Da er sich nach wie vor prächtig verkauft, mussten beim Polo keine

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Da er sich nach wie vor prächtig verkauft, mussten beim Polo keine
Fahrbericht VW Polo
Golf in Klein?
Da er sich nach wie vor prächtig verkauft, mussten beim Polo keine einschneidenden
Änderungen vorgenommen werden. Unter dem Blech hat VW jedoch umfassend
an der Technik gefeilt und damit den Abstand zum Golf ein gutes Stück reduziert.
54 9/2014
H
a, erstaunlich! Dass es sich beim Polo
noch um einen Kleinwagen handelt,
glaubt nicht einmal mehr VW. Bei
der Vorstellung der gelifteten Version wird
unverwunden von einem der meistverkauften Kompaktmodelle gesprochen. Auf vier
Metern Länge bringt der Polo schließlich
vier Erwachsene nebst Gepäck langstreckentauglich unter und schlägt in puncto Kopffreiheit im Fond manch neumodische Coupé-Limousine.
Den Unterschied zum Golf machen weniger Zentimeter- oder Liter-Vergleiche,
sondern vielmehr der Blick auf Komfort-,
Assistenz- und Antriebstechnik. Machten,
muss man jetzt eher sagen: Obwohl sich
äußerlich kaum etwas geändert hat und nur
Fahrer des seit 2009 angebotenen Modells
den neuen Schwung in den Front- und Heckschürzen, die frischen Farben und Felgendesigns bemerken dürften, pf lügte VW fast
die gesamte Technik um.
Euro 6 für alle Motoren
Bei den Benzinern ersetzen 60 und 75 PS
starke Einliter-Dreizyliner aus dem Up die
bisherigen 1,2-Liter-Motoren, während die
90 und 110 PS starken TSI aus vier Zylindern
schöpfen. Sämtliche Aggregate erfüllen
Euro 6, bei den Dieseln kommen hierfür
NOx-Speicherkatalysatoren und ein verbessertes Brennverfahren zum Einsatz. Die TDI
leisten nach wie vor 75 bis 105 PS, sie basieren jedoch alle auf dem bisherigen 1,2-Liter
und verfügen daher nur noch über drei Zylinder. 15 Millimeter mehr Hub heben das
Volumen auf einheitliche 1,4 Liter an.
Wer jetzt die Laufkultur einer Waschmaschine im Schleudergang befürchtet, wird
staunen: Dank Ausgleichswelle in der Ölwanne, Zweimassenschwungrad und optimierter Motorlager wuselt der getestete
90-PS-Diesel nahezu vibrationsfrei durchs
Drehzahlband. Ebenso beeindruckend, mit
welcher Hingabe sich der Common Rail
schon unter 1500/min ins Zeug legt und
entschlossen bis über 4000/min dreht. Mit
seinen schnellen und ruckarmen Übersetzungswechseln passt das bekannte Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe bestens
zum Temperament des TDI. Obwohl er
obenrum lauter wird, gehört der 1400er
zu den kultiviertesten Dreizylindern überhaupt – und das als Diesel. Selten wurde
Zylindersterben von derart wenig Abschiedsschmerz begleitet.
Dazu geht das Downsizing mit einer Gewichtsersparnis von 30 Kilogramm gegenüber dem 1,6-Liter im Vorgänger einher.
Auch deshalb benötigt der 90-PS-TDI nach
NEFZ nur 3,4 Liter Diesel/100 km und damit
0,8 Liter weniger als bisher. Ein sehr guter
Wert, selbst wenn Normwerte in der Praxis
nur mit extrem leichtem Gasfuß zu schaffen
sind. Gar auf nur 3,1 l/100 km kommt der
9/2014 55
Fahrbericht
75 PS starke Chefsparer TDI Bluemotion, der
ebenso im Laufe des Jahres folgt wie GTI
(192 PS) und Blue GT mit Zylinderabschaltung (150 PS).
Von der geringeren Masse auf der Vorderachse profitiert das Handling ebenso wie
vom neuen Sport-Fahrwerk, das neben einer
Tieferlegung um 15 Millimeter erstmals im
Polo verstellbare Dämpfer mitbringt. Per
Knopfdruck lässt sich zwischen Normal und
Sport umschalten, eine Komfortstufe sucht
man hingegen vergebens. Zusammen mit
den montierten 17-Zoll-Felgen samt Serie40-Reifen klopfen daher kurze Querrippen
schon auf Normal kräftig an. Auf Sport
führt der Polo hingegen zu akribisch Proto-
3,4 l/100 km
NEFZ-Verbrauch. Beim
184 km/h schnellen Polo TDI
mit 90 PS erinnert nur der
Verbrauch an einen Kleinwagen
koll über die Beschaffenheit der Asphaltdecke
und schüttelt die Insassen kräftig durch.
