Kaiserin-Friedrich-Gymnasium
Transcrição
Kaiserin-Friedrich-Gymnasium
Seite 20 UMWELT BAUT BRÜCKEN TZH Dienstag, 2. April 2013 Öl-Makrelen aus dem Bosporus Trügerische Idylle Tausende Öltanker passieren jedes Jahr den Bosporus, eine der engsten Meerstellen der Welt. Nicht selten kommt es zu Havarien. Der Tankerverkehr an dieser Stelle stellt ein ökologisches Risiko dar. Junge Europäer im Dialog Projekt „Umwelt baut Brücken“ Bad Homburg. Schüler des Kaiserin-Friedrich-Gymnasiums Bad Homburg haben sich gemeinsam mit den Lehrkräften Sandra Dorfard und Markus Scholz sowie den Austauschschülern der Partnerschule Kabatas Erkek Lisesi, Istanbul, im Rahmen des Projektes „Umwelt baut Brücken“ mit dem Bosporus, seiner Verschmutzung und der ständig drohenden Gefahr einer Ölkatastrophe befasst. In der gefährlich engen Wasserstraße vor Istanbul ereignen sich immer wieder Havarien, 16 000 Öltanker quetschen sich jedes Jahr durch die Meerenge. Die Istanbuler halten einerseits die Luft an, haben schon manche Katastrophe miterlebt und fürchten die nächste. Andererseits tut man so, als sei alles in Ordnung. Auf dieser Sonderseite berichten die Schüler in Wort und Bild über die Ergebnisse ihrer Recherchen in Istanbul. „Umwelt baut Brücken“ ist ein deutsch-türkisches Umwelt- und Medienprojekt unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Joachim Gauck und Staatspräsident Abdullah Gül. Fünf Schulen aus Deutschland und fünf Schulen aus der Türkei bilden bilaterale Partnerschaften und arbeiten gemeinsam zu den Themen „Nachhaltigkeit und Umwelt“ und „interkulturelle Begegnung“. Gefördert von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) wird es den Schülern ermöglicht, zu recherchieren, sich mit Umweltthemen auseinanderzusetzen, journalistisch zu arbeiten und interkulturelle Kontakte zu pflegen. elle Istanbul. Bei strahlendem Sonnenschein ist die Galata-Brücke in Istanbul ein beliebter Aussichtspunkt. Von dort blicken Touristen gerne hinüber zur SüleymaniyeMoschee. Bei der Gelegenheit können sie gleich frisch gefangenen Fisch von den Anglern kaufen oder in den Restaurants genießen. Zu jeder Tageszeit bis spät in die Nacht hinein werfen die Fischer von der Brücke herab ihre Angeln in das Gewässer des Goldenen Horns. Unbemerkt bleibt, dass der Bosporus stark verschmutzt ist. Vom Verzehr der Schalentiere aus dieser Region wird dringend abgeraten. Besonders Muscheln nehmen die Stoffe in sich auf, die der Gesundheit schaden. Auch Fische wie Seebarsch (türkisch: Levrek), Dorade (türkisch: Cipura) oder Makrelen (türkisch: Istavrit) sind stark belastet. Doch das ist nicht der einzige Schaden, den auslaufendes Öl – beispielsweise nach Havarien – anrichtet. Öl beeinflusst die Wahrnehmung und das Paarungsverhalten der Fische. Dies kann dazu führen, dass der Bestand abnimmt. Je höher der Anteil an Öl im Wasser, desto größer der Schaden. Der 2007 an der Galata-Brücke gemessene Gehalt an Erdöl beträgt etwa das Zwanzigfache dessen, was die Weltgesundheitsorganisation als Maximalwert vorgibt. Die Meerenge am Bosporus ist ein neuralgischer Punkt. Jährlich passieren rund 60 000 Schiffe den kurvenreichen Abschnitt; davon sind etwa 13 000 Öltanker. Die Zahl der Öltanker hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdreifacht. Die Schiffe sind bis zu 300 Meter lang. In dem internationalen Gewässer kam es bereits mehrfach zu schwerwiegenden Unfällen. Deshalb nennt Esra Balcioglu, Doktorandin für Meeresbiologie, den Bosporus auch einen großen „Schiffsfriedhof“. Sie kann erklären, was das Öl im Meer anrichtet: Es bilden sich Ölteppiche, die als unnatürliche Schicht das Sonnenlicht absorbieren und somit den Pflanzenwuchs am Meeresgrund beeinträchtigen und den Lebewesen den Sauerstoff nehmen. Andere schwere Bestandteile des Öls sinken auf den Auf den