massiv ghettolied

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massiv ghettolied
#9
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Manfred Blohm (blohm at uni-flensburg.de)
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Jan-Philip Kaminski
Das Spannungsverhältnis von Hip Hop und
Unterricht
von Jan-Philip Kaminski
Erstgutachter: Dr. Michael Meier
Zweitgutachter: Prof. Dr. Christine Thon
Eingereicht als Master-Thesis an der Universität Flensburg im
Februar 2012
Inhaltsverzeichnis
Seite
1
Einleitung
3
1.1
Inhalt der Arbeit
3
1.2
Aufbau der Arbeit
4
Methodisches Vorgehen
6
2.1
Erhebungsmethode: Teilnehmende Beobachtung
6
2.2
Gewinn der Daten
7
2.3
Auswertung der Beobachtungsprotokolle
8
2.4
Qualifikation als „Experte“
9
Die Hip Hop-Jugendkultur
9
3.1
Ursprung von Hip Hop
10
3.2
Ausbreitung von Hip Hop
13
3.3
Stile und Elemente von Hip Hop
14
3.3.1
DJing
15
3.3.2
Breakdance
16
3.3.3
Graffiti Writing
17
3.3.4
Rap
18
3.3.4.1
Battle-Rap
19
3.3.4.2
Porno-Rap
20
3.3.4.3
Gangster-Rap
20
3.4
Das Battle
22
3.5
Hip Hop in Deutschland
22
3.5.1
Entwicklung von Hip Hop in Deutschland
23
3.5.2
Die lokale Szene
25
3.6
Das Frauenbild
27
3.7
Kleidung und Mode
28
3.8
Der Sprachcode
29
Analyse der Beobachtungsprotokolle
29
4.1
Kleidung als Zuordnung zum Hip Hop
30
4.2
Rekonstruktionen von Praktiken und Stilen des
33
2
3
4
Hip Hop
4.2.1
Performativität
37
1
4.2.2
Cool-Sein
39
4.2.3
Das Frauenbild
43
4.2.4
Sprachcode
45
Spannungsfeld Hip Hop und Unterrichtssituation
47
5.1
Definition von Unterrichtssituation
47
5.2
Modell 1: Spannungsverhältnis Performativität und
48
5
Unterricht
5.3
Modell 2: Spannungsverhältnis Cool-Sein und
52
Unterricht
5.4
Modell 3: Spannungsverhältnis Frauenbild und
55
Unterricht
6
Fazit
58
Glossar
61
Literaturverzeichnis
64
Onlinequellenverzeichnis
67
Darstellungsquellenverzeichnis
67
Darstellungsverzeichnis
Seite
Dar. 1
Tag
18
Dar. 2
Performativität und Unterricht
51
Dar. 3
Cool-Sein und Unterricht
54
Dar. 4
Frauenbild und Unterricht
57
2
1 Einleitung
1.1 Inhalt der Arbeit
„If one youth movement has been pre-eminent in the shaping of popular culture
in the last twenty-five years, it is hip hop and the art forms and industries it has
spawned” (OGG und UPSHAL 1999, S. 7).
Hip Hop1 ist in den letzten Jahren zu mehr als nur einer Modeerscheinung geworden. Nicht nur auf dem Musikmarkt ist Hip Hop allgegenwärtig, sondern
auch als weitverzweigte Jugendkultur mit eigenen Ritualen, Normen und Praktiken hat sich Hip Hop auf der ganzen Welt etablieren können. Die Jugendlichen
begreifen Hip Hop als Lebensgefühl oder Lebensentwurf, da diese Populärkultur
ihnen viele Identifikationsmöglichkeiten bietet. In seiner über dreißigjährigen
Geschichte hat sich Hip Hop als Jugendkultur global verbreitet und konnte seit
den 1980er Jahren auch in Deutschland Fuß fassen. Heute begegnet man auf
jedem Schulhof der Bundesrepublik Jugendlichen mit weit ausgebeulten Hosen,
und übergroßen T-Shirts, die ihre Schirmmützen selbst in geschlossenen Räumen tragen und in einer fremden Sprache zu kommunizieren scheinen. Hip Hop
ist in den Schulen angekommen - lange schon.
Der analytische Fokus meiner Arbeit liegt auf den Praktiken und Stilen von Hip
Hop, die in der Unterrichtssituation beobachtbar sind. Mein Ziel ist es herauszustellen, welche Praktiken und Stile des Hip Hop sich in der Unterrichtssituation
zeigen und was ihre Effekte sind. Die Frage, der ich dabei nachgehe ist, ob es
eine Beziehung zwischen der Ordnung des Unterrichts und den Praktiken und
Stilen von Hip Hop gibt und ob es zu einem Spannungsverhältnis kommt. Die
Möglichkeit eines Zusammenhangs soll erforscht und anhand von Beobachtungsmaterial in Form von Beobachtungsprotokollen reflektiert werden.
Ich habe mich bewusst für die Jugendkultur Hip Hop entschieden, da sie zum
einen die derzeit größte und einflussreichste Jugendkultur darstellt und zum
anderen, weil ich selbst schon seit vielen Jahren tief in der Hip Hop-Kultur ver1
In der Literatur existieren die unterschiedlichen Schreibweisen „Hip Hop“, „Hip-Hop“ und „HipHop“. In meiner Arbeit wird die erste Schreibweise verwendet, wobei im Sinne einer korrekten
Zitierweise bei wörtlich übernommenen Textzitaten auch die Schreibweisen „Hip-Hop“ und
„HipHop“ übernommen werden.
3
wurzelt bin. Ich sehe mich selbst als „Experten“ und Insider dieser Jugendkultur
und zudem dazu in der Lage, Hip Hop-spezifisches Verhalten Jugendlicher zu
erkennen und zu interpretieren.
Jugendliche einer siebten Klasse als Forschungsgegenstand für meine Arbeit
zu wählen macht deshalb Sinn, weil die Heranwachsenden hier ein Alter zwischen 13 und 15 Jahren haben, sich somit in der Pubertät befinden und bereits
in einer bestimmten Jugendkultur etabliert sind, bzw. auf dem Weg sind, sich zu
etablieren.
Gerade in der Pubertät vollzieht sich die Identitätsentwicklung und -findung, wobei sich persönliche Vorbilder, Werte und Normen herausbilden. Die Jugendlichen befinden sich in einem Alter, in dem sich ihre Identität noch nicht fest herausgebildet hat. In der Phase der Pubertät können „Rollen […] ergriffen und
aufgegeben, Möglichkeiten der Identität durchgespielt werden […]. Von daher
werden auch die zahlreichen Versuche Jugendlicher verständlich, sich über die
Zugehörigkeit zu bestimmten Subkulturen, die dazugehörige Musik, Kleidung,
Abzeichen, Symbole, entsprechendes Rollenverhalten etc. vorläufig zu definieren“ (GUDJONS 2008, S. 135). Die Jugendlichen identifizieren sich deshalb in
diesem Alter besonders stark mit der Jugendkultur Hip Hop, seinen Stilen, Ausdrucksweisen und Praktiken, weshalb sich in dieser Zeit gut ein Hip Hoptypisches Verhalten beobachten lässt.
1.2 Aufbau der Arbeit
Im ersten Abschnitt wird das methodische Vorgehen erläutert. Zunächst wird die
Erhebungsmethode der Teilnehmenden Beobachtung, die einen wesentlichen
Stützpfeiler der ethnographischen Forschung darstellt, näher beleuchtet. Im
Folgenden wird der Gewinn der Arbeit zugrundeliegenden Daten dargestellt.
Anschließend wird das methodische Vorgehen bei der Auswertung der Beobachtungsprotokolle vorgestellt, bevor ich meine Qualifikation als „Experte“
begründe.
Um Praktiken und Stile des Hip Hop als solche zu erkennen und um dem weiteren Verlauf der Arbeit folgen zu können, erhält der Leser im zweiten Abschnitt
4
essenzielles Hintergrundwissen. Dabei werden zunächst die Wurzeln und die
Geburt von Hip Hop als in New York City entstandene Kulturform aufgezeigt. Im
Weiteren wird kurz auf die globale Verbreitung von Hip Hop eingegangen bevor
die unterschiedlichen Ausprägungen und Stile von Hip Hop, namentlich Djing,
Breakdance, Graffiti-Writing und Rap, näher erläutert werden. Dazu werden drei
Subkategorien von Rap näher erläutert, da Rap das Element von Hip Hop darstellt, das sowohl am meisten Aufmerksamkeit auf sich zieht, als auch kommerziell am erfolgreichsten ist. Anschließend wird kurz das Battle erläutert, welches
ein wesentliches Charaktermerkmal von Hip Hop ist.
Im Verlauf der weltweiten Ausbreitung hat Hip Hop Anfang der 1980er Jahre
auch in Deutschland Fuß fassen können und sich daraufhin zur größten Jugendströmung ausgebreitet, worauf im nachfolgenden Abschnitt eingegangen
wird. Es folgt eine Beschreibung der lokalen Szene und eine kurze Darstellung
des Bildes und der Rolle der Frau im Hip Hop. Hieran schließen sich eine Darstellung der Kleidung und Mode im Hip Hop und eine Beschreibung des szenespezifischen Sprachcodes an.
Nachdem durch die vorangegangenen Ausführungen ein umfassendes Bild von
Hip Hop dargestellt wurde, werden im dritten Teil die spezifischen Praktiken und
Stile des Hip Hop im Unterricht anhand von Beobachtungsprotokollen und diesbezüglichen Beobachtungsbeispielen rekonstruiert, mit Hilfe derer sich das Verhältnis von Unterricht und der Jugendkultur Hip Hop empirisch nachzeichnen
lässt. In den Praktiken und Stilen der Schülerinnen und Schüler wird aufgespürt,
in welchem Spannungsverhältnis beide Bereiche zueinander stehen.
Von den gewonnen Kenntnissen ausgehend wird im vierten Abschnitt das
dadurch auftretende Spannungsverhältnis zur Unterrichtssituation aufgezeigt.
Dazu wird eine kurze Definition von dem Begriff der Unterrichtssituation geben,
bevor drei verschiedene Spannungsverhältnisse von Hip Hop und Unterricht als
Modelle vorstellt werden.
An die Arbeit schließt sich ein Glossar mit Erklärungen der verwendeten Szenebegriffe der deutschen Hip Hop-Kultur an, welche überwiegend aus Anglizismen
bestehen. Die Begriffe haben sich in der Jugendkultur und im Sprachgebrauch
nicht nur szenenzugehöriger Jugendlicher etabliert und werden für die Abhand5
lung als unverzichtbar angesehen. Bei ihrem erstmaligen Erscheinen werden
die Begriffe mit einem Pfeil (→) gekennzeichnet, um auf ihre Präsenz im
Glossar hinzuweisen.
2 Methodisches Vorgehen
2.1 Erhebungsmethode: Teilnehmende Beobachtung
Die der Arbeit zugrunde liegenden Daten wurden mit der Methode der offenen
Teilnehmenden Beobachtung gewonnen, weshalb diese Methode im Folgenden
kurz vorgestellt wird.
Die Teilnehmende Beobachtung ist eine Methode der empirischen Sozialforschung und stellt heute eine der zentralsten Methoden der Ethnologie dar. „Bedeutsam für die Methode der Teilnehmenden Beobachtung ist die Interaktion,
die der Forscher mit seinen Untersuchungsobjekten, den Akteuren in alltäglichen Lebenszusammenhängen, eingeht, und wie dieser Prozess reflektiert wird“
(MIKOS 2005, S. 315).
Für die Teilnehmende Beobachtung ist es somit zwingend erforderlich und wichtig, dass der Forscher über einen längeren Zeitraum im Feld bzw. in der natürlichen Lebenswelt der Beobachteten anwesend ist, wobei die Teilnahme auf unterschiedliche Weise (offen, verdeckt) stattfinden kann. Eine Voraussetzung
„[…] für die Teilnehmende Beobachtung ist die persönliche Teilnahme des Sozialforschers bzw. der Sozialforscherin an der Praxis derjenigen, über deren
Handeln und Denken er bzw. sie Daten erzeugen möchten“ (LÜDERS 2003, S.
151). Der Forscher wird somit ein Teil der von ihm untersuchten Gruppe und
nimmt an deren Alltagsleben teil. Durch seine Beobachtungen erhebt er qualitative Daten, die in Form von Feldnotizen und Beobachtungsprotokollen festgehalten werden.
Vorteil der Teilnehmenden Beobachtung ist es, dass „[…] durch die Rollenüberahme des Forschers in alltäglichen Handlungssituationen den mit den spezifischen Praktiken verbundenen subjektiv gemeinten Sinn zu untersuchen und zu
verstehen“ (MIKOS 2005, S. 315 f.). Der Forscher beobachtet somit nicht nur,
6
sondern analysiert und interpretiert darüber hinaus auch das Verhalten und
Handeln der von ihm beobachteten Personen.
2.2 Gewinn der Daten
Die dieser Arbeit als Grundlage dienenden Daten sind im Zuge „[…] des DFGForschungsprojekts ,Jugendkultur in der Unterrichtssituation. Eine Ethnographie
des Schülerhandels im Rahmen der Schulklasse‘ (2001-2005) […]“(BENNEWITZ
und MEIER 2010, S. 97) unter der Leitung von Georg Breidenstein entstanden.
In diesem Forschungsprojekt haben Hedda Bennewitz und Michael Meier „[…]
eine Gesamtschulklasse vom 7. bis ins 10. Schuljahr ethnographisch begleitet“
(BENNEWITZ und MEIER 2010, S. 97) und qualitative Daten erhoben. Die von Michael Meier erstellten Beobachtungsprotokolle dienen dieser Arbeit dabei als
Grundlage.
Die Forscher bedienten sich in der Studie der Methode der Teilnehmenden Beobachtung, sodass durch das stetige Beobachten des Schülerhandeln die Frage
beantwortet werden sollte, wie Schülerinnen und Schüler Peerkultur2 im Unterricht betreiben (vgl. BENNEWITZ und MEIER 2010, S. 98). Insbesondere sollte erforscht werden, in welchem Verhältnis die Peerkultur der Schülerinnen und
Schüler und der Unterricht zueinander stehen, wie peerkulturelle Praktiken im
Unterricht etabliert werden, welche Praktiken sich auffinden lassen und wie das
Verhältnis von Peerkultur und Unterricht beschrieben werden kann (vgl. BENNEWITZ
und MEIER 2010, S. 97).
Anhand von detaillierten Feldnotizen und Audio-Aufzeichnungen wurden zeitnah
ausführliche Beobachtungsprotokolle am PC erstellt und so qualitative Daten
erhoben.
2
„Der Begriff Peerkultur bezeichnet die Kultur der Gleichaltrigen (vgl. Breidenstein 2004 in
Bennewitz und Meier 2010, S. 98), also ihre Praktiken, ihr Wissen und ihr soziales Beziehungssystem auch jenseits musikalisch-popkultureller Klassifikation“ (Bennewitz und Meier 2010, S.
98).
7
2.3 Auswertung der Beobachtungsprotokolle
Die Beobachtungsprotokolle, die Hedda Bennewitz und Michael Meier unter der
Leitung von Georg Breidenstein im Rahmen des DFG-Forschungsprojekts „Jugendkultur in der Unterrichtssituation. Eine Ethnographie des Schülerhandels im
Rahmen der Schulklasse“ im Zeitraum von 2001-2005 erstellt haben, stellen für
mich das Material und die Deutungsperspektiven dar, anhand derer ich meine
Forschungsfrage auswerte, ob und wenn ja, wie sich Praktiken und Stile von
Hip Hop auf die Unterrichtssituation auswirken.
Dazu habe ich in einem ersten Schritt sämtliche Protokolle unvoreingenommen
gelesen, um mir einen Überblick über das Material zu verschaffen und um mein
weiteres Vorgehen zu strukturieren. Im zweiten Schritt habe ich das Material
ausführlich studiert und dahingehend geprüft, ob sich bei den Schülerinnen und
Schülern Stile und Elemente von Hip Hop in der Unterrichtssituation abzeichnen. Dazu habe ich eine Art „Folie“ von Hip Hop auf die Protokolle gelegt und
das Material durch die „Brille Hip Hop“ betrachtet. Im Folgenden habe ich Übereinstimmungen farblich markiert sowie das Material auf seine Relevanz hin selektiert. Für die verschiedenen Stile und Elemente habe ich dazu unterschiedliche farbliche Unterlegungen gewählt.
Ich habe mir einen Protokollleitfaden erarbeitet, der mir die spätere Auswertung
der Beobachtungsdaten erleichtern sollte. Der Protokollleitfaden orientiert sich
dabei an den theoretischen Vorüberlegungen, bzw. an den einzelnen Stilen und
Elementen von Hip Hop. Je nachdem in welche Kategorie das Protokoll fällt,
habe ich es in einem zugewiesenen Ordner abgelegt.
Bei der Durchsicht der Beobachtungsprotokolle wurde bald ersichtlich, welche
Jugendlichen zugehörig zur Jugendkultur Hip Hop sind. Bei der weiteren Analyse der Protokolle habe ich deshalb verstärkt auf Aktionen und Interaktionen dieser von mir als Hip Hopper3 identifizierten Heranwachsenden geachtet.
3
Im Folgenden werden die Anhänger der Jugendkultur Hip Hop als Hip Hopper bezeichnet.
8
2.4 Qualifikation als „Experte“
Im Folgenden möchte meine Qualifikation und Berechtigung zur Analyse der
Beobachtungsprotokolle kurz darstellen. Seit über zehn Jahren bin ich fest in
der Hip Hop-Kultur verankert und zähle mich auch mit 27 Jahren noch als Mitglied dieser Jugendkultur, wenngleich ich mich heute von einigen Praktiken distanziere und mich auch nicht mehr strikt nach dem „Hip Hop-Dress Code“ kleide. Im Laufe der Jahre hat sich mein Fachwissen bezüglich Hip Hop stetig erweitert. Ich habe zahlreiche Publikationen zum Thema Hip Hop gelesen und bin
seit vielen Jahren Abonnent des Juice Magazins, Europas größter Hip HopZeitschrift. Ich habe mich selbst als DJ probiert, über Jahre Schallplatten gesammelt und Scratch-Techniken (→) erlernt. In meinem Besitz befindet sich ein
umfangreiches Archiv an Rap-Tonträgern und DVDs zum Thema Hip Hop, darunter die renommierten Filme Beatstreet und Wild Style, sowie die Dokumentation Style Wars.
