Leitliniengerechte Therapie bei multimorbiden Patienten
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Leitliniengerechte Therapie bei multimorbiden Patienten
Leitliniengerechte Therapie in der Geriatrie Univ.-Prof. Dr. med. Ralf-Joachim Schulz Lehrstuhl für Geriatrie der Universität zu Köln Klinik für Geriatrie am St. Marien-Hospital Kunibertskloster 11-13 50668 Köln Die Geriatrie typische Multimorbidität • Geriatrietypische Multimorbidität ist die Kombination von Multimorbidität und geriatrietypischen Befunden bzw. Sachverhalten. • Multimorbidität wird wie folgt definiert: Ein Patient ist multimorbide, wenn er multiple strukturelle oder funktionelle Schädigungen (nach ICIDH/ICF)1 bei mindestens zwei behandlungsbedürftigen Erkrankungen aufweist. 1) ICF = Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (WHO, 2001), Fortschreibung der ICIDH = Internationale Klassifikation der Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen (WHO, 1980) Universität zu Köln Lehrstuhl für Geriatrie Klinik für Geriatrie am St. Marien-Hospital Arzneimittelverbrauch in definierten Tagesdosen (DDD) je Versichertem in der GKV 2007 SACHVERSTÄNDIGENRAT zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen Universität zu Köln Lehrstuhl für Geriatrie Klinik für Geriatrie am St. Marien-Hospital Auf sehr individuelle Art und Weise: Universität zu Köln Köln Universität für Geriatrie Geriatrie Lehrstuhl für für Geriatrie Geriatrie am am St. St. Marien-Hospital Marien-Hospital Klinik für Der geriatrische Patient Notaufnahme Schaps, Kessler, Fetzner: Querschnittsbereiche. Springer Medizin Verlag Heidelberg 2008. Universität zu Köln Lehrstuhl für Geriatrie Klinik für Geriatrie am St. Marien-Hospital Mangelernährung und die geriatrischen Syndrome Intellektueller Abbau Sturz Mangelernährung Depression, soziale Isolation Immobilität Inkontinenz Universität zu Köln Lehrstuhl für Geriatrie Klinik für Geriatrie am St. Marien-Hospital Krankheiten in der Geriatrie Normalität des Alterns von Krankheit abgrenzen Atypische Krankheitsverläufe im Alter erkennen Altersangepasste Normwerte fehlen häufig Krankheiten gewichten Leitlinientherapie bei Multimorbidität? Therapie – Begrenzung auf das Wesentliche Die Grenzen des „Machbaren“ erkennen & vermitteln Erschwerte Organmedizin bei Demenz Rehabilitation wohnortnah Umfeldbezogenheit – Familie und Wohnform Universität zu Köln Lehrstuhl für Geriatrie Klinik für Geriatrie am St. Marien-Hospital Problematik Mangel an RCT mit geriatrischen Probanden Mangel an geriatrischen Leitlinien in Deutschland : 2 Wachsende Anzahl älterer Menschen mit potentiellem Handlungsbedarf: 16,5 Mio Universität zu Köln Lehrstuhl für Geriatrie Klinik für Geriatrie am St. Marien-Hospital Geriatrische Leitlinien Universität zu Köln Lehrstuhl für Geriatrie Klinik für Geriatrie am St. Marien-Hospital Geriatrische Leitlinien Universität zu Köln Lehrstuhl für Geriatrie Klinik für Geriatrie am St. Marien-Hospital Nur ein Viertel aller Leitlinien enthält Angaben zum höheren Lebensalter B. Weiss: Z Gerontol Geriat 2011. 44:85-90 Universität zu Köln Lehrstuhl für Geriatrie Klinik für Geriatrie am St. Marien-Hospital Aspekt der Multimorbidität in 5 Leitlinien der AWMF • Myasthenia gravis • Extrapyramidalmotorische Störungen/Parkinsonsyndrom • Osteoporose • COPD • Ambulant erworbene Pneumonie Universität zu Köln Lehrstuhl für Geriatrie Klinik für Geriatrie am St. Marien-Hospital Leitlinien und EBM • „gold standard“ for evidence in EBM = blinded, prospective randomized clinical trial (RCT) which eliminates bias (Ramsdale E et al 2013) • EBM is based on RCT (Ramsdale E et al 2013) • EBM = conscientious, explicit, and judicious use of of current best evidence in making decisions about care of individual patients (Sackett DL et al 1996) Universität zu Köln Lehrstuhl für Geriatrie Klinik für Geriatrie am St. Marien-Hospital RCT und geriatrische Probanden • Multimorbide ältere Patienten werden aus RCTs ausgeschlossen • Wenn Einschluss, dann nur die mit geringsten organischen und funktionellen Einschränkungen und fehlender Demenz (Zulman DM et al 2011) • Beispiel Onkologie: 60% aller Tumorpatienten, aber nur 25% aller Studienprobanden (Murthy VH et al 2004) Geriatrische Probanden …sind problematisch für Rekrutierung weil: - Polymedikation mit schlecht einschätzbaren Wechselwirkungen und potenzierten NW - Multimorbiditätskette - Untypische Symptomatik im höheren Lebensalter - Kognitive Defizite - Limitierte Lebenserwartung - Studienziele: weniger ÜLZ, mehr ADL-Kompetenz und LQ Problem EBM und Multimorbidität Schwierigkeit der direkten Übertragung von Studienergebnissen auf den komplex erkrankten, multimorbiden geriatrischen Patienten (Boyd CM et al 2005) Indikationen und Risiken von PPI im Kontext von Leitlinien Indikationen (therapeutisch) • Refluxkrankheit (intermittierend symptomatisch) und Refluxösophagitis • Kombinationstherapie zur Helicobacter pylori Eradikation • Gastrale und duodenale Ulcera • Säurebedingte Dyspepsie (niedrig dosiert!) • Zollinger-Ellison-Syndrom (einzige gesicherte Indikation für lebenslange Behandlung) Vor Therapiebeginn Diagnose endoskopisch sichern und Malignität ausschließen. Durch Therapie Verschleierung von Symptomen möglich. Indikationen (Prophylaktisch) • Rezidivprophylaxe einer Refluxösophagitis • Säureaspirationsprophylaxe bei Vollnarkosen (Risikopatienten) • Komedikation bei Therapie mit NSAID und ASS (langfristig niedrig dosiert) - gesicherte Indikation bei NSAID induziertem Ulcus in der Anamnese • Prophylaxe von intestinalen Erosionen und Ulzerationen für Risikopatienten: Alter > 65 Jahre, Ulkusanamnese, Antikoagulanzientherapie, Helicobacter-Besiedlung und Komedikation mit Kortikosteroiden • Ulkusprophylaxe bei kritisch kranken Patienten (Intensivpatienten, Leber- und Niereninsuffizienz) • Gastrointestinale Blutungsprophylaxe bei hospitalisierten Patienten Bei Langzeittherapie (> 1 Jahr) Therapieindikation und NutzenRisiko-Abwägung jährlich überprüfen. Kontraindikationen • Allergie / Überempfindlichkeit gegen einen Wirkstoff (ausweichen) oder andere Bestandteile des Medikaments (z.B. Lactose) • Kinder unter 12 Jahren, Schwangere und Stillende (keine gute Datenlage); Ausnahme Omeprazol niedrigdosiert (max 20mg/d) • Schwere Einschränkung der Leberfunktion (ggfs reicht Dosisreduktion) • Gleichzeitige Einnahme von Atazanavir oder Nelfinavir (Antiretrovirale Medikamente) Medikamentöse Wechselwirkungen • Verminderte Resorption durch pH-Erhöhung von: Azol-Antimykotika (Ketoconazol, Itraconazol, Posaconazol), Ampicillin Erlotinib (Tarceva) Atazanavir Nelfinavir Phenprocoumon (Marcumar) • Erhöhte Bioverfügbarkeit von Digoxin Medikamentöse Wechselwirkungen • Wechselwirkung an Cytochrom P450-System: – CYP2C19 (Inhibition insb. durch Omeprazol): Anstieg der Serumkonzentration von Phenytoin, Carbamazepin, einigen Benzodiazepinen (Diazepam), Tacrolimus, Clarithromycin, Saquinavir‚ Cilostazol und Warfarin; verminderte Wirkung von Nelfinavir und Clopidogrel (Prodrug) – CYP3A4: keine relevanten Wechselwirkungen Nebenwirkungen • Bei 3-10% sind UAW zu erwarten • Häufig: Diarrhoen, Cephalgien, Exanthem • Gelegentlich: Schwindel, Schlafstörungen, Erbrechen, Flatulenz, Bauchschmerzen • Klinisch wichtig: Thrombozytopenie, Leukopenie, anaphylaktische