ersten Blick scheint alles in Ordnung. Möwen kreisen unter sonnenklarem Himmel über dem blauen Wasser. Doch die 13 000 Öltanker, die Jahr für Jahr den Bosporus durchfahren, stellen ein hohes ökologisches Risiko dar. Die Durchfahrt verbieten darf die Türkei aber nicht. Foto: Antonia Foeller Meeresgrund und zerstören somit über ein Viertel der Unterwasserwelt. Immer wieder lässt sich beobachten, dass besonders Seevögel, wie Kormorane, sich durch den dunklen Glanz des Rohstoffs irritieren lassen und fälschlicherweise einen Fischschwarm vermuten. Der darauf folgende Beutezug endet meistens tödlich, da beim Eintauchen das Gefieder der Tiere mit Erdöl verklebt. Eine Frage der Ehre Die Gefahr der Havarie hat man indes durchaus erkannt und nach Möglichkeiten gesucht, die Risiken zu minimieren. Um Unfälle vorzubeugen, bietet die türkische Regierung den Kapitänen der Schiffe am Bosporus an, sich beim Manövrieren durch das schwierige Gebiet von Lotsen unterstützen zu lassen. Die Lotsen kennen die Fahrrinne, die engsten Stellen, die zwölf scharfen Kurven wie ihre Westentasche und können die großen Tanker und Handelsschiffe sicher durch den Bosporus lenken. Doch nur wenige Kapitäne nehmen diese Hilfe in Anspruch – nicht nur weil die sie für die Lotsen-Dienste bezahlen müssen. Sich Unterstützung zu holen, das kratzt auch am Stolz der Kapitäne. Schiffe, die den Bosporus durchqueren wollen, müssen mindestens 48 Stunden vorher angemeldet werden und genaue Informationen über ihre Ladung angeben. Da es sich um internationales Gewässer handelt, kann die Türkei die Durchfahrt nicht einfach verwehren. Seit 2012 müssen allerdings Tanker, die den Bosporus durchqueren möchten, mindestens doppelwandig sein – eine Maßnahme, die die IMO (International Maritime Organisati- Der Katastrophe keine Chance geben Die Kurbel rattert, der Wind bläst gegen die Barriere und das Einsatzboot steht bereit. Am Bosporus im Stadtteil Beşiktaş üben die Mitarbeiter der Meke, der „Müllabfuhr“ des Meeres, den Ernstfall – 500 Übungen gibt es im Jahr für die rund 300 Meke-Mitarbeiter in der gesamten Türkei. Instanbul. „Im Grunde finden mehr Übungen statt als Einsätze“, erklärt Kerem Kemerli (43), der Generaldirektor von Meke. Die Mitarbeiter müssten ständig geschult werden und mit vielen komplexen Übungsmaterialien umgehen können, um gut auf den Ernstfall vorbereitet zu sein: „Um einen Unfall zu bekämpfen, bei dem Schadstoffe austreten, bedarf es einer einjährigen Ausbildung“, erklärt Kemerli. Meke bildet nicht nur eigene Mitarbeiter, sondern auch Einsatzkräfte ausländischer Unternehmen aus. Kooperation ist ein wichtiges Stichwort: „Eine Organisation alleine reicht nicht aus, um die Umwelt im Falle einer Ölkatastrophe zu schützen. Deswegen arbeiten wir Übung in Istanbul: Ein Schiff setzt eine schwimmende Barriere aus, die die Ausbreitung eines Ölteppichs verhindern kann. Foto: Antonia Foeller mit mehreren Firmen zusammen“, so der Generalmanager. Das System basiert auf einem weltweiten „Netz“ von Einsatzkräften, die bei Bedarf in Aktion treten. Ein Einsatz folgt einem festen Ablaufplan, der zuerst einmal eine Einschätzung der Situation vorsieht. Wo ist das Erdöl abzufangen? Welche Bereiche sind besonders zu schützen? Wie weit wird sich das Öl in den kommenden Stunden ausbreiten? Darauf aufbauend wird eine Strategie entworfen, um Arbeitskräfte und Ressourcen sinnvoll zu verteilen. Da die Umweltbedingungen wie Windstärke und Strömung variabel sind, werden verschiedene Szenarien in den Plan einbezogen. Ist der Einsatz aufgrund der Wetterlage zu riskant, so werden keine Helfer hinausgeschickt. „Die Sicherheit unserer Mitarbeiter geht immer vor“, betont Kemerli. Neben den Einsatzkräften ist die Ausrüstung von großer Bedeutung. Um Öl auf der Wasseroberfläche einzudämmen, werden