Volksmund
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HEFT 2 2,50 EURO volks mund D A S V O L K S T H E AT E R M A G A Z I N Spielzeit 07 | 08 Warum gehen Sie eigentlich nicht ins Volkstheater? Münchner Prominente antworten Riedering trifft Gern Maximilian Brückner und Philipp Lahm im Gespräch Auf geht’s Buam! Ein Grundkurs im Schuhplatteln Der Fachmann fürs Katholische Christian Stückls Theaterpassionen volks theater Kartentelefon 089 / 5 23 46 55 Kartenfax 089 / 5 23 55 56 Münchner Volkstheater GmbH Brienner Straße 50 am Stiglmaierplatz 80333 München Telefon 089 / 5 23 55 - 0 Fax 089 / 5 23 55 - 39 www. muenchner-volkstheater.de Intendant und Geschäftsführer Christian Stückl Verwaltungsdirektor Sebastian Feldhofer Künstlerisches Betriebsbüro Utto Kammerl (Künstl. Betriebsleiter) Dramaturgie Kilian Engels (Chefdramaturg) Katja Friedrich Carsten Golbeck (Gastspiele) Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Frederik Mayet Technischer Leiter Siegfried Dellinger Regisseure Philipp Jescheck (Hausregisseur) Frank Abt Bettina Bruinier Jorinde Dröse Christine Eder Hans Neuenfels Nikolaus Paryla Hanna Rudolph Christian Stückl Bühnen- und Kostümbildner Hannah Albrecht Gerhard Fresacher Florian Helmbold Christof Hetzer Doris Homolka Justina Klimczyk Ingrid Jäger Britta Leonhardt Marlene Poley Monika Rovan Elina Schnizler Julia Scholz Alu Walter Musik / Komposition Thomas Butteweg Andreas Imhoff Georg Karger Christian Ludwig Mayer Junge Riederinger Musikanten DJ Patex Patrick Schimanski Ulrich Wangenheim Markus Zwink Regieassistenz Florian Helmbold Ausstattungsassistenz Uta Gruber-Ballehr Beleuchtung Günther Weiß (Leiter) Rainer Heuser (Beleuchtungsmeister) Gerhard Sehl (Beleuchtungsmeister) Christian Böhlen Fiorenzo Cianelli Peter Hausberger Ralf Martin Nicola Rademacher Inspizienz Danny Raeder Christian Schmitz-Linnartz Corinna Thomas Souffleusen Ursula Huber Gertrud Kuik Anna Münzer Verwaltung Dieter Frank-Michaelis German Huber Gabriele Kistler Maria Littel Kasse Michael Miehlke (Leiter) Monica Prokop Donatella Sewald Nikola Teubner Systemverwaltung Gerhard Mudrack Ton- und Videotechnik Peter Ries (Leiter) Roland Auerhammer Kostümabteilung Ingrid Jäger (Leiterin) Rüstem Basar Christian Fries Erich-Josef Hoffmann Elina Rein Regine Ries Georg Staber (Auszubildender) Requisite Bernd Rodenhausen (Leiter) Franz Bayer Sulamit Karzel Tim Schnabbe Tanja Watzlawczik Astrid Weinert Maske Renate Dorn (Leiterin) Julia Lange Cosima Leipnitz Anke Relling Eva Richter Technik Hermann Bantner (Werkstattleiter, stellv. Techn. Leiter) Werner von Bremen (Bühnenmeister) Oliver Cersowsky (Bühnenmeister) Florian Schmidt-Bockelmann Hans-Dieter Fischer Jussi Gerard Horst Glasschröder Michael Graser Ralph Grundke Sidney Helgath Norbert Henrich Paul Mooney Josef Riss Timo Schmid Thomas Schmidt Peter Spies Victor Vinnitchenko Florian Schönhofer Phillip von Bergmann-Korn Benedikt Wieland Leonhard Hagenbucher (Auszubildender) Cornelia Schmid (Auszubildende) Hausmeister Rohan Siebert Einlass / Garderobe Bruno Behrendt Maria Berauer Johanna Goldschmidt Philip Kammerl Daniela Rothensee Panagiotis Tsoukatos Johanna Schelle Christina Schrubar Maria Schulz Benedikt Stangl Elena Weiß Team Volksgarten Impressum Volksmund Herausgeber: Münchner Volkstheater GmbH Christian Stückl (V.i.S.d.P.) Redaktion: Kilian Engels, Katja Friedrich, Carsten Golbeck, Frederik Mayet, Felix Zeltner (Leitung) Autoren: Alexander Runte, C. Bernd Sucher Grafik und Layout: Otto Dzemla Fotos: Gabriela Neeb Anzeigen: Frederik Mayet, Leonhard Reindl Druckerei: Götz Druck, München INHALT 05 SPÄTSCHICHT Ein Abend mit dem Inspizienten 06 LEBENSECHT Sechs wahre Geschichten 14 WARUM GEHEN SIE EIGENTLICH NICHT INS VOLKSTHEATER? Münchner Prominente gestehen 17 » ECHT KRASSES STÜCK « Eine Publikumsbefragung 21 September 2007 Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde des Münchner Volkstheaters, ELF GUTE GRÜNDE Das Repertoire 22 RIEDERING TRIFFT GERN Shootingstars im Gespräch nach fast zwölfwöchiger Umbauphase starten wir in eine neue, rauchfreie Spielzeit. All die vielen Mitarbeiter des Volkstheaters haben ihre Ideen zusammengetragen, um Ihnen mit acht Premieren eine aufregende Spielzeit zu bereiten. In der zweiten Ausgabe unseres Magazins „Volksmund“ möchte Ihnen Frederik Mayet, der in unserem Haus für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich ist, mit seiner Redaktion nicht nur die Personen vorstellen, die hinter den Ideen stehen, sondern auch Geschichten erzählen. Geschichten von Salzburg bis Brandenburg, von Raubüberfällen und Kartoffelsalat, von Prominenten und Verwandlungskünstlern. Ich wünsche Ihnen allen viel Spaß beim Lesen unseres Spielzeitheftes und freue mich auf Ihren Besuch in unserem Theater. 30 » DIE JUGEND BEKOMMT EINE NEUE BEDEUTUNG « Ein Jugendforscher im Interview 32 AUF GEHT’S BUAM! Einführung ins Schuhplatteln 36 DER FACHMANN FÜRS KATHOLISCHE Christian Stückl über Glauben im Theater 42 Im Namen aller Mitarbeiter des Münchner Volkstheaters, Christian Stückl PROTEST! Abgelehnte Volkstheater-Plakate 45 VOLKSREIME Zwei Gedichte von Sibylle Berg 46 WAS IST DEIN GRÖSSTER ALPTRAUM? Schauspieler über ihre Ängste 50 TRAUMROLLE Das Ensemble verwandelt sich 56 ZU GAST IM VOLKSTHEATER Vorschau auf die neue Spielzeit 59 DER VOLKSMUND-PERSONALBOGEN Junge Regisseure im Volkstheater FOTO: GABRIELA NEEB 64 DAS KLEINGEDRUCKTE Abos, Preise, Öffnungszeiten 66 C. BERND SUCHERS THEATERKNIGGE Folge 2: Beifall – richtig gemacht inhalt · volksmund 2 3 SPÄTSCHICHT FOTO: GABRIELA NEEB Alexander Runte begleitet einen Abend den Inspizienten Danny Raeder und bekommt nicht nur einen Einblick in dessen Arbeit, sondern auch Kunstschnee auf den Kopf. 19.03 Uhr Bevor es losgehen kann, muss Danny noch hoch hinaus: über eine Leiter klettert er in den Schnürboden oberhalb der Bühne und überprüft von dort die Technik und die Requisite. Doch bei der 109. „Brandner“-Aufführung passt alles. Sogar die Baumstümpfe stehen diszipliniert an der richtigen Stelle. 19.33 Uhr Ein kurzer Blick in den Zuschauerraum, dann gibt Danny das Signal: „Los geht´s!“ – mit dem letzten „Brandner Kaspar“ vor der Sommerpause. Während die Jagdgesellschaft zur Musik der Riederinger über die Bühne stapft, tanzen Danny und die Techniker Hip-Hop-Schritte im Takt der Blasmusik. 20.05 Uhr Im Textbuch blättert Danny eher beiläufig zu den Stellen, an denen er Schauspieler ausrufen, die Techniker zum Umbau herzitieren oder den Beleuchter anweisen muss: „Was das Stück betrifft, sind wir alle schon geschädigt, wir kennen es in- und auswendig“, sagt er. Die Honorarabrechnungen für die Gastschauspieler kann er da auch noch parallel unterschreiben. Es bringt ihn noch nicht mal aus der Ruhe, dass es jetzt auf uns runterschneit – die Techniker testen nämlich den Kunstschnee auf unseren Köpfen aus. Herzlichen Dank auch. 21.16 Uhr Der schönste Moment bei jedem „Brandner“ ist für Danny die Pause, denn da bekommt er eine Weißwurst. Und weil er heute Geburtstag hat, gibt es noch einen kleinen Kuchen und ein Ständchen der Riederinger dazu. In den jugendfreien Stellen geht es, so viel darf man verraten, um Schnäpse, die unbedingt getrunken werden müssen. 21.20 Uhr Die Schauspieler rotten sich um Danny und seine Monitore zusammen. Er steuert mit einem Joystick die Bühnenkamera über den Zuschauerraum und das eigene Publikum hinweg. Fazit: Heute sind nur wenige Trachtler da, die vielen hübschen Frauen machen das aber leicht wett. 22.52 Uhr Donnernder Applaus und Dannys letzte Amtshandlungen: Zuerst koordiniert er den Schauspielerpulk beim Einzelapplaus, und dann, nach Ende der Vorstellung, ruft er sein Schlusswort ins Mikrofon: „Man sieht sich wieder!“ – der nächste „Brandner“ kommt bestimmt. spätschicht · volksmund 2 5 LEBENSECHT Notlandung im Kartoffelsalat und Hühnerattacke bei Oma: Die sechs neuen Ensemblemitglieder erzählen. FOTOS: GABRIELA NEEB BARBARA ROMANER > ALIBI IM OHR Ich lief nach Hause, durch Augsburg, im Ohr „Alibi“ von David Gray. Das ist ein Klangteppich, du läufst durch eine unglaublich schöne Landschaft aus Musik. Ich ging extra einen Umweg nach Hause, um es länger zu hören. Plötzlich glaubte ich in einem Hauseingang zwei Schatten zu erkennen, die sich auf eine komische Weise umarmten. Ich ging näher hin und sah einen Mann, der einer Frau die Hand auf den Mund presste und sie an sich zog. Die Frau wehrte sich, aber er war stärker. In meinem Ohr entlud sich gerade bombastisch der Refrain: Where d'it all go wrong/ My Friday night enfant/ Where d'it all go wrong/ My Friday night enfant Bis heute weiß ich nicht warum, aber ich ging tatsächlich hin zu den beiden, wie von der Musik gesteuert, nahm eine Hand des Mannes und drehte sie ihm auf den Rücken. Es war ein Griff, den ich vom Aikido kannte, aber ich hätte nie gedacht, dass ich ihn anwenden kann. Der Mann wehrte sich nicht, und so standen wir da, Sekundenbruchteile, ganz starr und sahen uns an, die Frau und ich, dazwischen der Mann. Dann prügelte sie los, trat ihn und zischte: „Das geschieht dir Recht, du Schwein!“ Ich hielt den Mann immer noch fest, war wie in Trance. Plötzlich ließ die Frau von ihm ab und rannte um die Ecke. Ich stieß den Mann weg und rannte hinterher, ohne nachzudenken. Ich rannte wie um mein Leben, zu „Alibi“. Ich verlor die Frau aus den Augen, rannte immer weiter und weiter um irgendwelche Ecken, bis ich völlig erschöpft zusammensank. Da saß ich nun, an die Mauer gelehnt, schnaufend, mit aufgerissenen Augen und konnte nicht glauben, dass ich wahrscheinlich gerade einen Überfall oder Schlimmeres verhindert hatte. Ich fühlte mich wie ein Held. David Gray sang in mein Ohr, und ich weiß nicht, wie lange ich da saß, als plötzlich jemand an meine Schulter fasste. Ich zuckte zusammen und schrie auf, doch dann sah ich das besorgte Gesicht eines Freundes vor mir. Er packte mich aufs Fahrrad und fuhr mich nach Hause, mit Musik im Ohr: Tonight I'm running wild... NICO HOLONICS > ATTACKE IM STALL Meine Oma hatte früher einen Bauernhof in Leipzig-Mölkau, einem ziemlich ländlichen Stadtteil von Leipzig. Sie hatte sehr viele Tiere: Rinder, Schweine, Gänse und Hühner. Ich war übers Wochenende oft da, spielte im Garten, kuckte beim Melken und beim Schlachten zu. Früh am Morgen ging meine Oma immer in den Hühnerstall, die Eier holen. Und dann, an diesem einen Morgen, ich war drei Jahre alt, da sollte ich alleine die Eier da rausholen. Ich war ungefähr zwei Hühner hoch und hatte schon beim Reingehen die Hosen voll. Ich kletterte auf die Stiege, auf der die Hühner saßen, bekam das erste Ei zu fassen und das zweite, und in diesem Moment beschlossen die Hühner, mich rauszujagen und stürzten sich auf mich. Ich rannte panisch aus dem Stall und die ganze Horde hinterher. Die Hühner rannten mir über den gesamten Hof nach, bis hoch zur Straße, das waren mehrere hundert Meter, und hackten die ganze Zeit auf mich ein. Es war unglaublich schmerzhaft, ich schrie wie am Spieß. Irgendwann rannte ich meiner Oma in die Arme, die die Hühner verjagte. Es dauerte Stunden, bis sie wieder alle im Stall hatte. Ich habe mich seitdem nie wieder an Vögel rangetraut. Tauben und Hühner sind das Schlimmste, was es für mich an Tieren gibt. Auch Emus oder Straußen im Zoo – entsetzlich. Spinnen, Schlangen, Hunde, die sind mir völlig egal. Als Zivi war ich im Herzzentrum, sah oft tote Menschen und musste sie in die Kühlkammer fahren, das war überhaupt nicht eklig. Aber wenn ich einen toten Vogel sehe, wird mir speiübel. Ich träumte sogar eine Zeitlang davon, dass ich tote Vögel im Bett habe. Dieses Erlebnis hat sich einfach so eingebrannt. Ich habe auch Angst vor diesem Flattern, diesem Geräusch. Und trotzdem, obwohl ich Vögel so hasse, wollte ich immer fliegen, Pilot werden. Das ging aber nicht, weil ich rot-grün-blind bin. Eine Dozentin auf der Schauspielschule sagte zu mir: Wenn du kein Pilot werden kannst, dann kannst du nur noch auf der Bühne fliegen. Das ist ein bisschen kitschig. Aber es gefällt mir. lebensecht · volksmund 7 ANDREAS TOBIAS > KARTOFFELSALAT IM VIER JAHRESZEITEN Es war Mittag, und ich war bereit. Hatte alles gepackt, die Wände meiner alten Wohnung frisch gestrichen, Löcher ausgebessert und überputzt. Gleich würde der Vermieter zur Übergabe kommen. Dann würde ich mein Auto verkaufen, und abends war ich noch mit einem Autoren im Hotel „Vier Jahreszeiten“ verabredet. Meine ganzen Möbel standen schon in der neuen Wohnung in München. Es war ein schwieriger Tag, ich hatte sieben Jahre in Hamburg gelebt und wollte überhaupt nicht nach München. Man verabschiedet sich von allen, aber am Schluss stehen nicht alle Freunde da und winken. Man ist dann plötzlich alleine. Der Vermieter ließ auf sich warten. Ich dachte mir: Okay, dann räum’ ich noch mein Auto aus. Ich packte alles aus dem Handschuhfach zusammen und warf es in die Mülltonne vor dem Haus. Dann kam der Kofferraum dran. Alles rein in den großen Container. Ein großer, metallener Kasten war das, knapp zwei Meter hoch, mit drei Klappen für den Müll. Dann tauchte der Vermieter auf. Ich übergab ihm die Wohnung, alles super. Ich fuhr zum Hauptbahnhof, sperrte meine Tasche in ein Schließfach und fuhr den ganzen Nachmittag in Hamburg herum. Schließlich hatte ich ja noch Benzin im Tank. Gegen Sechs wurde es dunkel, und ich fuhr zum Schrotthändler. So 50 Euro kriege ich noch, dachte ich. Es war ein alter Ford Fiesta, rot, ich hatte ihn für 500 Euro gekauft. Er hatte vier Jahre gehalten, mit vier Unfällen. Ein super Auto, so eckig. Ich kam beim Schrotthändler an, legte ihm meinen Fahrzeugbrief hin und war überzeugt: Jetzt läuft alles glatt. Schließlich war mein Zeitplan ja schon recht eng. Dann sagte er: „Ich brauche noch den Fahrzeugschein.“ „Den Fahrzeugschein?“ „Ja, den Fahrzeugschein.“ „Ah! Der war im...oh Gott.“ Der war im Handschuhfach. Und ich hatte alles weggeworfen. In nicht mal mehr einer Stunde musste ich im Hotel sein. Ich flehte den Schrotthändler an, aber er blieb hart. Ich hätte noch mal nach Hamburg kommen und mein Auto ummelden müssen, um einen neuen Fahrzeug8 volksmund · lebensecht schein zu bekommen. Es half nichts, ich musste zurück zum Müll. Und zwar schnell. Ich fuhr zu meinem Haus und fand neben dem Container einen kleinen Tisch, den jemand entsorgt hatte. Ich schob den Tisch an den Container, stieg darauf und räumte den ganzen Müll raus. Alles auf die Straße. Daneben stand ein roter VW-Bus mit einer Großfamilie, fünf Kinder und zwei Erwachsene, die kuckten zu. Ich immer wieder rausgeräumt, Feuerzeug an, reingekuckt. Immer tiefer. Irgendwann war nur noch ein halber Meter Müllschicht drin, und ich steckte vom Kopf bis zum Gürtel im Container, in der Klappe. Und als ich da so drinstecke und leuchte und leuchte, rutsche ich plötzlich mit meinem Gürtel vom Klappenrand ab. WOMP! Ich falle zuerst in einen Haufen Kartoffelsalat, der muss schon Wochen alt gewesen sein. Dann kippt mir eine Kiste Katzenstreu in den Nacken, natürlich auch gebraucht. Meine Füße kucken oben aus der Klappe. Dann höre ich das Lachen aus dem Bus und denke: Ich liebe Hamburg, und das ist der Abschluss, oder was? Ich sollte hier nicht weg. Das ist die Strafe. Und während ich so kopfüber im Müll liege, mache ich mein Feuerzeug an, sehe diesen schimmeligen Kartoffelsalat und dann, vor mir, wirklich vor mir liegt: der Fahrzeugschein. Ich kletterte aus der Mülltonne, sagte „Hallo“ zur Familie, aber die lachte nur und lachte. Mit fünf Kindern. Das war peinlich. Ich räumte den Müll wieder ein, stieg ins Auto und düste los. In der Zwischenzeit hatte es angefangen zu regnen, ich hatte nur ein T-Shirt an und war total voll Müll, überall in den Haaren und im Gesicht der Kartoffelsalat. Ich wischte mein Gesicht am Beifahrersitz ab. Der Schrotthändler gab mir 50 Euro bar auf die Hand, ich rannte zur U-Bahn und ab ins Vier Jahreszeiten. Als ich dort ankam, war ich durchgeschwitzt, nass vom Regen und voll Müll. Das Wasser aktivierte die Gerüche zusätzlich. Der Autor sagte als erstes: „Sag mal, nach was riechst du denn?