Narciss und Echo: Von Gegenfiguren zu Spiegelungen in einer

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Narciss und Echo: Von Gegenfiguren zu Spiegelungen in einer
Seminar: Ovid´s Metamorphosen
Prof. Dr. Bettine Menke
SoSe´10
Gaby Leubecher, 26213
09.05.´10
Narciss und Echo:
Von Gegenfiguren zu Spiegelungen in einer verdoppelten Misere
Die in das Dritte Buch von Ovids Metamorphosen eingebettete Episode um Narciss und
Echo hat wohl, trotz ihrer Kürze, in der Nachwelt den tiefsten Eindruck hinterlassen.
Zeugnis davon geben die zahlreichen Nachgeschichten, Umdeutungen, Rezeptionen in
bildender Kunst und nicht zuletzt die Einführung des Narzissmus-Terminus und der
"narzisstischen Konstellation" in Psychoanalyse, Psychologie und Feminismus.
Da es jedoch nicht nur um den jungen Mann Narciss selbst, sondern gerade auch um die
vermeindliche Nebenfigur Echo geht, ist es wichtig, gerade die vielschichtige Verbindung beider Wesen in den Fokus dieses Essays zu rücken. Denn dadurch, dass Ovid den
Narciss-Mythos mit dem um Echo verknüpfte, wob er eine überaus komplexe
Beziehungsgeschichte.
Die Nymphe Echo verfällt ihrer unerfüllten Liebe zu dem schönen Narciss, Narciss
hingegen liebt niemanden außer schlussendlich sich selbst, beide opfern dieser ihrer
Liebe ihr Leben.
Obwohl es sich bei dem Jüngling Narciss und der Nymphe Echo um Gegenfiguren
völlig verschiedenen Charakters zu handeln scheint, deren Schicksal sich in der EchoNarciss-Episode schneidet, ähneln, ja überschneiden sich diese beiden Mythen-Gestalten in viel mehr Punkten, als auf den ersten Blick offenbart wird. Die existentiellen Probleme der beiden weisen fast schon unheimliche Parallelen auf, obwohl diese durch die
mythischen Konstellationen ihrer kurzen Episode verschleiert werden und somit den
Sichtverhältnissen innerhalb eines dunklen Waldes ähneln. Unter den Gesichtspunkten
der Metamorphosen sowohl des Narciss als auch der Echo, sowie den zentralen Problemen von Identität und unerfüllter Liebe will ich im folgenden versuchen, die These zu
belegen, dass es sich bei Narciss und Echo eher um verworrene Spiegelungen als um
Gegenspieler handelt.
Bereits in der Vorgeschichte des Sohnes der Wassernymphe Liriope und des Flussgottes Cephisus (339-401), in welcher seine Herkunft beschrieben wird, offenbaren sich
Hochmut, aber auch außergewöhnliche Anmut des Narciss. Von Unzähligen begehrt,
kränkt und verschmäht er sie alle, bis er schließlich von einem Verachteten (404)
verflucht wird:
"So mög lieben er selbst und so, was er liebt, nicht erlangen!" (405)
Diese erste innere Verwandlung bewahrheitet sich, als sich Narciss in einer Quelle erblickt, und sich, entzückt von seinem eigenen Spiegelbild, sogleich in selbiges verliebt.
Er versucht fortwährend, seinem Spiegelbild näher zu kommen und muss immer wieder
schmerzlich erfahren, dass dieses Vorhaben zwecklos ist. (413-426).
Er versucht, herauszufinden, warum es ihm nicht gelingt, hinterfragt sich selbst (432f).
Obwohl ihm klar wird, dass er an sein Spiegelbild nicht herankommzukommen vermag,
versucht er dies unaufhörlich und klagt sogar den Bäumen sein Leid (437-445), später
spricht er sein Spiegelbild direkt an (453-462), obwohl er letztenendes erkennen muss,
dass es er selbst ist, den er begehrt und für den er entflammt ist. Dennoch wird die
erotische Verirrung immer stärker, immer tiefer versinkt er in der Faszination seiner
selbst, das gleichzeitige Realisieren der Ausweglosigkeit dieser Liebe impliziert seinen
baldigen Tod (463-473). Er fleht sein Spiegelbild an, doch nicht wegzugehen und
schlägt sich, als Klagegeste, selbst auf die Brust (474-485) und schwindet anschließend,
körperlich völlig entkräftet, vor Liebe dahin (489).
