Praxisorientierter - Phil.-So.

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Praxisorientierter - Phil.-So.
Praxisorientierter
Leitfaden zur Anwendung der „gängigsten“
Methoden der „Qualitativen“ Sozialforschung
Inhalt:
1. Grundlegung
2. Einführung und der Forschungsprozess nach der Grounded Theory Methodologie
3. „Visuelle“ Verfahren
3.1. Beobachtung
3.2. Filmanalyse
4. „Kommunikative“ Verfahren
4.1. Das Leitfadeninterview in der Jugend-Shell Studie
4. 2. Das verstehende Interview
4.3. Das narrative Interview
4.4. Das Experteninterview
4.5. Die Gruppendiskussion
5. Analyse
5.1. Die Inhaltsanalyse
5.2. Das Kodieren
6. Der Abschlussbericht
6.1. Typenbildung
7. Hilfreiche Literatur zur qualitativen Sozialforschung
hervorgegangen aus dem Grundkurs im Wintersemester 2008/09 „Angewandte
Methoden“; Seminarleitung: Laura C. Behrmann in Zusammenarbeit mit den
Bachelorstudierenden „Sozialwissenschaften“
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1. Grundlegung
Die Idee dieses Abschlussreaders ist verschiedenen Umständen geschuldet: Im Rahmen des
Kurses „Angewandte Methoden“ sollten die BA-Studierenden befähigt werden (bzw.: sich
befähigen) eigenständige Erhebungen und Auswertungen durchzuführen. Inwiefern ein
solches Vorhaben insbesondere in der Vermittlung er vielfältigen und teils divergierenden
qualitativer Methoden überhaupt umsetzbar ist, ist zu Recht strittig. (Vgl. Knoblauch 2007)
So betont Knoblauch in seinem Aufsatz zur Frage der Lehre der qualitativen Methoden:
„Wer Methoden als eine Kunst ansieht, kann sich mit einer ‚oberflächlichen’
Standardisierung nicht abfinden; wer sie als Technik ansieht, die vermittelt
werden muss, wird den künstlerischen Anteil als unnötigen Firlefanz erachten.“
(Knoblauch 2007, Abs. 15)
Ich habe es zum Ziel dieses Seminars gemacht „Technik und Kunst“ zu vermitteln. Um einen
pragmatischen Mittelweg zu finden wurde auf folgende Lösung zurückgegriffen (vgl.
Knoblauch 2007, Abs, 19):
1. Methoden wurden gelernt und anhand von typischen Studien erlernt1.
2. „Die Kenntnis elementarer Positionen interpretativer Methodologien“ als
Voraussetzung für die Forschung wurde durch die Auseinandersetzung mit den
Methoden im Rahmen der Einführungsvorlesung und den begleitenden Grundkursen
gesichert2.
3. Grundkenntnisse des quantitativen und qualitativen Forschungsprozesses waren somit
vorhanden.
4. Es wird und soll hier versucht werden, die Eigenständigkeit der qualitativen
Methoden über die Opposition zur quantitativen Forschungslogik hinaus zu betonen.
In Anschluss an Referate und Diskusionen sollten die Studierenden die „Technik“ der
Methode herausarbeiten und auf einem Paper zusammenfassen. Zugleich allerdings wurden
sie angewiesen, den Forschungsprozess zu visualisieren – dem entspringen die Poster.
So ist das Resultat dieser Reader, der zu jedem Themengebiet der Seminarveranstaltung ein
Poster und ein Paper, mit Empfehlungen zu weiterführender Literatur beinhaltet.
Damit verknüpft sich die Hoffnung der Seminarleitung, dass der Schritt, zu eigenem, schon
gehörten und schriftlich fixierten, zu greifen, häufig einfacher ist, als das entsprechende
Lehrbücher aus dem Regal zu suchen. Erinnerungen aufzufrischen, wenn es darum gilt,
selber aktiv Methoden anzuwenden, sei es im anschließenden Lehrforschungsprojekt oder im
Rahmen der Bachelor- oder/und Masterarbeit ist Idee dieses Readers.
März, 2009; Laura Behrmann
1
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Hier tat sich eine Schwierigkeit auf: Methodisches Vorgehen wird in den wenigsten Studien so
nachvollziehbar aufbereitet, wie es für die Güte und damit für die Lehre notwendig gewesen wäre. Damit
wurde beständige Kritik von Seite der Studierenden provoziert, die darauf hoffe lässt, dass hier eine neue
„Generation“ von qualitativen Sozialforschern einen offeneren Weg bzgl. der Nachvollziehbarkeit einschlägt.
Zur Grundlegung und Einführung in die qualitativen Methoden sei auf einen zusammenfassenden Aufsatz
verwiesen: Hollstein, Betina; Ullrich, Carsten G. (2003): Einheit trotz Vielfalt? Zum konstitutiven Kern
qualitativer Sozialforschung. In: Soziologie, Heft 4, S. 29-43.
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Methodenpaper Grounded Theory
Verfasser: N. Zahner, J. Schneider, T. Pausch
„Zur Zeit werden Studenten darin ausgebildet, die Theorien der Großen Männer
[Weber, Durkheim, Mead, Marx, Simmel, etc.] zu beherrschen und sie
häppchenweise zu testen […]. Im Ergebnis haben sich viele potentielle kreative
Studenten darauf beschränken, sich mit kleinen Problemen zu befassen, die ihnen
von den großen Theorien hinterlassen worden sind. Ein paar Männer (wie
Parsons oder Merton) haben diese charismatische Sichtweise auf die großen
Männer durchschaut, allerdings nur, um selber ‚große Theorien‘ auf der
Grundlage von Daten zu generieren, oder aber, sie übergingen das Thema. Und
in dem sie junge Soziologen dazu erzogen, ihrer Lehrer Arbeit zu überprüfen,
spielten sie sich in der Masse der ,proletarischen Tester‘ gegenüber als
‚theoretische Kapitalisten‘ auf.“
Glaser, Barney/Strauss, Anselm (1998) Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung. Bern [Original: The
Discovery of Grounded Theory, 1967]
Gliederung
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
Einleitung
Fragestellung
erste Datenerhebung
Memo
Kodieren
Erhebung weiter Daten
zirkulärer Prozess
theoretische Sättigung
Schlussbemerkung
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Einleitung
In der quantitativen Sozialforschung besteht schon seit längerem mehr oder weniger Einigkeit
über die Methodik und Vorgehensweise (vergleiche erste Hälfte des Kurses „Angewandte
Methoden“). Die Grounded Theory ist ein Versuch, Forschungsmethoden für die qualitative
Sozialforschung festzulegen. Sie ist keine eigene Methode, sondern die Lehre einer Methode
(Methodologie). Die Grounded Theory sollte als eine Art „Kochrezept“ (Forschungsstil)
verstanden werden, bei dem die Wahl der „Zutaten“ dem Forscher überlassen ist. Die Wahl
der Methoden hängt vom Forschungsinteresse ab.