“ Dann saßen wir da, aßen Canapés, tranken unglaublich teuren Tee, den er bezahlte, und ich erzählte ihm die Geschichte. Ein dreckiger Abschluss. In München würde so etwas nicht passieren. Es ist viel zu sauber hier. lebensecht · volksmund 9 FRIEDRICH MÜCKE > ZUSAMMENGESCHWEISST Zwei Wochen nach Beginn der Schauspielschule lernte ich meine Freundin kennen. Sie war in meinem Jahrgang. Ich zog aus der Wohnung meiner Eltern aus und zu ihr. Einzimmerwohnung, 30 Quadratmeter für 295 Euro warm. Ihre Bilder, ihr Regal, ihr Schrank, ihr Bett, ihre Küche. Von mir war nichts, nur ein paar Bücher, die ich in die letzten Lücken ihres Bücherregals drückte. Ich arbeitete und las im Bett, sie am Tisch. Dann zogen unter uns erst ein Technofreak und danach ein Althippie ein, der laute Rockmusik hörte und heftig kiffte. In unserem Dielenboden war ein kleines Loch, der Dunst zog direkt zu uns hoch. Als ich ihn im Treppenhaus ansprach, raunte er zurück, dass er Wolle heiße und Kehlkopfkrebs habe. Wolle sah aus wie Charles Bukowski, lange Haare, Jeansjacke, Stiefel, glasige Augen. Er fing an, nachts bei uns zu klingeln. Wenn wir öffneten, flüsterte er: „Ich kann nicht mehr, ich habe nicht mehr lange zu leben.“ Wir riefen den sozialpsychiatrischen Dienst, aber es half nichts. Wolle kam immer wieder, vor allem nachts. Wenn wir nicht auf sein Klingeln reagierten, krächzte er durch die Tür: „Ich weiß, dass ihr da seid. Macht auf!“ Wir wollten oft da raus. Wir gingen uns auf den Sack in der Enge. Wenn wir stritten, musste einer raus und um den Block gehen, weil wir keine Tür hatten, die wir zwischen uns zumachen konnten. Aber dann war der Streit vorbei, und wir zogen wieder nicht um. Als ich meinen Freunden nach einiger Zeit von unserer gemeinsamen Wohnung erzählte, sagten die. „Wie, ihr wohnt da zusammen? Wie, du bist jeden Abend da? Und beide Schauspieler? Ihr seid doch völlig ego, wie geht das denn?“ Seitdem bin ich ein bisschen stolz darauf. Die Wohnung hat uns zusammengeschweißt. Wir haben dreieinhalb Jahre zusammen gewohnt und sind immer noch zusammen. Jetzt bin ich nach München umgezogen. Es ist für mich das erste Mal richtig weg von zu Hause. Ich hoffe, das Wohnen wird entspannter. Und ich hoffe, meine Freundin zieht irgendwann hierher, zu mir. 10 volksmund · lebensecht XENIA TILING > LI Mein Studium in Berlin hatte gerade angefangen, ich kam ins Foyer der Schauspielschule, da saß ein Kommilitone völlig verzweifelt und weinte. Ich fragte ihn, was los sei, und er erzählte, dass eine Freundin von ihm aus dem Studentenwohnheim, eine Musikstudentin, ihr Zimmer nicht mehr bezahlen könne und nun auf dem Gang schlafen müsse. Er wisse nicht, was er machen solle, er könne ihr nicht helfen. „Kein Problem, ich habe zwei Zimmer, eins davon ist noch nicht eingerichtet“, sagte ich. „Für ein paar Tage kann sie zu mir kommen.“ Dann klingelte es irgendwann bei mir, und vor der Tür stand Li. Li war 45 Jahre alt, Asiatin, und hatte ein Horn, einen kleinen Aktenkoffer und einen Notenständer bei sich, Kleidung fast keine. Li sprach nicht wirklich Deutsch, was die Sache nicht erleichterte. Es stellte sich heraus, dass sie gar nicht studierte, sondern erst versuchte, sich zu bewerben. Dafür musste sie einen Deutschtest machen. Ich bot ihr meine Hilfe an, und so verbrachten wir die folgenden Abende in der Küche und versuchten uns zu unterhalten. Ein paar Tage später kam ich nach Hause und sie stand vor meiner Wohnungstür, in einem neuen Anzug (sie trug immer Hosenanzüge). „Ich habe ein Auto gemietet, wir fahren aufs Land“, sagte sie. „Nee, Li, ich bin schon mit meiner Schwester verabredet.“ „Nein, das habe ich schon abgesagt“, sagte Li und lachte. Sie sagte von da an meine sämtlichen Verabredungen ab, ich saß zu Hause, wartete auf Freunde, die kamen nicht. Ihr Einfluss auf mein Leben war riesig geworden. Und dann, eines Tages, stand sie vor mir und sagte: „Ich liebe dich.“ Ich war sprachlos. „Willst du mit mir nach Paris fahren?“, fragte sie. „Wir fahren nicht nach Paris, wir fahren nirgendwohin!“ schrie ich zurück. Ich hielt es nicht mehr aus und schmiss sie kurz darauf raus. Von da an bekam ich Geschenke durch den Briefschlitz in der Tür: Mal einen Pashminaschal, mal ein Lamy-Füllerset. Auf meinem Anrufbeantworter waren bis zu fünfzig Nachrichten am Tag, ohne ein Wort, nur manchmal ein Lachen oder Atmen. Eines Nachts kam sie zu meinem Haus und drückte stundenlang auf die Klingel. Ich konnte die Klingel nicht ausschalten. Horror. Und dann die Krönung: Meine Mutter kam zu Besuch. Ich war tagsüber in der Schule und hatte den Schlüssel im Buchladen nebenan hinterlegt. Als ich das Haus betrat, hörte ich schon von unten meine Mutter sprechen. Ich klopfte an der Tür, und da standen sie, in heller Eintracht: meine Mutter und Li. Das kann nicht wahr sein, dachte ich. Meine Mutter sagte lächelnd: „Li hat gesagt, ihr wärt heute verabredet und ich habe ihr gesagt, da hat Xenia wohl was verwechselt. Aber ich habe sie jetzt zum Abendessen eingeladen.“ „Mami“, schnaufte ich, „kannst du bitte kurz einfach in mein Zimmer gehen, ich erzähle dir dann gleich alles (ich hatte es meiner Mutter nicht erzählt). Nicht jetzt einmischen und nicht zum Essen einladen und nicht freundlich sein.“ Als meine Mutter verschwunden war, legte sich Li steif auf den Küchenboden und wollte nicht aufstehen. Ich zog an ihrem Arm, aber sie lachte und stand nicht auf. „Okay Li, ich rufe jetzt die Polizei an“, sagte ich. Sie glaubte mir nicht. Ich nahm den Hörer, wählte die Nummer, begann zu sprechen und in diesem Moment war sie weg. Ich sah sie danach noch ein paar Mal in Neukölln, aber wir grüßten uns nicht. Ich weiß nicht wie es ihr geht, ich habe nie wieder von ihr gehört. Als ich nach München umzog, fiel mir ein altes Passfoto in die Hände. Ich drehte es um und erschrak. Da war sie wieder. lebensecht · volksmund 11 Ich hatte ein Poster über dem Bett, von John Travolta. Er steht vor einem Jet, trägt eine Uniform, hat eine Pilotenbrille auf und sieht gut aus. John Travolta ist Schauspieler und Jetpilot. Das wollte ich auch werden. Ein paar Jahre später hatte ich es fast geschafft. Ich besuchte eine Schauspielschule und hatte gerade meine erste Flugprüfung bestanden, für kleine Maschinen, auf dem Stuttgarter Verkehrsflughafen. Und dann das. Der Tag fing schon komisch an. Ich steige in den Flieger, habe Freigabe vom Tower, rolle Richtung Startbahn, ganz vorsichtig, man muss da wahnsinnig viel beachten auf einem Verkehrsflughafen – und dann spricht mich über Funk auf einmal ein anderer Pilot an. Das ist eigentlich verboten. „Spezi, schau mal in den Rückspiegel, mir ham’s eilig!“ Rück12 volksmund · lebensecht spiegel? Toller Witz. Ich hab’ ja gar keinen. Ich drehe mich also um, da ist plötzlich ganz knapp hinter mir in meiner zweisitzigen Cessna ein Riesenadler von der Lufthansa, der mich beinahe überrollt. Ich gebe Gas und hebe ab. Kurz darauf höre ich, dass irgendwas komisch ist mit dem Funkgerät. Es rauscht wahnsinnig, ich verstehe nur ganz wenig. Ach, denke ich, jetzt schaltest du den Funk ab, das macht nur nervös. Kurz vor der geplanten Zwischenlandung in der Nähe vom Bodensee schalte ich mein Funkgerät wieder an, stelle die Frequenz des Towers ein und melde mich. In meinem Kopfhörer knackst es zurück: „Ed...ais...em...ad...aiim...ab...a.“ Ich funke, dass ich nichts verstehe. Wieder nix. Ich haue gegen das Funkgerät. Schalte aus, schalte an, nehme den Kopf- P R O T O K O L L E : F E L I X Z E LT N E R STEFAN MURR > DIE NOTLANDUNG hörer ab und versuche, über die Lautsprecher im Flieger was zu hören, aber es ist viel zu laut. Der Flughafen kommt immer näher. Ich funke noch einmal. „Ne...ver...gmsk...id...aba“, hackt es zurück. Scheiße. Was jetzt? Zurück kann ich nicht, in Stuttgart kann ich so erst recht nicht landen, Verkehrsflughafen, das ist komplett verboten ohne Funk. Ich fange an zu schwitzen. Soll ich ein Notsignal senden? Oder mache ich damit nur alle verrückt und am Ende steht die Feuerwehr auf der Landebahn? Mit Puls von 180 gehe ich in den Landeanflug. Halte alles genau ein, alle Höhen, alle Richtungen, und fliege von hinten auf einen Jet zu, der auf der Startbahn steht. Jetzt geht mir endgültig der Arsch auf Grundeis. Wenn der Jet startet, kurz bevor ich reinkomme, wird’s gefährlich. Als Kleiner sind alle großen Flugzeuge deine Feinde. Wenn die starten, erzeugen ihre Flügel Verwirbelungen, die können ein kleines Flugzeug leicht auf den Kopf legen. Und dann bist du hin. Dann sehe ich, wie der Jet von der Startbahn wegrollt. Und wie die anderen Hobbyflieger um mich herum beginnen, hochzusteigen und Warteschleifen zu drehen. Wegen mir. Ich lege eine Top-Landung hin, rolle zu einem Hangar, stelle den Flieger ab und steige aus. Meine Knie geben nach. Ich muss mich auf den Boden setzen. Ein Techniker führt mich zu einem Telefon, ich werde in den Tower zitiert und bekomme einen ordentlichen Anschiss. Der Jet hätte nicht starten können, ihren Flugplan hätten sie umstellen müssen, ich hätte alles unterbrochen. Nach einer kurzen Diskussion lassen sie mich gehen, und ich finde einen netten Bastler, der mein Funkgerät repariert. Es war ein Wackelkontakt, durch den ich zum Kamikazepiloten wurde. Nach einigen Testrunden über dem Flughafen darf ich zurückfliegen nach Stuttgart. Als ich die Cessna zurückgebe, scheiße ich die Leute von der Flugschule zusammen, die mir den Flieger gegeben haben. Der Schulleiter ist Lufthansapilot, Kapitän für 747-Jumbos, Langstrecke. Er sagt nur: „Ja mei, da gibt’s viel schlimmere Sachen. Was glaubst du, was uns schon passiert ist auf dem Weg nach Tokyo, Hong Kong...“ Ich setzte mich ins Auto, fuhr nach Hause, stieg auf mein Bett und hing das Poster von John Travolta ab. WARUM GEHEN SIE EIGENTLICH NICHT INS VOLKSTHEATER? Immer mehr Menschen gehen ins Volkstheater. Trotzdem waren noch nicht alle Münchner da. Acht prominente Antworten auf eine Frage. CHARLES SCHUMANN BARKEEPER Weil ich gar nicht weiß, wo das Theater ist. Aber den Volksgarten kenne ich, vom Hörensagen und vom Vorbeiradeln. Von meinen Mitarbeitern geht der Klaus ins Volkstheater. Und mein Sohn geht viel ins Theater. Den muss ich mal fragen, ob der schon im Volkstheater war. Der ist ein echter Theaterfreak, warum weiß ich nicht, von mir hat er das nicht. Ich gehe gar nicht ins Theater. Das hat natürlich auch mit meiner Arbeitszeit zu tun. Wenn die Theater spielen, bin ich hier. Ich hatte auch einmal überlegt, im Schumann’s Theater zu machen. Der Abend hier läuft ja eh’ schon wie im Theater ab. Es findet jeden Abend eine Vorstellung statt. Das alte Schumann’s war eine kleine Bühne, das neue ist ein großes Theater. Wenn man eine Gastronomie dieser Größe macht, ist das Sehen und Gesehenwerden ganz wichtig. Da gibt es die Plätze, von denen aus man sehen kann, wer raus- und reinkommt. Diese Plätze werden von den Stammgästen vehement verteidigt. Im Gegensatz zum Theater ist es in einer Bar aber auch wichtig, dass es Plätze gibt, an denen man nicht gesehen wird. An denen man sich verstecken kann. An denen man zu Hause ist und doch nicht im eigenen Wohnzimmer. Früher habe ich Plätze verteilt, war auch Platzanweiser, aber das mache ich inzwischen nicht mehr. Ich muss dafür sorgen, dass alles funktioniert. Das ist auch eine Art von Regie, dass die Gäste ordentlich bedient werden und zufrieden mit dem Abend wieder rausgehen. Es muss auch eine Leistung gebracht werden. Sonst ist man alleine in seinem Theater. Wenn ich meine Bar im Volkstheater hätte, würde ich natürlich Bier anbieten. Und, weil wir in München sind, dazu eine 14 volksmund 2 · warum gehen sie nicht ins volkstheater Brotzeit. Für die jungen Leute müsste man irgendwas mit Wodka machen. Die saufen ja alle wie die Idioten. Oder Gin Tonic. Da hätte man sicher Erfolg. VERONICA FERRES SCHAUSPIELERIN Ich würde ja gerne ins Volkstheater gehen. Nur zu gerne. Tolle Inszenierungen, eine Theatertruppe, die für München ganz neue Facetten der Bühnenkunst aufzeigt. Also alles absolut viele Besuche wert. Aber ich schaff’s leider nie. Dabei probiere ich es jedes Mal aufs Neue. Mache mich daheim hübsch. Nehme meinen Mann an die Hand und sag ihm, dass heute eh’ nichts im Fernsehen kommt. Wir steigen ins Auto. Und dann gehen die Probleme los. Kein Parkplatz. Ich finde nie einen Parkplatz vor dem Volkstheater. Also eine Runde um den Block. Auch keiner. Noch eine Runde. Mein Mann wird schon ungeduldig, ich bekomme langsam schon wieder Hunger. Und die Uhr tickt. Noch eine allerletzte Runde, dieses Mal auf der anderen Seite. Wieder nichts. Ah, doch, ich hab einen. Vor dem Löwenbräukeller. Und ich habe Hunger vor lauter Parkplatzsuche. Also schnell noch rein in den Biergarten, diese Art von Volkstheater als Einstimmung aufs Volkstheater. Oh, was? Wo kommen denn die ganzen Leute her? Wie, die Vorstellung ist schon zu Ende? Sind wir so lange gesessen? Och. Wir haben es wieder nicht geschafft. Der Parkplatz war schuld. RAINER LANGHANS 68’ER-IKONE Ich gehe überhaupt nicht ins Theater. Ich gehe nicht mal ins Kino. Wenn man einmal selbst so viel Theater gemacht hat wie ich 1967/1968, dann ist man für dieses „alte“ Theater, also das subventio- nierte Theater, nicht mehr so recht zu haben. Wir haben reichlich Theater gespielt früher. Das nannte sich dann Demonstration, Politik und so weiter. Das „andere Leben“ der Kommune, das war schon Provokation genug. Wenn du irgendwo hinkamst, brauchtest du nur lange Haare zu haben, und die Leute haben mit dir Theater gespielt. Ich weiß noch genau, wie damals Schauspieler und Künstler zu uns in die Kommune kamen und zukucken wollten, weil es das war, was sie nicht hinkriegten. Die hatten Angst, dass wir ihnen die Jobs wegnehmen. Die konnten ja nicht mehr arbeiten, wenn da so wahnsinnig gute Schauspieler Stücke aufführten, von denen sie nur träumen konnten, die sie nur mühsam nachstümpern konnten. Heute ein Theaterstück anzusehen würde mich langweilen, ich fände es künstlich, zu sehr gespielt. Ich lebe mit vier Frauen zusammen, da werden dauernd Stücke aufgeführt. Aber die erfinden wir jeden Tag neu, und keiner weiß vorher, dass er sie spielen will. Das ist dramatisch, und es läuft den ganzen Tag von selbst.Wenn es nach mir ginge, würden in einem Volkstheater Performances laufen, bei denen nichts vorgeschrieben ist. Schauspieler und Publikum könnten in einen lebendigen Austausch treten, alles würde aus der Situation heraus entstehen. Theater könnte Leben sein, Wirklichkeit sein und nicht nur eine Nische, in der sich der Bürger mal ein paar andere Gedanken und Gefühle kauft und von anderen Leuten vorführen lässt. Wir haben damals die Jugend neu erfunden – ohne zu wissen, wie das geht. Es ist entstanden, und keiner wusste, wieso und wodurch genau, weder die Soziologen noch die Studenten. Das ist für mich großes Theater; das ist das große, berühmte Gesamtkunstwerk. Rainer Langhans Rick Kavanian Veronica Ferres Charles Schumann Sybille Beckenbauer Harriet Köhler junge riederinger musikanten · volksmund 15 HARRIET KÖHLER SCHRIFTSTELLERIN Es muss Sommer gegeben haben, die heißer als der WM-Sommer waren. Aber keiner von ihnen fühlte sich heißer an. Ich weiß noch, wie klebrig sich die Hitze über den Königsplatz ergoss. Wie die Schwüle über der Brienner Straße stand. Und wie kühl mich von dort der Volksgarten empfing, die grüne Luft, eine schattige Hand. Ich weiß noch, wie ich in einen der Liegestühle sank und erst nach einem kalten Bier in der Lage war, der Vorberichterstattung auf der Leinwand zu folgen. Ich weiß noch, dass ich die größere Hälfte des riesigen Burgers zurückgehen lassen musste, als das Spiel begann und die wachsende Nervosität meinen Speichel metallisch schmecken ließ. Ich weiß noch, dass ich hin und wieder den Blick über die Liegestuhllandschaft schweifen ließ und Menschen sah, die allen Ernstes ins Volkstheater eilten, um den „Brandner Kaspar“ zu sehen. Dass ich den Kopf schüttelte und dann wieder zur Leinwand sah, wo es doch gerade existenziell wurde, wo sich schon wieder ein Schicksal entschied, wo Sein und Nichtsein nur eine Torchance weit auseinander lagen. Kein einziges Mal habe ich daran gedacht, dem Theater-Publikum zu folgen. Ich habe mich nicht einmal um einen Blick ins Programmheft bemüht. Ich weiß nur, dass ich mich an kaum ein Ergebnis dieser WM erinnern kann – und man den „Brandner Kaspar“ in dieser Saison immer noch spielt. RICK KAVANIAN COMEDIAN Ich gehe nicht ins Volktheater. Immer wenn ich ins Volkstheater möchte, komme ich zu früh, und um die verbleibende Zeit zu überbrücken, installiere ich mich im