Hütte. Der Fremde macht
die Tür auf.
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Fremder:
Sprecherin: In der Hütte ist es sehr dunkel. Jogan und Lal stehen zögernd in der niedrigen Tür. Ihre Augen
müssen sich erst an das dunkle Licht gewöhnen. An den Wänden sind eigentümliche Gerüste,
die mit Fäden bespannt sind. Vor jedem dieser Gestelle hocken vier Jungen.
(zu den Kindern in der Gemeinde)
Könnt Ihr Euch denken, was die Kinder machen?
Kinder:
240
(antworten vielleicht)
Sprecherin: Richtig, sie knüpfen Teppiche.
Hier auf der Spielfläche sind nur ein Rahmen und vier Jungen zu sehen, mehr hat hier nicht
Platz. Stellt Euch aber vor, daß die Hütte nach hinten weiter geht, dort stehen dann noch zwei
weitere Knüpfstühle. Auch vor diesen Knüpfstühlen sitzen je vier Jungen. Fast alle haben die
Köpfe gebeugt. Sie starren angespannt auf die Wollfäden in ihren Händen. Nur ein Junge schaut
neugierig zur Tür.
Jogan:
245
(öffnet die Tür der „Hütte“, die Türe muß nicht wirklich vorhanden sein, andeutende Gesten
genügen)
(mit etwas Angst in der Stimme)
Sind das die Knüpfrahmen?
Vorschläge für einen Gottesdienst: III. Spielszene
Jungen an den Knüpfstühlen:
(kichern)
Herr Teli:
Ruhe da vorne!
(dreht sich um, schaut Jogan an)
Ja, das sind meine Knüpfstühle. Ich heiße Herr Teli.
Und dieses lausige Pack da, das sind meine Jungs.
Sie kommen von überallher. Na, ihr werdet sie kennenlernen.
Sie werden Euch zeigen, wie man die Knoten macht.
Die Bengel sind gar nicht so ungeschickt,
wenn sie nur etwas schneller arbeiten würden.
(Pause, dann mit Nachdruck, drohend)
Aber Ihr werdet hoffentlich flinkere Finger haben.
Der Vermittler ...
Fremder:
(geht langsam fort)
Herr Teli:
(Herr Teli deutet auf den weggehenden Fremden und grinst)
...hat es mir zumindest versprochen.
Ich hoffe, ihr enttäuscht mich nicht.
250
255
260
III.7
Sprecherin: Lal und Jogan wissen nicht, was sie von dem Fremden halten sollen. Er ist also ein Vermittler.
Und über die hört man viele grausame Geschichten. Aber der Fremde war doch so freundlich
gewesen...
265
Lal:
(zu Jogan)
Ob uns der Fremde hereingelegt hat?
Er hat uns nicht einmal das Kino gezeigt!
Jogan:
(zu Lal)
Wo wir doch so gerne einmal ins Kino wollen.
Aber weißt Du, sicher werden wir das Kino selber finden.
Lal:
(zu Jogan)
Ob wir auch wirklich genug verdienen, um ins Kino zu gehen?
Jogan:
Bestimmt! Fragen wir doch den Mann!
(zu Herrn Teli)
Herr Teli, wieviel werden wir denn verdienen?
Herr Teli:
(verwirrt) Wieviel ihr verdient? Wie?
Lal:
Ja, genau!
Ich will nämlich meiner Mutter einen Sari kaufen und ...
Herr Teli:
(unterbricht Lal unwirsch)
Jetzt halt’ aber erst einmal die Luft an.
Erst einmal müßt ihr lernen, wie man Knoten macht
und einen anständigen Teppich knüpft.
Später, wenn ihr das gelernt habt,
können wir noch einmal über Geld reden.
(fährt mit einem Bambusstock über die Fäden, die in den Knüpfrahmen gespannt sind. Die Jungen, die an ihm arbeiten, zucken zusammen.)
Lal:
Und wann wird das sein?
Herr Teli:
Das werdet ihr schon merken.
In einem halben Jahr vielleicht, wenn ihr gut arbeitet.
So, und jetzt hockt Euch dazu und schaut Euch genau an,
wie die anderen es machen.
(er tippt mit seinem Bambusstock gegen den Rahmen, geht aus dem Raum und „verriegelt“ die
„Tür“ hinter sich)
1. Junge:
Mit dem ist nicht zu spaßen.