Entwickelt wurde diese Methodologie (also die Lehre von den Methoden) von Anselm L.
Strauss und Barney G. Glaser in ihrem Hauptwerk „The Discovery of Grounded Theory“
1967. Das Hauptanliegen ist es, möglichst realitätsnah zu forschen (Minderung der TheoriePraxis-Schere). Aus den Daten selbst soll eine Theorie mittlerer Reichweite generiert werden,
deshalb Grounded Theory. Eine deutsche Übersetzung, etwa als gegenstandsbezogene
Theorie, trifft nicht den Kern der Methode; somit wird auch in deutschen Forscherkreisen der
englische Terminus verwendet.
Der theoretische Hintergrund ist der symbolische Interaktionismus der Chicago School.
Grundprämissen:
- Menschen handeln ‚Dingen‘ gegenüber auf der Grundlage der Bedeutung, die diese
‚Dinge‘ für sie haben
-
Bedeutung solcher ‚Dinge‘ entsteht in der Interaktion
-
die Bedeutung kann in einem interpretativen Prozess in der Interaktion gehandhabt
und abgeändert werden.
Fragestellung
Am Anfang steht das Interesse an einem sozialen Phänomen. Die ersten Schritte haben
Erkundungscharakter. Einen Forscher interessiert zum Beispiel das Phänomen der
Regionalwährungen, ohne im Voraus zu wissen, auf was seine Forschung tatsächlich hinaus
laufen wird. Bei der Grounded Theory ist die Vorgehensweise weder induktiv, noch
deduktiv, sondern abduktiv. Diese Forschungslogik bezeichnet generell eine Haltung der
Offenheit gegenüber den Daten und die Bereitschaft, Vorurteile und –annahmen in Frage zu
stellen. Nur so kann man sich von neuen (empirischen) Phänomenen überraschen lassen.
Anhand der Daten wird das eigene Interesse immer spezifischer, das heißt die
Forschungsfrage kristallisiert sich erst im Lauf des Forschungsprozesses heraus. Hypothesen
werden nicht im Voraus erstellt und überprüft, sondern es bilden sich im Verlauf der
Forschung gegenstandsbezogene Theorien.
Erste Datenerhebung
Die einzelnen Schritte der Grounded Theory sind in der folgenden Grafik dargestellt. Diese
schematische Darstellung soll als Grundgerüst des Methodenpapers dienen.
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Die erste Datenerhebung wird durch den ersten Pfeil symbolisiert. Zuvor muss man sich aber
bewusst werden, welche Strategie der Datenerhebung man zugrunde legt. Dies bezeichnet
man als Sampling. Dieses lässt sich in drei idealtypisches Formen untergliedern und es hängt
vom Forschungsfeld, Feldzugang und Forscher selbst ab. Es gibt das gezielte Sampling
(Wissen darüber, wo die Informationen zu finden sind), das systematische Sampling
(konkrete Strategie der Datenbeschaffung) und das zufällige Sampling („ins Blaue hinein“).
Anders als in der quantitativen Sozialforschung wird in der Grounded Theory keine echte
Zufallsstichprobe erhoben.
Dieses Vorgehen stellt hohe Anforderungen gerade an unerfahrene Forscher, deswegen muss
eine gewisse Sensibilität den Daten gegenüber entwickelt werden.
„Theoretische Sensibilität bezieht sich auf die Fähigkeit, Einsichten zu haben,
den Daten Bedeutung zu verleihen, die Fähigkeit zu verstehen und das Wichtige
vom Unwichtigen zu trennen. All dies wird eher durch konzeptuelle als durch
konkrete Begriffe erreicht. Erst die theoretische Sensibilität erlaubt es, eine
gegenstandsverankerte, konzeptuell dichte und gut integrierte Theorie zu
entwickeln“ (Strauss & Corbin 1996, S.25)
Dieses Fingerspitzengefühl, die Fähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen (siehe
oben) ist im Forschungsprozess essentiell, denn es besteht die Gefahr, in den Datenfluten
unterzugehen.
Streitigkeiten wie die Erhebung der ersten Daten erfolgen sollte, führten zu einem Zerwürfnis
zwischen Glaser und Strauss. Glaser vertritt die Meinung, dass das Vorwissen
„auszuschalten“ sei. Seine Idee ist, mit einer geistigen „Tabula Rasa“ an die Forschung
heranzugehen; einziges erlaubtes Vorwissen seien die „Grand Theories“ (z.B. Max Weber,
Emile Durkheim, Pierre Bourdieu etc.).
Dagegen vertreten Strauss und Corbin die Ansicht, dass sowohl Literatursichtung, als auch
die eigenen Vorkenntnisse in reflektierter Art und Weise zulässig seien. Durch dieses
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Zugeständnis läuft der Forscher geringe Gefahr, in ein Rechtfertigungsdilemma über Sinn
und Zweck des Interviews gegenüber den Befragten zu kommen.
Je nach Forschungsfeld entscheidet man sich für eine Samplingstrategie und beginnt die
ersten Daten zu erheben, sei es mittels Bildanalysen, Interviews oder Tagebuchanalysen.
Memo
Zu jedem Arbeitsschritt sollte ein Memo angelegt werden (stop and memo, siehe zweiter
Pfeil). Es sollte unter anderem festgehalten werden, woher das Vorwissen kommt, wie man
zu Interviewpartner kommt, wer der Ansprechpartner ist (Gatekeeper-Problematik), eigene
Gedanken und Gefühle, das heißt Reflektion der eigenen Werthaltung. Es sind verschiedene
Memoarten zu unterscheiden: Theoriememo (Festhalten von Punkten für die spätere, eigene
Theoriegenerierung),
Methodenmemo
(Beispiel:
eventuelle
Abänderung
des
Interviewleitfadens), Kodiermemos (Ergänzungen zu gewählten Codes). Digitale
Datenverabeitungsprogramme wie MAX.QDA beinhalten eine Memoverwaltungsfunktion.´
Kodieren
Das Kodieren der Daten ist ein sehr wichtiger/grundlegender Schritt im Forschungsprozess.
Zu beachten ist, dass nicht nur zu Papier gebrachte Interviews, sondern auch Fotos und Filme
etc., kodiert werden können (siehe erster Pfeil).
Glaser und Strauss/Corbin haben auch in diesem Punkt unterschiedliche Herangehensweisen.
Glaser ist ein Vertreter des „zirkulären“ Kodierens, während Strauss/Corbin eine dreistufige
Vorgehensweise vorschlagen. Sie gliedern die Schritte in offenes, axiales und selektives
Kodieren. Ergänzend sei noch angemerkt, dass das Kodieren ein äußerst zeitaufwendiger
Prozess ist. (Vertiefende Information und Einblicke sowie nähere Erläuterungen finden sich
auf dem Methodenpaper „Kodieren“.)
