Ansichten und Fakten zum Umgang mit Equiden
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Ansichten und Fakten zum Umgang mit Equiden
Ansichten und Fakten zum Umgang mit Equiden Mitgliederversammlung IG Maultier Wynigen, 14. Februar 2015 Hanspeter Meier Inhaltsverzeichnis Einleitung 1 Literatur zur Nutzung von Equiden 1 - Zur Domestizierung der Equiden - Die Tontafeln von Kikkuli - Die Schriften von Xenophon 1 3 4 Literatur zum Umgang mit Maultieren 6 - Zur Literatur zum Maultier in unserer Zeit - Die Monographie von Harvey Riley (1867) - Die Dienstvorschrift von Henry W. Daly (1910) - Ausführungen von Ignoranten (2010) - Zu den Schriften von Guénon (1899) - Zur Literatur über den Umgang mit dem Maultier in der Schweiz 7 7 8 9 10 10 Zur Ausbildung von Equiden 13 - Zur Evolution (Entwicklungsgeschichte) . Natur der Equiden als Beutetier . Natur der Equiden als Herdentier . Domestikation der Equiden - Neurobiologische Erkenntnisse - Die Ausbildung von Equiden aus Sicht der Ethologie . Sozialverhalten . Lernverhalten 13 13 14 14 16 17 17 17 Zur praktischen Umsetzung 20 Gesundheitliche Aspekte 23 Zusammenfassung 23 Literaturverzeichnis 24 Anhänge 28 - Anhang 1 / Der Onager - Anhang 2 / Das Maultier und die Peitsche 28 30 0 Einleitung Equiden dienten dem Menschen in seiner Kulturgeschichte seit Jahrtausenden und tun dies verschiedenenorts auch heute noch in grosser Zahl. Die Voraussetzungen für die erfolgreiche Nutzung dieser Tiere - der Pferde, Maultiere, Maulesel und Onagers sowie vereinzelt auch Zebras - sind der erfolgreiche Umgang mit ihnen und ihre Ausbildung zu allen möglichen Zwecken. Die Tiere müssen lernen, was wir von ihnen wollen und wir selber müssen verstehen, wie man sie am besten lehrt. Es sind dies grundsätzliche Anforderungen, die seit jeher bestanden haben und uns auch in der Zukunft fordern werden. Es wäre überdies nicht sachgerecht und auch nicht fair, von einem uns anvertrauten Lebewesen die Erfüllung von Aufgaben zu verlangen, die es nicht kennen kann. Darüber hinaus gilt heutzutage, dass Tiere nur dann genutzt werden dürfen, wenn man selber bezüglich ihrer Natur und ihres Verhaltens ausgebildet ist. Es ist somit für jeden Tierhalter unabdingbar, sich mit dem Umgang und der Ausbildung seiner Equiden zu befassen. Im allgemeinen wurde und wird von den Maultieren und Mauleseln wohl die härteste Arbeit gefordert, aber trotz ihrer grossartigen Leistungen haben sie unter den Equiden oft eine schlechte Reputation. Dieser Umstand hat Fachleute seit jeher stark beschäftigt und wird damit begründet, dass in erster Linie die Inkompetenz ihrer Halter dafür verantwortlich ist. Dementsprechend ist klar, dass bei der Nutzung von Equiden vor allem bezüglich des Umgangs mit Maultieren und Mauleseln die Ausbildung ihrer Betreuer überaus wichtig ist. Neben grundsätzlichen Erkenntnissen zum Umgang mit Equiden soll hier darum vor allem auf Eigenheiten dieser überaus tüchtigen Hybriden eingegangen werden. Literatur zur Nutzung von Equiden Zur Domestizierung der Equiden Gemäss Outram und Mitarbeitern (2009) erfolgte die Domestizierung der Pferde vor etwa 5„500 Jahren, belegt durch den Fund von Zähnen mit Gebrauchsspuren und das Vorhandensein von Stutenmilchresten in Keramikscherben dieses Alters im heutigen Kasachstan. Man nimmt dabei an, dass Pferde zuerst als Lieferanten für Nahrungsmittel (Milch und Fleisch), Fell, Leder, Geräte und Schmuck und auch als Opfertiere gehalten wurden (Ludwig et al., 2009; Frömming, 2011). Wenig später (4„000-3„000 v.Chr.) wurde das Rad erfunden, und somit erwuchs auch ein Bedarf an Arbeitstieren, wofür unter den Equiden zuerst Onagers (asiatische Wildesel) gedient haben sollen (Frömming 2011). Uns Schweizer dürfte Letzteres ganz besonders interessieren, weil die Erhaltung des Onagers durch Projekte der Werner Stamm Stiftung (Oberwil BL) gefördert wird (s. Anhang 1). 1 (Tegetmeier & Sutherland, 1895) (Tegetmeier & Sutherland, 1895) Morvi war ein Fürstenstaat Britisch-Indiens im Norden der Halbinsel Kathiawar im heutigen Bundesstaat Gujarat; seine Hauptstadt hiess ebenfalls Morvi. 2 Die Tontafeln von Kikkuli Die ersten schriftlichen Unterlagen zum Umgang und zur Ausbildung von Equiden verdanken wir gemäss des Standes des heutigen Wissens Kikkuli, der sich vor etwa dreieinhalbtausend Jahren mit der Ausbildung von Streitwagenpferden befasste. Der Einsatz von Rennpferden gehört zu den ältesten Arten der Nutzung von Equiden und die Anweisungen von Kikkuli für deren Ausbildung finden sich auf hethitischen Tontafeln aus der Zeit von 1„400 bis 1„250 v.Chr.. Die Meinungen über die Interpretation seiner Anweisungen gehen in philo- und hippologischer Sicht jedoch etwas auseinander (Kammenhuber, 1961; Starke, 1995; Nyland, 2009; Raulwing 2009). Nichtsdestoweniger ist aber die Ansicht von Nyland (2009) bemerkenswert, wonach schon bei Kikkuli bei der Ausbildung psychologische Faktoren und das Wohlbefinden der Tiere eine enorm grosse Rolle spielten. Dieser Tatbestand verdient insofern grösste Beachtung, als der Hethiter ja nur rein intuitiv und empirisch zu seinen Schlüssen kommen konnte. Als Beispiel mag dienen, dass sich Kikkuli für die Grundausbildung viel Zeit nahm, die Aufgaben täglich wiederholte und weitere erst gestellt wurden, wenn die Pferde über einige Zeit die Arbeit leicht fanden und somit Vertrauen entwickelt hatten (Nyland 2009). Tontafel von Kikkuli, u.a. mit Hinweisen auf das psychische Wohlbefinden der Pferde (Vorderasiat. Museum Berlin, Raulwing 2009) 3 Hethitisches Gespann, ca. 1„500 v.Chr. Heutzutage sind wir langsam in der Lage, diese alten Empfehlungen wissenschaftlich bestätigen zu können (weshalb man dabei ja auch von „re-search“ spricht. Die Schriften von Xenophon Weitere historische Angaben zur Nutzung von Equiden betreffen praktisch ausschliesslich das Pferd, und von dessem Einsatz im Sport ist beim Griechen Xenophon (430-354 v.Chr.) zu lesen, „dass bei der Übergabe an den Bereiter diesem das Fohlen zahm, folgsam und zutraulich ausgehändigt werde und dass das Fohlen nicht bloss die Menschen liebt, sondern geradezu nach ihnen verlangt“ (Keller, 1962). Xenophon war in den Jahren 410-401 v.Chr. ein Schüler von Sokrates, von dem die Philosophie überliefert wird „Setze Belohnung vor Strafe“ (Frömming, 2011). Wenig später ist von Alexander dem Grossen und seinem Bukephalos zu lesen (356-323 v.Chr.), der seinerseits ein Schüler von Aristoteles war, der Tieren schon damals Vernunft zugestand (Eidherr, 1996). „Setze Belohnung vor Strafe“ Xenophon (li) im Gespräch mit Sokrates (re) „Schule von Athen“ von Raffael Vatikanische Museen C.F.v.Siemens Stiftung, (Frömming 2011, Wille 1992) 4 Nach all diesen überaus erfreulichen Anfängen findet man in der Fachliteratur aber erst bei Georg Engelhard von Löhneysen (1552-1622) wieder wenige Hinweise zur Ausbildung von Equiden, bspw.: „Die Pferde sollten nur bestraft werden, wenn sie etwas falsch machten, wenn sie etwas richtig machten, dann wurde ihnen schön getan“. Löhneysen empfahl beim Anreiten auch ein Führpferd einzusetzen und ein guter Bereiter sollte nicht zornig werden „wie der gemeine Gebrauch“. „Was ein Pferd heute nicht lernet, das kann es morgen lernen. Geduld, denn Zeit bringt Rosen“ (Frömming, 2011). Anreiten von Kavallerie-Remonten im ehemaligen K.R.D. in Bern. Sowohl die Ablenkung mit Futter und die geduldige ruhige Arbeit in der Gesellschaft von anderen Pferden entspricht sowohl empirischen Erkenntnissen wie wissenschaftlich fundierten Ansichten unserer Zeit (aus Schweizer Pferdebuch, 1944). Damit wurden die wenigen ersten Grundlagen für einen tiergerechten Umgang mit den Pferden geschaffen und heutzutage sind wir endlich in der Lage, Möglichkeiten und Anforderungen für die Ausbildung der Pferde mit wissenschaftlichen Methoden zu überprüfen. Bezüglich der Entwicklung solcher Bemühungen ist übrigens erfreulich, dass der erste tierärztliche Kongress zum Verhalten des Pferdes 1996 in unserem Land stattfand (Bracher und Stohler, 1998). Dazu dienen in erster Linie Studien über das Verhalten von wild und frei lebenden Pferden, zur Ethologie von genutzten Pferden sowie diverse Untersuchungen zur Neurobiologie und zum Lernverhalten der Equiden. Die Umsetzung dieser Erkenntnisse erfolgt aber erst in unterschiedlichem Ausmass; stellenweise ist die Arbeit mit Equiden nach wie vor viel zu wenig wissenschaftlich begründet. 