Volksgarten. Von dort komme ich nicht mehr los, weil dann das legendäre Essen mein Leben bestimmt und zwar immer so lange, bis die Vorstellung drüben beendet ist. Der einzige Weg also für mich, ins Volkstheater zu kommen wäre, meinen Tisch vom Volksgarten auf die Bühne des Volkstheaters zu Gerhard Meir Axel Berg 16 volksmund 2 · warum gehen sie nicht ins volkstheater stellen – gewissermaßen als kleines Requisit zur laufenden Aufführung. Kann ja wohl nicht sooooo schwer sein. Mahlzeit! SYBILLE BECKENBAUER EX-KAISERIN Ich kenne die Oper, das Deutsche Theater, das Theater am Gärtnerplatz, das Prinzregenten-Theater und die Komödie. Das Volkstheater kenne ich nicht. Woran das liegt, weiß ich auch nicht, wahrscheinlich daran, dass ich noch nie etwas vom Volkstheater gelesen habe. Jetzt habe ich immerhin gehört, dass es das Volkstheater gibt. Dann, glaube ich, werde ich auch mal hingehen. GERHARD MEIR STARFRISEUR Da muss ich gleich ein mea culpa einschieben: Ich habe die letzten 18 Jahre von Freitagabend bis Mittwoch in Hamburg verbracht und hatte daher keine Berührung mit dem Volkstheater. In Hamburg war ich sehr viel im Theater, auch in kleinen Bühnen und Experimentiertheatern. Mir geht es nicht um dieses blasierte Dahin- und Dorthingehen wegen Zadek oder Neuenfels, mich interessiert, was das Ensemble macht. Im Laden mache ich praktisch dasselbe: Meine Kunden sind die Zuschauer, ich bin Regisseur und Intendanz, die Mitarbeiter sind die Darsteller. Ich gebe Empfehlungen, manchmal bin ich auch Kartenbettler – in Salzburg zum Beispiel habe ich inzwischen einen sehr guten Zugang zu den Generalproben. Das Vitamin B geht über die Schere. Ans Theater angedockt haben mich Anneliese Friedmann, die Frau des Gründers der Abendzeitung, und Charlotte Kerr, die Frau von Friedrich Dürrenmatt. Das war ganz am Anfang meiner Karriere. Mein erstes Theaterstück war „Lulu“ mit Cornelia Froboess, 1977 in den Kammerspielen. Früher habe ich auch gerne im Volkstheater gesessen, aber das ist Jahrzehnte her. Ich mag Volksbühnen gerne. Ich bin gebürtiger Schlierseeer, da gibt’s diese traditionellen Volksbühnen auch. Eigentlich habe ich Lust, so etwas wieder zu erleben. Die Mundart, das echte Bayerische. Wenn ihr ein gutes Programm habt, bin ich sofort dabei. P R O T O K O L L E : F E L I X Z E LT N E R , K I L I A N E N G E L S ; I L L U S T R AT I O N : B E R N D R O D E N H A U S E N AXEL BERG BUNDESTAGSABGEORDNETER Ja, wann denn bitte schön? In München muss ich doch selbst allabendlich bella figura bei Podiumsdiskussionen, Versammlungen oder Jubiläen machen und aufpassen, dass meine Volksreden nicht zur Realsatire werden. Über die Hälfte meiner Zeit sause ich durch Berlin, Deutschland und den Rest der Welt, um gut Wetter für München zu machen. Und dabei habe ich nicht mal einen Souffleur. Immerhin – zu meiner Exkulpation – war ich nicht nur lange im Vorstand des Kulturforums der Sozialdemokratie. Nein, ich bin auch Gründungsvorsitzender des Freundeskreises des Metropoltheaters in Freimann, das auch Volkstheater-Fans reinlässt, falls hier mal spielfrei ist. Doch im Metropol werden Sie mich auch kaum in der Vorstellung treffen. Ich muss doch meine Chance nutzen. Wer weiß, wie lange meine Abgeordnetenphase geht. Jetzt ist für mich die Zeit zu kämpfen und etwas zu bewegen. In meiner nächsten Lebensphase will ich dann wieder mehr ins Theater gehen. Und warum eigentlich nicht ins Volkstheater? » ECHT KRASSES STÜCK « Zuschauer sagen ihre Meinung. Eine Umfrage an vier Abenden. » DAS FEST « SANJELA KURENJA, SPRACHTRAININGBETREUERIN Es hat sich einfach so ergeben, dass ich für heute Abend Karten bekommen habe. Ich erhoffe mir die großen Gefühle, in die man nur im Theater tief eintauchen kann: das Reale, Anfassbare, die Interaktion zwischen Schauspielern und Zuschauern. ERIKA UND GERD SENT, HAUSFRAU UND PENSIONÄR Wir bekommen das Programmheft zugeschickt und haben so die Möglichkeit, früher Karten zu bestellen. Die Geschichte zum Stück hat uns interessiert und wir haben dann auch gleich für heute Abend Karten bekommen. Das ist das erste Mal, dass wir zu einer Premiere gehen. UDO WACHTVEITL, SCHAUSPIELER Ich habe es vor vier Tagen in Wien gesehen, und da hat es mir recht gut gefallen. Deshalb schaue ich es mir heute Abend nochmal an. JULIAN MONATZEDER, STUDENT Ich studiere Theaterwissenschaften und habe dieses Semester ein Seminar zum „Fest“ belegt. Es ist spannend, ob es in der Inszenierung genauso realistisch angelegt wird wie im Film oder eben genau nicht. MARLENE SCHMIDT, RENTNERIN Ich bin ganz kurzfristig eingesprungen, ich hatte noch nicht mal Zeit, mich auf das Stück vorzubereiten, wie ich es sonst immer mache, wenn ich ins Theater gehe. Denn heute stand ich den ganzen Tag auf der Terrasse und habe Steine geklopft. THOMAS LOIBL, SCHAUSPIELER AM RESIDENZTHEATER Ich bin wegen der Inszenierung von Jorinde Dröse hier. Das, was sie bisher gemacht hat, hat mir immer sehr gut gefallen. Mal schauen, was sie anders machen wird als im Film. GERHARD SCHIFERL, VERTRIEBSINNENDIENSTLER BEATRICE GOSNY, HEBAMME Beatrice hat mich heute Abend eingeladen. Eigentlich gehe ich nicht so häufig ins Theater, aber ich glaube, ich gehe jetzt wieder regelmäßiger, auch wenn das ein echt krasses Stück war. HEINZ WANITSCHEK, CHOREOGRAF UND DOZENT AN DER OTTO-FALCKENBERGSCHAUSPIELSCHULE Das war eine recht spontane Entscheidung, heute Abend herzukommen. Zum einen kenne ich die Schauspieler, zum anderen habe ich selber mal die Choreografie bei einer Inszenierung in Nürnberg gemacht. Mir war es aber zu flächig und zu unbrisant heute Abend. PATRIZIUS OTZKO, MALER UND KÜNSTLER Eigentlich befand ich mich alkoholtrinkenderweise schon auf dem Nachhauseweg, als ich auf der Straße von einem Freund angesprochen wurde, er habe noch eine Karte übrig. Und dann dachte ich mir: Theater, Tragik, warum nicht? »DER BRANDNER KASPAR UND DAS EWIG’ LEBEN « GEORG RIEDL, SCHÜLER Ich hab’ das Stück im Fernsehen gesehen und das meiner Mutter erzählt. Deshalb sind wir heute da. Das ist das erste Mal, dass ich ins Theater gehe. SEVERIN LEYERER, ABITURIENT SELMA BAUSINGER, ABITURIENTIN Ich bin heute hier, weil meine Freundin mich gezwungen hat. Außerdem komme ich aus der Nähe des Hauptdarstellers. Nein, im Ernst: meine Freundin hat den „Brandner Kaspar“ schon mal gesehen und wollte ihn gerne mit mir zusammen sehen. ERIKA AMANN Ich habe eine sehr gute Kritik gelesen und wollte es mir deshalb anschauen. Bisher kannte ich nur die Inszenierung aus dem Residenztheater und muss sagen, es ist absolut spitze. MORITZ DEHNER, FAHRLEHRER Ewig lang ist es her, zwanzig Jahre oder so, dass ich es mal im Fernsehen gesehen habe und da wollte ich es mir eben heute nochmal anschauen. FAMILIE LUDWIG AUS ERDING Wir haben es bereits im März schon mal gesehen und fanden es so toll, dass wir es dann unseren Eltern geschenkt haben. Insgesamt sind wir 13 Leute hier: von den Großeltern bis zu den Enkeln. CHRISTIAN HITSCH, ARCHITEKT UND BILDHAUER Ich komme aus Österreich und finde es ganz ausgezeichnet. Immer, wenn ich in einer anderen Stadt bin, versuche ich, ein Stück zu sehen, das zur Stadt passt. Und der „Brandner Kaspar“ passt perfekt zu München. ANITA UND NADINE KNOTT, STUDENTIN UND HANDELSFACHWIRTIN Nadine war schon in der 100. Vorstellung und meinte, wenn wir sie mal besuchen, müssten wir unbedingt das Stück sehen. Und so sind wir aus dem Tessin für den „Brandner Kaspar“ nach München gekommen. 18 volksmund 2 · publikumsbefragung BERNHARD SCHRADET, HALS-NASEN-OHREN-ARZT Der „Brandner Kaspar“ ist eins meiner Lieblingsstücke. Ich habe es schon in anderen Inszenierungen gesehen, aber hier gefällt’s mir sehr gut. Denn wenn wir schon aus der tiefsten Provinz am Chiemsee nach München kommen, sollte es sich auch lohnen. » LEONCE UND LENA « VOM BACKSTAGEKLUB DES VOLKSTHEATERS NADJA MICHALSKI, MODEDESIGN-STUDENTIN Ich schaue mir „Leonce und Lena“ an, weil der Regisseur und ich selber mal ein Projekt gemeinsam machen wollen. Am Stück mag ich auch so gerne, dass eine Welt um sich herum gebaut wird. SOPHIE KNABNER, SCHÜLERIN Ich habe vor Jahren mal selbst in einer Schulaufführung bei „Leonce und Lena“ mitgespielt. Da habe ich noch gar nicht verstanden, worum es geht. Deswegen schaue ich es mir heute nochmal an. JASMIN TRUONG, SCHÜLERIN Mich hat heute Morgen meine beste Freundin angerufen, dass sie noch eine Karte fürs Theater hat. Da bin ich sofort mitgekommen. Sonst hätte ich den ganzen Tag über nur gebügelt. JOCHEN OSTER, INGENIEUR Ich wollte eigentlich nur eine Karte für das Wiesenspecial vom „Brandner Kaspar“ haben. Aber beim Kauf habe ich gesehen, dass „Leonce und Lena“ aufgeführt wird. Das hat mich interessiert, da es auch bei mir in meiner Heimatstadt ein tolles Schülertheater gibt. DOMINIK BIELER, KAUFMANN Ich bin mit einem der Darsteller befreundet und deswegen da. Aber die Inszenierung war auch so toll: die Jugendlichen spielten sehr gut in ihrer Rolle und das Stück war sehr fantasievoll und präzise in der Sprache umgesetzt. MAXIMILIAN SOMMERER KFZ-LEHRLING Ich habe meine Freundin begleitet, da eine Freundin von ihr mitspielt. Mir hat es ganz gut gefallen. Wenn ich nicht ins Theater gegangen wäre, hätte ich heute ferngesehen. publikumsbefragung · volksmund 2 19 GASTSPIEL VON » LOS POPPOS « ULRICH ROTHBAUER, MOLEKULARBIOLOGE Seit Jahren schon verfolge ich die „Los Poppos“. Das ist der fünfte Auftritt, den ich mir heute anschaue. Sie sind einzigartig: unprätentiös, keine Profis, aber mit intelligentem Humor. Davon braucht das Theater mehr, finde ich. RONNY RIETHMÜLLER, KRANKENPFLEGER Ich gehe heute ins Theater, weil ich eine Freikarte bekommen habe. Aber im Ernst: ich würde mir die „Los Poppos“ auch anschauen, wenn ich dafür zahlen müsste. JULIA BERKIC, PSYCHOLOGIN Mit den „Los Poppos“ bin ich schon seit zwölf Jahren befreundet und habe mir auch schon gestern die Vorstellung angesehen. Ich finde es sehr lustig, aber nicht zu albern. Außerdem mag ich solche Verwechslungsgeschichten im Stil der fünfziger Jahre. JOHANNES SCHOLTER, WISSENSCHAFTSJOURNALIST Hauptsächlich bin ich hier, weil ich die Leute kenne, die mitspielen. Aber ich muss sagen, ich stehe auch total drauf, was die machen. Man merkt, dass die, die mitspielen, selber wahnsinnig viel Spaß haben. KATRIN ZINDL, MASKENBILDNERIN Aus Vetternwirtschaft bin ich hier. Ich bin Maskenbildnerin am Residenztheater und ein Kollege aus der Requisite spielt hier mit. Das wollte ich mir ansehen. Ich habe die Karte von meinen Freunden zum Geburtstag geschenkt bekommen. Sie fanden den Flyer so lustig, dass sie sofort Karten gekauft haben. MATHIS BUNGARTEN, SCHÜLER Mein Vater hat vorgeschlagen, heute ins Theater zu gehen. Es gefällt mir schon ganz gut, besonders, dass so viel improvisiert wird. 20 volksmund 2 · publikumsbefragung P R OT O KO L L E : A L E X A N D E R R U N T E JÜRGEN MAYER, CONTROLLER ELF GUTE GRÜNDE, INS VOLKSTHEATER ZU GEHEN – DAS REPERTOIRE Frank Wedekind Patrick Süskind FRÜHLINGS ERWACHEN DER KONTRABASS Worum geht’s? Melchior schwängert seine Klassenkameradin Wendla und fliegt von der Schule. Worum geht’s wirklich? Um große Gefühle und die Nöte der Pubertät. Warum hingehen? Wedekinds hundert Jahre altes Stück ganz aktuell! Kurt Wilhelm/Franz von Kobell Worum geht’s? Die Hassliebe eines Kontrabassisten zu seinem Instrument, das ihn sowohl im Orchester als auch im Leben selbst in die hintere Reihe zu zwingen scheint. Worum geht’s wirklich? Um Midlife-Crisis, zertrümmerte Lebensträume und den Aufbruch zum Ausbruch. Warum hingehen? Nikolaus Paryla in seiner Paraderolle. Seit mehr als 25 Jahren! DER BRANDER KASPAR UND DAS EWIG’ LEBEN William Shakespeare Worum geht’s? Der Brandner Kaspar überlistet den Tod, schwindelt ihm 18 Lebensjahre ab und will dann schließlich doch in den Himmel. Worum geht’s wirklich? Um Diesseits und Jenseits, und dass sich die beiden zum Verwechseln ähnlich sind. Warum hingehen? Eine einmalige Gelegenheit, bereits zu Lebzeiten einen Blick in den Himmel der Bayern zu werfen! VIEL LÄRM UM NICHTS Edward Albee William Shakespeare DIE ZIEGE ODER WER IST SYLVIA? EIN SOMMERNACHTSTRAUM Worum geht’s? Ein Star-Architekt verliebt sich in eine Ziege. Worum geht’s wirklich? Um eine zwanzigjährige Ehe. Warum hingehen? Eine großartige Komödie – auch für Leute, die noch nicht zwanzig Jahre verheiratet sind. Georg Büchner WOYZECK Worum geht’s? Eifersuchtsmord im Soldatenmilieu: Als Franz Woyzeck erfährt, dass seine Freundin Marie ihn betrügt, bringt er sie um. Worum geht’s wirklich? Um die Frage: Was ist der Mensch? Warum hingehen? Die neue Deutung von Büchners Klassiker – nicht nur für Schulklassen. Worum geht’s? Hero und Claudio wollen unbedingt heiraten, aber die Hochzeit wird vereitelt, Beatrice und Benedick geben vor, sich zu hassen, heiraten dann aber doch. Worum geht’s wirklich? Um viel Lärm um nichts. Warum hingehen? Temperamentvolle Inszenierung der Komödie über die Irrungen und Wirrungen der Liebe. Worum geht’s? Lysander und Demetrius lieben Hermia. Den einen will sie, den anderen soll sie heiraten. Vor der Zwangsheirat flüchtet das Liebespaar in den Wald, gefolgt vom verschmähten Bräutigam Demetrius und der in ihn verliebten Helena, von der niemand etwas wissen will. Im Wald spielen dann plötzlich die Gefühle verrückt und nichts ist mehr, wie es vorher war. Worum geht’s wirklich? Um die Unzuverlässigkeit der Liebe. Warum hingehen? Die erfolgreichste Komödie aller Zeiten! Bertolt Brecht BAAL Worum geht’s? Der Künstler Baal frisst, säuft, hurt und mordet. Und schreibt dabei noch Gedichte. Worum geht’s wirklich? Darum, dass man alles haben kann, wenn man nur bereit ist, dafür zu bezahlen. Warum hingehen? Inszenierung des Altmeisters Hans Neuenfels. Thomas Vinterberg/Mogens Rukov DAS FEST Worum geht’s? Helge feiert seinen sechzigsten Geburtstag. Alle sind eingeladen. Das Fest verläuft fröhlich, bis sein Sohn Christian eine Tischrede hält. Worum geht’s wirklich? Um die dunklen Geheimnisse und Abgründe einer Familie. Warum hingehen? Der berühmte Dogma-Film auf der Bühne! Franz Molnár LILIOM Worum geht’s? Der Hallodri Liliom heiratet das Dienstmädchen Julie, verliert seinen Job, stirbt bei einem Raubüberfall und kommt nach 16 Jahren im Fegefeuer noch einmal auf die Welt zurück, um zu zeigen, dass aus ihm ein besserer Mensch geworden ist. Worum geht’s wirklich? Darum, dass die Liebe stärker ist als der Tod. Warum hingehen: Märchenhafte Tragikomödie und himmlischer Klassiker der Volkstheaterliteratur. Darja Stocker NACHTBLIND Worum geht’s? Leyla steckt in einer schwierigen Situation: Ihr Freund kann nicht zwischen Liebe und Gewalt unterscheiden, bei ihr Zuhause bricht die Familie auseinander. Worum geht’s wirklich? Befreiungsschläge tun weh, lohnen sich aber. Warum hingehen? Um unsere Schauspieler auf der Kleinen Bühne hautnah zu erleben! repertoire · volksmund 2 21 N, E M H E N B ner k c A ü N Br S E ilian S m H i U C Max K M C H » IC NE BÄ ICK « D I E U M DZ SIN 22 volksmund 2 · riedering trifft gern JA DU H IC WIE ipp N Phil I B NT, « A T D N FFSt den r und » A P e ff A S r tri Brückn ktung, H a E s s i G lian mm StC mar t-Ko Maximi lbstver r S o DerAjüngsteuTßaballstacrh: en überßSbealler Lahm u e F D ten hm spr wule F ß s g n h jü pp La nd sc SÜ PH i Phil chkeit u H R I S T O i : C EB ON Ehrl NE AT I LA DER RIE AB MO G : OS FOT riedering trifft gern · volksmund 2 23 Maximilian Brückner, Christoph Süß und Philipp Lahm Christoph Süß: Maxi, der Philipp kommt gerade vom Training. Wie weit ist körperliche Fitness in deinem Beruf wichtig? Maximilian Brückner: Ich mache viel Sport, ich gehe Gleitschirmfliegen, Kajaken, Kitesurfen und im Winter Telemarken. Ich bin da nicht so der typische Künstler. Süß: Machst du das freiwillig oder weil du es für den Beruf brauchst? Brückner: Es passt einfach gut zusammen. Im Theater muss ich auch beweglich sein, zum Beispiel in meiner Rolle beim „Brandner Kaspar“. Für meine nächste Rolle muss ich aber abnehmen, obwohl ich eigentlich gar nichts dran habe. Aber der Film spielt am Ende des 19. Jahrhunderts, und meine Bäckchen sind dafür zu dick. Philipp Lahm: Da bin ich ja mal gespannt, wie du das schaffst. Süß: Es gibt ja bei Prominenten die berühmte Kokaindiät. Brückner: Kokaindiät? Da muss ich leider passen. Für nichts auf der Welt. Süß: Also kein Doping? Brückner: Ich trinke gerne mal ein Bier. Lahm: Das ist ja Doping. Brückner: Jemand hat mir mal gesagt, Kokain würde die Nerven stärken, aber ich habe einfach viel zu viel Angst davor. Ich mach’ halt immer nur das, was erlaubt ist. Süß: Du bist einfach noch nicht alt genug. Brückner: Wahrscheinlich, aber wieso sollte ich mir Ärger einhandeln, wo doch jeder weiß, dass es nicht gut ist und abhängig macht? Beim Bier merkst du am 24 volksmund 2 · riedering trifft gern nächsten Tag wenn es zu viel war, und dann reicht es dir wieder eine Zeit lang. Das ist der Vorteil. Süß: Doping gibt es beim Radsport, in der Leichtathletik – aber beim Fußball nicht, oder? Lahm: Mit Sicherheit auch, da wurden ja schon einige erwischt. Süß: Was? Es gibt Doping im Fußball? Lahm: Aber natürlich nicht bei uns. Süß: Natürlich nicht. Lahm: In jeder Sportart gibt es Doping, aber für mich ist das kein Thema. Süß: Darfst du in Interviews eigentlich noch alles sagen? Lahm: Ob ich alles sagen darf? Süß: In deiner Position, darf man da noch richtig frei sprechen? Lahm: Nein! Süß: Wo sind die Einschränkungen? Wo springt der Manager dazwischen? Lahm: Man darf nie etwas Negatives über Mitspieler, den Trainer und das Management sagen. Meiner Meinung nach muss auch nicht immer alles in der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Süß: Aber schränkt dich das nicht ein, dass du so vorsichtig sein musst? Die Journalisten wollen dich ja aufs Glatteis führen und dann die Schlagzeile haben: „Philipp Lahm sagt über...