Dafür lenkt er umso zackiger ein, stemmt
sich seitenneigungsarm gegen Querkräfte,
um Kurven schnell und sicher zu durchpf lügen. Mit seiner leichtgängigen elektromechanischen Servolenkung (ebenfalls neu)
fühlt er sich zudem beim Rangieren angenehm handlich an. Wer von den AdaptivDämpfern mehr Komfort erwartet, kann
sich die 380 Euro Aufpreis hingegen sparen.
Die kann man beispielsweise ins ACCSystem (500 Euro) stecken. Ein Radarsensor
in der Frontschürze hält ab Tempo 30 den
Abstand zum Vordermann konstant, was
den Fahrer auf eintönigen Kolonnenfahrten
spürbar entlastet. Überhaupt lässt sich der
Polo gegen Aufpreis mit mehr Assistenzsystemen ausstaffieren als so mancher Mittelklasse-Vertreter. Das City-Notbremssystem
GULDES CONNECTIVITY-CHECK
Der Polo bringt die Apps vom
Smartphone aufs Display
E
in bisschen Abstand zum Golf muss
dann doch sein: Mit 6,5- statt AchtZoll-Diagonale kommt im Polo ein
etwas kleinerer Bildschirm zum Einsatz, der
mit 800 x 480 Pixeln jedoch genauso hoch
auflöst und deshalb knackscharf wirkt.
Ansonsten kann von abgespeckt keine
Rede sein: Als erster VW integriert der Polo
Smartphones per MirrorLink-Technik, mit
der sich Handy-Apps auf dem FahrzeugTouchscreen darstellen und bedienen lassen. Im Stand kann auf jede App zugegriffen werden, während der Fahrt sind
lediglich Programme erlaubt, die nicht zu
sehr ablenken. Welche das sind, regelt dasCar Connectivity Consortium, dem viele
Auto- und Elektronikhersteller angehören.
Daher lassen sich Handys von verschiedenen Marken (Samsung, HTC, Nokia) und
mit unterschiedlichen Betriebssystemen
anstöpseln. iPhone-Besitzer schauen jedoch in die Röhre, da Apple mit CarPlay
einen eigenen Standard etablieren möchte.
Bei unserem ersten Test kam ein HTC One
Max mit Android zum Einsatz, das über eine Gratis-App MirrorLink-tauglich gemacht
wird. Die Verbindung zur Polo-Navigation
Discover Media (für Comfortline 1035 Euro)
erfolgt per USB-Kabel, über das auch geladen wird. Jetzt muss im Fahrzeugmenü
nur noch MirrorLink angetippt werden, und
schon erscheint die Smartphone-Oberfläche auf dem Bordmonitor. Sonstige Einstellungen oder das Einrichten irgendwelcher
Konten entfällt – das Handy bleibt Kommunikationszentrale mit all seinen Möglichkeiten. Da wir noch stehen, können wir auf
Google Maps die Umgebung durchsuchen
oder Facebook-Einträge sichten. Während
der Fahrt sind solche Funktionen gesperrt,
nicht jedoch die Webradio-App Aupeo mit
Tausenden Sendern oder My Guide, der
unter anderem Restaurants in der Nähe
samt Kundenbewertungen anzeigt. Da die
Internetverbindung über das angeschlossene Mobiltelefon erfolgt, kommen wir bei
unserem HTC in den Genuss des schnellen
LTE-Standards. Liegt das Handy in seiner
Ablage, wird es zudem per Induktion mit
einer Außenantenne verbunden.
Zum Start Anfang Juni sollen rund zehn
zertifizierte Programme fertig sein. Eine
Navigations-App gehört dann noch nicht
dazu, folgt jedoch in den nächsten Monaten. Die 170 Euro teure MirrorLink-Schnittstelle lässt sich nämlich nicht nur mit der
VW-Navigation, sondern auch mit dem Radio Composition Media (530 Euro) kombinieren. Eine entsprechende RoutenführerApp bringt dann günstig ans Ziel.
Das Handy-Display wird nahezu eins zu
eins auf den Bordmonitor gespiegelt
VW-App My Guide listet Restaurants,
Tankstellen und Geschäfte in der Nähe
Gesamtansicht aller Apps, von denen
sich viele nur im Stand bedienen lassen
FAZIT
Fast perfekt
Eingeblendete Schaltflächen im unteren Bereich erleichtern die Bedienung
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Musik vom Handy wird durch Antippen
des großen Cover-Fotos ausgewählt
MirrorLink überzeugt beim ersten Kurztest
voll und ganz, da es sich leicht einrichten
und bedienen lässt und auch mit dem
günstigeren Polo-Radio zusammenspielt.