5 Literatur zum Umgang mit Maultieren Erstaunlicherweise findet man in der Literatur des Altertums keine spezifischen Angaben zur Ausbildung von Maultieren. Sie genossen zwar eine grosse Wertschätzung, was bspw. beim Hinschied von Alexander dem Grossen zum Ausdruck kam (323 v. Chr.). Er hatte zwar eine sehr enge Beziehung zu seinem Pferd Bukephalos, aber für den Transport seines Sarges dienten 64 Maultiere. Auch die Römer schätzten das Maultier sehr und es wird berichtet, dass Kaiser Nero (37-68 n. Chr.) auf Reisen nie mit weniger als tausend Wagen unterwegs gewesen sei und seine Maultiere silberne Hufbeschläge getragen haben sollen (Demandt, 2011). Allerdings ist die Frage offen, ob man sich zu jenen Zeiten (des Überflusses) bezüglich des Wohlbefindens der Tiere, bzw. des Umgangs mit ihnen, überhaupt Gedanken machte. Ein überzeugender sachlicher Hinweis für die Wertschätzung des Maultiers im römischen Reich des 4. Jahrhunderts sind die Schriften von Vegetius über die Kunst der Tier- und Pferdeheilkunde, die mit „Maultiermedizin“ betitelt wurden. Nachdruck von 1781, bearbeitet von Johann Matthias Gesner (1691-1761), der in Weimar, Leipzig und Göttingen wirkte. 6 Zur Literatur zum Maultier in unserer Zeit Die Monographie von Harvey Riley (1867) Sehr wertvolle und ausführliche Angaben zur Ausbildung des Maultiers findet man meines Wissens erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts, in der Abhandlung von Harvey Riley (1867) über dessen Zucht, sein Training und seine Verwendungszwecke. Im Vorwort zu seinem Büchlein schrieb Riley: „Es gibt kein nützlicheres oder willligeres Tier als das Maultier. Und vermutlich wird kein anderes Tier so sehr missbraucht oder so schlecht gepflegt. Die öffentliche Meinung von seiner Natur war bisher nicht vorteilhaft; somit musste es sich in seinem Leben abmühen gegen die Vorurteile der Ignoranten. Trotzdem ist es ein grosser Freund des Menschen geblieben, im Krieg und im Frieden, ihm gut und treu dienend. Wenn es dem Menschen sagen könnte, was es am meisten braucht, dann wäre es gütige Behandlung. Wir alle wissen, wie viel getan werden könnte um die Umstände zu verbessern und das Wohlergehen zu fördern; und jedermann ist ein wahrer Freund der Humanität, der tut was er zum Besten dieses Tieres tun kann. Meine Absicht mit diesem Buch war, zu tun was ich konnte für die Ausarbeitung einer überfälligen Reform in Zucht, Haltung und Behandlung dieser Tiere.“ Dies sind nun nicht die Worte eines Theoretikers oder sogar Esoterikers, sondern die Erfahrungen (ein guter Lehrmeister) aus dem amerikanischen Sezessionskrieg von 1861-1865. Riley fährt dann weiter: „Ich bitte um sorgfältige Lektüre und Befolgung meiner Worte bezüglich des Wertes der gütigen Behandlung des Maultiers. Ich hatte 30 Jahre Erfahrung mit der Nutzung dieses Tieres, und während dieser Zeit studierte ich seine Natur. Das Resultat dieser Studie ist, dass Menschlichkeit wie auch Ökonomie am besten gedient ist mit Gütigkeit. Es schien mir, dass die Regierung jedes Jahr viel Energie sparen könnte, wenn nur solche Fuhrleute beschäftigt würden, die gründlich instruiert werden bezüglich des Umgangs und des Managements der Tiere und in jeder Beziehung qualifiziert sind um ihre Pflichten richtig zu erfüllen. Es sollte nur vernünftig sein, einem Mann nicht ein wertvolles Team von Tieren anzuvertrauen, bevor er bezüglich ihrer Nutzung nicht umfassend instruiert wurde und vom Quartiermeister ein Fähigkeitszeugnis erhalten hat. Wenn dies erfolgen würde, dann könnte weitgehend ein System etabliert werden für die Reduktion der grossen Verluste an Tieren, welche die Regierung jedes Jahr solch eine hohe Summe kostet.“ 7 Die Dienstvorschrift von Henry W. Daly (1910) Gut 40 Jahre später erschien in Nordamerika auch ein Handbuch über Packtiere von Henry W. Daly (1910). Diese Schrift im Umfang von 242 Seiten ist eine Publikation des Kriegs-Departementes und behandelt im sechsten Kapitel die Pflichten des Maultierführers (Duties of individuals). Der Abschnitt 6. ist betitelt mit “Güte dem Tier gegenüber” (Kindness to animals) und lautet: „Ein Maultier erinnert sich an Güte und wird den Führer mit seinem Gesichts- und Geruchssinn wieder erkennen, der sie ihm erwiesen hat. Wenn Du in Deinem Umgang brutal bist, dann wird es Dich scheuen und vermeiden. Güte wird das verdorbenste Tier beschwichtigen und es dazu bringen fromm zu werden. Wenn es verdorben ist, beuge vor, dass es keine Person verletzt. Misshandle das Tier bei Deinem Tun nicht. Behandle es gütig aber bestimmt und es wird schnell lernen, Dich als seinen Meister anzuerkennen und zu gehorchen. Behandle es schlecht und es wird Dich nie vergessen“ (Daly, 1910). Ein Beispiel aus dem Handbuch von Daly (Abb. 129) Illustration für das Satteln mit einer Bahre (litter carrier) für den Transport von Verwundeten und Kranken 8 Ausführungen von Ignoranten (2010) Im Gegensatz zu den obigen Ausführungen von erfahrenen Armee-Angehörigen, die sich deutlich und offensichtlich mit Herzblut für den mitfühlenden, sympathetischen Umgang mit Maultieren einsetzten, gab und gibt es leider immer wieder unverbesserliche Ignoranten, die sich nicht an den Rat von Wittgenstein halten, wonach sich klar sagen lässt, was sich überhaupt sagen lässt, und man schweigen muss, wenn man von einer Sache nicht reden kann (s. Tractatus logico philosophicus). Das Beschlagen eines widerspenstigen Maultieres (Roots 2010) Als ein aktuelles und typisches Beispiel dient hier ein Blog von Roots (2010), nach dessen Meinung “Wir allen wissen, dass Maultiere sture und widerspenstige Kreaturen seien, die jederzeit und ohne Grund stocken, scheuen und bocken. Sie seien erstaunlich stark aber schlecht gelaunt.“ Dabei erinnert er mit obigem Bild an die Memoiren seines Urgrossvaters, der als Prediger aus Texas ebenfalls an den Sezessionskriegen teilgenommen haben soll. Einleitend zu seiner dilettantischen Schreibe bemerkt Roots - nach eigenen Angaben übrigens auch ein Pfarrer - dass er kein Maultier-Experte sei. Nichtsdestoweniger führt er aber weiter aus, dass die damaligen Maultierführer Meister ihres Faches gewesen seien, indem sie mit ihren Peitschen (the „black snake“) von ihren Mulis alles hätten verlangen können. Dabei scheut er sich nicht, sogar auf die Empfindlichkeit der Ohren der Tiere hinzuweisen und das Sprichtwort zu zitieren „Um ein Maultier zu brechen – beginne am Kopf“ („to break a mule – begin at his head!”). Als Geistlicher kann er es (horribile dictu) auch nicht lassen, Bibelstellen zu zitieren, bspw. den Psalm 32:9: „Sei nicht wie das Pferd oder das Maultier, die keinen Verstand haben und die mit Trense und Zaum kontrolliert werden müssen weil sie sonst nicht zu Dir kommen“. Dann glaubt er noch Werbung in eigener Sache machen zu müssen mit der Frage: „Hat Dich Gott gerufen? Bist Du schwerhörig? Muss er die Black Snake benutzen? Die Frage ist: Hörst Du zu oder bist Du wie ein Maultier?“ (Roots, 2010). Was uns aber sicherlich daran erinnert, dass gegen gewisse Dinge bekanntlich selbst Götter vergebens kämpfen. 