Chemieindustrie: Westfirmen positionieren sich in
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Chemieindustrie: Westfirmen positionieren sich in
3. Dezember 2004 EU-Monitor Chemieindustrie: Westfirmen positionieren sich in Osteuropa Auch die Chemieunternehmen in den neuen EU-Mitgliedstaaten aus Mittel- und Osteuropa stehen vor der großen Herausforderung, dem Wettbewerbsdruck innerhalb der Union standzuhalten. Mit dem Übergang zur Marktwirtschaft begann auch in der Chemie schon Anfang der 90er Jahren eine schrittweise Anpassung an westliche Produktions- und Qualitätsstandards, die aber noch nicht abgeschlossen ist. In den neuen EU-Mitgliedstaaten kommt die Branche derzeit auf einen Umsatzanteil an der gesamten Industrie von durchschnittlich 6%, während die Chemieindustrie in der EU-15 rd. 10% repräsentiert. Mittlerweile wächst das reale Bruttoinlandsprodukt in den MOELändern um etwa 2%-Punkte p.a. stärker als in der EU-15. Mit steigenden Löhnen und Gehältern nehmen auch die Ansprüche der osteuropäischen Konsumenten nach chemischen Erzeugnissen zu. Dazu kommt die zunehmende Nachfrage aus der Industrie (u.a. Fahrzeugbau, Bauwirtschaft). Zwischen 1998 und 2003 verdoppelte sich in den neuen Mitgliedstaaten der Verbrauch chemischer Produkte und erreichte im letzten Jahr rd. EUR 31 Mrd. (EU-15 rd. EUR 450 Mrd.). Chemieumsatz in den neuen EU-Mitgliedsländern* 25 Mrd. EUR 20 15 10 5 0 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 * Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien Quelle: CEFIC I. Ostchemie spielt in EU nur eine geringe Rolle 2003 war der Umsatz der Chemieindustrie in den fünf größten neuen Mitgliedstaaten mit EUR 22 Mrd. um etwa die Hälfte höher als vor fünf Jahren. Dennoch beträgt ihr Anteil an der EU-Chemie der erweiterten EU insgesamt nur 4%, was in etwa auch dem BIP-Anteil der neuen Mitgliedstaaten entspricht. Trotz des hohen Produktionswachstums in den letzten fünf Jahren von jährlich knapp einem Zehntel konnte der Chemieverbrauch der MOEL nicht durch die heimischen Unternehmen gedeckt werden. Daher nahmen in diesem Zeitraum die Importe ebenfalls um jährlich gut ein Zehntel zu. Dies eröffnete besonders der deutschen Chemie aufgrund ihrer geographischen Nähe Exportchancen. 2003 gingen nach Angabe des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) mit EUR 6 Mrd. etwa 7% der deutschen Chemieausfuhr in die neuen Mitgliedstaaten. Hauptabnehmer waren Polen, gefolgt von Tschechien und Ungarn. Die wichtigsten Exporterzeugnisse aus Deutschland sind Feinund Spezialchemikalien sowie Polymere; auf Rang drei folgt die Ausfuhr von Pharmazeutika. 1. Umstrukturierung noch nicht abgeschlossen In den fünf neuen Mitgliedstaaten (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien) ist die Privatisierung der chemischen Industrie in unterschiedlichem Maße vorangeschritten. Während in Ungarn und in der Slowakei der Prozess weitgehend beendet worden ist, hält der Staat in Polen und in Tschechien noch maßgebliche Anteile an bedeutenden Chemieunternehmen. In diesen Ländern ist im Zuge der anhaltenden Privatisierung damit zu rechnen, dass unrentable Anlagen stillgelegt werden. Dies dürfte bei manchen Basisprodukten der Fall sein (z.B. PVC), wo europaweit Überkapazitäten bestehen. Deutscher Chemieaußenhandel mit den neuen EU-Mitgliedsländern nach Sparten - 2003 Exporte Importe Saldo Mio. EUR Anorganische Grundchemikalien Petrochemikalien 