Sepp Hollweck - Philosophisch-Theologische Hochschule Brixen
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Sepp Hollweck - Philosophisch-Theologische Hochschule Brixen
„Gottes Wort in Menschenwort heute“ „Gottes Wort in Menschenwort heute - es geht um Sprache, Medien, Bibelarbeit in der Verkündigung“ so wurde mir die Thematik genannt, über die ich reden soll. Ich soll also, wenn ich es recht verstehe, darüber reden, wie man heutzutage von und über Gott reden kann und soll. Nun, ich weiß nicht, ob ich Ihnen, die Sie vor mir sitzen, dazu etwas Neues sagen kann; denn alle, die sich hier versammelt haben, reden ja über und von Gott. Das ist ja wohl das Auf und Ab jeder Seelsorge. Von uns allen kann und darf man sagen: „Wir glauben, also reden wir!“ Dennoch ist wohl uns allen hier bewusst, dass wir uns schwer tun, die Sprache des Menschen von heute, des Menschen der „Postmoderne“, wie man unsere Zeit modisch nennt, mit unseren Glaubensinhalten anzusprechen und zu treffen, bzw. unsere Glaubensinhalte in der Sprache der Postmoderne auszudrücken. Ich habe, seit ich weiß, dass ich hier reden soll, bewusst Zeitungen und Zeitschriften auf diese Thematik hin durchgesehen – deshalb auch die meisten Zitierungen aus den Medien in diesem relativ kurzen Zeitraum - und bin auf überraschend viele Beiträge gestoßen. Das allein zeigt, dass diese Problematik vielen bewusst ist und wohl auch unter den Nägeln brennt. Teil 1 Das Dilemma Dabei stehen wir vor einem Dilemma, das Augustinus in „De trinitate“ so formuliert: „Wenn du es begreifst, ist es nicht Gott!“ Augustinus fasst hier gekonnt zusammen, was Paulus in seinem ersten Brief an die Korinther so formuliert1: Wir verkünden „nicht die Weisheit dieser Welt […]. Nein, wir verkünden Gottes geheimnisvolle, verborgen gehaltene Weisheit. […] Wir verkünden, wie geschrieben steht: Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und was in keines Menschen Herz gedrungen ist“. Eigentlich sind diese Sätze entmutigend, denn wer kann schon von sich sagen, „Gottes geheimnisvolle, verborgen gehaltene Weisheit“ verkünden zu können? Thomas Brose, der sich als „von der Stasi überwachter Gemeindeassistent“ vorstellt“, sieht den großen Karl Rahner auf dieser Spur des hl. Paulus2: „Stets erinnert der Dogmatiker daran, dass menschliches Sprechen die alles übersteigende Wirklichkeit niemals ganz zu erfassen vermag.“ Womit wir schon ein Paradebeispiel dafür haben, wie man einen einfachen, klaren Satz kompliziert formulieren kann, indem aus dem augustinischen „Wenn du es begreifst, ist es nicht Gott“ eine Rahner’sche „niemals ganz zu erfassende, alles übersteigende Wirklichkeit“ macht. - Es ist ja bekannt, dass Karl Rahners Bruder Hugo einmal anbot, die Werke seines Bruders „ins Deutsche“ zu übersetzen .… Lösungsversuche Thomas Brose erinnert in seinem Zeitungsartikel an die Vorlesungsreihe, die Karl Rahner vor 70 Jahren unter dem Titel „Hörer des Wortes“ gehalten hat. Die Diskrepanz zwischen nie ganz erfassen und dennoch darüber reden, versucht Rahner mit der Aufforderung an seine Leser zu überwinden, selbst aufzubrechen, selbst zu denken und zu glauben, und so über die „blasse Abstraktheit theologischer Begriffe“ hinauszugelangen. Dieses Selbst-Aufbrechen, Selbst-Denken und Glauben kann nur heißen, dass die Voraussetzung, über Gott in anschaulicher Weise zu reden, mein persönlicher Glaube, mein persönliches Fragen und Ringen beinhalten muss. Anders gesagt: Wenn du über Gott reden willst, dann musst du selbst glauben, bzw. glaubhaft über Gott reden bedingt ein eigenständiges, persönliches Suchen. 1 2 1Kor 2,6-7.9 Die Zeit 33/2011, Christ&Welt p.5, im Folgenden C&W 1 Bei Karl Rahner kommt es ja oft auf Nuancen an, so auch in diesem Fall: Indem er sagt, dass „menschliches Sprechen die alles übersteigende Wirklichkeit niemals ganz zu erfassen vermag“, deutet er an, dass sie zumindest teilweise erfassbar ist. Wobei Rahner mit „erfassen“ zunächst einmal nicht das Sprechen, sondern das Hören versteht. Er redet in diesem Zusammenhang von der potentia oboedientialis, also vom Hören-Können. Für ihn ist der Mensch sogar ein „zum Hören berufenes Wesen“3, weil es sich im Hören selbst übersteigt und damit empfänglich wird für das Geheimnis Gottes. Sprechen heißt Zuhören Womit wir unversehens vom Sprechen zum Hören gekommen sind. Der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff überschreibt einen Artikel in „Christ in der Gegenwart“4 mit: „Sprechen heißt Zuhören“. Exkurs „Hören“ Ich darf mit einem kurzen Exkurs auf das empirische Hören eingehen: Nach dem Bonner Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards5 gibt es Kulturen, die mehr auditiv, vom Hören, geprägt sind und andere, bei denen das Visuelle, das Sehen eine größere Rolle spielt. Die semitische Kultur des Judentums ist nach Albert Gerhards stärker auditiv bestimmt, die hellenistische der Griechen und Römer stärker visuell. Beide vermischten sich zur Zeit Jesu, so Albert Gerhards These, und entwickelten sich zu dem, was man abendländische Kultur nennt, wobei aber bis in die Neuzeit hinein der Schwerpunkt auf dem Auditiven lag. D.h.: Nicht das Bild, sondern das Wort war vorherrschend, und zwar nicht als geschriebener, visuell wahrnehmbarer Text, sondern als „Verlautung“. Mit der Neuzeit hat dann das Visuelle immer mehr die Oberhand gewonnen. Das Auge hat, so scheint es, mit den modernen Medien seinen endgültigen Siegeszug über das Ohr angetreten. Dabei erliegen wir einem Trugschluss und vertrauen dem Auge mehr als dem Ohr: Was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe, das ist, so die gängige Meinung, unumstößlich. Für den Jazz-Spezialisten Joachim E. Berent6 seziert das Auge wie mit einem Adlerblick, während das Ohr ganzheitlich wahrnimmt. Übrigens: Nachrichten im Fernsehen sind weitaus beschränkter und manipulierender als RadioNachrichten. Die Fernsehkamera gaukelt mir vor, „alles“ zu sehen, bietet aber in Wirklichkeit immer nur ein sehr eng begrenztes Blickfeld. Außerdem ist das Fernsehen natürlich darauf bedacht, Nachrichten zu bringen, zu denen Bildmaterial vorhanden ist … aber das nur nebenbei. Potentia oboedientialis Kehren wir zurück zur Rahner’schen potentia oboedientialis, zu unserem Hör-Vermögen. Es ist bezeichnend, dass das Grundgebet unserer jüdischen Glaubensbrüder und -schwestern aus dem Buch Deuteronomium7, das für sie so etwas wie das Vater unser für die Christen ist, mit dem Hören beginnt: „Höre Israel“. Was dieses „Hören“ meint und welche Folgen es hat, sei an den Urbildern des glaubenden Menschen in den beiden Testamenten erläutert, an Abraham und an Maria. Beispiel Abraham Das Kapitel 12 im Buch Genesis, das die Abraham-Geschichte einläutet, beginnt unvermittelt mit dem unscheinbaren Satz, der uns allen sehr geläufig ist, aber kaum reflektiert wird: „Der Herr sprach zu Abram!“ Im Vers 4 heißt es dann: „Da zog Abram fort, wie ihm der Herr befohlen 3 zitiert nach Brose Christ in der Gegenwart – im Folgenden CiG – 22/2011, p.233f 5 CiG 35/2011, p.383 6 ebd. 7 Dtn 6,4ff. 4 2 hatte…“ Abram, wie er hier noch heißt, hat also, so steht’s da, Gott gehört und führt aus, was Gott ihm gesagt hat. „Gott sprach zu Abram …“ – Mit Verlaub: Wie und was hat Abram da gehört? Wie spricht Gott? Wie hört sich Gott an? Hat Abram aus dem Nichts, „aus der Luft“ eine mit dem menschlichen Gehör wahrnehmbare Stimme vernommen? Wir müssen uns da einer grundlegenden Frage stellen: Sind solche Ausdrücke wie: „Der Herr sprach“, oder „die Stimme des Herrn vernehmen“ empirisch erfahrbare Augenblicks-Momente, in denen der Mensch im wörtlichen Sinn Gott reden hört? Oder verbergen sich dahinter Erfahrungen, Ahnungen, die Menschen nicht in einem Augenblick, sondern über längere Perioden hinweg, vielleicht sogar lebenslang, gemacht haben? Seien wir ehrlich: Wenn uns heute jemand kommt und sagt, Gott hätte ihm dies und jenes gesagt, dann greifen wir mit dem Finger dorthin, wo man gemeinhin das Denkvermögen vermutet und rufen nach dem Psychiater. Das bedeutet doch, dass wir nicht daran glauben, dass Gott heute zu einem einzelnen Menschen in empirisch wahrnehmbarer Weise spricht. Mir ist auch aus den Biographien der nachbiblischen neutestamentlichen Heiligen nichts Dergleichen bekannt. - Aber bei Abram bzw. Abraham, wie er später genannt wird - „muss“ das so gewesen sein? Wie hat der Herr also zu Abram gesprochen und, vor allem, wie hat der das gehört? Abraham wird uns als Nomade geschildert. Nomaden sind abhängig von Brunnen und Wasserstellen. Die sind sozusagen ihre Lebensversicherung. Und um die wird deshalb auch buchstäblich bis aufs Blut gekämpft – auch heute noch! Könnte es sein, dass Abraham notgedrungen „fortgezogen“ ist, wie es in Genesis 12,4 heißt? Könnte es sein, dass seine Brunnen versiegten oder ein mächtigerer Stamm ihm seine Wasserstellen abjagte und er sich auf die Suche nach neuen machen musste? „Er nahm seine Frau Sarai […] und all ihre Habe, die sie besaßen“, mit, heißt es weiter in Vers 5: Verbirgt sich dahinter gar eine Flucht? Wie bringen wir jetzt unser „Gott sprach“ unter? Könnte dieses Sprechen Gottes so gemeint sein, dass Abraham im Nachhinein, als er neue Brunnen und Weideflächen gefunden hatte, zu dem Schluss kam, dass das Aufbrechen damals ganz im Sinne Gottes war, dass sich hinter, sagen wir der Dürrekatastrophe und seinem Entschluss, aufzubrechen und fortzuziehen, Gottes Pläne mit ihm verbargen? Wenn wir das Sprechen Gottes so verstehen, dann ist diese Stimme nicht aus dem Nichts, nicht aus den Wolken herauszuhören, auch nicht aus den „Eingeweiden“, wie der Wiener Adolf Holl das bei Franziskus einmal nannte, sondern aus dem Geschehen im realen Leben herauszufiltern. Dann ist das Hören der Stimme Gottes kein Augenblicks-Moment, sondern ein lebenslanges Hin-Hören, Wahrnehmen, Fragen, Ahnen und Suchen! Der 2005 verstorbene Ex-Jesuit und Dichter Paul Konrad Kurz spricht wohl deshalb von einem „ins Leben fließenden Gott Abrahams“8. Beispiel Maria Wenn wir so von Abrahams Berufung reden, dürfen wir dann auch von der Berufung der herausragenden, gläubigen Figur im Neuen Testament, von Maria aus Nazaret, so sprechen? Der Engel des Herrn „trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt du Begnadete, der Herr ist mir dir!“ heißt es in Lukas 1,28. 8 zitiert nach: Norbert Scholl, Wer vertritt den abwesenden Gott, CiG 34/2011,377 3 Wieder, mit Verlaub, gefragt: Wie spricht denn ein Engel? Doch wohl nicht „mit Engelszungen“, wie wir im Deutschen sagen … Muss man sich da wirklich ein schwebendes Wesen vorstellen, das dieser jungen Frau Gottes Botschaft in empirisch hörbarer, menschlicher Stimme und Sprache erteilt? – Aber tun wir nicht genau das, wenn wir auf den unzähligen, bildlichen Darstellungen vergangener Jahrhunderte unreflektiert sozusagen sitzen bleiben? Also fragen wir uns: Was kann man unter dem lukanischen „Er trat bei ihr ein“ verstehen? Könnte man das ähnlich interpretieren wie das Abram’sche „Gott sprach“? Darf ich mir das, wie beim Prototypen des Gläubigen im Ersten Testament, auch bei der VorzeigeGestalt des Neuen Testaments vorstellen? Darf ich mir vorstellen, dass das „begnadet“, wie der Engel sie nennt, dann infolgedessen darin bestand, dass sie auch in den dunkelsten Stunden ihres von so schweren Schicksalsschlägen geprägten Lebens versuchte, Gottes Willen und Wollen herauszuhören, zu fragen: Herr, was willst du, dass ich jetzt tue? bzw. ein Leben lang zu sagen: „Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort“? Konsequenz Wenn wir uns das von Abraham und Maria vorstellen dürfen, dann müssen wir uns aber auch fragen, ob das bei uns nicht auch so sein kann … oder hören wir unser Leben lieber nicht nach Gottes Stimme ab, weil das u.U. Konsequenzen verlangte? Jesaja - Kyrus Das Sprechen Gottes, Gottes Stimme, nicht aus einer irrealen Wolke herauszuhören, sondern aus dem realen Leben, aus der konkreten Lebenssituation herauszufiltern, das nenne ich profetisch reden. Profeten sind ja keine Hellseher, sondern Menschen, die aus dem „normalen“, „weltlichen“ Geschehen, aus der gelebten Geschichte, Gottes Stimme und Pläne herausfiltern. Nehmen wir als Beispiel Jesaja 45,1, da heißt es: „So spricht der Herr zu Kyrus, seinem Gesalbten, dessen Rechte er ergriffen hat“. - Da lässt doch Jesaja tatsächlich Gott zum persischen König Kyrus regelrecht „sprechen“ wie er zu Abram/Abraham gesprochen hat! Noch dazu betitelt Jesaja den durch und durch heidnischen Kyrus als „Gesalbten“ - das ist nichts anderes als das neutestamentliche „Christós“! Dahinter steckt das uns bekannte, historisch fassbare Edikt Kyrus’, die in Babylon Verbannten heimkehren zu lassen. Kyrus tat das wohl nicht aus menschenfreundlichen oder religiösen Gründen, sondern vermutlich aus politischen Überlegungen. - Der Prophet sieht und erkennt darin aber Gottes Handschrift. – Er hört in erlebte Geschichte hinein und hört Gott heraus! Heute profetisch reden Versuchen wir das einmal zu aktualisieren: Ist die Aufhebung der Verbannung durch Kyrus nicht ein vergleichbar Einschnitt in der Geschichte wie der Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989? Wer von uns hat damals dahinter Gottes Handschrift gesehen und erkannt, die Handschrift dessen, von dem laut Tagesgebet vom 22.Sonntag im Jahreskreis „alles Gute“ kommt? - Damit sagen wir doch, dass es nichts Gutes auf der Welt geben kann, bei