9 Zu den Schriften von Guénon (1899) In seinen Beiträgen “Le Mulet intime” (I - III) war Guénon schon am Ende des vorletzten Jahrhunderts (1899) klar, „dass Revolutionen vorüber gehen, Vorurteile aber bleiben“ (Les révolutions passent, les préjugés restent). Er äussert sich also genau gleich wie Riley (1867) und er hat auch eine reiche Erfahrung im Umgang mit Maultieren. Er darf also ebenfalls als überaus glaubwürdig gelten, und mit seinen Ansichten meinte er genau die oben zitierten unglaublichen Ausführungen vom Prediger Roots, die pejorativen Vorurteile dem Maultier gegenüber, die selbst in der heutigen Zeit noch ständig wiederholt werden, deswegen aber nicht wahrer werden. Allfällige Probleme liegen in der Regel nicht beim Tier sondern bei seinem Betreuer und auch Guénon stellte schon vor langem klar fest: „Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass es einzig unser Fehler ist, wenn ein Tier bösartig wird. Das Maultier kann für all unsere Dienste genutzt werden, aber man muss wissen, es zu gebrauchen“ („Je pose en principe que si cet animal devient méchant, c' est uniquement par notre faute.Cet animal peut être utilisé à tous les services mais il faut savoir en user“). Zur Literatur über den Umgang mit dem Maultier in der Schweiz In praktisch allen Beiträgen zur Literatur über das schweizerische Maultier finden sich immer auch Bemerkungen zum Verhalten sowie zur Ausbildung des Maultiers und zu seinen Betreuern, bspw.: - Weissenrieder (1941): In seiner Publikation „Vom Maultier und der Maultierzucht - Ein zeitgemässer Beitrag zur Förderung der schweizerischen Maultierzucht“ zitiert Weissenrieder aus der Dissertation von Kollegen Weichlein (1917), die auf dessen Erfahrungen im ersten Weltkrieg basiert: „Einen sehr grossen Einfluss auf die Brauchbarkeit des Maultieres hat die Behandlung, die ihm durch den Führer und Pfleger zuteil wird. Das Maultier ist von Hause aus ebensowenig bösartig wie das Pferd ! Und jedes Tier, sei es noch so störrisch und wild, auch wenn es in der Jugend verdorben worden ist, kann bei entsprechender Behandlung zu jedem Dienst verwendet werden. Ruhe und Geduld führt in fast allen Fällen bald zum Ziele. Vor allem hüte man sich auf ein Maultier einzuschlagen, das sich störrisch zeigt und nicht fortzubewegen ist. Durch Streicheln und Sprechen mit dem Tier erreicht man unendlich viel mehr. Denn Schläge, die ihm in solchen Fällen wegen der verhältnismässig dicken Haut nur wenig Eindruck machen, bestärken es nur in seiner Widersetzlichkeit und verleiten es noch dazu, sich zur Wehr zu setzen, zu schlagen oder zu beissen. Ueber den Charakter des Maultieres im allgemeinen ist zu sagen, dass es den Ruf, den es vielfach auch in Kreisen von Fachleuten geniesst, ein widerspenstiges, störrisches Tier zu sein, in keiner Weise verdient. Eine Bösartigkeit wird in fast allen Fällen nur durch rohe oder falsche Behandlung hervorgerufen. Das Maultier ist fleissig, arbeitswillig und von Natur sehr gutmütig“ (Weichlein, 1917). - Weissenrieder (1942): „Das Maultier ist nicht bös und schlecht – Misshandelt, verteidigt auch es sein Recht“ 10 - Stucki (1943): „Mindestens so wichtig wie die Einführung der Tiere ist die Ausbildung der Säumer. Die Rekrutenschule musste den Halter für die Pflege und Verwendung seines Tieres vorbereiten. Wir haben nur wenig Leute zur Verfügung, die von Berufs wegen die Säumerei kennen, ein Nachteil, der meistens in schwierigen Lagen zum Ausdruck kommt. Mangelnde Erfahrung wirkt sich dann meistens zu Ungunsten der Tiere aus, wobei Druckschäden, Krankheit und Ausfall von Transporttieren die Folge sind. Die Kenntnis der Eigenschaften des Tieres spielt dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Gerüchte wollen dem Maultier viele schlechte Eigenschaften an die Hufe heften. Sie liegen sehr oft in der Unkenntnis des Tieres und im unvernünftigen Umgang mit diesem begründet. Ein Vollblutpferd an der Hand eines Laien ist viel gefährlicher! Auch hier gehört Sachkenntnis dazu, die nur auf Erfahrung aufgebaut sein kann.“ - Schmid (1944): „Weil der spätere Gebrauchswert des Maultieres ausser von seiner körperlichen Entwicklung entscheidend vom Temperament und den Charakteranlagen abhängt, müssen die erzieherischen Massnahmen der Eigenart dieses Bastardes vorsichtig angepasst werden. Das Maultier zeichnet sich im Vergleich zum Pferd durch ein grösseres Bedürfnis nach Selbständigkeit und durch eine weniger ausgesprochene Anpassungs- und Dressurfähigkeit aus. Das junge Maultier ist eigenwilliger, ängstlicher, misstrauischer, nachträglicher und kitzliger als das Pferd und daher gegen pedantische, straffe Dressurmethoden, Neckereien, Nörgeleien, Provokationen und rohe sowie ungerechte Behandlung ausgesprochen empfindlich. Einmalige Erziehungsfehler können seinen Charakter für immer verderben. Unrichtige Behandlungsarten werden übrigens sofort durch entsprechende Abwehrbewegungen des Tieres zu rächen gesucht. Im Gegensatz hierzu äussert sich die Erbanlage des Pferdes in der Regel in einem kategorischen Bedürfnis nach Unter- und Einordnung, nach Gehorsam, Arbeitsdisziplin und Automatismus. Diese Tugenden müssen beim jungen Maultier als notwendige Voraussetzungen der späteren Nutzbarkeit durch eine Unmenge kleiner Zärtlichkeiten, Rücksichten und Zuneigungsbeweise sowie Geduldsproben allmählich erkauft werden. Es gehorcht aus Dankbarkeit für empfangene Wohltaten.“ - Zumtaugwald (1944): „Es kann wohl als Arbeitstier in des Wortes ureigenster Bedeutung bezeichnet werden. Man darf ihm ohne Uebertreibung eine grössere Intelligenz zusprechen als dem Pferd. Eine ganz besondere Anerkennung verdienen seine Ruhe und Besonnenheit im Moment der Gefahr und der Ueberraschung. Für manche Leute ist das Maultier ein Inbegriff von Tücke und Bösartigkeit. Fälle von Charakterfehlern können mitunter vorliegen. Suchen wir jedoch aufrichtig nach den Ursachen, so beginnen wir nicht beim Eselvater, noch bei der Pferdemutter, sondern beim Besitzer oder Halter, denn wohl fast immer wird der Mensch das „mea culpa“ sprechen müssen.“ - Oechslin (1955): „Das Maultier bleibt des Gebirgssoldaten treuester und hilfreichster Kamerad“ 11 - Hauswirth (1985): „Maultiere sind intelligenter ?! Auf jeden Fall erlaube ich mir diese Feststellung. Nicht jeder Tr Sdt passt zu jedem Maultier. Fehlendes Einfühlungsvermögen oder gar Körperstrafen werden vom Maultier nicht so schnell vergessen. Ein zielsicherer Biss oder Hufschlag hat schon manchen Tr Std (und es war immer der richtige) an sein Ungeschick im Umgang mit Maultieren erinnert. Deshalb wohl auch die vielmals verbreitete Meinung: Maultiere ja – aber ohne mich. Man könnte dies auch als Angst oder geistige Unterlegenheit umschreiben. Welche Pferde gehorchen dem Tr Sdt nach einer WK-Woche aufs Wort oder finden nach zwei Passagen den Weg allein – Maultiere tun es !“ - Nägeli (1990): „Widerspenstigkeit, Störrigkeit, ja gar Bösartigkeit sind, wenn sie überhaupt vorkommen, Resultat einer falschen Behandlung durch den Menschen.“ Transport Alp Kiley 1943 Es fällt zweifelsohne auf, dass die meisten positiven Äusserungen zum Maultier in Zusammenhang mit dessen militärischem Einsatz stehen – von einer Seite also, von der man sie gemeinhin wohl am wenigsten erwarten würde. Die überaus hohe Wertschätzung des Mulis unter schwersten Bedingungen dürfte somit seine Qualitäten noch eindrücklicher unter Beweis stellen. Dies sollte für uns Motivation sein, sich für die Verbesserung der Reputation unserer treuesten Begleitern mit all unsern Kräften einzusetzen. Zu diesem Zweck wollen wir uns nun Ansichten und Fakten zu deren Ausbildung widmen. 12 Zur Ausbildung von Equiden Voraussetzungen für die erfolgreiche Ausbildung eines Lebenswesens sind dessen Natur, womit man sich mit seiner Entwicklungsgeschichte (Evolution), seinem Verhalten (Ethologie) und Grundlagen der Neuroanatomie und -physiologie beschäftigen muss. Bei den Equiden ist somit klar, dass wir uns mit der Natur eines Beute- und Herdentiers beschäftigen müssen. „Nichts in der Biologie macht Sinn, ausser im Licht der Evolution.