Grönland-Kanada-Expedition 1992 - wikingerzeitliche

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Grönland-Kanada-Expedition 1992 - wikingerzeitliche
Grönland-Kanada-Expedition vom 01. bis 23.08.1992
Nichts wird so leicht für Übertreibung gehalten,
wie die Schilderung der nackten Wahrheit.
Es kennzeichnet den Unerfahrenen, daß er nicht
an glückliche Zufälle glaubt.
[Joseph Conrad 1857-1924]
Meine Teilnahme am FREYDIS-Törn im Jahre
1988 diente vor allem dem Erleben des Nordatlantiks auf einer Segelyacht. Ein weiteres Highlight bildete das Aufsuchen historischer Siedlungsgebiete der Wikinger in Südwest-Grönland.
Der Überquerung der Labradorsee von Ost nach
West schloss sich im Sommer 1992 ein Segeltörn
von Grönland nach Labrador & Neufundland auf
der OLIHAMO an. Die Motivation war eine ähnliche wie 4 Jahre zuvor, nämlich ein weiteres Mal
die spröde Schönheit der arktischen Gewässer zu
Bild 1: Schiffsstempel der OLIHAMO 1992 erleben sowie in Vollendung des FREYDIS-Törns
die Siedlungsstätte Leif Erikssons in L’Anse aux
Meadows auf dem nordamerikanischem Kontinent kennenzulernen.
Schiff und Crew
Die OLIHAMO, eine Stahlketsch von 16,73 m Länge, wurde mit festen 3er-Wachen von
jeweils 4 Stunden sowie 4-stündigen Freiwachen gefahren, wobei der Skipper wachfrei
blieb. Der Skipper Klaus
hatte in diesem Revier
bereits als Navigator auf
der FREYDIS reichhaltige Erfahrungen sammeln können, was
ebenfalls auf den Verfasser zutraf. Die übrige
Crew setzte sich wieder
aus bunt zusammengewürfelten Qualifikationen zusammen als da
sind: Klaus-Dieter (Jurist und Senior, CoSkipper und Wachführer), Heidi (Haushaltslehrerin und Hausfrau),
Jürgen (Student des
Bauingenieurwesens),
Bild 2: OLIHAMO-Crew (v.l.n.r.): Hans-Jürgen, Ingo, Heidi, Klaus,
Hans-Jürgen (RöntgeJürgen, Tanja, Andreas und Ulrich; Siggi und Klaus-Dieter fotografieren
nologe), Ulrich (Student
der Geodäsie, Wachführer), Siegfried (Siggi), Unternehmer / Werbebranche), Andreas
(Psychologe) und Tanja (Studentin der Ernährungswissenschaften).
Aus Gründen der Sicherheit in diesem an Eisbergen reichen Revier wird wiederum großer
Wert gelegt auf eine stabile Stahlyacht. Die OLIHAMO - übrigens ein Akronym aus den
Namen Oliver, Hannes und Moritz, oder so ähnlich – ist eine als Knickspanter ausgelegte
ROBERTS 53. Auch die OLIHAMO verfügt somit über einen fest integrierten Treibstofftank aus Stahl. Und genau diese Gegebenheit führt mitten in der Labradorsee wiederum
zum Totalausfall beider Maschinen. Denn die Einwirkung des nordatlantischen Seegangs
mischt den am Tankboden sich angesammelten Schmutz auf und setzt Filter und Düsen
dicht. Die festzustellende Schwachstelle liegt natürlich nicht im stählernen Einbautank,
sondern in der aufwändigen Reinigung desselben, weswegen diese meistens verbleibt
bzw. in viel zu großen Abständen durchgeführt wird und die unvermeidlichen Verunreinigungen des Diesels - Schmutz und Wasser – zum Ausfall der Maschinen führen.
Die OLIHAMO ist von der einschwebenden FOKKER 50 aus gut auszumachen im kleinen
Hafen von Narssarssuaq. Das Schiff ist tipptopp aufgeklart und die Kojeneinteilung erfolgt nach Schnarchern und Nicht-Schnarchern. Ich teile mir eine Kabine mit Jürgen. der
ebenfalls großen Wert auf Ruhe legt. Abends gibt es gebratenen Lachs satt. Er stammt
vom Arctic Hotel, das 35 kg geordert hatte und wg. eines Streiks in Kopenhagen kaum
Touristen hat. Kochen und Abbacken zusammen mit Jürgen. Um 22:00 h besucht uns
Søren Mejer von Greenland-Ice-Control, um uns Eis- und Wetterkarte zu bringen. Er berichtet, dass der Sommer hier 4 Wochen Verspätung hat. Ende Juni sind die Eskimos
noch mit Autos über den 1,2 m dick gefrorenen Fjord gefahren. Wir beschließen, morgen
um 07:00 h auszulaufen.
Leinen los
Sonntag, 02. August: Leinen
los, wir starten in Richtung
Nord der Küste entlang und
machen um 11:00 h in
Narssaq fest. Die Sonne
strahlt von einem wolkenlosen Himmel. Es ist angenehm warm. Wir bummeln
durch den sonntäglichen
Ort. Mir kommt es so vor,
als sei ich hier erst gestern
gewesen: der Hafen, der
Berg und die Ebene sind
sehr vertraut. Wir setzen
den Törn fort mit Kurs auf
Paamiut (Frederikshåb), das
wir morgen Abend anzulaufen gedenken. Wache von
20:00 – 24:00 h bei klarem
Himmel und bester Sicht.
Die Eisberghäufigkeit nimmt
Bild 3: Die Labradorsee von Qaqortoq nach St. Anthony
ab. An Steuerbord zeichnet
sich eine zackige Felsformation ab, die sich bis Kap Thorwaldsen erstreckt. Das Kap passieren wir bei Wachwechsel gegen 00:00 h. Schöner Sonnenuntergang und klarer Sternenhimmel. Es wird nicht richtig dunkel, etwaige Eisberge können also rechtzeitig erkannt werden. Der Wind dreht am frühen Morgen von SW auf NW, sodass an Segeln
nicht zu denken ist. Nachdem wir auf Kurs 030 gehen, ziehen wir den Besan zur Stabilisierung auf. Übrigens kann man sich noch so warm anziehen, nach 1 – 2 h wird man
kalt. Aber wir haben einen Diesel-betriebenen Ofen, der sehr gut arbeitet. Es gibt sogar
eine Trockenleine über dem Ofen zum Trocknen von Handschuhen und Mützen.
Gegen 20:00 h erreichen wir die Schären vor dem Hafen. Wir verlieren wegen einer
hartnäckigen Nebelschicht die Orientierung und tasten uns mit Radar und verstärktem
Ausguck sowie verminderter Geschwindigkeit voran. An Steuerbord taucht ein Wrack –
noch gut unter Farbe – auf. Wie wir später erfahren, handelt es sich um das von den
Grönländern angekaufte deutsche Fischereifabrikschiff HEIDELBERG, das bereits kurz
nach der Überführung hier sein Ende fand, – für alle Seefahrenden ein nicht zu übersehendes Menetekel. Dann, nach einigen zaghaften Versuchen, inklusive Wenden und Zurückfahren, erspähen wir die Ansteuerungsbake hoch oben auf einer der zahlreichen
Klippen. Dann rauscht ein offenes Fischerboot an uns vorbei und weist uns den Weg in
den Hafen, was anschließend mit einem Glas Whisky „on the rocks“ – Original Gletschereis – gefeiert wird. Wir finden einen guten Liegeplatz und schon kurze Zeit später ist der
Kai voller Inuits mit großem Interesse für Technik und Schnaps.
Ein weiteres Schiff auf gleichem Kurs
Ein wenig später legt Burkhard Pieske, mit der SHANGRI-LA und seinem WikingerschiffNachbau WIKING SAGA im Schlepp, vor uns an. Klaus geht kurz an Bord und bedeutet,
dass wir diesmal „voll“ sind und leider keine Einladung aussprechen können. Burkhard
wurde bereits erwartet,
weil er in der Bucht von
Hvalsey lag und dort
von der Vor-Crew begrüßt und begleitet
wurde, diese seiner
Trauung mit seiner Lebendgefährtin in der Kirchenruine von Hvalsey
beiwohnte und als Geschenk 5 Flaschen Rum
überreichte. Burkhard
und seine Crew geben
sich nicht viel mit den
Sehleuten ab, sondern
zurren schnell alles fest
und sehen zu, dass sie
unter Deck kommen,
das Wikingerschiff sicher
Bild 4: SHANGRI-LA und VIKING SAGA in Paamiut
auf der dem Kai abgewandten Seite.