Erhebung weiterer Daten
Durch das Kodieren spitzt sich das Forschungsinteresse immer weiter zu. Deswegen ist der
nächste Schritt im Forschungsprozess die Heranziehung weiterer Fälle, die als Kontrastfälle
dienen. Es besteht die Möglichkeit eines Minimal- oder Maximalvergleichs. Maximale
Kontrastfälle führen gegebenenfalls zu neuen Erkenntnissen; Minimalvergleiche sollten
hingegen die ersten Annahmen verfestigen. Es handelt sich hierbei um eine idealtypische
Annahme, da in der Realität auf den ersten Blick weder bei Menschen noch bei
Gegenständen erkennen kann, inwieweit sie minimale oder maximale Kontraste bieten (hängt
auch von Forschungsinteresse ab). Ein gewisses ethisches Problem stellt auch die
Diskriminierung von Menschen aufgrund äußerer Merkmale dar.
Der zirkuläre Prozess
Nach der weiteren Datenerhebung wiederholen sich die Prozesse des Kodierens und
Memoschreibens. Daraus wird ersichtlich, dass idealtypisch Datenerhebung und
Datenauswertung nicht getrennt voneinander stattfinden (zirkulär). Da dieser Prozess
theoretisch unendlich fortgeführt werden könnte und sich dadurch sogenannte
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„Datenfriedhöfe“ bilden können, muss ein künstlich herbeigeführter, logischer Schnitt an
einem gewissen Punkt durch den Forscher durchgeführt werden.
Die theoretische Sättigung
Dieser Punkt wäre idealtypisch erreicht, wenn die Theorie generiert ist. Realistisch hingegen
ist ein Forschungsabbruch notwendig. Hinweis für einen geeigneten Zeitpunkt wäre, wenn
sich die Beispiele wiederholen und keine neuen Erkenntnisse mehr liefern und sich die
Kategorien, die im Kodierprozess entwickelt wurden (siehe Methodenpaper „Kodieren“)
verfestigt haben und sich keine Weiterentwicklung einstellt. Damit gelten die Kategorien als
gesättigt. Aufgrund der meist knapp bemessenen Forschungszeit sollte Rücksprache mit dem
Forschungsleiter gehalten werden, um den richtigen Zeitpunkt zu treffen.
Nach dem vollständigen Abschluss der Datenerhebung und Datenauswertung sollte der
Forscher in der Lage sein, aus den gewonnen Kategorien eine Theorie mittlerer Reichweite
abzuleiten.
Schlussbemerkung
Als Gegenposition zu, wie einleitend geschildert, quantitativ festgeschriebenen
Forschungsmethoden muss das Programm der Grounded Theory als bislang einmalig
bezeichnet werden. In der qualitativen Sozialforschung existiert heute kein vergleichbares
Standardwerk. Diese Methodologie bietet Forschern und Studenten die Möglichkeit auch
qualitativ nach eindeutigen „Regeln“ zu forschen und sch darauf zu berufen.
Für die Leser dieses Methodenpapiers sollt es offensichtlich sein, dass sich dieses
„Kochrezept“ für Abschlussarbeiten qualitativer Art geradezu aufdrängt.
Literatur
Truschkat, Inga, Kaiser, Manuela & Vera Reinartz (2005): Forschen nach Rezept?
Anregungen zum praktischen Umgang mit der Grounded Theory in
Qualifikationsarbeiten. In: Forum qualitative Sozialforschung/Forum Qualitative Social
Research [Online-Journal], 6(2), Art. 22. [Abruf: 24.11.2008]
Glaser, Barney/Strauss, Anselm (1998) Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung.
Bern [Original: The Discovery of Grounded Theory, 1967]
Strauss, Anselm/Corbin, Juliet: Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialforschung,
Weinheim 1996 [Original: Basics of Qualitative Research: Grounded Theory Procedures
and Technique (1990)].
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Entscheidungen fällen
Arbeitsblätter aus dem Seminar “Anwendungsorientierte qualitative Sozialforschung”
Laura Behrmann
Wenn ich…
Texte generiert haben möchte
(Sinnrekonstruktion,
Deutungsmuster
etc.)
"aufdeckend" die Sicht zu
einem Problem erkunden
möchte
eine Kultur erkunden möchte
möchte, dass bestimmte
Aspekte aufgegriffen werden
Interesse an
Sachinformationen oder
Fakten habe
wähle ich…
... narrativ oder
teilnarrativ
…werte ich aus
... hermeneutisch,
rekonstruktiv
...
problemzentriert
... inhaltsanalytisch bis
hermeneutisch
... ethnografische
Methoden
(Feldbeobachtun
g, ethnograf.
Interviews)
... LeitfadenInterview
...
Expertenintervie
ws oder kein
Qual. Interview
... Protokollanalyse,
inhaltsanalytisch,
rekonstruktiv
wissen will, was früher „wirklich" war :
... inhaltsanalytisch bis
hermeneutisch
... inhaltsanalytisch bis
standardisiert
Keine
sozialwissenschaftliche
Forschung!
Kruse (2008); Seminar-Reader: „Einführung in die Qualitative Interviewforschung“.
Freiburg, S. 36.
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(Erkenntnis-)
Ziel
Basisparadigmen/
Theoretischer
Rahmen
Erhebung
Sicht des
Subjektes
(„subjektiver
Sinn“)
Subjekte und
deren
Lebensumstände
Deskription sozialen
Handelns und sozialer
Milieus/ Beschreibung
von Prozessen („Sozialer
Sinn“)
Handlungszusammenhä
nge von Subjekten
Rekonstruktion
subjektiver
Sichtweisen/
(Leidens-)
Erfahrungen und
subjektive Deutung
von Erfahrungen/
Dokumentation/
Archivierung
subjektiver
Äußerungen
Symbolischer
Interaktionismus
Phänomenologie
Hermeneutik
Rekonstruktion von
Lebenswelten bzw. der
konstituierenden Regeln
sozialen Handelns / von
Interaktionsstrukturen
Interviews,
Tagebücher,
paraliterarische
Dokumente
Film/
Fotographie/Video
Auswertung
(qualitative)
Inhaltsanalyse
Dialogische
Hermeneutik
Forschungsprogra
mm subjektive
Theorien
Anwendungsfeld Biographieforschu
er
ng Oral history etc.