Die anschließende, zweite Verwandlung wird ziemlich genau beschrieben (491-510).
Zunächst verschwindet der Körper des Narcissus (491-493).
Die Nymphen (unter ihnen Echo) beklagen seinen Tod, der keine Leiche hinterlässt,
sondern eine Blume statt dem Leib, eine Narzisse.
Der Fehler des Narciss wurde ursprünglich als rein erkenntnistheoretischer Fehler
gesehen. Narciss lässt sich von Sinneseindrücken täuschen.
Doch Ovid hat diesem Erkenntnis-Motiv das Liebesmotiv hinzugefügt und somit jene
tiefenpsychologische Dimension der Erzählung geschaffen, die noch heute ihre
Wirkung zeigt.
Das Problem stellt hier kein Problem der Erkenntnis dar, sondern vielmehr das der
Ohnmacht gegenüber der ungeheuren Macht der (unerfüllbaren) Liebe.
Einer Macht quasi über Leben und Tod, die nicht nur Narciss ums Leben bringt,
sondern natürlich auch Echo.
Die Verwandlungen des Narciss strahlen innerhalb der Methamorphosen und der ganzen Mythologie eine gewisse Einzigartigkeit aus, die auch zu jenen berühmten Nachgeschichten und psychologischen Rezeptionen geführt hat, jedoch nähern sich ihnen die
Verwandlungen Echo´s metonymisch an, nicht bloß im Sinne des Motivs des
hoffnungslosen Verfalls an eine unerwiederte Liebe.
Geht man zuerst einmal davon aus, dass Echo in zwei Schritten verwandelt wird, findet
sich das Pendant in einer zweistufigen Verwandlung des Narciss.
Auch in ihrer Beschaffenheit ähneln sich die beiden Verwandlungsebenen von Narciss
und Echo in markanter Weise.
Die erste Wandelung des Narciss besteht darin, einer nicht erlangbaren Liebe zu erliegen, als Bestrafung dafür, hochmütig all diejenigen abgewießen, die ihn begehrten.
Auch Echo´s erste Verwandlung dahingehend, nur noch die Worte anderer wiederholen
zu können, war ja bekanntermaßen eine Strafe, sie wird schließlich von Juno für ihre
Geschwätzigkeit bestraft .
Nicht nur die Beweggründe für diese ersten Verwandlungsufen als eine Strafe von
außen auferlegt sind kohärent, sondern auch die Tatsache, dass die Veränderung eher
"innerlich" von statten geht, während beide ihre bisherige Physiognomie noch behalten.
Das ändert sich jedoch in der zweiten "Verwandlungsstufe":
Das endgültige Dahinsiechen der Echo - abgewiesen und einsam, ihr Körper vergehend,
entspricht nicht rein zufällig der zweiten Wandelung des Narciss- denn beide siechen
sie dahin und sterben schließlich an unerfüllter Liebe. Während Echo Narciss total verfällt, verfällt Narciss seiner eigenen optischen Spiegelung.
Die erneute Metamorphose bedeutet die endgültige Zerstörung all ihrer Hoffnungen
und Sehnsüchte. Die Liebe zehrt so an ihnen, dass ihr physisches Dahinschwinden beginnt und die entgültigen Metamorphosen in die Wege leitet, die keine Weiterentwicklung mehr zulassen.
Während von Echo nur die Stimme bleibt, soll sich ihr Gebein in Stein verwandelt
haben (399)- ihre körperlichen Überreste bilden also eine Einheit mit der sie umgebenden Natur, Sie wird zu einer omnipotenten Naturerscheinung.
An Narciss lässt sich ein vergleichbarer Übergang des Körpers in ein Naturelement
-eine Blume- beobachten.
In dem Schwinden der körperlichen Existenz beider Figuren liegt eine wohl sehr klare
Parallelität der zwei Erzählungen. Auch das apprupte Abrechen der Existenz beider
Schicksale nach dieser zweiten Verwandlung vereint sie, wenn auch in negativer Weise.