Unseren Versuch, den Törn am nächsten Tag in Richtung Nuuk fortzusetzen, brechen wir
ab, nachdem der Wind auf Nord dreht und das Motoren nach Nuuk reine Bolzerei bedeutet hätte. Mit ausgebaumter Genua laufen wir vor dem Winde mit 6,5 kn zurück, erreichen gegen 22:00 h Paamiut und machen an der Hauptpier fest. So haben wir Gelegenheit, uns den Ort genauer anzuschauen. Die Versorgung der Inuit und der Dänen, die
hier leben, ist vorbildlich. Allerdings ist und bleibt ein großes Problem der Alkohol. Die
einzige Kneipe im Ort öffnet um 17:00 Uhr. Es bilden sich lange Schlangen der männlichen Bevölkerung, die ihr verdientes Geld durch die Gurgel jagen – mit allen furchtbaren
Konsequenzen: Mord und Totschlag sind keine Seltenheit und ein Gang über den Friedhof zeigt: Es gibt keinen männlichen hier bestatteten Inuit, der älter als 25 Jahre wurde…
Mittwoch, 05. August: Wir werden um 07:30 h geweckt. Das Schiff muss verholt werden,
weil heute das Postschiff erwartet wird. Wir gehen zunächst an ein Päckchen von Fischerbooten, wo jedoch die Turnerei lästig ist. Es ergibt sich, dass ein am gleichen Kai
liegender grönländischer Trawler uns anbietet, längsseits zu gehen. Ein komfortables
Fallreep wird herabgelassen, wir bekommen Strom und dürfen sogar die Waschmaschine
benutzen.
Wir verproviantieren uns. Siggi bringt Walfleisch
mit und stellt nach Probieren weitere Beschaffung in Aussicht. Es gibt jetzt selbstverständlich
eine Diskussion, ob man den Kauf von Walfleisch nicht unterlassen sollte. Wir kommen zu
der Aussage, dass die Grönländer das historische Recht haben, sich auch von Walfleisch zu
ernähren. Dem schließen sich auch die Greepeacer an. Siggi haut auch mir eine Riesenportion auf den Teller, an der ich zu knabbern habe. Abends machen Klaus und ich einen Besuch
bei Burkhard Pieske. Burkhard ist an Land und
hängt mit einem Crew-Mitglied seine Netze auf.
Wir gehen an Bord und schauen bei den Arbeiten zu: Der Meteorologe steht im Masttopp der
VIKING SAGA und überprüft die Elektronik des
Windmessers. Es wird mit sehr viel Ruhe ohne
Stress gearbeitet. Mit an Bord ist der Bootsbauer, ein Fotograf sowie 2 weitere Personen. Eugen, der Bootsbauer, bittet uns, in das mittig
gelegenen Steuerhaus und den Salon der
SHANGRI-LA. Es ergibt sich ein Plausch über die
Bild 5: Burkhard Pieske auf der SHANGRI-LA Qualität der FREYDIS auf ihren Törns mit wechselnden Crews. Während unseres Plausches
kommt Burkhard herein und mimt, er müsse sich jetzt um sein Spielzeug kümmern.
Sorgfältig und mit viel Muße fettet er Wikinger-Schwerter, die er in Kiel hat arbeiten
lassen, sowie 4 Helme mit Vaseline, weil aller, der Seeluft ausgesetzte Stahl sofort zu
rosten beginnt.
Aufgrund der neuesten Wettermeldung laufen wir nicht aus. Ein Tief bewegt sich von
Neufundland ostwärts, die Zuggeschwindigkeit ist noch unbekannt. Nach dem Frühstück – mal wieder mit Brötchen – um 10:15
h soll es neue Wetterinfos geben. Die kommen jedoch nur spärlich über, weil wir – wie
auch Burkhard – nur mit Tricks nach Hamburg durchkommen. Nicht auslaufen heißt
daher die Devise, abends heißt es, ein Gale
(Starkwind) sei im Anmarsch. Wir bunkern
und wollen in die Bucht auslaufen, um die
versprochenen Aufnahmen für die Sponsoren zu machen. Um 13:00 h geht es bei
leichter Brise ‘raus, direkt auf ein Schmuckstück von Eisberg zu. Wir setzen Segel und
– nachdem zuvor Klaus im Schlauchboot
Bild 6: Vordersteven der VIKING SAGA
ausgesetzt wurde – bewegen wir uns luvseitig in sicherem Abstand zwischen Eisberg
und Klaus, der begeistert ist von der ihm gebotenen Perspektive. Die Crew trägt kom-
plett Overalls und Mützen von HH. Auf den Segeln große Aufkleber von HH und IcelandAir. Anschließend werden Aufnahmen für Temprite mit den Thermogefäßen gemacht.
Die leichte Brise ist erfrischend und der Eisberg leuchtet grün und blau.
Wir angeln etwa eine Stunde lang, es beißen jedoch nur 2 Knurrhähne an. In den Hafen
zurückgekehrt, einigen wir uns mit Burkhard, dass er uns Platz macht am grönländischen Trawler NANALIQ, sodass wir anschließend im Päckchen liegen. Wir erfahren von
Burkhards Crew, dass
man direkt vom Liegeplatz aus angeln kann
und im Nu haben wir
10 Dorsche gefangen,
die von Siggi fachmännisch geschlachtet werden. Es bleiben zwei
Blinker an Steinen hängen. Wir übergeben der
SHANGRI-LA drei Kisten mit überschüssigen
Konserven sowie Mehl
und Zucker. Burkhards
Crew empfindet das
„wie Weihnachten“;
denn sie sparen an allen Ecken und Enden
und müssen hart rechBild 7: OLIHAMO in der Labradorsee vor Paamiut
nen. Eine Überfahrt
wollen sie nur riskieren, wenn das Wetter stabil ist und günstiger Wind weht, halb- oder
raumschots; denn die VIKING SAGA läuft nur 60° am Wind. Und die verheerenden Erfahrungen auf der Überfahrt von Norwegen nach Island, wo die Crew der WIKING SAGA
bei schwerem Wetter um
ihr Leben schöpfen
musste, hatten Burkhard
veranlasst, stets einen
Meteorologen mit an
Bord zu haben.
Übrigens hatte ich vormittags Besuch von einem Crew-Mitglied des
„russischen Rattendampfers“, wie wir das russische Fabrikschiff nennen, weil es so heruntergekommen ist. Äußerlich total verrostet, ist es
innen auch nicht besser:
Klaus, der den Kapitän
besuchte, berichtet, dass
Bild 8: Gelobt sei, was warm macht…
von 4 Generatoren 3
ausgefallen sind. Das Schiff läuft bei ruhiger See max. 6 kn und macht so viel Wasser,
dass ständig gelenzt werden muss. Abends um 22:00 h beim/nach dem Essen besucht
uns Burkhard und steigt in unsere heißen Diskussionen über Greenpeace und Aussteiger/Weltenbummler ein. Er verweist auf die Einseitigkeit der Argumentation bezüglich
des lokalen Wal- und Robbenfangs. Zum Beispiel müssen die Ostgrönländer aufgrund
des Preisverfalls heute 5mal so viele Robben schießen wie vor der Zeit des Boykotts.
Umweltschutz ist den Grönländern fremd: Öl, Autos, Plastikabfälle, alles landet nach
Gebrauch im Fjord. Jedoch ist das in Anbetracht der Größe des Landes (Küstenlänge: ca.
2-facher Erdumfang) und der Einwohnerzahl von 50.000 ein „Fliegendreck“.
Und dann kommt Burkhard auf seinen Job zu sprechen: Er bedauert die Komplettaussteiger, die mit 30 Jahren fit sind und mit 60 bis 70 Jahren ein jämmerliches Dasein führen. Er selber bekennt sich zu Deutschland als Heimat, hat niemals die regelmäßigen
Verbindungen aufgegeben und gedenkt später
zurückzukehren. Er
steht unter Druck, weil
er noch in diesem
Sommerhalbjahr Hamilton Inlet, L’Anse aux
Meadows und New York
erreichen und zur Boot
in Hamburg sein nächstes Buch vorstellen
will/muss. Um 00:00 h
verlässt uns Burkhard
mit einer Tafel Bitterschokolade, über die
sich Eugen freuen wird.
Klaus, Siggi und KlausDieter diskutieren noch
heftig bis 03:30 h.