“ (Dobzhansky, 1973). Zur Evolution (Entwicklungsgeschichte) Natur der Equiden als Beutetier Bekanntlich sind Equiden Beutetiere, womit das Überleben in der freien Natur weitgehend davon abhängt, sich und seine Art wirkungsvoll schützen zu können. Sie waren im Verlauf der Evolution somit gezwungen, fast ausschliesslich mit negativen Erfahrungen zu lernen. Gleichzeitig entwickelten sich bei ihnen auch all Ihre Sinne sehr gut. Weiter ist ihnen eigen, dass die Fohlen frühreif sind und schon in jungem Alter lernen können. Sie mussten ja jederzeit und während ihres ganzen Lebens bereit sein, mit unerfreulichen Ereignissen konfrontiert zu werden. Ihre Lernerfahrung alleine konnte über Tod oder (Über-)Leben entscheiden. Dies ist ein grundsätzliches evolutionäres Phänomen, das auch die Entwicklung des Gehirns der Beutetiere förderte. Sie konnten nur überleben, wenn sie stärker, schneller oder schlauer wurden als die Raubtiere. Für letztere bedeutete eine erfolglose Attacke nur gerade eine verpasste Mahlzeit, für ihre Beute hingegen war jeder Angriff eine Frage des Überlebens. Aber selbst wenn es nicht zu tödlichen Attacken kommt, macht es doch Sinn, dass negative Erfahrungen stärker gefühlt werden; Vorsicht wird auf diese Weise besser gefördert (Bengtson, 2002; Schwägerl, 2012; Lyubomirsky, 2013). In Anbetracht dessen, dass die Dauer der Domestikation der Equiden im Vergleich zu ihrer Entwicklungsgeschichte sehr kurz ist, kann man davon ausgehen, dass diese evolutionär erfolgreichen Strategien heute noch kaum verändert bestehen. Als Beispiel für diesen Tatbestand mag ein Versuch von Kratzer und Mitarbeitern (1977) dienen, mit welchem das „Labyrinth-Lernen von Quarter Horses“ studiert wurde. Diese Forscher arbeiteten mit 37 Quarter Horses in einem T-Labyrinth, wo die Tiere den besten Weg zum Ausgang (links oder rechts) finden mussten. Nach einigen Versuchen entschieden sich die Forscher zu schauen was passiert, wenn sie eine Bestrafung für eine inkorrekte Wahl einführen. Tiere, die den falschen Weg einschlugen, wurden mit einem „Luft“-Stoss aus einem CO2-Feuerlöscher empfangen. Nach dieser Erfahrung machten die Pferde mit weniger Lektionen weniger Fehler, aber begannen signifikant mehr Zeit zu brauchen um sich für einen Weg zu entscheiden. In anderen Worten, mit dieser „negativen Verstärkung“ lernten sie schneller, sorgten sich aber mehr darüber, die richtige Wahl zu treffen (Budiansky, 1998). 13 Natur der Equiden als Herdentier Beim Beobachten von freilaufenden Equiden und beim Studium von Verletzungsraten von Pferden in Gruppenhaltung fällt auf, dass sie einander gegenseitig recht harsch disziplinieren können. Zum Wohl der sozialen Hierarchie akzeptieren sie es für gewöhnlich jedoch. Dies lässt darauf schliessen, dass ein Herdentier auch vergeben kann. Equiden haben also auch kooperative oder soziale Intelligenz, was in der Geschichte der Evolution auch andernorts von grösster Bedeutung ist (Nowak and Highfield, 2011; Engeln, 2012). Für diese Kompetenz muss der Neocortex (ein Teil der Grosshirnrinde) relativ gross sein – und interessanterweise fördert dessen Grösse allgemein auch Lernfähigkeiten (Dunbar, 1992; Engeln, 2012). Bezüglich der Gabe verzeihen zu können besteht bei den Pferden kein Zweifel und Tom Dorrance ist sogar der Ansicht, „dass sie zu vergebend sind“. Nun – das war und ist sicher zu unseren Gunsten, weil die Domestikation der Equiden sonst nicht möglich gewesen wäre (Budiansky, 1998; Miller and Lamb, 2005). Ohne diese günstigen Voraussetzungen hätte sie der Mensch nicht zähmen können und wir könnten auch nicht mit ihnen arbeiten, wenn jedes Fehlverhalten unsererseits lebensgefährlich wäre. Domestikation der Equiden Zum Gelingen der Domestizierung, der äussert engen Partnerschaft zwischen Mensch und Equiden, trugen einerseits das Geschick des Menschen und anderseits die oben erwähnte Lernfähigkeit und Kooperationsbereitschaft v.a. des Pferdes und des Esels, den Eltern des Maultiers und Maulesels bei. Von den ungefähr 4„000 Säugetier-Arten konnten ja nur etwa ein Dutzend erfolgreich domestiziert werden und auch unter den Equiden selber hat es Arten, die für die Mitarbeit nur mit grösserem Aufwand motiviert werden können (Budiansky, 1998; Miller and Lamb 2005; Ludwig et al., 2009). Wie bereits erwähnt ist die Zeit seit der Domestizierung der Equiden (ca. 5„500 Jahre) im Vergleich zu ihrer Entwicklungsgeschichte (ca. 55 Millionen Jahre) sehr kurz. Wir können somit im Umgang noch sehr weitgehend von ihrem sehr ursprünglichen Wesen ausgehen. Was übrigens gestützt wird durch die Tatsache, dass selbst heutzutage noch freilebende Equiden gezähmt und genutzt werden können. Anderseits kommt es auch vor, dass Pferde ausgesetzt werden oder entweichen, und diese sich in der freien Natur zurecht finden können. Weiter können wir auch an das Rindvieh denken, dass schon länger zurück domestiziert wurde wie das Pferd (ca.10„000 Jahre), und das sich heutzutage in tiergerechteren Haltungsformen vom Menschen zu entfremden scheint. Gebrauchsspuren von „Trense“ (Pfeil) (Outram et al., 2009) 14 Der Beitrag der Pferde und Esel für die erfolgreiche Zusammenarbeit und ihre Nutzung kann somit kaum überschätzt und ihre Natur und ihr Wesen müssen bei der Ausbildung streng beachtet werden. Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei der Umstand, dass die Pioniere der erfolgreichen Ausbildung des Pferdes psychologischen Aspekten prioritäre Bedeutung beimassen. Das Verständnis der Natur des Pferdes ist für dessen Ausbildung zweifelsohne von grösster Bedeutung, aber im Lauf der Zeit wurde das Wissen um diese Belange kümmerlich. Dieser Umstand wurde allerdings auch schon vor längerer Zeit ganz allgemein erkannt und mit dem Sprichwort dokumentiert: „Das Pferd ist oft gescheiter als der Reiter“ (Deutsches Sprichwörter-Lexikon 1867). Burchell‟s Zebras mit Cape Cart (Tegetmeier and Sutherland, 1895) Studien an wild und frei lebenden Herden und Untersuchungen zum Lernverhalten in unserer Zeit helfen uns, diesen Mängeln besser beizukommen. Diverse dieser Arbeiten bestätigen obiges Sprichwort in dem Sinne, dass die intellektuellen Fähigkeiten der Equiden im Allgemeinen stark unterschätzt werden. Wildlebende Przewalski Pferde in der Schorfsheide (Semireservat) 15 Neurobiologische Erkenntnisse Neben dem Verhalten der Tiere, den ethologischen Voraussetzungen, muss im Zusammenhang mit ihrem Umgang auch ihr Lernvermögen berücksichtigt werden, das vor allem auf Grundlagen der Neuroanatomie und -physiologie basiert. Es wird angenommen, dass sich die Anatomie und Funktion des Gehirns während etwas 3,5 Milliarden Jahren entwickelte, und die heutige Forschung beim Menschen konnte nachweisen, dass leichter Stress die Lernfähigkeit fördert. Im Gegensatz dazu blockiert starker Stress (unter dem Einfluss von Cortisol und Norardrenalin) das Vorderhirn (Schwabe und Wolf, 2012). In einer Studie beim Menschen brauchten nicht-gestresste Teilnehmer vor allem den Hippocampus, jene Struktur des Gehirns, die eine zentrale Funktion für das Langzeit-Gedächtnis ausübt. Gestresste Probanden hingegen nutzten für das Lernen das Striatum im Mittelhirn, das verantwortlich ist für das unbewusste, mechanische Lernen. Stress stört das bewusste, systematische Lernen, weshalb das Gehirn dann andere Strukturen nutzt und das „Bauchgefühl“ aktiviert werden kann. Unter solchen Umständen denken Menschen nicht mehr systematisch und werden „Gewohnheitstiere“, allerdings mit dem Vorteil, in Stress-, Gefahren- und Überlebenssituationen - gleich wie Tiere - rasch handeln zu können (Schwabe und Wolf, 2012). In der modernen Psychologie wird das Bauchgefühl als die Sammlung unserer Lebenserfahrungen und als ein nützliches Werkzeug verstanden, die „unbewusste Intelligenz“ (Gigerenzer, 2008; Dobelli, 2011; Anthony and Spence, 2012). In unserer Zeit hat dies nicht nur Bedeutung für gefährliche Situationen in der Natur sondern auch für geschäftlichen Entscheidungen. Damit wird ja auch die traditionelle Management-Maxime bestätigt: „Wenn Du ‚Nein„ fühlst, sag nicht ‚Ja„“. Nun, passen diese Resultate nicht auch gut zur Natur von Equiden ? Als Beutetiere waren sie - wie bereits erwähnt - oft gezwungen, mit negativer Verstärkung zu lernen. Diese Erkenntnisse sind