“ Lahm: Man wächst da mit rein. Am Anfang, als „Shootingstar“ sozusagen, da kamen bei mir nicht viele gefährliche Fragen, aber wenn es mal nicht so gut läuft, muss ich schon aufpassen. Süß: Bist du in deinem Beruf als Fußballer auch Schauspieler? Oder bist du da immer ganz natürlich, immer du selbst? Lahm: Ich glaube, das meiste, was bei den Interviews auf den Bildschirmen rüberkommt, bin ich. Ich finde es schwer, mich vor Kameras zu verstellen. Süß: Kommen wir noch einmal zur körperlichen Fitness und der Schauspielerei. Maxi, den Sport machst du ja zum Spaß, aber gibt es auch ein ständiges Training, das du als Schauspieler machen musst? Brückner: Dadurch, dass ich auf dem Land aufgewachsen bin, war ich eigentlich immer körperlich relativ fit, das war für mich nie eine Frage. Süß: Also hast du keinen Coach, zu dem du regelmäßig gehst und trainierst? Brückner: Ich bräuchte einen Coach, damit ich mal meine Drehbücher lerne. Süß: Du bist textlernfaul? Brückner: Ja. Manchmal bin ich wirklich eine faule Sau. Es ist Wahnsinn, mit was ich manchmal so durchkomme. Aber dann bin ich auch wieder sehr ehrgeizig. Ich habe mir das ja erarbeiten müssen und bekomme einen Haufen Geld für meine Arbeit. Daher möchte ich es auch sauber machen. Aber manchmal ist man halt faul. Lahm: Das kenne ich auch. Süß: Ja, sogar ich. Zur Schauspielerei im Fußball: Faulen, sich im Elfmeterraum fallen lassen – übt ihr so was? Lahm: Nein. Süß: Ist das so eine Frage, die du mit Nein beantworten musst? Lahm: Nein, das üben wir wirklich nicht. Süß: Das muss man also so können, quasi ein Naturtalent mitbringen. Lahm: Das macht ja auch nicht jeder. Süß: Also mir hat mal einer gesagt: „Wir trainieren Fouls.“ Lahm: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen, dass man Fouls und Schwalben trainiert, das gibt es nicht. Süß: Und Schiedsrichter ablenken? Einer ruft „Senta Berger!“ und der Schiedsrichter sagt „Wo?“ und schaut weg – übt man so was nicht? Brückner: Senta Berger? Süß: Da schauen die Deutschen immer noch. Brückner: Also ich weiß nicht, die Senta Berger ist nicht schlecht, aber... Süß: Das hängt natürlich von Geschlecht und Neigung ab. Lahm: Man kann sich bestimmt bald im Vorfeld eines Spiels im Internet über die Neigungen des Schiedsrichters informieren. Süß: Ist dir auf dem Fußballplatz eigentlich immer bewusst, dass da die Fernsehkameras die ganze Zeit zuschauen? Lahm: Nein. Süß: Vergisst man das völlig? Lahm: Nein, nicht völlig, man kriegt ja Riedering trifft Gern. Einfach Süß. auch die Fans mit, zum Beispiel am 22. August im Wembleystadion gegen England. Da haben die deutschen Fans eine super Stimmung gemacht, obwohl es nur ein paar tausend waren. Süß: Befallen dich da nicht manchmal auch Selbstzweifel und du denkst dir: Mann, die jubeln da jetzt alle und erwarten von mir Mordswunderwas, und ich bringe das heute gar nicht? Lahm: Selbstzweifel gibt es nie, aber natürlich hat man bessere und schlechtere Tage. Gerade beim FC Bayern ist der Druck immer enorm hoch. Bei mir war es bestimmt gut, dass ich schon mit elf oder zwölf Jahren zum FC Bayern in die Jugend gewechselt bin. Sogar da war es schon so, dass man jedes Spiel gewinnen musste. Natürlich ist der Druck jetzt ganz anders als damals mit 13, aber ich bin damit aufgewachsen, immer Leistung bringen zu müssen. Süß: Du bist also schon seit du 13 bist darauf gebürstet, immer der Erste zu sein. Was passiert, wenn das mal so nicht ist? Wenn ihr mal verliert? 26 volksmund 2 · riedering trifft gern Lahm: Wenn ich ein Spiel verliere, habe ich keine große Lust, danach noch irgendwas zu machen. Ich habe schlechte Laune. Süß: Wer kriegt das ab? Lahm: Keiner. Keiner! Brückner: Ein einsamer Schrei in der Wohnung. Lahm: Na ja, meistens ist meine Freundin mit dabei. Aber ich pflaume sie dann nicht an, sondern ärgere mich einfach, bin ruhig und schaue fern. Süß: Und die weiß dann auch: Heute lassen wir den Philipp einfach mal in Ruhe, der hat heute verloren. Lahm: Ja. Das weiß die ganze Familie. Süß: Ist es schwierig, in deiner Position eine Beziehung zu führen? Lahm: Eine Beziehung zu führen ist nicht schwieriger als bei anderen. Eine Beziehung zu finden ist viel schwieriger, weil man eben schon aufpassen muss. Es gibt viele, die kommen, weil man in der Öffentlichkeit steht, Geld hat und die eher darauf schauen als auf die Person Philipp. Süß: Maxi, hegst du auch so ein generelles Misstrauen, wenn dich eine Frau anspricht? Früher hätte man sich gefreut, jetzt sagt man: Ach, schon wieder eine. Brückner: Wenn ich früher auf eine abgegangen bin, bin ich meistens erfolglos zurückgekehrt. Jetzt ist das anders, die sagen: „Du bist doch der Schauspieler!“ Aber es ist ganz komisch, manchmal nervt mich das und dann will ich nicht mehr. Die besten Menschen lerne ich meistens über andere Umstände kennen. Lahm: Ich weiß auch nicht, ob das mit Geld zu tun hat. Auch in anderen Berufen ist es so: Wenn ein Mann Erfolg hat, ist das für Frauen anziehend. Süß: In welchem Moment bist du vom Prominenzlevel her in die erste Liga aufgestiegen? Lahm: Das war das Heimspiel Stuttgart gegen Manchester United in der Champions League. Man merkt dann, dass man jetzt Bundesligaspieler ist, dass man jetzt Profi ist. Süß: Woran merkt man das genau? Lahm: Dass man in so einem Spiel von Anfang an spielt. Ich bin 2003 als 19jähriger Amateurspieler nach Stuttgart gekommen und hatte erst zwei oder drei Bundesligaspiele von Anfang an gemacht, als das Spiel gegen Manchester United kam. Stuttgart hatte lange nicht mehr in der Champions League gespielt und nun ging es ausgerechnet gegen Manchester United, eine der besten Mannschaften weltweit. Das Spiel kam ganz groß im Fernsehen, und wir gewannen. Nach dem Spiel wurde ich auf den Straßen in Stuttgart erkannt. Süß: War das angenehm oder eher unangenehm, als zum ersten Mal die Leute auf der Straße riefen: „Schau, da ist der Philipp Lahm!“ Lahm: Angenehm natürlich. Da würde jeder lügen, der sagt, es wäre nicht so. Am Anfang ist das toll, da freut man sich. Vor allem als 19-Jähriger. Süß: Maxi, wie ist das bei dir, wenn du erkannt wirst? Brückner: Anfangs freut man sich, das war genauso wie beim Philipp. Süß: Wenn man nicht erkannt wird, heißt das, man macht seinen Job schlecht? Brückner: Beim Fußball gilt, je besser du bist, desto mehr wirst du erkannt, desto mehr bist du im Fernsehen und bei guten Spielen dabei. Genauso ist es beim Drehen. Bei dir, Philipp, ist das natürlich extremer, du bist da wirklich noch mal mindestens zwei Ligen über mir, du bist vor allem international wesentlich bekannter. Süß: Fußball ist ja auch wichtiger! Lahm: Sozusagen... Brückner: Ja, aber irgendwann wird es einfach zuviel, man kommt nicht mehr zur Ruhe. Gerade daheim, wenn ich mit einem Freund irgendwo hingehe und einfach mal ratschen will, kommt alle fünf Minuten jemand daher. Lahm: Ja, das kenne ich. Süß: Was tut man da dagegen? Brückner: Verstecken! Lahm: Es ist einfach schwer. Was ich nicht mag, ist, während des Essens angesprochen und gestört zu werden. Das kann ich überhaupt nicht haben. Süß: Warum? Weil Essen so sexy ist? Lahm: Nein, das hat mit Anstand zu tun, beim Essen stört man einfach nicht. Süß: Kann man dann nur noch in FünfSterne-Läden gehen, wo nur Fußballer und Schauspieler sitzen und man weiß: Andere können sich das gar nicht leisten, da spricht mich sicher keiner an? Lahm: Nein, ich gehe in solche Läden nicht. Bei mir am Gärtnerplatz gibt es viele Orte, wo ich mich draußen hinsetzen kann und da passiert nichts. Süß: Ist das so eine Art Börse, wo man seinen Marktwert einschätzen kann – je öfter ich erkannt werde, desto mehr kann ich bei der nächsten Gagenverhandlung verlangen? Nach dem Motto: „Für das Geld? Mit Maximilian Brückner nicht mehr!“ Brückner: Die Frage ist, ob das Erkannt werden unbedingt mit Qualität zu tun hat. Es gibt viele Schauspieler, die bekannt sind und die ich nicht für besonders talentiert halte. Süß: Kannst du Namen nennen? Brückner: Maximilian Brückner. Süß: Schön! Brückner: Das beste Beispiel ist doch Paris Hilton. Die ist prominent dafür, reich zu sein. Jeder macht auf einmal alles. Das Tolle beim Fußball ist, dass die Spieler an ihre wirklichen Grenzen gehen. Süß: Du meinst, beim Fußball kann man schlecht was vortäuschen? Brückner: Ja, man kann nicht vortäuschen, dass man wirklich gut spielt. Das ist in der Filmbranche anders. Die Leute wollen teilweise verarscht werden. Süß: Philipp, gab es – bevor du bekannt wurdest – Momente in deinem Leben, in denen Leute gesagt haben: „Der schafft das nie. Schau dir den doch mal an! Vielleicht wenn er drei Meter größer wäre, aber doch nicht so!“ Lahm: Klar gab es das, genügend gab es das. Wenn ich an meine Jugend zurückdenke, war ich immer einer der kleinsten. Die Jugendnationalmannschaft war kein Thema für mich, da war ich immer zu klein, zu schmächtig. Viele haben gesagt: „Der schafft es nicht.“ Süß: Wenn du diese Leute jetzt triffst, sagst du denen dann: „Du hast doch damals gesagt, ich wäre zu klein...“ und freust dich? Lahm: Natürlich trifft man Leute von früher, und manchmal ist das schon schön zu sehen, wie freundlich die auf einmal sind. Aber es gibt viele Leute, die mehr mit einem zu tun haben wollen, zum Beispiel wenn man abends weggeht. Süß: Maxi, funktioniert das bei dir auch so? Brückner: Ja, aber die Genugtuung liegt schon einfach in diesem Freundlichsein, da muss ich niemandem was reindrü- cken. Ich habe immer noch viele gute alte Freunde, die sehr ehrlich sind und mich immer wieder auf den Boden zurückholen, indem sie sagen: „Es ist schon super, wie das bei dir läuft, aber das ist halt auch nicht alles.“ Und die Leute, die sich dann auf einmal melden, na ja, da bin ich einfach höflich und denke mir, die sollen mich nicht mal für ein Arschloch halten können. Lahm: Genauso soll es sein. Süß: Maxi, du sagst, deine Freunde sind dir wichtig, deine Heimat ist dir wichtig. Gleichzeitig ist das aber auch eine Art Marketingstrategie, oder? Denn wenn man etwas über dich liest, liest man genau das. Brückner: Am Anfang bin ich ausgelacht worden, wenn ich gesagt habe: „Ich komm’ vom Land, ich komm’ von da draußen und mag das gerne.“ Für manch einen mag sich das heute wie eine Marketingstrategie anhören – aber das war von Anfang an mein Ding. Ich kann sehr wohl akzentfrei Hochdeutsch sprechen, aber ich spreche einfach gern Bayerisch. Man merkt natürlich, dass die Leute da auf einmal darauf anspringen. Aber soll Stadtsparkasse. Gut für München. Wir geben der Kunst eine Bühne. Und fördern sie. Ihr Partner in allen Finanzfragen. www.sskm.de P H ILIPP LA H M wurde 1983 in München geboren und spielt beim FC Bayern und in der Nationalmannschaft. Er schoss im Eröffnungsspiel gegen Costa Rica das erste Tor der Fußball-WM 2006 und spielte als einziger deutscher Spieler alle WMSpiele über die vollen 90 Minuten. MAXIMILIA N B RÜ CKN ER wurde 1979 in München geboren. Bekannt geworden durch seine Rollen am Münchner Volkstheater, erhielt er 2006 den Bayerischen Kunstförderpreis in der Sparte Darstellende Kunst. 2007 wurde er auf der Berlinale zum deutschen „Shooting Star des europäischen Films“ gekürt. CH R ISTOP H S Ü ß moderiert seit 1999 das wöchentliche Polit- und Satiremagazin „Quer“ im Bayerischen Fernsehen. Seit 2006 unterhält er sich regelmäßig mit hochkarätigen Gästen aus Wissenschaft, Kultur und Politik in „SüßStoff – Die Late-Night im Münchner Volkstheater“ über aktuelle Themen. 28 volksmund 2 · riedering trifft gern ich das jetzt deswegen verleugnen? Das wäre ja bescheuert. Wenn jemand behauptet, dass das eine reine Marketingstrategie ist, ist mir das eigentlich scheißegal. Süß: Philipp, bei dir ist das ja nicht ganz unähnlich. Wir haben lauter internationale Fußballstars und dann kommt da so ein Junge aus Gern, der es nach oben geschafft hat. Das wurde ja auch zu einer Art Verkaufsstory. Nimmst du das genauso wahr wie der Maxi? Lahm: Genauso, ja. Da muss ich ihm Recht geben. Man wird gefragt: „Wie bist du zum Fußball gekommen, wo ist deine Familie her?“ Dann erzähle ich, wo ich herkomme, dass ich trotzdem noch oft bei Gern im alten Verein bin. Wenn das so ist, kann ich es auch erzählen, aber ich werde dadurch auch immer wieder danach gefragt. Süß: Die halten dich bestimmt für einen Gott, die Jugendlichen in Gern. Lahm: Nicht für einen Gott, für die Jüngeren bin ich aber schon ein Vorbild. Für die Älteren, für die Freunde meiner Eltern eher nicht, die kennen mich von klein auf und für die bin ich immer noch der Philipp von früher. Süß: Da kommt man nie raus. Lahm: Nein, da kommt man nie raus. Das ist aber sehr angenehm. Süß: Maxi, wann warst du zuletzt auf dem Fußballplatz? Brückner: Vor ein paar Wochen, beim Spiel Jungbauernschaft gegen die Feuerwehr und den Trachtenverein. Ich war beim Trachtenverein, wir haben komplett verloren, aber es war total lustig. Süß: Philipp, was war dein letztes Theaterstück? Lahm: „The Rat Pack“ im Deutschen Theater. Süß: Und war’s gut? Lahm: Sehr gut. Süß: Maxi, gibt es Momente, in denen du denkst: Schauspieler sein ist ganz schön, aber eigentlich wäre ich lieber Fußballer geworden? Brückner: Das Problem ist, dass ich total unbegabt bin. Ich spiele gerne, aber ich kann alleine vor dem Tor stehen und schieße mit Sicherheit vorbei. Süß: Ja, aber vom gesellschaftlichen Status her gesehen wirst du als Schauspieler zwar überallhin eingeladen, aber der Bundespräsident küsst dich nicht. Brückner: Ich glaube, ich würde lieber einen spielen. Ich kann in meinem Beruf immer alles sein, das ist es, was ich total gern mag daran. Süß: In deinem ersten Film hast du einen Fußballer gespielt. Brückner: Genau, da habe ich einen schwulen Torwart gespielt. Lahm: Nee! Brückner: Doch. Das war mein erster Film und ich dachte: Wow, die erste Hauptrolle, jetzt werde ich ein Mädchenschwarm! Ich habe dann schon geschluckt, als ich das Drehbuch las. Ich kenne ja auch einige, die schwul sind – aber es ist schon eigenartig, wenn man dann das erste Mal küssen muss. Lahm: Aber du hast es überstanden. Brückner: Bei der Premiere in Rosenheim ist bestimmt die Hälfte in Tracht ins Kino gegangen und ich hatte im Vorfeld nichts über meine Rolle gesagt. Bei der Kussszene war Totenstille, danach waren alle begeistert. Süß: Schwule Fußballer gibt es übrigens nicht, oder? Lahm: Mit Sicherheit. Süß: Verdammt! Ich dachte, es gibt im Fußball weder Doping noch Schwule. Lahm: Vielleicht schwule Fußballer, die dopen? Süß: Gibt es bei dir Momente, in denen du denkst, du wärst lieber Schauspieler geworden? Lahm: Nein, weil ich nicht so gerne vor der Kamera stehe. Süß: Ehrlich nicht? Lahm: Wir haben ja auch öfters Fotoshootings und Drehs, aber das Warten und so, das ist nichts für mich. Süß: Eine echte Quälerei. Lahm: Das ist harte Arbeit, daran bin ich einfach nicht gewöhnt. Süß: So, jetzt machen