Bild 9: OLIHAMO im Packeis des Kuannersooq-Fjords
Themen sind die Qualifikation der Crew und Mängel des Schiffes. Es ist nämlich mehr als deutlich geworden,
dass einige unserer Crewmitglieder unzureichende Kenntnisse in Sachen Segeln sowie
Seemannschaft haben. Das gilt es bei der Überfahrt hinsichtlich Besetzung der Wachen
im Auge zu behalten.
Die Labradorsee II
Freitag, 07. August: Um 08:30 h ist alles auf den Beinen. Wir wollen – wenn irgend
möglich – heute starten. Der Luftdruck hat sich seit gestern Abend bei 1008 hPa stabilisiert. Wir laufen um 13:30 h aus, nachdem auch der Wetterbericht sagt, dass das angekündigte Tief viel weiter südlich durchzieht. Der Wind lässt jedoch Segeln nicht zu. Die
Mannschaft wird zuvor gründlich in die Schiffs- und Sicherheitstechnik eingewiesen. Später auf See wird einreffen geübt. Ziel ist Saglek Bay im oberen Drittel Labradors, Generalkurs 283. Klaus macht morgens noch einmal klar, dass ein Überbordgehen nahezu
den Tod bedeutet. Daher: Überall, wo nicht eine Hand frei ist, einpicken. Wir laufen
schließlich durch eines der schwierigsten Seegebiete überhaupt, weil sich hier die Wetterküche für den Nordatlantik befindet. Es bilden sich aus dem Nichts heraus Tiefs mit
großer Geschwindigkeit. Daher sind regelmäßige Wetterprognosen unbedingt erforderlich. Wir haben den ganzen Tag über den Wind genau aus West, also von Voraus. Es wird
motort mit 1.650 U/min und das Groß als wirkungsvolle Stützmaßnahme gesetzt. Es
läuft eine angenehme langwellige Dünung. Erst später kommt eine lästige, kurze Windsee auf, die das Boot mehr und mehr in die Wellentäler plumpsen lässt.
Wehe dem, der Backschaft hat. Das Boot tanzt ganz beachtlich. Ich bin glücklicherweise
erst übermorgen dran. Es nieselt, abgelöst durch einzelne Regenschauer. Die Sicht ist
gut und die Temperatur war schon niedriger. Unmittelbar nach Wachwechsel setzen wir
die Genua und versuchen zu segeln. Hoch am Wind können wir 275 laufen, jedoch geht
die Fahrt auf ca. 4 kn ‘runter. Aber wir wollen ja segeln. Andererseits wollen wir auch
Labrador sehen, also bewegen wir uns immer im Bereich eines Kompromisses. Das Schiff
läuft hoch am Wind nicht optimal, deshalb hoffen wir auf Winddrehung nach rechts. Die
lässt aber auf sich warten. Meine Ausrüstung erweist sich als zweckmäßig, jedoch sind
die Handschuhe von HH nach 2 Stunden durchnässt, insbesondere durch die Arbeiten an
den Schoten. Das Trockenvermögen im Salon am sehr effizienten Ofen ist ausreichend.
Hier wird auch das gesamte benötigte Wasser heiß gemacht. Nachmittags klart es auf
und der Wind lässt etwas mehr Fahrt zu. Es gibt zahlreiche Seekranke. Ich bin zufrieden,
der Schlaf kommt jedoch permanent zu kurz mit allen Konsequenzen. Mittags gibt es
Königsberger Klopse aus der Dose, nachmittags den tags zuvor eingekauften Kuchen,
Blätterteig und Hefeteig. Dazu trinke ich Ananassaft, die anderen trinken schwarzen Tee.
Ich versuche, in der Koje meinen Kreislauf wieder in den Griff zu kriegen; denn jedes
Segelmanöver geht ganz gewaltig auf das Stehvermögen. 3 Stunden Koje bringen nicht
viel, da ich keinen Schlaf finde. Die Wache zieht sich daher unheimlich in die Länge.
Nach einer Stunde gegen 21:00 h sichten wir eine riesige Herde Zwergwale. So weit das
Auge reicht sieht man sie beim Auftauchen und Luftholen. Einige kommen bis auf 10 m
an das Schiff heran. Ich sehe viele Muttertiere mit ihren Jungen an der Seite. Die gesamte Crew ist natürlich sofort an Deck und obgleich das Licht ungünstig ist, wird fleißig
fotografiert. Es ist meine bisher längste Wache. Mit einer Schlaftablette geht es in die
Koje.
Sonntag, 09. August:
Gegen 04:00 h werden
Segel gesetzt. Der
Wind hat von West auf
Süd gedreht und wir
können optimale Höhe
laufen. Auf meiner Wache binden wir das 1.
Reff ins Großsegel. Siggi ist nach dem Reffen,
das er allein durchführt
– ich stehe am Ruder
und unterstütze Heidi -,
fix und fertig. Auch er
hat Probleme mit dem
Kreislauf. Das Schiff
läuft jetzt 7 – 8 kn,
setzt aber häufig hart
ein, weil die Windsee
Bild 10: Ein abschmelzender Koloss in der Labradorsee
noch kurz ist. Es brist
weiter auf (6 Beaufort) und das Barometer ist in den letzten 24 Stunden von 1011 auf
1001 hPa gefallen. Dies hatte der Wetterbericht so nicht gemeldet. Zu Mittag zaubert
Heidi eine Hühnerbrühe mit Spaghetti und Würstchen drin. Es ist am Herd zu wirken,
keine ungefährliche Angelegenheit. Das Boot rollt und stampft beachtlich und es knallen
schon mal Klamotten durch den Raum.
Während ich dieses schreibe, wechselt die neue Wache das Vorsegel von Genua 2 nach
Fock 2. Fock 2 wird jedoch noch nicht gesetzt. Das 2. Reff im Groß ist ebenfalls eingebunden. Am Kartentisch kann man sich an der Leewand auf Stb-Bug ganz gut halten,
nur das Schreiben ist nicht ganz einfach. Vom Winschen gestern und vom Rudergehen –
bei einfallenden Böen ist das Schiff sehr luvgierig – tun mir Nacken und Oberarme weh.
So viel Bewegung mit Kraftaufwand ist man einfach nicht gewohnt. Dies ist jetzt Segeln
wie wir es uns tagelang gewünscht haben, wenn man sich Feuchtigkeit und heftige Bewegungen fortdenkt. Es ist 14:00 h, ich mache noch eine Logbucheintragung und werde
dann versuchen, in der Koje zu ruhen. Das Barometer fällt weiter, wir werden eins auf
die Mütze bekommen. Der Wind nimmt noch einmal ab und Klaus lässt den Motor anwer-
fen: Jede Meile, die wir jetzt verschenken, werden wir bitter bereuen, meint er. Es
kommt sehr hart. Ein Gale mit Stärke 8 kachelt genau von Voraus. Wir beschließen beizudrehen und das Randtief abzuwettern. Der Besan reißt und wird eingebunden. Um das
Groß nicht zu gefährden, nehmen wir auch dieses weg und machen das Schiff für die
Nacht seefest. D. h., alles an Deck wird doppelt und dreifach gesichert/festgelascht. Wir
gehen nur noch alle 15 Minuten auf Ausguck. Das Schiff ist jetzt sich selbst überlassen
und führt einen Höllentanz aus. Man muss damit rechnen, jederzeit katapultiert zu werden, die Frage ist nur wann und wohin genau. Auf dem Lokus mit Seewasser durchtränktem Papier hängt ein Teil des Ölzeugs, wo es eigentlich nicht hingehört. Weitere Aufbewahrungs- und Trocknungsorte sind der Salon, die Pantry, die Kojenräume.
Ein Déjà-vu-Erlebnis
Montag, 10. August:
Um 01:00 h – wir haben mit 995 hPa das
Druckminimum erreicht
- gehe ich in die Koje.
Der Wind lässt nach,
kommt aber mit West
aus der falschen Richtung. Also Motor an.
Um 04:30 h kommt der
Hammer: Nach einer
Überprüfung, ob wir segeln können, springt
der Motor nicht wieder
an. Unwillkürlich denke
ich an die FREYDIS. Das
fehlt uns gerade noch.