somit auch für Ausbildner von Equiden wertvoll, weil Beuteund Herdentiere gemäss Evolution ja sowohl mit positiver wie negativer Verstärkung lernen können. Die mit dem Labyrinth-Versuch von Kratzer et al. (1977) erstmals bestätigte Hypothese wurde in der Folge verschiedentlich überprüft und heutzutage gilt die Ansicht, dass gleich wie beim Menschen ein Training mit positiver Verstärkung zu langanhaltenden Resultaten führt und negative Verstärkung nur einen Kurzzeit-Effekt hat. Somit können beide Methoden nutzbringend sein, aber man muss sich klar bewusst sein, dass schwere Strafen zu Aggressivität und Störungen des Verhaltens führen können, insbesondere bei unmöglichen Aufgaben. Wobei letzteres ein weiterer Beweis dafür ist, dass Tiere eigentlich willig sind bzw. wären, mit uns so gut wie möglich zusammenzuarbeiten. Eine gewisse Toleranz seitens der Equiden besteht hier zwar schon, unterscheidet sich jedoch individuell, gleich wie die intellektuellen Fähigkeiten. Hausberger und Mitarbeiter (2004) fanden in diesem Zusammenhang genetisch bestimmte Einflüsse (Hengst oder Rasse) auf individuelle Charakteristika des Verhaltens – im übrigen eine weitere wissenschaftliche Bestätigung von Erfahrungswerten (Warburton, 1892). Untersuchungen von Lindberg et al. (1999) ergaben hoch signifikante Unterschiede bezüglich der Lernfähigkeit zwischen Pferderassen. „Primitive“ Rassen erfüllten LernKriterien schneller als Warmblüter. Sie scheinen aufmerksamer und unabhängiger zu sein, wahrscheinlich weil sie nicht so gut „betreut“ und eher sich selbst überlassen werden. Diese Resultate dürften uns Maultiere-Leute sehr interessieren, weil die Mütter der meisten Maultiere ja auch zu solchen Rassen gehören. 16 Die Ausbildung von Equiden aus Sicht der Ethologie Bis anhin haben wir trotz spezifischem Interesse an Maultier und -esel pauschal von Equiden gesprochen. Dies dürfte als legitim gelten, weil wir einerseits allgemein gültige Grundlagen behandelten (bspw. Evolution, Domestikation, Neurobiologie), anderseits weil wir bei einem Hybriden ja auch mit den Eigenheiten der Eltern vertraut sein müssen. Sozialverhalten Bezüglich des Sozialverhaltens von Maultier, Pony und Esel befassten wir uns bereits in der Präsentation „Niggels Erbschaft“ (Meier, 2014) bzw. mit der Arbeit von Proops et al. (2012). Dort wurde festgehalten, dass es bezüglich der sozialen Organisation von Ponies, Eseln und Maultieren signifikante Unterschiede gibt. Es zeigte sich, dass Pferde und Ponies im Gegensatz zu Eseln starke lineare Dominanz-Hierarchien bilden, was vermutlich damit in Zusammenhang steht, dass in der Natur Pferde für gewöhnlich in grösseren und stabileren Gruppen als Esel leben. Es wurde aber auch erkannt, dass die Zusammengehörigkeit zwischen Eseln stärker sein kann als bei andern Equiden. Beim Maultier hat die Hybridisierung einen equiden Typ geschaffen, der eigene, einzigartige und stabile Attribute hat und im allgemeinen scheint das soziale Verhalten der Maultiere ein „Mittelding“ zwischen den Arten der Eltern zu reflektieren. Während Maultiere in physikalischen Attributen und kognitiven Fähigkeiten den HeterosisEffekt gezeigt haben (Travis, 1990; Proops et al., 2009; Osthaus et al., 2013), scheint diese Überlegenheit sich aber nicht auf soziale Dominanz zu erstrecken. Dies sind Resultate, welche die bei uns überlieferten Erfahrungswerte bestätigen, wonach das Maultier weniger ein Herdentier ist wie das Pferd, sondern viel mehr ein Individualist mit recht grosser Eigenständigkeit (Nägeli, 1990). Bei unserem Umgang mit diesen verschiedenen Equiden soll uns also bewusst sein, dass bezüglich des Sozialverhaltens zwar genetisch bedingte Unterschiede bestehen, diese anscheinend aber weniger bedeutend sind als Belange des Lernverhaltens. Lernverhalten Wie bereits erwähnt dient in der freien Natur das Lernen von Beutetieren in erster Linie der Selbst- und Arterhaltung bzw. der Vermeidung von Risiken. Somit ist von grösster Bedeutung ist, dass sie schon in jungem Alter lernen können müssen. Diese Voraussetzungen bestehen sowohl bei Mensch und Tier, sowohl beim Hund wie auch bei den Equiden (Hebb, 1947; Heird et al., 1981; Lindberg et al., 1999). Es ist von Natur aus am sinnvollsten, vor allem in jungem Alter zu lernen, wo es ja auch uns Menschen am leichtesten gelingt. Dieses natürliche Phänomen wird für die Ausbildung von Equiden im allgemeinen aber viel zu wenig genutzt. Dietrichsen (2012) hat dies sehr gekonnt formuliert: „Failure to prepare is preparing to fail”. Wesentliche Elemente des Lernverhaltens bei den Equiden sind Neugier, Erkundungsverhalten und Spielen. Bezüglich der Neugier, einer der wesentlichsten Voraussetzungen für die Domestizierung und das Lernen, hat sich der cowboy Tom Dorrance (1910-2003) am schönsten ausgedrückt: „Don‟t knock the curiosity out of a young horse“ (Miller and Lamb 2005). 17 Das erfolgreiche Lernen setzt weiter ein Gedächtnis voraus, und die Übernahme von Gedächtnisinhalten (Wildwechsel, Wasserstellen, etc.) verbessert in der freien Natur ebenfalls die Überlebenschancen. Bei Equiden als Beutetiere sind dafür vor allem räumliche und zeitliche Gedächtnisleistungen gut, was in der Wildbahn sehr rasche Reaktionen ermöglicht. Ein sehr gutes Gedächtnis kann allerdings auch Nachteile haben. Bei menschlichen Gedächtniskünstlern wurde nämlich erkannt, dass Vergessen auch nützlich ist, weil sonst das Verständnis der Inhalte leiden kann (Gigerenzer, 2008). Vergleichbare Studien beim Pferd fehlen (noch), aber weiter ist bekannt, dass ein gutes Gedächtnis Umlernen erschweren kann. Dieser Umstand spricht ebenfalls dafür, mit der Ausbildung und Erziehung des Pferdes früh zu beginnen, um nicht später unerwünschte Verhaltensmuster mit viel grösserem Aufwand korrigieren zu versuchen müssen. Zum Lernverhalten gehört weiterhin, dass Pferde Gewohnheitstiere sind, und auch dieses Phänomen ist sinnvoll, weil Ereignisse, die nicht gefolgt sind von einer Bedrohung, früher oder später ignoriert werden. Sonst wird ja unnötig Energie verbraucht. Lernen wird auch gefördert durch Bekräftigung, einerseits durch Wiederholungen, anderseits durch Reaktionen in positiver oder negativer Form. Diese müssen so erfolgen, dass das Tier eine Beziehung zwischen seiner Aktion und der Bekräftigung herstellen kann. Bezüglich der Wiederholung von Lektionen ist zu beachten, dass viele kleine (am besten tägliche) Lektionen viel tierfreundlicher sind als wenige lange. Länger als 10-20 min. kann sich z. B. ein Pferd nicht auf eine Lernaufgabe konzentrieren, und es soll systematisch in Wiederholungen immer vom Bekannten zum Neuen vorgegangen werden (Kikkuli lässt grüssen). Es sind dies alles weitere Gründe, in jungem Alter mit der Erziehung des Pferdes zu beginnen, weil tägliche 10minütige Arbeit mit dem Fohlen in zwei Jahren mehr als 120 Stunden ergibt, bzw. mehr als 120 Tage bei einstündiger Arbeit mit einem Zweijährigen, der in diesem Alter wegen all der neuen Aufgaben überdies merklich gestresst sein kann. Ein vertrautes Fohlen hingegen wird die Ausbildung entspannt, vertrauensvoll und neugierig erleben (Dietrichsen, 2012). Die Stärke der Belohnung ist weniger wichtig als die zeitliche Nähe (Sekundenbereich) und es wird übereinstimmend berichtet, dass sich Futter für diese Art der operanten Konditionierung gut eignet. Auch dies ist leicht verständlich, weil gefüttert zu werden ein sehr grundsätzliches Bedürfnis ist. Es ist eine angenehme Erfahrung, bei welcher das Pferd nicht lernen muss, sie gerne zu haben (Budiansky, 1998; Dietrichsen, 2012). Die Bedeutung der Belohnung mit Futter wird auch in ganz anderem Sinne bestätigt, indem es bspw. auf Tod und Teufel untersagt ist, bei der Beobachtung und Betreuung wildlebender Pferde Futter zu verabreichen. Diese Tiere dürfen keine Assoziationen herstellen zwischen Mensch und Futter (Scheibe, 2011). All diese Erkenntnisse, die für eine tierfreundliche Ausbildung sprechen aber mit