senkrecht schwimmende Barrieren ausgesetzt, die man aus einzelnen Segmenten zu beliebiger Länge zusammenschrauben kann. Über diesen eingegrenzten Bereich fährt ein „OilSkimmer“, der das Erdöl mit Hilfe rotierender Bürsten aufnimmt, abstreift und durch einen Schlauch in ein Auffangbecken weiterleitet. Diese Maschinen können bis zu 1000 Kubikmeter Wasser pro Stunde filtern, gut 7000 Badewannenfüllungen. Um an Land ölverschmutzte Gebiete zu reinigen, werden vor allem Tücher und Polster verwendet, die aus Polymerfasern bestehen, die Öl aufnehmen und Wasser abweisen. Yasin Yazan, Chefingenieur bei Meke, zeigt, wie das funktioniert: Er tunkt eines dieser Tücher in eine Wasserpfütze und holt es trocken wieder heraus. Die Meke-Mitarbeiter müssen Schutzkleidung tragen, damit sie nicht mit Öl in Kontakt geraten und keine Giftstoffe einatmen. Kerem Kermeli legt Wert auf Willensbereitschaft: „Uns liegt es vor allem am Herzen, dass unsere Mitarbeiter den Umweltschutz als eine Lebensaufgabe betrachten.“ Paula Kilp und Sarah Weber Im Einsatz mit der „kleinen Schaufel“ Istanbul. Meke, türkisch für Kormoran, ist Namensgeber für die größte Organisation zur Gewässerreinigung im türkischen Raum. Unter Meke-Generalmanager Kerem Kemerli (43) sind rund 300 Mitarbeiter dafür verantwortlich, das Kaspische und das Schwarze Meer sowie das östliche Mittelmeer und den Bosporus von Öl und Chemikalien zu reinigen und die Schadstoffe zu entsorgen. Die Firma Meke ist der Aufräumer nach der Havarie eines Tankers. Das 1978 gegründete Familienunter- nehmen mit Monopolstellung ist gesetzlich autorisiert, ohne weitere staatliche Genehmigung bei Wasserverschmutzungen in ihrem Zuständigkeitsgebiet von sieben Hauptstandorten aus direkt einzugreifen. Meke entwickelte nicht nur die Software „Meke-Slik“ eigenständig, mit der man die Ausweitung eines Ölteppichs simulieren kann. Meke hat auch Spezialschiffe für die Säuberungsarbeiten entwickelt, zum Beispiel die großen „Handfeger“ und „die kleine „Schaufel“, wie Kemerli grinsend erklärt. Schwieriger als die Beschaffung des Equipments sei es, qualifiziertes Personal zu finden, so Kermeli. Die Mitarbeiter müssten nicht nur über technisches Verständnis verfügen, im Idealfall verfolgten die Mitarbeiter auch ein persönliches Interesse am Erhalt der Umwelt, legt Kemerli Wert auf besonderes Engagement. Als lokaler Dienstleister arbeitet Meke auf internationaler Ebene mit den USA, den Niederlanden, Griechenland und Finnland sowohl finanziell als auch personell zusammen. Facharbeiter und spe- zielle Ausrüstung werden bereitgestellt. Durch solche Kooperationen entsteht ein globales Netzwerk zum Schutz vor Ölkatastrophen und Chemieunfällen. Für die Kosten eines Einsatzes kommt die Versicherung des Verursachers auf. Kann der Betrag jedoch nicht vollständig übernommen werden, springt ein Fonds der International Maritime Organisation (IMO) ein. Antonia Foeller, Kim Büchel, Annette Zinn und Alexander Kaumanns on) durchgesetzt hat. Diese Sonderorganisation der Vereinten Nationen (UN) ist für die Sicherheit der Schiffe weltweit verantwortlich und sorgt zugleich für den Schutz vor Meeresverschmutzung – mit mäßigem Erfolg. Selbst Experten raten im Bosporus an den meisten Stellen vom Badespaß ab. Von zehn zugelassen Stränden seien nur zwei ohne größere Bedenken zu nutzen, heißt es. Doch ähnlich wie das Schwimmen ist das Fischen an der GalataBrücke nach wie vor eine beliebte Freizeitbeschäftigung. Die Fischer werfen weiterhin ihre Angeln in das belastete Wasser. Touristen erfreuen sich an der Angleridylle und kehren in die Fischrestaurants ein – ganz so, als sei alles in Ordnung. Katharina Bub, Victoria Bub, Lara Hahn, Johanna Raith und Sophie Platz Meeresverschmutzung hin oder her: In Istanbul ziehen Angler nahezu Tag und Nacht Fische aus dem