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BOULEVARD
AM FLUSS
Nach dem Abbruch der Stadtmauern
breitet sich auf dem Areal eine groSSzÜgige Flanierzone aus.
Ab 1860 gibt es erstmals eine direkte und offene
­Verbindung zwischen der Innenstadt und dem ­Wasser.
Da stört es viele Zeitgenossen nicht, dass der Franz-­
Josefs-Kai schmäler und einfacher ausgestattet ist als
die anderen Abschnitte der Ringstraße. Sie schätzen
die Ufernähe, die Fernsicht auf den Kahlenberg und
das boulevardeske Treiben, das sich hier entfaltet.
Franz-Josefs-Kai, 1865. Nach einer Lithografie von Rudolf von Alt.
© Wien Museum
Rechts sind die Franz-Joseph-Kaserne und das Müller’sche
Gebäude zu sehen.
CafÉs, Hotels
und „Kai-firmen“
Die Ringstraßenplanung sah an der Wasserseite der Stadt keine
Monumentalbauten vor. Ganz in absolutistischer Tradition konzentrierten sich die Planer auf die Hofburg und ihre Umgebung. Auch
die Perspektive vom Fluss in die Stadt, die aufgrund der natürlichen
Steigungen gerade hier grandiose Bauten ermöglicht hätte, wie etwa
in Budapest, wurde nicht genutzt.
Der Franz-Josefs-Kai ist der pragmatischste Abschnitt der Ringstraße. Dafür wurde er als Erster fertig. Schon im Mai 1858 konnte
der Kaiser einen provisorischen Straßenzug eröffnen.
In den neuen Häusern ließen sich Industrielle nieder, viele hatten hier
auch ihre Firmenniederlassungen. Überwiegend handelte es sich
um Textilunternehmen, die so genannten „Kai-Firmen“.
Das „MÉtropole“
Das „Hôtel Métropole“ war das größte jener Hotels, die anlässlich der
Wiener Weltausstellung 1873 errichtet wurden. Es profitierte von der
guten Lage sowohl für den Schiffsverkehr als auch für die Bahn durch
die Nähe zum Nordbahnhof. Nach Entwürfen von Ludwig Tischler und
Carl Schumann entstand ein Haus ersten Ranges mit 360 Betten
und 60 modernen Bädern, für deren Benutzung eigenes Entgelt
eingehoben wurde. Man bezeichnete es aufgrund seiner Eigentümer
und des Publikums auch als „jüdisches Sacher“. Mark Twain mietete hier eine Suite von sieben Räumen während seines Wien-Aufenthaltes in den Jahren 1897–1899, mit einem großzügigen Rabatt, den
ihm der Direktor wegen der zu erwartenden Publicity gewährte.
Das „Hôtel Métropole“,
um 1880. © Wien Museum
Überdachter Speisesaal
des „Hôtel Métropole“
am Morzinplatz, Um 1890.
© Wien Museum
Franz-Josefs-Kai, um 1900. Postkarte. © Detroit Publishing
CafÉ Siller am
Ferdinandsplatz
So wie der Morzinplatz vom Hôtel Métropole, wurde der Ferdinandsplatz (Schwedenplatz) vom Café und Hotel Siller geprägt. Etwa 1898
wurde es von der Familie Siller eröffnet. Vor dem Ersten Weltkrieg
übernahm Josef Siller auch ein benachbartes Hotel und führte es
unter eigenem Namen ­weiter.
In Sillers Kaffeehaus gab es, als Neuheit, mehrere große Damen­
salons. Heimito von Doderer schilderte diese in seinem Roman
„Die Dämonen“. Auch Alfred Adler verkehrte hier und beriet unter
anderem, als Analytiker und Psychologe, den jungen Friedrich
Torberg. Während des Krieges wurden Café und Hotel Siller schwer
beschädigt und schließlich nach dem Tod Josef Sillers im Jahre
1949 geschlossen. An Stelle des Gebäudes wurde ein Wohnhaus
errichtet, dessen untere Geschoße heute vom „Hotel Capricorno“
genutzt werden.
„Factory-Outlet“
IM Textilviertel
Heute nur mehr schwer vorstellbar: „Wie in keinem anderen T
­ eile des
Rings drängt sich Geschäft an Geschäft“, hieß es vor dem ­Ersten
Weltkrieg. Händler sollen mögliche Kunden von der Straße und
aus den Kaffeehäusern in ihre Läden gelockt haben. Überwiegend
handelte es sich um Textilgroßhändler, die auch im Detailverkauf
­tätig waren, keine exquisite Boutiquen also, sondern Geschäfte
mit günstiger Konfektionsware, Stoffen und Nähzubehör.
Das Textil­viertel stellte eine Art Factory Outlet Center dar, die Ware
wurde oft direkt von den Erzeugern verkauft. In der NS-Zeit wurden
zahl­reiche Geschäfte „arisiert“. Nach dem Krieg ging es nochmal
bergauf, ehe in den 1970er Jahren viele Geschäfte an den Stadtrand
­zogen, die Fußgängerzone zur übermächtigen Konkurrenz wurde,
und sich vor allem das Einkaufsverhalten veränderte: Man kauft
nicht mehr in einem „Geschäft des Vertrauens“, sondern verlässt
sich auf Marke und Label.
Am Salzgries, 1878. Nach einer Zeichnung von A. Katzler für die
„Leipziger Illustrierte Zeitung“.
Badeschiff seinerzeit
Badeschiff heute
Schon 1817 gab es ein Strombad auf dem Donaukanal. Im Zuge
der Donauregulierung entstanden mehrere Strombäder, auch im
­Bereich des Franz-Josefs-Kai. Die Bäder hatten einen hygienischen
Zweck und sollten vor allem „der armen Bevölkerungsclasse“
(1888) dienen, die sich den Eintritt in teure Privatbäder, wie etwa
das Diana­bad, nicht leisten konnte. Mit dem Bau der Stadtbahn ließ
die Gemeinde um 1900 eine dritte Generation von Bade­schiffen mit
Strombädern anlegen. Dazu gehörte e
­ ines zwischen Aspernbrücke
und Schwedenplatz. Nach dem Ersten Weltkrieg ging die Besucherfrequenz in den Strombädern zurück, die Wienerinnen und Wiener
bevorzugten nun Strand- und „echte“ Schwimmbäder.
An die Badetradition im Fluss knüpft das 2009 eröffnete Bade­schiff
an. Es ist ein umgebauter Lastkahn mit einem 33 Meter­-Becken.
Im Unterschied zu den Kaltwassereinrichtungen von früher handelt
es sich allerdings um ein reguläres Schwimmbecken mit beheiztem
Wasser. Neben der Möglichkeit zur sportlichen Betätigung bietet das
Badeschiff 500 Plätze zum Entspannen und etwa 750 Gastronomieplätze. Im Laderaum des Badeschiffs wird regelmäßig zu Clubbings
geladen. Im Rahmen der Viennale ist das Badeschiff Festival-Zentrale
für Events und Gaststars. Im Unterschied zu seinen historischen
Vorgängern ist das Badeschiff eine multifunktionale Freizeitmaschine
– als Sport-, Erholungs- und Gastronomieeinrichtung.
Fechners Donau-Strombad (Concordia-Bad) beim Kettensteg
(­Salztorbrücke), 1876. Nach einer Zeichnung von G. Millmann für
„IllustriErtes Wiener Extrablatt“. © WIEN MUSEUM
Badeschiff, 2011. © Gabriele Singer
Gastgarten des Café Siller, um 1910. © Wien Museum
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