dem Gott nicht die Finger im Spiel hätte. - Der Fall der Mauer war doch wohl zweifellos etwas „Gutes“! Wer darüber weiterreflektieren will, kann sich fragen, wer da der Kyrus gewesen sein könnte … Können wir heute nicht mehr so „profetisch“ reden wie weiland Jesaja? – Wir können! In einer Zeitung habe ich die Stellungnahme des Seelsorgers gelesen, in dessen Gemeinde der Bau eines Sieben-Sterne-Hotels angedacht wurde. Mit unmissverständlicher Deutlichkeit hat der Mitbruder gefragt, ob so „ein großes Luxushotel nicht eine Beleidigung der Armen“ sei und fasst zusammen: 4 „Mit dem Bau eines solchen Luxus-Hotels würden christliche Werte mit Füßen getreten. Profitgier und Genusssucht gehören zu den Hauptsünden.“9 Für mich ist das profetisches Reden: Da hat einer in seine ganz konkrete Umwelt hinein-gehört und Gottes Nein heraus-gehört. - Womit ich den lieben Mitbruder nicht gleich zu einem neuen Jesaja hochjubeln möchte … Ein weiteres Beispiel aus unseren Tagen: Benedikt XVI. hat in seiner Rede am 22.September d.J. im Deutschen Bundestag „das Auftreten der ökologischen Bewegung“ hervorgehoben – und damit indirekt ein Versäumnis der Kirche eingestanden: Es bedurfte der Grünen-Bewegung, bis die Kirche daran ging, mit Nachdruck von der „Bewahrung der Schöpfung“ zu reden. – Ein Kyrus-Moment in unserer Zeit… Hören auf Gott – Hören auf die Menschen „Sprechen heißt Zuhören!“ schreibt, wie erwähnt, der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff: Das Hören als Vor-aussetzung für’s Sprechen gilt nicht nur Gott gegenüber, sondern auch den Menschen gegenüber, und gerade in der Pastoral, wie das obige Beispiel klar macht. Walther Werth hat im „Katholischen Sonntagsblatt“10 über das diesjährige Treffen des RatzingerSchülerkreises berichtet und dabei den Leiter der Wiener Akademie für Evangelisation, Otto Neubauer, zitiert, der in diesen erlauchten Kreis als Referent eingeladen war. „Am Beginn der Neuevangelisierung“, so Neubauer vor dem Papst und seinem Schülerkreis, „steht nicht das eigene Reden, sondern das Zuhören im Mittelpunkt“. Er, Neubauer, habe erst lernen müssen, „durch das Hören zu verkünden“. Laut Neubauer sei bei den „sehr offenen Gesprächen“ klar geworden, wie wichtig es für alle kirchlichen Bemühungen um Neuevangelisierung sei, „sich auf die Welt einzulassen“ – ich ergänze: in die Welt hineinzuhören. „Durch das Hören verkünden“: Kann es sein, dass wir mit unserer Verkündigung deshalb, sagen wir einmal: nicht ankommen, weil wir zu wenig hören - oder generell „schwerhörig“ geworden sind? Schwerhörig in Bezug auf das Geschehen um uns, schwerhörig in Bezug auf die Probleme und Schwierigkeiten der Menschen heute? Hören uns die Menschen deshalb nicht zu, weil wir nicht ihre Sprache sprechen, d.h. nicht in ihr Leben hineinhorchen? Ich darf erinnern: „Sprechen heißt Zuhören“ hat der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff formuliert. Teil 2 „Gottes Wort in Menschenwort“, hat man mir als Übertitel genannt. Wenden wir uns jetzt einmal dem Menschenwort zu, wie wir es benützen, formulieren und aussprechen. Da ist zunächst einmal von Schwierigkeiten zu reden. Schwierigkeiten Ländlich-bäuerlicher Gott Norbert Scholl führt in „Christ in der Gegenwart“11 die von Johann Baptist Metz 1994 andiskutierte Gotteskrise u.a. darauf zurück, dass Menschen in einer industriellen Welt einen ländlich-bäuerlich geprägten Gott, wie er sich in der Bibel darstellt, nicht mehr erfahren können. Scholl zitiert den wortgewaltigen Paul Konrad Kurz: „Mit einem aufgeklärten Bewusstsein kann man nicht spontan in archaische Mythen eintauchen. Raumzeitlich und im Bewusstsein weit entfernt von nomadischen Völkern, kann der verstädterte Mensch keinen Wüstengott erfahren.“ 9 vom Autor bestätigt Katholisches Sonntagsblatt 36/2011,p.2 11 CiG 34/2011,p.377 10 5 Der Mensch von heute tut sich, wenn ich Paul Konrad Kurz zusammenfassen darf, schwer, einen Gott zu erfahren, zu „hören“, der ihm in einer ihm völlig unbekannten und unerfahrenen Lebenssituation vorgestellt wird. Meine persönliche Erfahrung Lassen sie mich das aus meiner eigenen Erfahrung erläutern: Ich stamme aus einem Dorf im Herzen Bayerns, das in meiner Kindheit aus rund 30 Häusern bestand, zu denen fast ausnahmslos auch ein mehr oder weniger kleiner Bauernhof gehörte. Die kleinsten Bauern hatten so an die vier, fünf Stück Rinder im Stall stehen, Schafe und Ziegen gab es im ganzen Dorf nicht, die kannte ich ausschließlich