wir noch Fotos. Lahm: Ja, ich brauche unbedingt noch Fotos für die Mutter meiner Freundin. Fotografin: Von dir? Lahm: Nein, vom Maxi. Brückner: Du brauchst Fotos von mir? Lahm: Ja, klar. Brückner: Echt? Lahm: Die sagt immer: Der ist ja so sympathisch. Süß: Das sind halt Blender, diese Schauspieler. Anzeige * FOTO: PHOTOCASE.DE sei ein freund* Helfen Sie dem Volkstheater im Verein der Freunde des Volkstheaters. Ihnen werden dafür Vergünstigungen geboten, wie z.B. Reservierungen für Premieren, Theaterkarten zum halben Preis, Einladungen zu ausgewählten Veranstaltungen des Freundeskreises und exklusiven Begegnungen mit Schauspielern, Regisseuren und Dramaturgen. Informieren Sie sich im Internet unter www.muenchner-volkstheater.de oder rufen sie mich an: 089/8115656 · Ursula Sabathil volks theater Radikal gemütlich: Was ist nur mit der Jugend los? »DIE JUGEND BEKOMMT EINE NEUE BEDEUTUNG « FOTO: GABRIELA NEEB Einser im Zeugnis, Urlaub mit Mama und Bausparvertrag in der Tasche – wie radikal ist die Jugend noch? Wir haben den Jugendforscher Prof. Claus J. Tully gefragt. Volksmund: Warum ist die Jugend nicht mehr radikal? Prof. Claus J. Tully: Die Jugend ist radikal, und zwar grundsätzlich. Die Jugend will immer etwas anderes, die Jugend will immer eine Gesellschaft, die ihre eigene Handschrift trägt. Jugendliche haben einen anderen Stil, andere Moden, hören andere Musik und besuchen andere Theaterstücke als die Älteren. Es gibt unterschiedliche Geschmacksmuster. Würden die Jugendlichen nur das tun, was die Erwachsenen wollen, dann würde es immer die gleiche Gesellschaft geben, sie würde sich reproduzieren. Aber warum wird dann behauptet, dass die Jugend radikal sein soll und es nicht ist? Dieses Urteil kommt vor allem aus der Ecke der Alt-68’er. Die haben damals sehr grundsätzlich mit all dem gebrochen, was die Generation vorher für gut, wichtig und lebenswert betrachtet hat. Das ist ein spezifisch deutsches Phänomen, es hängt zusammen mit dem politischen Hintergrund der Nachkriegsperiode und mit der Aufarbeitung der Zeit des Faschismus. Dieser radikale Bruch, diese komplette Distanzierung zu allem was vorher war, ist bei den nachfolgenden Generationen nicht mehr in dieser Form aufgetreten. Seit wann gibt es die Jugend, wie wir sie heute kennen? Vor den 1950er Jahren hat es so etwas wie Jugend nicht gegeben. Früher gab es junge Erwachsene, also junge Menschen, die gekleidet waren wie Erwachsene, die die gleiche Musik hörten wie Erwachsene und die agierten wie Erwachsene. Selbst die Phase der Kindheit – das kann man auf Bildern von höfischen Szenen gut sehen – ist geleugnet worden, indem man die Kinder in die Kleider von Erwachsenen gesteckt und sie zu kleinen Erwachsenen stilisiert hat. Erst mit dem Rock’n’Roll kam so etwas wie eine eigenständige Jugendkultur auf. Da gab es dann eigene Kleidung, die Jeans, den Petticoat und all diese Dinge, und das wurde auch öffentlich wahrgenommen. Heute ist das ein ganz normales Bild, dass Jugendliche sich anders kleiden, andere Musik hören, zum Teil fürchterliche Musik, wie ich jetzt als Erwachsener sage. Sind die Jugendlichen von heute konservativer als früher? Nein. Sie sind höchstens wertkonservativ, in dem Sinne, dass sie einfach pragmatischer sein müssen, als es vorige Generationen waren. Die 68’er hatten das Glück, dass sie die Gesellschaft kritisieren konnten und trotzdem einen Job bekamen. Die jetzigen Jugendlichen sind angepasst und bemühen sich, bekommen aber trotzdem keinen. Kann man sich als junger Mensch heute überhaupt noch von den Älteren abnabeln? Die Generation vorher hatte es natürlich leichter. Dazu kommt, dass sich die Phase Ausbildung-Geldverdienen-Verselbständigen heute ewig in die Länge zieht. Die Jugendphase franst nach hinten aus, aus Amerika stammt der Begriff der „Floundering period“ – eine Phase, in der man zappelt wie eine Flunder. Der durchschnittliche Jugendliche geht heute mit etwa Neunzehneinhalb in die Ausbildung, ist mit 23 fertig, dann fällt er aus dem ganzen System raus und macht vielleicht Praktika oder soziale Dienste, bis er dann mit etwa 25 einen Job findet. Ihm fehlt das Einkommen, mit dem er eine eigenständige Existenz begründen könnte. Dadurch bleibt er finanziell letztlich immer von der Familie abhängig, und es ist für ihn sehr schwer, sich abzunabeln. Die Familie erlebt zurzeit eine ziemliche Aufwertung gegenüber früher, und das hat auch damit zu tun, dass Abhängigkeiten, von denen man dachte sie seien historisch überwunden, doch letztlich länger andauern. Wie wird sich die Jugend weiterentwickeln? In Zukunft wird die Gesellschaft viel mehr als heute auf die Jugendlichen angewiesen sein. Man wird genau hinschauen, ob die Jungen willens und in der Lage sind, die Alten zu finanzieren. Also bekommt die Jugend eine neue Bedeutung. Dafür, der Gesellschaft ihre Handschrift zu verpassen, werden die Jugendlichen – anders als vor vierzig Jahren – nicht mehr kämpfen müssen. Prof. a. V. Dr. habil. Claus J. Tully forscht am Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München. Das DJI ist das bundesweit größte außeruniversitäre Forschungsinstitut in Sachen Kinder, Jugend und Familie. Mit Prof. Tully sprachen Kilian Engels und Felix Zeltner. Das Festival Radikal jung am Münchner Volkstheater fördert jedes Jahr junge Theaterregisseure aus ganz Deutschland, das nächste Mal Ende April 2008. radikal jung · volksmund 2 31 32 volksmund 2 · schuhplatteln Da schau her, wie der Franz aus Riedering springen kann! Auf geht’s Buam! Eine Einführung in die hohe Kunst des Schuhplattelns. Platteln, äh, blättern Sie bitte um. T E X T : J O S E F S TA B E R S E N I O R FOTOS: GABRIELA NEEB schuhplatteln · volksmund 2 33 Schuhplattler Franz Staber, Mitglied des Trachtenvereins „GTEV Almengrün Riedering“ und Mitglied der jungen Riederinger Musikanten. Anfangs- bzw. Grundstellung. Kurz vor Anstoß mit dem rechten Fuß. Auf korrekte Hand- und Armstellung achten. Attraktiver Zwischenpatscher. Oberschenkel steht schon bereit für den nächsten Normalaufschlag. 34 volksmund 2 · schuhplatteln Mit lachendem Gesicht g’scheit dreinschlagen, das ist das Richtige. Knieund Oberschenkel sind hoch, auch hier auf Hand- und Armstellung achten. Etwas gefährlicher hinterer Parallelschlag. Die Handinnenfläche muss auf die breite Vorderfußfläche treffen. Auf gerade Haltung achten. Einer der leichteren hinteren Kreuzschläge. Vordere Überschläge. Knie und Oberschenkel sind wieder sehr hoch, dadurch kann der Plattler schön aufrecht stehen. Achtung: Den Überschlag kann man mit der linken oder mit der rechten Hand ausführen. Das so genannte „Aussespringa“. Die Fußspitze muss Augenhöhe erreichen. Wenn der Schlag danach gut hörbar ist und die Landung klappt, ist alles perfekt. schuhplatteln · volksmund 2 35 DER FACHMANN FÜRS KATHOLISCHE Oberammergau, Israel, Salzburg und zurück: Intendant Christian Stückl über sein Leben zwischen Katholizismus und Theater und die Schwierigkeit, Glauben zu inszenieren FOTOS: GABRIELA NEEB SALZBURG 2007 JEDERMANN Diesen Sommer kehrte ich nach zweijähriger Pause nach Salzburg zurück, um mir dort meinen „Jedermann“, den ich 2002 inszeniert hatte, wieder vorzunehmen. Peter Simonischek, der Darsteller des Jedermann, musste sich plötzlich noch einmal ganz neu auf das Stück einlassen, dass ihm seit fünf Jahren auf seinen großen Leib (195 cm) gewachsen war. Es machte Spaß, den Schuldknecht über die Bühne zu jagen, mit der neuen Buhlschaft Marie Bäumer (der Uschi im „Schuh des Manitu“) über die Festtafel zu robben und mit Sven-Eric Bechtolf, der in diesem Jahr das erste Mal den Teufel übernahm, eine ganz neue Figur zu entwickeln. Mit großer Spielfreude gingen wir an die Wiederaufnahmeproben, und wie jedes Jahr stockten wir an der gleichen Stelle und zermarterten uns die Köpfe mit den Fragen: Wie erzählt man am Schluss des Stückes, nachdem der Protagonist erfahren hat, dass er sterben muss, die Bekehrung des Jedermann? Wie erzählt man seine plötzliche Erkenntnis, dass er an den eigentlichen Dingen des Lebens vorbeigeschrammt ist? Wie erzählt man seine Reue und wie seinen plötzlich erwachten Glauben an Jesus und die Auferstehung? Wieder mussten wir erkennen, dass diese Stelle im Stück die schwierigste ist. Diesen Sommer trieb ich Simonischeck in die direkte Auseinandersetzung mit Gott (Peter Fitz) und Teufel. Gab es im letzten Jahr noch die Vermittlerin, im Stück wird sie der „Glaube“ genannt, so musste er in diesem Jahr direkt und ohne Anwalt vor den Richterstuhl Gottes. Der Teufel spielte den Staatsanwalt, der die Höchststrafe forderte: ewiges Schmoren in der Hölle. Vielleicht kamen wir diesen Sommer der Antwort ein kleines Stück näher, viel36 volksmund 2 · der fachmann fürs katholische leicht bleiben an dieser Stelle ein großes Fragezeichen und der grausame schwarze Sarg. Vielleicht können wir uns das Ende nie ganz erklären. Als ich 2001 vom damaligen Schauspielchef und jetzigen Intendanten der Salzburger Festspiele, Jürgen Flimm, den Auftrag erhielt, eine Neuinszenierung des „Jedermann“ vorzunehmen, stellte ich ihm die Frage: „Warum ich?“ Flimm, der im Jahr zuvor das von mir neu inszenierte Passionsspiel gesehen hatte, antwortete kurz: „Du bist der Fachmann fürs Katholische!“ Damals musste ich lachen, und doch dachte ich mir: Hat er Recht? OBERAMMERGAU 1970 MEIN ERSTER PASSIONSSOMMER Ich war gerade acht Jahre alt und in der zweiten Klasse. Damals bekam ich von den Bühnenarbeitern im Passionstheater den Beinamen „Bühnenschreck“. Zu Recht! Es gab keinen Winkel im Theater, den ich nicht kannte, es gab keinen Spieltag, den ich nicht im Theater ver- Zu Hause in Oberammergau: Christian Stückl bracht hätte. Eingeteilt war ich zu den Szenen „Einzug in Jerusalem“ und in den lebenden Bildern „Manna“ und „Trauben“, zwei Bildern, die von der vierzigjährigen Wanderung der Israeliten durch die Wüste erzählen. Doch in kürzester Zeit hatte ich mich in mehrere andere Bilder selbst hineininszeniert. Für jede Szene hatte ich mir ein eigenes Kostüm besorgt. Immer wieder wurde ich vom damaligen Spielleiter P. gerügt, und immer wieder stand ich in einem neuen Bild. Irgendwann riss Herrn P. die Hutschnur und ich bekam eine Watschen. Mit großer Empörung trat ich in die elterliche Küche und verkündete: „Wenn ich Spielleiter bin, dann zahl’ ich es dem Herrn P. zurück.“ Sehr früh also gab es in mir – allerdings aus niederen Beweggründen – den Wunsch, „Spielleiter“ zu werden. Das Wort Regisseur kannte ich noch nicht. Der Regisseur hieß in Oberammergau Spielleiter. Theater war für mich das Passionsspiel und das Passionsspiel war Theater. Die Rollen, die es zu besetzen gab, waren der Bei den „Jedermann“Vorstellungen immer ausverkauft: Der Domplatz zu Salzburg Vom jungen Christian Stückl zu neuem Leben erweckt: Die Karfreitagsratschen Das Wahrzeichen von Oberammergau: Der Kofel Jesus, der Judas, die Maria und der Kaiphas. Kaiphas zu werden war mein zweiter großer Berufswunsch. Der Hohepriester war früher einmal die größte Rolle, in den Jahren 1950 und 1960 hatte sie mein Großvater inne, nun mein Vater. Ich betrachtete diese Rolle wie einen Erbbauernhof. Spätestens 1990 würde ich ihn selber spielen. So dachte ich mit acht. Aufwachsend in einer Gaststätte, der „Rose“, erlebte ich das Passionsspiel fast 24 Stunden täglich. Nach den Proben saßen die Spieler am Stammtisch. Schon damals wurde viel und heftig über das Wie und Was gestritten. Mitten unter den Spielern saß ich mit meiner Limo. Um den Küchenherd herum rezitierten mein Vater und mein Großvater (er spielte 1970 den König Herodes) ihre Texte. Oft hörte ich es aus der Toilette hallen: „Es ist besser, dass ein Mensch stirbt, als dass das ganze Volk zugrunde geht!“ Mein Vater saß dort und lernte seinen Text. Mit zwölf Jahren hatte ich bereits eine kleine Sammlung von Bildbänden und Textbüchern vergangener Passionsdekaden, hörte täglich auf meinem kleinen Plastikplattenspieler die Passionsmusik des Herrn Rochus Dedler und löcherte meinen Großvater mit der in den siebziger Jahren heftig diskutierten Frage, wie antisemitisch das Passionsspiel sei. Was antisemitisch bedeutet, war mir natürlich nicht klar, ich merkte aber wohl, dass mein Opa diese Frage nicht mochte. Mit 13 inszenierte ich dann selbst. Zur jährlichen Weihnachtsfeier des Trachtenvereins führte ich ein selbst zusammengeschustertes Krippenspiel auf. Das erste Mal besetzte ich nun die Rolle der Maria und des Jesus. Die Rolle des Jesus bekam eine Puppe meiner Schwester. Die Kostüme schneiderte ich selbst. Um dies tun zu können, musste ich eine Woche lang die Schule schwänzen – eine katholische, das Gymnasium der Benediktiner in Ettal, von dem ich dann verwiesen wurde. Das Engelsgewand entwendete ich aus dem Oberammergauer Kirchenspeicher. Wir hatten damals einen wunderbaren, alten Mesner, den „Niggl“ (Nikolaus). Er war es, der mich in meinen zweiten Lieblingsspielplatz neben dem Passionstheater einführte. Er zeigte mir, wie früher einmal im Hochaltar der Ölberg und die Auferstehung inszeniert wurden. Mit einer großartigen Bühnenmaschinerie, angetrieben von Seilzügen, hatte man Wolken auseinander gefahren, Palmen verschoben, einen Engel mit Kelch hereinwackeln und Jesus in den Himmel auffahren lassen. Immer wenn Niggl in der Kirche arbeitete, war auch ich dort. Bald auch ohne ihn – ich hatte sein Schlüsselversteck ausgemacht. Eines Tages fand ich im Kirchenspeicher große Glaskugeln, in deren Inneren sich tausende toter Fliegen gesammelt hatten. Dahinter fand ich ein altes Gemälde mit einer Darstellung des Leichnams Jesu, dahinter alte Holzlatten, einen Rahmen, Vorhänge, Schrauben: das Heilige Grab. Auch eine alte Holzkiste mit einer Kurbel fand ich: eine Karfreitagsratsche. Ich war fasziniert. Sofort lief ich hinab in die Kirche und lies mir von Niggl erklären, zu was all diese Herrlichkeiten zu gebrauchen waren. Und dann startete ich meine zweite Inszenierung: Die Karwoche, inszeniert in unserer Kirche. In der Küche meiner Eltern säuberte ich die Glaskugeln. Meinem Vater graute es vor den vielen toten Fliegen. Ich baute mit einem Freund die Holzrahmen zusammen, reinigte den toten Christus von Spinnweben und die Karfreitagsratsche kopierten wir gleich vier Mal. Ohne den Pfarrer einzuweihen, verhängten wir am Karfreitag die Kirchenfenster, füllten die Glaskugeln mit bunter Eierfarbe, stellten Kerzen dahinter, bauten das Grab auf und drapierten ein Leintuch hinein. Und dann, bei der Feier der Karfreitagsliturgie, unter den Klängen der Passionsmusik von Rochus Dedler, schoben wir das Bild mit dem toten Jesus in das Grab. Dann der Höhepunkt: Wir liefen in den Kirchturm, kurbelten mit aller Kraft unsere Karfreitagsratschen und waren hoch erfreut, als alle Kirchenbesucher, die aus dem Gottesdienst kamen, stehen blieben und völlig überrascht von dem Höllenlärm, den wir veranstalteten, nach oben blickten. Es blieb nicht bei dieser einen Inszenierung einer Liturgiefeier. Ab diesem Zeitpunkt war ich inszenierender Hilfsmessner. Fortan kümmerte ich mich um die Gestaltung der Osternacht, des Pfingstfestes, und über alles liebte ich es, die Fronleichnamsprozession mit meinen Ideen aufzupeppen. Meine protestantische Oma freute sich über einen so frommen Enkel und wollte mich auch in die evangelische Messe mitnehmen. Einmal ging ich mit. Wie langweilig, dachte ich mir! Ein unattraktiv gekleideter Pfarrer, der viel zu lange und viel zu viel spricht, kein Weihrauch, keine Mozart- oder Haydnmessen, keine Fahnen, keine Monstranz. Nur eine große Ödnis. Von diesem Augenblick an wusste ich, ich bin katholisch! Katholisch aus Liebe zur großen Inszenierung, katholisch aus Liebe zum Theatralischen. Kurz dachte ich sogar: Jetzt werde ich Pfarrer, inszenierender Pfarrer! Doch später kam ich zu meinem ersten Berufswunsch zurück – Spielleiter. OBERAMMERGAU 1986 BEWERBUNG ZUM SPIELLEITER Mit gerade einmal 24 Jahren bewarb ich mich um die Leitung der Passionsspiele 1990. Mit neun zu acht Stimmen wählte mich der Gemeinderat zum jüngsten Spielleiter, den es bis dahin in Oberammergau gegeben hatte. In der Zwischenzeit hatte ich viel übers Theater gelernt. Mit meiner Theatergruppe, die ich mit etwa 18 Jahren gegründet hatte, führte ich im Gasthaus meiner Eltern, im Kino oder im Kurgästehaus von Oberammergau Stücke von Molière, Shakespeare und Büchner