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Großbild denken
»Ozean? Was ist das – ein Ozean?«, fragt ein Kind am Anfang von »Unsere Ozeane«, der am 25. Februar
bei uns in die Kinos kommt. In ihrer Antwort wollten die beiden Regisseure Jacques Perrin und Jacques Cluzaud
auf Zahlen, Erklärungen oder Analysen verzichten. Sinn und Zweck des Films sollte nicht sein, das Verhalten der
Tiere zu erklären, über einzelne Spezies zu informieren, Nachhilfeunterricht zu geben – der Film sollte Gefühle
wecken. Welchen enormen technischen Entwicklungsaufwand die Macher von »Nomaden der Lüfte« bei dieser
55-Mio.-Euro-Produktion betrieben, damit sich bereits die Kameramänner möglichst auf ihre Gefühle konzentrieren konnten, berichtet Ruodlieb Neubauer.
»Um die Geschichte der Ozeane zu erzählen, haben wir
versucht, Türen zu öffnen, hinter denen sich keine Statistiken verbergen, sondern wunderbare, magische
Geschichten. Die beispielsweise von der spektakulären
Die Regisseure Jacques Cluzaud (li.) und Jacques
Perrin
© Galatée
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kleinen Welt eines Korallenriffs erzählen. Oder von den
rasanten Spielen der übermütigen Delphine, wenn sie
gemeinsam durchs Wasser pflügen. Vom anmutigen
Ballett der Buckelwale und der Riesenkraken oder von
dem sagenhaften Spektakel tobender Wellen inmitten
eines gewaltigen Sturms,« meint Regisseur Jacques
Cluzaud.
50 Jahre sind seit »Die schweigende Welt« von
Kapitän Jacques-Yves Cousteau vergangen, und in
dieser Zeit haben zahllose Filmemacher aus aller Welt
bemerkenswerte Dokumentarfilme über viele der bekannten Meeresbewohner gedreht. Welche Richtung
also einschlagen, um wirklich Neues bieten zu können? »Darauf gab es bloß eine Antwort: Wir mussten in
sämtliche Richtungen ausschwärmen! Dazu gehörte
selbstverständlich, Bewegung zu zeigen, wie schon in
›Nomaden der Lüfte‹, indem wir die Meerestiere beim
Schwimmen und Tauchen begleiten. Oder neue Be-
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leuchtungstechniken zu entwickeln, um das Dämmerlicht und die ewige Nacht in den Ozeanen zu durchdringen. In erster Linie aber ging es um die Nähe zum
gefilmten Tier, die Aufnahmen möglich machen sollte,
durch die aus einem Objekt ein Individuum wird«, so
Cluzaud.
Ursprünglich sollte »Océans« ein Spielfilm mit eingebauten dokumentarischen Teilen werden. »Die Idee
hatte ich in der Endphase der Produktion von ›Nomaden der Lüfte‹. Ein Spielfilm über einen Helden, der die
Wale und die Weltmeere beschützt – inspiriert vom Leben des legendären Kapitäns Paul Watson«, erzählt
Produzent Jacques Perrin, (»Nomaden der Lüfte – Das
Geheimnis der Zugvögel«, »Die Kinder des Monsieur
Mathieu«), der bereits bei »Nomaden der Lüfte« zusammen mit Jacques Cluzaud Regie geführt hatte und
auch auf eine erfolgreiche Schauspiel-Karriere zurückblicken kann.
PRODUKTIONSBERICHT
Birdy Fly, ein elektrischer Mini-Helikoper mit einer
Arri IIc kurz vor dem Flug durch den Blas eines
Buckelwales.
© Richard Herrmann
Kapitän Paul Watson gründete die Sea Shepherd
Conservation Society und gehörte auch bei Greenpeace mit der Mitgliedsnummer 007 zu den Gründern
– ob diese schon absichtlich so gewählt wurde?
Robert Redford und Jodie Foster waren für die Großproduktion angefragt worden. Ein Tankerunglück sollte
an der Küste von England eine große Naturkatastrophe
auslösen. Aber im Amerika der Bush-Regierung wollte
man ein solches Szenario nicht haben.
»Die Handlung wurde immer umfangreicher, es
kamen laufend neue Figuren hinzu, Seeleute, Taucher,
Ozeanographen, Fischer, Richter, Umweltsünder und
immer mehr Lebewesen unter Wasser. Es zeigte sich,
dass es nicht einen Ozean, sondern tausend unterschiedliche gibt. Jacques Cluzaud und ich hatten eine
tolle, unbezahlbare Mannschaft: François Sarano, Laurent Debas und Stéphane Durand halfen uns, mit den
Ozeanen vertraut zu werden und sie zu verstehen. Irgendwann stießen Yvon Le Maho und Laurent Gaudé
zum Team. Als nach dreijähriger, sehr intensiver Zusammenarbeit das Drehbuch fertig war, hatten wir uns
freilich in eine Sackgasse manövriert. Wir mussten die
Notbremse ziehen, was schmerzhaft war, und fingen
wieder von vorne an. Dabei stützten wir uns auf das,
was uns am wichtigsten erschien – die Meeresbewohner. Sie sind die besten Fürsprecher der Ozeane«, ist
Jacques Perrin, der für seine Filmprojekte zum Offizier
der Ehrenlegion ernannt wurde, überzeugt.
Eine illustre Runde. François Sarano ist Biologe,
Begründer des Vereins »Longitude 181 Nature« für verantwortungsbewusstes Tauchen, Laurent Debas Präsident und Mitbegründer von Planète Mer, Yvon Le Maho
ist Forschungsdirektor des Natioal Center for Scientific
Research (CNRS) in Straßburg, Polar-Experte und Mitglied der Französischen Akademie der Wissenschaften, Stéphane Durand Biologe und Ornithologe. Yvon
Le Maho brachte Stéphane Durand mit der Sloan
Foundation zusammen, die im Jahr 2000 den »Census
of Marine Life« gestartet hatte, ein weltweites Netzwerk von Wissenschaftlern. Damit eröffnete sich der
Produktion eine riesige Gemeinschaft von Fachleuten,
die mit ihrem Wissen das Projekt unterstützten und
Hinweise auf Drehorte und Verhaltensweisen der Tiere
geben konnten. Wie schon bei den »Nomaden der Lüfte« erhofften sie sich natürlich, durch die Aufnahmen
bisher noch nie gesehene Dinge untersuchen zu können. Auch von der ESA gab es Unterstützung. Parallel
dazu kam es zu mehr als eineinhalb Jahren der technischen Vorbereitung, vier Jahre Reisen, 12 Teams mit
Kameras und Spezialgeräten machten insgesamt 70
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UNSERE OZEANE
Weißer Hai
© Pascal Cobeh
Expeditionen an 54 Drehorte, um mehr als 100 Arten
zu filmen, wie es noch nie zuvor geschehen war. Was
für ein Ausschwärmen!
Technische Vorbereitungen
Über die enormen technischen Entwicklungsanstrengungen und den Workflow, der seiner Zeit um einiges
voraus war, sprachen wir mit Philippe Ros, der für »Unsere Ozeane« sowohl als DoP arbeitete, als auch als
Digital Imaging Director aller Unterwasser-Aufnahmen
und als System Design Supervisor für die technischen
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In den von Subspace Pictures gefertigten Unterwassergehäusen waren Sony HDW-F900/3 mit
Zeiss Digizooms 6 – 24 mm untergebracht, wodurch man Aufnahmezeiten von etwa 45 Minuten
erreichte, ohne auftauchen zu müssen.
© li. u. r.: Pascal Kobeh, mi.: François Sarano
Vorbereitungen und Entwicklungen sowie die Konzeption des gesamten Workflows verantwortlich zeichnete. Digital Imaging Supervisor war er übrigens auch bei
»Home« von Yann Arthus-Bertrand, fürs Fernsehen
Chef-Kameramann der fünf ersten Staffeln der Serie
»Kaamelott« unter der Regie von Alexandre Astier. Ros,
der seit mehr als 35 Jahren in der Branche arbeitet, interessierte sich frühzeitig für die Digitaltechnik, und ist
nach eigenem Bekunden gefühlsmäßig sowohl in der
analogen als auch der digitalen Filmwelt beheimatet.
Auf Einladung von Panavision, Panasonic, Technovision, Sony und Band Pro Munich führte er über die Jahre
hinweg verschiedenste Tests von HD-Kameras durch.
Als Ausbildner hält er auch in Deutschland und der
Schweiz Seminare und Workshops für DoPs, Produktionsleiter, Producer usw. Ein Gefühl dafür, welche Anforderungen solch eine riesige Dokumentar-Kinofilmproduktion mit sich bringen würde, hatte er nicht
zuletzt aufgrund seiner 40 Dokumentarfilme als DoP.
Philippe Ros hatte sich erstmals mit Perrin und
Cluzaud 2003 getroffen. Er sollte für sie herausfinden,
Unterwasser-Kameramann René Heuzey (l.) und
DoP Philippe Ros (r.) mit einem Studio-Gehäuse,
bei dem die Kamera von einem UnterwasserMonitor (dem »Game Boy«) oder vom Schiff aus
gesteuert werden konnte.
© Pascal Kobeh
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welche die besten Digitalkameras für Unterwasseraufnahmen seien und dann einen Workflow konzipieren,
um diese Bilder und das Filmmaterial aneinander anzupassen. Ros meinte jedoch, dass es nicht allzu viel
Auswahl gäbe und man genau anders herum vorgehen
müsse: zuerst festlegen, in welchen Medien bzw. auf
welchen Leinwandgrößen der Film wiedergegeben
werden sollte, um dann den Produktionsworkflow und
die notwendigen Qualitätskriterien für die Kameras
bestimmen zu können.
Grundsatz-Entscheidungen
Sollte es eine Produktion mit 35mm-Projektion im Kino
werden, in IMAX, für Digitalprojektoren, in 3D, sollte für
das vorhandene SD-Fernsehen produziert werden,
oder gar für ein HD-Fernsehen, dessen Einführung
noch in den Sternen stand?
2003 gab es noch nicht allzu viele ProduktionsErfahrungen mit digitaler Cinematographie, dafür umso mehr Halbwissen und noch viel mehr Aversionen.
Letztere gab es durchaus auch in dieser Produktion,
weil man den digitalen Video-Look nicht mochte.
Philippe Ros hatte sich intensiv mit der Technologie
des Degraining und Regraining auseinander gesetzt
und zusammen mit Colorist Laurent Desbruères die
Entwicklungen von Frederic Moreau und seinem Team
bei Def2shoot begleitet. Die Technologie der Tochterfirma von CMC Digimage Cinéma floss u.a. in den DaVinci 2K+ ein.
Ros stellte also der Produktionsfirma Galatée die
verschiedenen Workflow-Möglichkeiten und -Notwendigkeiten in 2K und 4K vor. Er konzipierte auch Workflow-Tests für die kombinierte Produktion von Film und
HDCAM bzw. HDCAM SR, also z.B. den Rohschnitt, die
Erstellung von Dailies, das Conforming von RGB-Daten
mit 10 bit in 4:4:4, das Grading mit damals noch Rodin
Lustre und den Export auf 2K bzw. 4K als DPX-Files.
