Karfreitagspredigt über Johannes 19,16-30

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Karfreitagspredigt über Johannes 19,16-30
Predigt über Johannes 19,16-30
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Amen.
Zum heutigen Karfreitag hören wir den Bericht von der Kreuzigung Jesu, wie ihn der Evangelist
Johannes aufgezeichnet hat (19,16-30):
16 Pilatus überantwortete Jesus, dass er gekreuzigt würde. Sie nahmen ihn aber,
17 und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha.
18 Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte.
19 Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von
Nazareth, der König der Juden.
20 Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt.
Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache.
21 Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreib nicht: Der König der Juden, sondern, dass
er gesagt hat: Ich bin der König der Juden.
22 Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.
23 Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile, für
jeden Soldaten einen Teil, dazu auch das Gewand. Das war aber ungenäht, von oben an gewebt in einem
Stück.
24 Da sprachen sie untereinander: Lasst uns das nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören
soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19): »Sie haben meine Kleider unter sich
geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten.
25 Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des
Klopas, und Maria von Magdala.
26 Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter:
Frau, siehe, das ist dein Sohn!
27 Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der
Jünger zu sich.
28 Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde:
Mich dürstet.
29 Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein
Ysoprohr und hielten es ihm an den Mund.
30 Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! und neigte das Haupt und
verschied.
Liebe Gemeinde,
die Würfel sind gefallen! Diesen berühmten Satz sagte Julius Cäsar im Jahr 49 v. Chr., als er mit seiner
Armee den Rubikon überschritt und in die waffenfreie Zone nach Rom eindrang. Den römischen
Bürgerkrieg konnte er siegreich für sich entscheiden.
Achtzig Jahre später sind auf einem Hügel bei Jerusalem die Würfel gefallen. Nicht nur über dem
Gewand Jesu. Auch hier ist der Kampf entschieden: „Es ist vollbracht.“
I
Julius Cäsar sagte: „Die Würfel sind gefallen.“ Pilatus sagt: „Was ich geschrieben habe, das habe ich
geschrieben.“ Es wird nicht mehr rückgängig gemacht: Dort am Kreuz hängt er, der König der Juden. Am
Kreuz wird wie immer eine Inschrift angebracht, ein Schuldtitel, damit jeder lesen kann, für welches
Vergehen der Gekreuzigte hingerichtet wird. Das soll natürlich der Abschreckung dienen: Wer so etwas
tut, wird auch so enden.
„Jesus von Nazareth, der König der Juden.“ Das ist das Vergehen von Jesus. Aus römischer Sicht ein
politisches Vergehen. Denn die theologischen Streitigkeiten, ob Jesus Gottes Sohn war, ob er Sünden
vergeben konnte oder ob er am Feiertag Kranke heilen durfte – diese theologischen Streitigkeiten haben
einen Römer wie Pilatus nicht interessiert. Wenn aber der Königstitel ins Spiel kam, wurden die Römer
hellhörig. So jemand konnte ein politischer Aufrührer sein. Und mit solchen machten die Römer kurzen
Prozess, auch um mögliche Nachahmer abzuschrecken. Und diejenigen aus der jüdischen Führung, die
Jesus beseitigen wollten, versuchten ihn deshalb bei Pilatus als politischen Aufrührer anzuschwärzen.
Deshalb diese Kreuzesinschrift: „Jesus von Nazareth, der König der Juden.“
Pilatus selbst hielt Jesus kaum für einen Aufrührer. Nach dem Verhör wollte er Jesus freilassen. Nur weil
die Gegner Jesu ihn dazu drängen, fällt er schließlich das gewünschte Todesurteil. Seine Kreuzesinschrift,
über die sich die Oberpriester dann ärgern, ist seine kleine Rache: Wenn ihr diesen Mann unbedingt am
Kreuz sehen wollt, dann kreuzigt ihr mit ihm euren König und alle Hoffnungen auf ein neues Königreich
Israel.
Doch wenn auch nicht wirklich ernst gemeint, drückt die Kreuzesinschrift doch eine tiefe Wahrheit aus:
Jesus ist wirklich ein König, auch wenn sein Reich nicht von dieser Welt ist, wie er im Verhör vor Pilatus
gesagt hat. Jesus ist der König der Juden, den Gott auserwählt und gesandt hat. Doch dieser König kommt
nicht, um politische Befreiung zu bringen, sondern Befreiung von Schuld, für die er am Kreuz stirbt. Er
bringt seinem Volk nicht die Rückkehr zur politischen Unabhängigkeit, sondern eröffnet ihnen den Weg
zurück zu ihrem Gott.