Und dann brist es wieBild 11: Klaus bei der Arbeit am Kartentisch
der auf: NW 8, wir drehen wieder bei und haben ein ungutes Gefühl. Besonders der Skipper ist nervös und
möchte so schnell wie möglich wieder Fahrt in die richtige Richtung machen. KlausDieter hält dagegen mit dem Argument, das Material – insbesondere das Groß, das am
Achterliek, auch dicht geholt, andauernd schlägt – zu schonen. Um 10:30 h – es ist meine Wache – gehen Klaus-Dieter und ich an Deck, schätzen die Situation ein und setzen
die Arbeitsfock blau/rot. Klaus hat den neuen Kurs mit 220 / Hopedale angegeben. Es ist
ein Halbwindkurs und das Schiff macht eine rasante Fahrt von 7,5 bis 8 kn. Die See hat
eine Stärke von ca. 6 und es ist eine rauschende Berg- und Talfahrt. Bei Kreuzseen erreicht die Krängung gut und gerne 35°. Schade um Saglek Bay, um Hebron und um
Nain. Aber ab sofort gilt „Safety first“. Mit der Maschine mag sich zurzeit keiner befassen, geht auch nicht bei dieser Schiffsbewegung. Wir machen in den letzten 6 Stunden 7
kn Fahrt. Hopedale ist noch 196 sm entfernt. Ich versuche ein paar Fotos zu machen.
Aber die fallen eher bescheiden aus, weil man nicht nach oben kann. Der Skipper hat
seine Seekrankheit hinter sich. Jetzt hat es Siggi schwer erwischt: die größte „Schnauze“
an Bord schweigt seit 12 Stunden und lässt sich auch zur Wache nicht sehen. Ja, und
dann habe ich mit Jürgen Backschaft. Da Jürgen seit Tagen total am Boden liegt, springt
die Mutter – wer sonst wohl – ein, die wie ein Mann zur Hand geht, unter Deck wie auch
an Deck.
Ich habe wahnsinnigen Respekt vor dem Kessel heißen Wassers; denn außer einem
Bruch gibt es jetzt nichts Schlimmeres als sich zu verbrühen. Die Backschaft verläuft
bisher (17:30 h) ganz gut. U. a. deshalb, weil die meisten überhaupt nichts zu sich
nehmen können. Aufgrund der immensen Schiffsbewegungen schmiert sich jeder seine
Schnitte selber: Schwarzbrot mit Nougat, Honig oder Wurst. Die Wache fällt ausgespro-
chen ruhig aus, es ist aber lausig kalt, weil man zuvor aufgrund des ausgefallenen Ofens
in kalte und feuchte Klamotten steigen muss. Ich ziehe mir daher noch die Jogginghose
über die Jeans. Der Wind nimmt stetig ab, Klaus und ich nehmen die beiden Reffs ‘raus.
Es ist erstaunlich, wie schnell die See sich wieder beruhigt. Die Bewölkung führt zu einem frühen Einbruch der Dunkelheit. Mit der neuen Wache wechseln wir die Segel. Das
dauert ca. eine Stunde, weil die Segel auf ein anderes Stag umgeknüpft werden müssen.
Um 01:30 h liege ich in der Koje und schlafe bald ein.
Gut geschlafen. Es ist nahezu windstill, NE 0 – 1. Ich assistiere beim Säubern der Spritleitungen, Filter, Düsen, etc.. Es ist wie immer eine Riesenschweinerei wg. des penetranten Diesels. Zuvor haben Heidi und ich das Groß ‘runtergeholt, weil es in der Dünung bei
dem geringen Wind heftig schlägt. Wir machen 2 kn FüG. Um 13:30 h springt die Maschine wieder an, aber ich ahne Böses: Man sieht sich immer 2-mal im Leben oder: Es
ist genau wie auf der FREYDIS. Durch die heftigen Bewegungen des Schiffes im Seegang
mischen sich der Treibstoff mit dem Boden des Tanks abgelagerten Schmutz auf und
setzen Filter und Düsen zu. Nach 2,5 Stunden ist es wieder so weit: Der Motor bleibt stehen. Wieder alles demontiert: Der Grobfilter ist voller großer Schmutzpartikel. Es wird
klar, dass sich das nicht gibt. Der Tank müsste leer gepumpt und neu befüllt werden.
Uns bleibt nur die Möglichkeit, nach Hopedale zu segeln und nach erneuter Reinigung der
Spritzuführungen, uns die Motorreserve für das Anlegemanöver in Hopedale aufzuheben.
Auf unserer Vormittagswache messen wir
Luft- und Wassertemperaturen mit +7 bzw.
–1° C. Das erscheint
zunächst unwahrscheinlich, aber wir
haben kürzlich noch
vereinzelte Growler
angetroffen. Nachdem
Klaus und Klaus-Dieter
stundenlang im Maschinenraum Filter und
Düsen gereinigt und
Leitungen entlüftet
haben, stellt sich heraus, dass die Maschine
nicht zum Laufen zu
Bild 12: Dimension eines Eisbergs von ca. 300 Mio. Tonnen Gewicht
bringen ist. D. h., wir
müssen einen Hafen
anlaufen, der ein Aufschießen an der Pier erlaubt. Hopedale bietet diese Möglichkeit.
Noch eine Konsequenz: Den Versuch des Auffischens eines über Bord gegangenen, kann
man jetzt wieder vergessen, ganz schön makaber, dieser Aspekt.
Der Skipper ist sich der Situation voll bewusst, er ist mit seinem Latein am Ende und
trägt schwer daran, obgleich ihn im Grunde keine Schuld trifft. In der folgenden Nacht
sitzt er ohne Unterbrechung am Kartentisch, versucht Labrador Radio zu informieren, jedoch ohne Erfolg. Seine Aufmerksamkeit wird dann aber schnell auf die immer zahlreicher werdenden Eisberge und Growler gelenkt, denen es mit Hilfe von Radar auszuweichen gilt – und das nach stundenlanger Fummelei im Maschinenraum, die Hände voller
Diesel. Allen liegt eine böse Ahnung in den Knochen: Eine Mischung aus Unsicherheit und
Frustration darüber, dass nun der Urlaub gelaufen sein könnte. Es wird eine harte Nacht
werden. Siggi und ich bieten Klaus-Dieter Schlaf in seiner Wache an, weil er immer und
überall „da“ ist und unbedingt Schlaf benötigt. Meine Wache ist lausig kalt. Es regnet
und die Handschuhe sind zum Auswringen nass, eine Frostbeule habe ich schon.
Landfall und Aufschießer in Hopedale
Mittwoch, 12. August: Obgleich ich erst um 01:00 h in die Koje komme, schlafe ich 3
Stunden fest und bin relativ fit. Nachts gibt es eine ruhige Vor-dem-Wind-Fahrt, nur hin
und wieder schlägt das Großsegel, wenn das Schiff starke Rollbewegungen ausführt, der
Blister ist ausgebaumt. Die Hundewache berichtet, dass es Situationen mit Adrenalinstößen gab: Plötzlich sich verdichtende Eisberg- und Growlerfelder. Pechschwarze Nacht
und kurzfristige Ausweichmanöver schaffen diese Wache total. Mit unserer Wache haben
wir bereits Land in Sicht,
sonst ein freudiges Ereignis, diesmal eher dazu angetan, mit Sorgen die weiteren Ereignisse zu erwarten. Ich bin um 05:00 h
Saglek Bay
auf, weil unsere Wache
diesmal schon um 06:00 h
beginnen soll. Es stellt sich
dann aber heraus, dass
Klaus-Dieter seine Wache
doch geht. Ich lege mich
für 1,5 Stunden noch einHopedale
mal aufs Ohr. Draußen regMakkovik
net es und es ist ein „Genuss“, in die feuchten Klamotten und klatschnassen
Cape Porcupine
Handschuhe zu schlüpfen.
Cartwright
LABRADOR
Man muss die Klamotten
trocknen mit eigener Körperwärme. Nass wird wieder alles, wenn man am
Manöver aktiv beteiligt ist.
L’Anse aux Meadows
Man kühlt anschließend
St. Anthony
wieder extrem aus, ohne
dass man krank wird. Diese
Erfahrung hatte ich bereits
beim Wandern in Norwegen
gemacht.
Labrador und Hopedale
NEUFUNDLAND
kommen näher. Es ist ein
St. John’s
regnerischer, Wolken verhangener Tag. Die Schären
sind nackt, später auch mit
Moosen bewachsen. Es zeigen sich Granitadern und
Bild 13: Labrador & Neufundland
später an windgeschützten
Stellen Zwergnadelbäume.