Symbolischer
Interaktionismus
Ethnomethodologie
Wissenssoziologie
Konstruktivismus
Interviews
Gruppendiskussion
Ethnographie
Dokumentenanalyse
Film/ Fotographie/ Video
Theoretisches Kodieren/
Grounded Theory
Fallkontrastierung
Dokumentarische
Methode
Konversationsanalyse
Lebensweltanalysen,
Cultural Studies
Rekonstruktion/
Analyse deutungsund
handlungsgenerieren
der Strukturen
(„objektiver Sinn“)
Strukturlogik/implizi
te Regeln
Rekonstruktion der
„objektiven“
Handlungsbedeutung
und Analyse der
„Tiefenstruktur“
menschlicher
Äußerungen
Psychoanalyse
Strukturgenetischer
Ansatz
Objektive Hermeneutik
Interviews
Gruppendiskussion
Interaktionen
Dokumentenanalyse
Film/ Fotographie/
Video
Objektive Hermeneutik
Tiefenhermeneutik
Narrationsanalyse
Diskursanalyse
Methaphernanalyse
Familienforschung
Generationenforschung
aus: Mruck und Mey 2005: Qualitative Forschung. Eine Einführung in einen prosperierenden
Wissenschaftszweig, S.8. [ttp://hsr-trans.zhsf.uni-koeln.de/hsrretro/docs/artikel/hsr/hsr2005_640.pdf]
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Eine Anleitung zur teilnehmenden
offenen Beobachtung nach Girtler
nicht-standardisierten
Martina Mattes, Eva Pörnbacher, Elisa Mraz
Inhaltsverzeichnis
1. Feldzugang
2. Verhalten und Vorgehensweise im Feld
3. Protokollieren und Protokoll
4. Umgang mit den beobachteten Menschen nach beendigung der
Feldforschung
5. Die Auswertung der Daten
6. Anhang
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Eine Anleitung zur teilnehmenden nicht­standardisierten offenen Beobachtung nach Girtler „Ich habe mich nach Kräften bemüht, des Menschen Tun weder zu belächeln
noch zu beweinen, sondern es zu begreifen.“ (Baruch de Spinonza)
Die teilnehmende nicht-standardisierte offene Beobachtung nach Girtler ist eine
Forschungsmethode, mit der man einen breiten Eindruck von einem sozialen Feld bekommen
kann. Jedoch gibt es starke Kritik an dieser Forschungsmethode bezüglich ihrer
Wissenschaftlichkeit. Darum kannst du3 es in Erwägung ziehen, diese Methode in
Kombination mit anderen wissenschaftlichen Methoden anzuwenden.
1. Feldzugang
Feldzugang auf Grund eines Auftrages oder einer Bitte von der zu beobachteten
Gruppe selbst:
Hier ist der Zugang unproblematisch, da die zu Beobachteten selbst an der Untersuchung
interessiert sind.
Problem: Achte hier besonders darauf, dass die zu erforschenden Personen dir nicht verzerrte
Informationen geben, da sie sich selbst gut darstellen wollen
Feldzugang auf Grund einer Erlaubnis:
Eine Erlaubnis um eine Institution zu erforschen ist nicht immer einfach zu bekommen, da
die Institutionen meist kein Interesse daran haben sich von Soziologen in die Karten schauen
zu lassen.
Hier hast du zwei Möglichkeiten:
•
•
Knüpfe einen informellen Kontakt mit einer Person, die in der Einrichtung einigen
Einfluss hat.
Oder knüpfe einen formellen Kontakt, in dem du einen Brief an die Einrichtung sendest.
Feldzugang ohne vorbereiteten Zugang:
Es gibt keine Empfehlung oder Formular, was dir einen unproblematischen Feldzugang
erleichtert.
Gate-keeper: Du kannst eine Kontaktperson ausfindig machen, die dich in das Feld einführt.
Diese kannst du über persönliche Beziehungen finden oder du findest sie direkt in dem zu
erforschenden Feld.
Problem: Sei vorsichtig wenn du dich durch einen „Chef“ in die Randgruppe einführen lässt.
Das mag am Anfang deiner Forschung bequem sein, da du auf diese Weise schneller auf
Akzeptanz in der Gruppe stößt. Später kann es aber auch zu Verzerrung führen, da sich die
Gruppenmitglieder durch deinen Kontakt zum „Chef“ gehemmt fühlen.
Annäherung an den Gate-Keeper und das Feld:
3
In Anlehnung an Girtlers 10 Gebote duzen wir den Leser in dieser Anleitung.
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Eine Forschung kann nur dann zum Erfolg führen, wenn die zu erforschenden Personen
bereit sind, den Forscher zu akzeptieren und ihn somit in ihre Gemeinschaft aufnehmen
wollen. Als teilnehmender Beobachter wirst du meist nicht wegen deiner Forschungsabsicht
akzeptiert, sondern deiner Person wegen.
Oberstes Gebot: Vertrauen schaffen!
Tipps:
• übe Zurückhaltung
• passe dich an deine Umgebung an soweit es nötig ist, aber verstelle dich nicht künstlich (
Sprache, Kleidung, Verhalten)
• sei höflich
• Von Vorteil ist es für dich, wenn du besondere Fähigkeiten hast, die in dem Feld
geschätzt werden (z.B. du möchtest Kneipenklientel beobachten und kannst gut Billard
spielen).
2. Verhalten und Vorgehensweise im Feld
Behalte deine Forschungsfragen stets im Bewusstsein. Z.B: Wie sehen die Wertvorstellungen
aus, die dem Handeln zu Grunde liegen? Soziale Hierarchien?
Was du erlernen musst:
• Du darfst die Situation nicht gezielt verändern.
• Du musst ein Gespür dafür entwickeln, wann du dich vertraulich verhältst und wann du
dich besser zurückhältst.
• Was darfst du sagen, um Menschen nicht zu verärgern? Wie reagierst du auf
Beleidigungen oder Neckereien?
• Missioniere nicht, aber habe den Mut ehrlich deine Meinung zu sagen, wenn man dich
danach fragt.
• Du vollziehst einen Seiltanz zwischen zuviel Neugierde und zuviel Zurückhaltung.
Neugierde kann von den zu beobachteten Personen als Aufdringlichkeit oder
Bespitzelung interpretiert werden und Zurückhaltung als Spionage.
• Als Soziologe unterliegst du einer selbst auferlegten Schweigepflicht. Nach Girtler kann
man darum in Ausnahmefällen auch Protokolle verändern, wenn es sonst den
Beobachteten schaden würde.
• Sei dir bewusst: Permanente Bildung von Vertrauen ist notwendig.
• Ehrlichkeit ist für dich als Forscher ethisch und strategisch wichtig. Verstricke dich nicht
in Widersprüche. Das kann für dich besonders bei kriminellen Randgruppen gefährlich
werden.
• Fixiere dich nicht auf einzelne Teile der Gruppe, da dir sonst andere Perspektiven
verschlossen bleiben.
Gefahren bei der Forschung: • „going native“: Unter „going native“ wird die Tatsache verstanden, dass der
teilnehmende Beobachter die Urteilsmaßstäbe und Verhaltensmuster der Akteure im Feld
übernimmt und damit beginnt, sich mit ihnen zu identifizieren. Girtler sieht das als
Chance den anderen überhaupt erst richtig verstehen zu können.