143,5 91,5 52,0 455,2 394,7 60,5 Polymere 1.606,3 521,7 1.084,6 Fein- und Spezialchemikalien 1.663,5 193,9 1.469,6 Pharmazeutika 986,8 133,5 853,3 Agrochemikalien 192,0 206,5 -14,5 Wasch- und Körperpflegemittel 516,8 125,7 391,1 Chemie gesamt 5.564,0 1.667,6 3.896,4 Gesamter Außenhandel mit den neuen EUMitgliedsländern 55.802,8 56.955,3 -1.152,5 Quelle: Statistisches Bundesamt 2. Grundstoffchemie dominiert Aufgrund der Fokussierung auf die Schwerindustrie stand in der Vergangenheit in fast allen neuen Mitgliedstaaten die Grundstoffchemie im Vordergrund, die wegen fehlender eigener Rohstoffe von Lieferungen aus Russland bzw. der ehemaligen UdSSR abhängig Economics 11 EU-Monitor 3. Dezember 2004 war. Wegen dieser Ausrichtung dominieren auch heute noch Petrochemikalien, Polymere und Agrochemikalien die Ausfuhren der neuen Mitgliedstaaten. Lediglich Ungarn als wichtiger Pharmaproduzent nahm im Rahmen der Arbeitsteilung innerhalb des ehemaligen RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) eine Sonderstellung ein. 3. Anpassung an westliche Standards erforderlich Nachteilig wirkt sich für die Ostchemie aus, dass nach dem EUBeitritt die Anforderungen an die Produktion chemischer Erzeugnisse erheblich zugenommen haben; dies gilt insbesondere für Umweltauflagen. Vielerorts ist bereits schon im Vorgriff auf die EUMitgliedschaft investiert worden, um eine Annäherung an schärfere EU-Umweltstandards zu erreichen. Allerdings müssen die noch staatlich beherrschten Konzerne weitere Anstrengungen unternehmen. So muss z.B. Polen noch etwa gut EUR 1 Mrd. aufbringen, um die Branche voll mit den EU-Umweltstandards in Einklang zu bringen. Längerfristig wird auch in den neuen Mitgliedstaaten die restriktive EU-Chemikalienpolitik mit ihrem geplanten, gleichwohl heftig umstrittenen Regelwerk REACH (Registration, Evaluation, Authorisation of Chemicals) negativ zu Buche schlagen. Beschäftigte der Chemieindustrie in den neuen EU-Mitgliedsländern 300 in 1.000 250 200 150 100 50 0 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 Quelle: CEFIC 4. Neue Prüfverfahren belasten In der EU soll das Chemikalienrecht grundlegend geändert werden. Schon Ende 2003 verabschiedete die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine Verordnung. Zurzeit werden etwa 6.400 eingereichte Kommentare geprüft, sodass die Verordnung erst 2006 verabschiedet werden dürfte. Für alle Chemikalien, von denen jährlich eine Tonne oder mehr hergestellt wird, sieht der Entwurf eine Registrierungspflicht vor. Gleichzeitig werden die Unternehmen verpflichtet, schätzungsweise 30.000 Altstoffe innerhalb von elf Jahren nach In-Kraft-Treten der Verordnung registrieren und bewerten zu lassen. Dies belastet vor allem die Chemieindustrie in den neuen EU-Mitgliedstaaten. Besonders für Stoffe, die in kleinen Mengen hergestellt werden, dürften die Prüf- und Registrierungskosten wirtschaftlich nicht tragbar sein. Als Konsequenz könnten in den kommenden 10 bis 15 Jahren etwa 20 bis 40% aller Erzeugnisse mit weniger als 100 Tonnen Jahres- Weltchemieumsatz 1993 bis 2003 - Mrd. EUR 1993 EU-15 Deutschland EU-Neumitglieder*) 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 Veränderung 03/93 p.a. % 329,3 375,8 383,8 413,3 416,8 439,3 500,8 518,8 526,4 533,6 +4,9 102,6 112,3 110,3 118,2 116,8 121,4 135,0 133,9 132,5 136,4 +2,9 9,2 12,4 12,9 13,5 14,4 14,4 17,9 19,5 21,0 21,5 +8,9 EU-15+Neumitglieder 338,5 