aus Bilderbüchern – Fernseher gab’s ja damals noch nicht – und aus dem, was ich in der Kirche hörte. Das Wort „Hirte“ kannte ich aus dem Weihnachtsevangelium, einen leibhaftigen Hirten habe ich in meiner Kindheit nie zu Gesicht bekommen. - Für mich als Kind waren die Lesungen, in denen Hirten, Schafe und Ziegen vorkamen, abgehoben von meiner Wirklichkeit, das war eine andere, mir fremde Welt, die ich mir entsprechend romantisch vorstellte. Heute gibt’s in meinem Heimatdorf keine einzige Kuh mehr. Als einer meiner Neffen vor ein paar Jahren bei mir in Bozen zu Besuch war, erzählten mir seine Kinder, sie hätten auf der Seiser Alm frei herumlaufende Kühe und Pferde gesehen „wie im Fernsehen“. Verstädterung Wir haben – weltweit – eine bespiellose Verstädterung zu verzeichnen. Und täuschen wir uns nicht: Auch wenn es hier in Südtirol noch viele Bauern gibt und noch weit mehr Leute in Dörfern wohnen, das bäuerliche Milieu, die bäuerliche Denk- und Lebensweise ist auch hier am Verdunsten. Ich liege wohl nicht falsch, wenn ich sage, dass sich der Lebensstil und die Denkweise der Jugend in den Dörfern immer weniger von dem in den Städten unterscheidet. Wie aber, in welchen Bildern, mit welcher Lebensauffassung im Hintergrund reden und predigen wir von Gott, vom Himmel usw.? „In Orthodoxie enggeführt“ Paul Konrad Kurz12 führt weitere Punkte unserer Schwierigkeiten an: Die Krise der Gotteserfahrung wird noch durch die Tatsache dramatisch verschärft, dass „der ins Leben fließende Gott Abrahams“ durch seine Verkündiger „in Orthodoxie kanalisiert“ wurde, „enggeführt, aufgestellt, geufert in kirchlichen Konkretionen. Der Wegegott wurde eingesperrt in Denk- und Verhaltensschemata. Er musste sich niederlassen als Ansässiger, dem die Verwaltung über die Schulter schaut.“ Wortgewaltig wie dichterisch veranlagte Menschen nun einmal sind, fragt Kurz ob unsere Krise nicht eine „Krise des Kirchengottes, des fixierten, katechetisch abgepackten, obrigkeitlich überwachten, zensurierten, verwalteten Gottes“ ist. Kurz drückt damit in dichterischer Freiheit aus, was Rahner mit seiner Aufforderung zum SelbstAufbrechen, Selbst-Denken und -Glauben meint. Mittelalterliche Denkweise Der belgische Jesuit Roger Charles Lenaers, Jahrgang 1925 (!) und seit 1995 Pfarrer in Vorderhornbach in Tirol, sieht einen weiteren Grund13: Die Vorstellungen der Kirche, so Lenaers, „ihr Weltbild und ihr Menschenbild und zusammenhängend damit ihr Gottesbild, sind im Mittelalter stecken geblieben, während die westliche Gesellschaft sich in einem immer rascheren Tempo vom Mittelalter entfernt. Wer denkt und fühlt wie im Mittelalter, redet auch so. Für den 12 13 ebd. Roger Lenaers, Der Traum des Königs Nebukadnezar oder Das Ende einer mittelalterlichen Kirche, Edition Anderswo, 9016, 2.Aufl. 2008, p.14 6 modern denkenden und fühlenden Menschen ist diese Sprache eine Fremdsprache geworden, ebenso fremd wie weiland das Kirchenlatein.“ Apologetik Ein weiteres Problem, das sage jetzt ich, ergibt sich daraus, dass unsere kirchliche Sprache wesentlich von der Apologetik geprägt ist, also eine Abwehr-Sprache ist. Eine Sprache aber, die dem Kampf gegen etwas dienen muss, ist davon natürlich auch geprägt. Schweigende Unbegreiflichkeit Gottes Ausgerechnet Karl Rahner irritierte die Sicherheit, mit der wir über Gott reden, so als hätten wir ihn sicher im Griff: In seinem letzten Vortrag wenige Tage vor seinem Tod sprach er über die „Erfahrungen eines katholischen Theologen“ und sagte14: „Wir reden von Gott, von seiner Existenz, von seiner Persönlichkeit, von drei Personen in Gott, von seiner Freiheit, seinem uns verpflichtenden Willen und so fort ... Aber bei dieser Rederei vergessen wir dann meistens, dass eine solche Zusage immer nur dann einigermaßen legitim von Gott ausgesagt werden kann, wenn wir sie gleichzeitig auch immer wieder zurücknehmen.“ Wir müssen, so Rahner in seinem letzten Vortrag, „unsere Aussagen immer auch hineinfallen lassen in die schweigende Unbegreiflichkeit Gottes selber.“ – Wenn ich das richtig interpretiere, dann heißt das, dass der über Gott Redende auch immer durchblicken lassen muss, dass er ein Suchender ist, ein Tastender, vielleicht auch Zweifelnder ... – Merkt man das auch unserem Reden, unseren Predigten an? Oder reden und predigen wir so, als ob wir alles „bombensicher“ wüssten? Das Erzählen ist das Entscheidende Jan-Heiner Tück, seines Zeichens Dogmatik-Professor in Wien, schreibt im Rahmen seiner Besprechung von Peter Handkes „Der große Fall“15: „Eine Theologie, die gelehrt das Mysterium in Begriffen zu umschreiben sucht, aber nicht mehr in der Lage ist, deutlich zu machen, was wirklich geschieht, wenn Christus in den Zeichen von Brot und Wein nahe kommt, droht zu einem verkopften Glasperlenspiel zu werden.