Durch einen einjährigen Aufenthalt in den USA bin ich mit den Wurzeln von Hip
Hop in Kontakt gekommen und konnte Einblicke in dortige kulturelle Praktiken
gewinnen. In meinem Freundeskreis habe ich Rapper, DJs, Produzenten und
Writer, zudem eine Vielzahl an Freunden, die auch der Hip Hop-Kultur angehören. Ich war schon auf einer großen Anzahl an Rap-Konzerten, Battles und
Festivals und verfolge ständig die auf MixeryRawDeluxe.tv ausgestrahlten szeneinternen Interviews.
Durch mein jahrelanges Interesse für die Hip Hop-Kultur habe ich mich auf diesem Gebiet zu einem „Experten“ entwickelt, so dass ich mich dazu befähigt sehe darüber zu urteilen, ob das in den Beobachtungsprotokollen protokollierte
Verhalten der Jugendlichen in Verbindung mit Hip Hop steht.
3 Die Hip Hop-Jugendkultur
Im Folgenden werde ich einen Überblick zur Jugendkultur Hip Hop mit seinen
Praktiken, Stilen und Ausdrucksformen geben, der für die Leserin und den Le9
ser als essenzielles Hintergrundwissen für den weiteren Verlauf der Arbeit dienen soll.
3.1 Ursprung von Hip Hop
Den Ursprung von Hip Hop findet man an der Ostküste der USA, in der Millionenmetropole New York City. Von hier aus hat sich die Hip Hop-Bewegung erst
in den USA und dann stetig über den gesamten Kontinent ausgebreitet. „HipHop entsteht in den 1970er Jahren in der New Yorker Bronx und breitet sich seit
Anfang der 1980er Jahre weltweit aus“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 8).
Der Ursprung des Phänomens Hip Hop steht in engem Zusammenhang mit der
städtebaulichen und soziologischen Entwicklung von New York City, die in den
siebziger Jahren zu einer Verarmung und Ghettoisierung von mehreren Stadtteilen geführt hat, in welchen überwiegend Menschen mit afroamerikanischer
oder südamerikanischer Abstammung lebten. In den Stadtvierteln Bronx,
Harlem, Queens und Brooklyn entstanden so Ghettos4, in denen überwiegend
soziale Randgruppen lebten.
Kein Stadtteil „[…] und keine Gegend wurde stärker zum Symbol städtischer
Verwahrlosung als die Bronx, vor allem die South Bronx“ (GEORGE 2002, S. 29).
Durch eine fehlende Modernisierungspolitik und den Bau einer mehrspurigen
Schnellstraße quer durch das Stadtviertel zogen viele Menschen fort, so dass
nur die sozial schwächste Bevölkerungsschicht übrig blieb. Häuser wurden abgerissen oder verlassen, so dass das Viertel bald nur noch aus verwahrlosten
und heruntergekommene Mietskasernen, leerstehenden Fabrikgebäuden und
dreckigen Straßen bestand. Diese Zustände führten dazu, dass die Kriminalitätsrate enorm anstieg und es zu Gangbildungen kam. „Die Bronx hatte ein
Gang-Problem ein Heroin-Problem und wie viele andere Krisenbezirke keine
ökonomische Basis, auf der man aufbauen konnte“ (GEORGE 2002, S. 29).
Die Jugendlichen wurden so täglich mit Armut, Rassismus, Gewalt und Unterdrückung konfrontiert. Zusätzlich war die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen
enorm hoch, es gab nur sehr schlechte Bildungsmöglichkeiten und keine Freizeitangebote. Die Lebensumstände und die Zukunftsperspektiven der Heran4
Mit Ghetto sind hiermit Stadtviertel gemeint, in denen vorwiegend bestimmte Bevölkerungsgruppen leben, insbesondere soziale Randgruppen wie Afroamerikaner.
10
wachsenden waren also denkbar schlecht. Trotz- oder gerade wegen dieser
problematischen Umstände konnte Hip Hop als neue Kulturform entstehen. „Innerhalb der engen Grenzen der Bronx entstanden die Ausdrucksformen, die wir
mit der HipHop-Kultur assoziieren: Graffiti-Kunst, Breakdance, Rappen und Mixen“ (GEORGE 2002, S. 29). Hip Hop bot den Jugendlichen eine Alternative zu
den Problemen, denen sie täglich ausgesetzt waren. Zudem verschaffte Hip
Hop ihnen ein Sprachrohr, um auf die Probleme und Lebensumstände in ihren
Stadtvierteln aufmerksam zu machen.
Den Ursprung von Hip Hop bildeten die so genannten „Urban Dance Partys“
oder „Block Partys“, „[…] bei denen DJs über ihre herkömmliche Rolle als Plattenaufleger hinauswachsen und selbst Musik produzieren […]“ (KLEIN und
FRIEDRICH 2003, S. 14 f.). Der DJ Clive Campbell alias DJ Kool Herc war der
Erste, der zwei Plattenspieler zum Auflegen verwendete und diese regelrecht
als Musikinstrumente einsetzte, um selbst Musik zu produzieren. Dies gelang
ihm, indem er die besten Rhytmuspassagen mehrerer Schallplatten aneinanderreihte und ineinander mixte. Zudem gilt er als Erfinder des „Breakbeats“ (→),
des Ur- und Grundelements von Hip Hop.
„Herc patented the breakbeat, the climatic instumental section of a record […]”
(OGG und UPSHAL 1999, S. 14). Der „Breakbeat“5 ist eine Schleife oder auch
„loop“ eines besonders tanzbaren und rhythmischen Teils eines Musikstücks.
Dieser Teil wird durch den Gebrauch von zwei Plattenspielern und einem Mixer
(→) nach Belieben verlängert indem der DJ (Disc Jockey) (→) die rhythmischen
Teile des Musikstücks einfach ineinander mixt, so dass diese dann nahtlos ineinander übergehen. Der DJ hat so die Möglichkeit, die Tanzenden länger auf der
Tanzfläche zu halten und zu kontrollieren. Aus dieser Praktik entstand die DJMusik, welche den Grundstein für Rap legte.
Anfangs war die DJ-Musik „[…] als reine Tanzmusik gedacht […]“ (KLEIN und
FRIEDRICH 2003, S. 15). James Brown etablierte gegen Ende der sechziger Jahre durch seinen Song „Get on the good foot“ den Tanzstil „Goodfoot“. Der Tanz
fand bei Jugendlichen überall in den USA Anklang. Auf den Block Partys in der
Bronx wurde der Tanz überwiegend während der vom DJ produzierten Breaks
5
Englisch „to break“ = zerbrechen, kaputt machen. Aber auch „break“ = Pause.
11
getanzt, da die Tänzer in diesem Moment genügend Zeit für ihre Darbietungen
hatten. (vgl. RODE 2002, S. 119 f.). Daraus abgeleitet entstand der Begriff
„Breakdance“. „Ursprünglich hieß es B-Boying“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S.
32). Deshalb werden die Tänzer und Tänzerinnen auch als „B-Boys“ (→) und
„B-Girls“ (→) bezeichnet.
Das heute bedeutendste Element von Hip Hop, der Rap, entwickelte sich auch
auf diesen Partys. Anfangs hatte der MC (Master of Ceremony) (→) jedoch nur
die Aufgabe, die B-Boys und B-Girls zum Tanzen zu animieren und die Musik
des DJs zu unterstützen. Diese Aufforderungen und Animationen wurden mit
der Zeit immer komplexer, bis schließlich nicht mehr der DJ im Vordergrund
stand, sonder der MC. „Als Rap entwickelte sich diese Animationstechnik zu
einer eigenständigen kulturellen Praxis“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 15).
Auch das vierte Element von Hip Hop, das Graffiti-Writing, tauchte zu dieser
Zeit auf. „Etwa zeitgleich mit den neuen Sprach-, Musik- und Tanztechniken
entsteht, ebenfalls ausgehend von New York City, die Bildtechnik des Graffiti“
(KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 15 f.). Wie Graffiti genau entstanden ist, ist jedoch relativ unklar. Es hat sich wahrscheinlich aus den Praktiken der Gangkultur entwickelt. Rivalisierende Gangs markierten nämlich ihre Territorien durch
unterschiedliche Schriftzeichen. Als die Gangkultur in New York City zugrunde
ging, griffen Jugendliche diese Praktik auf und bemalten Häuserwände, Brücken
und U-Bahnen mit ihren Pseudonymen. Der erste Graffiti-Writer soll nach einem
Bericht der New York Times aus dem Jahre1971 ein Botenjunge sein, der sich
TAKI 183 nannte und überall wo er vorbeikam, seinen Spitznamen an die Wand
schrieb.
Der erste, der die vier Elemente von Hip Hop zusammenbrachte, ihnen eine
Richtung gab und die Praxis des Battles6 (→) entwickelte, war der DJ und Musikproduzent Afrika Bambaataa. Als ehemaliges Gangmitglied gründete er die
Zulu Nation, einen Zusammenschluss verschiedener künstlerischer Aktivisten,
um dem Gang-Wesen in seiner Nachbarschaft etwas entgegenzusetzen. „Untrennbar verbunden sind die Anfänge des amerikanischen Rap mit Afrika Bambaataa alias Adlai E. Stevenson, der Hip Hop als Gesamtkonzept begründete
6
Englisch „to battle“ = kämpfen.
12
und über die Vereinigten Staaten hinaus zu verbreiten suchte“ (HÜSER 2004, S.
50). Die Zulu Nation strebte nach Erfolg, Frieden, Bildung, Eintracht und einer
rechtschaffenden Lebensweise. Ziel war es, positiv in der Gesellschaft zu bestehen. „Alkohol, Drogen und Gewalt sind verpönt, daneben jede Form rassischer, religiöser und politischer Diskriminierung“ (HÜSER 2004, S. 51). Die Zulu
Nation sollte den Jugendlichen, ähnlich wie eine Gang, Schutz und Geborgenheit bieten. „Krimineller Aktionismus wurde in kulturellen transformiert“ (KAGE
2002, S. 50). Streitigkeiten und Konflikte wurden nicht mehr mit Waffengewalt
ausgetragen, sondern in einem DJ-, Rap-, Breakdance- oder Graffiti-Battle beglichen.
3.2 Ausbreitung von Hip Hop
Mit Hilfe der Massenmedien breitete sich die einstige Subkultur rasch über den
ganzen amerikanischen Kontinent aus und gelangte schließlich Mitte der 1980er
Jahre nach Europa. Heute ist Hip Hop auf jedem Kontinent der Erde zu Hause
und hat lange schon den Status einer Populärkultur erreicht.
Im Laufe der 1980er Jahre differenzierte Hip Hop sich immer weiter aus und
wurde immer beliebter. In den USA wurde neben New York City die Kalifornische Großstadt Los Angeles zur zweiten Hip Hop-Hochburg. Durch die Fernsehsendung Yo! MTV Rap’s breitete sich Hip Hop über die gesamten Vereinigten Staaten in kurzer Zeit aus.
Anfangs entstand eine große Breakdance-Welle, die den neuen Tanz erst nach
Europa und dann in die ganze Welt brachte. „HipHop als Jugendkultur begann
sich mit Breakdance weltweit zu verbreiten“ (LOH und VERLAN 2000, S. 60). Die
anderen Elemente von Hip Hop waren zu diesem Zeitpunkt außerhalb der USA
noch nicht bekannt.
Dies sollte sich aber mit dem Erscheinen von zwei Spielfilmen ändern. „Es sind
vor allem zwei Filme, die HipHop weltweit bekannt machen und seinen Mythos
mit begründen helfen. Der Graffiti-Film Wild Style (1982) und der BreakdanceFilm Beat Street (1984) sind bis heute die wichtigsten Bilddokumente des Hip-
13
Hop“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 20). Später waren auch Fernsehen und
Radio entscheidende Kanäle der Verbreitung.
In Europa fand die erste Rezeption von Hip Hop zu großen Teilen von Migranten statt, da ihre Lebenswelten am ehesten denen der in den Ghettos der USamerikanischen Großstädte lebenden Afroamerikanern nahe kamen und sie
sich mit Hip Hop identifizieren konnten.
Durch die mediale Verbreitung ist Hip Hop so rasch zu einer globalen Jugendkultur herangereift, die bis heute nicht an Bedeutung verloren hat. „HipHop
zeichnet sich „[…] durch eine bemerkenswerte Langlebigkeit aus: Seit nunmehr
dreißig Jahren dominiert diese kulturelle Ausdrucksform sowohl subkulturelle,
,alternative‘ als auch kommerzielle Diskurse des Mainstreams“ (BOCK
ET. AL.
2007, S. 11). Die Grundelemente von Hip Hop wurden mit der Zeit immer ausdifferenzierter und komplexer, so dass sich neue Genres und Subkategorien
herausgebildet haben.
3.3 Stile und Elemente von Hip Hop
Hip Hop hat im Laufe der Jahre zahlreiche Veränderungen durchlaufen und es
haben sich verschiedene Stile herausgebildet. Hip Hop beschreibt nicht, wie
oftmals fälschlich angenommen, nur eine Musikrichtung, sondern setzt sich aus
unterschiedlichen Elementen zusammen. Das Grundgerüst der Hip Hop Kultur
bilden die vier Säulen DJing, Breakdance, Rap und Graffiti. Dieses Grundgerüst
wird durch erweiternde Elemente ausgebaut.
Zu diesen Elementen zählen Beatboxing (→), Streetart7 (→), Street Fashion8
(→) und Producing9 (→). Auch die Sportart Basketball kann entfernt zum Hip
Hop-Lifestyle gezählt werden, da es eine Reihe von Überschneidungen und Parallelen gibt. Da Hip Hop so facettenreich ist, bietet es immense Identifikationsund Projektionsflächen für eine Vielzahl von Jugendlichen überall auf der ganzen Welt.
7
Englisch „Streetart“ = Straßenkunst.
Englisch „Street Fashion“ = Straßenmode.
9
Englisch „to produce“ = produzieren.
8
14
Die Hip Hop Kultur besteht aus Aktivisten und Konsumenten. „Im Unterschied
zu anderen Popkulturen steht hier nicht eine geringe Zahl von Produzenten einer weltweit verbreiteten Millionenschar von Konsumenten gegenüber“ (KLEIN
und FRIEDRICH 2003, S. 10). Die Aktivisten der Kultur prägen ihren Lebensstil
dadurch, indem sie sich mindestens einer Ausdrucksform von Hip Hop bedienen, um so einen Beitrag zur Kultur zu leisten. Die Konsumenten sind selbst
nicht aktiv in den verschiedenen Disziplinen, identifizieren sich aber dennoch
mindestens genauso stark mit der Kultur. Sie vertreten sie, indem sie kulturtypische Normen und Werte anerkennen und sich danach richten, sich nach den
vorherrschenden modischen Vorgaben kleiden und die Aktivisten der Szene
durch den Konsum von Medien wie Tonträgern unterstützen. Aktivisten und
Konsumenten stehen also in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander.
3.3.1 DJing
Die DJ-Musik ist die ursprünglichste Form von Hip Hop, dessen Urväter (DJ
Kool Herc, Africa Bambaataa, Grandmaster Flash) allesamt DJs waren. Das
Verhältnis von DJ und MC hat sich im Laufe der Jahre umgekehrt. Waren die
DJs anfangs noch richtige Bühnengrößen und weitbekannte Berühmtheiten,
spielen sie heute meist nur noch eine untergeordnete Rolle und dienen lediglich
der Unterstützung des Rappers. Das Equipment der DJs hat sich jedoch kaum
verändert. „Zwei Plattenspieler und ein Mischpult sind die neuen Musik- und
Arbeitsinstrumente des DJ […]“(KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 30).
Das Arbeitsspektrum eines DJs ist durch die Hip Hop zugesprochenen Innovationen ausgebaut worden. „Durch Ein- und Ausblenden von Musikfragmenten,
durch Wiederholung einzelner Passagen und das Vermischen der Sounds
schafft er [der DJ, Anmerkung des Verfassers] seine individuelle Musik“ (KLEIN
und FRIEDRICH 2003, S. 30 f.). Durch den Gebrauch verschiedener Techniken
wird der DJ so zum kreativen Künstler, der nicht nur Musik wiedergibt sondern
auch selbst erzeugt.
15
Zu den im Hip Hop gängigen Techniken des DJs zählt das „Scratchen10“ (→),
„[…] ein schnelles manuelles Hin- und Herbewegen der Schallplatte“ (KLEIN und
FRIEDRICH 2003, S. 30). Die Nadel des Plattenspielers kratzt dabei über die
Schallplatte, was zu einem unverkennbaren Geräusch führt. Das Scratchen
wurde mit der Zeit immer weiter ausgebaut und verfeinert, so dass es sich zu
einer eigenen Disziplin entwickelt hat in der es auch Wettbewerbe gibt, in denen
DJs gegeneinander antreten. „Mit dem Scratch […] wurden Plattenspieler und
Mischpult endgültig zum Instrument, mit dem eine ganz eigene Klangwelt erzeugt werden kann“ (LOH und VERLAN 2000, S. 55).
3.3.2 Breakdance
Breakdance ist ein akrobatischer Tanz, der viel Kraft, Ausdauer und Training
verlangt und dessen Bezugspunkt der Boden ist. „Breaking entstand in der
Bronx. Ursprünglich hieß es B-Boying“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 32).
Durch seine spektakulären, schnellen Bewegungen erinnert Breakdance an die
Kampfkunst Kung-Fu und an den brasilianischen Kampftanz Capoeira. „Die
Techniken des locking und popping und die akrobatischen power moves machen den Tanz zu einem sportiven und rasanten Spiel mit Körperzentren und –
achsen“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 15).
Beim Breakdance bilden die Tänzer einen Kreis, in dessen Mitte immer ein
Tänzer tritt, um sein Können zu präsentieren. Dabei ist ein wesentliches und
zentrales Element das Battle. „Der Wettkampfcharakter ist als ritueller Aspekt
aus dem Breakdance nicht wegzudenken“ (ALTHAUS und SCHINKEL 2007, S.
296). Ein Tänzer zeigt eine Folge von Bewegungen, die der nächste Tänzer zu
übertrumpfen versucht. Es kann auch vorkommen, dass unterschiedliche
Breakdance-Gruppen gegeneinander antreten. Bekannteste Veranstaltung hierfür ist das Battle oft the Year, ein jährlich stattfindendes, internationales Breakdanceturnier.
10
Englisch „to scratch“ = kratzen, schaben, schrammen.
16
3.3.3 Graffiti Writing
In jeder Großstadt dieser Welt trifft man heute auf Häuserwände, Mauern und
Züge, die mit Graffiti besprüht wurden. Im Gegensatz zum Graffiti Writing, welches in den 1970er Jahren in New York City entstand, ist „Graffiti [ist] so alt wie
die ältesten Steinmauern“ (GEORGE 2002, S. 29). Selbst Höhlenmalereien und
antike Wandschriften zählen technisch gesehen zu den Graffiti.