Vieles erinnert an die norwegische Hochgebirgslandschaft oberhalb 1.000 m. Es kommt
uns das Postschiff entgegen, das gerade in Hopedale ausgelaufen ist. Wir begrüßen es
mit unserem Typhon, was auf gleiche Weise beantwortet wird. Segler sind hier offenbar
selten unterwegs. Die Besatzung mag uns für arme Irre halten. Ein großer Tafeleisberg
liegt gestrandet an der Küste. Wir bereiten uns auf das Anlegemanöver vor, wir wollen
am Public Anleger einen Aufschießer fahren. Der Anlauf erfolgt zunächst unter Fock, was
aber aufgegeben wird, weil die damit verbundene Fahrt noch nicht einmal ausreicht für
eine saubere Wende. Also Groß hoch und neuer Anlauf. Das Schiff läuft jetzt gut und
nach ein paar Kreuzschlägen kommt der Aufschießer mit etwas viel Fahrt, aber letztlich
gelungen, wenn auch mit einer kleinen Beule im Vorschiff. Unter Mithilfe eines auf der
Pier stehenden Eskimos machen wir fest, und eine gewisse Erleichterung bei allen ist unverkennbar.
Siggi ist als erster im Hotel und verkündet, dass er ein Steakessen spendiert, und dass
man telefonieren kann. Flugzeuge und Helikopter kommen und gehen in schneller Folge.
Das Dorf soll mit einer zentralen Trinkwasserversorgung sowie einem Tanklager ausgestattet werden. Im Hotel für 60 $ ein Zimmer gemietet und alle geduscht. Danach ein TBone-Steak verputzt. Einige probieren das Karibu-Steak, sehr lecker. Kein Alkohol, kein
Bier, die Ernüchterung bei vielen Crewmitgliedern ist groß – für die hier lebenden Inuit
allerdings ein Glücksfall, für den verantwortungsvolle kanadische Politiker sorgten.
Wir haben einen schönen Blick auf die Bucht
von Hopedale mit der OLIHAMO am Kai. Der
Skipper und Siggi loten Möglichkeiten zur
Reparatur des Schiffes aus. Uns wird schneller geholfen als erwartet. Ein Mechaniker aus
dem Ort hat auf Anhieb die verstopfte Düse
gefunden. Mit einer Stange Zigaretten ist
dieser Dienst abgegolten. Morgen eröffnet
sich sogar die Möglichkeit, den Tank zu entleeren und den Diesel zu filtern. Auch der
Bild 14: Flagge Neufundlands & Labradors
Besan soll repariert werden. Die Leute hier
sind erstaunlich hilfsbereit. Wir planen morgen einen Arbeitstag, um das Schiff wieder
klar zu bekommen und nehmen uns vor, als nächstes Cape Porcupine und L’Anse aux
Meadows anzulaufen. Auch das Wetter soll morgen besser werden.
Donnerstag, 13. August: Das, was so schön
geplant war, endet
ziemlich chaotisch.
Denn man kann das
Feine erst erledigen,
wenn das Grobe getan
ist. Oder: Solange mit
Diesel ‘rumgepantscht
wird, nutzt das Schrubben der Grätings und
des Decks, aber auch
das Reinmachen unter
Deck nicht.
Klaus und Klaus-Dieter
arbeiten den ganzen
Tag am Haupttank für
die Maschine. Mit dem
Abpumpen läuft es nicht
Bild 15: Hopedale: HELLULAND – Land der Felsen
so wie geplant. Es ist
eine Riesenschweinerei, weil die übrige Crew natürlich häufig ‘rein und ‘raus will. Klaus
reicht es und er explodiert, als die herumstehenden keine Anstalten zum Säubern machen. Abends vereinbaren wir mit dem Bautruppleiter der Wasserleitungsbauer, dass er
uns einen Mann zum Leerpumpen vermittelt mit einer leistungsfähigen Elektropumpe.
Ich bin den ganzen Tag an Bord und klariere das Deck, baue das Schlauchboot wieder
auf und schrubbe die Grätings. Wie gesagt, das letztere ohne nachhaltigen Bestand. Im
Übrigen ist es ein sonniger Tag mit Mücken in Hülle und Fülle. So etwas habe ich noch
nicht einmal in Norwegen erlebt. Unter einigen Crewmitgliedern bricht „Panik“ aus.
Freitag, 14. August: Um 06:30 h aus der Koje und gefrühstückt um 07:30 h. Um 08:30
h wollen wir inklusive der Vorbereitungen so weit sein, dass der Spezialist für das Abpumpen sofort anfangen kann. Der größte Teil der Crew hat 4 Stunden frei. Um 09:15 h
brechen Ulli, Tanja, Hans-Jürgen, Andreas und ich zur Wanderung auf die Anhöhe mit
der ehemaligen Frühwarnstation auf. Das Wetter ist gut und die Sicht ebenfalls. Es ergeben sich schöne Ausblicke nach Süden und, als wir oben sind, auch nach Norden. In der
Ferne schimmert gleißend weiß ein großer Eisberg. Die Vegetation ist genau wie in Norwegen oberhalb 1.000 m: Krähenbeeren, Zwergweiden, Nußbaum ähnliche Büsche, Weidenröschen, Multebeeren und eine Pflanze, die ich als Zwergazalee einordne, da Blüte,
Blätter und Geruch der Blätter (Nadelholzgeruch) unseren Azaleen ähnlich sind. Für mich
sind diese Dinge nicht so neu wie für die anderen. Wir schlagen einen großen Bogen bis
an die See. Es ist Niedrigwasser. Blasentang hat auf ausgedehnten Granitplatten Fuß gefasst. Wenig Treibgut, das wird wohl schon auf den vorgelagerten Inseln abgelagert. Außerdem ist hier extrem wenig Schiffsverkehr. Wir forcieren auf dem Rückweg das Tempo, da wir doch weiter gelaufen sind als die Zeit zulässt und kommen so richtig ins
Schwitzen.
An Bord angekommen erfahren wir, dass
der Tank nicht vollständig geleert werden
kann, da mehrere Abschnitte durch eingeschweißte Schlingerbleche unzugänglich
sind. Jetzt kommt nur noch die FREYDISMasche mit einer Spritversorgung aus separaten Kanistern infrage. Nachmittags gehen
Klaus, der eine Dieselallergie hat, und die
übrige Crew aus, um das Dorf zu erkunden.
Dabei schaut er auch bei der Polizei vorbei,
da das Einklarieren lange überfällig ist. Die
Prozedur läuft problemlos ab. Der Hauptpolizist ist ein Bulle von Mensch mit Oberarmen, die fast meinen Oberschenkeln entsprechen, aber freundlich. Wir klaren in der
Zwischenzeit alles auf, ich widme mich der
Dieselölbeseitigung. Abends gibt es 7,5 kg
geräucherte Lachsforelle. Wir schaffen noch
nicht einmal die Hälfte. Morgen soll es mit
Nudeln und einer pikanten Sauce den Rest
geben. Ich habe morgen Backschaft, das
trifft sich gut. Die Maschine läuft wieder
einwandfrei, aus dem Kanister läuft der
Sprit problemlos zu. Wir wollen morgen um
08:30 h auslaufen, nachdem wir leere Kanister aufgefüllt haben.
Bild 16: HELLULAND, um 90° verworfenes Gestein Samstag, 15. August: Im Hotel gefrühstückt. Vorher besteht noch Gelegenheit zum
Duschen, worauf die anderen sehr begierig sind. Mein Gott, was müssen die Kameraden
auf der Überfahrt gelitten haben. Um 10:00 h werfen wir die Leinen los und motoren bei
schönstem Wetter – es ist warm und der Himmel nur leicht bewölkt – entlang der Schiffahrtsroute gen Süden. Unser nächster Zielhafen ist Makkovik, ca. 50 sm südöstlich von
Hopedale. Nachdem wir zunächst guten Segelwind haben, werfen wir gegen 15:00 h die
Maschine an, weil Klaus für den Anlauf des Hafens keine Detailkarten hat und daher bei
Tageslicht einlaufen will. Nach einer angenehmen Tour entlang den Inseln und Schären
wird die Vegetation sichtlich „üppiger“: Es gibt schon einmal eine kleine geschlossene
Grasfläche und tiefschwarz zeichnen sich Fichtenwäldchen in günstig gelegenen Tälern
ab – Makkowik. Es gibt dort einen karreeartigen Anleger, der wie für uns frei gehalten
scheint.