Neben umfangreichen Test mit 35mm-Kameras wurden auch Testreihen gefahren, um die Qualität der Ausbelichtung und den Verlust beim Umkopieren der Kinokopien darzustellen. Denn jeder Schritt, vom
Digital-Intermediate-Negativ über das Interpositiv, die
Internegative bis hin zu den Kinokopien, bringt in der
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Praxis etwa eine Halbierung der Auflösung. Auf DigitalIntermediate-Interpositiv auszubelichten brachte hier
zwar Verbesserungen. Man entschied sich allerdings,
direkt mehrere Digital-Intermediate-Negative auszubelichten und davon die Kinokopien zu ziehen, sowie
das Digital Intermediate Positive als Langzeit-Backup
der Produktion herzunehmen. Dies war auch für das
Budget eine schwerwiegende Entscheidung, denn die
Digital-Intermediate-Negative müssen vom Produzenten bezahlt werden, nicht vom Verleiher.
Philippe Ros konnte die Produktion jedoch davon
überzeugen, dass durch den Qualitätsverlust beim
Umkopieren auch das nachträglich erzeugte Filmkorn
verloren gehen und es so um einiges schwieriger werden würde, analog und digital erzeugte Bilder aneinander anzupassen. Das hatter er bereits bei einer der
ersten Produktionen mit Digital-Intermediate-Workflow im Jahr 2001 kennen gelernt, bei der 35mm- und
Super16-Material kombiniert worden waren. Digimage
stellte am Schluss der Produktion insgesamt fünf digitale Internegative und 50 digitale Kopien her.
Nicht nur Philippe Ros, sondern praktisch alle, mit
denen wir gesprochen haben, haben es betont: Das
große Glück für Galatée Films bei dieser Produktion
war, dass Olli Barbé als Executive Producer sich entschied, sehr tief in das technische Know-How einzusteigen und viel Zeit dafür aufzuwenden. Im Juni 2004
wusste man dann, dass für Galatée ein spezieller
Workflow notwendig werden würde, um die verschiedenen Notwendigkeiten dieser Produktion erfüllen zu
können.
Denn zwischen den Anforderungen eines Spielfilmes, ästhethischen Wünschen und der ökonomischen
Realität besteht besonders bei einem Naturfilm eine
große Diskrepanz. Wilde Tiere kümmern sich eben
sehr selten um Filmbudgets oder darum, wie viele Meter Filmmaterial beim Warten bereits durch die Kameras gelaufen sind. Zu dieser Zeit war auch klar, dass
eine Unmenge an Forschung und Entwicklung notwendig sein würde – sowohl in der Postproduction als
auch für den Dreh. Und Olli Barbé als Executive Producer verstand aufgrund seiner technischen Kenntnisse,
warum. Im Juni 2004 wurde Philippe Ros von Galatée
als System Design Supervisor für Digitalkameras und
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als Digital Imaging Supervisor beauftragt. Die ersten
Drehs begannen im Juni 2005. Da er zwischendurch
noch für einen anderen Film arbeitete, bedeutete dies,
dass er für volle neun Monate Vorbereitung bezahlt
wurde. Ein Vielfaches wurde allerdings in die Neuentwicklung verschiedenster Geräte speziell für den
Film investiert, wie wir später noch sehen werden.
Zwar sind in Deutschland die Budgets um einiges
niedriger – aber wie viele Produktionen nehmen im
Verhältnis gesehen vergleichbar Geld für die Vorbereitung in die Hand?
Bereits in diesem Stadium hatte die Postproduction eine Schlüsselposition inne. Philippe Ros legte den
Produzenten eindringlich dar, dass hier praktisch der
Control-Tower der gesamten Produktion sein würde:
man würde Betreuung schon während der Testphase
benötigen, um die verschiedenen Optionen herausfinden zu können, hier würde direkt vom Drehbeginn
an über die gesamten dreieinhalb Jahre des Drehs das
komplette Filmmaterial kontrolliert werden, es mussten die Muster gemanagt und kontrolliert werden. Ros
machte den Produzenten klar, dass das Filmmaterial
für das Grading konzipiert werden musste, um das
Bestmögliche herausholen zu können – damals erfüllte
die Technik der Digitalkameras nicht ohne weiteres die
hier gestellten Anforderungen und gleichzeitig war
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UNSERE OZEANE
man diese Vorgehensweise in der Produktionswelt
ganz und gar nicht gewohnt.
Im Control Tower bei CMC-Digimage Cinéma
arbeiteten dann Laurent Desbruères als Senior Colorist
und Manager der Color-Grading-Teams, Tommaso Vergallo als Digital Cinema Manager und Juan Eveno als
Chief Operating Officer. Laurent Desbruères ist BetaTester für mehrere Firmen, darunter Da Vinci (jetzt
Blackmagic Design), für die Spirit-Scanner von Philips
(bzw. später Grass Valley und jetzt DFT), auch für Autodesks Lustre.
Tommaso Vergallo: »Das Gelingen des Filmes ist
eine Dreiecksgeschichte zwischen Philippe Ros, Digimage Cinema und natürlich der Produktion Galatée
Film selbst, die uns das Vertrauen geschenkt und grünes Licht gegeben hat. Deswegen konnten wir als
Postproduktions-Haus schon während der Testphase
mit dabei sein – was eine große Ausnahme darstellt.
Wir waren mit am Boot, auf dem die Tests für die Gammakurven für die gesamte Kette gemacht wurden. Der
Dreh ist ein großes Ding, aber das Ganze mit 35mmMaterial zu mischen und auf eine 4K-Basis zu bringen,
bedeutet ebenfalls eine beträchtliche Anforderung. Am
Anfang der Vorbereitung wusste man noch nicht, wie
gut dies funktionieren würde. Dass praktisch eine Aufteilung des Materials auf 35mm und HD im Film stattfand, hat sich erst während der Produktion ergeben.«
Auch Laurent Desbruères war von Anfang an mit
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UNSERE OZEANE
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der BBC kannte. Es war also von Beginn an klar, dass
das Grading ein langer Prozess werden würde, der
größtmögliche Transparenz benötigte.
Kamerawahl
Start des Birdy Fly von seiner Schlauchboot-Plattform ins Getümmel.
© Christophe Pottier
Unter der Wasseroberfläche greifen unzählige Sardinen einen Schwarm Krill an...
© R. Herrmann
...um selbst das Ziel eines kollektiven Angriffes aus
dem Wasser und der Luft zu werden.
© R. H.
Nur logisch, dass die Vögel nicht auch noch auf
Birdy Fly aufpassen konnten. © Christophe Pottier
dabei. Während des Drehs kontrollierte er zusammen
mit drei Leuten die Rushes und gradete u.a. auch
Ausschnitte des Filmes, wie sie z.B. auf der Digitalen
Cinematographie in München bereits 2007 und andere
Teile 2009 gezeigt wurden.
Zwischen 2005 und 2008 wurden bei Digimage
einige Grading-Tests gefahren. Denn die Regisseure
wollten nicht den Standard-Look für Natur-Aufnahmen, wie man ihn z.B. von National Geographic oder
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Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg. Nachdem
geklärt war, dass »Unsere Ozeane« auf der großen
IMAX-Leinwand in 70mm 15perf projiziert werden
sollte, nachdem auch die Möglichkeiten der Postproduction bezüglich 4K einigermaßen ausgelotet waren
und man bei Galatée festgelegt hatte, welche Qualität
man nach dem Kopiervorgang noch auf der Kinokopie
haben würde, sollte Philippe Ros daran gehen, die verschiedenen vorhandenen Digitalkameras zu testen.
Für ihn gab es allerdings ein noch wichtigeres Kriterium als die maximal erreichbare Auflösung: Das Gewicht und die Größe des Unterwasser-Gehäuses.
Schließlich wollten Jacques Perrin und Jacques
Cluzaud die Tiere in ihrer natürlichen Bewegung und
Geschwindigkeit filmisch begleiten. Dem war alles
andere untergeordnet.
Delfine und etwa eine Dalsa Origin? Wie hätte das
funktionieren sollen? Allein der Wasserwiderstand des
Gehäuses hätte den Aufwand in unmögliche Höhen getrieben. Und wie sollte man die Daten zuverlässig aus
der Kamera, zuverlässig ins Posthouse bekommen?
Wie lange könnte man an einem Stück aufnehmen?
Gerade deshalb hatte man für Unterwasser digitale
Kameras erst in Erwägung gezogen. Philippe Ros zeigte dem Team um Jacques Perrin und Jacques Cluzaud
deshalb kurze Ausschnitte aus Filmen, die mit Sonys
HDW-F900/3 bzw. HDC-950, mit Grass Valleys Viper
und mit Panasonics Varicam gedreht worden waren.
Executive Producer Olli Barbé stimmte mit ihm
überein, dass man Lösungen finden musste, klein und
leicht zu sein, um mit den Tieren im Wasser schwimmen zu können. Beim Dreh der Jagd von Haien befanden sich die Taucher mitten unter ihnen. Sie mussten
also selbst möglichst beweglich sein. Und durften sich
zudem nicht verletzen, weil sich die Haie sonst schnell
umorientiert hätten...
In 35mm gab es durchaus leichte Kameras, mit
Slow-Motion, und vor allem einem überlegenen Dynamik-Umfang. Für einen Kameramann, der in der Arktis
oder der Antarktis von einem Zodiak-Schlauchboot aus
drehen sollte, würde Ergonomie auch Sicherheit bedeuten. Eingesetzt wurden schließlich die Arriflex 235
und 435 (in den Helikoptern, Thetis-Kamerakran und
am Studio-Set), die Arri III (für Unterwasser-Slomos),
eine modifizierte Arri IIB/IIC und die Aaton 35, wobei
man in Super35 mit 3perf und 4perf drehte. Die Arri IIC
flog mit Zeiss-Optiken (16 mm, 20 mm, 25 mm, T 2.1)
auf dem Birdy Fly, einem elektrischen (!) Mini-Helikopter von Fred Jacquemin. Mit Benzin-Motoren wäre DoP
Christophe Pottier nie so nahe an die Wale herangekommen. Das Gerät verfügt über einen 1,8 m-Rotor
und trägt ein Leichtmagazin mit 60 m, was etwas mehr
als zwei Minuten Material ergibt. An der Arriflex 435
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kamen Arri Masterprimes von 16,5 bis 110 mm sowie
die Optimo-Zooms 17-80 mm und 24-290 mm von
Angenieux zum Einsatz.
Für Drehs aus der Hand verwendete man die Arriflex 435 und 235 sowie die Aaton 35 mit Angenieux
Optimos 15-40 mm und 28-76 mm sowie das LeichtZoom 15,5-45 mm LWZ-1 von Arri. Bei den StudioDrehs wählten DoP Luciano Tovoli AIC, ASC und Kameramann Luc Drion die Arriflex 435 mit Cooke S4
Primes, die auch am Technocrane 50 mit Scorpio-Kopf
und am Louma 2 Crane eingesetzt wurde.