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275
280
285
290
III.8
(er deutet mit der Hand zur „Tür“, hinter der Herr Teli verschwunden ist)
Ihr werdet noch merken, was das für ein Bluthund ist.
295
300
Vorschläge für einen Gottesdienst: III. Spielszene
Jogan:
Arbeitet Ihr schon lange hier?
2. Junge:
Das ist unterschiedlich. Einige schon seit vier Jahren.
Jogan:
Da habt Ihr bestimmt schon viele Filme gesehen.
3. Junge:
Wie meinst Du das?
alle vier Jungen:
305
Jogan:
Ja, von Eurem Lohn könnt Ihr doch sicher oft ins Kino gehen.
4. Junge:
(traurig) Ach, Du hast ja noch gar nichts begriffen!
3. Junge:
Lohn? Wir wären froh, wenn wir genug zu essen bekommen würden.
Jogan:
(verunsichert) Ja, aber ... Also... Der Herr, der ins Dorf kam, hat uns doch erzählt ...
2. Junge:
Das erzählt der doch allen. Und noch vieles mehr.
Aber mit dem, wie es hier zugeht, haben seine Geschichten wenig zu tun.
Von den Rückenschmerzen, die du bekommst, hat er Euch wohl nichts erzählt,
und von dem verdammten Husten, den man von den Wollflusen kriegt, sicher auch nichts.
Und daß man durch die Suppe hindurchsehen kann, so dünn ist sie,
fand er wohl auch nicht so passend für seine Geschichte.
Aber vom Kino hat er Euch vorgesponnen. Dieser geldgeile Hund!
1. Junge:
(zischt) Psst! Nicht so laut! Wenn Dich Herr Teli hört!
2. Junge:
Der soll ruhig hören,
daß ich immer noch keine einzige Rupie von ihm gesehen habe.
Lal:
Hier bleibe ich nicht! Ich fahre wieder nach Hause.
Jogan:
(schüttelt den Kopf)
Und woher willst Du das Geld für den Bus nehmen?
Wir haben keine einzige Rupie.
Und wir werden im nächsten halben Jahr auch keine zu Gesicht bekommen.
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(blicken erstaunt auf)
Sprecherin: So also war das mit Lal und Jogan. Der niedrige Raum war wie ein Gefängnis, das die Jungen
nur selten verlassen konnten. Sie schliefen zwischen und unter den Knüpfrahmen auf dünnen
Reisstrohmatten, die sie über den Lehmboden legten.
Jeden Morgen, noch vor fünf Uhr in der Frühe, klopfte Herr Teli mit seinem Bambusstock gegen die Rahmen, so daß alle Jungen erschrocken aus dem Schlaf hochfuhren. Dann wuschen sie
sich vor dem Haus. Herr Teli achtete darauf, daß sich niemand von der Wasserstelle entfernte.
Sie hatten nicht viel Zeit, ihre zwei dünnen Fladenbrote und die wässerige Linsensuppe zu essen, die es jeden Morgen gab. Herr Teli war morgens immer sehr launisch, und man mußte sich
vor ihm in acht nehmen. Schnell hockten sich die Jungen an ihren Platz und begannen, einen
Knoten neben den anderen zu setzen.
Es war eine mühselige Arbeit. Und wie eng die Knoten sein mußten! Die Fingerkuppen wurden
rauh und wund. Aber noch schlimmer war der feine Wollstaub. Er brannte in den Augen, daß
sie tränten. Und dann erst der Rücken! Jogan hatte das Gefühl, daß die Stunden nicht vorübergehen wollten. Jogan und Lal mußten sich anstrengen, um die Augen offenzuhalten. Ihre Finger
hatten kaum noch Kraft. Immer wieder bekamen sie einen Faden nicht zu fassen. Und wenn
man vor dem Rahmen einschlief, war Herr Teli mit seinem Bambusstock nicht weit. Erst am
späten Abend bekamen sie wieder Fladenbrote mit Linsen.
Nach einigen Stunden begannen die Knoten vor den Augen zu tanzen. Der Rücken schmerzte.
Und am nächsten Tag wieder das gleiche! Zwölf Stunden lang! Stunden, die einfach nicht vergehen wollten! Tagaus, tagein. Und alles ohne Lohn.

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