Reaktion, Halluzinationen, Sehstörungen (Einzelfälle mit Blindheit oder Taubheit bei Omeprazol-Injektionen) Leberschaden bis Leberversagen Interstitielle Nephritis Nebenwirkungen •Verminderung der Vitamin B12-Resorption •Verminderung der Calcium-Resorption •Hypomagnesiämie (Müdigkeit, Tetanie, Delirium, Krämpfe, ventrikuläre Arrhythmien) •Anstieg der bakteriellen Besiedlung des Oberen Gastrointestinaltrakts •Hypergastrinämie (Rebound-Effekt bei Absetzen) Risiken für Folgeerkrankungen • Osteoporotische Frakturen (Risikoerhöhung bis 40%): Schenkelhals (OR 2,6), Radius, Wirbelkörper • Gastrointestinale Infektionen: Salmonellen, Campylobacter, Chlostridium difficile (OR 2,7) • Pneumonie: ambulant (OR 4,5), nosokomial (OR 2,6) • SBP bei Leberzirrhose: Odds Ratio 4,31 Quellen • Fachinformationen Pantoprazol und Omeprazol • Arzneimittelbrief AMB 2008, 42,49 • Herzig SJ et al. Acid-suppressive medication use and the risk for nosocomial gastrointestinal tract bleeding. Arch Intern Med 2011 Jun 13; 171:991 • 1-FDA Drug Safety Communication: Clostridium difficileassociated diarrhea can be associated with stomach acid drugs known as proton pump inhibitors (PPIs) • 1-Shoshana J. Herzig et al: Acid-Suppressive Medication Use and the Risk for Hospital-Acquired Pneumonia. JAMA 2009; 301: 2120-2128 • Bajaj JS et al. Association of proton pump inhibitor therapy with spontaneous bacterial peritonitis in cirrhotic patients with ascites. Am J Gastroenterol 2009 May; 104:1130. Lösungsansatz I Anstelle starrer Leitlinien besser - flexible Handlungsempfehlungen entwickeln, die eine individuelle Patientenanpassung erlauben unter Berücksichtigung von Assessmentergebnissen und Patientenwunsch - Focus auf klinische Erfahrung und stärkere Förderung und Einbindung von geriatrisch erfahrenen Ärzten in interdisziplinäre Entscheidungen - Priorisierung in den Therapiekonzepten Lösungsansatz II Choosing wisely campaign (AGS working group 2013) 1. Keine PEG bei fortgeschrittener Demenz 2. Keine Antipsychotika als Erstmassnahme bei Verhaltensauffälligkeiten und Demenz 3. Kein HbA1c < 7,5% erzwingen 4. Keine Sedativa als Erstmaßnahme bei Unruhe, Delir oder Schlaflosigkeit 5. Keine Antibiotika bei asymptomatischer Bakteriurie Lebensqualität Wünsche der Patienten – Projekt, Bayrischer Wald „Die Zeitung lesen zu können“ „Geistig fit zu bleiben“ „Hobbys zu pflegen (Stricken, Kreuzworträtsel)“ „Soziale Kontakte halten“ „In vertrauter Umgebung bleiben zu können“ „Gute Pflege“ „Nicht zu stürzen“, „Weniger Schwindel“ „In der Landwirtschaft noch helfen zu können“ „Wieder im Garten arbeiten zu können“ „Die Toilette alleine benutzen zu können“ „Kein Pflegefall zu werden“, „Niemandem zur Last fallen“ „Den Haushalt erledigen zu können“ Universität zu Köln Lehrstuhl für Geriatrie Klinik für Geriatrie am St. Marien-Hospital Lebensqualität im Alter und Aufgaben der Geriatrie - Autonomie › Kognition, Mobilität, Kommunikation - Kognition › Psyche (Demenz, Depression) › Kommunikation (Neurologie, Augen, HNO) - Motorik › Neurologie & Orthopädie › Schmerz › Kardiopulmonale Belastbarkeit - Soziales › Psyche, Kommunikation, Mobilität, Kontinenz Universität zu Köln Lehrstuhl für Geriatrie Klinik für Geriatrie am St. Marien-Hospital Es ist ein sehr komplexe s Problem Aber neben all den Problemen mit den Leitlinien und der Multimorbidität.... Seien Sie immer auf der Hut! Denn... Universität zu Köln Lehrstuhl für Geriatrie Klinik für Geriatrie am St. Marien-Hospital Alte Leute sind gefährlich; Sie haben keine Angst vor der Zukunft George Bernhard Shaw Universität zu Köln Lehrstuhl für Geriatrie Klinik für Geriatrie am St. Marien-Hospital