„Der Begriff Graffiti leitet sich etymologisch vom griechischen Wort graphein ab.
Im italienischen Sprachraum entwickelte sich aus sgraffiare (= kratzen, das Gekratzte) Sgraffiti bzw. Graffiti“ (SIEGL 2010, online). Im Kontext von Hip Hop
spricht man vom Graffiti Writing, bzw. Writing11, wobei die Anhänger dieser
Szene Writer genannt werden. Das Writing entstand in New York City aus der
Praktik der Gangs heraus, die ihre Territorien durch Schriftzeichen an Wänden
und Mauern voneinander abgrenzten.
In Deutschland hat sich seit der weltweiten Verbreitung von Graffiti Writing eine
feste Szene entwickelt, die für Außenstehende jedoch überwiegend im Verborgenen bleibt, da die Writer stets darauf bedacht sind anonym zu bleiben. Rechtlich gesehen stellt das Graffiti Writing üblicherweise und sofern es sich nicht um
Auftragsarbeiten handelt, eine Straftat dar, die mit empfindlichen Geld-und sogar Gefängnisstrafen geahndet wird. „Im Gegensatz zu Breakdance, Rap und
DJing ist Writen illegal und somit die einzige HipHop-Disziplin, die ein echtes
Risiko mit sich bringt“ (LOH und VERLAN 2000, S. 227).
Das Spektrum der Graffiti ist sehr groß und vielfältig. „Die Bandbreite des Malens reicht vom einfachsten Namenszug bis zum dreidimensionalen Bild […]“
(KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 31). Einfache, schnell gemachte Namenszüge,
die auf Außenstehenden häufig nur wie Schmierereien wirken, werden „Tags“
genannt. Bei einem aufwendigen, oftmals mehrfach koloriertem Graffiti handelt
es sich um ein so genanntes „Piece“ (→).
Nicht nur die technische Ausführung und die Qualität, Form und Farben, in der
Szene als „Style“ (→) bezeichnet, sind den Writern beim Anfertigen ihrer Graffiti
wichtig, vielmehr müssen auch andere Kriterien berücksichtigt werden. „Es ist
11
Englisch „to write“= schreiben.
17
für das Ansehen in der Szene sehr wichtig, wo das Tag oder Piece platziert
wird. […] Je sichtbarer, risikoreicher und waghalsiger, desto besser“ (KLEIN und
FRIEDRICH 2003, S. 31). Werden diese Kriterien erfüllt, erhalten die Writer Respekt und „Fame12“ (→) in der Szene.
Zur Verdeutlichung und da im weiteren Verlauf dieser Arbeit häufig darauf eingegangen wird, soll die folgende Abbildung als Beispiel für ein Tag dienen.
Dar. 1 Tag
3.3.4 Rap
Gegenwärtiger Rap hat seine Wurzeln in den westafrikanischen „Griots“, welche
als berufsmäßige Sänger und Dichter mit einer bestimmten Form des Gesangs
epische Texte vortrugen. „Contemporary rapping, as various authors have noticed, can trace its origins in African griots (priest-poets) […]”(OGG und UPSHAL
1999, S. 39).
Rap ist ein Sprechgesang, bei dem der MC ganz bewusst und gezielt seine
Sprache einsetzt und seine Stimme modifiziert. „Rap ist ein Sprachspiel voller
ironischer Übertreibungen, Wortspiele und Slang-Fragmente, bei dem nicht nur
12
Englisch „fame“ = Ruhm.
18
rhythmisch gesprochen, sondern auch mit Tempo, Tonhöhe und Klangfarbe
gespielt wird“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 15).
Rap hat sich zum wichtigsten Element von Hip Hop entwickelt und ist auch
kommerziell am erfolgreichsten. Besonders von Laien werden die Begriffe Rap
und Hip Hop oftmals synonym benutzt, was dazu geführt hat, dass viele Menschen Hip Hop als reinen Musikstil betrachten.
Wie auch in anderen Musik Genres, gibt es im Rap verschiedene Ausprägungen, die unterschiedliche Schwerpunkte und Inhalte haben. Rap hat sich in seiner mittlerweile über dreißigjährigen Geschichte immer weiterentwickelt,
wodurch eine Vielzahl von Subgenres entstanden sind. Drei der wichtigsten und
gleichzeitig problematischsten dieser Ausprägungen möchte ich im Folgenden
kurz vorstellen. Dabei ist anzumerken, dass diese Subgenres nicht immer ganz
klar voneinander zu unterscheiden sind, da es inhaltliche und sprachliche Gemeinsamkeiten und Überschneidungen gibt.
3.3.4.1 Battle-Rap
„Getreu der Idee der gewaltfreien, kreativ-künstlerischen Auseinandersetzung
geht es beim Battle-Rap darum, einen realen oder oftmals auch nur imaginären
Gegner verbal zu attackieren“ (Peschke 2010, S. 75). Im Hip Hop-typischen
Sprachgebrauch spricht man dabei üblicherweise vom „Dissen“13 (→).
Bei regelrechten Turnieren, wie dem 1ON1 Freestyle Battle, welches als offizielle deutsche Meisterschaft des Battle-Rap gilt, treten eine Vielzahl von Rappern
gegeneinander an, um einen Champion zu ermitteln.
Gewinner eines solchen Battles ist der Rapper, welcher seine Gegner durch
witzige und oftmals auch recht derbe Beleidigungen bezwingt. Selbstüberhöhung, Angeberei und die übertriebene positive Darstellung der eigenen Person
sind ebenfalls typische Elemente des Stils. „Natürlich geht es darum, den Gegner zu übertrumpfen, ihn in Grund und Boden zu rappen, mehr Reime, kompli-
13
Abgeleitet vom Englischen „to disrespect“ = jemandem gegenüber respektlos sein.
19
ziertere Reime, mehr Metaphern, ausgefallenere Metaphern, verrücktere Styles,
lustigere Geschichten“ (LOH und VERLAN 2000, S. 57).
Der nachfolgende Textauszug soll exemplarisch zur Verdeutlichung eines Battle-Rap-Songs dienen:
Sag mir Bescheid wenn Du denkst du hast Flows und bist besser als
ich/
Spielst G mit Deinem Harry Potter Gesicht/
Wirst tief in Hals und Mund gefickt/
Du bist weak alleine, bring deine Kumpels mit
(Kool Savas: Gib auf, Der beste Tag meines Lebens, 2002)
3.3.4.2 Porno-Rap
Porno-Rap zeichnet sich dadurch aus, dass er sehr harte, frauenverachtende
Texte hat, in denen es oft ausschließlich um die ausführliche Schilderung des
sexuellen Aktes geht. Ein Porno-Rapper „[…] inszeniert sich als Frauenheld,
Sunnyboy oder gleich als Zuhälter“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 26).
In den Texten der Porno-Rappern werden Frauen oftmals verachtet und als
„Schlampen“ oder „Huren“ bezeichnet. Zudem sind die Texte häufig sehr vulgär
und thematisieren Gewalt- und Sexfantasien aus einer meist dominanten,
männlichen Perspektive. „Pimp-Rapper bezeichnen Frauen als bitches, der von
ihnen propagierte Lebenssinn des Mannes besteht in seiner permanenten Suche nach sexueller Befriedigung“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 26). Dementsprechend einseitig fallen die Songtexte dieses Genres aus.
In Deutschland haben sich abseits des Mainstreams eine ganze Reihe von Porno-Rappern etablieren können, die mit ihren extremen, vulgären Texten Eltern,
Lehrer und Politiker alarmieren und die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Medien (PBjM) auf den Plan rufen.
Der nachfolgende Textauszug soll exemplarisch zur Verdeutlichung eines Porno-Rap-Songs dienen:
Es gab mal eine Nutte und die lief die Straße lang/
Sie hatte dicke Titten und nen geilen Tanga an/
Wir machten uns natürlich gleich an die Nutte ran/
20
Um mal abzuchecken ob man sie leicht ficken kann/
Es dauert nicht lange schon warn wir bei ihr zu Haus/
Und fünf Minuten später zog sie sich nackt für uns aus
(Frauenarzt & Mr. Long: Die Nutte, Porno Party, 2002)
3.3.4.3 Gangster-Rap
Gangster-Rap ist an der Westküste der Vereinigten Staaten, in den Armenvierteln von Los Angeles entstanden. Das Genre hat überall in den USA schnell
großen Anklang bei Jugendlichen gefunden und mit wachsendem Erfolg für heftige Kontroversen gesorgt.
Inhaltlich handeln die Texte beim Gangster-Rap üblicherweise „[…] vom harten
Leben im Ghetto […]“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 28) und von den Auswirkungen, die dieses Leben mit sich bringt. Die Rapper erzählen dabei häufig von
kriminellen Handlungen. „Gangster-Rap glorifiziert Drogenkonsum, erzählt von
illegalen Geschäften als notwendigem Mittel im Überlebenskampf und von drive
by shooting“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 28).
Ob die Texte Ausdruck von Provokation sind oder aus dem realen Leben erzählen, ist nicht immer eindeutig erkennbar. Nach Meinung vieler Gangster-Rapper
spiegelt die brutale Sprache der Texte lediglich den normalen Alltag vieler Afroamerikaner bzw. Bewohner sozialer Brennpunkte wieder.
Hierzulande wird der Begriff Straßen-Rap häufig synonym für Gangster-Rap
verwendet. In den letzten zehn Jahren hat sich Gangster-Rap auch in Deutschland erfolgreich etablieren können. Vertreter des Genres konnten es sogar immer wieder an die Spitze der Charts schaffen. Vorzugsweise haben die deutschen Gangster-Rapper einen Migrationshintergrund und stammen aus den
sozialen Brennpunkten der Großstädte Berlin und Frankfurt. Die deutschen
Gangster-Rapper haben ihre amerikanischen Kollegen zum Vorbild und orientieren sich auch an deren Texten, denen sie im Bezug auf die Härte in nichts
nachstehen.
Auch in den Musikvideos der Künstler werden Gewalttaten, Macho-Attitüde und
Waffenbesitz inszeniert und verherrlicht.
21
Der nachfolgende Textauszug soll exemplarisch zur Verdeutlichung eines
Gangster-Rap-Songs dienen:
Den Kanaken-Slang nutzen wir zum Abziehen/
Machen hohen Umsatz mit Drogen und dem Schwachsinn/ […]
Und das ist kein Fluch, das ist Schicksal/
Wir Kanaken landen immer im Gerichtssaal/ […]
Nach einem Aufenthalt im Knast rapp ich nur noch für den Knast
(Massiv: Ghettolied, Blut gegen Blut, 2006)
3.4 Das Battle
Das Battle ist ein wesentliches und wichtiges Charaktermerkmal von Hip Hop.
Ausgehend von der Zulu Nation erlangten die Elemente von Hip Hop einen
wettkampfmäßigen Charakter. Die Idee war, die unterschiedlichen Hip Hop
Crews dazu zu bringen, die bisher gewalttätig ausgetragenen Wettkämpfe um
territoriale Macht durch die gewaltlosen Formen des DJing, Rap, Breakdance
und Graffiti abzulösen. Die Wut der jungen Menschen sollte von den Bandenkriegen in Richtung Musik, Tanz und Kunst kanalisiert werden. „In diesem gegenseitigen und gemeinsamen Wettstreit wurden die Ausdrucksformen der
HipHop-Kultur entwickelt und stilistisch verfeinert. Und bis heute ist das Battle
der Motor der Bewegung, der sie am Leben hält und von anderen Kulturen unterscheidet“ (LOH und VERLAN 2000, S. 57).
Diese Form des gewaltlosen Kampfes wird Battle genannt. Bei einem Battle hat
jeder Protagonist die Chance, sein Können zu demonstrieren, um anschließend
dem Kontrahenten die Gelegenheit zu geben, diese Darbietung zu überbieten.
Es findet also ein bewusster Wettbewerb statt.
Battles gibt es in jeder vier Disziplinen von Hip Hop: „Aber nicht nur die Rapper
wetteifern um die Gunst des Publikums, Battles gibt es auch im Breakdance,
unter DJs und Graffiti-Writern“ (LOH und VERLAN 2000, S. 57).
22
3.5 Hip Hop in Deutschland
Schon „[…] seit ungefähr 1983 etablierten sich auch die ersten HipHop-Szenen
in Europa“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 96) und somit auch in Deutschland.
Als dominantestes Element von Hip Hop hat sich Rap in Deutschland durchgesetzt. In den letzten 20 Jahren konnten sich Gruppen wie Fettes Brot, Freundeskreis, die Fantastischen Vier sowie Rapper wie Sido oder Bushido an die
Spitze der deutschen Charts setzten und mit ihren Alben Gold- und sogar Platinstatus erreichen. Heute gehört Hip Hop zum kulturellen Repertoire Heranwachsender wie kaum eine andere Jugendkultur in Deutschland.
3.5.1 Entwicklung von Hip Hop in Deutschland
Zu Beginn der Ausbreitung von Hip Hop in Deutschland entwickelten sich Hip
Hop-Szenen vor allem in „[…] jenen Städten, in deren unmittelbarer Nähe amerikanische Soldaten stationiert waren“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 98).
Die Soldaten brachten die deutschen Jugendlichen mit der neuartigen Kultur in
Kontakt. Die Heranwachsenden, die für Neues offen waren, experimentieren mit
den Elementen von Hip Hop herum, bis daraus schließlich die ersten deutschen
B-Boys, DJs, Rapper und Writer hervorgingen (die so genannte „Old School“
oder auch „Alte Schule“).
Mit der Zeit bildete sich langsam eine überschaubare Hip Hop-Community heraus, mit einer geringen Anzahl von Hip Hop-Aktivisten, die sich sehr stark an
der Hip Hop-Kultur der USA orientierten und diese imitierten.
Kern der nationalen Hip Hop-Bewegung bildeten zu diesem Zeitpunkt kleine
Veranstaltungen, sogenannte „Jams“( →), die sich über die gesamte Bundesrepublik verteilten und bei denen die Vertreter aller Elemente der Szene zusammenkamen, ihr Können unter Beweis stellten, sich austauschten und Kontakte
knüpften. „Jams waren Messen im doppelten Sinn des Wortes, man präsentierte sein Können und man maß sich im Battle mit anderen“ (LOH und VERLAN
2000, S. 104).
23
1991 veröffentlichte die Gruppe Fresh Familee den ersten deutschsprachigen
Rap-Tonträger. „‘Ahmet Gündüz‘ ist der erste deutschsprachige Rap auf Schallplatte, aufgenommen und veröffentlicht noch vor dem ersten Album der Fantastischen Vier“ (LOH und VERLAN 2000, S. 134).
Deren Debut kam jedoch etwas später im selben Jahr heraus. „Im August 1991
erschien ihre erste LP Jetzt geht’s ab bei Columbia/ Sony“ (LOH und VERLAN
2000, S. 134). Da die Fantastischen Vier einen Plattenvertrag mit einem MajorMusiklabel hatten und ihre Platte einen erheblich größeren finanziellen Erfolg
hatte, gelten sie fälschlicherweise allgemein als die Pioniere des Raps in deutscher Sprache.
Durch den kommerziellen Erfolg der Fantastischen Vier erlangte deutschsprachiger Rap eine große mediale Beachtung, wodurch das Tor zum finanziellen
Erfolg auch für andere Gruppen und Künstler geöffnet wurde. „Das bedeutete
langfristig auch für Gruppen aus dem Untergrund größere Plattenverkäufe und
ein verstärktes Medieninteresse“ (LOH und VERLAN 2000, S. 175 f.). Die Szene
vergrößerte sich deutlich und eine weitere Generation von Jugendlichen (die so
genannte „New School“ oder auch „Neue Schule“) entdeckte Rap für sich. Eine
Vielzahl neuer Gruppen und Solokünstler erhielt Plattenverträge und drängte mit
Veröffentlichungen von Tonträgern an die Öffentlichkeit.
In der Folgezeit entwickelte sich bis 1998 eine vielfältige, dynamisch ausdifferenzierte Szene, in der sich Zentren der deutschen Hip Hop-Kultur herausbildeten, die jeweils ihre eigenen Rapstile prägten und noch bis heute prägen.
Um das Jahr 2002 entstand in Berlin der deutsche Battle-Rap. Prominentester
Vertreter dieser neu entstandenen Gattung ist der Rapper Kool Savas, der
durch seine respektlosen, harten und mitunter vulgären Texte dem Rap aus
Deutschland eine neue Richtung gab. „Gleichzeitig wird (King) Kool Savas aber
auch als Wegbereiter einer sexistischen und homophoben Sprache in den HipHop-Texten benannt“ (GÜNGOR und LOH 2002, S. 215).
Berlin war bis zu diesem Zeitpunkt für Hip Hop nicht sonderlich interessant gewesen, was sich mit der schnell wachsenden Popularität des Battle-Raps rasch
ändern sollte. Battle-Rap wurde zum Aushängeschild von Berlin und die lokale
Szene vergrößerte sich enorm. Berlin wurde so zum absoluten Trendsetter und
24
zum Zentrum des Hip Hop in Deutschland, während andere etablierte Städte
wie Hamburg oder Stuttgart stark an Relevanz verloren, was sich bis zum heutigen Zeitpunkt auch nicht geändert hat.
Durch die harten und vulgären Texte des Battle-Raps wurde der Weg für den
bis heute sehr kommerziell erfolgreichen deutschen Gangster-Rap, von Künstlern wie Bushido oder Massiv, geebnet. Gangster-Rap bedient sich eines gewaltverherrlichenden, sexistischen, oftmals frauenfeindlichen und homophoben
deutschsprachigen Wortschatzes. „Seit sich die ‚neue Härte‘ in der Rap-BattleKultur durchsetzt, treten nicht nur gehäuft sexistische Metaphern auf, sondern
auch solche, die eine nichtheterosexuelle Lebensweise angreifen“ (LOH und
VERLAN 2000, S. 271).
Ebenfalls ausgehend von Berlin entstand zur selben Zeit der deutsche PornoRap. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) beschreibt die
Texte der Porno-Rapper als frauenfeindlich, sexistisch, rassistisch und gewalthaltig. Die Pornografie- und Gewaltinszenierungen der Rapper treffen auf die
zentralen Werte und Normen der Gesellschaft und stellen sie infrage. „Die pornographischen Texte sind schwer jugendgefährdend gemäß §15 Abs. 2 Nr 1
JuSchG. Sie rücken sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher Weise in den Vordergrund […]“ (CARUS 2008, S. 18 im PDF, online).
