VERÄNDERUNGSMANAGEMENT K130
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VERÄNDERUNGSMANAGEMENT K130
VERÄNDERUNGSMANAGEMENT K130 EINE STÄNDIGE ANPASSUNG AN NEUE RAHMENBEDINGUNGEN Dietrich Esfeld / Mike Heim E in komplexes Waffensystem auf See, wie die Korvette K130, unterliegt einer einsatzbedingten fortlaufenden Veränderung. Ursprüngliche Forderungen verlieren an Gewicht oder entfallen, zusätzliche Fähigkeiten werden erforderlich und vorhandene werden geschärft. Aus dem in der Militärisch-TaktischWirtschaftlichen-Forderung (MTWF) zugrunde gelegten erweiterten Aufgabenprofil der Marine wurde sehr schnell ersichtlich, dass es um mehr als nur einen Ersatz für die auf ihr Nutzungsende zulaufenden Schnellboote ging. Dazu gehören weltweiter Einsatz, multinationale, streitkräftegemeinsame maritime Operationen in Einsätzen niedriger und hoher Intensität, ebenso wie hohe Seeausdauer, Reich- fensystem, das auf Basis einer funktionalen Leistungsbeschreibung ohne bindende Vorgaben konkreter technischer Lösungen (Anlagen/Geräte) in einer konkurrierenden Ausschreibung beschafft werden sollte. Ziel war es, den potenziellen Anbietern gestalterische Freiheit zu geben und ideenreiche Lösungsansätze zu präsentieren. Der öffentliche Auftraggeber (öAG) beschränkte sich in der Realisierung nur auf seine Steuerungsfunktionen. Eine strikte Preisobergrenze wurde vorgegeben, um die Kosten des Projekts zu begrenzen. Innerhalb dieser sollte ein Maximum an Fähigkeiten realisiert werden („design-to-budget / design-to-cost“). Um die operationelle Interoperabilität der Korvetten innerhalb der Marine zu ge- über die Lieferung von fünf Korvetten fand im Dezember 2001 statt. Vertragspartner war das damalige Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) und die Arbeitsgemeinschaft „ARGE K130“. Die ARGE K130 bestand bei Vertragsschluss aus einem Konsortium unter Beteiligung der Werften Blohm + Voss, Nordseewerke Emden und der Friedrich Lürssen Werft. Die Umsetzung Schon während der Anfangsphase der Realisierung durchlief die in Bau befindliche Schiffsklasse einen stetigen Anpassungsprozess. Markante Veränderungen prägten das Gesamtprojekt. Das Projekt POLYPHEM wurde nicht bis BRAUNSCHWEIG MAGDEBURG ERFURT OLDENBURG LUDWIGSHAFEN AM RHEIN Inbetriebnahme 12/2006 05/2007 01/2008 03/2008 08/2008 Abnahme (geplant) 16.05.2007 14.11.2007 16.04.2008 13.08.2008 19.11.2008 Abnahme (durchgeführt) 29.01.2008 16.07.2008 23.11.2012 26.10.2012 02.11.2012 Indienststellung 16.04.2008 22.09.2008 28.02.2013 21.01.2013 18.12.2012 Eckdaten bis zur Inbetriebnahme der Korvetten K130 weite und Kampfkraft. Auch die Befähigungen von Hoher See kommend in den Küstenbereich hinein zu wirken, zur Überwasser-Seezielbekämpfung und zur Landzielbekämpfung sind zu gewährleisten. Dem umfangreichen Aufgabenprofil der Korvette K130 steht, insbesondere bedingt durch die Forderung des Einsatzes im Küstenvorfeld (littoral warfare) und die sich daraus ergebende schiffbauliche Gestaltung, nur ein relativ geringes Bauvolumen gegenüber. Ursprüngliche Verfahrensweisen Gestartet nach den Richtlinien des EBMat (Entwicklung und Beschaffung von Wehrmaterial) wurde der Beschaffungsvertrag der Korvette K130 gemäß den damals neuen Verfahrungsbestimmungen für die Bedarfsermittlung, Bedarfsdeckung und Nutzung in der Bundeswehr, dem CPM (Customer Product Management), umgesetzt. Die Realisierung von Projekten basierte auf rein funktionalen Forderungen. Die Korvette K130 wurde so zum ersten komplexen Waf- 16 währleisten, war es zweckmäßig, in Teilbereichen von rein funktionalen Leistungsbeschreibungen abzuweichen. So waren zum Beispiel die Vorgaben für das Einsatzsystem der K130 konkreter. Die 76-mm-Rohrwaffe von OTO MELARA, das Rolling Airframe Missile-System (RAM-System) und die Marineleichtgeschütze MLG 27 waren von Beginn an in Form von Beistellungen festgelegt. Der schwedische schwere Seezielflugkörper RBS15 Mk.3 (Robot System) sowie die Täuschkörperwurfanlage MASS (Multi-Ammunition Softkill System) waren der Industrie zur Integration in die Plattform vorgegeben. Speziell für die Integration in die K130 verliefen die Projekte Marinedrohne und der leichte Seeflugkörper POLYPHEM parallel