388,2 396,7 426,8 431,2 453,7 518,7 538,3 547,4 555,1 +5,1 USA 282,1 288,8 303,5 366,4 371,8 392,4 479,9 477,2 445,0 405,1 +3,7 Japan 178,3 190,1 170,2 179,0 158,9 188,3 240,1 213,6 192,7 177,9 ±0,0 Welt 995,6 1.140,7 1.193,5 1.320,8 1.327,7 1.435,8 1.768,6 1.838,3 1.679,9 1.618,4 +5,0 *) Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien Quelle: CEFIC 12 Economics 3. Dezember 2004 EU-Monitor produktion vom Markt verschwinden; dies wäre mit einem erhebli1 chen Arbeitsplatzabbau in der Branche verbunden. II. Bedeutung der Chemieindustrie in einzelnen neuen EU-Mitgliedsländern 1. Polen: größter Chemiehersteller Polen ist derzeit mit einem Chemieumsatz von EUR 7,8 Mrd. zwar mit Abstand der größte Produzent unter den neuen Mitgliedstaaten, wird aber in der EU-15 sogar noch von Dänemark übertroffen (EUR 8,1 Mrd.). Die Branche setzt sich aus privaten Unternehmen im inund ausländischem Besitz sowie Staatsunternehmen zusammen. Letztere haben immer noch einem Anteil von etwa zwei Fünfteln. 2003 beschloss die Regierung die Restrukturierung staatlicher Grundchemikalienhersteller. Im Rahmen des „great chemical synthesis program“ werden derzeit sechs Unternehmen neu ausgerichtet. Sie befinden sich im Besitz der Privatisierungs-Agentur Nafta Polska und sollen 2005/06 privatisiert werden. Allerdings will der Staat in Schlüsselunternehmen (z.B. der Grundstoffchemie) seinen Einfluss behalten. So sollen etwa im Vorstand dieser Unternehmen Vertreter des Schatzministeriums als Beobachter sitzen. In vielen Fällen dürfte sich die Produktpalette der Übernahmekandidaten kaum ändern. Mehrheitlich sollen polnische Marken beibehalten, ihr Image aber aufgebessert werden. In jüngster Vergangenheit haben ausländische Investoren zunächst an der schwächsten Stelle der polnischen Chemie angesetzt, der Petrochemie. Dies ist sinnvoll, da die Herstellung von Kunststoffen in Polen weiterhin gute Perspektiven hat. Der führende Kunststoffverarbeiter (Wavin) ist auf den Baubedarf spezialisiert und produziert u.a. Rohre aus PVC. Obwohl in Polen der Bedarf an Kunststoffen in den letzten Jahren stark gestiegen ist, erreicht der Pro-Kopf-Verbrauch nur etwa die Hälfte des Durchschnitts in der alten EU. Staat will Einfluss in Schlüsselindustrien behalten 2. Tschechien: Chemieverbrauch über Produktion Der Chemieumsatz in Tschechien ist mit EUR 3 Mrd. deutlich geringer als in Polen und bewegt sich in der Größenordnung Griechenlands. Der Chemieverbrauch von rd. EUR 6 Mrd. lag wie in Polen 2003 deutlich über der inländischen Chemieproduktion. Maßgeblich dafür ist die starke Nachfrage nach Kunststoffartikeln aus der Automobilindustrie. Mit einer Produktion von etwa 440.000 Einheiten (2003) ist Tschechien der größte Autoproduzent unter allen neuen Mitgliedstaaten. Allerdings kämpfen viele inländische Chemieunternehmen anderer Sparten mit dem Überleben, weil viele Erzeugnisse aufgrund von Qualitätsproblemen nur schwer zu exportieren sind. Um den Chemieauflagen in der EU zu entsprechen, müssen die Unternehmen in den kommenden zehn Jahren kräftig investieren, was zahlreiche Investoren aus Westeuropa abschreckt. Chemieumsatz der neuen EU-Mitgliedsländer Veränd. 1993 2003 03/93 p.a. - Mrd. EUR Polen Tschechien 3,4 7,8 % 8,7 2 3,2 4,8 Slowakei 0,7 3,8 18,4 Ungarn 1,9 3,4 6 Slowenien 1,2 3,3 10,6 Insgesamt 9,2 21,5 8,9 3. Ungarn: in den MOEL wichtiger Pharmaproduzent In Ungarn (Chemieumsatz: EUR 3 Mrd.) wirkt die zunehmende Exportorientierung der Pharmaindustrie positiv auf die gesamte Chemieindustrie. 