Besitzern von Apples iPhone bringt das
System jedoch nichts.
verhindert oder lindert Auffahrunfälle bei
niedrigem Tempo, die Multikollisionsbremse
versucht, Folgeunfälle nach einem Crash zu
unterbinden, während der Müdigkeitsassistent den Fahrstil analysiert und gegebenenfalls
zu Pausen rät. Für mehr Durchblick nach vorn
und hinten sorgen auf Wunsch LED-Scheinwerfer und eine Rückfahrkamera.
Im Innenraum fallen die Modifikationen
auf den ersten Blick bescheidener aus. Die
vertieft angeordneten Instrumente sehen
einen Tick schicker aus, genau wie die AluElemente in Türverkleidungen und Mittelkonsole oder das aus dem Golf bekannte
Dreispeichenlenkrad. Wie im großen Bruder ist es jedoch mit zu vielen Knöpfen für
Tempomat und Multimedia übersät, deren
Bedienung während der Fahrt zumindest
am Anfang stark ablenkt.
Weniger Ablenkung versprechen die Infotainment-Systeme selbst. Indem sie Handy-Apps auf den Bordmonitor spiegeln, darf
das Smartphone in der Ablage liegen bleiben, von wo aus es per Induktion mit einer
empfangssteigernden Außenantenne verbunden wird (Mobilfunk-Schnittstelle Comfort für 360 Euro). Immerhin wurde auch
die Serienausstattung verbessert: So rollt
der unverändert 12 450 Euro teure Polo
Trendline mit dem 60-PS-Benziner jetzt auf
15- statt 14-Zoll-Rädern, mit einer geteilt
umklappbaren Rückbank, doppeltem Lade-
boden und Funkfernbedienung für die Zentralverriegelung vom Band. Zusammen mit
dem 950 Euro teuren Cool & Sound-Paket,
das Klimaanlage und Radio mit SD-Kartenslot umfasst, fehlt es an nichts Wesentlichem, weshalb der Polo für preissensible
Käufer interessant bleibt.
Wer will, kann ihn jedoch mehr denn je
zu einem echten Luxuszwerg aufrüsten, der
weit über 20 000 Euro kostet. Mit einem
kargen Kleinwagen hat er dann tatsächlich
nichts mehr zu tun, da hat VW schon recht.
Einigen wir uns auf kleinen Kompaktwagen.
Text: Dirk Gulde
Fotos: Arturo Rivas
Die geteilt umklappbare Rückbank ist jetzt
ab Basisversion Trendline serienmäßig
Sensor für die ACC-Distanzregelung (oben).
Straff abgestimmtes Sportfahrwerk
Die neue elektromechanische Lenkung bietet ausreichend Rückmeldung und
macht den Polo in der Stadt
ausgesprochen handlich
Technische DaTen
VW Polo
1.0 MPi
1.0 MPi
1.2 Tsi
1.2 Tsi
1.4 TDi
1.4 TDi
Motorbauart/Zylinderzahl
Reihe/3
Reihe/3
Reihe/4
Reihe/4
Reihe/3
Reihe/3
999
999
1197
1197
1422
1422
hubraum
cm3
Leistung
kW (PS) bei 1/min 44 (60) 5000 55 (75) 6200 66 (90) 4800 81 (110) 5000 55 (75) 3000 66 (90) 3500
max. Drehmoment Nm bei 1/min 95 bei 3000 95 bei 3000 160 bei 1400 175 bei 1500 210 bei 1500 230 bei 1500
Länge × Breite × höhe
mm
4064 × 1682 (1901)* × 1759
Radstand
mm
2470
Gepäckraum
l/VDA
280–952
Beschleunigung 0–100 km/h
s
15,5
14,3
10,8
9,3
12,9
10,9
höchstgeschwindigkeit
km/h
161
173
184
196
173
184
neFZ-Verbrauch ges.
l/100 km
5,0 S
5,1 S
4,7 S
4,7 S
3,4 D
3,4 D
Grundpreis
ab Euro
12 450,–
13 250,–
15 975,–
17 675,–
15 600,–
17 800,–
* mit Außenspiegel
FaZiT
Edel und kultiviert
Wer kein großes Auto braucht, dem soll
es trotzdem an nichts fehlen: Mit seinen
vielen Luxus-Optionen folgt der Polo noch
stärker als bisher dem Trend zum kleinen,
aber hochwertigen Fahrzeug. Neben den
Assistenz- und Komfortsystemen sticht
auch der neue 1,4-Liter-TDI hervor, der
kräftig antritt und für einen DreizylinderDiesel erstaunlich kultiviert läuft.
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