Philippe Ros: »2004 wussten wir, dass es keine
Digitalkamera gab, die solch eine Qualität und gleichzeitig die ergonomischen Vorteile der Filmkameras
bieten konnte.« Aber Sonys HDW-F900/3 konnte sehr
tiefgreifend über benutzerdefinierte Gamma-Kurven in
ihrer Aufnahmecharakteristik eingestellt werden. Dies
und noch weitere Modifizierungsmöglichkeiten gab für
ihn den Ausschlag, diese Kamera zu empfehlen. Denn
es eröffnete einen Weg, um in der Postproduction die
Bilder der Digitalkameras an das Filmmaterial anzupassen.
Das wichtigste Argument für die HD-Kameras für
unter Wasser war jedoch, dass die Aufnahmekapazität
am Stück etwa acht mal so groß war wie bei Film. Man
konnte also länger auf die Aktionen der Tiere warten,
und durch den Ringpuffer gab es noch die Möglichkeit,
bei einem zu späten Aufnahmestart doch den Anfang
einer Bewegung am Band zu haben. Zudem passte die
längere Drehzeit gut zu den Fähigkeiten der Kreislauftauchgeräte (Rebreather), die bis zu drei Stunden
Tauchzeit ermöglichten, ohne die Tiere durch die Produktion von Atemluft-Blasen zu erschrecken. Da die
Taucher für jeden Wechsel einer Filmkassette die
lebensnotwendigen Dekompressions-Zeiten beim Auftauchen einhalten hätten müssen, ergab sich hier ein
Vorteil, der viele Aufnahmen erst möglich machte. Produzent Jacques Perrin wusste also, dass die Investition
in die neue Technik viel Geld kosten würde, aber er
konnte sich sicher sein, Aufnahmen zu bekommen, die
zuvor noch niemand hatte drehen können.
DoP Luc Drion: »Wenn man eine Walkuh beim Kalben drehen will, dann braucht man sowieso schon unheimlich viel Geduld und noch mehr Glück. Mit sechs
Kameramann Christophe Pottier beim Steuern des
Birdy Fly und der Kamera.
© Galatée
PRODUKTIONSBERICHT
DoP Luc Drion vor dem mit einem Stab-C ausgerüsteten Heli in Irland
© Stéphane Aupetit
Team von BandPro Munich gaben mir alle nur erdenklichen Möglichkeiten, die Zeiss-Optiken und auch einige noch brandneue Technologien zu testen, die dann
im Film zum Einsatz kamen. Auch bei Dr. Winfried
Scherle und dem ganzen Team von Zeiss muss ich
mich bedanken, die uns hervorragend und verlässlich
unterstützt haben.« Dies ging so weit, dass man beim
Bau des Unterwassergehäuses sogar die Pläne für die
Optiken von Carl Zeiss einbeziehen konnte, bevor die
Optik tatsächlich ausgeliefert wurde. Beim Bau des
Gehäuses für das Unterwasser-Studio im September
2006 kam dann sogar das neue Zeiss Digizoom
17-112 mm zum Zug.
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UNSERE OZEANE
Dass für die Produktion über Wasser 35mm und
unter Wasser die digitale Akquisition gewählt wurde,
hatte also mehrere Gründe. Ein gewichtiges Wort hatten natürlich die beteiligten DoPs. Zwar zeigt die Stabliste, dass in den verschiedenen Drehteams eine beträchtliche Anzahl von Kameramännern arbeiteten,
aber in der intern genannten Workflow-Crew war Luc
Drion SBC für die Außenaufnahmen (Flug, Schiff und
am Boot-Kamerakran Thétis), und bei den beleuchteten Sets Philippe Ros (Nacht-Unterwasser-Dreh, Unterwasser-Studio, in den Tanks, Mikroskop-Aufnahmen)
sowie Luciano Tovoli AIC ASC (für die Studioaufnahmen
in Paris und Cherbourg / Atlanta) verantwortlich, der
Minuten Material im Magazin gehen die Chancen gegen null«. Den Aufnahmen wurde im Team eine sehr
hohe Priorität eingeräumt, die Kameraleute riskierten
durchaus einiges. Die Rebreather sind z.B. auch heute
noch nicht ungefährlich, da sie zu tödlichen Vergiftungen führen können, die man selbst nicht oder zu spät
bemerkt. Zwar sollte man sowieso nie alleine tauchen,
aber hier ist es nochmals ratsamer, dass ein zweiter
Taucher die Technik im Auge behält. Kameramann
Didier Noirot wollte hingegen nicht nur keine Luftblasen produzieren, sondern es sollten auch möglichst
wenig Leute die Tiere verschrecken – und drehte deshalb manches alleine. »Die Kameraleute haben in diesem Film unglaubliche Aufnahmen geliefert und ich
habe die größte Hochachtung vor ihnen,« sagt Philippe
Ros, der betont, dass für ihn das Ziel seiner technischen Untersuchungen war, Luc Drion, Didier Noirot,
René Heuzey und Luciano Tovoli zuzuarbeiten, sie
möglichst von technischen Problemen fernzuhalten.
Auch beim Grading, wo Tovoli als Art Supervisor fungierte, unterstützte ihn Ros.
Zwischen 2005 und 2007 setzte Galatee zehn
panavisierte HDW-F900/3 (8 bit 3:1:1) sowie zwei
panavisierte (Bogard) HDC-950 (10 bit 4:2:2) von Sony
ein. 2008 und 2009 arbeitete man mit 13 panavisierten HDW-F900/3 und einer Sony F23 (10 bit 4:4:4).
Panavisiert bedeutet u.a., dass die Kameras mit einem
stabileren Mount ausgestattet wurden. Da die
Schlauchbootbesatzungen bis zu 200 km am Tag zurücklegen mussten, hatte dies nicht unbeträchtliche
Erschütterungen sowie oft Temperaturschwankungen
zur Folge, was bei den Kameras zu dieser Zeit ohne
Gegenmaßnahmen ziemliche Backfokusprobleme hervorgerufen hätte.
Eine gleichmäßige Temperatur ermöglichten auch
die Unterwasser-Gehäuse, die von Unterwasser-DoP
Didier Noirot entworfen und Jean-Claude Prottas Firma
Subspace Pictures aus Genf aus ganzen AluminiumBlöcken gefräst wurden. Nach einigen Optik-Test hatte
man sich im September 2004 für das Zeiss Digizoom
entschieden, wobei Gerhard Baier als CEO von BandPro Munich und Trevor Steele als CEO von Emit France
sowohl mit Rat und Tat als auch Beziehungen zur Seite
gestanden waren, als es an die Planung des Einbaus
der Optik-Steuerung ging. »Gerhard Baier und sein
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UNSERE OZEANE
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PRODUKTIONSBERICHT
Philippe Ros und Chef-D.I.T. François Paturel an
den Monitoren des Test- und Ausbildungsbootes in
Marseille
© Johann Mousseau
auch als Art Supervisor für das Grading fungierte. Die
Hauptkameraleute für die Unterwasseraufnahmen
waren Didier Noirot und René Heuzey. Noirot, ein alter
Hase, hatte schon auf Custeaus Calypso und Alcyone
mitgearbeitet.
Der Gamma-Trick
Wenn man auf Film dreht, kann der Scan mit geringerem Kontrast und geringerer Sättigung gefahren werden, um für die Farbabstimmung größere Freiheiten zu
erhalten. Deshalb unternahm Philippe Ros umfangreiche Testreihen mit Film- und Digitalkameras, bei denen er versuchte, sich bei den Gammakurven an den
Look von relativ flach gescanntem Filmmaterial heranzutasten. Ros wusste, dass er bei einer Quantifizierung
von acht Bit und der 3:1:1-Kompression würde Kompromisse eingehen müssen. Das große Ziel war dabei,
einerseits ein Ausreißen sowie eine solarisierte Farbdominanz beim Weißwert zu vermeiden, andererseits
in dunklen Bereichen so viel Zeichnung wie nur möglich zu bekommen, und das mit möglichst wenig Rauschen. So wurde 2004 parallel zu den anderen Unter-
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suchungen bei Digimage an der Arbeit an einer
proprietären Graining/Degraining-Software begonnen,
um das Filmkornrauschen und das digtale Rauschen
zu vermindern bzw. aneinander anzupassen.
Film hat bekanntlich die Eigenschaft, relativ tolerant gegenüber Überbelichtung zu reagieren. Mit Gammakurven wird in der Digitaltechnik versucht, dies bis
zu einem gewissen Grad nachzubilden. Philippe Ros
verwendete sie jedoch ganz anders, wie wir noch
sehen werden. Um ein Clipping zu vermeiden, kann
man Gammakurven so einstellen, dass die hellsten
Stellen nicht über einen gewissen Wert hinausgehen.
Mit diesem Sicherheitsabstand (Headroom) verschenkt
man allerdings auch einen Teil des Dynamikumfanges
des Gerätes. Philippe Ros verwendete ebenfalls einen
Headroom – man ging nicht bis 760 mV, die 110 % am
Ausgang bedeuten, sondern maximal bis 650 mV.
Doch wie sollte er dem Dilemma der dann noch geringeren zur Verfügung stehenden Dynamikauflösung
entkommen?
Beim Film können die DoPs zwischen verschiedenen Materialien wählen. Für »unsere Ozeane« wurde
Kodak 5201D (Vision2 50D), 5205D (Vision2 250D),
5212 (Vision2 100T), 5217 (Vision2 200T), 5218 (Vision2 500T) und Fuji 64D 8522 eingesetzt, die Ausbelichtung erfolgte am Arrilaser auf Kodak 5283.
Und an der HDW-F900/3? Sollten die Kameraleute
jedesmal auftauchen, das Unterwasser-Gehäuse aufmachen in die Menüs hineinkriechen? Die Lösung war,
Einstellungen für den Kontrast über eigene GammaKurven auf einem Knopf außen am Gehäuse auszuwählen, Farbton, Sättigung und Schärfe über Matrix
und Detail in Scene-Files auf einen weiteren Knopf.
Dabei wurde noch berücksichtigt, dass man sich im
Wasser meist in einer monochromatischen oder bichromatischen Umgebung befand. Dazu schrieb Christian Mourier von Sony France ein Programm, mit dem
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die Gamma-Kurven unabhängig vom Scene-File ausgewählt werden konnten. So standen praktisch digitale
Filmsorten zur Verfügung, die zuvor bei Digimage ausgewählt worden waren und ein entsprechendes entgegengesetztes Pendant für die Farbgebung in der
Postpro hatten.
Wenn der Kameramann nun direktes Sonnenlicht
im Shot hatte, konnte er mit Gamma No. 1 das Clipping
vermeiden. Bei gutem Wetter, aber ohne Sonne, konnte
hingegen über Gammakurve No 5 das Rauschen im
Bild verringert werden. Mit bläulichen Farben in einer
Tiefe von 0 bis 10 m sorgte ein Scene-File mit geänderter Quantifizierung (bzw. Bit-Allokation) und getrennten Farb-Phasen für eine geringere Sättigung und
weniger Artefakte in dunklen Bildbereichen beim Coloristen. Man kann dies mit einem Falschfarbenbild vergleichen, bei dem Informationen in Bereiche verschoben werden, in denen normalerweise garantiert keine
anderen vorkommen. Dies wird zwar von Sony ganz
und gar nicht empfohlen, konnte aber auf einem Grading-System mit einer höheren Quantifizierung wie
etwa den 32 Bit bei Resolve oder Lustre genutzt werden, um diese Informationen wieder einzufangen und
so noch Bildinformationen zu erhalten, wo die Kamera
im Normalzustand eigentlich keine mehr liefert. Zusätzlich entwickelten Philippe Ros und Olivier Garcia
von HD Systems gemeinsam Einstellungen für ein System, das Garcia erfunden hatte. Dabei setze er eine Art
Überquantifizierung an der HDW-F900/3 ein: Denn der
Kopf der Kamera arbeitete mit 12 Bit, und darauf hin
wurden die Kurven entwickelt. Später wurde bei der
F23 jede Kurve sogar auf 16 Bit gerechnet.