2003 expandierte die Pharmaausfuhr um etwa ein Viertel; 2004 setzte sich diese Entwicklung sogar noch verstärkt fort. Alle wichtigen lokalen Hersteller befinden sich inzwischen in der Hand von internationalen Pharmakonzernen, mit der Ausnahme von Richter Gedeon dem größten Hersteller. Hier wird das Kapital mehr1 Perlitz, Uwe (2003): Chemieindustrie, Imagewandel durch forcierten Umweltschutz; in: Aktuelle Themen Nr. 253, Deutsche Bank Research, Frankfurt am Main. Economics 13 EU-Monitor heitlich von internationalen Investoren gehalten. Dem Unternehmen ist es gelungen, sich gut als Lieferant in der EU und den USA zu positionieren; hier wird inzwischen ein Drittel des Umsatzes erwirtschaftet. Das Unternehmen unterhält drei Werke in Ungarn und hat vier ausländische Tochterunternehmen (in Russland, der Ukraine, Rumänien und Polen). Die Produktpalette umfasst etwa 100 Medikamente, die das ganze Therapiespektrum abdecken. Zum zweitwichtigsten Unternehmen hat sich inzwischen Chinoin entwickelt, das zur Sanofi-Aventis Gruppe gehört. Das Unternehmen hat 2002 einen längerfristigen Investitionsplan in Angriff genommen. Mit etwa EUR 200 Mio. sollen die Produktionsanlagen in Ungarn modernisiert und erweitert werden. 4. Slowakei: im Standortwettbewerb an Boden gewonnen Die slowakische Chemieindustrie hat mit drastischen Reformen im harten Standortwettbewerb merklich an Boden gewonnen. In den letzten zehn Jahren stieg der Umsatz um jährlich knapp ein Fünftel – weit stärker als in den anderen neuen Mitgliedstaaten. Die Importe erreichten 2003 rd. EUR 3 Mrd. gegenüber nur 0,6 Mrd. in 1993. Maßgeblich dafür war der kräftige Wirtschaftsaufschwung in der Slowakei – vor allem durch wachsende Investitionen und eine sich deutlich erholende Inlandsnachfrage. Dies eröffnete westlichen Anbietern von Investitions- und Konsumgütern gute Perspektiven. Eine Rolle für den Bedeutungsgewinn als Produktionsstandort mag auch spielen, dass hier die Löhne im Vergleich zu den Nachbarländern Polen, Tschechien und Ungarn besonders niedrig sind. 3. Dezember 2004 Pharmamarkt der neuen EU-Mitgliedsländer - Umsatz 2002 - Slowakei 7% Slowenien 5% Baltische Länder 6% Polen 47% Tschechien 15% 5. Slowenien: Chemie auf Expansionskurs Die chemische Industrie Sloweniens gehört mit einem Umsatz von gut EUR 3 Mrd. zu den wenigen Industriebranchen des Landes, die sich auf Expansionspfad befinden. Die Hersteller von Teilen und Vorprodukten für die Automobilindustrie waren schon früh gezwungen, die EU-Binnenmarktvoraussetzungen zu erfüllen, um bei Ausschreibungen und der Auftragsvergabe berücksichtigt zu werden. Zudem spielt die gute Position der Pharmaindustrie eine Rolle, vor allem die Exporte des Generika-Herstellers Lek in die USA. Zu den bedeutendsten Sparten der Chemie zählt auch die Farben- und Lackproduktion. Die Branche profitiert besonders von der sich belebenden Bauwirtschaft und von der verstärkten Nachfrage der Automobilindustrie. Zudem werden viele Erzeugnisse an Baumärkte in Westeuropa geliefert. Ungarn 20% Quelle: BPI BIP-Wachstum der neuen EU-Mitgliedsländer neue EU-Mitgliedsländer III. Tendenzen: Wirtschaftsentwicklung begünstigt Chemieverbrauch In Zukunft dürfte das BIP-Wachstum in den neuen EU-Mitgliedstaaten weiter merklich höher liegen als in der EU-15. Die entsprechenden Wachstumsraten