traditionellen Methoden nicht immer in Einklang zu bringen sind, führten zu weiteren Studien, zu Vergleichen von konventionellen mit sympathetischen Verfahren. Sowohl Visser et al. (2009) wie Overney-Tännler und Favre (2010) stellten mit ihren Untersuchungen ebenfalls fest, dass mit sympathetischen Methoden keine besseren Erfolge erzielt werden konnten als mit konventionellen, jedoch mit dem Vorbehalt, dass methodische Fehler und Umweltfaktoren (z.B. Ausbildner) zu diesen, auf den ersten Blick, enttäuschenden Ergebnissen führten. Allerdings können diese auch als vorteilhaft empfunden werden, weil uns die Pferde somit auch Fehler vergeben können. Diese Resultate stehen überdies in Einklang mit dem Leben in freier Natur, wo eine negative Erfahrung (mit positivem Ausgang) über Leben und Tod entscheiden 18 kann. Bezüglich der Bedeutung von Umweltfaktoren ist zu beachten, dass die Tendenz, Verhalten ohne deren Berücksichtigung zu erklären, als fundamentaler Attributionsfehler gilt (Gigerenzer, 2008). The Original Horse Whisperer: John Solomon Rarey (Rarey, 1859; Evans, 1995) Schon in der Mitte des vorletzten Jahrhunderts trat auf der „halben Welt“ der erste “Pferdeflüsterer“ auf, dessen beliebtester Kunstgriff das „Hobbeln“ (das Anlegen einer Beinschlinge) eines Vorderbeines bei widerspenstigen Pferden war (Anon., 1859; Evans, 1995). Vertrauen dank Verständnis Beim Studium der Literatur zu den verschiedenen Ausbildungssystemen fällt in diesem Sinne auch auf, dass weniger die Methoden als viel mehr die ausführenden Personen über Erfolg und Misserfolg zu entscheiden scheinen. Der Revoluzzer Tom Dorrance brachte dies mit dem Hinweis „problems with horses are people problems” zum Ausdruck (Miller and Lamb, 2005) und von Keudell schreibt in seinen Reit-Erinnerungen, dass „im Umgang mit den Tieren der Schöpfung nicht genug Wert darauf gelegt werden kann, dass gegenseitiges Vertrauen nur aus gegenseitigem Verständnis entspringen kann“. Dies sind sehr bemerkenswerte Worte (neben vielen andern), die vor etwa 100 Jahren von einem Absolventen der Kriegsschule (!) geschrieben wurden (Whyte-Melville und von Keudell, 1983) und die genau auch den Aussagen von Riley (1867) entsprechen: „Und wenn das Maultier versteht was Du wünschest und Dein Vertrauen gewonnen hat, wirst Du, wenn Du es gütig behandelst, wenig Mühe haben seine Pflichten zu erfüllen machen.“ (And when he understands what you want, and has gained your confidence, you will, if you treat him kindly, have little trouble in making him perform his duty.) 19 Zur praktischen Umsetzung Gemäss all der obigen Ausführungen ist sehr zu empfehlen, Equiden früh zu erziehen und auszubilden. Sachdienliche Literatur zu solch einem Vorgehen ist jedoch noch kaum zu finden – was in der Vergangenheit wohl ein triftiger Grund dafür gewesen sein dürfte, dass das Verpassen dieser überaus wertvollen Zeitspanne zu vernachlässigten und schwierig zu handhabenden Mulis geführt hat, wofür sie dann ungerechterweise zusätzlich eine schlechte Reputation bekamen. Weissenrieder (1941) war diesbezüglich wohl etwas zu wohlmeinend, als er schrieb: „Die jungen, possierlichen Tierchen wachsen ohne viel Dazutun rasch empor, bereiten bei liebevoller Erziehung der Züchterfamilie viele Freuden und sind, wie bereits schon erwähnt, viel früher reif und arbeitsfähig als Pferdefohlen.“ Selbstverständlich bestehen auch andere Möglichkeiten, junge Tiere zu erziehen. Das Aufwachsen in einer gemischtaltrigen Herde wäre ebenfalls wirkungsvoll, aber solche Voraussetzungen sind bedauerlicherweise selten gegeben. Jedenfalls ist bei Zumtaugwald (1944) zu lesen, dass es zu jener Zeit im Wallis nicht einmal eine Aufzuchtstation gab: „Wer die kleinbäuerlichen Zucht- und Haltebedingungen im Wallis untersucht, wird von dem Begehren nach einer fachmännisch geleiteten Aufzucht nicht überrascht sein, sondern dies als Notwendigkeit anerkennen müssen. Die Gründung von Aufzuchtstationen, vorläufig vielleicht je eine für den französisch- und den deutschsprachigen Kantonsteil, muss ins Auge gefasst werden. Es kann dies ruhig einer Genossenschaft überlassen sein, die sich unter Beihilfe von Bund und Kanton ans Werk machen will.“ Diese Anregung von Zumtaugwald wurde meines Wissens leider nie in die Tat umgesetzt. Eine andere Möglichkeit, junge Fohlen mit der Arbeit vertraut zu machen, bestand in der Vergangenheit an verschiedenen Orten darin, sie neben der eingespannten Mutter mitlaufen zu lassen. Diese Option hatte in der Pferdezucht zusätzlich grosse ökonomische Vorteile, indem dadurch laktierende Stuten als Arbeitskraft genutzt werden konnten. Diese Art und Weise der doppelten Nutzung im Gespann kam im Erziehung von Fohlen Jud und Delaquis (1963) 20 Flachland sehr wohl in Frage, für andere Aufgaben wie bspw. den Saumdienst im Gebirge aber natürlich nicht. Weitere Erklärungen für grosse Mängel in der Aufzucht von Maultierfohlen mögen wir wohl auch bei Bellwald (1960) finden, der sich mit pädagogischen Fragen bei Erziehungs- und Bildungsproblemen von Kindern unserer Bergtäler befasste: „Das Verhältnis des Gebirgskindes zum Tier ist von unmittelbar praktischen Gesichtspunkten bestimmt. Die Haustiere bilden für das Kind schon sehr früh ein Objekt der Arbeit, des Nutzens und beim Hüten auch des Ärgers. Man wird kaum je das feine Empfinden des Kindes für die Bedürfnisse des Tieres finden, zu dem, früher wenigstens, z.B. die englischen Kinder durch den Reitsport erzogen wurden. Das kleine Reiterkind hatte wirklich sein Pony, um das es sich kümmern musste. Wie Grausamkeit mit den Tieren weitgehend erziehungsbedingt ist, kann man auch im Bergdorf beobachten. Wenn z.B. die Ziegenherde aus dem Dorfe getrieben wird, kann man Buben und selbst Halberwachsene finden, die sich eine Freude daraus machen, die schwächeren Tiere, die meist den Nachtrieb der Herde bilden, mit der Geissel fühlbar zu ‚zwicken„. Man weiss übrigens in jedem Dorfe genau, bei welcher Hirtschaft ein zielsicher geworfener Stein für den gebrochenen Ziegenfuss verantwortlich zu machen ist. Leider ist es so, dass diese Jungen, die fast immer aus mehr oder weniger gefährdeten Familien des Bergdorfes stammen, unter ihresgleichen den Ton angeben. So geraten nicht selten gut erzogene Kinder zu Beginn ihrer Schulzeit in eine Phase der Verrohung hinein, der pädagogisch nicht genügend entgegengebracht wird. Nicht selten ist übrigens auch das Beispiel der Erwachsenen sehr wenig vorbildlich.“ In der heutigen Zeit bestehen insofern bedeutend bessere Voraussetzungen für die Aufzucht von Fohlen in unserem Land, als die wirtschaftlichen Bedingungen weit vorteilhafter sind. An Aufzuchtstationen fehlt es bedauerlicherweise jedoch weiterhin und somit ist empfehlenswert, dass sich jeder Züchter mit grundsätzlichen Fragen der Betreuung von Fohlen befasst. Dem normalen Verhalten von Fohlen entspricht, dass für ihn in den ersten Lebenswochen die Mutter der wichtigste Sozialpartner ist. Sie vermittelt Sicherheit und lehrt das Fohlen die ersten Dinge. Dieses innige Verhältnis soll nicht gestört werden und Fohlen gewinnen am ehesten Vertrauen zu uns, wenn sie unsererseits einen sorgfältigen und gefühlvollen Umgang mit seiner Mutter beobachten können. Diese Erkenntnisse wurden u.a. gewonnen, als die Hypothese des Imprinting-Trainings (Miller 1994) der wissenschaftlichen Überprüfung unterzogen und in Frage gestellt wurde (Henry et al., 2005; Henry et al., 2006; Hausberger et al., 2008; McGreevy, 2011). Diese Ergebnisse sind glaubwürdig, selbst aus der Sicht eigener Erfahrungen. Wir erlebten ja in der kurzen Zeit der staatlichen Maultierzucht im Puschlav, dass die Mulis mit Imprint-Training als Fohlen im Militär leichter handzuhaben waren als frühere Produkte. Dieser erfreuliche Sachverhalt kann aber die Vermutung zulassen, dass frühere Fohlen wohl kaum je menschlichen Kontakt hatten und somit jede Art und Weise der Beschäftigung eine Verbesserung gebracht hätte. Auch hier gibt