“ In diesem Sinne hat laut Tück Handke einmal geäußert: „Wenn jemand nur sagt, er sei religiös, geht mir das auf die Nerven, wenn er nicht erzählt, was das ist. Das Erzählen ist das Entscheidende.“ Zusammenfassung Ich darf zusammenfassen: Als besonders große Schwierigkeiten habe ich angeführt: - der im ländlich-bäuerlichen Milieu gefangene Gott; - der dogmatisch enggeführte Gott; - die im Mittelalterl stecken gebliebene Denkweise; - die von der Apologetik geprägte Sprache; - die Aussagen über Gott, die laut Rahner auch gleich wieder zurückgenommen werden müssten; - eine Theologie in Form eines verkopften Glasperlenspiels. Wie können wir diese Denk- und infolge dessen Rede-Schematada überwinden? Problem Liturgie Aus dem auszubrechen, ist einmal sicher die Liturgie vor, denn „die Sprache der Liturgie“, so der Liturgiker Artur Waibel, „wird immer eine gepflegte, gehobene Sprache sein, nicht banal oder ordinär, keine Gassensprache. Aber sie muss ansprechen, zu Herzen gehen, die Menschen berühren und bewegen, aufrütteln.“ Aber kann eine „gepflegte, gehobene Sprache“ „zu Herzen gehen“, „aufrütteln“? 14 15 zitiert nach Norbert Scholl, CiG 34/2011, p.377 CiG 35/2011,385 7 Liturgische Sprache als Hemmschwelle Den Tatsachen in unserem Land Rechnung tragen heißt auch, dass viele, vor allem junge Leute, Kirche nur noch bei außerordentlichen, liturgischen Anlässen erleben, wie z.B. bei Taufe, Erstkommunion, Trauung und Beerdigung. Das heißt, dass sie auch die kirchliche Sprache nur von diesen Feiern her kennen. Und da begegnet ihnen eine Sprache, die nicht nur altertümlich klingt, sondern auch altertümlich ist, wie z.B. esset und trinket oder, was uns, so fürchte ich, gar nicht mehr auffällt, der Dativ bei „damit sie uns werden Leib und Blut“. Es sind aber nicht nur die „offiziellen“ Texte, die antiquiert klingen: In einer Fürbitten-Vorlage habe ich gefunden: „Beten wir für die Mütter, die ihren Kindern nicht jeden Tag ein Mahl bereiten können“ … - Gebrauchen wir jemals in einem Gespräch die Wortwahl „ein Mahl bereiten“, noch dazu in diesem furchtbaren Zusammenhang? Ich würde halt für die Mütter beten, die ihren Kindern nichts zu Essen geben können … Sprache und Zeichen des Heute ZDF-Chefredakteur Peter Frey schreibt in diesem Zusammenhang16: „Die ergreifendste Tradition wird uns nicht von der Mühe entlasten, Sprache und Zeichen des Heute zu finden. Sorgfältige, liebevolle Sprache, Zuwendung, gerade im Ton der Predigt - das kann erbauen und erfrischen. Aber es gibt auch das Gegenteil. Mancher Ausdruck vorne im Altarraum kann frösteln lassen, weil er zu bombastisch ist oder […] weit weg vom wirklichen Leben oder fühlbar fremd selbst dem, der vorträgt.“ Apropos „bombastischer“ Ausdruck: Ich habe einmal nach dem Eingangslied vor dem Schuldbekenntnis eine Ministrantin gefragt, ob sie heute schon einmal gelogen habe. Die schüttelte natürlich den Kopf. Daraufhin habe ich auf die Gläubigen in den Bänken gedeutet und gesagt, die hätten alle soeben gelogen. Das Eingangslied war: „Alles meinem Gott zu Ehren …“ Ich fürchte, es geht vielen so wie mir, dass sie oft Lieder wegen der Melodie singen und den Text nicht weiter beachten … „Getreue“ Übersetzung aus dem Lateinischen Es ist hier nicht meine Aufgabe, das Deutsch der Orationen zu kritisieren, aber was man so von der Neufassung des Missale hört, ist nicht gerade aufbauend. Für den Erzbischof von Sydney, George Kardinal Pell, ist die genaue Übersetzung aus dem Lateinischen sogar „Ausdruck der katholischen Lehre“17. Zu der sich von der Alltagssprache deutlich unterscheidenden Sprache der – in diesem Fall englischen - Übersetzung brachte der Kardinal einen Vergleich: „Wir sind nicht beim Grillen. Das ist eine andere Ebene: Wie wenn wir zum Generalgouverneur sprechen oder mit der Queen, oder wenn wir formell den Premierminister ansprechen, so sprechen wir hier etwas vorsichtiger.