Programm der Meyer-Tagung 2012
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Programm der Meyer-Tagung 2012
Albrecht Dürer: Die Geburt Mariens um 1503, Holzschnitt, 29,9 x 21,0 cm, Klassik Stiftung Weimar, Inv. DK 335/81 Fotograf: Klassik Stiftung Weimar Gott geht neue Wege Kunsthistorische Betrachtung von Emese Doehler Die Erzählung über die Eltern Marias, ihre Geburt und Kindheit ist nicht offizieller Bestandteil des Neuen Testaments. Als Textquellen dienen unter anderem das sogenannte Protoevangelium des Jakobus, um 150 in Syrien verfasst, und die Sammlung von Heiligenlegenden, die der Franziskaner Jakobus de Voragine im 13. Jahrhundert unter dem Namen Legenda aurea zusammengestellt hatte. Klassik Stiftung Weimar | Sichtbarer Glaube 2011/2012 | 09.2013 Albrecht Dürer, der die außerbiblischen Erzählungen und Legenden kannte, war einer der bedeutendsten Künstler der deutschen Renaissance, Maler, Grafiker, Mathematiker und Kunsttheoretiker von europäischem Rang. Er wirkte hauptsächlich in seiner Geburtsstadt Nürnberg. Er hatte Kontakt zu dem Kreis der Humanisten seiner Zeit und bildete sich nicht zuletzt durch traditionelle Reisen, beispielsweise in Italien und den Niederlanden. Das Motiv der Mariengeburt, auch Wochenstube genannt, ist bereits in der frühchristlichen Kunst als Bildthema aufgegriffen worden. Im Gegensatz zur Geburt Christi ist hier der Ort des Geschehens immer ein Innenraum. Während im frühen Mittelalter die Szene stets in einen feierlichen oder zumindest sakralen Raum gesetzt wurde, war es seit dem 15. Jh. vorrangig die detailreich geschilderte bürgerliche Wohnstube, in der die Wöchnerin Anna und ihre Tochter Maria von Frauen versorgt werden. Die Darstellung Die Geburt Mariens ist das vierte Blatt in Dürer Holzschnittfolge Das Marienleben, die einschließlich Titelblatt aus insgesamt 20 Blättern besteht. Die einzelnen Szenen wurden nicht chronologisch gefertigt – vielleicht hatte Dürer zunächst gar nicht vor, eine Bilder-Folge zu gestalten. Das Titelblatt fügte er 1511 hinzu und gab die Serie als Buch heraus. Zusammen mit der Apokalypse und der »Großen Holzschnittpassion« bekam die Publikation 1511 den Titel Die drei großen Bücher. Entgegen der dramatischen Apokalypse und der spannungsbeladenen Großen Passion weist das Marienleben eher eine erzählerische Form auf. Dürer inszeniert genrehaft das heilige Geschehen. Die Personen sind in drei Gruppen geordnet. Durch die unterschiedliche Körperhaltung und Blickrichtung der Dargestellten wird die Aufmerksamkeit des Betrachters von einer Gruppe zur anderen gelenkt. Anna liegt im Himmelbett, dessen Vorhang zur Seite gezogen ist. Dahinter reichen ihr zwei Frauen zur Stärkung Speis und Trank. Vermutlich geht diese gestalterische Lösung auf italienische Vorbilder zurück. Die Entbindung der betagten Anna ist wohl nicht ganz leicht gewesen. Der ikonografischen Tradition entsprechend liegt sie ermattet, von Kissen gestützt. Eine Helferin, vielleicht die Hebamme, lehnt sich erschöpft auf das Bett der Wöchnerin. Sie lenkt den Blick des Betrachters zu den Frauen vorne rechts, wo die neugeborene Maria in einem Bottich gebadet und der Begrüßungstrank herumgereicht wird. Als Verbindung zur letzten Gruppe links steht eine Magd, die Wiege und einen Krug tragend, in der Bildmitte. Ihr erteilt eine Dame wohl neue Anweisungen. Entspannte Klassik Stiftung Weimar | Sichtbarer Glaube 2011/2012 | 09.2013 –2– Fröhlichkeit herrscht unter den Frauen, es ist endlich Zeit für das eigene Kind und für einen kräftigen Schluck aus dem bauchigen Krug. Die Szene erscheint wie ein weltliches Treiben. Die Wochenstube zeigt das Gemach des zeitgenössischen Nürnberger Bürgertums mit diversen Möbelstücken und Einrichtungsgegenständen. Die Helferinnen tragen Kleidung aus Dürers Zeit, ihre Häupter sind meist mit einem einfachen Kopftuch bedeckt. Zwei Besucherinnen sind mit zeitgenössischem Tuch bzw. Ballonhaube eleganter gekleidet. Einzig der in Wolken schwebende und Weihrauch spendende Engel erscheint überirdisch in dem geschlossenen Raum und verleiht dem wie eine Alltagsszene wirkenden Motiv etwas Erhabenes. Im Gegensatz zur Vorzeichnung hat Dürer die Zahl der Figuren im Holzschnitt deutlich vermehrt und den Raum nach oben für die Engelserscheinung geöffnet. Entsprechend der ikonografisch bedingten Figuren-Hierarchie wurde das prominente Kind, Maria, hervorgehoben und das Bett der hl. Anna aus der Mitte des Raumes in den Hintergrund gerückt. Der Holzschnitt ist ein Hochdruckverfahren und eine