Doch nicht nur die Verwandlungen als solche weißen erhebliche Parallelen auf, auch
die scheinbare Nebenhandlung um die Misere der Echo und ihre Verwebung in die
Geschichte des Narciss spiegeln viele jener Züge wieder, die auch Narciss in sein
Verderben stürzten.
Die Quelle, in der Narciss mit seinem Spiegelbild konfrontiert wird, ist zunächst ein
zentrales, für den Handlungsverlauf unverzichtbares Naturelement, gleichzeitig steckt
in ihr aber auch ein mächtiger Symbolcharakter im Hinblick auf die Narciss-EchoBeziehung: All das, was der Jüngling an der Quelle erlebt, stellt eine Art ausgleichende
Gerechtigkeit zu allem dar, was er Echo angetan hat. Er erleidet die selben Qualen, die
sie wegen ihm erlitt, all die Abweisung, die daraus resultierende Einsamkeit, Liebesqualen und Selbstzweifel, und schließlich denTod.
Dieser Tod wiederum, und sein Abschied, bei dem die Nymphen um ihn Klagen
(493-502), steht wiederum ganz im Zeichen Echos, welche erst seine Klagelaute und
dann die der Nymphen wiederholt. Der ausschließlich sich selbst liebende Narciss wird
also sogar bei seinem Ableben mit seinen eigenen Worten beweint und verabschiedet.
Doch die Quelle ist nicht nur die Vorbedingung der physikalischen Spiegelwirkung,
Ovid stellt sie auch als Metapher der menschlichen Seele dar, als Bild der Beschaffenheit der Seele von Narciss, seiner Unberührtheit, Einsamkeit und Ohnmacht.
Genau diese Nöte charakterisieren wiederum auch das Schicksal Echos, auch wenn sie
bei ihr natürlich aus anderen Faktoren resultieren. Echo führt ein Leben im Verborgenen, wirkt verstohlen, einsam, ihr Schicksal: ein einsames Ende.
Gleichzeitig lassen sich im Kontext dieser verhängnisvollen Spiegelung wiederum auf
der Basis der sinnlichen Wahrnehmungen Vergleiche ziehen :
Das Phänomen der Spiegelung auf optischer Ebene entspricht dem Phänomen der
Wiedergabe (durch ein Echo) auf akkustischer Elemente. Dies entwickelt sich sogar
dahingehend, dass Echo oft als "akustische Spiegelgestalt des Narciss" gedeutet wird.
Wie schon erwähnt, repräsentiert Echo in ihrem Wesen die akustische Reflexion,
Narciss aber die optische Reflexion. Echo wird verführt durch die Schönheit des
Narciss, der sich später in sein eigenes Spiegelbild verliebt, während Narciss selbst
durch ein akustisches Phänomen getäuscht wird, und der Kreis sich schließt, indem
Echo am Ende dem stummen Spiegelbild des Narciss akustisches Leben verleiht.
All diese Paralellen zeigen, dass wir es mit zwei Gestalten zutun haben, die beide auf
ihre Art und doch wieder auf die Art des anderen in einer unauflöslichem Misere, einem
unabwendbarem Schicksal gefangen sind, was durch ihre Metamorphosen unwieder-
ruflich besiegelt wird.
Jedesmal wird das Verhalten des Gegenübers als eine Art Einladung missinterpretiert
( das Gebaren des Narciss von der verliebten Echo und die Erscheinung des Spiegelbildes von Narciss selbst ). Jedesmal erfolgt ein Fliehen des Objektes der Begierde vor
seinem Liebhaber (Narciss flieht vor Echo, sein Spiegelbild vor ihm, obgleich er es
anfleht, doch zu bleiben ). Und jedesmal wird die Ablehnung des Anderen als Mangel
an sich selbst erfasst, was schließlich zu Mangelerscheinungen am Körper und dessen
komletter Vernichtung führt.
So werden schließlich Unterschiede zu Gemeinsamkeiten, das Dilemma der ewig
unerfüllten Liebe wird zum Dilemma um die eigene Identität, das Eigene wird zum
Fremden und das Fremde zum Eigenen, was im Blick auf das Gesamtkonstrukt auch
eine Art Metamorphose auf Metaebene darstellt.

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