“ - Inwieweit die Sprechweise, mit der Elisabeth II. angesprochen wird, „zu Herzen geht“, wie, siehe oben, der Trierer Liturgiker Artur Waibel fordert, will ich lieber nicht kommentieren … Sprache, die im Herzen berührt Anselm Grün gab auf die Journalistenfrage, was oder wofür er mit dem Papst gerne einmal beten würde, zur Antwort18: „Gerne würde ich gemeinsam mit dem Papst dafür beten, dass die Kirche heute eine Sprache findet, die die Menschen in ihrem Herzen berührt, eine Sprache, die die tiefste Sehnsucht der Menschen anspricht. […] Es braucht wie damals an Pfingsten die Sendung des Heiligen Geistes, damit jeder von uns in der Kirche so von Gott spricht, dass alle Menschen unsere Worte verstehen, dass unsere Worte sie an die Worte ihrer eigenen Seele erinnern.“ Dem stimmen wir sicher alle gerne zu, aber wie erreichen wir so eine Sprache? 16 C&W 26/2011, p. 26) Gottesdienst 9/2011, p. 76 18 CiG 39/2011,p. 443 17 8 Deutungshoheit eingebüßt Dem jungen, evangelischen Theologen Sebastian Moll, der ein Buch mit dem etwas eigenartigen Titel „Jesus war kein Vegetarier“ geschrieben hat, sind ganz allgemein die heutigen Theologen zu weltfern19: „Religion ist zwar ein Modethema, aber die Theologieprofessoren haben die Deutungshoheit eingebüßt. Es äußern sich Journalisten, Politiker und Religionswissenschaftler, aber kaum Theologen. Wir haben es mit einer Überspezialisierung in den exegetischen Fächern zu tun. Es werden Doktorarbeiten über den Begriff xy in der Schrift xy verfasst: Es ist doch eigentlich unverantwortlich, dass junge Menschen so viel Zeit und Energie in gesellschaftlich irrelevante Themen stecken sollen. Wer sich aber so äußern kann, dass man ihn über den engen Fachkreis hinaus versteht, wird von der Wissenschaft nicht mehr akzeptiert.“ Gibt es ein Mittel, diese Schwierigkeiten zu überwinden? Nicht von außen Mir ist in diesem Zusammenhang ein Text von Paul VI. untergekommen, der seiner Antrittsenzyklika „Ecclesiam suam“ entnommen ist: Darin erläutert er, wie die Kirche in die Denkund Lebensformen der jeweiligen Zeit hineinsprechen muss20: „Die Welt wird nicht von außen gerettet. Man muss, wie das menschgewordene Wort Gottes, gewissermaßen mit den Lebensformen derjenigen eins werden, denen man die Botschaft Christi bringen will, man muss, ohne Rücksicht auf Privilegien oder ohne die Trennungswand einer unverständlichen Sprache, die allgemeine Gewohnheit annehmen, wenn sie nur menschenwürdig und lauter ist, vor allem jene der Kleinsten, wenn man gehört und verstanden sein will.“ „Entweltlichung“ „Man muss mit den Lebensformen derjenigen eins werden, denen man die Botschaft Christi bringen will …“: Benedikt XVI. hat in seiner Rede im Konzerthaus in Freiburg am 25.September d.J. einen Begriff kreiert, der scheinbar das Gegenteil beinhaltet: Der Papst sprach von der notwendigen „Entweltlichung“ der Kirche. – Das Presse-Echo war entsprechend. Das ist ein klassischer Fall, wie man aufpassen muss, wenn man in der Öffentlichkeit, noch dazu in einer sehr kritischen, etwas sagt. Offensichtlich wurde der Text, in den dieser Begriff „Entweltlichung“ eingebettet und damit auch verständlich wird, von den meisten meiner journalistischen Kollegen gar nicht gelesen, sondern nur der Begriff herausgepickt, weil er so schön zu einem konservativen Mann passt. Der Papst sagte21: „Die Säkularisierungen - sei es die Enteignung von Kirchengütern, sei es die Streichung von Privilegien oder Ähnliches - bedeuteten jedes Mal eine tief greifende Entweltlichung der Kirche, die sich ja dabei gleichsam ihres weltlichen Reichtums entblößte und wieder ganz ihre weltliche Armut annahm.“ – Man sieht, im Zusammenhang hört sich das ganz anders an. Für mich ist das aber auch ein Beispiel, wie schwer sich Journalisten mit der Kirchensprache tun. Papst missverstanden Es ist übrigens überraschend, wie oft gerade dieser Papst, der so viel Wert auf Genauigkeit legt, missverstanden wird, bzw. sich so ausdrückt, dass er missverstanden werden kann. Das war mit der „Regensburger Rede“ so und das war auch, in weitaus kleineren Ausmaßen, mit diesem Ausspruch so. Kommunikation ist keine einfache Sache. 