Oberhaus: Klingende und tanzende Münzen

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Oberhaus: Klingende und tanzende Münzen
26 THEMA: MUSIK-GESCHICHTEN
Das Klavierstück Die Wut über den verlorenen Groschen op. 129 von Ludwig van Beethoven
hieß ursprünglich „Rondo alla ingharese quasi
un capriccio“ (HB 5).1 Der deutsche Titel stammt
vermutlich von Beethovens Sekretär Anton
Schindler. Das Thema erinnert durch seinen aufsteigenden Dreiklang und die schnellen Sechzehntelbewegungen an das Hüpfen und Kreisen
eines Geldstücks. Durch den sich ständig steigernden technischen Anspruch und die oftmals
hämmernde Begleitung wird der Eindruck von
Wut erweckt. Zudem unterstreicht die Bezeichnung „alla ingharese“ („auf ungarisch“) die Lebhaftigkeit und Launenhaftigkeit der Musik. Dabei
kehrt das Thema nach einigen Ausbrüchen in
seiner grundlegenden Gestalt wieder. Die Rondoform wird allerdings nicht streng beibehalten,
sodass eher Variationen über ein Thema vorgestellt werden.
Der Untertitel könnte auch mit Beethovens Rechenschwäche zusammenhängen, denn bereits
die Addition von Zahlen bereitete ihm große
Schwierigkeiten (s. Arbeitsblatt „Beethovens Rechenkünste“).2 Um etwa elf Halbe zusammenzuzählen, schrieb er elfmal 1/2 untereinander, um
dann zum falschen Ergebnis von 10,5 zu addieren. Der Grund für die schlechte mathematische
Grundausbildung liegt in der damals fehlenden
Schulpflicht, denn Beethoven kehrte bereits mit
zehn Jahren der Bildungsanstalt für immer den
Rücken zu und widmete sich ganz der Musik.
dieter schnebel:
zahlen für (mit) münzen
Der zeitgenössische Komponist und ehemalige
Musiklehrer Dieter Schnebel hat sich in seiner
Komposition Zahlen für (mit) Münzen mit Geldstücken als Klangerzeuger auseinandergesetzt.3
Als er eines Tages in eine Schulklasse kam „und
faszinierende Klänge hörte, nämlich die von rollenden Münzen“, entschloss er sich, ein Stück zu
komponieren, das „mit allerlei Aktionen mit
musik
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Klingende und
tanzende Münzen …
Beethovens „Wut über den verlorenen Groschen“
als Münzen-Choreografie
lars oberhaus
Ausgehend von biografischen Informationen über Ludwig van Beethovens
„Rechenschwäche“ wird eine Münzen-Choreografie zu dessen populärem
Klavierstück „Wut über den verlorenen Groschen“ vorgestellt. Mit klingender
Münze wird so eine Musikgeschichte für die SchülerInnen spielerisch erfahrbar.
5 6 7 8 9 10 11 12 13
Arbeitsblätter
▲ ▲
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Beethovens Rechenkünste – S. 30
Eine Münzen-Choreografie für
8 Münzen zu Beethovens
op. 129 –S. 29
Dieter Schnebels Komposition mit
Münzen –S. 31
Hörbeispiele – CD
▲
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im unterricht
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Dateien – DVD
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Video: Choreografie mit Münzen
Münzenklänge-Samples: klopfen,
drehen, reiben, rollen, schütteln,
setzen und stapeln, wischen
Grafische Notation
schott-musikpädagogik.de
▲
Im Unterricht wird eine Choreografie mit Münzen
zum parallel erklingenden Stück Die Wut über
den verlorenen Groschen gestaltet (s. HB 5 und
das Arbeitsblatt „Eine Münzen-Choreografie für
8 Münzen zu Beethovens op. 129“). Im Vergleich
zur Komposition von Schnebel handelt es sich also um ganz andere Vorbedingungen, die viel
Aufmerksamkeit auf die im Hintergrund erklingende Musik verlangen. Da es um eine Choreografie geht, in der nur die Hände mit den Münzen „tanzen“, ist ein gewisses feinmotorisches
Geschick mit den Fingern erforderlich.
▲
Geldstücken spielerisch arbeitet“.4 Im Unterschied zu der hier vorgestellten Choreografie
arbeitet Schnebel mit verschiedenen Spielflächen
und Behältern für Münzen. Als Schriftform wählte er grafische Notation, die er mit verbalen
Anweisungen ergänzte (s. Arbeitsblatt „Dieter
Schnebels Komposition mit Münzen“). Im Rahmen unterschiedlicher Spieltechniken unterscheidet er zwischen Münzen rollen, setzen, schütteln, wischen werfen und Münztürme umwerfen. Mit den aktuellen Euro-Geldstücken ist das
Münzenrollen schwieriger als mit Mark und
Groschen.