Allerdings verwendete man auch die 600 Prozent
Dynamik des Luminanz-Einganges, wofür es sehr gut
kalibrierter Kameras bedurfte. Alle Kameras wurden
deshalb in der Service-Abteilung von Sony auf eine
bestimmte Spannung am Sensor bei einem hellen
PRODUKTIONSBERICHT
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UNSERE OZEANE
Atolls in das blaue Wasser außen schwimmen. Über
die beiden Knöpfe außen am Gehäust konnten sie
während des Tauchgangs reagieren.
Intuitions-Training
Die blonde Schönheit namens »Tinkerbell« ist in
Wahrheit ein Taucher mit Perücke und verschiedensten Materialien am Anzug. An deren Reflexionsverhalten konnten die Kameramänner ihr
Gefühl für die Wahl der Gammakurven und SceneFiles üben.
© René Heuzey
Licht hin kalibriert – die Möglichkeiten des Sensors
sollten voll ausgenutzt werden, allerdings ohne im
Digitalteil in Schwierigkeiten zu kommen. Der Workflow für den Film begann also nicht beim Verleiher Panavision, sondern bereits bei Sony. Dies war auch einer
der Gründe gewesen, warum man die HDW-F900/3
gewählt hatte: ein verlässliches Arbeitspferd, dessen
Hardware-Möglichkeiten man mit einer gewissen
Sicherheit ausreizen konnte. Mit bestimmten Vorsichtsmaßnahmen sogar noch weiter, als der Hersteller
dies für die Serie konzipiert hatte, um Schwankungen
in der Fertigung auffangen zu können. Mit dem Nachfolger HDW-F900R konnte übrigens wegen seiner
geänderten A/D-Wandler nicht mehr auf diese Weise
gearbeitet werden.
Um die Kameras zu testen wurde zuerst das DSC
Labs CamAlign Chart aufgenommen, und das Material
zur Kontrolle zu Digimage geschickt. Wenn das OK
kam, machte man mit einem hell bestrahlten weißen
Blatt Papier einen Clipping-Test. Falls die Kamera auch
diesen bestand, konnten die 3D-Lookup-Tabellen kreiert werden.
Durch die Umschaltungen, speziellen Einstellungen und Selektion der Kameras konnte Philippe Ros
selbst an der HDW-F900/3 einen Dynamikumfang von
8,5 bis 9 Blenden erreichen – normalerweise waren
etwa fünf möglich. Der Clou dabei: die ausübenden
Kameramänner mussten über die technischen Hintergründe gar nicht so genau Bescheid wissen. Am Boden
des Unterwasser-Gehäuses befanden sich fünf kleine,
einfache Zeichnungen für die Gammakurven und fünf
für die Scene-Files. Sonne – Gamma No 1, keine Sonne – Gamma No 5. Dazwischen lagen drei weitere Stufen. Für bläuliches bzw. grünes Wasser in Tiefen von 0
bis 10 m und 10 bis 25 m gab es insgesamt vier spezielle Scene-Files. In diese konnten die D.I.Ts unter der
Leitung von François Paturel bei Bedarf auch veränderte Detail-Einstellungen laden. Manchmal mussten die
Kameraleute vom grünen Wasser innerhalb eines
Die Balz der Buckelwale
© François Sarano
Bei der Konzeption des Arbeitsablaufes war es eine
wichtige Anforderung gewesen, dass die Kameraleute
nicht mit Zebras oder Waveform-Monitoren arbeiten
mussten. Denn die meisten kamen vom Film und waren daran nicht gewohnt. Sie sollten sich zudem auf
die Bildgestaltung konzentrieren. Philippe Ros: »Wenn
man sich in die Bewegungen der Tiere einfühlen soll,
stört ein Zebra im Sucher oder der Waveform-Monitor.«
Philippe Ros wollte auch, dass die UnterwasserKameramänner ganz ohne Messgeräte arbeiten konnten, denn dazu hätten sie oft gar keine Zeit gehabt. Sie
mussten also die Situationen aus ihrem Gedächtnis
heraus einschätzen können. Dies sollte durch ein bestimmtes Training erreicht werden.
Jeden Morgen mussten die Unterwasser-Kameramänner mit Hilfe des Monitors am UnterwasserGehäuse ein DSC-Labs-CamAlign-Chart mit allen
Grau-Schattierungen korrekt belichten und aufzunehmen, und es am Ende des Tages überprüfen. Dadurch
konnten sie nicht nur eventuell auftretenden Problemen der Sensoren bzw. der Kameras auf die Spur
kommen, sondern sie gewöhnten ihre Augen und ihr
Gedächtnis an die Belichtung und an das Bild. Am Morgen konnten sie im Wasser mit dem Chart praktisch
ihren eigenen Weißabgleich machen und Probleme mit
dem Gamma oder falschen Settings erkennen. Und die
Postproduction hatte nebenbei eine standardisierte
Kalibrierungsmöglichkeit, die im Split-Screen-Vergleich mit einem Referenz-Chart im CineTal-Monitor
sehr rasch auf Fehler hinwies. Am Set entstand dadurch so etwas wie ein gemeinsames visuelles Gedächtnis und eine Dialog-Plattform, in die jeder einzelne am Workflow Beteiligte einbezogen war.
Die Kameramänner und D.I.Ts mussten beim allabendlichen Begutachten der Dailies auch mindestens
30 Sekunden lang auf die SMPTE-Balken schauen, die
am Beginn jedes Bandes aufgezeichnet worden waren. Dies mag zwar nervig gewesen sein, doch dadurch lernten sie, praktisch intuitiv Aufzeichnungsfehler zu erkennen.
Philippe Ros: »Wenn man das über einen Drehzeitraum von dreieinhalb Jahren täglich macht, benötigt man keinen Belichtungsmesser oder WaveformMonitor mehr. Man sieht auch sofort, wenn Farben in
den Graustufen auftreten. Wichtig ist dabei, dass die
Kameraleute ohne Messgeräte sofort spürten, wenn
etwas falsch lief. Warnhinweise also, die nur durch das
visuelle Gedächtnis generiert wurden.« Mit dieser
Methode gab es übrigens nur an einem Tag ein Problem bei einer Kamera, das nicht entdeckt wurde – bei
500 Stunden Unterwasser-Material!
Die Unterwasser-Kameraleute und auch die D.I.Ts
waren zuvor schon in Workshops an die Ausrüstung
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PRODUKTIONSBERICHT
Oben: Die Aufnahmekapsel in abgesenkter Position auf der Polecam.
Links: Das Polecam-Rig wurde in die TransportPosition hochgehoben, um damit rascher zu den
Aufnahmeorten fahren zu können.
© A. Bügel
und die Standard-Test-Vorgaben für den Dreh gewöhnt
worden. Diese Trainings fanden in drei zehntägigen
Kursen innerhalb von drei Jahren auf einem Boot in
Marseille statt. Dazu hatte Sony für Philippe Ros eine
Kontroll-Software für die Kamera geschrieben, mit der
über Kabel die Gammakurven und die Scene-Files gewechselt werden konnten. So konnten die Kursteilnehmer sehen, welches die richtigen Einstellungen waren.
Auf dem Boot hatte Philippe Ros bereits 2004 Vergleichstests mit einer 35mm-Kamera gemacht und 12
Bänder zu 40 Minuten mit allen 40 entwickelten Gammakurven und verschiedensten Scene-Files aufgenommen. Diese Tests waren dann an drei Tagen in der
Colorgrading-Suite bei Digimage analysiert worden.
Fünf Gammakurven wurden letztendlich ausgewählt.
Philippe Ros: »Wenn CMC-Digimage nicht das Verständnis für die in dieser Produktion wichtigen Dinge
bei der digitalen Akquisition am Anfang der DI gehabt
Die Grips Alexander Bügel (l.) und Alain Benoist (r)
an der zur Startrampe umgebauten Notrutsche für
Flugzeuge.
© Alexander Bügel
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hätte, wäre dieser Film nie zustande gekommen. Für
die sieben D.I.Ts wurden spezielle Workshops veranstaltet, denn das Gehäuse war intern nicht ganz so
einfach aufgebaut. Insgesamt standen vier GalatéeHousings zur Verfügung, sowie eine kleine Unterwasser-Kapsel mit Kamera-Fernsteuerung, also insgesamt
fünf Teams für Unterwasser. Dass sieben D.I.Ts angeheuert worden waren, hängt damit zusammen, dass
die Drehs wegen der Tiere und der Wetterverhältnisse
oft sehr kurzfristig angesetzt werden mussten. Gleichzeitig waren nicht mehr als zwei Unterwasserkameras
bei einem Dreh in Betrieb, dazu manchmal zwei Analog-Kameras über Wasser.
In den Workshops konnten die Kameraleute die
Auswirkungen der ausgewählten Einstellungen in der
Praxis kennen lernen. Philippe Ros hatte dazu eine
Figur namens »Tinkerbell« entwickelt. Im Gegensatz zu
Peter Pans kleiner Fee war diese Figur ein Taucher,
dessen Anzug mit den unterschiedlichsten Materialien
bestückt war. Diese empfanden die Oberflächen der
verschiedensten Tiere nach, welche die Kameraleute
beim Dreh vor die Optik bekommen sollten. So konnten sie in Ruhe lernen, worauf sie unter Drehbedingungen in verschiedenen Lichtverhältnissen zuerst achten
mussten, um die richtigen Einstellungen intuitiv auswählen zu können. Vor dem Kurs wurden den Kameraleuten auf einer 15-m-Leinwand Testaufnahmen sowie
zusammengeschnittene Anpassungen von 35mm- und
Digitalmaterial gezeigt. Das Ziel war hier, sie dazu zu
bringen, für die große Leinwand zu denken. Denn sowohl vom Super35-Material als auch von Digital HD
mit seinen 1,78:1 wurde ein Ausschnitt von 2,40:1 genommen. Dann folgten zwei Tage in der ColorgradingSuite, damit sie den Workflow vom Ende bis zum Dreh
verinnerlichen konnten.
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Für Philippe Ros war es wichtig, dass die Kameramänner sich nicht mit den Feinheiten der Digitaltechnik herumschlagen mussten, sondern sich auf die Aufnahme von Bildern konzentrieren konnten. Die unter
Leitung von François Paturel arbeitenden D.I.Ts erhielten eine Testliste, die täglich abgearbeitet werden
musste. Zusätzlich gab es ein 65 Seiten starkes Handbuch für den Einsatz vor Ort, das sie lernen mussten.