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So wird das Vorverständnis abgebaut und ein echtes Fremdverstehen wird möglich. Sei
aber vorsichtig, dass du dennoch die nötige Distanz warst, die du dringend für eine
wissenschaftliche Forschung benötigst.
• Verhalte dich grundsätzlich neutral bei Streitigkeiten.
• In gefährlichen Situationen gilt nach Girtler: Gelassenheit bringt Prestige.
• Ansonsten gibt es kein Rezept für gefährliche Situationen. Jede Strategie kann auch
fehlschlagen, da in manchen Randgruppen die Aggressoren häufig alkoholisiert sind oder
unter Drogeneinfluss stehen. Sei dir bewusst, es kann immer zu gefährlichen Situationen
kommen.
Erste Schritte in die konkrete Forschungsphase: • Jetzt beginnt für dich eine neue Phase im Forschungsprozess: schreibe Protokolle (siehe
unten), führe spezifische Gespräche und provoziere Diskussionen zwischen Akteuren. In
Diskussionen stößt du oft auf andere Perspektiven als in Einzelinterviews.
• Deinen Personenkreis solltest du ständig erweitern.
• Beginne damit Hypothesen aufzustellen, überprüfe sie und modifiziere sie sogleich nach
dem Prinzip der Hermeneutik.
• Wichtig: Du befindest dich in einer egalitären Beziehung zu den Beobachteten und darfst
dich somit nicht über sie stellen.
3. Protokollieren und Protokoll • Wichtigste Frage: Was ist relevant für dein Forschungsinteresse und deine
Forschungsfragen?
• Fragestellung könnten sein: „Wie handelt das Mitglied der zu beobachtenden Gruppe?
Auf Grund welchen Alltagswissens wird gehandelt? Wie sehen die Interaktionen
zwischen den Mitgliedern aus? u.ä.“
• Halte am Anfang alle möglichen Handlungsabläufe fest, auch wenn sie erst einmal
unwichtig oder zu gewöhnlich erscheinen. Nur so kannst du die dem Handeln zu Grunde
liegenden „Regeln“ bzw. „Handlungstypen“ herausfinden. Besonders bei Gruppen, die
dem eigenen sozialen Milieu nicht all zu fern sind, fallen schnell wichtige
Handlungsmuster unter den Tisch.
• Was alles in einer sozialen Situation zu protokollieren ist:
o aktive und passive Personen (da das Verhalten von Akteuren auch immer an
passiv anwesende Personen angepasst wird)
o die Durchführung der Situation (welche Strategien werden angewandt, um eine
bestimmte Intention zu verfolgen?)
o die Lokalitäten (auch diese können Einfluss auf eine soziale Situation haben, z.B.:
Verhörzimmer bei Polizei)
o die determinierenden Normen (welchen Zwängen unterliegen die Handelnden?
Wie versuchen sie sich eventuell zu entziehen?)
o die Regelmäßigkeit der Situation (ist die Situation typisch? Achtung:
Regelmäßige Wiederholung ist ein Hinweis auf „das Typische“, aber keine
zwingende Voraussetzung dafür)
o die Reaktionen der Teilnehmer auf Unerwartetes oder Normwidersprechendes
(Reaktionen/Sanktionen, aufschlussreich für Hierarchie und Wertesystem)
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•
o der Unterschied zwischen Behauptetem und Getanem (handeln die Personen so,
wie sie es zuvor in Interviews sagten? Hier hast du einen Vorteil gegenüber
Interview-Methoden)
Tagebuch:
Neben dem Protokoll solltest du auch Tagebuch führen. Hier hältst du Telefonnummern,
Adressen von Kontaktleuten, Gedanken zu deinem Vorgehen, Hinweise auf eventuelle
Forschungsergebnisse oder emotionale Betroffenheit wie Ärger mit Personen fest. Im
Nachhinein kann ein Blick in das Tagebuch für dich sehr nützlich sein.
Das Niederschreiben des Protokolls: • Vorsicht mit Aufnahmegeräten: Häufig irritieren sie die zu Beobachtenden.
• Es ist zu empfehlen, möglichst wenig oder heimlich während der Feldforschung zu
protokollieren, da es immer irritieren kann. Sinnvoll ist es auch unmittelbar danach
Notizen auf Band zu sprechen.
• Bei der nächsten ungestörten Gelegenheit solltest du das Protokoll anfertigen, damit
möglichst wenig verloren geht.
4. Umgang mit den beobachteten Menschen nach Beendigung der Feldforschung • Der Rückzug aus der Feldforschung muss ohne Beleidigung oder Degradierung der
Forschungssubjekte erfolgen.
• Du solltest die Menschen nach Beendigung der Forschung nicht einfach fallen lassen und
den Kontakt nicht einfach abbrechen. Sie sind mehr als bloße Datenlieferanten und sollen
sich nicht als bloße Informanten missbraucht fühlen.
• Das Erarbeitete mit den beobachteten Menschen selbst zu diskutieren ist höchst ratsam,
da es für dich eine Kontrolle deiner Ergebnisse darstellt.
5. Die Auswertung der Daten
Daten und Hypothesen, die zuvor in Protokoll und Tagebuch festgehalten und erarbeitet
wurden, werden nun verknüpft, um das Sozialsystem als Ganzes begreifen zu können. Das
impliziert eine induktive Vorgehensweise. Das Typische wird anhand entsprechender
theoretischer Konzepte herausgearbeitet. Um die typischen Regeln verständlich machen zu
können, aus denen man das soziale Handeln „verstehen, erklären“ und „beweisebar“ machen
will, wird an entsprechender Stelle aus dem Protokoll zitiert.
In der deutschsprachigen Literatur ist es bis heute sehr umstritten, wie
Beobachtungsprotokolle ausgewertet werden sollen. Während die eine Seite dazu tendiert,
Beobachtungsprotokolle ähnlich wie auch Interviewtranskriptionen mit der Sequenzanalyse
auszuwerten, plädiert die andere Seite für ein vergleichendes Vorgehen. Es wird
argumentiert, dass Feldprotokolle bereits interpretierte Dokumente aus Erfahrungen des
Feldforschers seien und sie nur durch einen Vergleich mit anderen Feldprotokollen oder
durch einen Vergleich aus Ergebnissen unterschiedlicher Zugänge (Interviews,
Gruppendiskussion,...) ausgewertet werden können. Girtler selbst gibt ebenso keine
präziseren Hinweise zur Auswertung von den erhobenen Daten. Es ist deshalb ratsam, die
Beobachtungsprotokolle beispielsweise mit der Inhaltsanalyse, dem Kodierverfahren oder der
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Grounded Theory auszuwerten. Die genauere Anleitung hierzu findest du in den
entsprechenden Texten dieses Readers.