Exemplarisch soll der folgende Textauszug zur Verdeutlichung dienen:
Ich hab Aggro gegen Frauen/
Zieh dich nackt aus und fang an zu saugen/
Meine Wohnung soll sauber sein/
Nutte ich hab Hunger/
Nimm deinen Kochlöffel und koch mir endlich Hummer
(King Orgasmus, Gastbeitrag in: Sonny Black & Frank White: Drogen,
Sex, Gangbang, Carlo Coxxx Nutten, 2002)
In den Texten von Künstlern wie King Orgasmus One, Frauenarzt oder Bass
Sultan Hengzt werden Frauen als Sexualobjekte ohne eigene Wünsche dargestellt, deren Existenzberechtigung lediglich aus der Erfüllung der sexuellen Befriedigung der Männer resultiert. In den obszönen und pornografischen Songs
geht es vornehmlich um Sex und Körperlichkeit, wobei Vergewaltigungen
durchaus toleriert und mitunter sogar befürwortet werden. Viele der Texte sind
25
zudem einzig darauf ausgelegt Sexualpraktiken zu propagieren, die für Frauen
schmerzhaft sind wie z.B. eindeutig aus dem Song „Arschficksong“ von Sido
hervorgeht. Diese inhaltlichen Gegenstände sind besonders für heranwachsende, pubertierende männliche Jugendliche interessant und werden von ihnen
konsumiert.
3.5.2 Die lokale Szene
Wie in anderen Ländern, besteht „[…] lokaler Hip Hop [besteht] auch in
Deutschland aus einem Bündel ortsgebundener Szenen, die verschiedene
Räume der Stadt nutzen und durch ihren Bezug auf Wohnort und Nachbarschaft eine starke lokale Identität aufweisen“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 93).
Ganz gleich ob München, Kiel, Flensburg oder Stuttgart, fast jede Stadt in
Deutschland verfügt über eine lokale Hip Hop-Szene, die die verschiedenen
Ausprägungen von Hip Hop repräsentiert.
„Freilich ist die Lokalisierung von Popkultur an sich kein neues Phänomen. Jede
Strömung der Pop/ Rock-Musik hat bis zu einem gewissen Grad die Entstehung
lokaler Szenen und Stilvarianten initiiert. Doch die Aneignung der HipHopElemente ist in ihrer Reichweite und Nachhaltigkeit einmalig“ (ANDROUTSOPOULOS
2003, S. 12). Die lokalen Szenemitglieder sind oftmals untereinander be-
kannt und gut miteinander vernetzt. Häufig gibt es in der lokalen Umgebung Institutionen, wie Plattenläden, Jugendhäuser oder Clubs, welche verstärkt von
der Szene aufgesucht werden und als Treffpunkte dienen. Auf Hip Hop-Partys,
Konzerten oder Veranstaltungen kommt oft ein Großteil der Szene zusammen,
was zu einem verstärkten Einheitsgefühl führt.
So hat sich in Deutschland mit der Zeit eine mehrdimensionale Hip Hop- Szene
herausgebildet, in der es immer wieder zu Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnen Szenen kommt. „Kein Wunder,
daß die HipHopper selbst sich unter ‚deutschem HipHop‘ so recht nichts vorstellen können, erleben sie doch vornehmlich die Differenzen, die zwischen den
einzelnen städtischen Szenen und selbst zwischen einzelnen Stadtteilen bestehen“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 99).
26
Die lokale Verwurzelung der Künstler, aber auch die der Konsumenten, ist für
sie von großer Bedeutung. Die Vertreter der einzelnen lokalen Szenen identifizieren sich sehr stark mit ihren Wohnorten und repräsentieren ihre Heimatstädte
oder Stadtviertel. Die persönliche Umgebung fungiert somit als lokale Identitätsquelle, was die Rapper auch in ihren Songs thematisieren, was aus dem folgenden Rap-Song auf Seite 27 hervorgeht:
Das ist mehr als nur ne Heimat, mehr als eine Region/
Wir sind eher wie ein Land, mehr wie eine Nation/
R-U-H-R-P-O-T-T/
Wir haben lange genug die Fresse gehalten/
Kopf hoch meine Leute jetzt kommen bessere Zeiten für den/
R-U-H-R-P-O-T-T
(Snaga und Pillath: R-U-H-R-P-O-T-T, Aus Liebe zum Spiel, 2007)
Die Bedeutung der Herkunft der Künstler wird z.B. aus der Veranstaltung
Championsleague – Feuer über Deutschland ersichtlich, einem Battle, bei dem
sich Vertreter einzelner Städte zu Teams zusammenschließen, um repräsentativ für ihre Städte gegeneinander anzutreten. Es findet also ein Wettbewerb
statt, bei dem ermittelt wird, welche Stadt die besten Rapper der Bundesrepublik beheimatet.
3.6 Das Frauenbild
„HipHop ist – wie die meisten Popgenres – eine Männerkultur“ (LOH und VERLAN
2000, S. 258). In jeder der vier Ausprägungen von Hip Hop sind Männer überproportional stark vertreten. Zudem ist der Großteil der Konsumenten männlich.
„Viele Ausdrucksformen im HipHop sind ganz klar auf männliche Jugendliche
ausgerichtet […]“ (GEORGE 2002, S. 240). Das Frauenbild im Hip Hop wird somit
durch die überwiegend männliche Szene geprägt und es herrschen spezifische
Erwartungshaltungen an die Frauen vor.
Schon bei der Entstehung von Hip Hop hat sich ein typisches Frauenbild herausgebildet, welches im Laufe der Zeit seine negativen Züge verstärkt hat. Im
Gegensatz zu anderen Popkulturen und Musikrichtungen „[…] entstand Rap in
den Straßen der Ghettos, wo seit eh und je Macho-Werte regieren“ (GEORGE
2002, S. 239). Dieser Ursprung hat im Hip Hop zu einem Sexismus geführt, der
27
Frauen ganz bestimmte Rollen zuschreibt und sie oft nur auf ihr Geschlecht reduziert.
Vor allem durch Rap wurde ein ablehnendes Frauenbild und ein auf Männlichkeit ausgerichtetes Wertesystem kreiert. „HipHop ist eine patriarchal organisierte, männlich dominierte und sexistische Kulturpraxis, gekennzeichnet dadurch,
daß primär zwischen Mann und Nicht-Mann unterschieden und Weiblichkeit als
Projektionsfläche für männliche Phantasien begriffen wird“ (KLEIN und FRIEDRICH
2003, S. 206). Durch das Aufkommen von Gangster- und Porno-Rap, wurde
dieses misogyne Frauenbild noch erheblich verstärkt. „In den meisten Rapsongs tauchen Frauen entweder als Objekt männlicher Begierde oder Verachtung auf“ (LOH und VERLAN 2000, S. 260).
In vielen Songs, Videos und Zeitschriften werden Frauen oftmals nur als Befriedigung männlicher Begierde dargestellt und als Statussymbol gesehen, mit denen sich die Rapper schmücken und mit denen sie prahlen. Bei den meist
männlichen Konsumenten sind sexistische Musikvideos sehr beliebt, weswegen
Frauen in Videos oder Werbeanzeigen häufig in aufreizenden Posen und knappen Outfits auftauchen.
3.7 Kleidung und Mode
Kleidung und Mode sind im Hip Hop, wie in anderen Jugendkulturen auch, von
großer Bedeutung. Sie dienen einerseits als Abgrenzung zu anderen Jugendkulturen und zur Gesellschaft, „[…] zugleich aber auch, um Zugehörigkeit und
Individualität zu demonstrieren“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 36). Beim Tragen der Kleidung sind die Jugendlichen darauf bedacht, die Hip Hopspezifischen Konventionen einzuhalten. Wichtig ist dabei nicht nur was man
trägt, sondern auch wie Kleidung oder Accessoires getragen werden.
Anfänglich gab es im Hip Hop keine traditionell getragene Mode oder bevorzugte Marken. Heute ist es jedoch von Bedeutung „[…] welche Kleidung man trägt,
welche Marken man kauft, welchen Stil man ›fährt‹“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003,
S. 35). Vor allem durch Breakdance hat sich in der Entstehungszeit von Hip Hop
eine modische Richtung herausgebildet, die teilweise bis heute Bestand hat. So
28
ist die Betonung des Sportlichen dem Breakdance entsprungen. Um sich bei
den akrobatischen Einlagen gut bewegen zu können, trugen die ersten B-Boys
hauptsächlich Trainingshosen, T-Shirts und Turnschuhe. Die Graffiti-Writer trugen vor allem dunkle Kapuzenpullover, die beim Sprühen ihre Identität bewahren sollten. Diese modische Richtung hat bis zur Gegenwart seine Gültigkeit
behalten.
Heute hat sich schon fast eine standardisierte Hip Hop-Mode herausgebildet,
die ihren Anfang mit dem Beginn der Kommerzialisierung von Hip Hop in den
1990er Jahren genommen hat. „Der HipHop-typische Kleidungsstil besteht vor
allem aus extrem weiten, herunterhängenden Hosen, weiten, an Basketball erinnernden Shirts, Pullovern und Jacken, oft mit den Logos der gängigen Marken“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 36).
3.8 Der Sprachcode
„Sprache hat im HipHop – wie in keiner anderen Popkultur zuvor – zentrale Bedeutung, und dies nicht nur wegen des Sprechgesangs von Rap“ (KLEIN und
FRIEDRICH 2003, S. 37). Die Hip Hop-Kultur hat dabei einen ganz eigenen
Sprachcode und Sprachstil hervorgebracht. Sprache wird im Hip Hop nicht nur
zur Kommunikation genutzt, sondern dient vielmehr als Symbol, mit Hilfe dessen die Zugehörigkeit zur Szene hergestellt wird. Die Funktion von Slang und
umdefinierten Begriffen stellt dabei eine Abgrenzung zu anderen Jugendkulturen und generell zur Gesellschaft dar. Indem die Jugendlichen ihre Kenntnis des
Sprachcodes authentisch offenbaren, legitimieren sie ihre Zugehörigkeit zur
Szene.
„Vieles ist der englischen Sprache entnommen; HipHop ist neudeutsch“ (KLEIN
und FRIEDRICH 2003, S. 37). Bereits in ihrer Ausgangssprache haben die amerikanischen Hip Hopper einen eigenen gruppenspezifischen Wortschatz mit einer
Vielzahl von Slang-Begriffen entwickelt, der die Sprache für Außenstehende
und szenefremde Personen verschlüsselt. Dabei gibt es große regionale und
lokale Unterschiede. Viele dieser Begriffe wurden im deutschen Hip Hop übernommen, so dass der Anteil der Anglizismen im Sprachgebrauch deutscher Hip
Hopper besonders groß ist.
29
„Der Maler ist ein Writer, der Wettkampf ein Battle, der Tänzer ein Breaker oder
B-Boy. Versteht sich jemand mit jemandem gut, ist er down mit ihm. Abhängen
ist chillen, genießt jemand Anerkennung, hat er fame, und ist etwas richtig gut,
ist es ein burner, wenn nicht, dann ist es wack“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S.
37).
4 Analyse der Beobachtungsprotokolle
Im Folgenden werden die spezifischen Praktiken, Stile und Formen des Hip
Hop, die sich im Unterricht zeigen rekonstruiert. Dies geschieht anhand von Beobachtungsbeispielen, die Beobachtungsprotokollen entnommen wurden, welche Hedda Bennewitz und Michael Meier unter der Leitung von Georg Breidenstein im Rahmen des DFG-Forschungsprojekts „Jugendkultur in der Unterrichtssituation. Eine Ethnographie des Schülerhandels im Rahmen der Schulklasse“ im Zeitraum von 2001-2005 erstellt haben. In den Praktiken und Stilen
der Schülerinnen und Schüler spüre ich auf, in welchem Spannungsverhältnis
beide Bereiche zueinander stehen. Die in den Beobachtungsbeispielen auftauchenden Personen wurden zwecks Anonymisierung namentlich geändert. Die
Szenen, die ich im Folgenden vorstelle, wurden ausgewählt, da hier eine Verbindung zu Hip Hop deutlich wird.
4.1 Kleidung als Zuordnung zum Hip Hop
Kleidung und Mode dienen den Jugendlichen in Jugendkulturen dazu, ihre Zugehörigkeit auszudrücken. Weite, ausgebeulte Hosen, sogenannte „Baggys“
oder „Baggy-Jeans“, sind ein klares Erkennungszeichen für Hip Hopper. Durch
die Kleidung setzten sich die Hip Hopper optisch von der übrigen Gesellschaft
und anderen Jugendkulturen ab, während damit gleichzeitig ein Zusammengehörigkeitsgefühl symbolisiert wird. Teure Sportschuhe, die bereits genannten
Baggys, Sportbekleidung sowie T-Shirts und Sweatshirts mit großen Aufdrucken
bilden das „Standard Outfit“ eines Hip Hoppers. Aus unterschiedlichen Beobachtungsprotokollen geht hervor, dass sich eine Vielzahl von Jugendlichen im
30
Hip Hop-Stil kleiden. So zeigt es sich, dass Alexander, Gabriel und Jörn sich
Hip Hop-typisch kleiden.
Alexander trägt den klassentypischen Boys-Hip-Hop-Style in „seriösem“ Dunkelblau (Situationsquelle 11_III_AM_03_04_09).
Gabriel trägt klassentypischen Boys-„Hip Hop Style“. D.h. er trägt
einen beigen Pulli mit aufgenähtem tag (teuer!), blauer weiter Jeans
und grauen Skateboardschuhen. Lange Kabel hängen aus seinem
Pullikragen herunter und laufen bis zur rechten Hosentasche, die
sich Walkman-ähnlich ausbeult (Situationsquelle
11_III_AM_03_04_09).
Jörn trägt einen weiten, dunkelblauen Pulli von és, die Hose kann
ich nicht eindeutig klassifizieren. Er hat ein Cap, dessen Deckel offen ist. Es lässt sich schnell mittels Klettverschluss öffnen und
schließen (und erinnert stark an die Caps, die man in den späten
80gern beim Tennisspielen trug – eine Kreuzung aus Stirnband und
Sonnenschutz). Das Cap ist von 2pac. […] Dieses Cap trägt er um
den Hals, so dass der Schirm des Caps das teure Label von és verdeckt. Sören trägt eine hellblaue Jeansjacke von sancezz, die leicht
silbrig schimmert. Ein hellblaues Cap von carrhartt, darunter blitzt
ein Tshirt von Fila auf (weiß). Die weite Hose (auf Hüfte) ist vermutlich auch von carrhartt (Situationsquelle 10_III_AM_03_04_02).
Das Tragen von Caps14 ist bei Hip Hoppern allgemein weit verbreitet. Dabei
werden heute vornämlich Baseballcaps der Firma New Era getragen. Zum Erhebungszeitpunkt der Beobachtungsprotokolle waren die in dieser Szene beschriebenen offenen Caps aus dem Tennissport jedoch deutschlandweit sehr
angesagt und „trendy“. Heute werden sie allerdings nicht mehr getragen.
Beim Tragen eines Caps kommt es nicht nur darauf an, welches Cap man trägt,
sondern besonders auch wie man es trägt. Ein Cap wird im Hip Hop häufig etwas schief oder mitunter sogar verkehrt herum getragen. Jörn zeigt, dass er
den Dresscode von Hip Hop kennt, indem er sein Cap um den Hals trägt. Durch
das „richtige“ Tragen eines Caps beweist man „Realness“15 (→) und zeigt, dass
man den Hip Hop-typischen Kleidungscode kennt.
Auch Marc, Ulf und Niklas kleiden sich im Hip Hop-Look, wie aus den folgenden
Szenen hervorgeht.
Marc trägt einen schwarzen Pulli von ECKŌ, schwarze HiphopSchuhe (Situationsquelle 2_IV_AM_04_06_03).
14
15
Cap = Schirmmütze.
Realness = Echtheit, Authentizität.
31
Ulf heute ganz in blau: Ich sehe einen Hiphop-Marken-Sweater, eine
jeansähnliche Jacke (etwas weiterer Schnitt, dunkleres Blau ohne
Faserstruktur), eine weite dunkle Jeans. Seine Haare sind kurz und
dunkel (gefärbt). Seine Uhr ist eine dicke G-Shock mit blauem Armband. […] Marc trägt ein graues Diesel-T-Shirt. Dazu eine blaue weite Jeans (im Hip-Hop-Style). […] Niklas trägt ein weinroten Sweater
mit von dick bestickten tag (einer Hip-Hop- bzw. Skateboard- Firma)
(Situationsquelle 14_III_AM_03_05_14).
Es ist auffällig, dass die Schüler, die sich optisch in die Klassifikation Hip Hop
einordnen lassen, durchweg männlich sind. Dadurch zeigt sich, dass sich der
allgemein im Hip Hop gültige Geschlechterverteilungsschlüssel auch auf die
beobachte Klasse übertragen lässt.
Mode stellt für die Jugendlichen einen elaborierten Code dar, mit Hilfe dessen
sich Szenemitglieder erkennen können. Mit dem Hip Hop-spezifischen Kleidungsstil grenzen sich die Heranwachsenden von ihren Peers ab, grenzen aber
auch Jugendliche, die sich anders kleiden, aus.
Mir ist aufgefallen, dass die Jungs – wenn man von Timo und Hans
einmal absieht – sich klamottentechnisch im Einheitslook bewegen:
Sweat von trendigen Skateboard /HipHop-Firmen (wie z.B. és), blaue
weite Jeans dazu (auf Hüfte getragen), weiße oder graue dicke
Schuhe (Situationsquelle 4_III_AM_03_03_142).
Die Kleidung und spezifischen Marken sind Symbole für die Zugehörigkeit zu
einer bestimmten Gruppe, welche ihr „Wir-Gefühl“ aus der Abgrenzung gegen
andere bezieht. Aus den Beobachtungsprotokollen wurde jedoch nicht ersichtlich, ob es wirklich zu solchen Ausgrenzungen gekommen ist. Aus der folgenden Szene geht sogar hervor, dass es in der Klasse szeneübergreifende
Freundschaften gibt.
Konstantin will von mir wissen, was ich von diesen weiten Hosen
halte, die „bis auf die Spalte runterhängen“. Nein, er hält auch nicht
so viel davon, das sind ja mehr die „HipHop-er“, die so etwas tragen.
Tom ist HipHop-er, aber er ist trotzdem sein Freund (Situationsquelle 02AG_01_10_15).
Zur Jahrtausendwende und in den Jahren danach hatte Hip Hop in Deutschland
eine Hochphase. Die Mode der Jugendlichen wurde in dieser Zeit stark durch
Hip Hop und die damit verbundenen Marken geprägt. Da Markenkleidung bei
Heranwachsenden häufig zu einem Gruppenzwang führen kann, kommt es zu
32
„Mitläufern“, die nicht wirklich der Szene angehören, sondern sich nur nach der
vorherrschenden Mode kleiden.