Denn die Kameras wurden zwei mal pro Tag von den
D.I.Ts auf Dinge wie Dynamikumfang (mit REC 709
und den Gamma-Kurven), Backfocus mit Zoom-In und
Zoom-Out oder Gamma mit Über- und Unterbelichtung
überprüft. »Sobald man bei Über- oder Unterbelichtung
die Neutralität in den Graustufen verliert, hat die
Kamera ein Problem«, meint Philippe Ros. Zweimal am
Tag wurden die CCD-Sensoren auch auf defekte Pixel
geprüft. Da diese besonders durch Röntgen-Strahlung
hervorgerufen werden, wurde jede Kamera, die mit einem Flugzeug transportiert wurde, in eine Bleihülle
eingepackt. Trotzdem hatte man einige Probleme mit
defekten Pixel.
Metadaten
Die Produktion wäre allerdings im Chaos versunken,
wenn in der Postproduction keine Information über die
jeweils bei den Takes verwendeten Gamma- und
Scene-Files vorgelegen wäre. 2004 nutzte Philippe
Ros die von Christian Mourier konzipierte Lösung, die
Codes für die Gamma-Einstellungen auf Tonspur 1 und
Codes für die Szene-File-Einstellungen auf Spur 2 als
Tonsignal zu schreiben, das bereits bei der Überprüfung im Hotel decodiert wurde. So konnten die D.P.s
und D.I.Ts schon vor Ort eventuelle Korrekturen für den
nächsten Drehtag vornehmen, auch die Rückmeldungen von Colorist und Supervisor bei Digimage konnten
bei den Dreharbeiten berücksichtigt werden. Der Ton
wurde unter Wasser sowieso nie synchron aufgenommen, weil man mit so wenig Leuten wie nur möglich
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Rechts o.: Der Torpedo Jonas, von dem aus mit bis
zu 40 km/h neben den Tieren im Wasser gedreht
werden konnte, auf seiner Startrampe.
Rechts u.: Jonas und Siméon wurden an einer speziellen Seilwinde gezogen.
© Alexander Bügel
Der Kopf der HDC-950 konnte in der Kapsel als
Kameramodul sowohl auf der Polecam als auch in
den Unterwasser-Gefährten Jonas und Siméon
eingesetzt werden. Hier mit dem Zeiss Digizoom
6 - 24 mm.
© Mathieu Lamand
arbeiten wollte, um die Tiere nicht zu verstören. Der
Ton wurde später bei Dovidis zwar mit original aufgenommenem Material gebaut, allerdings gibt es auch
viele Stellen, an denen ein Geräuschemacher eingesetzt wurde. Der wunderschöne und die eindrucksvollen Bilder perfekt begleitende Soundtrack hingegen
stammt von Bruno Coulais, der bereits die Musik von
u.a. »Die Kinder des Monsieur Mathieu« schrieb.
Die Informationen auf der Tonspur über die
Gammakurven und Scene-Files wurden per Hand
nachträglich während des QC-Verfahrens übertragen,
bei dem die Aufnahmen verifiziert wurden. Laurent
Desbruères hatte für sämtliche Kombinationen der
eingesetzten Gammakurven und der Scene-Files
Grundeinstellungen vorbereitet. Für das Monitoring am
DaVinci standen Grundeinstellungen und Pregrades
zur Verfügung. Jeden Tag mussten die Aufnahmeteams
Berichte in Form von Excel-Files ausfüllen, die genau
wie jene strukturiert waren, wie sie in der Kamera produziert wurden. Darin waren u.a. Informationen darüber enthalten, wie die Takes gedreht worden waren,
mit welcher Kamera, mit welchem Gamma, mit welchem Scene-File, die Detail-Einstellung, die TimecodeZeit, Ort, Datum usw. Ein Teil des Berichts war für die
Postproduction frei gehalten, die die Takes freigeben
oder als schlecht kennzeichnen konnte. Danach gingen die Berichte an den Schnitt. Die Files wurden auch
auf die Webseite von Océans gestellt, sodass man z.B.
mittles der Nummer eines Drehs alle generierten
Berichte sehen konnte. Oder mit der Kennzahl der
Kamera konnte man so alle Takes einsehen, die mit ihr
gedreht worden waren. Die Verifizierung war nicht nur
später beim Grading sehr hilfreich, sondern hilft nun
auch beim Editing für die TV-Serie von sechs Teilen zu
je 52 Minuten, beim Finden der besten Shots – die
Kinoversion ist 103 Minuten lang. Aber schon während
des Drehs gab der Bericht aus der Postpro Philippe Ros
als Supervisor Hinweise, falls irgendwo Probleme
auftraten.
Für die Dailes wurden von den HD-Aufnahmen in
30p und 24p Kopien in HDCAM gemacht, das Filmmaterial wurde auf HDCAM SR in 4:4:4 mit 10 bit überspielt, und zum Vorschnitt am Avid Adrenaline HD von
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DoP Luc Drion am Thétis-Boot in Alaska.
© Christophe Pottier
Galatée in HDCAM 4:2:2 herunterkopiert. Das 35mmMaterial wurde entweder vor Ort (z.B. in Singapur) entwickelt, oder nach einer der 70 Dreh-Expeditionen gekühlt nach Paris gebracht und nachträglich überprüft.
Hier gab es also keine wirklich tägliche Kontrolle. Insgesamt sollten es 500 Stunden an HDCAM- oder
HDCAM-SR Material werden, an Filmmaterial wurden
etwa 300 000 m belichtet.
Thétis
Bei den Überwasser-Aufnahmen arbeitete DoP Luc
Drion mit einem speziellen, für Galatée konstruierten
Kamerakopf namens Thétis, der sich am Horizont orientieren konnte und auf einem Schlauchboot auch auf
einem Kran montierbar war, um die Kamera sehr nahe
an die Tiere heran zu bringen. Allerdings hatte die Konstruktion einen sehr hohen Schwerpunkt, weshalb der
Kran zum Transport geteilt wurde, um das Boot besser
ausbalancieren zu können. Laut Luc Drion ist es be-
sonders kompliziert, die stabilisierten Köpfe vor Feuchtigkeit zu schützen. Man hatte mehrere Köpfe getestet,
die aber mit den Anforderungen eines Drehs auf dem
Meer nicht wirklich zurecht kamen. Angesichts von
Verleih-Preisen von um die 1000 USD am Tag und
etwa 300 geplanten Drehtagen entschied man sich,
einen eigenen Kopf für Galatée zu entwickeln. Wichtig
war, dass die Konstruktion ein 300-m-Filmmagazin erlauben sollte. Die beiden Jacques und Olli Barbé
wandten sich an Jacques-Fernand Perrin, der sie bei
»Nomaden der Lüfte« bereits gerettet hatte. Der pensionierte Ingenieur ist Spezialist für Algorithmen und
Kybernetik, er arbeitete u.a. für Thomson-Thalès an
der Steuerung von Kurzstrecken-Abwehr-Raketen und
beschäftigt sich nun mit den Gegebenheiten von Flügen in höchsten Höhen.
Zuerst analysierte er zusammen mit Technikern
von Angenieux die Bewegungen von Booten auf dem
Meer, dann entwickelte er zusammen mit Angenieux
und Head-Grip Alexander Bügel etwa ein Jahr lang die
Aufhängung und den Kran bzw. deren Steuerung. Während des Drehs überließ Luc Drion es dann der Automatik, den Horizont über die Roll-Achse stabil zu halten – »beinahe perfekt«, wie er meint, während er über
Handräder Pan und Tilt steuerte. Drion begann mit dem
17-80 mm Optimo von Angenieux, dann kam auch das
Optimo 24-290 mm dazu, bei seiner letzten Mission in
Madgaskar verwendete er das Arri Zeiss Master Zoom
16,5 - 110 mm. Fast immer passte er mit der Fernsteuerung der Arriflex 435 die Bildfrequenz an die
Bewegungen der Tiere an.
Luc Drion: »Beim Dreh über Wasser war 35mm
weitaus einfacher und ergonomischer für die Crew. Da
bin nur ich und mein Schärfezieher. Und niemand
muss Waveform-Monitore bis tief in die Nacht anstar-
Siméon und dahinter der Torpedo Jonas, der hier
rot gestrichen wurde, um bestimmte Fischarten
anzulocken.
© Alexander Bügel
ren. Es ist viel praktischer. Digital oder analog zu drehen ist ein großer Unterschied. Die Postproduction hat
wirklich hervorragende Arbeit beim Angleichen des digitalen und analogen Materials geleistet!«
Welche seiner Bilder im Film er am besten hält?
»Der Film hat viele philosophische Sequenzen. Die
Szenen im Sturm, die Geschichte der Wale in Alaska,
die Vulkan-Szenen, wie das Leben in das Meer kommt,
vieles geht tief unter die Haut. Sehr stark ist auch der
Sprung der Wale in Madagaskar.« Dort hatte es drei
Wochen gebraucht, bis der Schuss im Kasten war. Es
gab Probleme mit der Elektronik von Thétis wegen der
Feuchtigkeit. Von Montag bis Freitag war Thétis außer
Gefecht, es waren keine Ersatzmotoren mehr vorhanden. Zwei Tage und eine Nacht wurde an Thétis gearbeitet. Und der folgende Samstag brachte die besten
Bilder. Es war der letzte Dreh von Luc Drion mit Thétis.
Danach begann seine Arbeit mit der Schulterkamera
auf dem Fischtrawler im Sturm.
Kamera-Support spezial
Neben den von Tauchern bedienten HDW-F900/3 im
Galatée-Gehäuse gab es noch zwei spezielle Unterwasser-Gefährte: Siméon und Jonas. Deren Herzstück
war »la Capsule«, die Kapsel, die ebenfalls von Subspace gebaut wurde und in diese Fahrzeuge eingesetzt
werden konnte. Darin befand sich der KamerablockAdapter HKC-T950, der von Sonys HDC-950 über ein
Glasfaserkabel abgesetzt betrieben wurden. Nicht wie
von Sony vorgesehen, über ein analoges Kabel, wohlgemerkt. Das »Missing Link« war eine Spezialentwicklung, die alleine knapp 500 000 Euro kostete.
Das große Problem stellten dabei der Wasserwiderstand und die möglichst ruhige Lage im Wasser
dar. Aus hydrodynamischen Gründen musste der Torpedo sechs mal so lang wie sein Durchmesser sein. Je
kleiner die Kamera, desto besser also für das Schiff,
welches den Torpedo an einer Stahltrosse ziehen sollte. In diese war übrigens das Glasfaserkabel einge-
Der gyrostabilisierte Kamerakopf Thétis kann sich
zum Ausgleich von Rollbewegungen am Horizont
orientieren. Hier beim Einsatz am SchlauchbootKran in Alaska.
© Christophe Pottier
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Ein Mantarochen in der Shallow Bay, an der Westküste der Insel Socorro in Mexiko
© Richard Herrmann
baut. Während Siméon ein leichtes, flexibles Unterwasser-Gefährt mit speziellen Eigenschaften war, war
der schwere Jonas auf Geschwindigkeit ausgelegt –
mit seinen 40 km/h konnte er mit den Delfinen mithalten. Landratten können sich kaum vorstellen, welche
strömungsbedingten Kräfte bei dieser Geschwindigkeit
auftreten, welche Schwierigkeiten diese eineinhalb
Jahre dauernde Entwicklung zu überwinden hatte.