Literatur: Girtler, Roland (2001): Methoden der Feldforschung, Böhlau Verlag Wien Köln Weimar
Girtler, Roland (1995): Randkulturen – Theorie der Unanständigkeit, Böhlau Verlag Ges.
mbH und Co. KG, Wien ⋅ Köln Weimar
Girtler, Roland (2004a): 10 Gebote der Feldforschung. Wien: Lit.
Lüders, C. (2002): 5.5 Beobachten im Feld und Ethnographie. In: Flick/Kardoff/Steinke
(Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek bei Hamburg, S.384-401.
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Die 10 Gebote der Feldforschung
1. Du sollst einigermaßen nach jenen Sitten und Regeln leben, die für die Menschen, bei
denen du forschst, wichtig sind. Dies bedeutet Achtung ihrer Rituale und heiligen
Zeiten, sowohl in der Kleidung als auch beim Essen und Trinken. – Si vivis Romae
Romano vivito more!
2. Du sollst zur Großzügigkeit und Unvoreingenommenheit fähig sein, um Werte zu
erkennen und nach Grundsätzen zu urteilen, die nicht die eigenen sind. Hinderlich ist
es, wenn du überall böse und hinterlistige Menschen vermutest.
3. Du sollst niemals abfällig über deine Gastgeber und jene Leute reden und berichten,
mit denen du Bier, Wein, Tee oder sonst etwas getrunken hast.
4. Du sollst dir ein solides Wissen über die Geschichte und die sozialen Verhältnisse der
dich interessierenden Kultur aneignen. Suche daher zunächst deren Friedhöfe, Märkte,
Wirtshäuser, Kirchen oder ähnliche Orte auf.
5. Du sollst dir ein Bild von der Geographie der Plätze und Häuser machen, auf und in
denen sich das Leben abspielt, das du erforschen willst. Gehe zu Fuß die betreffende
Gegend ab und steige auf einen Kirchturm oder einen Hügel.
6. Du sollst, um dich von den üblichen Reisenden zu unterscheiden, das Erlebte mit dir
forttragen und darüber möglichst ohne Vorurteile berichten. Daher ist es wichtig, ein
Forschungstagebuch (neben den anderen Aufzeichnungen) zu führen, in das du dir
jeden Tag deine Gedanken, Probleme und Freuden der Forschung, aber auch den
Ärger bei dieser einträgst. Dies regt zu ehrlichem Nachdenken über dich selbst und
deine Forschung an, aber auch zur Selbstkritik.
7. Du sollst die Muße zum "ero-epischen (freien) Gespräch" aufbringen. Das heißt, die
Menschen dürfen nicht als bloße Datenlieferanten gesehen werden. Mit ihnen ist so zu
sprechen, dass sie sich geachtet fühlen. Man muss sich selbst als Mensch einbringen
und darf sich nicht aufzwingen. Erst so lassen sich gute Gesprächs- und
Beobachtungsprotokolle erstellen.
8. Du sollst dich bemühen, deine Gesprächspartner einigermaßen einzuschätzen. Sonst
kann es sein, dass du hineingelegt oder bewusst belogen wirst.
9. Du sollst dich nicht als Missionar oder Sozialarbeiter aufspielen. Es steht dir nicht zu,
"erzieherisch" auf die vermeintlichen "Wilden" einzuwirken. Du bist kein Richter,
sondern lediglich Zeuge!
10. Du musst eine gute Konstitution haben, um dich am Acker, in stickigen Kneipen, in
der Kirche, in noblen Gasthäusern, im Wald, im Stall, auf staubigen Straßen und auch
sonst wo wohl zu fühlen. Dazu gehört die Fähigkeit, jederzeit zu essen, zu trinken und
zu schlafen.
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Filmanalyse: Romeo und Julia
Paper von Daniel Rodriguez, Katharina Hahn, Simone Lehrl
Filmanalyse In unserem heutigen Zeitalter wird das Leben nahezu aller Menschen von audiovisuellen
Medien zu mehr oder weniger großem Teil mitbestimmt. Da Filme, egal ob im Kino oder
Fernsehen, durch die Vielzahl technischer Möglichkeiten und Methoden in ihrem Ablauf und
Inhalt im Vergleich zu herkömmlichen Datenquellen der sozialwissenschaftlichen Forschung
um vieles komplexer sind, erscheint es logisch, diese auch auf andere Art und Weise
auszuwerten und zu interpretieren. Aus diesem Grund fanden vor allem in den 70er Jahren
zahlreiche Diskurse über Methoden einer erfolgreichen Filmanalyse statt. Der Trend ging
danach zwar wieder etwas zurück, die Annahme jedoch, dass dem Film und Fernsehen
zusätzlich zur Unterhaltungsfunktion auf jeden Fall eine zentrale gesellschaftliche und
kulturelle Bedeutung zukommt, hat sich bis heute gehalten, wenn nicht sogar noch weiter
verstärkt. Im sozialwissenschaftlichen Kontext wird dabei vor allem der Frage nachgegangen,
inwieweit das Medium die Realitätswahrnehmung der Menschen beeinflusst und diese somit
konstituiert.
Um nun aber eine Anleitung für die Praxis zu geben, möchten wir im folgenden Teil
konkreter werden und den idealtypischen Ablauf der Forschung mit der Methode genauer
erläutern.
Der erste Schritt gilt natürlich der Sichtung des Materials, also dem Ansehen des Films. Um
später in der Interpretation nicht vollkommen daneben zu liegen, sich in unwichtigen
Einzelheiten zu verlieren oder sonstige Fehler zu machen, ist im nächsten Schritt besonders
wichtig, sofort spontane Eindrücke, Auffälligkeiten etc. schriftlich festzuhalten. Vielleicht
fallen einem hierbei auch interessante Ansatzpunkte für mögliche Fragestellungen auf. Als
nächstes erstellt man eine Transkription des gesamten Films. Vom Prinzip bedeutet dies das
gleiche wie bei einem normalen Interview, wobei natürlich die jeweiligen Regieanweisungen,
bzw. die dann umgesetzten Licht-, Ton- und Bildeffekte mit aufgenommen werden müssen.
Bildliche Beispiele hierfür:
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Das Transkript bildet die Basis für alle weiteren Untersuchungen. Von ihm ausgehend erfasst
der Forscher die Handlung, zuerst in gröberen, dann in immer weiteren Zügen, wobei
natürlich insbesondere die Fragestellung langsam angegangen wird. Ist diese dann festgesetzt
bzw. sind die Hypothesen generiert, kann mit der Wahl sinnvoller Methoden und der
Bestimmung des weiteren Vorgehens begonnen werden.