HB 5: Beethoven: Rondo alla ingharese
G-Dur, op. 129 (Martin Stadtfeld)
HB 6: Beethoven: Rondo alla ingharese
G-Dur – langsames Übetempo
HB 7-13: Münzenklänge: klopfen,
drehen, reiben, rollen, schütteln,
setzen und stapeln, wischen
HB 14•: alle Münzenklänge
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28 THEMA: MUSIK-GESCHICHTEN
Die Choreografie lässt sich sowohl in unteren als
auch in höheren Jahrgangsstufen umsetzen. Für
die Unterstufe bietet sich eine Münzen-Choreografie des Themas an (HB 5, 0:00-0:45 Min.). Für
die Mittel- und Oberstufe eignet sich auch der
weitere Verlauf des Rondos. So wie die Interpretation des Stücks immer virtuoser wird, verlangt
auch die Choreografie nach anspruchsvolleren
und komplexeren Gestaltungen. Sie beschränkt
sich allerdings auf ca. drei Minuten, da die Umsetzung des ganzen Stücks zu kompliziert wäre.
Spieltechniken und Klänge mit Münzen
In Gruppen werden zunächst verschiedene Möglichkeiten der Klangerzeugung (Spieltechnik) mit
Münzen erprobt und zusammengetragen. Im
Vergleich zu Schnebels Komposition lassen sich
einige wichtige Spieltechniken ergänzen, wie
z. B. Münzen kreisen lassen und Münzen auf den
Tisch klopfen. Zudem kann auch die Verteilung
der Münzen auf die beiden Hände berücksichtigt
werden.
Anschließend erstellen die SchülerInnen Vorschläge, wie sich die Spieltechniken grafisch
notieren lassen (vgl. die Vorlage auf dem Arbeitsblatt „Grafische Notation“ auf der Heft-DVD).5 Die
Spieltechniken werden dann gemeinsam erprobt,
wobei sich erste Gestaltungsversuche ergeben
(Klasse teilen und Spieltechniken überlagern,
Echoeffekte erzeugen; Übungen mit Dynamik und
Tempi; kleine Rhythmen zwischen den SchülerInnen aufteilen). Mittels einer grafischen Notation werden die Gestaltungsversuche festgehalten.
Einstudierung der Münzen-Choreografie
Die Choreografie zu dem Stück Die Wut über den
verlorenen Groschen eignet sich der Lehrende am
besten durch das Video „Choreografie mit Münzen“ auf der Heft-DVD an. Die Einstudierung der
Choreografie erfolgt Schritt für Schritt zunächst
ohne Hörbeispiel. Die Erarbeitung mit den SchülerInnen erfolgt dann durch „Vor- und Nachmachen“. Es bietet sich an, die Choreografie erst im
langsameren Tempo einzustudieren (HB 6) und
dann die Originalversion zu verwenden. Hilfreich
ist auch die Verwendung einer Art grafischer Notation, die den Ablauf visualisiert. Diese lässt sich
z. B. während der Einstudierung an die Wand
projizieren (vgl. dazu das Arbeitsblatt „Eine Münzen-Choreografie für 8 Münzen zu Beethovens
op. 129“ oder das Arbeitsblatt „Grafische Notation“ auf der Heft-DVD). Für die Einstudierung
werden insgesamt acht größere Münzen verwendet (z. B. Zwei-Euro-Stücke), da diese gut in der
Hand liegen und am besten kreisen. Es lassen
sich aber auch kleinere Geldstücke oder Spielmünzen verwenden.6 Bei der Umsetzung sollte
darauf geachtet werden, dass die SchülerInnen
behutsam mit dem Material (Münzen und Tische)
umgehen. Die Einführung von Regeln und eines
Stille-Zeichens hat sich bewährt. Für das beste
Klangergebnis sorgen Holztische.
Weiterführende Ideen:
Arbeit mit Soundeffekten
Mit einem Audio-Sequenzer-Programm (z. B.
Magix MusicMaker) lässt sich eine Klangcollage
erstellen, indem auf einer Spur das Stück Die Wut
über den verlorenen Groschen abläuft und auf
anderen Spuren verschiedene Soundeffekte
aneinandergereiht werden.7 Auf der Heft-DVD
finden sich einige Samples von den in der Choreografie verwendeten Spieltechniken (s. außerdem HB 7-14). Das Thema „Musik mit Münzen“
verweist auch auf übergeordnete Themen. Die
Choreografie bildet z. B. einen Einstieg in eine
Unterrichtsreihe über die Vermarktung von Musik
oder der Musik mit Alltagsgegenständen.