und eigenständig. Eine den Forderungen entsprechende EloUM/GM1- Anlage UL5000K befand sich bereits in der Entwicklung und konnte mit Nachdruck zur Serienreife gebracht werden. Anteile der Einsatzsoftware der Fregatte Klasse 124 trugen letztendlich zur Realisierung der Einsatzsoftware K130 bei. Die Unterzeichnung des Bauvertrages zur Einsatzreife verfolgt, was zum ersatzlosen Verzicht auf die Integration dieses Flugkörpers in die K130 führte. Auf die ursprünglich vorgesehene Vorbereitung der Plattform („space & weight“) zur Einrüstung des Compact Towed Array Sonar Systems (COTASS) wurde verzichtet. Gleiches gilt auch für die Marinedrohne. Die Realisierung des Projekts war mit einigen „Geburtswehen“ verbunden. Zunächst ist der zutage getretene Schaden am Backbord-Getriebe der OLDENBURG kurz vor ihrer Abnahme im März 2009 und die sich daran anschließende Untersuchung, in deren Folge Mängel an allen verbauten Getrieben der Boote festgestellt wurden, zu nennen. Ein weiterer Faktor, der den Zeitpunkt der Abnahmen der Boote 3-5 massiv verzögerte, war die Beseitigung der Ursache für die grenzwertüberschreitende Schadstoffbelastung in den Maschinenräumen. Die Führung der Abgasleitungen durch die Maschinenräume und der Aufbau der Abgasstrangisolierung mussten grundlegend überarbeitet werden. MarineForum 10-2014 Indienststellung und Einsatz Im Marinestützpunkt Warnemünde hat die Marine am 28. Februar 2013 feierlich die Korvette ERFURT in Dienst gestellt und damit das 1. Korvettengeschwader vervollständigt. Die Feierlichkeiten zur Indienststellung der Korvette LUDWIGSHAFEN AM RHEIN wurden wenige Tage nach ihrer Rückkehr aus der WarmwasserErprobungsphase am 21. März 2013 nachgeholt. Nutzung und Veränderungsmanagement Mit der Gründung des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) am 1. Oktober 2012 wurde auch die Aufgabe der Nutzung in das BAAINBw übernommen. Mit der Wahrnehmung der Materialverantwortung für die Einsatzreife (MatV ER) durch das BAAINBw ist eine durchgehende Zuordnung der Verantwortung von dar nach heutigen Erfahrungen nicht mehr vertretbar. So wurde jüngst durch die Marine zur Verbesserung des Eigenschutzes bei bestimmten Wetterlagen eine Initiative zur Produktverbesserung der Korvette K130 in den Planungsprozess eingebracht. Zur Verringerung des erheblichen Wartungsaufwandes wurde die nachträgliche Einrüstung einer Anti-Bewuchsanlage zur Verhinderung von Muschelbewuchs in den seewasserführenden Leitungen notwendig. Daher wird derzeit auch die Abwasserauf- Die Korvette MAGDEBURG auf ihrer Fahrt zum ersten Auslandseinsatz MTF UNIFIL (Fotos: Bundeswehr) Inzwischen kann das 1. Korvettengeschwader bereits auf erste Einsatzerfahrungen zurückblicken. Die Atlantikquerung der LUDWIGSHAFEN AM RHEIN nach Recife, Brasilien, mit nur einem Bunkerstopp nach Verlassen des Englischen Kanals (Ärmelkanal) zeugt von der Seetüchtigkeit und Ausdauer der Schiffsklasse K130. Die BRAUNSCHWEIG und die MAGDEBURG haben als erste Einheiten des Geschwaders das Einsatzausbildungsprogramm absolviert und erfolgreich das German Operational Sea Training (GOST) der Royal Navy in Plymouth durchlaufen. Anschließend operierte die MAGDEBURG Ende 2012 als erste Korvette K130 im Rahmen eines mandatierten Einsatzes in der Maritime Task Force im Libanon (MTF UNIFIL), gefolgt von der BRAUNSCHWEIG im April 2013. Im Frühjahr 2014 hat die MAGDEBURG als deutscher Beitrag an der Standing NATO Maritime Group 1 teilgenommen. 18 der Beschaffung bis zur Aussonderung eines Produktes gewährleistet. Signifikant ist die Verschmelzung großer Teile der Aufgaben des ehemaligen Nutzungsleiters mit denen des Projektleiters in einer Person. Formal wurden die Aufgaben der MatV ER aus dem Bereich Marine am 1. Februar 2013 an das BAAINBw übertragen. Der Vorteil der einfacheren Koordination von Maßnahmen der Produktänderung/verbesserung und der Produkterhaltung durch die Bündelung der Entscheidungsverantwortung beim Projektleiter ist in der Nutzungsphase der Korvetten offensichtlich. Ebenso fließen aber auch die Betriebsund Nutzererfahrungen stetig in die Analyse und Bewertung des Projektleiters über einzuleitende Maßnahmen mit ein. Beispielsweise wird derzeit