reichen laut DB Research (2004/05) von 3% in Tschechien bis 7% in Litauen. Eine derartige expansive Wirtschaftsentwicklung begünstigt auch den Chemieverbrauch dieser Länder. Allerdings sollten die Unternehmen vermehrt der Nachfrage in ihrer Region gerecht werden, indem sie ihre Produktpalette ändern und die Qualität ihrer Erzeugnisse verbessern. Hier besteht im Zuge der Privatisierung die Möglichkeit, vom westlichen Know-how zu profitieren. Dadurch können die Unternehmen aus diesen Ländern einerseits ihre Wettbewerbsposition auf den Heimatmärkten stärken und mehr absetzen, andererseits ihre Exportchancen verbessern. 14 Economics 6 gg. Vj. % 5 4 EU-15 3 2 1 0 99 00 01 Quelle: DB Research 02 03 04 05 3. Dezember 2004 EU-Monitor 1. Osteuropäische Märkte zunehmend durch Westfirmen geprägt Die günstigen Standortbedingungen (niedrige Löhne, geringe Steuern und Abgaben sowie EU-weit einheitliche Standards) ziehen zunehmend weitere Chemiefirmen in den Osten. Die durchschnittlichen Arbeitskosten je Stunde kommen in der Chemieindustrie der Beitrittsländer nach VCI-Angabe nur auf EUR 5 je Stunde, gegenüber rd. EUR 27 in den EU-15. Allerdings liegt die Arbeitsproduktivität in den neuen Mitgliedstaaten nur bei etwa 50% des EU-15Durchschnitts. Dabei bestehen zwischen den Ländern große Unterschiede: Ungarn und Slowenien erreichen deutlich über 60% des alten EU-Durchschnitts, während die Produktivität der baltischen Staaten weit unterdurchschnittlich ausfällt. Sie wächst allerdings in allen östlichen Ländern, so dass allmählich eine Annäherung an die EU-15 erfolgt; allerdings gilt das dann auch für die Löhne. Ein weiteres Problem ist die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitnehmern. Die Investitionen der deutschen Chemieindustrie in den neuen Mitgliedstaaten sind in den letzten Jahren merklich gestiegen. Nach den arbeitsintensiven Bereichen investiert nun auch die kapitalintensive Chemie immer mehr in Osteuropa. Viele Abnehmer der chemischen Industrie haben inzwischen Produktionsanlagen in den neuen Mitgliedstaaten errichtet. Im Branchenvergleich hat die chemische Industrie laut Angabe des VCI bei den Direktinvestitionen in den neuen Mitgliedstaaten die Elektroindustrie und den Maschinenbau überholt und liegt nach der Automobilindustrie auf dem zweiten Platz. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, ist ein direkter Kundenkontakt oft unerlässlich; zudem lockt die Nähe zu den weiter östlich gelegenen Märkten. Ferner sind die Kosten für den Anlagenbau relativ niedrig und die Genehmigungsverfahren für neue Betriebe weitaus kürzer als in Deutschland. Inzwischen gibt es in den neuen Mitgliedstaaten nach Angabe des VCI etwa 90 Tochterunternehmen in deutschem Besitz mit etwa 14.000 Beschäftigten, die einen Umsatz von EUR 2 Mrd. erwirtschaften; das entspricht etwa einem Zehntel des gesamten Chemiemarktes in den neuen Mitgliedstaaten. Der wichtigste Standort für deutsche Investitionen ist Polen, gefolgt von Ungarn und Tschechien. Investitionen der Chemieindustrie in den neuen EU-Mitgliedsländern Mrd. EUR 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 Quelle: CEFIC Dabei wundert es nicht, dass sich ausländische Investoren vor allem in den Zweigen der Chemie engagieren, bei denen großer Nachholbedarf besteht. Dies betrifft auch die konsumnahen Bereiche wie Körperpflege- und Reinigungsmittel, Farben und Lacke sowie Pharmazeutika. Führende Markenartikler wie Unilever, Procter& Gamble sowie Henkel sind bereits heute in mehreren mittel- und osteuropäischen Ländern mit eigenen Produktionsanlagen vertreten. Diese Position wurde sowohl durch den Erwerb lokaler Hersteller als auch durch Gründung von neuen Tochtergesellschaften erreicht. 