auf. Darüber hinaus hatte ich eine Regieassistenz bei Dieter Dorns „Faust“ hinter mir. Besonders an diese Inszenierung erinneder fachmann fürs katholische · volksmund 2 39 re ich mich bis heute. Oft stellte ich mir die Frage, was uns die Glocken noch bedeuten, die uns zur Osternacht rufen. Kann man Engel oder gar Gott auf der Bühne darstellen? Wie ein großes Monster beherrschte Maria die Szenerie, und unter ihrem Rock hauste Mephisto. Dorn hatte an meinem bis dahin sehr naiven Bild des Katholizismus gerührt. Nun aber mein erstes Passionsspiel. Die eigentliche und größte Auseinandersetzung mit meiner katholischen Prägung begann. Bewacht von einem katholischen Professor, den Kardinal Wetter mir zur Seite stellte, bewacht von unserem damaligen Pfarrer, einem heutigen Weihbischof, bewacht von der Gruppierung um den Altspielleiter, die jegliche Veränderung am traditionellen Spiel verhindern wollte, machte ich mich im Jahr 1987 an die Textbearbeitung. Die größte Herausforderung sah ich darin, das Spiel von allen antisemitischen Tendenzen zu reinigen. Zwei jüdische Organisationen aus Amerika hatten dies seit den sechziger Jahren immer wieder gefordert. Nun konnte ich mit dem Begriff, den mir mein Großvater nicht wirklich erklären wollte, umgehen. Plötzlich sah ich mich von katholischen, evangelischen und jüdischen Theologen umringt. Schmerzlich erfuhr ich in dieser Zeit, wie ein Glauben an die „una sancta ecclesia“, an die eine, heilige Kirche es verhindern kann, mit den anderen Religionen in einen Dialog zu treten. Ich musste erkennen, dass die uralte Tradition der Passionsspiele auch im Alten Testament auf Spurensuche gehe. Bis heute lässt mich diese Suche nicht los. eine genauso alte Tradition der Verurteilung nach sich zog, die in dem Satz gipfelte: Die bösen Juden haben unseren (christlichen) Gott gemordet. ISRAEL 1989 SPURENSUCHE In dieser Zeit reiste ich das erste Mal mit einer Gruppe von Theologen und Darstellern nach Israel. Auf der Spurensuche nach Jesus, den wir uns auf der Bühne darzustellen vorgenommen hatten, erfuhren wir, wie sehr jener Jude war, wie stark eingebettet in ein jüdisches Umfeld er lebte und agierte. Nie ging er sonntags in eine Kirche. Er hatte weder eine Erstkommunion noch firmte ihn ein Bischof. Er wusste von solchen Bräuchen nicht einmal – es gab sie ja noch nicht. Er vielmehr ging am Sabbat in die Synagoge, wurde nach seiner Geburt beschnitten und hatte mit zwölf Jahren, wie jeder jüdische Junge, seine Bar Mitzvah. Als er mit 33 Jahren ans Kreuz genagelt wurde, betete er wie viele in Not geratene Juden den 22. Psalm. Sein Abendmahl war keine Vorabendmesse – er feierte mit seinen Freunden ein Passahmahl. Damals fragten wir uns, ob Jesus die Gründung einer katholischen Kirche, die ihn verehrt, überhaupt wollte. Fragen über Fragen. Viele unserer Erfahrungen flossen damals in die Darstellung der Geschichte mit ein. Nach dieser Zeit war ich plötzlich ein Katholik, der sich seiner jüdischen Wurzeln sehr bewusst war, ich wusste, dass ich unsere katholische Geschichte nur verstehen kann, wenn ich 2000 BIS HEUTE DIE PASSION GEHT WEITER Im Sommer 2005 inszenierte ich mit vielen Ammergauern die Geschichte des großen jüdischen Königs David. In diesem Sommer agierten über fünfhundert Darsteller, Sänger und Musiker in meiner Inszenierung von Stefan Zweigs „Jeremias“ auf der Bühne des Passionstheaters. In vielen Sätzen des alttestamentarischen Propheten, den der JesusDarsteller von 2000, Martin Norz, spielte, hörten wir Worte, wie wir sie auch aus dem neuen Testament kennen. Immer mehr verbinden sich die großen Erzählungen der Bibel und ergeben ein Ganzes. Eine Spurensuche, die sich wirklich rentiert hat. 2010 werde ich wieder die Passionsspiele machen und weitersuchen. Im nächsten Sommer werden erneut die Kinder Jerusalems ihre Schafe über die Passionsbühne treiben und Jeremias vor dem Untergang warnen. Und ein weiteres Mal werden Peter Simonischek und ich in Salzburg versuchen, den letzten Dingen des Lebens auf die Spur zu kommen. Vielleicht findet die aber nur der „Brandner Kaspar“ im Volkstheater... Irgendwie bin ich eben doch der Fachmann fürs Katholische. Christian Stückl eröffnet mit Schillers „Don Karlos“ die Spielzeit 2007/08. Bühnenspektakel… CIRCUS THEATER MUSICAL ROCK POP KLASSIK JAZZ SPORT ACTION COMEDY MT-VORVERKAUFSSTELLEN MT- HOTLINE ›› München Ticket im Info-Pavillon am Olympia-Eissportzentrum Lassen Sie sich telefonisch ausführlichst beraten und geben Sie Ihre Bestellung oder Reservierung durch. ›› München Ticket im Rathaus am Marienplatz ›› München Ticket im Tourismusamt am Hauptbahnhof ›› München Ticket in der Glashalle im Gasteig MT- ONLINE Oder recherchieren / bestellen / reservieren Sie selbst nach Lust und Laune auf unserer Internetseite unter: www.muenchenticket.de wirklich was erleben. www.muenchenticket.de 0 180 / 54 81 81 81 (€ 0,14 / Min.* ) *aus dem dt. Festnetz, ggf. abweichende Preise aus dem Mobilfunk CHRISTIAN STÜCKL INSZENIERT JEREMIAS E I N B I B L I S C H E S S C H A U S P I E L N A C H S T E FA N Z W E I G VO R ST E L LU N G E N A M > 8 . / 9 . / 1 5 . / 1 6 . / 2 2 . / 2 3 . AU G U ST 2 0 0 8 | 2 0 U H R K A R T E N T E L E F O N + 4 9 ( 0 ) 8 8 2 2 9 2 3 1 5 8 O D E R FA X : - 9 0 W W W. PA S S I O N S T H E AT E R . D E 2008 19. Juli theater s Passion mergau Oberam Anna o k b e r t e N Villazón o Roland PRESSESTIMMEN ZUR JEREMIAS-PREMIERE „MARTIN NORZ ALS JEREMIAS BEGEISTERT ALS SCHMÄCHTIGER MANN DES VOLKES, DER MIT DER MÄCHTIGEN STIMME GOTTES SPRICHT.“ FAZ „STÜCKL, DIESER FRÖHLICHE WÜSTENGOTT IM HERRGOTTSWINKEL, IST EIN NEUERFINDER DES MONUMENTALDRAMAS VON LEICHTFÜSSIGSTEM GEWICHT.“ SÜDDEUTSCHE ZEITUNG „STÜCKL IST EIN MEISTER DER MASSENCHOREOGRAPHIE.“ MÜNCHNER MERKUR Veranstalter: Gemeinde Oberammergau Oberaummergau Tourismus Schnitzlergasse 7 82487 Oberammergau PA S S I O N S T H E AT E R OBERAMMERGAU 2008 volks theater FOTO: ELMER BATTERS, © 2006 TASCHEN GMBH, ELMER BATTERS ESTATE, HOHENZOLLERNRING 53, D-50672 KÖLN, WWW.TASCHEN.COM Münchner Volkstheater GmbH Theater der Stadt München Brienner Str. 50 am Stiglmaierplatz 80333 München www.muenchner-volkstheater.de T O R P EIN SOMMERNACHTS TRAUM , tzdem o r t ie g. mun achen s m i t s m Zu aß teilte hnen. Sp e g n t. ble nu inde ten wir a Sie selbs f s r ate len uss ksthe fikers m et. Urtei l o V des Gra öffn kate unseres hrank ge a l P läge iftsc t alle Nich he Vorsch ir den G w c Man lb haben a VON WILLIAM SHAKESPEARE desh REGIE: CHRISTIAN STÜCKL BÜHNE UND KOSTÜME: CHRISTOF HETZER MUSIK: MARKUS ZWINK volks theater Fegefeuer in Ingolstadt ! T S E T von Marieluise Fleißer Regie: Jorinde Dröse Bühne: Julia Scholz Kostüme: Britta Leonhardt Premiere: 25. Januar 05 Plakatprotest · volksmund 2 43 HNT E L E ABG 44 HNT E L E ABG HNT E L E ABG Pro: Verwirrungen der Liebe, Zwillingspaare. Gibt es ein schöneres Bild zu diesem Thema? Contra: Was wir wollen? Ist doch klar, eine seriöse Auseinandersetzung mit der Inszenierung und keine Fantasien älterer Herren. Pro: Okay, ein Frosch am Kreuz zur Weihnachtszeit verletzt religiöse Gefühle. Aber die Hölle, die in einem brennt, muss man doch zeigen dürfen. Contra: Methan ist einer der größten CO2-Killer, das wollten wir einfach nicht fördern. Pro: Eine vermeintlich private Liebesbeziehung erhält hier auf dramatische Weise gesellschaftliche Relevanz. Contra: Die bekannteste Liebesgeschichte der Welt in Zusammenhang mit dem größten Massenmörder der Welt zu bringen, war uns dann doch zu heiß. NT H E EL ABG HNT E L E ABG NT H E EL ABG Pro: Wird er sie kriegen, ist dies Teil einer Intrige? Dies fragt man sich sofort. Exakt, doppelbödig, shakespearesk. Contra: Bei genauerer Betrachtung und Hinterfragung des Motivs sehen wir hier nur puren SEX! Pro: Der öffentlichen Verfall ehemaliger Jugendidole berührt tief und macht das Thema erlebbar. Contra: Wer die Faltencremes von Uschi Glas benutzt, hat für die Lacher nicht zu sorgen. Pro: Die selbstverständliche Haltung, die dieser junge Mann einnimmt, entspricht vollkommen der Figur des Baal. Contra: Sieht aus wie ein Penis, nur viel kleiner... volksmund 2 · Plakatprotest ZWEI VOLKSREIME VON SIBYLLE BERG gedicht 1 gedicht 2 Zwei Tiere sitzen Nachts am Bach und rechnen ihre Spesen nach die Therapie ist viel zu teuer mir ist der Kerl eh nicht geheuer ich soll in meinem Innern wühlen nach tief verborgenen Gefühlen sagt Tapirmann zu Tapirfrau, die hört ihn nicht, denn sie ist blau. Der Mann er weint still in sich rein wo kann er Mann denn nur noch sein. Wir brauchen Zeit für unsre Liebe. Sagt sie, und gibt ihm ein paar Hiebe. Sie sehen hier den Alfred Meier hat jeden Tag die gleiche Leier: Er steht um 8 in seinem Laden. Verkauft an Angler alte Maden. Nach Hause geht er in der Nacht dort wird noch schnell ein Brot gemacht. Das isst er auf und schaut gen Himmel und denkt sich – hab ich einen Fimmel. Die Arbeit mach ich um zu leben doch Leben kann’s so keines geben. Und müde liegt der Meier dann schaut in der Nacht die Tränen an, die aus seinen Augen fallen und kann auch leise nur noch lallen lieber Gott ich bitt dich sehr gib mir schnell mehr Freizeit her. Der Gott ist grade Urlaub machen und kümmert sich um andre Sachen. Tieftraurig schläft der Meier ein im Traum da kann er ein Playboy sein. Dann wacht er auf und es ist grau dem Meier wird schon morgens flau. Doch am Wochenende dann, wenn der Meier leben kann liegt er im Bett und ihm ist kalt er spürt – nun wird er langsam alt. Kann sich kein anderes Leben denken und prüft an Haken sich zu henken. Er läuft um Häuserblocks herum, das wird ihm auch recht flott zu dumm. Er freut sich auf den Montag dann wo er zu seinen Maden kann. Dann kommt der Höhepunkt im Jahr Herr Meier reist nach Sansibar. Liegt dort im Bett und schwimmt im Meer das langweilt ihn doch furchtbar sehr. So wird der Meier immer älter die Raucherbeine immer kälter. Eines Tages ist er tot mit ihm vorbei die ganze Not. In seiner Wohnung findet man sehr viele Fotos irgendwann da ist der Meier drauf zu sehn beim um die Häuserblocks drumgehn, beim Baden in diversen Meeren, beim Gähnen in so vielen Sphären. Die Fotos landen auf dem Müll der Meier liegt auch endlich stüll verwest recht fein und ihm ist klar dass Leben nur ein Irrtum war. Komm lass uns doch zusammen reisen zu einem fernen, netten Land. Spezielle Kleidung, gute Speisen dort sitzen wir dann Hand in Hand. Wir könnten uns analysieren so macht man das heut unter Tieren. Wir finden unsere Schwächen raus und tragen die Konflikte aus. Viel zu schön ist das jetzt hier mein lieber Mann drum sag ich dir lass uns mal schnell in Süden fahren dort werden wir uns wieder paaren. Mal los, sagt da schnell Tapir Meier denn unter uns, ihn jucken die Eier sie düsen flugs in einen Club mit einem integrierten Pub. Der Tapir jeden Abend blau Frau Meier sagt: nimm dies du Sau so schlagen sich die Tapirs sehr an Paaren denkt da keiner mehr die Nase Bruch, die Augen rot am Ende da sind beide tot und bitter ist auch ihnen klar dass das ein super Urlaub war. Die Gedichte sind Exklusivbeiträge von Sibylle Berg für den Volksmund. Gemeinsam mit Wiglaf Droste tritt sie am 24.11.2007 im Volkstheater auf. Gedichte · volksmund 2 45 WAS IST DEIN GRÖSSTER ALPTRAUM? Gastschauspieler des Volkstheaters verraten, was ihnen am meisten Angst macht. FOTOS: GABRIELA NEEB HUBERT SCHMID NICHOLAS REINKE Den ganzen Tag in einem Büro arbeiten zu müssen. Buttermilch. spielt in „Der Brandner Kaspar und das ewig’ Leben“ spielt in „Viel Lärm um nichts“, „Frühlings Erwachen“, „Woyzeck“, „Liliom“ und „Baal“ BETTINA SCHWARZ LUDWIG BLOCHBERGER DIRK BENDER Ich habe Angst, blind zu werden. Mehlmotten im Müsli... Aus dem Alptraum nicht mehr zu erwachen. spielt in „Frühlings Erwachen“ spielt in „Baal“ spielt in „Viel Lärm um nichts“, „Frühlings Erwachen“ und „Das Fest“ 46 volksmund 2 · dein größter alptraum ANNE BOMMER PETER MITTERRUTZNER INES SCHILLER Wenn ich mein Leben lang Fernbeziehungen führen müsste. Seelisch zu erblinden. Als Huhn in einer Legebatterie wiedergeboren zu werden. spielt in „Das Fest“ spielt in „Der Brandner Kaspar und das ewig’ Leben“ CHRISTIAN SCHNELLER JUNGE RIEDERINGER MUSIKANTEN Kein Alptraum ist so schlimm, dass man ihn nicht weglachen könnte. Versehentlich beim „Musikantenstadl“ oder bei den „Wirtshausmusikanten“ mitzuspielen. spielt in „Don Karlos“ spielen in „Der Brandner Kaspar und das ewig’ Leben“ spielt in „Liliom“ dein größter alptraum · volksmund 2 47 HANS SCHULER THOMAS KYLAU TOBIAS VAN DIEKEN Mein schlimmster Alptraum ist bereits Realität: Ein Innenminister, der die Methoden der Staatssicherheit einführt, eine Bundeskanzlerin, die in Russland Demonstrationsfreiheit einfordert und in Heiligendamm Protestierende verhaften lässt, Industriekonzerne, wie Monsanto und BASF, die auf einem stillen Wege der grünen Gentechnik den Boden bereiten wollen, einen Bundeslandwirtschaftsminister, der nichts dagegen tut, Gesetze, die nach Verbrechern benannt werden, Politiker, die dem Klimawandel durch das Abdecken von Gletschern mit weißen Planen entgegenwirken und neue Braunkohlekraftwerke in Betrieb nehmen, Großkonzerne, die unablässig an der Wiedereinführung der Sklaverei arbeiten, und ein Volk, das handytelefonierend und wohlstandsbebaucht durch die Welt stolpert und das alles goutiert. Und das verstärkte Auftreten des Coloradokäfers. Alpträume kenne ich eigentlich nicht. Alles Unmögliche scheint mir möglich. Ich bin nie überrascht und doch fürchte ich mich nie. Übliche Angstträume beende ich selbst. Ich fliege hoch und weg, oder sage zu mir: Wach einfach auf! Das ist doch nur ein Traum! Mein Schauspieler-Angsttraum ist stets derselbe: Der Intendant aus Verden/Aller sagt jedesmal: „Bei mir kannst du sofort immer spielen!“ Und dann steh’ ich auf einer Wirtshausbühne, soll irgendwas ad hoc übernehmen, bin völlig ahnungslos, weiß keinen Text, improvisiere schweißgebadet, die Kollegen sind längst von der Szene verschwunden und der Vorhang fällt – schrecklich. Dann aber bricht ein Toben los im Zuschauerraum, ein Applaus wie sonst nur in Arenen. Der Intendant und die Kollegen in den Kulissen heben die Hände zum Plafond und rufen begeistert: „Die nächste Saison ist wieder gerettet!“ Das kann ich nun auch nicht als Alptraum bezeichnen. Ersticken durch Ertrinken Am vergangenen Sonntag ist der junge, charismatische Schauspieler Tobias van Dieken im bayerischen Obing tödlich verunglückt. Zeugenberichten zufolge hatte er sich zu weit in die Moorgründe des Griessee vorgewagt. Jeder Rettungsversuch kam zu spät. Van Dieken stand mit dem Film „Lukas Podolski - Mein Leben“ kurz vor dem internationalen Durchbruch. Die Trauerfeier findet im engsten Familienkreis statt. spielt in „Der Brandner Kaspar und das ewig’ Leben“ 48 volksmund 2 · dein größter alptraum spielt in „Viel Lärm um nichts“ spielt in „Viel Lärm um Nichts“ und „Der Brandner Kaspar und das ewig’ Leben“ LEOPOLD HORNUNG WERNER HAINDL KATHARINA HAINDL Mit Werner Haindl auf der Bühne zu stehen, der mich schon vier Jahre als Lehrer auf der Theaterakademie genervt hat. Noch einmal mit Leopold Hornung auf der Bühne zu stehen, der mich schon vier Jahre als Schüler auf der Theaterakademie genervt hat. Zu realisieren, dass der Alptraum wahr ist und die Wirklichkeit ein Traum war. spielt in „Viel Lärm um nichts“, „Woyzeck“ und „Das Fest“ spielt in „Das Fest“ KATHRIN VON STEINBURG MICHAEL GUNN KARIN WERNER Wenn Alpträume Realität werden. To be denied freedom in any way....! Ein Alptraum ist ein Alptraum ist ein Alptraum. spielt in „Der Brandner Kaspar und das ewig' Leben“ spielt in „Das Fest“ spielt in „Das Fest“ spielt in „Baal“ dein größter alptraum · volksmund 2 49 TRAUMROLLE Was wärst du gerne für einen Tag? Das Ensemble des Volkstheaters gibt Auskunft FOTOS: GABRIELA NEEB 50 volksmund 2 · traumrolle Benjamin Mährlein > Angela Merkel Markus Brandl > Pumuckl Samstag, 6.00 Uhr: Ich wache auf. Neben mir liegt Joachim im Bett und schnarcht. Ich bin Angela Merkel, ich kann es nicht glauben. Schnell aufstehen, bevor er aufwacht. Ich mache den Schrank auf, eine Auswahl von korrekten Unterwäsche-Sets erwartet mich. Damit habe ich nicht gerechnet. Halt, noch schnell unter die Dusche. Ich reinige meinen erstaunlich weiblichen Körper, springe in die Klamotten, richte meine Haare und rufe den Chauffeur. Rudi heißt er. Rudi holt mich ab und bringt mich zum Bundeskanzlerinnenamt. 