Jonas wurde in einem 600 m langen Becken der Französischen Marine getestet. Normalsterbliche kommen
dort natürlich nicht hin. Jacques Perrin hatte jedoch für
die französische Marine bereits viele Filme gedreht.
Auch für den »Nomaden der Lüfte« wurden u.a. deren
Boote eingesetzt. Jonas musste von einem Schnellboot gezogen werden, das dann 100 m entfernt war,
damit dessen Wirbel sowohl die Hydrodynamik des
Torpedos und damit auch das Bild nicht störten. Im
Boot befanden sich das JCC (Jonas Control Center, die
HDC-950, Recorder und die Kontrollgeräte.
Das Kabel wurde von Telecast entwickelt, einem
Spezialisten für Glasfaserkabel, die zwischen den Kontinenten verlegt werden. Allein die Entwicklung des
Kabels dauerte drei Monate. Denn die von Telecast eingesetzten Kabel waren auf die Bandbreite von
TV-Übertragungen ausgelegt, nicht für HD. Eine sehr
große Hilfe für Philippe Ros war dabei HDSystems von
Oliver Garcia, die heute eine Tochter von Louma
Systems ist.
Mit der Camera Control Software CCS von Christian Mourier von Sony konnten vom Boot aus sämtliche
Einstellungen der Kamera verändert werden. Zur Kontrolle von Zoom, Blende und Fokus des Zeiss DigiZoom
6-24mm sowie Filtereinstellungen gab es vier Hardware-Kontroll-Räder für die Operatoren. Aufgezeichnet
wurde auf SRW-1 in HDCAM SR mit 10 Bit in 4:2:2. Die
Bildkontrolle erfolgte über einen 23'-Monitor von CineTal. Praktisch alle Parameter konnten so ferngesteuert
kontrolliert werden. Sogar für die Luftblasen gab es
einen Regler. Jeder, der schon einmal in einem Boot
gefahren ist, kennt das Problem: wenn man auf das
Wasser sieht, hat man kein Gefühl für die Geschwindigkeit. Treiben allerdings Hölzchen oder Blätter vorbei,
gibt es Referenzpunkte. Und genau als solche hatte
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UNSERE OZEANE
Der Kran von Thétis konnte zum Transport geteilt
werden.
© Christophe Pottier
Philippe Ros die Luftblasen gedacht, die in der Nähe
der Kamera ins Meer geblasen wurden. Wenn Wellen
im Bild waren, konnten diese als Referenz dienen,
wurde der Torpedo über seine voreinstellbaren Steuerruder abgesenkt, halfen die Luftblasen.
Vom Boot aus konnte auch die Pole-Cam eingesetzt werden, bei der die Capsule vorne oder seitlich
am Boot mittels eines Gerüstes bis zu einen Meter tief
ins Meer gehalten wurde. Dabei konnte sie durchschnittlich etwa 3,5 m vom Schiffsrumpf entfernt arbeiten, Pan und Tilt wurden über Kurbeln gesteuert.
Das Boot konnte dabei während des Drehs bis zu
8 km/h schnell fahren, in einer Zwischenposition mit
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Auge in Auge mit Krabben: Im »Unterwasserstudio«, 20 Meilen vor der Neu-Kaledonischen Küste, hatte Unterwasser-Grip Leigh Tait sogar einen UnterwasserDolly auf Schienen aufgebaut. Wahrlich ein Tiefausleger – 15 m unter der Oberfläche! Rechts wird DoP René Heuzey von Fokus-Puller Georges Evatt am GameBoy unterstützt, der damit unter Wasser Fokus, Blende und Zoom der Zeiss-Optiken steuerte und das Bild über einen Monitor überwachte. © Pascal Kobeh
aus dem Wasser gehobenem System sogar bis zu
20 km/h. In das Rigging von Siméon, die Polecam,
auch in den gyrostabilisierten Kran Thétys floss viel
Erfahrung von Grip Alexander Bügel ein.
Nachtdrehs
Philippe Ros war zusätzlich zu seiner technischen Konzeption als DoP für Unterwasser-Aufnahmen bei
Nacht, im Studio und für Aufnahmen mit einem Spezialmikroskop verantwortlich. Die Unterwasser-Nachtaufnahmen beleuchtete der australische Oberbeleuchter Paul Johnstone mit seinem Team, der auch bei
»Matrix« und für die Unterwasser-Sequenz im neuesten James-Bond-Film gearbeitet hatte.
Allgemein wurde tagsüber im Film keine Beleuchtung eingesetzt. Dies hatte u.a. seinen Grund darin,
dass man keinen Dokumentarfilm-Look haben, sondern szenisch arbeiten wollte. Deshalb wurden auch
bei Nachtaufnahmen keine Blitze oder Kopflicht verwendet. Dieses hätte zudem hauptsächlich nicht die
Tiere, sondern die Partikel vor der Optik beleuchtet.
Ausgenommen waren die Flower Gardens in Florida,
200 km von New Orleans entfernt. Dort verwendete
man eine spezielle Beleuchtung zum Dreh von jagenden Haifischen.
Für die Nacht-Drehs an einem Riff in Neukaledonien im Herbst 2007 arbeitete Philippe Ros mit Licht
von der Seite, z.B. mit einem Reflektor für das FüllLicht bzw. mit Licht von oben, von oberhalb der Wasseroberfläche. Dazu wurde ein Boot als Basis von vier
Beleuchtungstürmen konstruiert. Zwei trugen 140 kW
Dinolights mit großen Blechkisten als Scheinwerfernasen zum Ausrichten des Lichtes, zwei waren mit Ruby
Seven ausgerüstet. Auf diese Weise wurde ein Set am
Riff von 100 x 40 m ausgeleuchtet.
Schärfeziehen ist in HD bekannterweise schwieriger als in SD. Unter Wasser ist es noch diffiziler. Und
man kann keinen zusätzlichen Monitor zu Hilfe nehmen. Oder doch? Die Lösung von Philippe Ros war der
»Game Boy«, bei dem ein 8"-CineMonitor von Transvideo in ein Unterwasser-Gehäuse von Jean-Claudes
Prottas Firma Subspace eingebaut wurde. Seitlich
waren Griffe und wasserdichte Regler für die PrestonSteuerung angebracht, man konnte auch in das Bild
hineinzoomen, um die Schärfe zu überprüfen. Das Gerät wäre bis zu einer Tiefe von 50 m dicht gewesen,
beim Dreh ging man damit bis 35 Meter hinunter. Die
Übertragung erfolgte über ein Kabel, das eine Distanz
von bis zu 100 m zur Kamera erlaubte. Damit konnte
man bis zu 50 m unter Wasser Fokus, Blende des 7 mm
oder des 10 mm Zeiss Digiprime bzw. den Zoom der
Zeiss Digizooms 6-24 mm und 17-112 mm steuern,
die auch mit Dioptern eingesetzt wurden.
Denn vom Konzept her sollten die Tiere im Film
wie Schauspieler aufgenommen werden, weshalb man
möglichst nahe an sie heranging und mit der hyperfokalen Entfernung arbeitete. Tagsüber hatte man
meist mit Blende um 5,6, aber auch bis 2. Um kleine
Tiere wie etwa Krabben zu verfolgen, nutzte man eine
Art Unterwasser-Dolly auf Schienen von Emit (Trevor
Steele) mit einem Tiefenausleger, sodass man mit dem
Zeiss Digizoom 17-112 mm sogar mit Diopter bei Blende 2 verfolgen konnte. In 35 mm hätte das einem
300 mm bei T1.9 entsprochen. »In solchen Momenten
hat man ohne Schärfezieher keine Chance«, meint
Philippe Ros.
Dieser musste allerdings nicht unbedingt mit dem
Kameramann unter Wasser sein: Der beste Weg, in HD
zu fokussieren, ist und bleibt, die Bilder über einen
Monitor in Original-Auflösung zu betrachten. Dies ermöglichte eine zweite Fernsteuerungs-Version über
Philippe Ros dreht mit dem Galatée-Team vom Monitor-Tisch aus Kleinst-Lebewesen wie z.B. hier Plankton. Auf einem Zeiss Discovery V20 Stereomikroskop
mit Zoomfunktion war die Sony F23 angeflanscht.
© François Sarano
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Beleuchtet wurde das »Unterwasserstudio« am Riff auf einer Fläche von 100 x 40 m haupsächlich von
einem Ponton aus, um nicht die Schwebeteilchen im Wasser hervorzuheben.
© Philippe Ros
ein 100 m langes Kabel, bei der nicht nur der Regisseur und der Bildoperator, sondern auch der Schärfezieher im Boot vor den LMD-232-Monitoren von Sony
sitzen konnten.
Mikroskopie
»Unsere Ozeane« zeigt die dem Menschen lange Zeit
völlig unbekannte und auch heute noch zu großen Teilen unerforschte Welt unter den Schiffsrümpfen nicht
nur im Großen, mit majestätisch ziehenden oder auch
vergnügt sich aufs Wasser werfenden Blau- und Finnwalen. Auch der unendlich kleinen Welt im Wasser, die
so verblüffend schon wieder nach den Weiten des
Weltalls aussieht, wurde nachgespürt. 2007 baten
Jacques Perrin und Jacques Cluzaud Philippe Ros,
einen Weg zu finden, in einem Tropfen Salzwasser
Der Objekt-Tisch von HD Systems war in x-, y- und
Drehachse steuerbar.
© François Sarano
lebende Tiere zu drehen. Philippe Ros hatte Dr. Winfried Scherle, den Leiter des Geschäftsbereichs Photoobjektive der Carl Zeiss AG gefragt, wer ihm in der
Firma auf diesem Gebiet weiter helfen konnte. Erich
Kohlhass von Carl Zeiss Micro Imaging schlug ihm
dann nach einem ziemlich intensiven Gespräch vor,
das Stereomikroskop Discovery.V20 zu verwenden,
das über ein Zoom verfügt.
HDSystems baute dafür einen Objekt-Tisch, der
über Kurbeln sowohl in den x- und y-Achsen als auch
in einer Rollbewegung gesteuert werden konnte. Da
HDSystems die Tochter von Louma-Systems ist, und
dadurch auch über Erfahrung mit Fernsteuerköpfen
verfügt, konnte sie einen Remote-Head bauen, der
Fahrten ermöglichte, um Tiere im Bereich von 50 Mikrometer und einem halben Zentimeter zu verfolgen.
Die Gammakurve der F23 war auf 1000 ISO angepasst, mit 8 Blenden in den Weißen und zweieinhalb
Blenden in den Schwärzen. Die Blende betrug dabei
T250 – kein Druckfehler! Trotzdem braucht man den
Tiefenschärfebereich nicht mehr zu messen versuchen. »Ich hatte das Glück, in Cyrille Liberman einen
wirklich sehr guten Schärfezieher zu haben«, meint
Philippe Ros.
Im Film ist bei den Mikroskop-Aufnahmen plötzlich ein Planet zu sehen. Nicht die Erde, nein, es ist das
Auge eines Hummereies. Um Tiere dieser Größenordnung auszuleuchten, verwendete Philippe Ros Glasfasern und Gelfilter. Dabei durfte der Dreh immer nur
fünf Minuten dauern, weil sie sonst den Hitzetod gestorben wären.