Deshalb steht auch Jesu Kreuz in der Mitte zwischen beiden anderen: Der Platz in der Mitte ist immer der
Ehrenplatz für den König. Und was ist das hier für ein Ehrenplatz! Ein Platz mitten unter Sündern und
Verbrechern! Hier schließt sich der Kreis, der beim ersten öffentlichen Auftritt Jesu begonnen hatte, bei
seiner Taufe: Dort hatte er sich mit den anderen Sündern in die Schlange gestellt, um die Bußtaufe des
Johannes zu empfangen. Jetzt hängt er gemeinsam mit anderen Sündern am Kreuz. Was für ein König: Er
nimmt seinen Platz unter den Sündern ein und trägt ihre Strafe, um sie nach Hause zu bringen in das
Reich seines Vaters. Das ist seine Erhöhung auf dem Königsthron des Kreuzes, die er schon dem
Schriftgelehrten Nikodemus angekündigt hatte: „Der Menschensohn muss erhöht werden, damit alle, die
an ihn glauben, das ewige Leben haben.“1 Die Würfel sind gefallen: Jesus ist König.
Johannes berichtet übrigens als einziger unter den vier Evangelisten davon, dass die Kreuzesinschrift Jesu
in drei Sprachen abgefasst ist: in der Landessprache Hebräisch, in der Sprache des Volkes, als dessen
König Jesus gekreuzigt wird; in der Amtssprache Lateinisch, der Sprache der Besatzungsmacht; und der
internationalen Verkehrssprache Griechisch, die damals in etwa das war, was heute Englisch ist. Jeder in
Israel und auf der ganzen Welt soll verstehen können, wer hier am Kreuz hängt: der König und Retter der
Welt. Vielleicht legt Johannes deshalb so großen Wert auf dieses Detail, weil er schon früher in seinem
Evangelium davon gesprochen hatte: Nachdem die Frau am Brunnen im Gespräch mit Jesus zum Glauben
gefunden hatte, sagen später die Menschen aus ihrer Stadt zu ihr: „Wir selbst haben gehört und wissen,
dass dieser wahrhaftig der Retter der Welt ist.“2 Der, der hier am Kreuz hängt, ist „Gottes Lamm, das der
Welt Sünde trägt!“3 Jesus ist der Retter für Juden und Heiden, für Griechen und Römer, für die, die ihn
ans Kreuz brachten, für die, die dabeistanden, und für die, die jetzt oder später in aller Welt davon hören.
Das geht die ganze Welt an! Deshalb ist die Inschrift am Kreuz in drei Sprachen abgefasst und wird auch
nicht mehr geändert. Die Würfel sind gefallen: Jesus ist König und Retter der Welt.
II
Und nun teilen die Soldaten die Kleider des Königs unter sich auf. Sein ungenähtes Gewand zerteilen sie
jedoch nicht, sondern würfeln darum. Später lesen die Jünger und die ersten Christen in ihrer Bibel nach
und verstehen: Dies eine von vielen Einzelheiten des Kreuzigungsgeschehens, in denen sich Gottes Plan
erfüllt, sein Erlösungsplan für die Welt. Im 22. Psalm, aus dem wir vorhin Teile gebetet haben, heißt es:
»Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.«. Nach
Ostern wird es den Jüngern auf einmal klar: Dieser Psalm ist nicht nur eine Klage Davids, sondern hier
kündigt sich bereits an, was Gott eines Tages tun würde, um der Welt die Erlösung zu bringen.
Dieses Teilen der Kleider ist also viel mehr als nur ein makabres Ritual am Rand einer Hinrichtung. Jesu
Gewand ist ungenäht, in einem Stück von oben bis unten gewebt – so, wie es seinerzeit auch das Gewand
des Hohenpriesters war! Und die Aufgabe des Hohenpriesters war es, einmal im Jahr im Allerheiligsten
des Tempels ein Opfer darzubringen, um bei Gott Vergebung für die Sünden des Volkes zu erwirken.
Und was tut dieser Hohepriester, um dessen Gewand hier gewürfelt wird? Er bringt sich selbst zum
Opfer, um ein für allemal und für alle Menschen Vergebung der Sünden zu erwirken! Das ist das große
Thema im Hebräerbrief; der Evangelist Johannes deutet es hier nur an.
1
Johannes 3,14+15.
Johannes 4,42.
3
Johannes 1,29.
2
Doch im Würfeln um Jesu Gewand steckt noch eine tiefere Bedeutung. Als die ersten Menschen im
Paradies gegen Gott gesündigt hatten, hatte dies sofort eine sehr spürbare Folge: Sie entdeckten, dass sie
nackt waren, und schämten sich. Schuld und Scham gehören zusammen, das gilt für alle Menschen und
zeigt sich hier am Beispiel von Adam und Eva. Die Übertretung Adams, des ersten Menschen, hatte
Schuld und Scham über alle Menschen gebracht. Und jetzt nimmt Jesus die Schuld aller Menschen auf
sich und erträgt für sie die Scham, entblößt und nur mit einem Lendenschurz bekleidet am Kreuz zu
hängen, den Blicken der vielen Menschen hilflos ausgeliefert. Jesus tritt an die Stelle der Sünder, er stirbt
für die Sünde der Menschheit. Das zeigt sich eindrücklich daran, dass er schmachvoll entkleidet wird und
die Soldaten seine Kleider unter sich aufteilen. Jesus erträgt für uns und für alle Menschen die Scham der
Nacktheit. Die Würfel sind gefallen: Jesus stirbt für die Sünde der Menschheit.