„Und so legen nicht wenige HipHopper Wert auf coole Klamotten, zum einen,
um damit anzugeben, zugleich aber auch, um Zugehörigkeit und Individualität
zu demonstrieren. Auch im HipHop ist Kleidung der Garant für die Authentizität
ihres Trägers“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 36).
Zu den wichtigsten Idealen im Hip-Hop gehört nämlich Realness, d. h. Ehrlichkeit und Authentizität. Realness kann also auch über Kleidung hergestellt werden. Wenn jedoch, wie aus dem Protokoll hervorgeht, fast alle männlichen Jugendlichen Hip Hop-Mode tragen, ist es für den einzelnen „wahren“ Hip Hopper
nicht mehr möglich Authentizität und Realness durch seine Kleidung auszudrücken. Er muss also versuchen, Realness auf anderen Wegen, wie dem CoolSein, zu produzieren.
4.2 Rekonstruktionen von Stilen und Praktiken des Hip Hop
In der Unterrichtssituation zeigen sich eine Reihe von Praktiken und Stilen des
Hip Hop. Dabei ist bei einigen Jugendlichen kontinuierlich ein Hip Hoptypisches Verhalten beobachtbar, während es bei anderen nur sporadisch
sichtbar wird. Tom ist ein Schüler, der immer wieder Praktiken des Hip Hop
zeigt. Leider ist er zum Ende der Beobachtungen nicht mehr Mitglied der Klasse. Ansonsten wäre seine Entwicklung ein interessanter Fokus gewesen.
Tom ist ein ambitionierter Graffiti-Writer, was aus diversen Beobachtungsprotokollen hervorgeht. Einen Großteil der Zeit des Unterrichts verbringt er damit zu
Taggen, Skizzen oder „Sketches16“(→) anzufertigen.
Tom malt abstraktes Zeug: tag, tag, tag, tag, tag über tag. Ich sehe
Strukturen, aber vor allem viel Rauschen, es wirkt flächig wie ein
Teppich, was er da malt. Immer wieder (Heftdeckel, Heftrücken,
Etui, Papiere) (Situationsquelle 4II_AM_02_05_07).
16
Skizzen oder schnelle Ideenmuster auf Papier können auch vollfarbig und sehr aufwendig
sein.
33
Beim Taggen geht es dem Writer darum, sein Kürzel oder Akronym mit einer
hohen Frequenz an möglichst vielen Orten zu hinterlassen. Für nichteingeweihte Personen, die der Hip Hop Kultur fremd sind, sind Tags unverständliche
Schmierereien. Szenenintern kann ein Writer jedoch auf diese Art einen hohen
Grad an Anerkennung und Respekt erlangen. Tom zeigt beim Taggen auf seine
Schulutensilien ein gängiges Hip Hop-typisches Verhalten.
Graffiti Writing ist ein Element von Hip Hop, das sehr kostspielig ist. Die Jugendlichen geben häufig ihr gesamtes Taschengeld für Equipment wie Sprühdosen, Filzstifte, Feinliner und Permanent-Marker aus.
Innerhalb dieses Gesprächs zeigte Tom Michael seine professionellen Grafikstifte, auf Michaels Frage was so einer den kostet, nannte
er einen Preis von 12 DM (Situationsquelle 22AMI_01_12_13).
Tom gibt viel Geld für Stifte und Marker aus und legt somit Wert auf gutes
Equipment, was zeigt, dass Graffiti Writing bei ihm einen herausragenden Stellenwert einnimmt und seine Realness unterstreichen soll.
Auch anhand der folgenden Szene zeigt sich, dass Tom das Graffiti Writing
sehr ernst nimmt und es für ihn mit einem hohen finanziellen Aufwand verbunden ist.
Ich bleibe bei Tom stehen […] und ich erfahre, daß er eine 1 in
Kunst anstrebt und daß er Graffiti macht, legal und auch illegal. Alle 2 Wochen, wenn er das Geld für die Spraydosen zusammen
hat, zieht er los (Situationsquelle 18AM_01_11_29).
Tom versteht Graffiti Writing nicht als Vandalismus, sondern als eine Kunstform
und sieht sich selbst als Künstler. Wahrscheinlich ist das Fach Kunst für ihn
deshalb sehr bedeutsam. Hier kann er seine Zeichenfähigkeiten, sein Gespür
für Farben und Kompositionen unter Beweis stellen. Eine Eins und somit die
Höchstnote in Kunst zu erreichen, unterstreicht seine künstlerischen Fähigkeiten.
Das Taggen oder das Anfertigen von Skizzen und Sketches ist eine Praktik des
Hip Hop, die sich in den Beobachtungsprotokollen am häufigsten wiederfindet.
Es tauchen immer wieder Szenen auf, in denen verschiedene Jugendliche beim
Taggen beobachtet werden. Besonders häufig zeigt sich diese Praktik bei Tom.
34
Fr. Uhl führt weiter aus, dass alle 2 cm ein Strich erfolgen soll. […]
Tom malt was ganz anderes; es sieht aus wie ein Totenkopf auf einem Stiel im Schnitt. […] Tom hört immer noch laut Musik, hat jetzt
aber seine Ohrhörer drin. Mittlerweile malt er ganz abstrakte Sachen.
[…] Tom malt weiterhin (in dem fieldnote steht: tapfer) tags und hört
Musik (Situationsquelle 22/23.04.02).
Tom widersetzt sich klar den Anweisungen seiner Lehrerin, wobei er ihren Arbeitsauftrag schlichtweg ignoriert. Stattdessen geht er seiner Leidenschaft, dem
Graffiti-Zeichen, nach. Das Anfertigen von Graffitis stellt für ihn einen Reiz dar,
dem er sich nicht entziehen kann. Diese Anziehungskraft geht klar zu Lasten
seiner Mitarbeit am Unterricht. Tom kapselt sich völlig vom Unterricht ab, indem
er Musik (höchstwahrscheinlich Rap-Musik) hört und Graffitis zeichnet. Hip Hop
kann ihm dabei so etwas wie einen „Schutzraum“ bieten, in den er sich zurückziehen kann, wenn er eine Auszeit von den Verhaltenserwartungen und Regelvorgaben benötigt, die von seiner Schülerolle ausgehen.
Neben Tom geht auch Ulf der Praktik des Zeichnens von Graffitis in mehreren
Szenen nach.
Ulf malt „Graffiti“. Fr. Ritter tritt von hinten an ihn heran, fragt ihn, was
das soll. Er darauf: Wir sollen malen, für Geographie. Fr. Ritter sagt
dann zu Ulf, dass sie diesbezüglich bei ihrer Kollegin nachfragen
werde. Ulf darauf: „Ja Asien! Das Meer sollen wir malen.“ Sein Gemälde entpuppt sich später, als die Lehrerin längst wieder weg ist, als
der Schriftzug: „Mr. Anonymus.“ (Situationsquelle 22/23.04.02).
Ulf ist sich bewusst, dass das Zeichnen von Graffitis im Unterricht nicht gestattet ist und so schreckt er nicht davor zurück seine Lehrerin anzulügen, um mit
einer geschickten Ausrede den drohenden Konflikt abzuwenden.
Ulf holt eine Reihe von Stabilo-Stiften heraus und malt (tags). […]
Ulf tagt desinteressiert vor sich hin. Hr. Hansen läuft durch die Klasse und beobachtet das Abschreiben. Er tritt von hinten an Ulf heran,
sieht ihn tags malen, beugt sich herab und kritzelt mit seinem Füller
über seine Zeichnung: „ich muss auch mal malen!“ Ulf quietscht
„Ey!“ und packt dann seinen Zettel weg. Hr. Hansen bleibt stehen
und nimmt Ulf ins Gebet: Dir fehlt auch noch vieles... Ulf widerspricht, sagt „nein“, das wäre nicht die Hausarbeit und zeigt ihm eine
andere Seite (als die zuvor aufgeschlagene) im Hefter. Hr. H. runzelt
kritisch-ungläubig die Stirn, bleibt aber nett und geht dann weiter. Ulf
tagt sofort erneut – die anderen am Tisch schreiben ab. […] Ulf greift
nun zu einer neuen Farbe und tagt weiter. […] Ulf tagt erneut, zuvor
war es eckig, jetzt schwungvoller. […] Ulf wechselt den Stabilo-Stift,
greift jetzt zu dickeren, malt tags. […] Ulf ist mittlerweile bei der dritten Farbe: zuerst schwarz, dann rot und nun hellblau (Situations-
35
quelle 3_IV_AM_04_06_07).
An dieser Szene zeigt sich, dass Ulf das Graffiti Writing ernst nimmt und sich
selbst durch ein explizites Verbot seines Lehrers nicht davon abbringen lässt.
Dabei untergräbt er die Autorität des Lehrers und verstößt klar gegen die Ordnung des Unterrichts.
Auch Alexander zeigt eine Verbindung zu Hip Hop, indem er in der folgenden
Szene eine bereits benotete Klassenarbeit mit Graffitis überzieht.
Alexander tagt mal hier mal da, bis ihm sein Deutschtest in die Hände fällt: 2 von 20 Punkten, die fein säuberlich in rot am rechten Rand
des Blattes niedergeschrieben sind. Alexander nimmt einen rosa
Stift und schreibt über die erste Randnotiz 0/2 ein F-ähnliches Gebilde. Darunter 0/2 ein neues, japanisches-Schriftzeichen-ähnlichesDing. So geht das die nächsten Zeilen runter 0/2, 0/2, 1½/2, ½/2, die
drei 0/2 sind von oben nach unten durchgestrichen. In einer nächsten Bewegung geht Alexander dazu über, den ganzen Test zuzutagen (1, 2) (Situationsquelle 2_IV_AM_04_06_03).
Das bei Alexander zu beobachtende Verhalten ähnelt stark dem „Bombing“
(→), einer Form des Graffiti-Writing, bei der nicht die Qualität des Graffitis im
Vorderrund steht, sondern die Quantität. Alexander scheint mit seiner im Test
erbrachten Leistung nicht zufrieden zu sein. Durch seine „Verschönerung“ wird
aus dem schlechten Test eine Art Kunstwerk. Alexander produziert so aus etwas Negativem etwas Positives. Fraglich ist, ob Alexander genauso mit dem
Test umgegangen wäre, wenn er besser abgeschnitten hätte.
Auch bei Lennart lässt sich die Praktik des Zeichnens von Graffitis beobachten.
Frau Bock geht umher, bleibt bei Till stehen und guckt, was Till so
macht. Kurzer Smalltalk.
Dann kommt sie rüber zu Lennart und sieht, dass er mit tag-malen
beschäftigt ist (Situationsquelle 6_III_AM_03_03_20).
Beim Zeichnen von Graffitis verlassen die Heranwachsenden die ihnen zugedachte Schülerrolle. Sie widersetzten sich den an sie gerichteten Verhaltungserwartungen und Regelvorgaben, was zu Spannungen mit der Ordnung des
Unterrichts führen kann.
36
Aus der folgenden Szene geht hervor, dass sich sogar bei weiblichen Jugendlichen, die sonst in keinerlei Verbindung zu Hip Hop zu stehen scheinen (jedenfalls geht dies nicht aus den Beobachtungsprotokollen hervor), die Praktik des
Taggens beobachten lässt.
Sie [Janne, Anmerkung des Verfassers] kramt dann in ihrer Tasche
herum und holt einen Zettel raus. Auf diesem ist ein tag in rosa zu
sehen. Sie nimmt einen rosa Stift zur Hand und malt an dem tag weiter herum […] Britta malt gedankenverloren tags. (Situationsquelle
13_III_AM_03_05_08).
Das Taggen und Anfertigen von Skizzen kann auch als eine Möglichkeit zum
Umgang mit Langeweile gesehen werden. „[…] Graffitizeichnen von Schülern
etwas gilt ihm [Fichten, Anmerkung des Verfassers] einerseits als Ausdruck von
Langeweile im Unterricht und darüber hinaus gar als eine Form der ‚Schul- und
Unterrichtskritik‘“ (BREIDENSTEIN zitiert nach FICHTEN 1993, S. 151).
Dies gilt jedoch nicht nur für das Anfertigen von Graffitis, sondern für das
Zeichnen allgemein. Janne und Britta zeichnen jedoch bewusst Tags, was ein
Rückschluss auf den Einfluss von Hip Hop ist.
Das Zeichnen von Graffitis stellt wahrscheinlich die am häufigsten beobachtete
Praktik von Hip Hop dar, allerdings sind Praktiken wie Rap oder Breakdance im
Unterricht auch schwer umzusetzen. Für das Anfertigen von Graffitis bietet der
Unterricht jedoch gute Voraussetzungen. Papier und Stifte sind immer verfügbar, so dass die Jugendlichen den gesamten Unterrichtsverlauf über dem Taggen nachgehen können.
4.2.1 Performativität
Das Graffiti-Writing ist Teil und Ausdruck der Kultur Hip Hop. Seine Erfahrbarkeit besteht in dem Erstellen von Schriftzügen. Tom wiederholt diese Erfahrung
ständig in dem Bestreben, die Qualität seiner Schriftzüge zu verbessern und
mittels der Quantität seiner Werke den Bekanntheitsgrad in der Jugendkultur zu
erhöhen.
37
Tom sucht nach Anerkennung, einer Wertschätzung innerhalb der Klasse und
die emotionale Zuwendung seiner Peers für seine gezeigten performativen
Leistungen.
Ich höre von Konstantin: „Der hat zu viel Stil der Mann!“ (Situationsquelle 11AM_01_11_05).
Durch das permanente Malen und Zeichnen von Graffitis erhält Tom die Aufmerksamkeit seines Mitschülers Konstantin. Damit untergräbt er die Ordnung
des Unterrichts, indem er Konstantins Interesse vom Gegenstand des Unterrichts ablenkt. Konstatin zeigt für die performative17 Leistung von Tom jedoch
keinerlei Wertschätzung, sondern kommentiert sein Werk mit einer ironischen
Äußerung. In diesem Fall misslingt der performative Akt von Tom als real wahrgenommen zu werden.
Respekt, Anerkennung und Fame sind Auszeichnungen, nach denen jeder Hip
Hopper strebt. Dafür ist eine öffentliche Wahrnehmung und die Resonanz eines
Publikums unabdingbar. Um seinen performativen Akt zum Erfolg zu führen,
muss Tom sich die Bestätigung und Anerkennung seines Publikums einholen.
Tom zeigte schon in der Frühstückspause eine selbst gezeichnete
Grafik von einem Samurai in Kampfstellung, diese Grafik war sehr
beeindruckend, sie wurde auch von Michael und einigen Klassenkameraden Toms genügend gewürdigt (Situationsquelle
22AMI_01_12_13).
Tom stellt seine Zeichnung, mit der Intention Anerkennung und Fame zu erlangen und seine performative Leistung bestätigen zu lassen, öffentlich zur Schau.
Auch aus der nächsten Szene geht erneut hervor, dass Tom sich der Resonanz
eines Publikums (in diesem Fall stellt der Ethnograph das Publikum dar) aussetzt, wobei er auf Anerkennung seiner Fähigkeiten aus ist.
Tom fragt mich, was ich von seinen Tags halte und ich zolle ihm ehrliche Anerkennung. Ich frage, ob ich mir etwas aus seinem Buch fo17
In meiner Ausführung verwende ich den Begriff Performativität nicht in seinem ursprünglich
sprachtheoretisch begründeten Sinn, sondern in seiner kulturtheoretischen Deutung. Als kulturwissenschaftlichen Begriff betont Performativität „[…] den konstitutiven Charakter sozialer Handlungen. In dieser Konstitution bezeichnet das Performative sowohl das Gelingen sozialer Prozesse, wie auch deren Veränderbarkeit, Fragilität und Scheitern, das dann wieder zu neuen
Wirklichkeiten führen kann“ (Wulf et al. 2001, S. 12).
38
tokopieren darf. Nein das geht nicht, es handele sich um das „TagBuch“ eines Freundes, das auch z.B. die Polizei nicht in die Hände
bekommen darf. Es funktioniert „wie ein Poesie-Album“ erklärt Tom:
Jeder malt ein oder zwei Tags hinein. Ich frage Tom, ob er das in
der Schule mache. Nein diese nicht! Er weist mich auf das weiße
Tag mit dem gesprenkelten Hintergrund hin, so etwas könne er nur
zuhause machen. In der Schule seien nur einfache Sachen möglich,
er zeigt mir eine Seite, die auf den ersten Blick wie Kritzelei aussieht, es handelt sich wohl um rasch skizzierte Tags. (Situationsquelle 12II_AG_02_05_24).
Tom präsentiert sein Können und erhält dafür eine positive Rückmeldung seines Publikums, wodurch sein performativer Akt gelingt.
Aus einem Protokoll geht hervor, dass Alexander, Niklas und Ulf sich zu einer
Hip Hop-Gruppe zusammenschließen wollen.
Dann geht es darum, dass Alexander, Niklas und Ulf zusammen rappen wollen (als Projekt). Ulf mache die beats, der Rest rappe dazu,
so der Konsens (Situationsquelle 3_IV_AM_04_06_07).
Wenn die Jugendlichen real sein wollen, sind sie dazu aufgefordert kreativ und
aktiv zu sein. „HipHop ist performativ, eine Kultur des Machens und Produzierens“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 38). Eine reine Konsumhaltung reicht im
Hip Hop nicht aus, um sich als Mitglied der Hip Hop-Szene zu fühlen oder dort
Akzeptanz zu erzielen. Anerkennung und Respekt erlangt man in der Szene nur
durch Engagement, was wiederrum die performative Ausrichtung von Hip Hop
unterstreicht.
4.2.2 Cool-Sein
Tom zeigt die Hip Hop typischen Muster von Cool18-sein. Sein Habitus und Verhalten, seine Körperhaltung und seine Sprache zeigen die charakteristische Hip
Hop-Attitüde, die sich durch seine Sozialisation in der Hip Hop-Szene herausgebildet hat.
18
Der Begriff cool steht historisch für ein neues Selbstbewusstsein der Afroamerikaner. „Als
ästhetische Praxis, die gleichzeitiges Entspannt-Sein bei absoluter Selbstkontrolle als Zeugnis
von Freiheit zum Ausdruck bringen sollte, wurde Cool-sein ab den 1950er Jahren in der schwarzen Jazz-Szene virulent. Cool war und ist der innerhalb einer Gruppe anerkannte Distanzierte,
der signalisiert, alles im Griff zu haben, zugleich ist der Begriff als typisch männlich codiert“
(Friebertshäuser 2005, S. 132).
39
Tom wirkt auf mich sehr unaufmerksam und verschlossen, er beteiligt sich nicht an den Gesprächen am Tisch, sucht auch nicht ein
Gespräch mit Tobias oder Christoph (Situationsquelle
22AMI_01_12_13).
