Jules Verne

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Jules Verne
Jules Verne – der Trendscout des 19. Jahrhunderts
„Oh je, schon wieder den Lift verpasst!“ Mara drückte auf den silbernen Knopf und
der Fahrstuhl surrte leise heran. Gleichzeitig scannte das Physiognogramm ihr
Gesicht ein, verglich es mit dem gespeicherten Foto ihres Personalausweises und
sorgte dann dafür, dass der Fahrpreis von ihrem Konto abgebucht wurde. Schwarzfahren war völlig unmöglich.
Die Türen des Fahrstuhls öffneten sich und Mara nahm Platz. Während sie sich
anschnallte, rief sie ihre Freundin an: „Sorry, ich bin eben erst in den Lift
eingestiegen, es dauert noch ein bisschen. Ist die Party gut?“ Mara klappte das
Handy zu, lehnte sich zurück und freute sich auf den bevorstehenden Abend.
Diese Mondpartys waren das Coolste, was man sich vorstellen konnte: Man fuhr eine
halbe Stunde mit dem Lift zum Mond und war fünf Minuten später auf einer riesigen
Tanzfläche, auf der man Menschen von überall aus der Welt traf. Man flirtete und
tanzte ein paar Stunden, verabredete sich für die nächste Party, und machte sich
wieder auf den Weg nach Hause.
Völlig utopisch!
Genau das haben sich vermutlich viele Zeitgenossen Jules Vernes auch gedacht,
während sie seine Science-Fiction-Abenteuer lasen. Den Helden seiner Romane
standen nämlich technische Errungenschaften zur Verfügung, die es zu seiner Zeit
nicht gab oder die noch so unausgereift waren, dass man sie nur als Luftschlösser
abtun konnte.
Hätten die Menschen damals in die Zukunft schauen können, wären sie sicher
erstaunt gewesen, was inzwischen alles möglich geworden ist!
Das 19. Jahrhundert – der Aufbruch in die Zukunft
Jules Verne, der in der Hafenstadt Nantes als ältestes von fünf Kindern eines
Anwalts aufwuchs, lebte von 1828 bis 1905, einer Zeit, die von technischer Ungeduld
geprägt war.
Forscher und Erfinder arbeiteten daran, verschiedene Antriebstechniken, wie die
Dampfmaschine oder die Elektrisiermaschine, zu verfeinern und suchten fieberhaft
nach Möglichkeiten, schnellere Verkehrsmittel zu konstruieren, die jedermann
benutzen konnte.
Neben den ersten Automobilen waren Kutschen in der Stadt ein gängiges
Verkehrsmittel. Über Land wurde die Eisenbahn zur Personenbeförderung genutzt
und Dampfschiffe dienten als Verkehrsmittel auf Flüssen und Ozeanen. Die ersten
erfolgreichen Flugversuche allerdings, und damit auch die Nutzung von Flugzeuge
als Personenbeförderungsmittel, lagen noch in weiter Ferne.
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Mobilität war noch eine mühselige Angelegenheit. Das lag unter anderem daran,
dass alle existierenden Verkehrsmittel eine relativ geringe Reisegeschwindigkeiten
hatten: In der Kutsche legte man 10 km, mit dem Dampfbus sogar nur 9 km und mit
einem Auto mit Verbrennungsmotor ungefähr 17 km in einer Stunde zurück. Etwas
schneller waren das Dampfschiff mit 37 km und die Eisenbahn mit bis zu 48 km in
der Stunde.
Die Benutzung war zudem nicht für jedermann erschwinglich, man reiste unbequem
und Reiseverzögerungen durch das Wetter oder technische Mängel waren an der
Tagesordnung. Kein Wunder also, dass Jules Verne neue Erfindungen im
Mobilitätsbereich mit großem Interesse verfolgte.
Seine Neugier und auch sein Interesse an anderen Welten zeigten sich schon, als er,
kaum elf Jahre alt, versuchte, heimlich eine Reise als Schiffsjunge anzutreten. Dieser
Versuch misslang, aber Jules Verne blieb sein ganzes Leben lang ein begeisterter
Entdecker, der nicht nur gerne reiste, sondern sich auch mit den technischen
Erfindungen seiner Zeit intensiv auseinander setzte.
Als Autor gilt Jules Verne einerseits als einer der Erfinder der Science-Fiction
Romane, andererseits als Blender und Phantast. Erworben hat er sich diese Titel
dadurch, dass er seinen Heldenfiguren Fortbewegungsmittel und technische
Errungenschaften zur Seite stellt, die es zu seiner Zeit noch nicht gab, auch wenn in
Einzelfällen schon viel versprechende Vorläufer existierten. Verne beschrieb jedoch
alles so plausibel, dass man sich leicht vorstellen konnte, dass seine Ideen in
absehbarer Zeit umgesetzt werden könnten.
So wird etwa das Unterseeboot Nautilus, in der Kapitän Nemo mit seiner Crew in
„20.000 Meilen unter dem Meer“ (1870) durch die Tiefen des Ozeans gleitet, mit
Elektrizität angetrieben, es ist ausgestattet wie ein Herrenhaus, und wird
selbstverständlich elektrisch beleuchtet.
Schon hier erkennt man, dass Jules Vernes Erfindungen sich vor allem auf die
Bereiche Mobilität und Energie- und Lichterzeugung beziehen.