Wir haben gerade festgemacht, da setzt der Besucherstrom ein. Jim, ein Kanadier norwegischer Abstammung – sein Großvater ist 1896 aus Oslo eingewandert – entpuppt
sich als der Mann für alles. Er unterhält einen kleinen Lastwagenbetrieb und karrt uns
auf der Ladefläche seines Kombis durch das gesamte Dorf. Er verkauft uns die benötigte
Ölpumpe zum Pumpen des Diesels vom Vorrats- in den Tankkanister für 110,-- $. Er
zeigt uns Einkaufsmöglichkeiten. Es ist 20:00 h und der Supermarkt ist noch offen. Jim
stellt sicher, dass die beiden Handwerks-/Handarbeitsläden für uns kurz geöffnet werden. Es gibt dort einige landestypische Arbeiten – wie Mokassins und Schnitzereien –
und jede Menge Plunder. Die Einwohner müssen zur Ansicht gelangt sein, dass die Deutschen das Reisefieber nicht mehr unter Kontrolle haben. Denn am 23.07. war eine deutsche Yacht hier, und gestern hat Burkhard Pieske Makkowik verlassen. Er hat offenbar 2
Tage nach uns Grönland verlassen und ist nicht in den Gale geraten. Jim und die Ladenbesitzerin kennen alle Namen der Crewmitglieder.
Nach dem Frühstück machen wir einen Gang durchs Dorf. An der Pier steht eine neue
Fischverarbeitungshalle, aber schon seit Wochen wird kein Fisch mehr angelandet, weil
das Meer leergefischt ist. Damit sind 100 Bewohner arbeitslos. Das Dorf mit 375 Einwohnern macht einen im Vergleich zu Hopedale ordentlichen Eindruck. Die Holzhäuser
sind unter Farbe, die Wege einigermaßen in Ordnung und der Abfall fliegt nicht einfach
aus dem Fenster. Die Schule ist einem Herrenhuter Missionar gewidmet, der 1875 mit
seinen Missionarsbrüdern von den Eingeborenen getötet wurde. Die Kirche ist schlicht,
aber farblich sehr geschmackvoll gestaltet. Der Ostteil des Dorfes mit der Kirche ist vor
Jahren abgebrannt und wieder aufgebaut worden. Die gesamte Infrastruktur – Kraftwerk, Pieranlagen, Schule, etc. – kostet den kanadischen Staat eine Menge Geld.
Montag, 17. August: Es
weht eine steife Brise
aus West, die eine
Brassfahrt nach Cartwright verspricht. Tropisch warme Luftschwaden lassen den
Aufenthalt an Deck sehr
angenehm sein. Wir
passieren zahlreiche Inseln und Schären sowie
Cape Porcupine mit seinen kilometerlangen
Sandstränden, die den
Wikingern als weit von
See her sichtbare
Landmarke gedient haben sollen. Jedes Dorf
Bild 17: Cartwright: Kein Dorsch, nur Krebse…
hat einen grundsätzlich
anderen Charakter. Obgleich Cartwright nur 200 sm südlicher als Hopedale liegt, muten die Vegetation und die
Komfortabilität der Häuser eher nordeuropäisch an. Die Täler sind durchweg bewaldet,
wir befinden uns bereits im MARKLAND (Land der Wälder). In einem 4 km entfernten
Hotel soll es Bier geben, für einige Crewmitglieder ein Anziehungspunkt erster Klasse.
Wir essen Mittag und ich ziehe mich um, denn es ist 25°C warm. Die plötzliche Wärme
und die viele Bewegung haben uns träge und abgeschlafft gemacht, es herrscht
Siestastimmung. Ich mache einen Rundgang, an der Post vorbei, der anglikanischen Kir-
che – es gibt 3 verschiedene Kirchen hier – ans Ufer. Es ist so trocken, dass die zahlreichen Autos unheimliche Staubwolken aufwirbeln, aber auch einzelne Böen treiben
Staubwolken vor sich her. Einige Crewmitglieder nutzen die Möglichkeit, auf dem am
gleichen Pier liegenden kleinen Fährschiff zu duschen. Danach gehen Heidi, Klaus, Jürgen und ich zum Hotel, ein 1,5 h langer Spaziergang, auf dem man andauernd Autos
ausweichen muss. Cartwright-Hotel ist ein relativ neuer Holzbau, weitab der eigentlichen
Ortschaft. Es schließt sich uns ein Hund an, eine Mischung aus Spitz und Husky, der
nicht mehr von uns weichen will. Im Hotel essen wir einen Cheeseburger und trinken eine Flasche Bier dazu. Als wir zahlen wollen, gibt es ein Missverständnis und die Bedienung bringt 5 weitere Flaschen Bier. Ohne lange zu überlegen, übernimmt ein am Nachbartisch sitzender einheimischer Handwerker die Runde und es beginnt ein intensiver Informationsaustausch. Er bietet uns an, uns zurückzufahren, was wir dankend annehmen,
und schenkt uns zum Schluss jedem eine Ami-Schirmmütze mit Cartwright-Aufdruck.
Der Hund sitzt mit auf der Ladefläche und wir werden ihn nur mit List und Tücke los. Er
läuft, nachdem wir ihn abgesetzt haben, noch lange hinterher.
Wir bitten unseren freundlichen Fahrer auf
einen Drink an Bord. Anschließend verspeisen wir Krebsbeine (crab meat), die Siggi in
einem am Kai liegenden Verarbeitungsbetrieb erworben und ich kostenmäßig übernommen habe. Obgleich Krebs, schmeckt
auch mir das Fleisch ausgezeichnet: wie
grönländische Shrimps, bloß zarter und vor
allem frischer, da noch nicht eingefroren.
Der Abend klingt aus mit dem Besuch eines
schweizerischen Globetrotters, der mit seiner lokalen Freundin – einer schottischen
Krankenschwester – an Bord kommt. Sie
waren heute mit dem Kajak auf Cape Porcupine und sind dort gewandert. Er war
auch im Westen Kanadas, in den USA, in
Südamerika, ist spezialisiert auf BuschHiking, trinkt keinen Tropfen Alkohol und
arbeitet nur um zu leben. Siggi und Ulli waren mit dem Hafenmeister tauchen und
bringen jede Menge Schnecken mit, die
mich überhaupt nicht interessieren.
Maschinenbau-Spezi am Ende der Welt
Am nächsten Tag haben wir vor, nach dem
Einkauf um 10:00 h auszulaufen. Diese Planung platzt, weil der Dichtungsring der
Bild 18: Urs, ein Schweizer Globetrotter
Kühlwasserpumpe undicht ist. Dies ist auch
der Grund dafür, dass wir in der letzten Zeit so viel Wasser für den inneren Kreislauf des
Kühlsystems nachfüllen mussten. D.h., das verlorene Wasser ist in die Bilge und glücklicherweise nicht im Motor gelandet. Ich steige voll mit ein und löse den Sprengring, um
an die Dichtung zu kommen. Hose, Hemd und Kopf bekommen ihren Anteil ab. Nach einer Stunde gelingt es, den Ring abzuziehen. Randy, der Hafenmeister, ist uns in jeder
möglichen Form behilflich. Er macht den Mechaniker der örtlichen Power Plant Station
aus, einen an der ganzen Küste für seine Qualitäten bekannter Mann. Da der Dichtungsring so als Ersatzteil nicht vorhanden ist, muss improvisiert werden. Wir bauen die Wasserpumpe aus und bringen diese mit Randys Auto in die Station. Der Mechaniker – ein
Mischling – zaubert uns innerhalb von 6 Stunden eine Problemlösung mit neuer Dichtung
sowie zwei neuen Kugellagern – hierzu musste die Welle abgedreht werden, weil Kugellager mit Solldurchmesser nicht verfügbar waren – und schon aufgebrachter Dichtungs-
masse am Flansch. Er verlangt dafür lediglich 75 $ und bekommt von uns 100, immer
noch ein Freundschaftspreis. Randy hat uns zudem einen Spezialisten für Tankreinigung
in St. Anthony herausgesucht und uns telefonisch angemeldet. Einen Segelmacher gibt
es hier nicht. Daher machen sich Klaus-Dieter und Ulli am nächsten Tag selber über das
Besansegel her. Der Einstieg in diese Lösung wurde mitbestimmt durch die Bereitschaft
unserer Crew, den Schweizer Globetrotter, der auch nach St. Anthony will, mitzunehmen. Urs, so der Name, ist froh mitfahren zu können und wir teilen ihn in die Wache von
Klaus-Dieter mit ein. So wird Klaus-Dieter frei für das Nähen des Segels. Urs genießt unser Essen, insbesondere den Salat und das Schwarzbrot, aber auch die bei uns gar nicht
so hoch geschätzte Bockwurst aus Dosen.