es offensichtlich keine Faktoren die falsch oder richtig sind, sondern dass erfühlt werden muss, was zuviel und was zuwenig ist. Wir sprechen hier nicht von einem Handwerk sondern von Kunst. Obwohl neugeborene Fohlen Nestflüchter sind, und als solche bspw. schon am ersten Lebenstag 5 km zurück legen können, haben sie bis zum Alter von etwa 10 Wochen ein sehr hohes Ruhebedürfnis. Während dieser Zeit sollen wir sie nicht belästigen, insbesondere weil sie ohnehin selber beginnen ihre Umgebung zu erkunden. Im Alter von drei Wochen beginnen sie verstärkt Kontakt zu gleichaltrigen 21 Fohlen aufzunehmen und mit etwa zwei Monaten auch zu älteren Herdenmitgliedern. Mit etwa fünf Monaten ist das Verhalten der Fohlen bereits dem der erwachsenen Pferde ähnlich, was für uns gewöhnlich der Zeitpunkt ist, sich mit dem Fohlen erzieherisch intensiver zu befassen. Dieser Zeitpunkt bietet sich auch für die Vorbereitung der Youngsters für das Absetzen und allfällige Schauen an, welche für diese ohnehin stressig sind. Dafür werden die Fohlen mit einer Halfter mit Trense oder einem Zäumchen versorgt und für gewöhnlich etwa 20 min. pro Tag beschäftigt. Das Bewegen erfolgt in vertrauter Umgebung und mit möglichst grosser Freiheit für das Fohlen (geradeaus geführt und nicht schief an einem kurzen Strick herumgezerrt); gleichzeitig kann man bereits das korrekte Vorstellen üben (offene Präsentation und Vorführen im Schritt). Präsentation des Fohlens Fabian an der Schau im Sand 1980 (Foto: Elisabeth Weiland) Das Anlernen eines jungen Maultiers fürs Basten in Gesellschaft eines erfahrenen und vertrauten Lehrmeistes (Sand-Schönbühl, Sept. 2014) 22 Gesundheitliche Aspekte Wie bereits mehrfach erwähnt ist es in jeder Hinsicht vorteilhaft, Equiden jung in Arbeit zu nehmen. Bezüglich der physischen Belange wurde dieser Vorteil mit vielen Studien bei diversen Nutzungen und in verschiedenen Ländern mit grossen Zahlen von Pferden überzeugend nachgewiesen. Wenn Pferde zu einem späteren Zeitpunkt im Sport eingesetzt werden, dann ist die Gefahr für ein verfrühtes Ausscheiden grösser (Bourke 1978, Price et al. 1995, Ricard & Fournet-Hanocq 1997, Hiney et al. 2000, Wallin et al. 2000, Williams er al. 2001, Sobczynska 2007, Inoue et al. 2008, Ducro et al. 2009, Ricard and Blouin 2011, van Weeren 2011, Cave 2012, Tanner 2012). Eine Erkenntnis, die gemäss Veltheim und von Hochstedter (1837 und 1838) jedoch auch schon bejahrt ist: „Es geschehe der Erfahrung zu Ehren, welche darthue, dass, wer seine Kräfte von Jugend auf übe, sei es auf der Jagd, am Ambos, auf dem Fechtboden, als Lastträger, sie auch in erhöhter Weise später anwenden könne. Unser bisheriges Schonungs-System bei den Pferden bis zum fünften, sechsten Jahre führe zur Schlaffheit“. Die heutige Wissenschaft bestätigt auch klar die über hundertjährige Ansicht vom Grafen de Montigny (1880): „Dans l‟entraînement des jeunes chevaux, les exercices doivent être à une allure vite, mais de courte durée“. Van Weeren (2011) brachte den weiteren Aspekt in diese Diskussion, dass häufig geschädigte Gewebe wie Gelenkknorpel und Sehnen eine schlechte Heilungskapazität haben. Die Bewegung des Jungtieres spielt für deren Konditionierung eine besonders wichtige Rolle. Zusammenfassung Wie jedes andere Lebewesen müssen Equiden auf eine Art erzogen und trainiert werden, und für viele Jahrhunderte diente nur praktisches Wissen als Lehrmeister. Verschiedene Methoden wurden entwickelt und es zeigte sich, dass empirisch begründetes Vorgehen sehr wertvolle Grundlagen schuf. Daneben fanden selbst widersprüchliche und inkonsistente Theorien Anhänger – wohl aus dem einfachen Grunde, dass einfache Rezepte willkommen sind. Erziehung und Ausbildung sind aber sehr anspruchsvolle Aufgaben, die wissenschaftlich unterstützt auf Grundlagen der Natur der Equiden erfolgen sollen. Der evolutionär und ethologisch begründete Umgang mit Equiden soll sie als Beute- und Herdentiere mit sehr gut entwickelten Sinnesorganen und bemerkenswert hoher natürlicher und sozialer Intelligenz wahrnehmen. Als Ausbildner von Equiden muss man für erfolgreiche Bemühungen offensichtlich das Geschick haben, das richtige Gleichgewicht der Anforderungen ans Tier bezüglich positiver und negativer Verstärkung treffen zu können. Dieser Zugang zur Ausbildung und Erziehung der Equiden verspricht bessere Erfolge, eine wirtschaftlichere Aufzucht, bessere Gesundheit und zukünftige Leistungsfähigkeit, höheres Wohlbefinden, geringere Verluste wegen Verhaltensstörungen und mehr Sicherheit für Tier und Mensch. 23 Literatur Anon. (1859): Herrn Rarey‟s Pferde-Bändigung im Lichte ihres praktischen Werthes. 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(1942): Haben Maultiere einen bösartigen und unvertrauten Cha-rakter ? Der Tierfreund, Nr. 9. Whyte-Melville G.J. und von Keudell K. (1983): Reit-Erinnerungen; Documenta Hippologica, Nachdruck der Ausgabe 1922, 11. Auflage; Olms Presse Hildesheim, Zürich, New York Wille F. (1992): Führungsgrundsätze in der Antike; Schulthess Polygraphischer Verlag Zürich Williams R.B., Harkins L.S., Hammond C.J. and Wood J.L.N. (2001): Racehorse injuries, clinical problems and fatalities recorded on British racecourses from flat racing and National Hunt racing during 1996, 1997 and 1998; Equine vet. J. 33 (5) 478-486 Zumtaugwald K. (1944): Der heutige technische und wirtschaftliche Stand der Walliser-Maultierzucht und ihre zukünftige Förderung im Dienste der Walliser-Landwirtschaft und der schweizerischen Armee. Diplomarbeit ETH Zürich, Abteilung für Landwirtschaft 27 Anhänge Anhang 1 / Der Onager Der Onager ist ein asiatischer Wildesel, dessen Unterarten heutzutage auf der Roten Liste der IUCN (International Union for the Conservation of Nature) zum Teil als stark vom Aussterben bedroht gelten (der persische Onager E.h. onager und der indische Kulan E. h. khur) bzw. als gefährdet eingeschätzt werden (der mongolische Dziggetai E. h. hemionus, der östliche Kiang E. h. holdereri, der südliche Kiang E. h. polyodon und der westliche Kiang E. h. kiang). Der syrische Wildesel (E. h. hemippus) ist bereits ausgestorben. Förderprojekte der Werner Stamm StiftungOnager (Equus hemions onager) Die Systematik der asiatischen Wildesel ist noch nicht restlos geklärt. So gehen die einen Forscher davon aus, dass die acht heute über den Kontinent verstreuten, sich unterscheidenden Wildesel-Populationen allesamt Unterarten einer einzigen Art sind, des Equus hemionus; andere wiederum teilen die asiatischen Wildesel in bis zu drei Arten ein, den Equus hemionus, den Equus khur und den Equus kiang. Die Situation in der Wildbahn Die Wildpopulation des Onagers ist heute auf zwei geographisch von einander isolierte Regionen im Iran reduziert. Eine Population befindet sich im Reservat Bahrame-Goor südöstlich von Shiraz in der Provinz Fars, die andere im Reservat Touran im Nordosten der Provinz Semnan. Schätzungen im Jahr 2002 ergaben in den zwei Reservaten 96 und 471 Tiere. Die grössten Gefahren für den Onager sind die Wilderei, die zunehmende Zerstörung des Habitats, die Konkurrenz durch Haustiere und Störungen während der Fortpflanzungsperiode. Je kleiner die Population umso gravierender wirken sich Verluste durch Krankheit oder Dürre aus. Zusätzlich droht eine genetische Verarmung. Die Zoo-Population Zwischen 1954 und 1973 wurden 55 Onager im Iran gefangen und in verschiedene Zoos gebracht. Am 1.1.2009 waren im seit 1954 geführten Internationalen Zuchtbuch weltweit 103 (41.62) Onager registriert. Der bisher grösste Halter dieser Tierart mit 47 Tieren, das "Canyon Colorado Equid Sanctuary“ ist daran, seine Onager an andere Institutionen abzugeben und hat sich 2007 vom gemeinsamen Zuchterhaltungsprogramm offiziell zurückgezogen. Somit verbleiben weltweit 21 Institutionen, die diese stark gefährdete Tierart züchten Auch in Europa zogen sich einige ursprüngliche Halter von der Onagerzucht zurück, was die Unterbringung überzähliger Tiere und die Schaffung von Junggesellengruppen sehr erschwert. Schliesslich erfährt die Zoo-Population eine Überalterung mit einer schleichenden Abnahme der Fertilität. Im Rahmen des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms (EEP) werden Onager in 16 Institutionen gehalten. Die europäische Zoo-Population besteht zurzeit aus 79 Tieren, 30 Hengsten und 49 Stuten. 