Elektrizität und innovative Energieträger
Die ersten Gedankenexperimente zur serienreifen Nutzung von Elektrizität machte
Verne in seinem Roman „Paris im 20. Jahrhundert“. Er stattete luxuriöse Geschäfte
mit elektrisch betriebenen Kandelabern aus, die sich bei Einritt der Dunkelheit
einschalteten und so die Straßen beleuchteten, elektrische Straßenbeleuchtung
durch einzeln stehende Laternen auf dem Gehsteig wird in der Kurzgeschichte „Eine
ideale Stadt“ Realität und in „20.000 Meilen unter dem Meer“ beschreibt Verne eine
Raumbeleuchtung durch Deckenstrahler.
Mit diesen Darstellungen zollte Jules Verne dem Bedürfnis der Gesellschaft
Rechnung, nicht mehr durch dunkle Straßen zu stolpern oder Haushalte mit
feuergefährlichen Beleuchtungsformen zu erhellen. Heute sind Straßenlaternen und
elektrischer Strom in der industrialisierten Welt vollkommen selbstverständlich.
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In ähnlicher Weise verarbeitet Jules Verne auch die Fortschritte, die beim Antrieb von
Fahrzeugen mit Elektromotoren gemacht wurden. Er wusste, dass Elektrizität, neben
der Möglichkeit, Fahrzeuge auf hohe Geschwindigkeiten zu bringen, den Vorteil hat,
„keinen Rauch, keinen Dampf, ebenso aber auch keine Gerüche nach Petroleum
oder einem anderen Mineralöl“ zu hinterlassen, wie Verne seinen Helden Stock in
„Der Herr der Welt“ berichten lässt.
Ob Verne ahnte, dass der Antrieb mit Elektromotoren auch sehr geräuscharm ist,
lässt sich nicht sagen. Offensichtlich ist aber, dass ihn strombetriebene
Verkehrsmittel faszinierten. So stattete er sowohl die schwimmende Insel aus Stahl,
die inzwischen in Form von schwimmenden Bohrinseln Gestalt angenommen hat, in
der „Insel der Milliardäre“ als auch das Amphibienfahrzeug Epouvante in „Der Herr
der Welt“ und die nummerierten Schnellboote Electric des Doktor Antekirrt in
„Mathias Sandorf“ mit Elektromotoren aus.
Aber Strom war nicht die einzige Antriebsform, die Verne sich vorstellen konnte. So
lässt er die Gas Cabs in „Paris im 20. Jahrhundert“ mit Wasserstoffantrieb durch die
Straßen fahren und der öffentliche Personennahverkehr in Paris wird von
druckbetriebenen U-Bahnen bedient.
Obwohl es lange so aussah, als sei der Verbrennungsmotor die einzig sinnvolle
Antriebsart für Fahrzeuge, hat sich in der Zwischenzeit gezeigt, dass sowohl Gas als
auch Elektrizität Vorteile gegenüber Verbrennungsmotoren haben.
Die Helden der Lüfte im Kampf gegen die Schwerkraft
Jules Verne erweiterte jedoch nicht nur die Dimensionen technischer
Errungenschaften, sondern spielte auch mit der Erfüllung alter Wünsche der
Menschheit, wie der Möglichkeit, die Erde zu verlassen und zum Mond zu fliegen.
In „Die Reise zum Mond“ beschreibt Verne ein Projektil, in dem die Weltraumforscher
in 97 Tagen den Mond erreichen sollen. Die erforderliche Geschwindigkeit für diese
Reise wird dadurch erreicht, dass das Projektil mit einer 270 m langen Kanone in den
Weltraum geschossen wird.
Um ausreichend Zeit zur Erforschung des Mondes und des Weltraums zu haben,
sind Jules Vernes Passagiere im Nachfolgeroman „Reise um den Mond“ mit
Lebensmitteln für einen langen Zeitraum ausgestattet. Auf der Erde landen die
Forscher nach erfolgreicher Mission übrigens wieder unversehrt – sie fallen ins Meer.
Neben der Raumkapsel wurde inzwischen auch das Fluggerät aus „Robur der
Eroberer“ realisiert. Hierbei handelte es sich um ein hubschrauberartiges Gefährt,
das sich durch Propeller, die senkrecht zur Fahrtrichtung angeordnet waren, vorwärts
bewegte.
Mondflüge und Aufenthalte im Weltraum sind heute nichts Besonderes mehr und
technisch ohne weiteres realisierbar, und Hubschrauber sind vor allem im Bereich
der Notfallversorgung nicht mehr wegzudenken.
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Alle beschriebenen Erfindungen Jules Vernes zeigen, dass er die Zeichen seiner Zeit
erkannt und in seinen Romanen verarbeitet hat. Die Wissenschaft spielte ihm eine
Vielzahl von unausgereiften Erkenntnissen und noch nicht serienreifen Erfindungen
in die Hände, und die gesellschaftlichen Bedürfnisse lieferten ihm die Ideen für seine
futuristischen Verkehrsmittel, die inzwischen umgesetzt wurden.
Text: TexteSatt, 2006.
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Anhang: Erscheinungsdaten der zitierten Romane
•
„Paris im 20. Jahrhundert“ (1860)
•
„Die Reise zum Mond“ (1865)
•
„20.000 Meilen unter dem Meer“ (1870)
•
„Die geheimnisvolle Insel (1874)
•
„Mathias Sandorf“ (1885)
•
„Robur der Eroberer“ (1886)
•
„Insel der Milliardäre“ (1895)
•
„Herr der Welt“ (1904)
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