Auf den Boden des Mikroskop-Tisches legte Ros
eine Aluminiumplatte, in die er mit einer Nadel ein kleines Loch gemacht hatte, um einen sehr kleinen Lichtstrahl zu produzieren. Aber selbst der war zu groß – es
gab viel zu viel Überstrahlung. Bei diesen Aufnahmen
arbeitete man mit Meeresbiologen der Meerespolizei
in Brest zusammen, welche die Tiere unter einem
Mikroskop auswählten. Ein Wissenschaftler, der auch
Arzt war, gab Philippe Ros eine Injektionsspritze für
Baby-Krabben. Diese war so klein, dass Ros eine Lupe
brauchte, um die Nadel zu sehen. Damit gelang dann
ein ausreichend kleines Loch für die Hintergrundbeleuchtung.
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PRODUKTIONSBERICHT
Philippe Barbeau bei Aufnahmen auf den Galapagos-Inseln.
© Galatée
Die 54 Drehorte
Cornwall, Großbritannien (050°05’N - 05°41’W), Isle of Man
Großbritannien (054°09’N - 04°26’W), Brest, Frankreich
(048°22’N - 04°29’W), Insel San Pietro, Sardinien (039°11’N
- 008°17’E), Lofoten, Norwegen (068°24’N - 016°00’E), False
Bay, Südafrika (034°09’S - 018°27’E), Kos, Griechenland
(036°33’N - 026°02’E), Port Elizabeth, Südafrika (031°35’S 027°27’E), Port St Johns, Südafrika (031°35’S - 029°40’E),
Aliwall Shoal, Südafrika (030°15’S - 030°49’E), Marsa Abu
Dabab, Ägypten (025°20’N - 034°44’E), Dolphin Reef, Ägypten
(025°04’N - 034°56’E), Insel Europa, Kanal von Mosambik
(022°19’S - 040°20’E), Mayotte, Komoren (012°51’S 045°00’E), Insel Sainte-Marie, Madagascar (016°56’S 050°01’E), Meeresstraße von Lembeh, Indonesien (001°28’N
- 125°14’), Shimane, Japan (035°38’N - 132°27’E), Whyalla,
Australien (033°02’S - 137°36’E), Insel Sado, Japan
(039°11’N - 139°32’E), Adelieland, Antarktis (066°40’S 140°00’E), Melbourne, Australien (038°29’S - 145°02’E),
Barrier Reef, Australien (014°40’S - 145°40’E), Townsville,
Australien (019°14’S - 146°49’E), Yongala Wreck, Australien
(019°18’S - 147°37’E), Stradbroke Island, Australien
(027°26’S - 153°32’E), Hienghène, Neukaledonien (020°35’S
- 165°08’E), Noumea, Neukaledonien (022°19’S - 166°13’E),
Drei-Königs-Inseln, Neuseeland (034°08’S - 172°07’), Rurutu, Französisch-Polynesien (022°25’S - 151°20’W), Moorea
Island, Französisch-Polynesien (017°28’S - 149°49’W), Chatham Strait, Alaska (058°06’N - 135°09’W), Port Banks, Alaska
(056°34’N - 135°00’W), Inuvik Arktis (068°50’N - 133°21’W),
Monterey Bay, Kalifornien (036°33’N - 121°56’W), San Clemente, Kalifornien (033°03’N - 118°36’W), Guadalupe Island,
Mexico (029°08’N - 118°17’W), Coronado Canyon, Kalifornien
(032°35’N - 117°20’W), Loreto Sea of Cortez, Mexiko
(026°04’N - 111°16W), Socorro Island, Mexiko (018°46’N 111°03’W), Flower Garden Bank, USA (028°14’N 093°17’W), Insel Fernandina, Galapagos (000°18’S 091°39’W), Coco Island, Costa Rica (005°30’N - 087°05’W),
Harrowhead Bank, Mexico (021°16’N - 086°45’W), Navy
Board Inlet Arktis (073°44’N - 084°49’W), Drake Bay, Costa
Rica (008°37’N - 084°11’W), Savannah, USA (031°59’N 080°51’W), Cobburg Island, Arktis (075°51’N - 079°34’W),
Los Roques, Venezuela (011°54’N - 067°04’W), PleneauInsel, Antarktis (065°06’S - 064°04’W), Halbinsel Valdés,
Argentinien (042°06’S - 063°46’W), Guadaloupe, Karibik
(016°07’N - 061°48’W), Halbinsel Cayenne, FranzösischGuyana (004°53’N - 052°15’W), Grand Connetable, Guyana
(004°49’N - 051°56’W), Azoren, Portugal (038°26’N 028°33’W)
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Postproduction
Am Resolve war eine Bibiliothek von Lookup-Tables
gebaut wurden, wobei jede Lookup-Table mit dem
Scene-File und dem Gamma gekoppelt war. Für das
Monitoring des 35mm-Materials wurden für das PrintMaterial 2383 von Kodak zusammen mit dem Kopierwerk Arane / Gulliver eingepegelt. Beim Schnitt des Filmes wurden die Metadaten bezüglich Scene-File und
Gammakurven ebenfalls auf die Timeline gesetzt, wodurch die Anti-Gammas bzw. die Lookup-Tables schon
auf der Pregrading-Ebene ohne große zusätzliche Verwaltung zur Verfügung standen.
Das Grading erfolgte nach einem Parallel-Produktionstest schließlich in 4K mit 10 Bit Log auf einem Da
Vinci Resolve. Zu diesem Zeitpunkt war es das
schnellste System in 4K – wenn auch mit 2K-Proxies.
Die neueste Version von Lustre war noch nicht fertig
gestellt, und Laurent Desbruère wollte die schnellsten
Auswahlfenster und Focus/Defocus-Möglichkeiten zur
Jacques Perrin mit seinem Enkel Lancelot im
Museum mit der Halle der ausgestorbenen Arten.
Luciano Tovoli und Luc Drion als Kamera-Operator
drehten vor Green Screen, die CGI für Tiere und
Saal kam von Mikros Image, Buf Compagnie erstellte die 3D-Visualisierungen der Erde. © Galatée
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Verfügung haben. Denn für den Film wurden auch
Funktionen benötigt, mit denen man die Tiefenschärfe
nachträglich anpassen konnte.
Etwa die Hälfte des knapp 100 Minuten langen Filmes mit seinen 950 Shots sind 35mm-Material, von
der anderen Hälfte stammen etwa 18 Minuten von der
HDC-950 und der F23. Ausnahmen bilden SlomoDrehs und einige Korallenriffs mit gutem Licht und vielen Details, die in 35 mm nachgedreht wurden. Zum
Conforming wurde das 35mm-Material mit 6K Oversampling am Arriscan auf 4K gescannt. In 4K geschah
auch das Online-Editing, die Lichtbestimmung und die
Ausbelichtung am Arrilaser. Auch das DCP wurde in 4K
gemacht, für BluRay und DVD wurde von Digimage
Cinema ein Master in HDCAM-SR erstellt.
»Innerhalb von fünf Jahren kann man nicht wirklich von Kontinuität sprechen«, so Tommaso Vergallo.
»Das Wasser hat je nach Drehort ganz verschiedene
Eigenschaften. Die Farben sind verschieden, und die
Geschichten, die erzählt werden, mit Drehs in Polynesien, Südafrika oder Alaska, ebenfalls. Deshalb haben
wir das Material auf 4K in 16 bit log gebracht und versucht, das HDCAM-Material an die 4K-Scans anzupassen. Beim HDCAM-Material hat sich gezeigt, dass man
trotz des Aufblasens auf 4K ganz feine Texturen herstellen kann. Hier spielte das hauseigene GrainManagement-System bei Digimage Cinema eine wichtige Rolle.«
Sämtliche Compositings von Blue-Screens unter
Wasser und das Grain-Management wurde mit der
Digimage-Tochter Def2Shoot zusammen gemacht.
Das eigentliche Colorgrading dauerte schließlich 18
Wochen. »In meiner achtzehnjährigen Karriere ist dies
die längste Lichtbestimmung bei einer Produktion«,
meint Digital Cinema Manager Tommaso Vergallo.
Philippe Ros: »Die Anpassung von Film und Digital
hätte nicht geklappt ohne die endlose Hilfe und die
Adleraugen von Colorist Laurent Desbruères, Tommaso
Vergallo und Jan Eveno von Digimage, und natürlich
Luc Drion SBC und Luciano Tovoli AIC, ASC. Nicht zu
vergessen die Hilfe und Unterstützung von Kameramann und D.I.T François Paturel, mit dem ich nun
schon seit 20 Jahren zusammen arbeite.«
PRODUKTIONSBERICHT
Wie Philippe Ros heute eine Digitalkamera für eine
Produktion aussuchen würde? Zuallererst müsste sie
ein zuverlässiges Arbeitspferd sein. Danach kämen sofort die Standards für das aufgezeichnete Material und
weitere Fragen. Welche Datenmenge fällt an? Wird
komprimiert? Wie stark? Was passiert mit den aufgezeichneten Daten? Wie kommen sie von der Kamera in
die DI? Wie schnell geht dieser Weg? Wie sicher ist er?
Was kann passieren? Wie groß ist der Aufwand? Wieviel kostet das? Wer ist wofür verantwortlich? Und bei
längeren Produktionen heute immer wichtiger: wie
lange gibt es die Technik? Sind meine ersten Bilder
wirklich noch kompatibel zu den letzten? Philippe Ros
meint, dass vieles davon heute nur auf den ersten
Blick trivial erscheint, die Tücke in vielen Details liegt,
die Marketing oft zu verdecken versteht.
Harmonielehre
In »Océans« gibt es nicht nur den räumlichen Kontrapunkt der Bilder über und unter der Wasseroberfläche,
sondern auch einen zeitlich-dramaturgischen als Abfolge von Harmonie und Disharmonie. Das bedeutet
nicht, dass Bilder des Gefressen-Werdens nicht von
Beginn an vorkommen, doch anders. So haben die
spektakulären Bilder von der jährlichen Orgie vor dem
Kap der guten Hoffnung, wo u.a. Wale, Delphine,
Möven durch einen kugelförmigen Schwarm von Sar-
Walrosse in der Arktis, aufgenommen in 4.0
dinen hindurchpfeilen, nichts von Tragik oder Tod an
sich. Um einiges weniger freundlich wirken später
Philippe Ros’ Bilder von der Nachtaufnahme des
Kampfes zwischen einer Krabbe und einer 20 cm langen Squilla Mantis (Fangschreckenkrebs), dem
schnellsten Tier der Welt. Tatsächlich! Das zweite Beinpaar sind als Keulen ausgebildete Fangarme, das sie
durch Spannen ihrer Muskel hervorschnellen lassen
können – so schnell wie eine Gewehrkugel. Und das
im Wasser! Dabei bilden sich Gasbläschen (Kavitation),
die implodieren und so das Opfer betäuben. Solch ein
Schlag kann nicht nur den Panzer von Krebsen zertrümmern, sondern auch dünnes Glas eines Aquariums. Dieses Tier aufzunehmen ist nicht ganz ungefährlich, da es einem den Finger in einer hundertstel
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UNSERE OZEANE
© Galatée
Sekunde abschneiden kann. Wenn hier die Krabbe
nach einem Schlag einfach betäubt nach hinten umkippt, wird die Stimmung schon härter.