an einer adaptierten Softwareversion für das Einsatzsystem gearbeitet, um Erfahrungen aus Einsätzen und Tests umzusetzen. Auch ist der ursprüngliche Verzicht auf ein Feuerleitra- bereitungsanlage umgestaltet. Insbesondere auf Grundlage aktueller Erfahrungen aus Einsätzen ist die zusätzliche Einrüstung von schweren Maschinengewehren mit entsprechendem adaptivem Beschussschutz geboten. Ebenso soll die Unterbringungskapazität für zusätzliches Personal erweitert werden. Auch nach Indienststellung aller fünf Korvetten und der erfolgreichen Beteiligung an ersten Einsätzen steht die Komplettierung des Fähigkeitsprofils der K130 weiterhin im Fokus. Um die volle operationelle Einsatzfähigkeit zu erreichen, ist die Herstellung der materiellen Einsatzreife des Flugkörpers RBS15 Mk.3 Voraussetzung. Der Beschaffungsvertrag wurde am 21. September 2005 geschlossen. Alle Flugkörper wurden geliefert. Ein weiterer wichtiger Meilenstein ist der erfolgreiche Abschluss der Einsatzprüfung RBS15. Das erste Flugkörperschießen von Bord der Korvette MAGDEBURG fand im Mai 2013 MarineForum 10-2014 Korvette BRAUNSCHWEIG vor Schweden statt. Während der Nachweis für die Funktionskette der Bordanlage RBS15 erfolgreich war, konnte der Nachweis für den Flugkörper nicht erbracht werden. Eine Wiederholung der Einsatzprüfung RBS15 ist somit notwendig und bereits für Anfang 2015 geplant. Konzeptionell ist die Korvette K130 als seegestützte Plattform für die Aufnahme einer Drohne (Unmanned Aerial Vehicle - UAV) mit der Fähigkeit zur EchtzeitAufklärung im Nahbereich vorgesehen. Hierzu wurde der Camcopter S-100 der Fa. SCHIEBEL näher betrachtet. Aufgrund von technisch-wirtschaftlichen Hemmnissen konnte der Camcopter nicht zur Einsatzreife gebracht werden und letztendlich wurde das Projekt abgebrochen. Nach Scheitern des streitkräftegemeinsamen Ansatzes erfuhr das Projekt einer seegestützten Drohne Mitte 2013 eine Wiederbelebung auf Grundlage des novellierten CPM. Das Projekt „Aufklärung und Identifizierung im maritimen Einsatzgebiet“ (AImEG) befindet sich gemäß CPM (nov.) in der Analysephase Teil 2. Lösungsvorschläge zur Vorbereitung einer Auswahlentscheidung werden derzeit erarbeitet. Wie rasant 20 die Entwicklungen gerade in dem technologischen Bereich der UAV bzw. remote controlled vehicles ist, verdeutlicht eine projektbezogene Marktrecherche. Mehr als zwölf Hersteller haben UAVs in ihrem Portfolio, die grundsätzlich geeignet wären, die Forderungen an eine Marinedrohne abgestützt auf der Korvette K130 zu erfüllen. Das allgemeine Fortschreiten der Technologie wird in allen Bereichen der Plattform K130 betrachtet und im Sinne des kontinuierlichen Erhalts der Einsatzreife mündet es in Maßnahmen der Produktänderung bzw. Produktverbesserung. Zukünftige Beispiele dafür sind die stetigen Anpassungen der Einsatz- und Kommunikationssysteme. Dabei ist die Integration des RAM Block 2 besonders hervorzuheben. Die Korvetten K130 werden die ersten Einheiten der Deutschen Marine sein, die mit diesem verbesserten Nahbereichsverteidigungssystem ausgestattet werden. Resümee Die politischen und technologischen Rahmenbedingungen zukünftiger Einsatzszenarien sind stets unvorhergesehe- nen Wandlungen unterworfen. Die Korvette K130 ist derzeit das modernste deutsche Kriegsschiff und mit ihr hat die Deutsche Marine ein zukunftsfähiges Mittel, um unseren Einsatz- und Bündnisverpflichtungen nachzukommen. Um diesen hohen Einsatzwert zu erhalten, ist eine stetige Veränderung, ein Anpassen an geänderte Rahmenbedingungen notwendig. Kern dazu ist ein systemisches Denken, d.h. Erkennen und Beurteilen von Abhängigkeiten und ihrer Wechselwirkungen. Anders gesagt: „Es gilt, Wald und Bäume gleichzeitig im Blick zu behalten.“ Nachhaltig und erfolgsversprechend ist dies nur organisationsbereichsübergreifend und gemeinsam möglich. Fregattenkapitän Dietrich Esfeld, Dipl. Wirt.-Inf., ist als Projektleiter im BAAINBw, Referat S3.3, verantwortlich für die Herstellung und den Erhalt der materiellen Einsatzreife der Korvetten Kl 130, Technischer Oberregierungsrat Mike Heim, M.Eng., ist Referent im Projekt K130 Anmerkungen: 1 Elektronische Unterstützungs-/Gegenmaßnahmen MarineForum 10-2014