Er zeigt eine spärliche Gestik und Mimik, eine introvertierte Körperhaltung und
gibt sich relaxt, ruhig und gelassen, wobei er sich von seinem Umfeld distanziert
und sich überhaupt nicht an den Gesprächen und Späßen an seinem Tisch beteiligt. „Cool im HipHop meint [hingegen] eine gefühlte Distanz zu den Reaktionen des Umfelds. Die entsprechende Gestik und Mimik ist spärlich, die Körperhaltung introvertiert, die Bewegungen reduziert, langsam und entspannt“ (KLEIN
und FRIEDRICH 2003, S. 43).
Dann dreht sich Tom wieder um. Er hat einen Bleistift in der Hand
und kritzelt viel auf seinem Hefter rum, der schon total voll mit tacks
ist (tecks?). Sein Nachbar spricht ihn an, Tom bleibt cool. Auf die
Frage des Jungen, was er da male oder was da gemalt sei antwortet
Tom: „Weeß ich doch nich“. Dabei wiegt er seinen Kopf zu einem unhörbaren Rhythmus. Viele Kinder lachen und haben Spaß im Unterricht, die Beteiligung ist recht groß. Tom ist unbewegt und unbeteiligt,
distanziert (Situationsquelle 19AH_01_12_04).
Tom gibt sich bewusst cool und verhält sich ganz dem Hip Hop entsprechenden
Muster. Seine desinteressiert wirkende Haltung kann dabei Ausdruck des CoolSeins sein. Mitwirkung im Unterricht betrachtet Tom eventuell als uncool, weshalb er sich lieber der Verfeinerung seines „Styles19“ widmet.
Auch aus einer weiteren Szene geht hervor, dass Tom das Cool-Sein verinnerlicht hat und auch nach außen trägt.
Ich sehe, dass Tom seinen Walkman im Ohr hat! Ich kann es kaum
glauben! Er lässt sich in aller Ruhe von Klaus filmen (Situationsquelle
22/23.04.02).
Ein Attribut wodurch sich Cool-Sein äußert ist, dass man sich von nichts aus
der Ruhe bringen lässt und sich stets gelassen und gleichgültig gibt. „Als cool
gilt, wer sich nicht anstrengt, sich entspannt gibt, egal, was passiert“ (KLEIN und
FRIEDRICH 2003, S. 43). Tom scheint es egal zu sein, dass er während des Unterrichts beim Musikhören gefilmt wird. Es kann sogar sein, dass er diese Situa-
19
Englisch „style“ = Stil, Stilart, Ausdrucksweise.
40
tion dazu nutzt, um seine Coolness zu demonstrieren und sein Verhalten vorsätzlich inszeniert.
Auch aus weiteren Szenen geht hervor, dass Tom anscheinend häufig während
des Unterrichts Musik hört und sich damit bewusst gegen eine Mitwirkung im
Unterricht entscheidet.
Ich wundere mich über ein durchdringendes metallenes Geräusch,
das den Lärmpegel durchdringt. Es muss sich um einen Walkman
handeln. Ich entdecke Tom, der Stöpsel in den Ohren hat. Er sitzt allerdings zwei Tische entfernt, muss also eine ziemliche Lautstärke
drauf haben (Situationsquelle 6II_AG02_05_08).
Dennoch bin ich etwas verwundert, Toms Walkmann durch die
Klasse plärren zu hören. (Situationsquelle 7II_AM_02_05_14).
Dies kann eine Inszenierung seiner Coolness sein und der Herstellung von Realness dienen. Tom zeigt damit, dass er sich absichtlich der Ordnung des Unterrichts wiedersetzt und nicht mitarbeitet, sondern sich stattdessen vom Unterricht distanziert und abgrenzt, indem er Musik (wahrscheinlich Rap-Musik) hört.
Er nimmt dabei eine Art „Avantgarde-Haltung“ ein, die für Hip Hop sehr typisch
ist.
Cool-Sein ist aber auch eine Inszenierungspraxis, die durch das Tragen der
richtigen Kleidung und Accessoires unterstützt wird. Dabei kommt es nicht nur
darauf an, welche Klamotten und welche Marken man trägt, sondern auch, wie
dies geschieht.
Ulf wirkt deutlich cooler auf mich, als er es in der letzten Erhebung
tat. Er trägt nun einen dunkelblauen Marken-Hip-Hop-Pullover mit
dick aufgesticktem Schriftzug (teuer), dazu eine blaue weite Jeans,
Hip-Hop-Schuhe (dick gepolstert, grau), zwei Ohrhörer hängen aus
seinem Pulli (aus dem Ausschnitt) tief herab (Situationsquelle
7_III_AM_03_03_24).
Auch der Ethnograph stellt fest, dass Ulf durch seine Kleidung cooler wirkt. Die
Kopfhörer, die scheinbar versehentlich aus dem Ausschnitt seines Pullovers
heraushängen, sind wahrscheinlich ein bewusst eingesetztes Stilmittel, um das
Cool-Sein zu unterstreichen und können eine vorsätzliche Inszenierung darstellen.
41
Aus einer anderen Szene geht ein Verhalten hervor, dass als eine Ausprägung
von Cool-Sein interpretiert werden kann.
Frau Bock geht umher, bleibt bei Till stehen und guckt, was Till so
macht. Kurzer Smalltalk. Dann kommt sie rüber zu Lennart und
sieht, dass er mit tag-malen beschäftigt ist. Frau Bock fragt ihn, ob
er schon fertig ist. Lennart darauf: „Ich kann das nicht.“ Bernd reagiert sofort und wirft entschuldigend ein: „Da war er nicht da.“ –
„Hast Du schon die Tabelle gemacht?“, setzt Frau Bock nach. Dies
muss Lennart verneinen. Frau Bock resümiert: „Es gibt einen
Unterschied zwischen ‚kann ich nicht’ und ‚will ich nicht’... Du musst
dann auch damit zufrieden sein, was du dann darauf kriegst.“ Lennart: „Joa.“ und malt seelenruhig weiter (Situationsquelle
6_III_AM_03_03_20).
Die Mitwirkung im Unterricht könnte von Till als uncool klassifiziert werden.
Eventuell hat sich bei ihm die Vorstellung stilisiert, dass er es nach szenespezifischen Vorbildern unabhängig von einer guten Schulbildung zu beruflichem
Erfolg bringen kann. Till zeigt durch seine gleichgültig wirkende Äußerung und
sein Verhalten (einfach weiter zu Taggen), dass er sich nicht durch schulische
Autoritäten und die Erwartungshaltung der Lehrerin aus der Fassung bringen
lässt. Seine Gelassenheit könnte dabei eine Inszenierung von Cool-Sein darstellen.
Diese Gelassenheit in Form von Gleichgültigkeit wird auch bei Tom in einer anderen Szene deutlich.
Tom lehnt sich kurz zurück mit einem Ausdruck der Ratlosigkeit im
Gesicht. Dann nimmt er sein Etui, holt einen Papierstreifen mit einigen Schriftzeichen („tags“) heraus, rollt diesen auf und steckt ihn zurück in das Etui. Jetzt legt Tom den Aufgabenzettel der Mathearbeit
weg, oben rechts in die Ecke des Tisches, er scheint (relativ plötzlich) damit abgeschlossen zu haben (das berühmte „ich habe fertig“
des Giovanni Trappatoni fällt mir dazu ein.) 7.58 Uhr: Tom schlägt
das „Buch“, das noch auf seinem Tisch lag, auf . Einige Seiten sind
leer, einige sind mit „tags“ gefüllt. Tom schlägt zielstrebig eine Seite
mit einem fast blattfüllenden Tag auf: schwarze Umrisse, hellbraun
ausgemalt. Tom zeichnet mit schwarzem Edding einige Linien nach.
Er verstärkt dabei bestimmte Linien etwas, so dass er leichte Schattenwirkungen erzielt […] Als er zurückkommt, sehe ich, dass er einen rosa Buntstift angespitzt hat, mit dem er sich jetzt an die weitere
Kolorierung des Tag macht. Braun und rosa – das finde ich gewagt,
aber auch bemerkenswert. Schließlich beginnt Tom auf dem gleichen Blatt noch ein neues Tag zu skizzieren. Wie er sicher und ruhig
aber ohne zu zögern seine Linien setzt wirkt sehr routiniert. 8.15
Uhr: Die Lehrerin spricht laut: „Werdet fertig!“ Es wird sofort unruhig.
Rascheln, zusammenräumen und letzte Verständigungsversuche.
Daniel nimmt Toms längst nicht mehr beachtete Mathearbeit mit
42
nach vorne (Situationsquelle 12II_AG_02_05_24).
Obwohl Tom noch über eine Viertelstunde Zeit zum Bearbeiten seiner Mathematikarbeit hat, zeigt er keinerlei Interesse daran sich mit den Problemen der
Arbeit auseinanderzusetzten oder jedenfalls den Versuch zu unternehmen,
Aufgaben zu lösen. Stattdessen wendet er sich lieber seinem Blackbook20 [→]
zu und beginnt eine Skizze zu vervollständigen. Eventuell kann dieses, für Außenstehende nicht nachvollziehbare Verhalten, Ausdruck seiner Coolness sein
und der Herstellung von Realness dienen. Seine schulischen Leistungen scheinen Tom nicht sonderlich zu interessieren. Schulischer Erfolg und Graffiti Writing scheinen in einem Interessenkonflikt zu stehen, der bei Tom zu Gunsten
des Zeichnens von Graffitis ausgeht.
4.2.3 Das Frauenbild
Aus den Beobachtungsprotokollen geht hervor, dass das Frauenbild einiger
Jugendlicher eventuell durchaus durch die misogynen und sexistischen Texte
diverser Rapper beeinflusst wird.
In der Pause, lässt mich Alexander wissen, er würde mir was voll
krasses vorspielen. „Aber für die Musik brauchen Sie starke Nerven!“
Ich bitte Alexander mir eine Liste vom deutschen Underground zu
geben, was er auch brav tut. Ich schiebe ihm meinen Zettel rüber, wo
ich ein kleines Kästchen reingemalt habe, da soll er es reinschreiben.
Viel zu klein, lässt er mich wissen.
King Orgasmus One, Bushido, Frauenarzt, Mach One, Bogy, C. Basstard, Bass Sultan Hengzt, KKS, Taktlos, Justus, MOK, FU Manschu,
Prinz Porno, Sido (Spast), Fler, Rymin Simon, Vocal Matador, Al Kapan, 490, Splatter Connection, Friedhof Chiller, Kaisaschnitt, Vork
One Daut, Osar One, Godzilla, Pate, Aztefuckal, B-Tight, Fuhrmann,
Beat, Big Bud, Bonlette, LD, Oral B, Tist, Samy Deluxe – ne, letzteren soll ich streichen. Aber Jack Owson (???) und Mister Long soll
ich noch hinzu schreiben (Situationsquelle 3_IV_AM_04_06_07).
Es zeigt sich, dass Alexander bewusst ist, dass die Texte der von ihm favorisierten Rapper sehr hart und derb sind und deshalb für Außenstehende schwer
zugänglich sind und mitunter verstörend wirken können.
20
Buch, das zum Skizzieren von Graffiti dient und in das häufig auch Fotos eingeklebt werden.
43
Die von ihm genannten Rapper stammen fast ausnahmslos aus Berlin bzw.
werden der Berliner-Szene zugeschrieben und gehören zu einem großen Teil
dem Porno-Rap, Battle-Rap oder Gangster-Rap an. Einige Künstler zählen
auch zum Horrorcore-Rap (→) (z.B. Basstard), einem Subgenre von Rap, in
dessen morbiden Texten es um Themen geht, die Horror- oder Splatterfilmen
entliehen sind, wie z.B. Satanismus, Mord, Suizid oder Nekrophilie.
So unterschiedlich die Subgenres der von Alexander genannten Rapper sein
mögen, haben sie doch gemeinsam, dass sie frauenfeindliche, sexistische und
frauenverachtende Texte verwenden. Das Frauenbild von Alexander kann also
durch den Konsum dieser Musik durchaus beeinflusst und geprägt werden.
Im weiteren Verlauf des Unterrichts zeigt sich, dass sich bei Alexander durchaus dieses schlechte misogyne Frauenbild etabliert hat und dass er sogar im
Unterricht vulgäre Kraftausdrücke und sexistische Begriffe verwendet.
Alexander singt so für sich dahingelabert: ... ich fick die heute Abend
und die ist hässlich, stinkt! […] Alexander singt: Ich bin der Niklas und
reite jeden Tag. […] Nachdem Alexander vorgelesen hat, rappt er
weiter: Ich stehe hier und singe, da kommt die fette Brigitte, mit ihrem
dicken Popo (Situationsquelle 3_IV_AM_04_06_07).
Er überträgt dieses Frauenbild auch auf seine Lehrerin, wie aus der folgenden
Szene hervorgeht.
Alexander macht noch an seinem Discman rum, da kommt schon
Frau Herbst angeschossen. […] Fr. Herbst sagt zu Alexander, dass
er den CD-Spieler hergeben soll. […] Fr. Herbst ist längst weg – da
richtet er sich auf und geht sofort in einen Rap über: „Scheiß auf die
Beziehung – jede Frau ist eine Hure“. […] Frau Herbst kommt herangeschossen, tadelt Alexander, dieser ‚heult’ wieder grandios. Frau
Herbst fährt ihn an: Dann pack weg!, dreht sich um, um andere Chaos-Brände zu löschen. Sofort rappt Alexander drauflos: Scheiß auf
Beziehungen, jede Frau ist eine Hure. […] Alexander rappt ... „ficke
Deinen Arsch“ (Situationsquelle 3_IV_AM_04_06_07).
In Alexanders Sprache haben sich Begriffe wie „Hure“ oder „ficken“ etabliert. Er
eifert seinen Vorbildern nach und verwendet eine rohe und provokante Sprache, wie er sie aus den Texten seiner Idole kennt. Diese ursprünglich diffamierenden Ausdrücke scheinen in seinen allgemeinen Sprachgebrauch überge-
44
gangen zu sein, wobei sie durch die regelmäßige Verwendung an Schärfe verlieren.
Alexander präsentiert sich seinen Mitschülern als „echter“ Mann, der sich nichts
von einer Frau sagen lässt. Er scheint dabei die Hip Hop-typische Männlichkeitsnorm anzustreben, indem er die dort propagierte natürliche Vormachtstellung des Mannes gegenüber der Frau in seine Wertematrix übernimmt.
4.2.4 Sprachcode
Indem Tom seine Kenntnis des Sprachcodes authentisch offenbart, legitimiert er
seine Zugehörigkeit zur Hip Hop-Szene.
Tom sagt, fast verzweifelt, „Ej, ich wollt nen battle machen, aber das
funktioniert nicht so“ (Situationsquelle 19AH_01_12_04).
Die Ausdrücke „Ey“ oder „Yo“ dienen im Hip Hop häufig als Eröffnungssignal für
einen Sprechakt, oder werden als Aufmerksamkeitsapell verwendet. Durch seinen Sprachstil zeigt Tom, dass er weiß, wovon er redet. Er verwendet auch den
szeneinternen Slang-Begriff „Battle“, wodurch er Authentizität und Realness
beweist.
Aber nicht nur Tom ist der Sprachcode von Hip Hop geläufig. Auch Meike zeigt
durch folgende Szene, dass ihr der Hip Hop-typische Sprachstil vertraut ist:
Meike etwas später zu Marc: „Geh Deine Mutter ficken!“ (Situationsquelle 22AM_01_12_13).
„Mutterficker“, abgeleitet vom englischen „motherfucker“ wurde ins Deutsche
importiert und kennzeichnet den Slang, der auf der „Straße“ im Ghetto zu hören
ist. Somit wird auch durch dieses Schlüsselwort Authentizität inszeniert. Allerdings muss dazu gesagt werden, dass der Begriff Mutterficker mittlerweile in
den allgemeinen Sprachgebrauch vieler Jugendlicher übergegangen ist und
deshalb nicht zwangsläufig ein Indikator von Hip Hop ist. Trotzdem entstammt
der Kraftausdruck der Hip Hop Kultur, was den Einfluss von Hip Hop bekräftigt.
45
Aus einer weiteren Szene wird ersichtlich, dass Alexander und Ulf nicht nur
Kenntnisse über den gruppenspezifischen Wortschatz verfügen, sondern zudem auch mit der Praktik des „Dissens“ vertraut sind.
Alexander fragt Ulf nach Nr. 2. Ulf antwortet E. Alexander guckt nun
auffordernd zu Ulf. Ulf reagiert nicht. Alexander: „Was hast Du da?
A?“ Ulf reagiert (immer noch) nicht. Alexander zu Ulf: „Arschloch.“ Ulf:
„Das heißt: du hässlicher Hurenhändler.“ Alexander: „Fick dich.“ So
geht das hin und her – zu schnell für mein Steno (Situationsquelle
3_IV_AM_04_06_07).
Was Alexander und Ulf hier austragen ist eine Form von Battle, wobei sie sich
gegenseitig „Dissen21“ (→). Die beiden Jugendlichen beweisen Improvisationstalent, da sie beim Battle postwendend auf die Erwiderung des Kontrahenten
reagieren müssen. Beim Dissen wird eine Person beleidigt und beschimpft,
wobei häufig pornografische Inhalte oder Fäkalbegriffe verwendet werden.
„Dissen hat Wettbewerbscharakter: Wird jemand gedisst, dann reagiert dieser,
indem er noch beleidigender zurückdisst. Eine Kette von Beschimpfungen ist
vorprogrammiert […]“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 41). Zu dieser Kette von
Beleidigungen kommt es auch im Zwiegespräch von Alexander und Ulf. Durch
den Sieg eines solchen Wettbewerbs erhält der Gewinner Anerkennung, Respekt und Fame, was seine Realness unterstreicht.
Auch in dem folgenden kurzen Dialog zeigt sich der Sprachcode von Hip Hop.
Interessant ist dabei, dass zwischen Sara und Hip Hop in den anderen Beobachtungsprotokollen keine Verbindung festzustellen ist. Dies kann ein Indiz
dafür sein, wie tief Hip Hop bereits in die allgemeine Sprache von Jugendlichen
eingegangen ist, da Redewendungen, die dem Hip Hop entstammen, scheinbar
in den allgemeinen Wortschatz von Jugendlichen übergegangen sind und auch
von Heranwachsenden verwendet werden, die sich der Herkunft des Begriffes
oder der Phrase nicht bewusst sind.
Hi Sara!
Na, was geht ab?
Nichts! Und bei dir?
Yo, ich sitz gerade im Französischunterricht bei der Petersen. (Situationsquelle 4_IV_AM_04_06_08).
21
„Dissen“ wird abgeleitet vom englischen „to disrespect“ = jemandem gegenüber respektlos
sein.