Und doch hat es noch eine ganz andere Wirkung,
als in späteren Szenen wiederum mit einmaligen Bildern Robben von einem Orca bis an Land gejagt (DoP
Thierry Thomas), oder gar von einem weißen Hai in die
Luft geschleudert werden. »Es ist nicht gerade einfach,
eine Phantom HD am Wasser zu betreiben«, meint Luc
Drion. Hilfreich war bei den wenigen Shots mit der
Digitalen Hochgeschwindigkeitskamera beim weißen
Hai in Südafrika die Loop-Aufnahme, die zwei Sekunden vor dem Start noch mitnahm.
Um die Disharmonie des Menschen mit den Lebewesen der Meere darzustellen, gibt es verschiedene
Vertreter zweier Raubtier-Gattungen von Angesicht zu Angesicht. Welches ist die schlimmere? Selbst mit einem weißen Hai sind Bilder in Harmonie möglich.
Wenig später schwimmen beide Seite an Seite.
@ Pascal Kobeh
Sturm-Aufnahmen eines Rettungsbootes, eines FischTrawlers und sogar einer 150 m langen Fregatte der
französischen Marine, die von riesigen Wellen auf und
ab geworfen werden, als ob sie fast keine Masse hätten – so mancher erfahrene Pilot fragt sich da, wer
wohl den Heli geflogen hat – besonders wenn man
weiß, dass die Bilder mit einem Gyro-System stabilisiert wurden, das Fluggerät also beileibe nicht so ruhig
in der Luft lag, wie die Bilder glauben machen.
DoP Luc Drion arbeitet schon seit Jahren mit dem
Helikopter-Piloten Thierry Leygnac zusammen. Gemeinsam fanden sie Wege, trotz Sturm zu drehen und
Nässe von den Optiken fernzuhalten. Denn um eine
möglichst hohe Bildqualität zu erreichen, verzichtete
Drion auf eine sich drehende Scheibe vor der Optik,
welche die Wassertropfen wegschleudert. Gleichzeitig
musste zwar mit offenen Türen gearbeitet werden,
aber für Windabweiser am Hubschrauber war kein
Platz und der Schärfe-Assistent hatte auch keine
Möglichkeit, die Optiken sauber zu halten. Da braucht
es eben einen Piloten, der im Gefühl hat, was dem
Kameramann hilft, und der trotz des tosenden Sturmes
mit seiner Art zu fliegen zusätzlich noch die Kamera
schützt.
Bereits 2005 hatte Luc Drion Aufnahmen im mexikanischen Baja California und in Südafrika für Shots
mit den großen Sardinenschwärmen vom Helikopter
aus gedreht und dabei die Eigenheiten des Gyron
Stab-C von Nettmann genauer kennen gelernt. Bei den
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Sturm-Drehs war die Arriflex 435 wieder in einen
Stab-C eingebaut, wobei Drion gerne das große Optimo-Zoom 24-290 mm benutzt hätte. Aber es war zu
schwer und hätte nur mit einem 120-m-Magazin verwendet werden können – zudem waren die Vibrationen für die Optik zu stark.
So setzte er das ältere 25-250 H.R von Angenieux
ein, das bei Super35 einem 30-300 mm entspricht –
mit T 4,5, und konnte dafür das 300-m-Magazin verwenden. »Der Stab-C hatte allerdings ein Problem mit
dem automatischen Ausgleich, was für den Schärfezieher sehr schwierig war. Auch bei Schwenks war der
Ausgleich gestört, so Luc Drion.
Drion meint, dass es eben jene Momente waren,
wo alles zusammen gepasst hat. Allein für die Sequenz
mit dem Fisch-Trawler hatte er es eine Woche lang
versucht, für die Aufnahmen mit dem Kriegsschiff – bei
18 Meter hohen Wellen – hatte es mehrere Versuche
über zwei Jahre hinweg gegegeben. Beim großen
Sturm im Dezember 2007 war der Stab-C kaputt gegangen, und ein neues Gerät aus den USA zu holen
hätte zu lange gedauert. Für diese Schüsse bedurfte es
nicht nur beim Dreh einer gut eingespielten Crew mit
schnellen Reaktionen, sondern alle Beteiligten mussten zur Verfügung stehen, wenn sich entsprechende
Bedingungen abzeichneten.
Gerade noch hatte man weit über eine Stunde
lang in atemberaubendsten Aufnahmen verschiedener
Tiere geschwelgt, gestaunt, wie übermütig Delphine
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aus den Wellen springen und sich mehrmals in der Luft
um die Längsachse drehen, wie tonnenschwere Wale
aus dem Wasser schießen, um beim Aufprall mit Getöse wahre Wellenberge loszuschicken. Sie hängen nun
in den Seilen von Fischernetzen. Erstickt. Zusammen
mit Haien, Robben und anderen Tieren. Sinnloser,
wertloser Abfall, der nur den kostenoptimierten Ablauf
des Fischfangs stört. Der Kontrast ist riesig, der optische Schock groß. Die Bilder schneiden in die Seele.
Eine Robbe stöbert im Müll, der den Meeresboden vor
einer Industrieanlage bedeckt. Harmonieleere.
Coda
Nach dem Flug der Kamera aus dem Wasser
durch die Wolken ins Weltall zeigen Satellitenaufnahmen der ESA den Schmutz, den die Flüsse in die Meere spülen. Lancelot, der kleine Junge vom Anfang,
steht mit seinem Großvater Jacques Perrin auf einer
Plattform und betrachtet die Erde, die ein Teil des Museums mit der Halle der ausgestorbenen Arten ist.
DoP Luciano Tovoli und Luc Drion als KameraOperator drehten hier das meiste vor Green-Screen.
Die CGI für die Tiere und den Saal kam von Mikros
Image, Buf Compagnie erstellte die 3D-Visualisierungen der Erde und des Satelliten im Weltraum bzw. der
Satellitenaufnahmen. Die gesamten CGI und VFX wurden durch Christian Guillon und Arnaud Fouquet von
L’E.S.T. koordiniert und beaufsichtigt.
»Doch wenn sich die Menschen im Sturm gegenseitig helfen können, warum können sie nicht gemeinsam die Meere retten? Denn ohne sie wird die
Menschheit auch nicht überleben können.« Hier fasst
Jacques Perrin auch als Erzähler – in Deutschland von
Matthias Brandt gesprochen – in Worte, was er mit
dem ganzen Film, ja mit der ganzen Produktion zeigt –
passend zum Jahr der Biodiversität: Harmonie mit den
Tieren im Meer ist möglich. Wie sonst könnte ein Meeres-Biologe knapp vor dem grinsenden Gesicht eines
weißen Haies schwimmen und dann neben ihm, als ob
er sein Putzerfisch wäre? Bei der von David Reichert
gedrehten Szene hält man unwillkürlich den Atem an,
damit der Hai es sich nicht doch noch anders überlegt.
Jacques Cluzaud: »In den versteckten Winkeln der
Erde, in Naturschutzgebieten, in denen die Wildnis
Widerstand leistet, drehten wir die meisten Aufnahmen, die in ›Unsere Ozeane‹ zu sehen sind – in der
Hoffnung, dass es sich dabei nicht um Dokumente
einer vergangenen Vielfalt handelt, sondern um ein
Abbild des Lebens, das im ewigen Kreislauf wiedergeboren wird: robust, wild und frei.
W PP
Unsere Ozeane
Produktion........................Galatée Films, Pathe, France 2 Cinéma,
...................................... France 3 Cinéma, Notro Films, JMH-TSR
in Zusammenarbeit mit...................... France Televisions, Canal +,
........................................ TPS Star, CNC, Procirep, Angoa-Agicoa
Regie........................................ Jacques Perrin, Jacques Cluzaud
Drehbuch........ Jacques Perrin, Jacques Cluzaud, François Sarano,
................................................. Stéphane Durand, Laurent Debas
Produzenten............................Jacques Perrin, Nicolas Mauvernay
Ausführender Produzent................................................ Olli Barbé
Executive Producer.................................................... Jake Eberts
Wissenschaftliche Berater...................................François Sarano,
................................................. Yvon Le Maho, Stéphane Durand
Maritimer Berater, Skipper..................................... Bernard Deguy
Filmmusik.............................................................. Bruno Coulais
Schnitt................................. Vincent Schmitt, Catherine Mauchain
Regie 2nd Unit.............................................. Christophe Cheysson
Kamera Unterwasser-Aufnahmen......... Didier Noirot, René Heuzey,
............... David Reichert, Yasushi Okumura, Simon Christidis ACS,
......................................... Jean-François Barthod, Georges Evatt,
................................ Thomas Behrend, Mario Cyr, Denis Lagrange
DoP Außenaufnahmen...........Luc Drion SBC (Flug, Schiffe, Thétis),
............. Luciano Tovoli AIC-ASC (Paris, Cherbourg Studio, Atlanta),
..... Philippe Ros (Nacht-UW-Dreh, UW-Studio, Becken, Mikroskop),
............. Christophe Pottier (Mini-Helikopter), Laurent Charbonnier,
............................ Eric Börjeson, Philippe Garguil, Thierry Thomas,
..................................... Michel Benjamin, Jean-François Barthod,
........................... Olivier Guéneau (Jonas, Siméon), Velérie le Grun
Digital Imaging Director............................................. Philippe Ros
System design supervisor (Kameras).......................... Philippe Ros
Art Supervisor Grading.............................. Luciano Tovoli AIC-ASC
Coloristen...................................Laurent Desbruères, Aline Conan
Digital Cinema Manager .................................. Tommaso Vergallo
Chief Operating Officer............................................... Juan Eveno
Chief D.I.T........................................................... François Paturel
Chief 1st Assitent Camera................................... Stephane Aupetit
Stand-Fotografen...................... Pascal Kobeh, Richard Herrmann,
..............................Roberto Rinaldi, Yves Gladu, Mathieu Simonet,
.............................. Julien Samson, Hideki ABE, Mathieu Foulquier
Design und Technische Produktion ......... Jacques-Fernand Perrin,
.............. Alexander Bügel, Olivier Garcia, Hervé Theys, HDsystems
............. Christian Mourier (Consultimage), Philippe Ros, Luc Drion
Szenenbild............................................................. Jean Rabasse
Ton...........................................Philippe Barbeau, Martine Todisco
Sound Design........................................................Jérôme Wiciak
Sound Editing......... Dominique Fano Renaudin, Elisabeth Paquotte
Mix......................................... Florent Lavallée, Anne Le Campion
Special Effects............... Christian Guillon, Arnaud Fouquet L’E.S.T.
Production Supervisors...... Johann Mousseau, Antoine de Cazotte,
.............................................. Vincent Steiger, Charles Stenhouse
Making-of....................................... Renan Marzin, Alexandre Ayer
Darsteller................. Jacques Perrin (Mann), Lancelot Perrin (Kind)
Erzähler............................. Jacques Perrin (F), Matthias Brandt (D)

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