Das Wort „sinnvoll“ deutet auf die notwendige Abstimmung der Instrumente auf den
Untersuchungsgegenstand und die spezifische Fragestellung hin. Gerade bei der Filmanalyse
wird die Verschränkung quantitativer und qualitativer Methoden unbedingt notwendig. Um
dies zu verstehen, muss man sich noch einmal die Komplexität des Mediums Film vor Augen
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führen. Da Botschaften zeitgleich über Bild und Ton vermittelt werden und jeder Mensch
über einen eigenen Erfahrungsschatz, unterschiedliche Werte, Vorstellungen, kognitive
Voraussetzungen etc. verfügt, führt die Betrachtung des Gegenstands bei jedem Einzelnen zu
einem eigenen Metafilm. Um hier allgemeingültige Interpretationsangebote zu machen, muss
der Forscher zum einen subjektive Deutungsmuster berücksichtigen und im Weiteren aber
versuchen zu abstrahieren und seine Ergebnisse intersubjektiv nachvollziehbar zu erlangen
und auch darzustellen. Auch um das ganze Vorgehen empirisch nennen zu können, werden
die Hypothesen bei der Filmanalyse durch quantitative Methoden überprüft. Im Folgenden
sollen nun einige Instrumente aufgezeigt werden, die jedoch als Handwerkzeug gedacht sind
und deren kreativer Einsatz von der Fragestellung abhängig gemacht werden soll.
Als erste Instrumente sollen zwei Unterarten der Transkription vorgestellt werden. Um das
Ziel, den Film der Übersicht und Nachvollziehbarkeit halber in eine lineare Form zu bringen,
zu erreichen, müssen alle visuellen, auditiven, inhaltlichen und zeitlichen Abläufe der
Kameraaktivität festgehalten werden. Dabei kann man zwischen zwei Arten unterscheiden.
Zum einen gibt es das Einstellungsprotokoll, bei dem jede einzelne Einstellung mitsamt
Inhalt, Dauer, Kameraperspektive, Einstellungsverbindung etc. aufgeführt wird. Um
seitenweise Papier zu vermeiden kann es womöglich sinnvoller sein, lediglich
Sequenzprotokolle anzufertigen, wobei der Film in Subsequenzen geteilt wird, die sich aus
inhaltlichen oder formalen Gründen ergeben und mit Hilfe derer die Gesamtstruktur und die
Zusammenhänge des Films gut sichtbar herausgearbeitet werden können. Doch auch nach der
Anfertigung dieses Protokolls ergeben sich weitere Schwierigkeiten aus dem
interdependenten Charakter des Mediums, das sich nicht so einfach linear darstellen lässt.
Um dieses Problem zu lindern bedient man sich verschiedener Möglichkeiten der filmischen
Visualisierung, die sinnhaften und vor allem auch den Rezipienten affektiv betreffenden
Wirkungen des Films zu erfassen. Abhängig vom Interesse kann man wieder zwischen
verschieden Optionen wählen. Es gibt Sequenz- und Einstellungsgrafiken, die
Schnittfrequenz kann visualisiert oder die Zeitachse skizziert werden.
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Wie bereits mehrfach erwähnt muss immer auf den Bezug zwischen quantitativ-grafischen
und qualitativ-interpretatorischen Argumentationssträngen hergestellt werden, da Erhebungen
ohne Referenzbezüge genauso aussageschwach sind wie willkürliche, subjektive
Interpretationen.
Die systematische Analyse als Untersuchung des Films und seiner Kontextfaktoren umfasst
verschiedene Aspekte und Dimensionen.
Man geht von vier sich überschneidenden Untersuchungsbereichen aus.
Die Filmrealität dient zur Ermittlung aller am Film selbst feststellbaren Daten,
Informationen, Aussagen, also Inhalt, formale und technische Daten, Einsatz filmischer
Mittel, inhaltlicher und formaler Aufbau des Films, handelnde Personen, Handlungsorte,
Handlungshöhepunkte, Informationslenkung und Spannungsdramaturgie.
Die Bedingungsrealität ermittelt die Kontextfaktoren, die die Produktion, die inhaltliche und
formale Gestaltung des Films beeinflusst haben. Zudem dient sie zur Aufarbeitung der
historisch-gesellschaftlichen Situation zur Entstehungszeit des Films und stellt Bezüge zu
anderen inhaltlich oder intentional ähnlichen Filmen her.
Die Bezugsrealität thematisiert die inhaltlich historische Problematik, die im Film behandelt
wird.
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Zuletzt die Wirkungsrealität; diese zeigt die Publikumsstruktur, Publikumspräferenzen
einschließlich Einsatzorte, Laufzeiten des Films, Intentionen des Regisseurs, ggf.
Rezeptionsgeschichte des Films auf.
Um qualitativ für die Gesamtaussage bedeutsam zu werden, müssen die verschiedenen
Untersuchungsaspekte und Informationsquellen in ihren Einzelergebnissen inhaltlichargumentativ zusammengeführt werden.
Abschließend wäre speziell zur soziologischen Filminterpretation noch zu sagen, dass hier
die Schlüsselkategorie die Gesellschaft darstellt. Die soziologische Sichtweise setzt den Film
in einen allgemeinen oder umfassenden gesellschaftlichen Kontext. Sie konzentriert sich auf
die Gesellschaftsbedingtheit des Films, was bedeutet sie hinterfragt die Bedeutung und
Funktion des Films. Die soziologische Filminterpretation untersucht und bewertet den Film
im Hinblick auf seine Wiedergabe von zeitgenössischer Wirklichkeit. Ein besonderes
Augenmerk wird hier auf die Randgruppen, Schichten, Institutionen, Personen,
Problemfragen, Interessensgegensätze gerichtet.
Literatur:
Jens Thiele (1999): „Kiss kiss bang bang“. WILLIAM SHAKESPEARES ROMEO UND
JULIA (Luhrmann, USA 1996). In: Peter Drexler/Helmut Korte (Hrsg.): Einführung in die
Filmanalyse.Berlin: Erich Schmidt Verlag, S.195 - 237 [Zusammenfassung].