III
Das Geschehen am Kreuz steuert seinem Höhepunkt zu. Jesus weiß, dass sein Erlösungswerk nun
vollbracht ist. So sagt er: „Mich dürstet.“ Und die Soldaten geben ihm Essig zu trinken. Darunter haben
wir uns wohl nicht Essig in unserer heutigen Form vorzustellen, sondern einen billigen, sauren Wein, den
sich die Soldaten selbst als Erfrischungsgetränk mitgebracht hatten. Sie tränken einen Schwamm damit,
stecken ihn auf einen Ysopstängel und führen ihn Jesus zum Mund. Auch darin erfüllt sich Gottes Plan,
wie er in der heiligen Schrift schon vorgezeichnet war. In Psalm 69 heißt es: „Sie geben mir Essig zu
trinken für meinen Durst.“4 Und dass die Soldaten dazu ausgerechnet einen Ysopzweig verwenden, ist
sicher auch kein Zufall: In der Nacht, bevor die Israeliten aus Ägypten auszogen, strichen sie das Blut des
Passahlammes an ihre Türpfosten – mit einem Ysopzweig.5 Und der Todesengel, der in dieser Nacht
durch Ägypten ging, um alle Erstgeborenen zu töten, ging vorbei an den Häusern, an denen er das Blut
des Lammes sah. Auch bei Jesu Kreuzigung wird nun Ysop verwendet: Jesus ist das Lamm Gottes,
dessen Opfer allein uns vor dem Tod und der ewigen Verlorenheit bewahren kann.
Jesus ist diesem Opfer nicht ausgewichen. Für dich und für mich hat er es auf sich genommen. Dabei
hätte es durchaus noch anders ausgehen können. Gleich nach Jesu Taufe führt ihn der Satan in
Versuchung und verspricht ihm alle Reiche dieser Welt6 – was sicher viel angenehmer für Jesus gewesen
wäre, als am Kreuz zu sterben. Aber dann hätte auch kein Mensch aus Schuld und Verlorenheit errettet
werden können, die Heimkehr zu Gott wäre uns für immer versperrt geblieben.
Und noch einmal kommt Jesus für kurze Zeit ins Wanken: Kurz vor seiner Verhaftung bittet er Gott
darum, dass der Kelch des Leidens an ihm vorübergehen möge.7 Und doch findet er schließlich seinen
Frieden darin, dem Willen seines himmlischen Vaters zu folgen. So nimmt er es für uns in Kauf, qualvoll
leiden und sterben zu müssen.
Jetzt, am Kreuz, gibt es kein Wanken und Zögern mehr. Jesus hat das Erlösungswerk zu Ende geführt,
das sein Vater ihm aufgetragen hatte. Nichts kann es mehr rückgängig machen. Und so sagt Jesus dieses
bedeutungsvolle letzte Wort: „Es ist vollbracht.“ Das heißt nicht einfach: „es ist zu Ende“, geschweige
denn: „es ist überstanden“, sondern: „es ist zu Ende gebracht“. Und zwar ist alles vollbracht jetzt, da in
den Augen der Welt alles gescheitert ist. Die Würfel sind gefallen: Das Erlösungswerk ist vollbracht.
Das alles hat er für dich getan. Für dich hat er all das auf sich genommen. Er hätte einen bequemeren
Weg gehen können. Aber Jesus wollte nicht, dass du für immer von Gott getrennt bleibst. Deshalb war er
bereit, für dich zu sterben. Die Würfel sind gefallen, die Zeichen stehen auf Erlösung. Jetzt musst du nur
noch mit deiner Figur auf dem Spielfeld den Zug tun, den dir die Würfel anzeigen, und sein Geschenk
annehmen. Das kann ein einfaches Gebet sein: „Danke, Herr Jesus, dass du für mich gestorben bist. Sei
du auch mein Erlöser.“ Und wenn du ihn schon angenommen hast, dann nimm diesen Karfreitag zum
Anlass, Jesus dafür zu danken, dass er deinetwegen das alles auf sich genommen hat.
Die Würfel sind gefallen: Jesus ist König und Retter der Welt.
Die Würfel sind gefallen: Jesus stirbt für die Sünden der Menschheit.
Die Würfel sind gefallen: Das Erlösungswerk ist vollbracht.
Die Würfel sind gefallen – jetzt bist Du am Zug!
Amen.
4
Psalm 69,22.
2. Mose 12,22.
6
Matthäus 4,8.
7
Markus 14,36.
5