8.00 Uhr: Ich bin im Büro. Mein Sekretär bringt die Tagesdispo. So viele Leute treffe ich sonst in einem Jahr. Zur Entspannung höre ich mir „Angie“ von den Stones an. Kurz vor 10 Uhr: Gleich ist die Aufzeichnung für meinen nächsten Video-Podcast. Noch schnell in die Maske, die Ansprache habe ich schon von meinem Korrektor Korrektur lesen lassen. Ich bin aufgeregt, aber verstecke meine Nervosität. Mit gefalteten Händen, die sich hin und wieder mal öffnen, und einem leicht erhöhten Puls spreche ich vor der Kamera über die Lage der Nation. 12.00 Uhr: Das Ding ist im Kasten. Joachim schickt eine SMS: „Bis heute abend! Klassik zum Kuscheln, habe die Karten!“ Ich sitze etwas erschöpft in meinem Büro und denke daran, dass ich jetzt gerne eine Fahrt ins Grüne machen würde... * Ich schrecke hoch und starre auf die Uhr. 14 Uhr! Ich bin für zwei Stunden zusammengesunken. Zum Glück hat mich keiner gesehen. Ich hole meinen Blutdruckmesser aus dem Schreibtisch, aber es scheint alles okay zu sein. Verdammt, ich habe das Mittagessen verschlafen. Hoffentlich hat die Kantine noch offen. Ich fahre mit dem Fahrstuhl hinunter und bekomme noch eine lauwarme Forelle mit Kartoffelecken. In der Uckermark hat es mir besser geschmeckt. 19.30 Uhr: Joachim ruft mich an, in einer halben Stunde beginnt das Konzert. Rudi fährt mich in die Philharmonie. Joachim wartet mit einem Strauß Rosen auf mich. Süß! 20.00 Uhr: Haydn. Die Berliner Symphoniker geben alles, Joachim ist ganz in seinem Element. 22.30 Uhr: Das Konzert ist zu Ende, Joachim ist ziemlich gut drauf. Wir lassen uns nach Hause fahren, trinken noch einen kleinen Prosecco und ich sage: „Ich würde jetzt gerne schlafen. Ich habe einen harten Tag hinter mir und bin sehr, sehr müde.“ Joachim kann das gar nicht verstehen, ich spüre seine Hand auf meinem Knie. Oh Gott, die Blumen, die Klassik und der Wein, ich weiß was er will. Ich sage, dass ich noch kurz ins Bad muss, schließe mich ein und warte... 0.00 Uhr: Vorbei! Ein Tag Merkel ist genug für den Rest meines Lebens. Ich würde schon am Tag vor der Verwandlung ins Flugzeug steigen und nach Washington fliegen. Dann würde ich vor dem Weißen Haus warten, bis ich Pumuckl bin, mich unsichtbar machen und reinmarschieren. Und dann würde ich George W. Bush einen ganzen Tag lang ärgern. Wenn er aufsteht, verstecke ich alle seine Unterhosen. Wenn er ins Bad geht, verstecke ich die Zahnbürste. Wenn er sich anzieht, streue ich ihm Juckpulver in den Nacken. Wenn er im Büro seine Akten liest, lasse ich den Kaffee drüber kippen. Wenn er eine ernste Rede zur Lage der Nation hält, kitzele ich ihn, bis er einen Lachanfall bekommt. Und die ganze Zeit über ziehe ich ihn immer wieder an den Hoden, immer wieder, bis er völlig ausrastet, und flüstere dabei: „Unterschreib das Kyoto-Protokoll! Zieh deine Truppen aus dem Irak ab!“ P.S.: Wenn ich das Flugzeug nach Washington verpassen sollte, besuche ich Christian Stückl. Ich mache mich unsichtbar, warte, bis er über die nächste Spielzeit nachdenkt, klettere auf seine Schulter und flüstere ihm ins Ohr: „Brandl – Hamlet! Brandl – Hamlet!“ traumrolle · volksmund 2 51 Timur Isik > Zauberer Gabriel Raab > Nasenchirurg Ich wollte schon als Kind immer Zauberer werden. Dann war ich mit meinen Eltern in einer Zaubershow. Der Zauberer holte mich auf die Bühne und fragte, ob ich etwas wegzaubern möchte. Ich antwortete: „Meine Mutter“. Alle lachten, nur meine Eltern nicht. Meine Mutter war total traurig, das war ganz schlimm. Dann stellte der Zauberer mich in eine Kabine und zauberte mich weg. Ich weiß gar nicht mehr wie das ging. Ich glaube, jemand holte mich von unten weg. Auf jeden Fall fand ich es total cool und wünschte mir zu Weihnachten einen Zauberkasten. Den bekam ich auch, von meinem Vater. Ich übte viel, mit Zauberstab, aber die Tricks bekam ich nie wirklich hin. Es gab zum Beispiel so Schaumstoffwürfel, die nahm man in die Hand, machte die Hand zu und wieder auf, und die Würfel waren weg. Das klappte bei mir nie, weil ich zu kleine Hände hatte. Aufgetreten als Zauberer bin ich erst auf der Schauspielschule. Als wir unser eigenes Stück machen durften, entschied ich mich für eine Zaubershow und zersägte vor Publikum eine Jungfrau – fehlerfrei. An diesem Tag würde ich DIE Nase entwickeln, die man in der kommenden Saison tragen muss. Das modische Accessoire schlechthin. Das absolute Muss, um in jeden Club zu kommen und in jede Gesellschaft aufgenommen zu werden. Die Nase würde nach meiner Nase entwickelt: griechisch, groß, mit großen Nasenflügeln und Nasenlöchern, kleine Knorpel, leichter Schwung. Natürlich wäre die Nase, die ich verkaufe und die alle tragen, einen Tick weniger schön als meine. In 24 Stunden könnte ich die Nase entwickeln und bis zu fünf Operationen durchführen. Dafür müsste ich Prominente an Land ziehen, Models oder Schauspieler, Politiker eher nicht. Damit wären die Identifikationsfiguren für die Nase geschaffen. Es würde sich nach und nach herumsprechen, dass diese Nase getragen werden muss. Genau wie bei American Apparel. Am Ende des Tages würde ich dann meinen Nachfolger einsetzen. Er hätte die Aufgabe, meine Nase in der Welt zu verbreiten. Eine Lebensaufgabe. Ich glaube, mein Bruder wäre dafür geeignet. Er hat geschickte Hände. Und eine ähnliche Nase wie ich. Elisabeth Müller > Hochhaus Nachts regnet es, ich werde nass. Dann kommt die Morgensonne, und mein Rücken, die Südseite, wird langsam trocken. Ein Vogel kommt vorbei und kackt mir auf den Kopf, ein anderer Vogel nistet sich zwischen zwei Balkonen ein. Ein Flugzeug fliegt über mich hinweg, ich werde erschüttert von den Schallwellen. Dann fahren Leute mit dem Fahrstuhl in mir hinauf und hinunter, hinauf und hinunter. Einer streicht seine Wand, es kitzelt ein wenig. Im siebten Stock, an meiner Schulter, wird jemand erstochen. Im Erdgeschoss, unten an den Füßen, wird eine Oma aus dem Haus getragen, weil sie gestorben ist. Es passiert der ganz normale Tag eines Hochhauses. Und ich stehe ganz still da und lasse es geschehen. Warum? Ich mag Hochhäuser wahnsinnig gerne. Vor allem nachts schaue ich sie gerne an, weil sie diese vielen Fenster haben, die mal mehr, mal weniger leuchten. Ich werde dann neugierig, starre hinauf und erkenne einen Vorhang, eine Lampe, manchmal Gestalten. Ich glaube, dass auch ein Haus eine Seele hat. Ursula Burkhart > Eintagsfliege Der Grund, warum ich eine Eintagsfliege sein will: Die Eintagsfliege verbringt bis zu vier Jahre als Larve. Dann entpuppt sie sich plötzlich, schlüpft raus und ist für einen Tag das, auf das sie sich jahrelang vorbereitet hat. Das finde ich einen schönen Vergleich zum Menschen. Wer weiß, ob wir für unser wahnsinnig langes Leben nicht auch eine noch viel längere Vorbereitung haben? Und auch innerhalb des Lebens: Wie oft war ich traurig und es ging mir längere Zeit nicht gut, weil Dinge passierten, die nicht so schön waren. Dann hatte ich einen sauguten Tag und dachte: Es war alles nicht so schlimm. Der eine Tag hatte mich versöhnt. Mein Tag als Eintagsfliege wäre deshalb ein Tag voller Glück, irgendwo im Grünen. traumrolle · volksmund 2 53 Sophie > Im Film „Smoke“ NIRVANAWendt – HEART-SHAPED BOX Kurt Cobain war und ist immer noch mein Ich Held.so „Heart-shaped Box“ habeanich würde um vier Uhr morgens stundenlang angehört, immer fangen und dabei zusehen, wieund Newimmer wieder. IchDann war damals RealYork aufwacht. würde auf ich der zu Augschule undTabakladen saß in meiner Klasse gie in den gehen undganz mit hinten. ich anfing, Was den Refrain ihm denWenn Tag verbringen. ich toll zu singen, ganze Klasse mitgesunfinde anhat so die einem Tabakladen ist, dass gen.ganze die Den Lehrern das bald zu Welt zu wurde dir reinkommt. Duviel und beschützt, ich flog von deresSchule. bist und kommt jedes Mal ein Stück Eigenleben zu dir. Ich würde ELVIS PRESLEY hinter dem Tresen – JAILHOUSE stehen undROCK ein bisMein Vater hatteEs „Elvis eine schen bedienen. wäreForever“, für Auggie Best-Of-Platte, im Schrank „Jailselbstverständlich, so als obstehen. ich immer house Rock“ Lieblingssong. da wäre, nichtwar nurmein für den einen Tag. Ich Auf der Plattenhülle Alben wäre völlig integriert,waren und esalle wäre ganz von Elvis abgebildet. war damals klar, dass ich mit Jim Ich Jarmusch eine Zineun oder zehn underwollte sie alle(obhagarre rauche, wenn reinkommt ben. Jedes Mal,nie wenn ich Taschengeld wohl ich sonst rauche). Ich würde bekam, ichdie zum Plattenladen und auch garging nicht Schauspieler kennen habe mir eine Elvis-Platte gekauft. Irgendlernen wollen, sondern die Figuren aus Alle sichmir nurselbst, mit den wannFilm. dachte ichwürden dann von ich dem Filmnamen Amschneiden Abend, sei Elvis, ließansprechen. mir eine Tolle bevor der Tagseinen zu Ende geht, würdenach. ich und machte Klamottenstil ausbrechen. In einen anderen Film, „The Eines Tages habe ich geträumt, ich würLast Radio Show“ zum Beispiel. Ichhatte würde ihn im Himmel besuchen. Elvis de zu Meryl Streep und Lily Tomlin auf blonde Haare, wir unterhielten uns. Ein die steigenerfuhr und mit einurpaarBühne Tage später ich,ihnen dass er Lied singen.wirklich blond gewesen ist sprünglich und sich die Haare färbte. Ich war völlig begeistert und mir sicher, dass Elvis damals wirklich zu mir gesprochen hatte. FALCO – AMADEUS Falcos „Amadeus“ war die erste Nichtdie ich mir gekauft habe und Elvis Platte, Markus Brandl hatte dabei fast ein schlechtes Gewissen. Aber es gibt dieses Interview von Falco: Er – total zugekokst – wird gefragt, ob er wirklich so wäre oder ob er dieses ganze Gehabe irgendwann mal aufgebe. Er zieht an seiner Zigarette, schaut nach links oben, wieder nach vorne und sagt im Wiener Schmäh: „I muss heiß sein. I bin so. I kann ned anders.“ Einfach cool. Weltempfänger MICHAEL JACKSON – DIRTY DIANA Ich war 15, feierte mit drei Freunden Sylvester und machte durch. Am Neujahrstag fuhren wir über die Grenze nach Kufstein. Dort gab es eine Jugenddisco, die „Fünf-Uhr-Tee“ hieß. Als NeuIm Tabakladen des „Smoke“Ich (1995, jahrsgetränk gab esFilms Asbach-Cola. Regie:das Wayne Drehbuch: PaulmeiAustrank ZeugWang, und sagte zu einem ner ter) Freunde: treffen sich IchTag muss für jetzt Tag schräge MichaelGeJacksons stalten aus „Dirty Brooklyn, Diana“ deren hören. Geschichten Er ging zum sich im DJ,Laufe der sagte des Films “Nein,” miteinander worauf mein verKumpel weben. Den ihmBesitzer androhte, Augustus die Disco „Auggie“ auseinWren spielt HarveyDer Keitel. ander zu nehmen. DJ gab nach, legte 54 volksmund 2 · traumrolle den Song auf, ich ging total betrunken auf die Tanzfläche und fing an, Michael Jackson zu tanzen. Ich konnte das ganz gut, weil ich zu Hause wie ein Irrer die Schritte aus dem Video geübt hatte. Bald hörten die anderen auf zu tanzen und schauten mir zu. Noch bevor das Lied zu Ende war, kam das Asbach-Cola hoch und ich kotzte alles voll. U2 – WITH OR WITHOUT YOU Als U2 groß rauskamen, hatte ich lange Haare. Auf meiner Schule waren ein paar Mädels die sagten, ich sähe aus wie Bono. Ich fand, dass Bono total scheiße aussah. Dann luden die Mädchen mich zu sich ein, und wir schauten einen Konzertmitschnitt auf Video an. Plötzlich merkte ich, dass die Mädels Bono total cool fanden. Da fand ich ihn auch nicht mehr so schlecht. Mit einem der Mädchen war ich dann länger zusammen. ADRIANO CELENTANO - SOLI Mein Stiefvater ist Italiener, ich wuchs in seiner Pizzeria auf. 1982 war FußballWM in Spanien und Italien wurde Weltmeister. Bei uns im Lokal war die Hölle los. Ich war Fan von Italien, Deutschland und vor allem von meinem Vater. Jedes Mal, wenn er mit Kochmütze und Schürze in der Küche stand, habe ich mir die gleichen, viel zu großen Kochklamotten aus dem Lager geholt und angezogen. Dann bin ich durchs Lokal zur Jukebox gelaufen und hab „Soli“ von Adriano Celentano gehört. Es ist eines der wenigen Lieder das ich von vorne bis hinten auswendig kann. Später habe ich es benutzt, um Mädchen zu beeindrucken. Eine Ausnahmeerscheinung: das radio.string.quartet.vienna spielt am 20.11. im Volkstheater ZU GAST IM VOLKSTHEATER Eine Vorschau auf die Spielzeit 2007/08. ✒ 20. / 21.10. THEATER PHÖNIX AUS DER ASCHE Schweig, Bub! von Fitzgerald Kusz Die aktuelle Produktion der überwiegend aus jungen, autistischen Teilnehmern bestehenden Theatergruppe im Volkstheater. Leitung: Anne ZieglerWeispfennig und Renate Groß. ✒ 14.10. / 11.11. / 09.12. SÜßSTOFF – DIE LATE-NIGHT IM VOLKSTHEATER Eine Koproduktion mit dem BR ✒ 08.10. LESUNG NORA TSCHIRNER UND IRIS BAHR LESEN Moomlatz oder Wie ich versuchte in Asien meine Unschuld zu verlieren Der erste Roman der erfolgreichen amerikanischen Schauspielerin und Komikerin Iris Bahr ist eine urkomische und clevere Erzählung über das Paralleluniversum der Backpacker und die LonelyPlanet-Generation. Die Entjungferung der Protagonistin wird zu einem turbulenten Unternehmen, an dessen Ende einige Erkenntnisse stehen. Die Infotainment-Show mit Christoph Süß geht in die dritte Spielzeit.. Mit ausgesuchten Experten, Musik und Kabarett geht er gesellschaftspolitischen und philosophischen Phänomenen auf den Grund. Im Oktober ergründet das SüßStoff-Team den Humor, im November erforscht es das Phänomen der Zeit, um das Jahresende mit der Frage zu beschließen, was wir über den Tod wissen und wie die Menschen mit der Sterblichkeit umgehen. Mit: Harald Lesch, Carsten Golbeck, Newton Saxofon Quartett u.a. ✒ 22.10. LESUNG HARALD MARTENSTEIN Männer sind wie Pfirsiche. Subjektive Betrachtungen über den Mann von heute mit einem objektiven Vorwort von Alice Schwarzer Einer der bekanntesten Kolumnisten Deutschlands präsentiert zusammen mit Rezzo Schlauch und weiteren prominenten Gästen sein neuestes Buch. Eine Veranstaltung der ZEIT FORUM KULTUR in Zusammenarbeit mit und ✒ 17. / 18.11. KONZERT GEORGETTE DEE & TERRY TRUCK Greatest Hits Die beiden haben in der deutschen Musik und der hiesigen Abendunterhaltung einen neuen Maßstab gesetzt. Über zwanzig Jahre haben die Diseuse Dee und der auffallend hintergründige Vor sieben Jahren gegründet und einige Male umbesetzt, ist die Formation um den ersten Violonisten Bernie Mallinger heute eine hochkarätige Besetzung aus Kammer- und PhilharmonieorchesterSolistInnen, bewandert sowohl im Jazz als auch in Neuer Musik. Neben dem Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielt das Album auch den 1. PasticcioPreis der Austrian Broadcasting-Cooperation. Nach dem ausverkauften und umjubelten Auftritt im März in der Unterfahrt sind wir froh, das Quartett noch einmal in der Stadt zu haben. Mit: Cynthia Liao, Asja Valcic, Johannes Dickbauer, Bernie Mallinger ✒ 20.11. KONZERT RADIO.STRING.QUARTET.VIENNA Celebrating the Mahavishnu Orchestra Auch wenn es für das Volkstheater etwas ungewöhnlich ist, ein Streichquartett zu präsentieren – das radio.string. quartet.vienna ist eine solche Ausnahmeerscheinung, dass man es nicht an München vorbeiziehen lassen kann. „Celebrating the Mahavishnu Orchestra“ ist die Bearbeitung der großen Werke von John McLaughlin, einem der größten Gitarristen der Rockmusik. Souverän verschmolz er Blues-, Jazz-, Flamenco- und Reggaeelemente und rockte vom Pizzicato bis zum Elektronik-Gewitter derart intensiv und dynamisch, dass keine Schallplatte den Notenhagel wiedergeben konnte ohne den Tonarm aus der Rille zu katapultieren. Die Musik seines Mahavishnu Orchestra war „laut, intensiv, stark rhythmisch und nach Stilkategorien völlig undefinierbar“ (New York Times). 58 volksmund 2 · gastspiele 22.11. LESUNG UDO WACHTVEITL Letze Lockerung. Ein Handbrevier für Hochstapler und solche, die es werden wollen von Walter Serner JULIA KOCK & RAINER BIELFELDT Sein Handbrevier ist geistreich, frech und pointiert. In den 1920ern avancierte es zum Kultbuch der Dada-Bewegung, denn nirgendwo ist das Lebensgefühl des literarischen Amoralismus gewitzter auf den Punkt gebracht als in den Sernerschen Sentenzen: „Die Welt will betrogen sein, gewiß. Sie wird sogar ernstlich böse, wenn du es nicht tust.