1 Es gibt zahllose Interpretationen von dem Stück Die Wut
über den verlorenen Groschen in unterschiedlichen Tempi.
Auf der Heft-CD findet sich eine Aufnahme von Martin Stadtfeld, der ein mittleres Tempo wählt und mit wenigen Verzögerungen arbeitet (HB 5).
2 Beethoven war etwa 25 Jahre alt, als er das Stück schrieb.
Es ist bis auf einige wenige Takte unvollendet geblieben. Diese wurden nach Beethovens Tod ergänzt. Daher erklärt sich
auch die späte Opuszahl.
3 Dieter Schnebel: Zahlen für (mit) Münzen, Mainz 1985; aus
musikdidaktischer Sicht vgl. v. a. Ortwin Nimczik: „Mit klingender Münze. Zahlen für Münzen (1985) von Dieter Schnebel“, in: Musik & Bildung 1/2000, S. 48, sowie Stefan Jäger:
Experimentelle Musik in der Hauptschule. Ausgewählte Ansätze für das Klassenmusizieren, Augsburg 2008.
4 Schnebel, zit. nach Jäger, a. a. O., S. 91.
5 Die Vorlage orientiert sich an der Notationsweise in Stefan
Jägers Experimentelle Musik, a. a. O.
6 Diese finden sich in Spielwarengeschäften oder lassen sich
über das Internet bestellen.
7 Die Band Pink Floyd hat in dem Song Money die Geräusche
von Registrierkassen verwendet.
ARBEITSBLATT
29
Eine Münzen-Choreografie für 8 Münzen
zu Beethovens op. 129
Zeit
Tempo
Aktion
1
0:00
Viertel
Münzen nach links schütteln (16 Mal)
2
0:06
Viertel
Münzen abwechselnd von links nach rechts schütteln (16 Mal)
3
0:12
Viertel
Münzen nach rechts schütteln (16 Mal)
4
0:17
Viertel
Münzen in beiden Hände zusammen hochwerfen (32 Mal)
5
0:29
Viertel
Wiederholung von 1 bis 3
6
0:45
4 Viertel pro Aktion
Münzen auf den Tisch setzen / stapeln (8 Mal)
7
0:58
4 Viertel pro Aktion
Münzen wieder in eine Hand aufsammeln (8 Mal)
8
1:10
Viertel
Eine Münze in die rechte Hand nehmen und auf den Tisch klopfen (8 Mal), dabei restliche Münzen auf
9
1:14
Viertel
Eine weitere Münze in linke Hand nehmen und auf den Tisch klopfen (8 Mal)
10
1:17
Viertel
Wiederholung von 8-9
11
1:23
Viertel
Abwechselnd links und rechts klopfen (16 Mal)
12
1:29
Viertel
Beide Münzen auf den Tisch klopfen (16 Mal)
13
1:35
8 Viertel pro Aktion
Münzen nacheinander kreiseln lassen (8 Mal), dann Münzen in Reihe sortieren
14
2:03
halbes Tempo
Münzen wischen (8 Mal nach links, 8 Mal nach rechts), dann jeweils zwei Münzen in rechte und linke
15
2:30
8 Viertel pro Aktion
Münzen reiben (8 Mal rechts, 8 Mal links), dann wieder hinlegen
16
2:46
4 Viertel pro Aktion
Münzen nacheinander zurück in die Hand legen (8 Mal), beide Hände schütteln (8 Mal) und abschlie-
Tisch ablegen
Hand nehmen
ßend beide Hände aneinander reiben
grafische Symbole
schütteln:
kreisen:
klopfen:
stapeln:
wischen:
werfen:
30 ARBEITSBLATT
Beethovens Rechenkünste
Er war einer der wichtigsten Komponisten der so genannten Wiener
Klassik und komponierte das wohl bekannteste klassische Klavierstück
überhaupt: Für Elise. Aber was die wenigsten wissen: Ludwig van
Beethoven war schlecht im Rechnen und hatte große Schwierigkeiten,
Zahlen zu addieren. Um 11 Halbe zusammenzuzählen, schrieb er elf
Mal „1/2“ untereinander, um dann ein falsches Ergebnis auszurechnen: 10 1/2!
