Zu welchen Gedanken Eurydike Elfriede Jelinek inspiriert
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Zu welchen Gedanken Eurydike Elfriede Jelinek inspiriert
Dichter & Dichtung Der literarische Zaunkönig Nr. 2/2013 Zu welchen Gedanken Eurydike Elfriede Jelinek inspiriert von Nandi Friedel Lange kam man an die neueren Werke von Elfriede Jelinek nur im Netz heran. Es gab sie nicht gedruckt. Inzwischen scheint das Netz löchrig geworden zu sein. Und auch übers Theater gab es einen Zugang. Sah man sich eines ihrer Stücke an (kam dabei nicht mit, weil alles schrill und laut war, vollgeladen mit ablenkenden Bildern, die einem die Konzentration raubten) und kaufte sich ein Programmheft, dann war da meist der Text drin, und man konnte nachlesen, was man nicht verstanden, einem aber doch das Gefühl hinterlassen hatte, etwas versäumt zu haben. So auch diesmal bei Schatten (Eurydike sagt) im Akademietheater. Am Titelblatt des Programms steht ein Satz, den Eurydike (es spricht praktisch nur sie) im Stück von sich gibt: „Das Größte aber ist, nicht geliebt zu werden und nicht zu lieben.“ Sozusagen der deklarierte Widerspruch zum 1. Korintherbrief 13/13, in dem es heißt: „Jetzt also bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe – diese drei: Ihrer Größtes aber ist die Liebe.“ Es sei angenommen, dass die Autorin sich darauf bezieht. Hat man einmal darüber nachgedacht, beschließt man als moderater Optimist, zu diesem Schluss nicht zu kommen. Bei allem Respekt für jemanden, der bereit ist, sich so weit in die Unterwelt einzulassen und ein solches Fazit zu ziehen. Denn Jelinek versucht mit einem gewaltig langen Text Eurydike, die durch einen Schlangenbiss verstorben ist, in die Unterwelt zu folgen, von wo sie ihr Ehemann, Orpheus, der begnadete Sänger, wieder zurückholen will. Was Eurydike dazu zu sagen hat, ist nun im Stück zu hören, bzw. zu lesen. Offensichtlich leben wir in einer Welt, in der sich jemand so verloren fühlen kann, haben wir unsere Welt so zugerichtet, dass eine Frau solch zerstörerische Schlüsse ziehen kann. Da spricht ein weibliches Wesen, das in all den Paketen, auf denen „Liebe“ draufstand, keine gefunden hat. Und zornig all diese Mogelpackungen zurück an den Absender schleudert, an Orpheus, den Sänger, der im Stück als Popstar auftritt, ständig umgeben von seinen weiblichen Fans, die ihn kreischend umschwirren. Diese sollen letztlich wohl die Mänaden sein, die in der Sage Orpheus, nachdem er unverrichteter Dinge aus der Unterwelt zurückkehrt und aller Weiblichkeit eine Absage erteilt, in ekstatischem Wahn in Stücke reißen. Kurz und gut, Jelinek macht sich wieder einmal an alles, was den Leuten heilig ist, sei es nun das Hohe Lied der Liebe oder die schöne Geschichte von der großen Leidenschaft und dem zauberhaften Gesang des Orpheus, und sie wird wohl wieder den üblichen negativen Reflex auslösen. Nicht ganz unverständlich. Aber vielleicht sollte man auch einmal versuchen, nicht nur reflexartig zu agieren, und so will ich mir diesen Text verordnen. Leben im Schatten Eurydike ist als Schriftstellerin dargestellt. Von Anfang an spricht sie von ihrem Leben im Schatten, also im Schattenreich des Hades und im Schatten ihres Mannes, Orpheus, bzw. der Männer überhaupt. Sehnsüchtig spricht sie von der Zeit, bevor er Sänger war, davon, dass da die Stille etwas Großes und Heiliges war, das er nun vernichtet habe. Und davon, dass sich um ihn schon lange ein Mythos ranke, während sie selbst dem Schatten einfach nicht entrinnen kann. Beim Nachschlagen, sei es im Internet oder in Who is who in der antiken Mythologie bestätigt sich diese Rangordnung: Eurydike scheint nur als Name auf. Wer mehr wissen will, kann bei Orpheus nachlesen. Dem sind ganze drei Seiten gewidmet. Und um Orpheus tummeln sich ständig ekstatisch und quietschend ganze Scharen von liebestollen, sich entblößenden Girlies, Groopies, Fans und wie sie sonst noch heißen mögen. Er ist ein Mädchenschwarm des Mädchenschwarms. Alles Mögliche möchte einem einfallen, etwa die große Ähnlichkeit der weggetretenen Fans mit den kreischenden Frauenhorden, die seinerzeit durch den Anblick des „Führers“ außer Rand und Band gerieten. Und man fragt sich, ob das vielleicht ähnliche Reflexe sind. Auch Reminiszenzen über die Mütter dieser Gören scheinen auf, Sängerfestivals mit Zelten und Feldklos, die im Schlamm versinken. Ob Jelinek da wohl Woodstock und Ähnliches meint? All dies wird in einer überaus entlarvenden Sprache präsentiert, durch bloßgestellte verbale Zusammenhänge von längst ins Unterbewusste abgedrifteten Wort-Parallelen. Diese sich an der Sprache entlang hantelnde Konsequenz ist bewunderungswürdig. Die nächste Zielgruppe der Kritik sind Konsum, Kaufrausch und die von ihm Abhängigen. Giftig, bösartig und durchaus berechtigt wird das Suchthafte daran aufgezeigt, die Leidenschaft, sich zu verhüllen, sich was überzuziehen, zu Seite 10 Dichter & Dichtung Der literarische Zaunkönig Nr. 2/2013 überziehen, wobei die Dichterin in ihrem Wortwitz natürlich auch das überzogene Konto nicht auslassen kann. Ebenso wird Orpheus’ süchtige Version bemüht, die Mythologie ein wenig durcheinander gemixt, ihm als Suchtobjekt ein Phaeton untergejubelt. Der tödliche Sturz Phaetons vom Wagen des Helios oder des verunglückten Kärntner Landeshauptmanns in seinem gleichnamigen Boliden? Wir können’s uns aussuchen. Eurydike klagt über ihr Schattendasein und beschließt in letzter Konsequenz, lieber tot als eines anderen Schatten zu sein. Was sie nicht daran hindert, dennoch ihr eigenes Verschwinden zu beweinen. Und natürlich muss der in den ersten christlichen Jahrhunderten zuweilen mit Orpheus verglichene Jesus von Nazareth auch herhalten, an solch einer Gelegenheit wird eine Frau wie Jelinek sicher nicht vorbeigehen. Und sich in einem solchen Fall Respekt zu erwarten, ist wohl illusorisch. Dann geht es auch noch um die Unsterblichkeit, diesen nicht abzuschaffenden Wunsch der Menschen, ob der nicht auch eine Ausgeburt seines Größenwahns ist? Nein, man kann Elfriede Jelinek nicht einfach abtun, sie zwingt einen, sich mit ihr auseinanderzusetzen, das ist Arbeit, aber sie schadet einem nicht. Sicher steht auch persönliches Leid dahinter, ihre Auflehnung dagegen, dass Eurydike letztlich nicht mehr ist als ein dekoratives Attribut des Orpheus. Freilich lohnt es sich, darüber nachzudenken. Im Theaterprogramm findet man außerdem noch ein Zitat von E. A. Poe, das lautet: „Der Tod einer schönen Frau ist ohne Zweifel das poetischste Thema der Welt.“ Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Die Sprache „besticht“ – im Doppelsinn Kein Zweifel, die Frau geht virtuos mit der Sprache um. Darf man sich fragen, ob das allein genügt? Ihre Wortakrobatik besticht, ja eben, sie besticht, ein Verbum, dem doch ein wenig Fragwürdigkeit anhaftet. Die Form allein genügt nicht und es stellt sich die Frage: Was will die Frau? Will sie die Wahrheit sagen? Die sie ohnehin in Frage stellt? Warum tut sie das? Es soll einmal erlaubt sein, nicht auf diesen Zug der Negativismen aufsteigen zu wollen, auch auf die Gefahr hin, nicht auf der Höhe der Zeit zu sein, darin keinen Sinn zu sehen. Als jemand, der Sinn sucht und Sinn annimmt, wird man in Albrecht Dürer: Der Tod des Orpheus. Federzeichnung diesen Verein wohl nicht aufgenommen, muss begreifen, wo man nicht mit kann, nicht mit will. Da schreibt eine Frau über den Tod, über Depression und Todessehnsucht. Ist es sehr verwerflich, zu diesem Club der toten Dichterinnen nicht gehören zu wollen? Sich da nicht zu finden? Dennoch ist die Tragik all dieser marginalisierten Frauen natürlich nicht zu leugnen. Eine kalte Dusche, die einem nicht schadet. Am Ende des Theaterprogramms ist noch eine Reihe Fotos von bekannten Frauen abgebildet, auf die scheinbar zutrifft, was davor über Eurydike gesagt wird. Von Topmodels, Schauspielerinnen, Prominentengattinnen, Figuren aus Märchen und Mythos, Dichterinnen bis hin zu Clara Schumann, einer bei Jelinek immer wieder auftauchenden Gestalt, die wohl für die Künstlerin im Schatten eines berühmten Gatten steht. Die Frau im Schatten, das ist das Thema dieses Theaterstücks, das eigentlich ein langes Lamento über die Rolle der Frau schlechthin ist. Zutreffend, durchaus. Nandi Friedel lebt als Schriftstellerin in Wien. Seite 11