der traditionsreichsten unter den druckgrafischen Techniken, die bis in das Ende des 14. Jahrhunderts zurückgeht. Dürer brachte sowohl die Holzschnitt- wie auch die Kupferstichtechnik zur Perfektion. Ein großformatiger Holzschnitt wie Die Geburt Mariens wurde in sechs bis acht Wochen fertig geschnitten. Durch Überlagerung mit dichten, zarten Linien sowie eng liegenden Schraffuren, die zum Licht hin in Punkten enden, werden verschiedene Tonstufen sichtbar und die Darstellung erreicht eine malerische Wirkung. Die Nachfrage war denkbar groß, einzelne Szenen der Holzschnittfolge konnten auch von weniger begüterten Bürgern erworben werden. Auf Bretter oder an der Wand befestigt fungierten sie als privates Andachtsbild. Weniger die Andacht, vielmehr die Sammelleidenschaft führte diese Druckgrafik, die vermutlich in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts erworben wurde, in den Besitz von Herzog Carl August von Sachsen-WeimarEisenach. Für ihn bildeten Grafiken von Dürer und Rembrandt einen Sammelschwerpunkt. Ab den 1790er Jahren prägte Johann Wolfgang Goethe die Geschicke und das Profil der herzoglichen Kunstsammlungen mit. Klassik Stiftung Weimar | Sichtbarer Glaube 2011/2012 | 09.2013 –3– Literatur Hollstein, F. W. H.: German Engravings, Etchings and Woodcuts ca. 1400−1700, Bd. 7, Albrecht and Hans Dürer, Amsterdam 1962. Winkler, Friedrich: Die Zeichnungen Albrecht Dürers, Bd. 2, Berlin 1937. Theologische Bemerkungen von Horst Klemm Ein kinderloses Ehepaar war in Israel nicht angesehen. Kinder galten als Segen Gottes, Kinderlosigkeit hingegen als Strafe. Die Eltern Marias – Joachim und Anna – hatten Demütigungen hinzunehmen. So wird es auch erzählt von Abraham und Sarah, Hanna und Eljakim, Elisabeth und Zacharias. Immer musste Gott eingreifen, um seine Verheißungen Wirklichkeit werden zu lassen. So erging es auch Joachim und Anna nach dem Protoevangelium des Jakobus (Kap. 1, V. 2 u. 3). Erst nach der Geburt Marias waren auch diese Eheleute von Gott gesegnet, im 6. Kapitel dieses Textes wird Maria im Tempel Gott geweiht. Im jugendlichen Alter erfährt Maria durch den Engel Gabriel, dass sie Mutter Gottes werden soll. Der Engel grüßt sie als die Begnadete. Der Herr ist mit dir! Hier muss unbedingt gesagt werden, dass die Heilsbotschaft der Schrift nur mit Blick auf das Ostergeschehen richtig gedeutet werden kann. Wenn das nicht berücksichtigt würde, wäre wohl der christliche Glaube sehr anfällig gegen jede Art von Zweifel. Auch so ist alles nur vom Glauben her zu verstehen, denn es geht ja hier um die Unbefleckte Empfängnis Marias. Das heißt: Maria ist ohne Erbsünde geboren im Hinblick auf das, was Gott an ihr Wirklichkeit werden lassen wollte: Sie sollte als Reine und Unbefleckte den Sohn Gottes, Jesus Christus, gebären. Welches Ansinnen Gott an dieses jüdische Mädchen heranträgt, ist von der Bedeutung her nur zu erahnen. Gott will Mensch werden durch einen Menschen. In Phil. 2,5−11 wird klar ausgesprochen, wie Gott Mensch geworden ist, in allem uns gleich, die Sünde ausgenommen. Maria wird herausgefordert, auf das Ansinnen Gottes einzugehen und am Heilswerk Gottes mitzuwirken. Sie fragt, wie denn das geschehen soll. Sie weiß sehr wohl, dass da etwas auf sie Klassik Stiftung Weimar | Sichtbarer Glaube 2011/2012 | 09.2013 –4– zukommt, was menschliches Ermessen übersteigt. Wie soll das geschehen? Es ist gut, dass uns Maria als Fragende begegnet. Sie überlegt, sie bedenkt. Auf ihre Bedenken hin erläutert der Engel das zukünftige Geschehen: Das, was in dir wächst, ist vom Heiligen Geist. Hierauf gibt Maria als selbstbewusste und zugleich demütige Magd dem Engel ihre Zustimmung. Das Geburtsfest Marias ist − neben dem Geburtsfest Johannes des Täufers − das einzige Geburtsfest. Die Heiligen werden ja sonst nur an ihrem Todestag geehrt. Zu diesem Fest heißt es: Deine Geburt, Jungfrau und Gottesmutter, hat der ganzen Welt Freude gebracht. Denn aus Dir ging hervor die Sonne der Gerechtigkeit, Christus, unser Gott. Wann immer wir uns Maria verehrend zuwenden, gilt unser Lob letztlich ihrem Sohn. Marias Bedeutung wird auch im Tagesgebet ihres Festes hervorgehoben: Gott, unser Vater, du hast uns deinen Sohn gesandt, damit er uns heimführe zu dir. Um dies zu verwirklichen, hast du aus allen Menschen Maria als seine Mutter erwählt. Mit der Feier ihrer Geburt preisen wir deine Güte und Liebe zu uns Menschen und danken dir, der du lebst und herrschest in Ewigkeit. Klassik Stiftung Weimar | Sichtbarer Glaube 2011/2012 | 09.2013 –5–