“ Neben Udo Wachtveitl wird der Herausgeber des im Manesse Verlag erschienenen Buches, Andreas Puff-Trojan, das Brevier vorstellen. Mascha Chansons nach Gedichten von Mascha Kaléko ✒ ✒ Komponist und Pianist Truck Konzerte geliefert, die Geschichte gemacht haben. Nach sechs Jahren kommen sie gemeinsam zurück, um ihre Highlights mit uns zu feiern: Alles von mir, Prinzen und Engel, Seeräuberjenny u.a. Sie durchstreifen noch einmal den Beziehungsdschungel – singend, seufzend, stöhnend, elegant, lasziv und unnachahmlich exzessiv. ✒ 21.11. KONZERT Die Lyrikerin, die dieses Jahr hundert Jahre alt geworden wäre, zählte Ende der Zwanziger und Anfang der Dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zu den ganz Großen ihrer Zunft. Ihre Gedichte sind Meisterwerke voller Witz und Wehmut, Ironie und Melancholie. Anlässlich ihres Geburtstages präsentieren die Schauspielerin und Sängerin Julia Kock und der Komponist und Pianist Rainer Bielfeldt das Leben der Poetin im Spiegel ihrer Gedichte. Rainer Bielfeldt, der jahrelang die Konzerte von Tim Fischer und Gayle Tufts arrangierte und begleitete, komponiert für Funk und Fernsehen, Hörspiel und Musical. Zuletzt war er als Begleiter von Alfred Biolek im Volkstheater. Julia Kock hat vor allem in der Rolle der Edith Piaf jahrelange Erfolge in Hamburg und Düsseldorf gefeiert, bevor sie mit eigenen Programmen auf Tour ging. Peter Wiegand am 23.11. im Volkstheater 23.11. KONZERT PETER WIEGAND Don Don Don Seine Stimme ist wie der Dreck und die darin liegenden Diamanten: rau, ungehobelt, erdig, trunken, gewitterhaft. Peter Wiegand ist der deutsch-österreichische Tom Waits. Zu hören waren Wiegand und seine Band „Die Konferenz“ schon in den gefeierten Rosenmüller-Filmen „Wer früher stirbt ist länger tot“ und „Schwere Jungs“. Eine furiose Mischung aus Wörtern und Tönen, aus Swing und Wienerlied, Rumbaclave und Trauermarsch, Punkpolkablech und Merengue, Charleston und Indierock, Barockpredigt und Beatnikpoesie. „Lass Dich nicht dumm machen von Deiner Sehnsucht / weil Gott in krummen Linien schreibt“, heißt es in einem der Songs. Wiegand weiß, wovon er singt. 1953 geboren, landete er als zehnjähriger Streuner im Jugendgefängnis, im Heim für Schwererziehbare. Als erwachsener Herumtreiber suchte er in vielen Ländern und noch mehr Gelegenheitsjobs sein Glück (Eisenwarenverkäufer, Versicherungsarchivar, Liegewagenschaffner, Tofu-Hersteller, Anstreicher). Den Dreißigjährigen schließlich brannte es unter den Nägeln, seine Erfahrungen künstlerisch umzusetzen. Seitdem ist er als Schauspieler JUNGE REGISSEURE IM VOLKSTHEATER (1) Die Regisseurin Bettina Bruinier stellt sich im Dezember 2007 mit einer Inszenierung auf der Kleinen Bühne dem Münchner Publikum vor. JUNGE REGISSEURE IM VOLKSTHEATER (2) Frank Abt, dessen „Finkenwerder Herbstprinzen“ bereits beim Festival Radikal jung zu sehen waren, wird im Frühjahr 2008 auf der Kleinen Bühne des Volkstheaters inszenieren. JUNGE REGISSEURE IM VOLKSTHEATER (3) Philipp Jescheck, ab der Spielzeit 2007/08 Hausregisseur am Volkstheater, inszeniert im November 2007 William Shakespeares „Macbeth“. und Sänger tätig. An seiner Seite die beiden hervorragenden Musiker und Komponisten Christian Ludwig Mayer und Georg Karger, beide auch zu sehen in den Volkstheater-Produktionen „Kleiner Mann – was nun?“ und „Viel Lärm um nichts“. Nicht zuletzt dank ihnen sind Wiegands Auftritte ein wildes, hemmungsloses, poetisch musikalisches Abenteuer zwischen Spektralfarben und Düsternis. ✒ 24.11. LESUNG SIBYLLE BERG UND WIGLAF DROSTE Die Fahrt Frau Bergs neuer Roman „Die Fahrt“ ist ein Reiseroman. Ruhelose Glückssucher fahren an exotische Orte, suchen ihr bisschen Glück in Rio, Thailand oder Bangladesh. Bekannt als Meisterin im Schildern der Abgründe des mitteleuropäischen Wohlstandsmenschen, besticht sie in ihrem neuen Roman durch die messerscharfe Beobachtung von sozialen Realitäten an verschiedenen Orten der Welt. Vor dem Hintergrund der verschiedenen Lebensverhältnisse stellt sie sich die Frage: Wann entstand die aberwitzige Idee des Individuums, ein Individuum sein zu wollen? „Eine katastrophal brillante Komödiantin“, beschreibt die Süddeutsche Zeitung Sibylle Berg. Auch von Wiglaf Droste sind diesen Sommer zwei Textsammlungen erschie- nen, aus denen er seine „Aufprallprosa“ (Badische Zeitung) liest. „Will denn in China gar kein Sack Reis mehr umfallen?“ und das Hörbuch „Take a Nordic Walk on the Wild Side“. Aktuelle und zeitlose Texte, mit denen der umtriebige Autor, Polemiker und Sänger uns konfrontiert, brüskiert und amüsiert. ✒ 27.11. KONZERT/LESUNG AUGUST ZIRNER UND DAS SPARDOSEN-TERZETT Einmal ich und zurück Eine Geschichte in Jazz Um den Jazzlegenden Thelonious Monk, Charles Mingus und Roland Rhassan Kirk nachzuspüren, tat sich der Schauspieler und Musiker August Zirner mit dem Essener Trio zusammen, das bereits mit Wiglaf Droste zusammen im Volkstheater gastierte. Von den Vierzigern bis in die Sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts prägten Monk, Mingus und Kirk die Musikgeschichte. Ihre Werke sind bekannt, weniger jedoch, welche Charaktere hinter den Musikgenies steckten. August Zirner liest Geschichten von ihnen und über sie und fusioniert als Querflötist mit dem Spardosen-Terzett, um die Meisterwerke wiederaufleben zu lassen. ✒ 21.01.08 TALK EIN ABEND MIT ALFRED BIOLEK Mein Theater mit dem Fernsehen Nach den Traumquoten im Fernsehen sorgt das Allroundtalent jetzt auch für ausverkaufte Theatersäle. Deswegen kommt er noch einmal, für alle, die keine Karten mehr bekommen haben oder die noch einmal mit ihm zusammen vierzig Jahre deutscher Fernsehgeschichte Revue passieren lassen möchten. Seinen Quereinstieg in das Metier, seine unzähligen Aktivitäten als Produzent, Talentscout, Showmoderator, Fernsehkoch und seine aktuelle Rolle als Talkmaster dürfen wir noch einmal live erleben, denn wieder bringt er prominente Gäste und Wegbegleiter mit ins Volkstheater, mit denen er aus dem Fernsehkästchen plaudern wird. %ULHQQHU 6WUDVVH 0QFKHQ 7 ZZZYRONVJDUWHQPXHQFKHQGH JUNGE REGISSEURE IM VOLKSTHEATER (4) Christine Eder inszeniert im Januar 2008 das Stück „Verbrennungen“ des preisgekrönten kanadischen Dramatikers Wajdi Mouawad. Es ist bereits ihre dritte Regiearbeit am Volkstheater. KARTENTELEFON 089/5 23 46 55 oder Faxbestellung: 089/5 23 55 56 oder [email protected] www.muenchner-volkstheater.de PREISE: Kategorie I: Kategorie II: Kategorie III: Kategorie IV: Kategorie V: Kleine Bühne: TAGESKASSE im Volkstheater Montag - Freitag: 11 - 18 Uhr Samstag: 11 - 14 Uhr Abendkasse: Eine Stunde vor Vorstellungsbeginn VORVERKAUFSSTELLEN MünchenTicket · Kartentelefon: 089/54 81 81-81 Faxbestellung: 089/54 81 81-54 Vorverkauf auch im Marienplatz-UG und Stachus-UG im Box Office bei Hertie (Stachus) der Ticket Box im Bahnhof Pasing und bei den bekannten Vorverkaufsstellen. A B 28,- Euro 25,- Euro 21,- Euro 17,- Euro 12,- Euro 15,- Euro 25,- Euro 22,- Euro 19,- Euro 28,- Euro 11,- Euro Preise für Premieren, Gastspiele, Sonderveranstaltungen und Silvestervorstellungen entnehmen Sie bitte den aktuellen Spielplaninformationen (Leporello, Homepage, etc.) Jede Eintrittskarte gilt am Tag der Vorstellung ab 15 Uhr als Fahrschein zur Hin- und Rückfahrt mit allen MVV-Verkehrsmitteln (Ausgenommen: Schüler- und Studentenkarten im VVK). Schüler, Studenten, Arbeitslose, Wehrdienst- und Zivildienstleistende, Azubis, Münchenpass, M//Card Vorverkauf: 8,50 Euro Abendkasse: 6 Euro Schulklassen bis 20 Schüler: 8,50 Euro über 20 Schüler: 6 Euro Gruppenermäßigung ab 15 Personen: 20 Prozent ermäßigt Schwerbehinderte 50 – 99 Prozent: 50 Prozent ermäßigt Schwerbehinderte 100 Prozent: frei Begleitperson: 50 Prozent ermäßigt VERKEHRSVERBINDUNGEN U1, Tram 20, 21 (Stiglmaierplatz) THEATERSCHECK BACKSTAGEKLUB Mit dem Theaterscheck sparen Sie bis zu 40 Prozent beim Kauf von 10 Theatergutscheinen und bis zu 25 Prozent beim Kauf von 6 Theatergutscheinen. Die Gutscheine des Theaterschecks gelten für alle Vorstellungen im Großen Haus mit Ausnahme von besonderen Gastspielen, Sonderveranstaltungen und Silvestervorstellungen. Die Gutscheine sind übertragbar und gelten ein Jahr ab Kauf des Scheckheftes. Die Scheckhefte können jederzeit an der Tageskasse nachgekauft werden. Sie wählen Vorstellungen und Wochentage frei aus und können telefonisch per Fax oder E-Mail reservieren. Die Karten können dann gegen Vorlage des Theaterschecks bis eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn an der Abendkasse abgeholt werden. Seit vier Jahren gibt es den BackstageKlub am Volkstheater. Circa 25 Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren kommen einmal in der Woche ins Volkstheater und machen mit Schauspielern, Regieassistenten und Dramaturgen Workshops, Training und szenische Übungen. Es finden gemeinsame Vorstellungsbesuche, Hausführungen und Gespräche mit Schauspielern und Mitarbeitern statt. Die Jugendlichen lernen die Arbeit an einem Theater von allen Seiten kennen. Nachdem in der ersten Spielzeit eine eigene Fassung von George Orwells „Animal Farm“ entwickelt und zum Abschluss der Spielzeit 2004/05 das freie Projekt „Krieg der Sterne - Das Universum sucht den Superstar“ präsentiert wurde, konnten die Jugendlichen 2006 mit William Shakespeares „Romeo und Julia“ erstmals ein Stück auf der großen Bühne zeigen. 2007 wurde der Erfolg mit Georg Büchners „Leonce und Lena“ wiederholt. Kategorie 10 Schecks: 6 Schecks: Kategorie I: Kategorie II: Kategorie III: 168,- Euro 150,- Euro 126,- Euro 126,- Euro 113,- Euro 95,- Euro ABO JUNG GANZ VORNE Mit dem Abo Jung ganz vorne können Schüler, Studenten und Azubis bis 27 Jahre nicht nur Geld sparen, sondern auch ganz vorne die besten Plätze reservieren und drei Vorstellungen in der ersten Sitzplatzkategorie (nach Verfügbarkeit) ansehen. Das Abo kostet 15 Euro und ist ein ganzes Jahr gültig. Dazu gehören Hausführungen mit Einblick in die Arbeit der Werkstätten, von der Schneiderei über die Maske bis zum Bühnenbild und der Technik. Der jeweilige Dramaturg der Inszenierung übernimmt die Rolle des persönlichen Theater-Guides. Informationen zu den im Abo enthaltenen Vorstellungen und Termine für Hausführungen können dem jeweiligen Spielplan entnommen werden: www.muenchner-volkstheater.de 64 ERMÄßIGUNGEN volksmund 2 · gastspiele Auch in dieser Spielzeit wird es ein neues Projekt des BackstageKlubs geben. JUNGE REGISSEURE IM VOLKSTHEATER (5) Hanna Rudolph, die Publikumspreisgewinnerin des letzten Radikal jung-Festivals, inszeniert im Mai 2008 erstmalig am Münchner Volkstheater. Hans Henny Jahnn, der am meisten unterschätzte deutschsprachige Romancier und Dramatiker des 20. Jahrhunderts, selten gelesen, noch seltener gespielt, missachtete Goethe. Der Dichterfürst habe zu allem eine Meinung, spottete Jahnn, manchmal gleichzeitig mehrere einander widersprechende Urteile; überall und zu allem gebe der dichtende Politiker seinen Senf. Jahnn hat Recht. Seine Kritik lässt sich indes auch positiv formulieren: Goethe war besonders meinungsstark! Auch über den Beifall hat er sich mehrfach geäußert, nicht bloß im „Faust“, sondern daneben häufig in seinen Briefen. Am 27. Oktober 1787 schrieb er an Philipp Seidel aus Italien: Beifall lasse sich „wie Gegenliebe wünschen, nicht erzwingen“. Nicht falsch, nur ein wenig schlicht, der Gedanke. Wir haben es alle erlebt: Manchmal können in der Kunst alle alles wollen, doch am Ende rühren sich trotzdem nur wenige Hände. Dafür gellt es aus vielen Kehlen Buh. Flop also. Gewiss darf jede Zuschauerin und jeder Zuhörer Freude ebenso kundtun wie Frust, Lust und Last. Aber wann und wie? Fangen wir mit dem Wann an. Wer, wenn sich der Vorhang teilt, bereits laut meckert – „Schon schlecht!“ –, ist vorlaut, ignorant und ein bösartiger Spielverderber. Unmutsäußerungen verbieten sich auch während der Vorstellung. Zwischenrufe sind ungezogen. Wer glaubt, das Gebotene nicht bis zur Pause (oder bis zum Schluss) zu ertragen, der sollte versuchen zu schlafen. Wenn das nicht gelingen mag, weil die Musik zu laut dröhnt, der Sitz zu unbequem ist oder das Saallicht nicht gelöscht wurde, dann gibt es einen einzigen Aus-Weg nur: Der leise (!) und stumme (!!) Abtritt, das Sich-weg-Schleichen; und natürlich schlägt man die Tür nicht laut (!!!) zu. Noch etwas finde ich extrem lästig, und zwar für die Künstler ebenso wie für die anderen Menschen im Publikum: halblautes Murren, Kommentieren und das lebhafte Schütteln des Kopfes oder anderer Glieder – diese Übung haben einige professionelle Kritiker sehr gut drauf. Sie exekutieren sie kontinuierlich und beharrlich und schaffen damit zweierlei: Sie äußern schon mal vorab und non66 volksmund 2 · suchers theaterknigge verbal, was sie von der Vorstellung halten; und sie machen sich damit hübsch wichtig. Ganz eitle Damen (seltener) und Herren (eher häufig) begleiten diese Bewegungen mit halblautem Gestöhn. Schlimm. Darf man sich während der Vorstellung freuen? Klar doch! Aber Zwischenrufe sollte man lassen, Auftrittsapplaus für den geliebten Interpreten ist peinlich und das Klatschen nach einem hübsch vorgetragenen ersten Satz störend – im Konzert übrigens ärger als im Schauspiel. Was fürs Kopfschütteln gilt, gilt auch fürs Nicken. (Kritikern wird niemand diese segnende generöse Masche abgewöhnen.) C. Bernd Sucher ist Jurymitglied beim Festival Radikal Jung 2008 Wie sich äußern, nachdem der Vorhang gesenkt oder zugezogen wurde, also dann, wenn alles vorbei ist? Wer jubeln will, juble, klatsche, schreie. Bravo für einen Mann, Brava für eine Frau, Bravi für mehrere – wes Geschlechts auch immer. Nichts ist einzuwenden gegen die Mode, johlend zu loben nach Art der Karl-May-Indianer. Gewarnt werden muss indes vorm Pfeifen. Denn der oder die Angepfiffene, Ausgepfiffene, Be-, Um- oder Verpfiffene kann schlecht unterscheiden, ob das Gellen preist oder verreißt. Also Pfeifen sein lassen. Damit ist nun auch schon geklärt, wie sich endlich Unzufriedenheit ausdrükken lässt. Verweigerung von Applaus ist die nobelste, höflichste Form. Buhrufe sind eine Steigerung. Beschimpfungen – Schwachsinn, Hohlkopf, Stümper, Idiot und ähnliche Nettigkeiten – gehören sich nicht! Wie auch immer man seinen Tadel ausdrückt – bevor man ihn ausdrückt, sollte man sich ein wenig Zeit lassen. Sollte nachdenken, sollte abwägen. Sich selbst zu begründen versuchen, warum man (so) enttäuscht ist. Zuweilen ist die Ursache für den Unmut weniger die Aufführung, also das mangelnde Können von Autoren, Regisseuren, Sängern oder Schauspielern, als vielmehr das eigene Vorurteil und – auch das gibt es – die eigene emotionale Lage. Wer sich nicht überraschen lassen will, wird verstört reagieren auf alles, was er nicht kennt, was ihn verblüfft, weil es ungewohnt ist; wird jede Regelverletzung, jeden Konventionsbruch geißeln. Was für das Essen gilt, gilt dummerweise auch so oft für die Kunst. Was der Bauer nicht kennt, (fr)isst er nicht, heißt für die Kunst: Ich will wieder erkennen, wieder hören, was ich schon gesehen, gelesen, vernommen habe. Die Gefahr, unzufrieden zu werden, wächst in dem Maße, in dem die Künstler sich von dem schon Dagewesenen lösen, Regeln verletzen und Seh- und Hörgewohnheiten missachten. Ergo: Bevor man Buh brüllt oder blökt; bevor man den Saal verlässt, aufgepasst! Wer ist schuld am Missvergnügen? Die Macher oder die Zumacher? Die Produzenten oder die Rezipienten? Mich verblüfft es immer wieder aufs Neue, wie schnell manche Zuschauer urteilen und verurteilen, vor der Pause schon, in der Pause, nach der Vorstellung. Jeder, der verurteilt, sollte zuvor sein Urteil überprüfen. Denn eines ist allemal sicher: Die Künstler haben sich in jedem Fall und immer länger auseinandergesetzt mit dem Stoff, haben – sind sie verantwortungsbewusst und fleißig – gearbeitet. Wollten das Beste. Und noch eines sollte bedacht werden: Ein Lob lässt sich einfacher und weniger folgenreich zurücknehmen als ein Tadel. Die Verletzungen, die Buhrufer bei den Künstlern anrichten, sind in den meisten Fällen weit größer, als die selbst ernannten Scharfrichter der Kunst es sich vorstellen können. Deshalb meine Forderung: Im Zweifel für die Künstler. Immer! Bravi! FOTO: NINA URBAN C. BERND SUCHERS THEATERKNIGGE FOLGE 2: BEIFALL – RICHTIG GEMACHT ;d[h]_[ X[b[Xj Z_[ Ip[d[ IFBUFS QSPCFO NxHMJDIF FMUFO JS TJOE OFVHJFSJH XJF TJF BVT TFIFO VOE GxSEFSO EFTIBMC EJF OTUF BO ODIOFS IOFO OTFS OHBHFNFOU SFJDIU WPO EFS VTCJMEVOH CJT [VS SFNJFSF SMFCFO JF NJU VOT XBT LSFBUJWF OFSHJF CFXJSLU OGPSNBUJPOFO VOUFS XXXFPOFOFSHJFDPN UJDIXPSU £PMLTUIFBUFS¢ www.paulaner.de „ Mei, spät wird’s, du kennst ja die Stoßzeiten!“