Wir laufen um 21:00 h aus bei Windstille. Motor und Kühlwasserpumpe arbeiten vorzüglich. Es ist meine Wache und die Inseln und Eisberge gleiten schemenhaft an beiden Seiten vorbei. Das Einschätzen der Entfernung von klar ausgemachten Schären fällt immer
wieder schwer. Auch hierbei ist das Radargerät eine wertvolle Hilfe. Leider können wir
aufgrund zu geringen Windes nur selten segeln. Der Skipper drückt immer wieder aufs
Tempo, sobald die Fahrt auf unter 5 kn abfällt, kommt das Kommando „Maschine an“.
Uns begegnen einige Eisbergkolosse, die immer wieder faszinierend sind – und bei Nacht
unheimlich zugleich. Urs begibt sich unter Deck, er hat seinen Platz mit Rucksack im Salon gefunden. Unsere Wache geht ohne besondere Vorkommnisse zu Ende.
Mittwoch, 19. August: Wegen des leichten Ostwindes gibt es wieder Seekranke an Bord.
Am schlimmsten hat es Urs erwischt, auch Jürgen und Siggi sind nicht ganz auf dem Posten. Es ist neblig und die häufigen Versuche der Sonne durchzukommen bleiben ohne
Erfolg. Auf unserer Wache gibt es wieder viele Eisberge, die oftmals erst Minuten vor
dem Passieren auszumachen sind. Leider können wir wieder nur motoren, der Wind
schläft. Das erklärte nächste Ziel ist es, L’Anse aux Meadows gegen 02:00 h zu erreichen, dort Anker zu werfen und am nächsten Morgen mit dem Dingi an Land zu setzen.
Um 15:00 h soll es dann weiter nach St. Anthony gehen, ca. 30 sm. Es muss jetzt alles
auf die Stunde genau klappen, sonst bleibt keine Zeit für L’Anse aux Meadows, unvorstellbar: Das wäre dann das zweite Mal, dass wir dran vorbei skippern würden.
Im Augenblick segeln
wir mal wieder, es sind
noch 70 sm bis L’Anse
aux Meadows. Ich lege
mich während der Freiwache zwei Stunden in
die Koje und beginne
„Namen, die keiner
mehr kennt“ von Marion
Gräfin Dönhoff zu lesen.
Auf meiner Wache werden wir die Strait of
Belle Isle auf der von
Nordosten kommenden
verkehrsreichen Seeschiffahrtsstraße kreuzen. Typisch für das
Fahrtgebiet ist der imBild 19: L’Anse aux Meadows, hier siedelte Leif Eriksson um 1000 n.Chr.
mer wieder auftretende
Nebel, der teilweise riesige Eisberge verbirgt. Als es dunkel wird, leuchten wir die Kolosse mit dem Halogenstrahler aus. Es ist eine irreal anmutende Szenerie. Um 02:30 h fällt der Anker auf der
Reede von L’Anse aux Meadows. Wir hatten mit Radarunterstützung und Echolot keine
Schwierigkeiten, in die sehr flache und von vielen Riffen gekennzeichnete Bucht einzulaufen. Ich sinke todmüde in die Koje. Um 07:00 h muss ich wieder raus, ich habe zusammen mit Jürgen Backschaft.
Die Wikingersiedlung in L’Anse aux Meadows
Donnerstag, 20. August: Um 05:30 h bin
ich wach, die Wellen
glucksen leise an die
Bordwand, der Wind
hat sich gelegt. Das
Frühstück ist schnell
bereitet, Jürgen macht
Rührei. Dann um 09:00
h geht es mit den Dingis gen L’Anse aux
Meadows. Der Motor
des zweiten Dingis fällt
aus und wir bitten
Burkhard, mit seinem
Dingi auszuhelfen. Ja,
die Überraschung des
Morgens ist, dass BurkBild 20: Eingang zum Langhaus
hard mit seinen Schiffen an der Pier liegt. Es
ist eine schöne Bucht mit grasbewachsenen
Niederungen, einem Bach, der sich durch die
Ebene schlängelt, dazwischen immer wieder
an die Oberfläche dringendes Gestein. Es
blühen die Blumen, allen voran unsere
Sumpfdotterblume und die blaue dreiblättrige Schwertlilie in großer Zahl. Dazu kommt
das Geschrei der Möwen und die Sonne ahnt
man auch hinter den Wolken.
Wir steigen einen Weg hinauf und erreichen
auf einem kleinen Plateau die von den Norwegern Helge und Anne Stine Ingstad ausgegrabene und vom kanadischen Staat restaurierte Wikingersiedlung: Zwei Langhäuser
und ein quadratischer Bau. Eines der beiden
Langhäuser gliedert sich in den Raum des
Häuptlings, einen großen Raum, der beidseitig mit Kojen versehen ist und mittig drei
Feuerstellen aufweist. Daran schließt ein Arbeitsraum für die Frauen (Spinnen, Stricken,
Weben) an. Das Licht kommt von oben
durch kleine verschließbare Luken. Die Wände, innen aus Torf, sind 6 Fuß (1,8 m) stark.
Das zweite Haus ist deutlich kleiner und
diente der Unterbringung des Personals. Ein
drittes Haus kann eine Werkstatt gewesen
sein, Genaues ist nicht nachweisbar, weil die
Bild 21: Im Arbeitsraum des Langhauses
historischen Fragmente fortgewaschen wurden. Auf dem Wege zur „Interpretations“ Hall kommen wir an diversen Grundmauern
weiterer Werkstätten für die Eisen- und Holzverarbeitung vorbei.
In der Bucht hat Burkhard seine VIKING SAGA klar gemacht und segelt bis ans Ufer unterhalb der Siedlung. Es ist ein prächtiges Bild, wie das Schiff mit dem braunen geblähten Rahsegel auf uns zukommt. Ich fotografiere vom Standort der Siedlung, Klaus ist
ans Ufer geeilt und fotografiert aus nächster Nähe. Die Besatzung verlässt das Boot,
nachdem das Rahsegel geborgen und die VIKING SAGA Grundberührung hat. Burkhard
preist Thor ob der gewährten Gunst für die gelungene Überfahrt und glückliche Ankunft.
Das Timing ist einzigartig, so etwas erlebt man nicht alle Tage. Später, zum Anleger zurückgekehrt, begeben sich Klaus und ich auf die SHANGRI-LA und erleben, wie Burkhard
zwei Journalisten kanadischer Zeitungen ein Interview gibt. Hoch interessant: Es ging
um die Qualitäten der Wikingerschiffe und die harte Seemannschaft, diese Schiffe zu
fahren. Burkhard bringt uns anschließend auf die OLIHAMO mit seinem Dingi zurück und
erhält einen Karton mit Schwarzbrot.
In der Interpretations
Hall ist die Historie der
Wikinger eindrucksvoll
dargestellt. Ich sehe einen Film über die
Ingstads und die Entdeckungen in L’Anse aux
Meadows. Neben Postkarten und einer Broschüre über die Wikingersagen erwerbe ich
eine Replik einer Nadel
zum Zusammenstecken
eines Übertuches im
Schulterbereich. Außerdem erwerbe ich ein
Exemplar der dekorativen Neufundland & LabBild 22: VIKING SAGA beim Einlaufen in L’Anse aux Meadows
rador-Flagge im Format
50x80 cm.
Unter Motor geht es
Richtung St. Anthony
weiter, wo wir gegen
19:00 h eintreffen wollen. Wir laufen pünktlich ein, ich bin wegen
der Backschaft unter
Deck. Es gießt in Strömen. Abends verdichtet
sich der Regen zum
Gewitter. Nach dem
Aufwasch machen Jürgen und ich noch einen
Gang durch St. Anthony, einem Städtchen
mit 2.500 Einwohnern.
Morgen früh soll der
Tank nun doch nicht
Bild 23: VIKING SAGA am Ziel
gereinigt werden, weil
wir nicht sicher sind, dass dies hier fachgerecht gemacht werden kann. Wir legen noch
die Rollen für die morgen zu erledigenden Aufgaben fest und fallen müde in die Koje.
Freitag, 21. August: Andreas und ich haben die Aufgabe, einen besseren Ort für den
Kompassgeber des Autopiloten zu finden. Denn es wäre schon sehr nützlich, auf der
Fahrt über den Atlantik nicht ständig Ruder gehen zu müssen. Wir entschließen uns,
nach Vermessung mit meinem Wanderkompass unter Deck zu bleiben und montieren ihn
dort, wo im Durchgang zum Vorschiff die Seehandbücher liegen. Ob dieses eine Lösung
ist, müssen wir dann im praktischen Einsatz, d.h., bei fahrendem Schiff ausprobieren.