2. Industrie in Osteuropa expandiert Zu dem Wachstum der Chemienachfrage in den neuen EU-Mitgliedstaaten haben sowohl die steigende Bedeutung von Abnehmerindustrien der chemischen Industrie (z.B. Automobilindustrie, Bauwirtschaft) in Osteuropa als auch der zunehmende private Verbrauch geführt. a) Vermehrter Bedarf der Automobilindustrie Die Chemieindustrie knüpft ihre Hoffnungen vor allem an die wachsende Automobilindustrie in Osteuropa, da ein steigender Anteil am Gewicht eines Automobils auf Kunststoffe entfällt (2004: 13%; 1980: erst 8%). In Mittel- und Osteuropa hat sich die Auto-Branche zu Economics Pkw-Dichte in Europa* 1995 2003 EU-15 443 501 EU-Neumitglieder 224 300 Ungarn 226 275 Polen 196 294 Tschechien 334 363 * Anzahl der Kraftwagen je 1.000 Einwohner Quellen: VDA, eigene Berechnungen 15 EU-Monitor 3. Dezember 2004 einem der wichtigsten Wachstumsträger entwickelt. Zwischen 1995 und 2003 legte die Produktion um insgesamt etwa 70% auf 1,3 Mio. Fahrzeuge zu, während das Wachstum in der EU-15 deutlich geringer ausfiel (+10%). Bis 2000 war Polen der führende Automobilstandort Osteuropas. Die bedeutendsten Hersteller sind Fiat und Opel, die zusammen 80% der Produktion von zuletzt rd. 360.000 erreichen. Inzwischen übernahm Tschechien die Spitzenposition, wo die Produktion in den vergangenen acht Jahren um jährlich knapp ein Zehntel zunahm. Der mit Abstand größte tschechische Hersteller ist Škoda (VW-Konzern). Das Produktionsvolumen der Automobilindustrie in den neuen EU-Mitgliedstaaten ist derzeit noch gering, dürfte aber in den kommenden zehn Jahren nach Stückzahlen um durchschnittlich knapp 10% p.a. wachsen. Dafür spricht auch die geringe Pkw-Dichte von nur 300 Autos pro 1.000 Einwohner, gegenüber 500 in der EU und 2 550 in Deutschland. Entwicklung der realen Bauinvestitionen 2003 2006 - Mrd. EUR - b) Impulse durch zunehmende Bauinvestitionen Polen Zudem bestehen für die Chemieindustrie günstige Absatzperspektiven durch die expandierende Bautätigkeit. Die Bauinvestitionen dürften nach einer Analyse von Euroconstruct in den neuen Mitgliedstaaten bis 2006 um jährlich knapp ein Zehntel auf EUR 45 Mrd. zulegen, während das Wachstum in Westeuropa nur etwa 1,5% p.a. beträgt. Allerdings ist das Volumen hier erheblich höher (2004: EUR 1.000 Mrd.). Nachholbedarf besteht in den neuen Mitgliedstaaten in allen Bausegmenten. Im Zuge der Restrukturierung großer Industriekombinate und des Aufbaus neuer Produktionsstätten westeuropäischer Unternehmen im Osten ist hier mit hohen Investitionen zu rechnen. Veränderung 06/03 p.a. % 18,5 24,0 +9,1 Ungarn 8,0 9,8 +7,0 Tschechien 7,4 9,0 +6,7 Slowakei 1,7 1,9 +3,8 35,6 44,7 +7,9 1.016,0 1.065,0 +1,6 EUNeumitglieder Westeuropa Deutschland 195,4 199,8 +0,7 Quelle: EUROCONSTRUCT 3. Nachholbedarf im Konsumbereich groß Auch die konsumabhängigen Bereiche der Chemie sind auf Expansion ausgerichtet, begünstigt durch die positive Einkommensentwicklung. In Polen ist z.B. eine Renaissance eigener Marken zu erkennen, deren Qualität sich allmählich westlichen Pendants angleicht. Dadurch können sich – trotz Präsenz großer internationaler Konzerne – einheimische Hersteller relativ gut behaupten. Besonders positioniert sind Firmen, die auf preisgünstige Massenprodukte gesetzt haben, wie Ziaja Kosmetyki in Polen. Das Angebot der Firma umfasst inzwischen etwa 130 Produkte – u.a. Gesichts-, Körperund Haarpflegemittel. Nachdem die Firma bereits in den baltischen Staaten präsent ist, will sie verstärkt Supermärkte in Deutschland und den USA beliefern. Insgesamt hat der Markt für Körperpflegemittel noch ein beträchtliches Wachstumspotenzial. Daher fertigen auch ausländische Konzerne wie Beiersdorf, Avon, Johnson&Johnson und L’Oréal bereits in den neuen Mitgliedstaaten. Entwicklung des Chemieumsatzes in Europa 2003 2005 2010 - Mrd. EUR - % 533,6 590 750 +5,0 Deutschland 136,4 145 170 +3,2 EUNeumitglieder* 21,5 25 35 +7,2 4. Chemieproduktion in neuen Mitgliedstaaten bleibt gering … EU-15 + Neumitglieder 555,1 615 785 +5,1 Alles in allem rechnen wir für die neuen EU-Mitgliedsländer bis 2010 mit einer Zunahme der Chemieumsätze von derzeit EUR 22 auf EUR 35 Mrd.). Die Zuwachsrate von rd. 7% p.a. liegt über dem erwarteten Wachstum von 5% p.a. für die EU-15 und Deutschland (+3% p.a.). Allerdings ist hier das Niveau (2003) mit EUR 534 Mrd. bzw. 136 Mrd. dramatisch höher. Der Anteil der neuen Mitgliedstaa- Welt 1.618,4 1.785 2.280 +5,0 2 16 Heymann, Eric (2004): Automobilmarkt Osteuropa, Produktionsstandort dauerhaft wichtiger Absatzmarkt; in: EU-Monitor Nr. 15, Deutsche Bank Research, Frankfurt am Main. Economics EU-15 Veränderung 10/03 * Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien Quellen: CEFIC, DB Research 3. Dezember 2004 EU-Monitor ten am Chemieumsatz der erweiterten EU dürfte dann nur marginal von rd. 4 auf 5% zulegen. … aber wachsender Chemieverbrauch durch Importe Die Chemieimporte der neuen Mitgliedstaaten nehmen auch weiterhin stark zu. Zum einen steigt der Verbrauch als Folge des zu erwartenden dynamischen Wirtschaftswachstums. Zum anderen verlangt der Markt Erzeugnisse in hoher Qualität, die in den MOE-Staaten auf absehbare Zeit noch immer nicht in ausreichender Menge hergestellt werden können. IV. Fazit In den neuen EU-Mitgliedsländern wurde zwar schon viel für die Modernisierung der Chemieindustrie getan. Ein Blick auf die Kennzahlen zeigt aber, dass noch ein langer Weg zurückzulegen ist, um das westeuropäische Produktivitätsniveau zu erreichen. Ferner muss die Qualität der Erzeugnisse verbessert und die Produktpalette bedarfsgerecht geändert werden. Da dies noch längere Zeit in Anspruch nehmen dürfte, ist dank des wirtschaftlichen Aufschwungs in den MOE-Ländern auch in Zukunft mit kräftigen Chemieimporten aus Westeuropa zu rechnen. Der Privatisierungsprozess ist noch nicht in allen Ländern abgeschlossen, weil potenzielle Investoren die beträchtlichen Finanzmittel für die Umschuldung und die Modernisierung (inkl. Umweltschutz) scheuen – wohl auch deshalb, weil weltweit und in Westeuropa Überkapazitäten bestehen. Zudem will der Staat, wie in Polen, ein Mitspracherecht bei der Restrukturierung behalten – besonders was den Abbau von Arbeitsplätzen betrifft. Insgesamt scheint die Chemieindustrie in den MOE-Ländern aber auf gutem Wege, den Anpassungsprozess zu meistern. Chemieimporte & -exporte der neuen EU-Mitgliedsländer Mrd. EUR 25 20 15 Importe 10 Exporte 5 0 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 Quelle: CEFIC Uwe Perlitz, +49 69 910-31875 ([email protected]) Economics 17