belasteten Wasser. Foto: Sophie Platz „Der Mensch ist der größte unberechenbare Faktor“ Der Bosporus – die bekannte Schiffspassage vor Istanbul – ist eine Herausforderung für jeden Kapitän: 1963 wurde am Bosporus eine Frau nachts in ihrem Schlafzimmer von einem Schiff überfahren. Könnte ein Kanal die Lösung für die Schiffsverkehrsprobleme sein? Istanbul. Im Schlafzimmer von einem Schiff überfahren? Das klingt abwegig. Tatsächlich ist die Meeresenge vor Istanbul eine der anspruchsvollsten Strecken der Welt: Schmale und scharfe Kurven, verborgene Felsen, ein stark in der Höhe variierender Meeresboden – all das erschwert die Durchfahrt der jährlich etwa 60 000 Handelsschiffe und Öltanker erheblich. Die Türkei schlägt regelmäßig Alarm, sorgt sich um die Sicherheit der Schiffe und ihre eigene. Aber ihr sind die Hände gebunden. Das Abkommen von Montreux erlaubt Handelsschiffen jeder Nation die freie Fahrt durch den Bosporus. Die türkischen Behörden können nur sanitäre oder Sicherheitskontrollen durchführen und Gebühren erheben, aber nicht die Passage verbieten. Die Türkei kann die Kapitäne auch nicht dazu zwingen, Lotsen an Bord zu nehmen. Nur in rund einem Viertel der Fälle nehmen die Besatzungen die Hilfe von Schiffslotsen in Anspruch – immerhin eine Verbesserung im Vergleich zum vorangehenden Jahrzehnt, in dem nur rund fünf Prozent der Kapitäne das Angebot annahmen. Kommt es zum Unfall, dann ist in den meisten Fällen eine Kollision zweier Schiffe Unfallursache. Bei Schiffshavarien sind Menschen und Umwelt gleichermaßen betroffen. Speziell Öltanker-Unfälle ha- ben erhebliche Konsequenzen für die Wasserqualität und die Menschen in unmittelbarer Umgebung. Die Schäden können nie gänzlich beseitigt werden. Nicht selten sorgen derartige Zwischenfälle dafür, dass Tierarten ausgelöscht oder vertrieben werden. Nach Unfällen bleiben oft Reste von Chemikalien und Metall, ganze Wracks und Schweröle zurück, die Gefahren für die Lebewesen der Umgebung bergen. Immerhin wurde im Jahr 2005 der einseitige Schiffsverkehr auf dem Bosporus eingeführt. Diese „Einbahnstraßenregelung“ hat die Häufigkeit von Havarien bereits gesenkt, dennoch suchen türkische Politiker nach einer längerfristigen Lösung. In Planung ist eine künstliche Verbindung zwischen Schwarzem Kerem Kemerli, Generalmanager der Meke. Foto: Sophie Platz Meer und Marmarameer. Dieser Kanal soll im Gegensatz zum Bosporus geradlinig und ohne Gefälle verlaufen. Gebaut werden soll er auf der europäischen Seite. Was Ministerpräsident Erdogan als „verrücktes Projekt“ bezeichnet, das neben der Entlastung des Schiffsverkehrs auch dem Umweltschutz dienen solle, kommt der Grundangst vieler Istanbuler vor einer großen Ölkatastrophe durchaus entgegen. Wie ein Menetekel wirkt die Erinnerung an die schlimme Katastrophe aus dem Jahr 1979, als ein rumänischer Öltanker an der südlichen Einfahrt des Bosporus explodierte. Die „M/T Independenta“ brannte über Wochen und verursachte verheerende Luft- und Meeresverschmutzungen. Umweltaktivisten kritisieren jedoch, dass durch den Bau des Kanals viele Bäume gefällt werden müssten und die Folgen einer zweiten Verbindung zwischen den Meeren noch zu unerforscht seien. Die Kontroverse zwischen Ökologen und Ökonomen bleibt bislang ungelöst. Letztlich sei, wie Kerem Kemerli, Generalmanager von Meke, erwähnt, der Mensch selbst „der größte unberechenbare Problemfaktor“. So leben die Istanbuler weiter mit den Schiffen und ihrer Sorge vor menschlichem oder technischem Versagen. Die Geschichte von dem manövrierunfähige Schiff, das einer jungen, schlafenden Türkin vor 40 Jahren zum Verhängnis wurde, als es deren am Ufer des Bosporus stehendes Haus dem Erdboden gleich machte, hat sich in die Gedächtnisse der Städter eingegraben. Alessandra Birkendorf, Carla Freber, Nina Seiffert