Wir verabreden uns für 19:00 h an der Schwimmhalle, der ein Eishockeystadion angeschlossen ist. Wir duschen und springen dann ins Bad, wo eine kleine Ballschlacht entbrennt. Danach gibt Klaus das Captain’s Dinner in einem ostasiatischen Restaurant. Es
schmeckt vorzüglich und wir putzen die auf einem Buffet aufgebauten Leckereien restlos
weg. Alle meinen, dass der Törn die Erwartungen erfüllt hat, und sind zufrieden.
Samstag, 23. August:
Am Vormittag erledigen
wir die restlichen Arbeiten. Ich lasche mit Urs
die beiden Dieselfässer
mit je 220 l Inhalt hinter dem Großmast fest.
Urs erweist sich als Universalgenie und führt
die Arbeiten exzellent
aus. Da es regnet, haben wir das von Helly
Hansen zur Verfügung
gestellte Ölzeug an. So
bleibt mein normalerweise genutztes Ölzeug
trocken. Mittags verlässt uns Urs, er wird
Bild 24: Abendstimmung im Fjord
jetzt nach St. John’s
trampen. Der Nachmittag steht zur freien Verfügung und, nachdem wir einen zweiten Wagen für die Fahrt nach
Deer Lake gemietet haben, machen wir (Siggi, Hans-Jürgen, Heidi, Andreas und ich) einen Ausflug in Richtung L’Anse aux Meadows. Es ergeben sich schöne Ausblicke mit Felsformationen, sich daran brechenden Wellen und kleinen Fischerhäfen, Netzen und Hummerkörben. Wir schauen in einen Pub und trinken ein Bier. Die Kneipenbesucher tragen
einen Dartwettbewerb aus. In einer westlich von L’Anse aux Meadows liegenden Bucht
liegt eine französische Yacht vor Anker, die Crew setzt gerade mit dem Dingi an Land.
Wir fahren dorthin und erfahren, dass der Eigner schon zwei Jahre unterwegs ist und aus
der Disko-Bucht herüber gekommen ist. Überwintert hat die Yacht auf einer der den
Grand Banks benachbarten Inseln. Um 20:30 h kehren wir an Bord zurück. Drei neue
Crewmitglieder für die letzte Etappe nach Ostende sind eingetroffen, und ich packe
schnellstens meinen Seesack – vorbereitet hatte ich das morgens schon – und dann stoßen wir mit einem Glas Wein auf ein gesundes Wiedersehen in Ostende an. Die neuen
„Drei“ gehören der Karlsruher Klicke an und es wird noch lange palavert. Jürgen ist umgezogen zu seinen Eltern in die Kabine. Dafür schläft Peter der Dicke in der Koje über
mir. Er kündigt an, dass sein Schlaf nicht ganz geräuschlos sei, und ich tue in dieser kurzen Nacht zwar die Augen zu, finde aber keinen Schlaf. Jürgen geht es genauso. Er zieht
um 02:30 h aus und legt sich auf den Gang vor die Pantry.
Sonntag, 24. August: Endlich ist es 05:00 h. Wir stehen auf, stauen die letzten Dinge in
den Seesack und sind dann bereit zum Aufbruch. Andreas und ich versuchen noch das
dritte, von der neuen Crew mitgebrachte Auto aufzutanken. Heute ist Sonntag und die
Tankstellen öffnen erst um 09:00 h. Endlich um 06:40 h kommen wir weg. Klaus fährt
voran. Wir müssen in den nächsten 200 km eine Tankstelle finden, sonst ist der Tank
leer. Es geht an der Westküste Neufundlands hinunter. Die See ist teilweise spiegelglatt.
Es hat über Nacht geregnet und ist windstill. Wir können die Landschaft erst genießen,
nachdem wir nach 1,5 Stunden eine Tankmöglichkeit gefunden haben. Es musste extra
der Tankwart herbeigeholt werden. Das Landesinnere wird zunehmend gebirgiger. Es gibt als Sehenswürdigkeit eine Bucht mit Sandstrand und ausgewaschenen Felsen, Rundbögen, die 6 bis 8 m hoch
sind. Später fahren wir durch den Gros-MoreNationalpark. Vieles erinnert mich an Norwegen: die
Täler, der Fichtenbestand und die dunkle Farbe des
Wassers der Seen. Um 13:00 h sind wir in Deer Lake am Flughafen, geben den Wagen ab, checken ein
und fliegen über Halifax (Zwischenlandung) nach
Montreal. Man kann die Inseln aus 9.000 m Höhe
gut verfolgen, den St. Lorenzstrom auch. Es ist unfassbar, die Ausmaße dieses Landes.
Montreal: wir müssen vom Domestic zum International Airport. Der Bus benötigt fast eine dreiviertel
Stunde. Von der Größe der Stadt ahnt man allenfalls
etwas. Es ist mit 27° C sommerlich warm. Wir warten die Zeit bis zum erneuten Boarding ab und dann
Bild 25: Wappen von Neufundland &
geht es mit einem Jumbo ab nach London. Die MaLabrador
schine startet 21:40 h Local Time (-5 h -> UTC) und
wird um 09:00 h in London sein. Das beengte Sitzen ist während der Nacht eine kleine
Tortur, aber dann wird es nach 4 Stunden Flugzeit bereits hell und das gibt neue Impulse.
Auch in London ist es angenehm temperiert. Siggi, Hans-Jürgen und ich fahren mit der
U-Bahn zum Piccadilly Circus. Klaus, Heidi und Andreas sind nicht am Ausgang, so trennen wir uns ohne förmlichen Abschied. Bummel um den Piccadilly Circus, es ist Markttag
oder ist es hier immer so? Jedenfalls stehen in den Straßen Obst- und Gemüsestände
dicht an dicht mit reichhaltigem Angebot. Wir passieren die Carneby Street und sitzen
noch eine halbe Stunde in einem schönen alten Pub und trinken einen halben Liter Guinness-Bier. Dann wird es für Siggi und Hans-Jürgen Zeit, zum Flughafen zurückzukehren.
Ich bleibe noch zwei Stunden, setze den Bummel fort und komme zum Trafalgar Square.
Der Verkehr läuft in wilder Folge, es verkehren und dominieren die roten doppelstöckigen Busse und die großen, schwarzen Taxis. Dann mache auch ich mich zurück auf den
Weg zum Flughafen und es geht mit BA nach Bremen. Hier fehlt der Seesack. Erst
abends kommt der Anruf, dass der Seesack gefunden wurde.
Ende eines im Ganzen gesehen gelungenen Törns. Ende gut, alles gut also?
Für die Crew lässt sich das eindeutig mit Ja beantworten. Der Törn hat seinem Charakter
als Expedition alle Ehre gemacht, wenn man an die Widrigkeiten an Bord denkt. Was
eindeutig zu kurz kam, war die historische „Mission“. Es fehlte an der hierfür erforderlichen Zeit und Muße. Aber das ist allen Expeditionen nun einmal eigen: „Erstens kommt
es anders und zweitens als man denkt.“, bewahrheitet sich ein weiteres Mal.
Für den Skipper hat der Törn mal wieder ein unerfreuliches Nachspiel. In Monate währenden Klagen und Gegenklagen sind die unverschämten Forderungen der „Reederei“
abzuwehren. Man will uns haftbar machen für die Schäden am Motor sowie die Einnahmeausfälle aufgrund des Sachverhaltes, dass die Nachcharterer ihren Törn wegen Motorschadens nicht antreten konnten. Klaus hatte nach den Erfahrungen mit der FREYDIS je-
doch Proben des verschmutzten Treibstoffes gezogen und irgendwelche Ansprüche auf
Schadenersatz wegen entgangenen Gewinns gab der Segelvertrag nicht her.
Ingo Budde
Achim, den 28.06.2013
Bildmaterial:
(1) Alle Fotos, ausgenommen Bild 12: Ingo Budde
(2) Bild 12 (Fotomontage): Global Marine Drilling, USA
Text-Quellen:
(1) Mai’s Weltführer 35, 1987: GRÖNLAND
(2) Ewert Cagner et al.: DIE WIKINGER, Burkhard-Verlag Ernst Heyer, Essen, 1975
(3) Colleen Batley et al.: DIE WIKINGER, Christian Verlag, München, 1994

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