Der Grund für Ludwigs Rechenschwäche lag in der fehlenden Schulpflicht. Er besuchte nur die Elementarschule und kehrte dann mit ca.
zehn Jahren der Schule für immer den Rücken zu. Der kleine Ludwig
erhielt eine musikalische Ausbildung durch seinen Vater. Nachhilfeunterricht in Mathe gab es allerdings nicht. Erst kurz vor seinem Tod
erteilte der Neffe Karl ihm Hilfe im Einmaleins und schrieb ins Konversationsheft: „Die Multiplikation ist nur eine vereinfachte Addition. Die
Rechnung geschieht also auf dieselbe Art.“ Auch dieser Tipp hat dem
Komponisten nicht geholfen …
Die fehlenden Rechenkünste führten vielleicht auch dazu, dass Ludwig der festen Überzeugung war, stets in Armut zu leben. Dabei hatte
er gut verdient und hinterließ ein ansehnliches Vermögen, unter
anderem auch Aktien. Beethoven war aber kein Geizhals. Trotz bescheidenem Lebensstil waren seine Ausgaben erstaunlich hoch. Seine
SchülerInnen berichten darüber, dass er „gerne Gutes und Ordentliches“ genoss und sehr großzügig gewesen sei.
Am Ende seines Lebens schien Beethoven seine Schwierigkeit im Umgang mit Geld bewusster wahrgenommen zu haben und beklagte
sich ständig bei seinen Verlegern über finanzielle Schwierigkeiten.
!
1.
Dies könnte einer der Gründe gewesen sein, warum Beethovens
Freund und Sekretär Anton Schindler dem Klavierstück den merkwürdigen Titel „Die Wuth über den verlornen Groschen, ausgetobt in einer Caprice“ gab. Dabei hatte Beethoven das Stück noch nicht einmal
vollendet, als er es um das Jahr 1795 herum in der Schublade verschwinden ließ. Auf seinem Manuskript stand lediglich „Leichte Kaprice“ und die Tempoangabe „Alla ingharese“ („ungarisch“), also
temperamentvoll und feurig. Aber von „Wut“ oder „Groschen“ war
keine Rede.
Warum hat Anton Schindler dem Stück den Titel „Die Wut über den verlorenen Groschen“ gegeben?
beethoven: rondo alla ingharese g-dur, t. 1-16
Text:
!
2.
3.
Umkreist mit einem Stift verschiedene Motive des Themas und markiert Abschnitte, um es zu gliedern!
Erfindet zu der Melodie einen passenden Text! Sprecht ihn dann gemeinsam.
ARBEITSBLATT
31
Dieter Schnebels Komposition mit Münzen
»
Die Anregung zu diesem Stück verdanke ich der experimentellen Phantasie von Schülern. Während meiner Frankfurter Tätigkeit als Lehrer kam ich eines Tages in eine Klasse und hörte faszinierende Klänge: nämlich die von rollenden Münzen, die durch die Resonanz der stabilen Holztische noch
gute Verstärkung und hübschen Nachhall erhielten. Viele Jahre später, als ich am Münchener Oskar-von-Miller-Gymnasium selbst eine Arbeitsgemeinschaft für neue Musik leitete, schrieb ich dafür dann dieses Stück, das mit allerlei Aktionen mit Geldstücken spielerisch arbeitet: Münzen rollen,
setzen, schütteln, werfen u. a. Die Aktionen selbst sind entweder in den Einsätzen, oder im Tempo, oder im Rhythmus zeitlich geregelt; vor allem
aber ist die Anzahl der Münzen, die sich jeweils im Spiel befinden, kompositorisch festgelegt – daher der Titel des Werkes. Indessen haben Aktionen
mit Geldstücken auch eine eigene, womöglich drastische Symbolik. Auch solche ist bedacht, und der Titel mag also recht wörtlich verstanden werden: Zahlen mit Münzen.
(Dieter Schnebel)
© Schott Music, Peter Andersen
»
© Schott Music
© Schott Music
Dieter Schnebel (* 1930) gilt als einer
!
1.
2.
3.
der einflussreichsten und originellsten
deutschen zeitgenössischen Komponisten.
Er arbeitete auch als Pfarrer, Religionsund Musiklehrer und führte zusammen
mit seinen SchülerInnen zeitgenössische
Musik auf. In vielen seiner Werke setzt er
sich mit Bildern, Texten und Alltagsklängen auseinander. Einen wichtigen Stellenwert besitzt der Körper als eigenständige
Klangquelle.
Dieter Schnebel: Zahlen für (mit) Münzen,
„Münzen setzen I“ und
„Münzen schütteln I“
Wie ist die Komposition Musik mit (für) Münzen entstanden?
Beschreibe in eigenen Worten, was Dieter Schnebel unter „experimenteller Musik“ versteht!
Schaue dir die Bilder an. Was unterscheidet diese grafischen Notationen von gewöhnlichen Notationen?

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