46
Bei dem Ausdruck „was geht ab?“ handelt es sich um die eingedeutschte englische Redewendung. „In gradliniger Übersetzung des >What’s going on?< ist
>Was geht’n? < mittlerweile eine gängige Begrüßungsformel […]“(KLEIN und
FRIEDRICH 2003, S. 37), die ihren Ursprung im Hip Hop hat und in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist.
Das von Sara verwendete „Yo“ ist ein sprachliches Mittel im Hip Hop, dass die
Eröffnung eines Sprechaktes kennzeichnet. Nicht zuletzt hieß 1988 die erst Hip
Hop-Sendung in den USA Yo! MTV Raps, was zeigt, dass sich „Yo“ schon zu
diesem Zeitpunkt als Hip Hop-Ausdruck etabliert hatte.
5 Spannungsfeld Hip Hop und Unterrichtssituation
Von meinen gewonnen Kenntnissen ausgehend werde ich im folgenden Abschnitt diesbezüglich auftretende Spannungsverhältnisse zur Unterrichtssituation aufzeigen. Dazu werde ich eine kurze Definition von Unterrichtssituation geben, bevor ich drei verschiedene Spannungsverhältnisse von Hip Hop und Unterricht als Modelle vorstelle.
5.1 Definition von Unterrichtssituation
Für meine Arbeit nutze ich den von Breidenstein ‚definierten‘ Begriff der Unterrichtssituation. „Als Unterrichtssituation wird hier all das verstanden, was während der für den ‚Unterricht‘ vorgesehenen Zeit in dem dafür vorgesehenen
Raum geschieht – unter der Bedingung der Anwesenheit der Beteiligten. Dieses
erweitere Verständnis von Unterricht schließt all jene Beschäftigungen, Bezugnahmen und Aktivitäten ein, die (anscheinend) nichts mit dem ‚eigentlichen‘ Unterricht zu tun haben“ (BENNEWITZ und MEIER zitiert nach BREIDENSTEIN 2006, S.
10).
Jugendkulturen, einschließlich der Hip Hop-Kultur, sind Teil der „peer culture“,
welche mit den Verhaltensvorschriften und Leistungserwartungen der Schule
kollidieren können. „Die Gleichaltrigenkultur von Schülerinnen und Schülern, die
47
‚peer culture‘, steht in einem spannungsreichen Verhältnis zur offiziellen Ordnung des Unterrichts“ (BREIDENSTEIN und KELLE 2002, S. 318).
In der Unterrichtssituation kommt es zu einer Differenz zwischen Jugendkultur
und Schule. „Kernauftrag der Schule ist die Vorbereitung auf die Erwachsenengesellschaft durch Wissensvermittlung, Sozialisation und Erziehung“ (SCHERR
2009, S. 145). Für jugendkulturelle Praktiken ist im Unterricht kein Raum vorgesehen. Trotzdem leben die Jugendlichen ihre Jugendkultur auch im Unterricht
aus und erschaffen sich diesen Raum (vgl. Unterricht vs. Unterrichtssituation),
was zu Konflikten mit dem Lehrpersonal und den Mitschülerinnen und Mitschülern führen kann.
Die Beziehung von Jugendkultur und Schule ist sehr spannungsreich, so dass
es leicht zur Entstehung von Konflikten kommen kann. „Wer sich in einer Jugendkultur organisiert, orientiert sich gerade nicht an den durch die Schule vermittelten Bildungsgütern, sondern an Maßstäben und Materialien, die außerhalb
der Schule produziert werden“ (BAAKE 1987, S. 143).
5.2 Modell 1: Spannungsverhältnis Performativität und Unterricht
In dieser Ausführung wird der Begriff Performativität nicht in seinem ursprünglich sprachtheoretisch begründeten Sinn verwendet, sondern in seiner kulturtheoretischen Deutung. Als kulturwissenschaftlichen Begriff betont Performativität „[…] den konstitutiven Charakter sozialer Handlungen. In dieser Konstitution
bezeichnet das Performative sowohl das Gelingen sozialer Prozesse, wie auch
deren Veränderbarkeit, Fragilität und Scheitern, das dann wieder zu neuen
Wirklichkeiten führen kann“ (W ULF ET AL. 2001, S. 12).
Performativität ist ein Markenzeichen der Hip Hop-Kultur. „HipHop ist performativ, eine Kultur des Machens und Produzieren: Selber texten, malen, tanzen oder Platten auflegen, eine Party organisieren, einen Plattenladen betreiben oder
eine Fanzine (→) publizieren – in der Verpflichtung aktiv zu sein, besteht die
performative Kraft des Faktischen“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 38).
Deshalb existiert eine große Zahl von selbst aktiven Jugendlichen und Künstlern, die sich und ihr Schaffen sowie die Verbindung zum Kulturgenre darstellen
48
wollen. Nach meiner Schlussfolgerung haben die Jugendlichen dabei permanent den Anspruch an sich selbst real zu sein. Gerade in der Schule, welche
einen öffentlichen Raum, vergleichbar mit einer Bühne, darstellt, legen die Jugendlichen besonders viel Wert darauf, in ihrer Rolle zu bleiben, um dem Normen- und Verhaltenskodex der Hip Hop-Kultur zu entsprechen.
Zu den wichtigsten Idealen im Hip-Hop gehört nämlich Realness, d. h. Ehrlichkeit und Authentizität. Realness stellt somit ein zentrales Qualitätskriterium der
Hip Hop-Kultur dar. Damit ist der Anspruch der Hip-Hopper gemeint, kein falsches Image von sich selbst zu verbreiten. „Nur wer ehrlich ist und eigenen Stil
besitz, also ‚Realness‘ zeigt, verschafft sich Respect beim Publikum“ (NEUMANN
2004, S. 190). In der Schule stellen dabei die Mitschülerinnen und Mitschüler
das Publikum dar. Nur wer seine Zugehörigkeit zur Hip Hop-Kultur durch das
Tragen der richtigen Kleidung, die Verwendung des richtigen Sprachcodes und
den szenespezifischen Habitus darstellt, wird von der Szene, bzw. den Gleichaltrigen als authentisch und real anerkannt.
„Der performative Akt vollzieht sich nicht nach dem Muster von richtig und
falsch, sondern von Gelingen und Scheitern“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S.
198). Der performative Akt ist gelungen, wenn andere Jugendliche oder Szenemitglieder die Inszenierung des Jugendlichen akzeptieren und bestätigen.
„Zugleich dient er [der performative Akt, Anmerkung des Verfassers] der sozialen Positionierung desjenigen, der ihn durchführt, indem dieser in seiner sozialen Positionierung legitimiert wird. Der Akteur ist <real>, und das verspricht
Respekt und Fame“ (vgl. KLEIN und FRIEDRICH, S. 198).
Die Produktion von Realness stellt für die Jugendlichen einen performativen Akt
dar. Authentizität und Realness können aber nur dann hergestellt werden, wenn
die Codierungen und Inszenierungen der Hip Hopper von den anderen Jugendlichen korrekt interpretiert und akzeptiert werden Der performative Akt der Herstellung von Realness ist somit immer auf ein Publikum angewiesen. „Respektbekundung erfolgt durch das Publikum. Entsprechend beruhen die Performances des HipHop auf dem engen Zusammenspiel von Akteur und Publikum“
(KLEIN und FRIEDRICH, S. 156).
49
Die Hip Hopper sind somit auf die Aufmerksamkeit ihrer Mitschülerinnen und
Mitschüler angewiesen und bestrebt, selbige zu erlangen. „Die dauerhafte
Kopräsenz und ständige wechselseitige Beobachtung, in der die Teilnehmer
während des Unterrichts stehen, bringt peer culture Bedeutungen auch insofern
hervor, als die Klasse permanent ein Publikum darstellt“ (BREIDENSTEIN und
KELLE 202, S. 321). Die Unterrichtssituation wird dabei eventuell von den Jugendlichen als Bühne genutzt.
Laut Bennewitz und Meier werden durch die Jugendlichen in „der Unterrichtssituation [...] zeitgleich verschiedene soziale Orte hergestellt“ (BENNEWITZ und
MEIER 2010, S. 107). Einen solchen sozialen Ort bildet dabei auch die Bühne,
auf der es zu einer Interaktion zwischen Darsteller(n) und Publikum kommt.
„Durch das erkennbare Beobachten erzeugt das Publikum eine Bühne“
(BENNEWITZ und MEIER 2010, S. 105). Diese Bühne nutzen die Hip Hopper, um
die Aufmerksamkeit ihrer Mitschüler zu erlangen, wobei sie sie vom eigentlichen
Unterrichtsgeschehen ablenken können.
Hier kann das Spannungsverhältnis zum Unterricht entstehen, da die Hip Hopper die anderen Jugendlichen von den Lerninhalten des Unterrichts ablenken
können. Zudem können die Ordnung und die erwartete Schülerrolle die Möglichkeiten für die Heranwachsenden stark einengen, Realness zu beweisen und
damit den performativen Akt zum Erfolg zu führen. Die Hip Hopper sind mitunter
beinahe schon dazu gezwungen, die Ordnung des Unterrichts zu untergraben,
um den performativen Akt gelingen zu lassen.
„Realness im HipHop ist eine Inszenierungsstrategie. Sie ist eine Herstellungspraxis, die den Normenkodex des HipHop performativ bestätigt“ (KLEIN und
FRIEDRICH 2003, S. 9). Wer real sein will, muss also darauf achten, den Normenkodex nicht zu verletzten. Meiner Schlussfolgerung nach stehen die Hip
Hopper somit in einem Zwiespalt: Einerseits müssen sie dem Normenkodex des
Hip Hop folgen, andererseits müssen sie aber auch den Normen, Regeln und
der Ordnung des Unterrichts, bzw. der Schule, folgen.
Zur Bestätigung ihrer Realness sind sie auf ihre Mitschülerinnen und Mitschüler
angewiesen. Nur wenn diese ihnen Aufmerksamkeit schenken und ihnen ihre
Realness bestätigen, ist der performative Akt gelungen. Sie müssen also versu50
chen, die Aufmerksamkeit ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler zu erhalten, was
von der Lehrperson als Unterrichtsstörung gewertet werden kann und zu Einbußen im schulischen Leistungsvermögen führen kann.
Ausgehend von der Jugendkultur Hip Hop und übertragen auf die Peerkultur
Jugendlicher, kann ich dabei die These von Bennewitz und Meier (2010) bestätigen, welche besagt: „Peerkultur ist integraler Bestandteil der Unterrichtssituation“ (BENNEWITZ und MEIER 2010, S. 108). Die Autoren machen aus ihren Befunden deutlich, dass die Jugendlichen, zum einen dem Unterricht folgen müssen, um den Leistungserwartungen der Schule gerecht zu werden und zum anderen aber auch den Druck haben „[…] sich den Anforderungen zu stellen, die
aus der Tatsache resultieren, Mitglied einer Schulklasse zu sein“. (BENNEWITZ
und MEIER 2010, S. 108). Gerade durch den beobachteten und beschriebenen
performativen Akt der Herstellung von Realness kann ich die von Bennewitz
und Meier beschriebene „doppelte Anforderungsstruktur“ (BENNEWITZ und MEIER
2010, S. 109), der die Schülerinnen und Schüler im Unterricht ausgesetzt sind,
für Jugendliche, die der Jugendkultur Hip Hop angehören, bekräftigen.
Die folgende Darstellung (Dar. 2) soll das Spannungsverhältnis zwischen der
Performativität und dem Unterricht noch einmal verdeutlichen und schematisch
darstellen.
Dar. 2 Performativität und Unterricht
Performativität
Unterricht
Realness
Inszenierung
Publikum
Normenkodex
Spannungs-
erwartete
verhältnis
51
Schülerrolle
Ordnung
5.3 Modell 2: Spannungsverhältnis Cool-Sein und Unterricht
Das Cool-Sein ist eine ausgeprägte Verhaltensweise im Hip Hop. Jeder Hip
Hopper strebt danach, möglichst cool zu sein, bzw. von andren als cool gesehen zu werden. „Als cool gilt, wer sich nicht anstrengt, sich entspannt gibt, egal,
was passiert. […] Cool sein meint, wie das Lebensgefühl HipHop überhaupt,
einen Gefühlszustand und eine Inszenierungspraxis“ (KLEIN und FRIEDRICH
2003, S. 43). Cool-Sein darf jedoch keinesfalls gewollt und verkrampft erscheinen, sondern muss auf natürliche Weise inszeniert und umgesetzt werden.
Die Jugendlichen imitieren dabei die Verhaltensmuster ihrer Idole und Vorbilder.
Gelegenheit sich entsprechendes Verhalten und Attitüde abzuschauen, erhalten
die Heranwachsenden in den Musikvideos der internationalen und nationalen
Rapper, in Zeitschriften, Interviews und auf Konzerten.
Cool-Sein wirkt auf Jugendliche generell sehr anziehend und wird von ihnen
angestrebt. „Ein hoher Status innerhalb der jugendlichen Gruppe wird auch
durch Cool-sein erworben“ (BRETTSCHNEIDER und BRANDL-BREDENBECK 1997, S.
36). Die Inszenierung von Coolness wirkt sich auf die Sprache, die Körpersprache, das Auftreten, die Kleidung und auf die Verhaltensweise der Heranwachsenden aus. „Cool-Sein bezeichnet offensichtlich eine Haltung, die durch Kleidung und angesagte Accessoires unterstrichen wird, nicht jedoch allein durch
deren Besitz erworben werden kann“ (FRIEBERTSHÄUSER 2005, S. 132 ).
„Die Inszenierung von Coolness wird sozial nur dann wirksam, wenn sie nicht
als Demonstration einer Verhaltensnorm, sondern als selbstverständliche Haltung einer Person anerkannt wird“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 43). In der
Schule ist es für die Jugendlichen besonders wichtig, Coolness zu demonstrieren, da sie hier unter permanenter Beobachtung von anderen Gleichaltrigen
stehen. Hier kann das Spannungsverhältnis in Bezug auf die Unterrichtssituation entstehen. Die von den Jugendlichen erwartete Schülerrolle schließt das
Cool-Sein der Hip Hopper in seinen unterschiedlichen Formen und Ausdrücken
52
kategorisch aus. Die Jugendlichen wollen aber auch in der Unterrichtssituation
ihre Hip Hop spezifischen jugendkulturellen Praktiken beibehalten und ausleben, was mit der erwarteten Schülerrolle kollidiert. „Die Schule orientiert sich
nicht am Alltagsleben des Schülers, sondern an der Schülerrolle, an den über
Lehrpläne, Jahrgangsklassen und Leistungsstandards vermittelten Verhaltenserwartungen und Regelvorgaben“ (BÖHNISCH 2008, S. 129).
Es existiert nämlich ein regelrechtes „[…] Set von Verhaltenserwartungen und
Verhaltenszumutungen […]“(BÖHNISCH 2008, S. 82) an die Jugendlichen, ganz
unabhängig von deren Persönlichkeit oder Zugehörigkeit zu einer Jugendkultur,
wie z.B. Hip Hop. Diese Erwartungshaltungen an die Schülerinnen und Schüler
„[…] sind aus den gesellschaftlichen Funktionserwartungen an die Schule und
aus den Funktionsprinzipien der Schule selbst abgeleitet“ (BÖHNISCH 2008, S.
82).
Die Jugendlichen sehen sich somit einer Schülerrolle ausgesetzt, die „[…] durch
die funktionale Position des Schülers (als Lernender), seinem Status (als NochNicht-Erwachsener/ Selbstständiger) und den darauf bezogenen Aspekt sozialer
Kontrolle (Leistungsnormen und ihre Anerkennung und Durchsetzung) bestimmt“ (BÖHNISCH 2008, S. 81 f.) wird. Durch das Bestreben der Hip Hopper
möglichst cool zu sein, können sie diese an sie gestellten funktionalen Rollenspiele stören und unterlaufen.
Das Problem ist, dass die Schülerrolle nur einen Teil der Schülerpersönlichkeit
erfasst und dabei weite Persönlichkeitsanteile, wie beispielsweise das Zugehören zur Jugendkultur Hip Hop, ausschließt. Die Jugendlichen werden durch die
Schülerrolle an die Schule gebunden und es wird versucht, ihr Leben in der
Schule und damit auch in der Unterrichtssituation nach der schulischen Logik
und den schulischen Regeln zu strukturieren, wobei der außerschulische Alltag
der Jugendlichen aus der Schule herausgehalten wird. Die Inszenierungspraxis
des Cool-Sein ist somit durch die von den Jugendlichen erwartete Schülerrolle
nur bedingt in den Unterricht integrierbar.
Diese Spannung zwischen dem Verhältnis von Schulklasse und Gleichaltrigenkultur ist jedoch gewöhnlich und tritt somit traditionell auf. Anders ist jedoch der
53
Grad dieser Spannung, da er durch das Bestreben der Hip Hopper cool zu sein
um ein vielfaches verstärkt werden kann.
Ein weiteres Attribut von Cool-Sein ist für die Heranwachsenden, sich Lehrern
und Erwachsenen zu widersetzten und deren Erwartungen zu trotzen. „CoolSein beinhaltet auch, sich durch schulische Autoritäten oder Sanktionen emotional nicht aus der Fassung bringen zu lassen“ (FRIEBERTSHÄUSER 2005, S. 133).
Dieses Verhalten kann das Spannungsverhältnis zur Unterrichtssituation erhöhen. Dadurch, dass die Mitwirkung im Unterricht von vielen Hip Hoppern als
uncool klassifiziert wird, schränken sie zudem ihre Bildungsmöglichkeiten selbst
weiter ein.
Im Cool-Sein stilisiert sich außerdem die eigene Unabhängigkeit in Verbindung
mit der Vorstellung, dass die Jugendlichen nach szenespezifischen Vorbildern
wie Sido oder Fler, es auch unabhängig von jeglicher Schulbildung zu beruflichem Erfolg bringen können. So betont der in Deutschland sehr erfolgreiche
Rapper Kool Savas immer wieder, dass er nur mit einem erweiterten Hauptschulabschluss und ohne Abitur sein Geld verdienen kann.
Auch wenn Cool-Sein und andere Inszenierungen der Jugendlichen nicht den
Eindruck erwecken dürfen, dass man sich dafür besonders anstrengt, so müssen die Heranwachsenden doch enorme Energie dafür aufbringen, die dann für
die Beschäftigung schulischen Inhalten fehlen kann.
Die nachfolgende Darstellung (Dar. 3) soll das Spannungsverhältnis zwischen
dem Cool-Sein und dem Unterricht noch einmal verdeutlichen und schematisch
darstellen.