28 Seit 2004 ist ein Artkomitee unter der Leitung vom Tierpark Hagenbeck aus Hamburg daran, die Zuchtbemühungen des Onagers zu koordinieren. Die Werner StammStiftung wirkt seit Anfang 2010 in diesem Gremium mit. Erhaltungswert der Art Alle asiatischen Wildesel - darunter der am stärksten vom Aussterben bedrohte Onager - haben einen hohen kulturellen und biologischen Wert. In ihren historischen Verbreitungsgebieten überlappt sich ihr Vorkommen mit dem der Wildpferde, sie besiedeln aber als einzige auch die unwirtlichsten und kargsten wüstenartigen Gegenden. Die nötigen physiologischen Adaptationen, die es braucht, damit ein so grosser Herbivore mit so spärlicher Vegetation überleben kann, sind bis heute unverstanden. Auch ihre unglaubliche Ausdauer ist ein ungeklärtes Phänomen. Empfehlungen der EAZA Equid TAG (Taxon Advisory Group) Das Europäische Zuchtprogramm (EEP, European Endangered Breeding Programme) muss dringend intensiviert werden. Die Zoo-Population muss rasch vergrössert werden, um eine genetisch lebensfähige und gesunde Population zu etablieren. Es braucht dringend neue Halter, die weitere Zuchtgruppen oder JunggesellenGruppen ins Leben rufen. Die genetischen Grundlagen der europäischen Zoo-Population sind erarbeitet worden; nun gilt es die Erkenntnisse konsequent und schnell umzusetzen! Der Onager an der Werner Stamm-Stiftung Die Werner Stamm-Stiftung züchtet diese Unterart asiatischer Wildesel schon seit über 30 Jahren. Die erste Geburt erfolgte 1976, und bis heute kamen 54 Jungtiere auf die Welt. Trotz dem guten Zuchterfolg stagniert die Entwicklung dieser seltenen Tierart. Die schwierige Situation der weltweiten Zoo-Population spiegelt sich auch in unseren Gehegen wieder. Ein knappes Drittel der Neugeborenen starb kurz vor oder nach der Geburt. Das Geschlechterverhältnis der Jungtiere war mit 37 Hengsten und lediglich 17 Stuten sehr ungünstig. Entsprechend schwierig war es dann auch, die überzähligen Hengste an andere Institutionen abzugeben. Mit diesem Problem hatten auch andere Zoos zu kämpfen, was die Zuchtanstrengungen nicht gerade förderte. Durch Vermittlung des Artkomitees konnten im Jahr 2010 2 junge, von der Genetik her wertvolle Stuten aus Augsburg resp. Montpellier nach Oberwil geholt werden. Mit dieser bereichernden Aufstockung unserer Zuchtgruppe hoffen wir neue Impulse in unseren Zuchtbemühungen dieser Art zu bekommen. Unsere Onager-Zuchtgruppe besteht neu aus einem Hengst und 4 Stuten. Die Werner Stamm-Stiftung setzt grosse Hoffnungen in die koordinierenden Bemühungen des Artkomitees und wird weiterhin ihre Ressourcen und ihre Erfahrung zu einem verbesserten Verständnis dieser noch ungenügend erforschten Tierart in den Dienst der vom EEP formulierten Erhaltungsziele stellen. 29 Anhang 2 / Das Maultier und die Peitsche Die unsägliche Schreibe von Pfarrer Roots (Seite 9) macht es unabdingbar, auch kurz auf den Gebrauch der Peitsche bei Equiden zu sprechen zu kommen. Zur Geschichte des Einsatzes von Peitschen Die Tradition des Peitschengebrauchs bei Equiden und anderen Tieren ist alt und reflektiert eine Zeit, zu der jede Intervention mit Tieren, auch eine schmerzhafte, mit Vorteilen für den Menschen gerechtfertigt wurde. Über das Ausmass des Einsatzes dieses Mittels gibt u.a. das Peitschenmuseum in Killer (Schwäbische Alp) Auskunft, wonach man in früheren Zeiten auf einem durchschnittlichen Landwirtschaftsbetrieb pro Woche eine Peitsche verbrauchte. Deren Herstellung lag in den Händen von Berufsleuten und die Lehre als Peitschenmacher dauerte 3 Jahre; 20 bis 25 diverse Peitschen wurden damals hergestellt. In der heutigen Zeit und in unserer Kultur hat sich die Einstellung zum Peitscheneinsatz bei der Nutzung von Pferden und ihren Verwandten jedoch gewaltig geändert. Insbesondere im Sport wird der Einsatz der Peitsche heutzutage sehr kritisch beurteilt, vor allem dank wissenschaftlicher Studien im australischen Rennsport. Diese regten die Diskussion heftig an, weil sie nachweisen konnten, dass Peitschenschläge die Geschwindigkeit der Pferde nicht positiv beeinflussen und ihr Einsatz somit in Frage gestellt werden muss. Anderseits ist mittlerweile überdies den meisten Leuten klar geworden, dass der Peitschengebrauch für die Reputation des Sportes in einer zivilisierten Gesellschaft überaus schädlich ist. Doch wie verhält es sich mit dem Einsatz der Peitsche bei den Maultieren, die traditionell ja die allergrössten Leistungen erbrachten ? Über dieses Kapitel gibt ein Buch aus den USA Bescheid und uns dürfte nicht überraschen, dass im Umgang mit Mulis auch in diesem Bereich ganz besondere Dinge beachtet werden müssen (Morgan, 1972: Whips and Whipmaking). Man denke bspw. nur schon an die mörderischen Transporte von Borax mit 10 Maultierpaaren im Death Valley. Hier hätte eine Peitsche ziemlich lang (!) sein müssen, wenn der Kutscher die Tiere nur mit Peitschenschlägen hätte motivieren wollen; solch eine Peitsche wäre auch schwer und überaus unhandlich gewesen. Es gab somit prinzipiell nur zwei Typen für den Einsatz bei den Maultieren, die beide zweiteilig waren. Für das Fahren vom Wagen aus verwendete man Peitschen mit einem Griff von 90 bis 120 cm Länge mit einer schweren Schnur von etwa 4 bis 5 m Länge. Für Gespanne von 2 Maultieren waren sogenannte Schlangen- oder WagenPeitschen mit Schrotkugeln üblich (ähnlich wie die von Roots erwähnte ‚Black Snake„). Grössere Gespanne wurden für gewöhnlich mit einem Postillion-Reiter gefahren (Reiter auf dem vordersten Maultier links) und begleitende Reiter (auf Pferden) benutzten eine ähnliche Peitsche mit einem kurzen Griff (36-40 cm lang) aber mit einer noch schwereren Schnur. Grundsätzlich galt, dass Maultiere auf Peitschenschläge anders reagieren als Pferde; sie würden lernen aufzupassen und schon auf die Drohung reagieren als auf die Bestrafung zu warten. Die schweren Peitschen sollten somit nicht gebraucht werden um die Maultiere zu berühren oder zu schlagen, sondern primär um Lärm zu erzeugen. 30 Postillion-Reiter in Argentinien (2007) Die sog. „geladenen Schlangenpeitschen“ (loaded snake whips) in den USA hatten häufig keinen festen Handgriff, damit sie um den Hals getragen werden konnten. Am Ende der Peitschenschnur, auf einer Länge von etwa 90 – 120 cm, waren bleierne Schrotkugeln eingeflochten, was sowohl ihre Handhabung erleichterte wie auch ihre Wirkung verstärken konnte. 31 Muleskinner Theorie und Praxis dürften jedoch eher selten in Einklang gestanden haben, weil für die Treiber von Ochsen die Bezeichnung „bullwhacker“ galt („whacker“ steht für „Mordsskerl“), während Maultier-Treiber „muleskinners“ genannt wurden. Verbürgte Angaben für diesen Ausdruck „Maultier-Häuter“ gibt es zwar nicht, aber anekdotisch wird berichtet, dass Treiber früherer Zeiten die Mulis so häufig und heftig schlugen, dass ihre Haut blutig wurde. So unerfreulich dies auch tönt – glaubwürdig ist dieser Erklärungsversuch sehr wohl. In Nordafrika können jedenfalls heutzutage noch Maultiere angetroffen werden, an deren Hinterteil wegen ständigen und unaufhörlichen Schlägen das nackte Fleisch zu Tage tritt. In einigen Gegenden der USA, wo Farmer die Maultiere für die Ernte zur Verfügung stellten, wurde von den muleskinners damals auch verlangt, dass zwecks Milderung des Schlags ihre Peitschen doppelt gebrochen sein mussten. Literatur Morgan D.W. (1972): Whips and Whipmaking With a Practical Introduction to Braiding. Uses and Types, Design and Construction, Use of Whips, Plaiting. CMP Cornell Maritime Press, Inc. Cambridge Maryland Urtenen, 31.01.2015 / HPM 32