19 C&W 36/2011, p. 2 Nr. 87 21 Presseamt des Heiligen Stuhls 20 9 Öffentlichkeitsarbeit Man kann heute – leider – kaum mehr von einem Journalisten erwarten, dass er sich mit kirchlichen Dingen und Begriffen auskennt. Es dürfte sich z.B. keine Zeitung erlauben, eine Oper mit einer Operette zu verwechseln, aber eine Wort-Gottesfeier als Messe zu bezeichnen, das ist offensichtlich kein Problem. Da berichtet z.B. das Tagblatt, dessen Chefredakteur auf sein Katholisch-Sein großen Wert legt, über Versetzungen innerhalb der Diözese Bozen-Brixen und illustriert den Artikel mit einem Foto aus einer evangelischen Kirche – unverkennbar erkenntlich durch das auf dem Altar liegende Tuch und die darauf liegende Bibel … Ein andermal hat dieselbe Zeitung ebenfalls zu einer Pfarrerbestellung ein Bild aus dem außerordentlichen Ritus daneben gestellt. – Ein Schelm, wer sich dabei etwas denkt … Ich darf mir dazu eine Bemerkung erlauben: Warum eigentlich gibt es praktisch nie Richtigstellungen von unserer Seite, von Seiten der Priester etc. z.B. in Form von Leserbriefen? Schon gut, wenn man so etwas auf – wie man in Wien sagt – „amikalem“ Weg abklärt; aber was öffentlich falsch berichtet und nicht auf ebensolche öffentliche Weise berichtigt wird, bleibt als Falschmeldung hängen. Dessen müssen wir uns bewusst sein! „Die rohe Botschaft“ Schauen wir uns einmal an, welchen Wortschatz kirchenferne oder kirchenkritische Medien verwenden, wenn sie ein kirchliches oder theologisches Thema behandeln. Der Spiegel-Journalist Matthias Schulz schrieb z.B. eine Abhandlung unter dem Titel „Die rohe Botschaft“22 und betitelte darin Jesus als Zauberer, Wunderheiler, Volksprediger, Wutbürger, Volksverhetzer, Regierungskritiker, Steuerpirat, Steuernörgler oder Empörer. Wenn wir aufgefordert sind, unseren Glauben in der Sprache der heutigen Zeit auszudrücken, heißt das nicht, dass wir Worte und Ausdrücke wählen sollen, die so gar nicht unserem persönlichen Wortschatz entsprechen, das wäre ja wieder nicht authentisch. Authentisch ist, wenn ich mich selbst, meinen eigenen Glauben, in meiner Sprache und Ausdrucksweise wieder finde. Zu achten ist dabei auch ein Gundsatz aus dem Show-business: Die Form muss dem Inhalt entsprechen! Dazu ein Beispiel: Harald Schmidt Deutschlands „Oberspötter“ Harald Schmidt, der sich übrigens rühmt, auch einmal Ministrant gewesen zu sein, hat letztes Jahr in einer seiner allabendlichen Fernseh-Shows einen Ausschnitt aus der Karfreitagsliturgie vorspielen lassen. Zu hören und zu sehen war die Fürbitte, die nach dem Vorschlag der Deutschen Bischöfe die Missbrauchs-Opfer wie -Täter der Barmherzigkeit Gottes empfahl. Der Zelebrant hat die Gebetseinladung im „Hochton“ (Kantillationston) vorgetragen - und dem Showmaster damit eine Steilvorlage geliefert: „In der katholischen Kirche werden die brisanten Themen nicht nur an-gesprochen, sondern an-gesungen, was zu ihrer Klärung enorm beitrage“, so der Entertainer voller ätzender Ironie.23 Der Inhalt der Fürbitte war notwendig und gut; aber die Gebetseinladung in melodischen Formen zu singen, die dem abgeklärten Latein entsprechen, das passt wie die Faust aufs Auge! Singen oder Sprechen Die Frage, wann Singen, wann Sprechen angesagt ist in der Liturgie, damit es stimmig ist, darf nicht nur von den Rubriken beantwortet werden – so meine bescheidene Meinung …. 22 23 Der Spiegel, Osterausgabe 2011, zitiert nach Ekhard Jaschinski in CiG 32/2011, p. 364 nach Markus Eham, Wann sprechen, wann singen? in Gottesdienst 13/2011, p. 108 10 Einen Seitenhieb darf ich mir an dieser Stelle erlauben: Bei manchen Texten, ich denke da z.B. an die Dreifaltigkeits-Präfation, ist es, meine ich, besser, sie zu singen, weil man den gesungenen Text weniger gut versteht wie den gesprochenen … Apropos singen: Frei nach Augustinus zählt ein gesungenes Gebet vor Gott doppelt. – Liebe Mitbrüder, dem Herrgott mag das vielleicht schon gefallen, aber ob unser Gesang auch den Gottesdienstbesuchern gefällt ….? Noch dazu, wenn er mit Hilfe des Mikrophons alle übertönt? Zum Schluss Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Ich habe für das Sprechen von und über Gott das Hören bzw. Hinein-hören und Heraus-hören als unabdingbare Voraussetzung genannt. Ich habe Schwierigkeiten aufgezählt, die uns daran hindern, in heutiger Denk- und Sprechweise über Gott zu reden. Der für mich unabdingbare Grundsatz für das Sprechen von und über Gott aber ist, dass ich mich immer wieder neu frage, wie ich das zu Sagende in meinem eigenen Leben zu verwirklichen versuche – wobei ich das Versuchen unterstreichen möchte. Wenn ich einen biblischen Text vor mir habe, so muss ich natürlich studieren, was die Exegese sagt, aber wenn ich darüber reden soll, muss ich unbedingt - unbedingt - zuerst ehrlich mich fragen, was das für mich in meinem Leben heute bedeutet. Und dazu gehört wieder, in „das Heute“ hinein zu hören. P. Sepp Hollweck SVD Vortrag zur Seelsorgetagung 2011 am 18.10. in der Cusanus-Akademie, Brixen. 11