54
Dar. 3 Cool-Sein und Unterricht
Unterricht
Cool-Sein
Gefühls-
Inszenierungs-
zustand
praxis
Verhaltenserwartung
selbst-
Regel-
Erwar-
vorgaben
tungs-
Schülerrolle
verständliche
Spannungs-
Haltung
verhältnis
5.4 Modell 3: Spannungsverhältnis Frauenbild und Unterricht
Durch die Jugendkultur wird eine eigene Wertematrix geschaffen, die sich auf
den sozialen Habitus der Heranwachsenden auswirkt. Bereits bei der Geburt
von Hip Hop hat sich ein misogynes Frauenbild herausgearbeitet, das sich bis
heute nicht geändert hat. Frauen werden im Hip Hop häufig nur auf ihre Sexualität und ihr Äußeres reduziert. Dieses Frauenbild nimmt starken Einfluss auf die
Wertematrix der Rezipienten ein. So auch auf jugendliche Hip Hopper in
Deutschland, die dieses Frauenbild übernommen haben und es eventuell auch
auf die Mädchen und Frauen in ihrer Umgebung übertragen.
Besonders die nahezu stereotype Erscheinung des Frauenbildes ist im Gangster- und Porno-Rap auffällig. Sexismus und eine abwertende Haltung gegenüber Frauen gehört hier zum guten Ton. Verstärkt wird dieses Bild zusätzlich
auch in anderen Elementen von Hip Hop, vor allem durch die Unterrepräsentation der Frauen und dem oft zelebrierten, übertriebenen Männlichkeitskult. „In
den meisten Rapsongs tauchen Frauen entweder als Objekt männlicher Begierde oder Verachtung auf“ (LOH und VERLAN 2000, S. 260).
Dieses Frauenbild wird neben der Musik auch oft auf anderen Wegen sehr explizit dargestellt, wobei Musikvideos dabei die Hauptmedien bilden. Weiblichkeit
55
wird hier häufig sehr plakativ dargestellt. „[…] Mädchen in engen Outfits mit
halbpornographischen Posen, die dem männlichen Akteur unter- oder als
Schmuckgegenstand beigeordnet sind“ (KAUER 2009, S. 10) gehören häufig genauso zu Rap-Videos, wie teure Autos oder luxuriöse Yachten. Frauen werden
folglich in den Musikvideos, in Werbeanzeigen oder auf Plattencovern nur als
Objekte der männlichen Begierde und als Accessoires gesehen, die die Männlichkeit des Künstlers unterstreichen.
Pubertierende Jugendliche suchen nach Vorbildern und Idolen und richten sich
nach diesen. Sie nutzen die Jugendkultur als Abgrenzung zum Elternhaus. Jugendliche eifern ihren Idolen nach und übernehmen deren Werte, Normen, Stile
und Sprache. Die männlichen Rap-Stars, wie 50 Cent oder Bushido, dienen den
Heranwachsenden als Rollenvorbilder, welche meist unkritisch und unbewusst
übernommen werden. Die Rapper bieten den Jugendlichen ein mustergültiges
Bild von Männlichkeit, woraus sich für die jugendlichen Hip Hopper eine erstrebenswert erachtete Männlichkeitsnorm entwickelt. Dieser Männlichkeitsnorm
soll mit dem Ziel entsprochen werden, von den Gleichaltrigen und der Szene als
„echter“ Mann wahrgenommen zu werden. Weichheit, Homosexualität und Feminität werden dabei als Schwäche interpretiert und abgelehnt.
Im Hip Hop wird das Begehren der Jugendlichen nach echter Männlichkeit in
unterschiedlicher Weise befriedigt, so z.B. dadurch, dass Frauen nur als Statussymbol gesehen werden. Durch den durch die Stars und Idole vorgelebten und
in den Texten dargestellten extremen Machismo, kann bei den Jugendlichen die
Annahme einer natürlichen Vormachtstellung des Mannes gegenüber der Frau
entstehen.
Hier kann sich ein Spannungsverhältnis zwischen dem Frauenbild der jugendlichen Hip Hopper und dem Unterricht entwickeln. Eventuell behalten die Jugendlichen auch im Unterricht die Annahme der Vormachtstellung des Mannes bei,
was zu erheblichen Spannungen mit Mitschülerinnen und Lehrerinnen führen
kann.
Durch die sexistischen Rap-Texte kann sich auch die Sprache der jugendlichen
Rezipienten verändern. Ursprünglich diffamierende Begrifflichkeiten und abwertende Ausdrücke werden so teilweise nicht mehr in ihrer ursprünglichen inhaltli56
chen Bedeutung verwendet. Worte, die eigentlich in einem rohen, provokanten
und mitunter schon verachtenden Sinn gemeint waren, werden mittlerweile von
vielen Interpreten in anderen, zum Teil gar nicht abwertenden Kontexten benutzt. Oft wird die Wortwahl auch damit begründet, dass die sexistischen Inhalte
ironisch zu interpretieren seien. Jugendliche, die täglich Porno- und GangsterRap konsumieren, können die verwendete Sprache in ihren allgemeinen
Sprachgebrauch übernehmen, da sie oft die Provokation, Übertreibung und Ironie der Texte nicht richtig deuten können.
Die Übernahme von ursprünglich diffamierenden Begriffen in den alltäglichen
Wortschatz wird z.B. aus dem für Frauen und Mädchen häufig verwendeten
Ausdruck „bitch“ ersichtlich, der auf Deutsch so viel bedeutet wie „Schlampe“.
„Der Stereotyp bitch ist eines der gängigsten, wenn nicht das gängigste Frauenbild im Hip Hop“ (BOCK ET. AL. 2007, S. 157). Es lässt sich sogar beobachten,
dass Begriffe wie „bitch“ mittlerweile in verschiedenen Kontexten gebraucht
werden und sich bereits sogar als allgemein gängige Bezeichnung für Frauen
etabliert haben. „Die frauenfeindlichen Schimpfworte sind heute so gebräuchlich, dass Frauen andere Frauen oder gar sich selbst so bezeichnen“ (GEORGE
2002, S. 242).
„Stellte in den 1980er die Bezeichnung bitch noch unzweifelhaft eine Beleidigung dar, welche die moralische Integrität des weiblichen Geschlechts angriff,
wird der Begriff inzwischen häufig synonym mit der Frau im Allgemeinen verwendet – was freilich nichts an der misogynen Haltung ändert, die dieser Bezeichnung nach wie vor inhärent ist“ (BOCK ET. AL. 2007, S. 161 f.). In Bezug auf
den Sprachgebrach deutscher jugendlicher Hip Hopper lässt sich ähnliches mit
Worten wie „Schlampe“, „Hure“ oder „Nutte“ beobachten.
Wenn diese Ausdrücke in den allgemeinen Sprachgebrauch der Jugendlichen
übergehen, kann es vorkommen, dass sie die Wörter unbewusst auch im Unterricht gebrauchen. Die Mitschülerinnen und Lehrerinnen werden die Begriffe jedoch keinesfalls mit einem differenzierten Verständnis auffassen. Für sie bleiben es diffamierende, beleidigende und abwertende Begrifflichkeiten.
Die Unterrichtsordnung besagt hingegen, dass Beleidigungen im Unterricht keinesfalls akzeptabel sind und sanktioniert werden. Das Spannungsverhältnis
57
kann also auch dadurch entstehen, dass die jugendlichen (männlichen) Hip
Hopper eine Sprache legitimieren, die mit der Ordnung des Unterrichts kollidiert.
Die folgende Darstellung (Dar. 4) soll das Spannungsverhältnis zwischen dem
Frauenbild und dem Unterricht noch einmal verdeutlichen und schematisch darstellen.
Dar. 4 Frauenbild und Unterricht
Unterricht
Geschlechterrolle
Frauenbild
Spannungsverhältnis
Ordnung
Sprache
6 Fazit
„HipHop ist die erfolgreichste und folgenreichste Popkultur, die die globale Kulturindustrie hervorgebracht hat“ (KLEIN und FRIEDRICH 2003, S. 2) und hat sich
mittlerweile auch außerhalb der eigentlichen Szene weltweit bei Jugendlichen
zu einem gesellschaftlich etabliertem Lifestyle entwickelt. Dabei ist Hip Hop
nicht nur Musik, Graffiti und Tanz, sondern versteht sich mehr als ein Lebensstil
und Lebensgefühl, mit eigenem Sprachcode, Körpersprache, Kleidungsstil,
Wertematrix und einem Set an spezifischen Verhaltensmustern und Verhaltenserwartungen.
Auch in Deutschland hat Hip Hop lange schon Fuß fassen können und ist bereits seit einiger Zeit in den hiesigen Schulen angekommen.
58
In der Unterrichtssituation lassen sich verschiedene Praktiken und Stile von Hip
Hop auffinden. Dabei ist bei einigen Jugendlichen kontinuierlich ein Hip Hoptypisches Verhalten beobachtbar, während es bei anderen nur sporadisch
sichtbar wird. Durch ihre spezielle Inszenierungspraxis, die sich in Kleidungsstil,
Körperhaltung, Sprachcode und Verhalten ausdrückt, unterscheiden sich die
Hip Hopper bewusst von ihren Peers und grenzen sich so von ihnen ab.
Das Taggen, oder das Anfertigen von Skizzen und Sketches ist die am häufigsten auftretende Praktik des Hip Hop in der Unterrichtssituation. Diese Ausdrucksweise wirkt sich negativ auf die Mitarbeit der Jugendlichen im Unterricht
aus, da sie sehr viel Aufmerksamkeit verlangt.
Hip Hopper identifizieren sich sehr stark mit ihrer Bewegung, haben quasi den
Hip Hop-Codex verinnerlicht und streben danach, ihn zu leben. Für sie stellt die
Zugehörigkeit zur Jugendkultur nicht nur eine Attitüde dar, sondern vielmehr
einen Lebensstil oder Lebensentwurf. Durch den an sie selbst gerichteten Anspruch, ihrer Umwelt und somit auch ihren Mitschülerinnen und Mitschülern real
und cool gegenüberzutreten, kann es zu Konfrontationen mit den Normen und
der Ordnung der Schule kommen, die unweigerlich zu Konflikten führen müssen. Hier komme ich, bezogen auf die Jugendkultur Hip Hop, zu einem anderen
Ergebnis als Bennewitz und Meier (2010), die schlussfolgern: „Die Annahme,
dass Peerkultur also etwas dem Unterricht äußerliches ist, bzw. nur gegenläufig
zur (Unterrichts-) Ordnung funktioniert, ist zurückzuweisen“ (BENNEWITZ und
MEIER 2010, S. 110).
Meiner Meinung nach schließen sich engagierte, konstruktive und lebendige
Mitarbeit im Unterricht und die von Hip Hop ausgehenden spezifischen Anforderungen an die Jugendlichen (Cool-Sein, das Bestreben real zu sein sowie das
Ausleben der Hip Hop-Kultur), unweigerlich aus. Es kollidieren quasi zwei verschiedene Wertesysteme miteinander. Die Jugendlichen und die Lehrkräfte
scheinen dabei zwei unterschiedliche Sprachen zu sprechen, die es ihnen erschweren, einen gemeinsamen Nenner finden.
Bennewitz und Meier (2010) führen hingegen weiter aus: „Wie auch immer sich
die peerkulturellen Praktiken ausgestalten, sie sind integraler Bestandteil der
Unterrichtssituation. Sie stören oder behindern geplante Lernarrangements
59
nicht zwangsläufig“ (BENNEWITZ und MEIER 2010, S. 110). Durch meine Analyse
der Beobachtungsprotokolle komme ich jedoch zu dem Ergebnis, dass die Praktiken und Stile des Hip Hop sich sehr wohl kontraproduktiv auf den Unterricht
auswirken.
In der Schule befinden sich die Jugendlichen in einem Zwiespalt zwischen ihrer
Rolle als Hip Hopper und der ihnen zugedachten Schülerrolle. Die Jugendlichen
sind an ihre Rolle als Hip Hopper gebunden. Sobald sie sie verlassen und sich
in ihre Schülerrolle fügen, sich damit also der Ordnung des Unterrichts unterwerfen, büßen sie Realness und Coolness ein und verlieren dadurch an Ansehen und Respekt.
Die Heranwachsenden sind also bestrebt, auch im Unterricht ihre Rolle beizubehalten und ihre jugendkulturellen Praktiken auszuleben. Dabei können besonders drei Faktoren ein Spannungsverhältnis zwischen Hip Hop und Unterricht bedingen:
1. Die performative Ausrichtung von Hip Hop, insbesondere die Herstellung
von Realness.
2. Die im Hip Hop sehr ausgeprägte Verhaltensweise des Cool-Sein.
3. Das im Hip Hop vorherrschende Frauenbild.
Aus der Analyse der Beobachtungsprotokolle lässt sich schlussfolgern, dass es
eine Beziehung zwischen der Ordnung des Unterrichts und den Praktiken und
Stilen von Hip Hop gibt, die zu Spannungen führen kann. Das Ausmaß dieser
Beziehung und die Frage, ob sie auch durch andere Jugendkulturen bedingt
wird, somit also nicht zwangsläufig ein Produkt von Hip Hop ist, kann an dieser
Stelle nicht beantwortet werden und bedarf weiterer Forschung.
60
Glossar
Battle
Ein Battle (Englisch = Kampf) bezeichnet das Kräftemessen zwischen zwei Gegnern. In allen vier Disziplinen von Hip Hop (Rap, Breakdance, Graffiti-Writing,
DJing) ist das Battle verbreitet. Bewertet wird meist
durch eine Jury oder das Publikum
B-Boy
Abkürzung für Break-Boy. Ein männlicher Breakdancer.
Beatboxing
Beim Beatboxing oder Beatboxen werden Klänge wie
Drumcomputerbeats, Scratches oder Perkussionsrhythmen mit dem Mund, der Nase und dem Rachen
imitiert.
B-Girl
Abkürzung für Break-Girl. Ein weiblicher Breakdancer.
61
Black Arts Move-
Das Black Arts Movement (Englisch = Schwarze Kunst
ment
Bewegung) stellte eine kulturnationalistische Bewegung
der 1960er Jahre dar, welche diskriminierende Normen
und Werte der US-amerikanischen Kultur unter Rückgriff auf afrikanische bzw. afroamerikanische Traditionen dekonstruierte.
Blackbook
Buch, das zum Skizzieren von Graffiti dient und in das
häufig auch Fotos eingeklebt werden.
Bombing
Schnelles, auf Quantität ausgelegtes, illegales Sprühen;
auch Bezeichnung für ein wenig aufwändiges Piece.
Breakbeat
Der Breakbeat ist eine Schleife oder auch „Loop“ eines
besonders tanzbaren und rhythmischen Teils eines Musikstücks. Dieser Teil wird durch den Gebrauch von
zwei Plattenspielern und einem Mixer nach Belieben
verlängert. Der DJ hat so die Möglichkeit, die Tanzenden länger auf der Tanzfläche zu halten und zu kontrollieren.
Dissen
Das Dissen (abgeleitet vom englischen “to disrespect“ =
jemandem gegenüber respektlos sein) ist eine Form
von Beleidigung im Hip Hop.
DJ
Als DJ (Disc Jockey) wird jemand bezeichnet, der auf
Tonträgern( CDs, Schallplatten, etc.) gespeicherte Musik in einer individuellen Auswahl vor Publikum abspielt.
Fame
Fame (Englisch = Ruhm) bedeutet ein hohes Ansehen
und einen großen Bekanntheitsgrat innerhalb der Hip
Hop-Szene. Fame zu erreichen ist Ziel und Motivation
vieler Aktivisten.
Fanzine
Zeitschrift von und für Fans, meist in gedruckter oder
elektronischer Form.
Ghetto
Mit Ghetto sind hiermit Stadtviertel gemeint, in denen
vorwiegend bestimmte Bevölkerungsgruppen leben,
insbesondere soziale Randgruppen wie Afroamerikaner.
62
Goodfoot
Der Goodfoot ist eine Tanzart, die sich in erster Linie
auf die Bein- und Fußarbeit konzentriert. Benannt ist
der Tanz nach James Browns Hit Get on the good foot
von 1972.
Horrorcore-Rap
Horrorcore-Rap wird auch Death-Rap genannt und stellt
ein Subgenre von Rap dar, in dessen morbiden Texten
es um Themen geht, die Horror- oder Splatterfilmen entliehen sind, wie z.B. Satanismus, Mord, Suizid oder Nekrophilie.
Jam
Ein Jam bezeichnet eine Hip-Hop-Party, bei der die vier
Elemente des Hip Hop an einem Abend vereint werden.
MC
Abkürzung für den Englischen Begriff „Master of Ceremonies“ = Zeremonienleiter, Spielleiter. Als MC wird ein
Rapper bezeichnet.
Mixer
Andere Bezeichnung für Mischpult. Ein Mixer dient dem
Zusammenführen verschiedener elektrischer Audiosignale.
Piece
Eigentlich ist Piece eine Bezeichnung für ein aufwändiges, meistens mehrfarbiges und großflächiges Graffiti.
Häufig wird es aber auch als allgemeine Bezeichnung
für ein gesprühtes Bild benutzt.
Power-Moves
Das Rotieren auf einer Körperstelle oder entlang einer
Körperachse beim Breakdance.
Producing
Als Producing (Englisch „to produce“ = produzieren)
bezeichnet man das Komponieren von sogenannten
Beats oder Instrumentalen, die als Grundlage für einen
Rap-Song dienen.
Realness
Realness (Englisch = Echtheit, Wirklichkeit) ist ein
zentrales Qualitätskriterium im Hip Hop. Etwas ist (neudeutsch) „real“, wenn es als authentisch gilt.
Scratchen
Unter Scratchen oder Scratching (vom Englischen „to
scratch“ = kratzen, schaben, schrammen) wird die Erzeugung von Tönen durch rhythmisches hin- und her63
bewegen einer laufenden Schallplatte auf einem Plattenspieler bei aufgelegter Nadel verstanden.
Sketches
Sketches sind Skizzen oder schnelle Ideenmuster auf
Papier, können auch vollfarbig und sehr aufwändig sein.
Street Fashion
Unter Street Fashion (Englisch = Straßenmode), welche
auch als Hip Hop-Mode bezeichnet wird, versteht man
modische Elemente, die aus den Ghettos amerikanischer Großstädte stammen und in Verbindung mit Hip
Hop stehen.
Streetart
Als Streetart (Englisch = Straßenkunst) wird eine Kunstrichtung bezeichnet, die die Straße oder den öffentlichen Raum als Ausstellungs- und Aktionsraum begreift.
Tag
Ein Tag (Englisch = Markierung, Etikett, Schild) ist ein
Signaturkürzel, welches das Pseudonym eines Writers
darstellt. Häufig ist es als "Unterschrift" unter gesprühten Bildern zu finden, gilt aber auch in der jugendlichen
Gang-Kultur als territoriale Markierung.
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