Peter Drexler (2004): Misery (King 1987/Reiner 1990). In: Helmut Korte: Einführung in die
Systematische Filmanalyse. Ein Arbeitsbuch. Berlin: Erich Schmidt Verlag, S.119-158
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Das Leitfadeninterview
Kleine Hausarbeit von Anna De Vittorio
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Leitfaden als Erhebungsinstrument
3. Die Spezifizierung der Forschungsfrage
4. Die Fallauswahl
5. Die Organisation des Feldzugangs und die Kontaktaufnahme
6. Die Leitfadenkonstruktion
7. Die Leitfadenerprobung und -anpassung
8. Die Interviewdurchführung
9. Die Datenanalyse
10. Probleme und Fazit
11. Literaturverzeichnis
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1. Einleitung Unter Leitfadeninterviews werden eine Reihe verschiedener Interviewarten gezählt, die – je
nach Untersuchungseinheit und Forschungsfrage – unterschiedlich konzipiert sind. Flick
(2006) nennt als Beispiele das fokussierte Interview, das halbstandardisierte Interview, das
problemzentrierte Interview, das Experten-Interview und das ethnographische Interview. Die
Idee dahinter ist die, dass angenommen wird, ein relativ offen aufgebautes teilstandardisiertes
Interview, bringt die Sichtweisen der interviewten Personen eher zum Vorschein als es bei
(voll-)standardisierten Interviews der Fall ist. Beim Leitfadeninterview stützt sich der
Interviewer auf einen flexiblen Fragenkatalog (mit möglichst offen formulierten Fragen), um
Daten zu erheben und später auswerten zu können. Dabei kann und sollte der Leitfaden, wenn
nötig, überarbeitet werden, um neu gewonnene Erkenntnisse mit einfließen zu lassen. Im
Laufe des Interviews kann der Interviewer, je nach Situation, über den Zeitpunkt des
Einsatzes der jeweiligen Fragen und deren Reihenfolge ad hoc entscheiden. So können etwa
Fragen, die während des Interviews bereits beantwortet wurden, ausgelassen werden, da die
Antwort schon vorliegt. Je nach Gesprächsentwicklung kann der Interviewer detaillierter
nachhaken und – im Falle des Abschweifens seitens des Interviewten – wieder zum Leitfaden
zurückführen. Schließlich sollen bestimmte – im Leitfaden vorgegebene Fragestellungen – im
Interview behandelt werden. Da Interviews nicht immer gleich ablaufen und die
Interviewsituation sehr unterschiedlich aussehen kann, hat der Interviewer stets neue
Entscheidungen zu treffen, wie das Interview (weiter) vonstatten gehen soll. Deshalb sollte er
den Überblick nicht verlieren, um die Wiederholung von Fragen zu vermeiden und ein
gewisses Maß an Sensibilität, für den Verlauf des Interviews und in Bezug auf sein
Gegenüber, nicht missen lassen. Das leitfadengestützte Interview ist eine häufig praktizierte
Form qualitativer Interviews. Im Hinblick auf dessen Einsatz ergeben sich folgende wichtigen
Fragen: Welche vorbereitende Überlegungen sind für die Untersuchung erforderlich? Was ist
bei der Durchführung einer mündlichen Befragung, mittels Interview bzw. in Form von
Leitfadeninterviews, zu beachten? Mit welchen Fehlerquellen ist zu rechnen? Welche
Auswertungsmethoden sind zulässig bzw. am geeignetsten?
2. Der Leitfaden als Erhebungsinstrument
»Der Umgang mit dem Leitfaden, der die Aufmerksamkeit auf relevante Themen lenkt, soll
situationsangemessen-flexibel sein« (Lexikon zur Soziologie 1995, S.399 f.). Das
Leitfadeninterview zählt zu den weniger strukturierten Interviewtechniken und somit zu den
qualitativen Methoden der Befragung (Diekmann 2008, S.438). Hier beschränkt man sich (in
der Regel) auf wenige Leitfragen, statt einen vollstandardisierten Fragenkatalog
durchzugehen. Der Anwendungsbereich von Leitfadeninterviews kann sich z.B. auf
explorativ ausgerichtete Studien (zur Theoriebildung und -entdeckung) beziehen, aber auch
auf komplexe und/oder lebensweltbezogene Fragestellungen (etwa persönliche Erfahrungen,
eigene Meinungen etc.). Außerdem können Leitfadeninterviews auch zur Vorbereitung
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und/oder Begleitung quantitativer Untersuchungen eingesetzt werden (vrgl. Shell
Jugendstudie, Picot und Willert 2006). Vor der Spezifizierung der Forschungsfrage ist das
Themenfeld
der
Untersuchung
abzustecken.
Das
heißt:
Wie
sieht
der
Untersuchungsgegenstand aus und wie lautet die zentrale Fragestellung der geplanten Studie?
Überdies: Auf welche Weise und in welcher Phase des Forschungsprozesses sollen die
Leitfadeninterviews zum Einsatz kommen bzw. wie sind letztere im Forschungsdesign
integriert?
3. Die Spezifizierung der Forschungsfrage
»Die Forschung setzt an konkreten gesellschaftlichen Problemen an, deren objektive Seite
vorher analysiert wird« (Mayring 2002, S.69). So erfordert die Problemformulierung bzw.
Forschungsfrage-Spezifizierung
ein
umfangreiches
Vorwissen
zum
Untersuchungsgegenstand, welches erworben werden sollte, um die geplante Untersuchung
durchführen zu können. Hierfür kann eine Materialsammlung angelegt werden, (Fach)Literatur gesichtet und bereits vorhandene Forschungsergebnisse/Studien betrachtet werden.
Das mit Forschungshilfen erarbeitete Wissen kann in entsprechende Interviewinhalte
transformiert werden. Zur Gestaltung einer Interviewsituation ist es also notwendig, die
allgemeinen Forschungsfragen in konkrete Interviewfragen umzuwandeln. Bei der
Ausarbeitung des Forschungsthemas sollte auch schon über die möglichen Fehlerquellen, die
sich beim (Leitfaden-)Interview ergeben können, berücksichtigt werden. Hierbei kann es sich
um Befragtenmerkmale handeln, die sich z.B. in Form sozial erwünschter Antworten oder
‘Meinungslosigkeit’ zeigen. Außerdem können Fragemerkmale auftreten, die etwa – je nach
Formulierung oder Positionierung der gestellten Fragen – zu Antwortverzerrungen führen
können. Letztlich kann es auch, durch Merkmale des Fragenden und der Fragesituation, zu
Verzerrungen kommen, beispielsweise wenn während des Interviews ein Dritter anwesend ist
oder bedingt durch anderweitige situationale Effekte (vrgl. Diekmann 2008, S.447).
4. Die Fallauswahl
Nachdem festgelegt wurde, welches Forschungsthema untersucht werden und welche
Forschungsmethode eingesetzt werden soll, stellt sich die Frage nach der
Untersuchungseinheit, der Stichprobe bzw. deren Umfang (sample size). Wie viele Einheiten,
d.h. Personen, sollen in der Stichprobe erfasst bzw. interviewt werden und welche Zielgruppe
soll es sein? Es empfiehlt sich eine möglichst heterogene Stichprobe, die aber vor allem
typische bzw. charakteristische Fälle umfassen sollte, die der Untersuchung dienlich sind und
demnach bewusst ausgewählt werden (es macht beispielsweise wenig Sinn, die
Lebenssituation von Arbeitslosen zu untersuchen und dabei nicht die Betroffenen selber,
sondern Nicht-Arbeitslose zu befragen). So geht es darum, potentielle Interviewpartner
auszuwählen. Dies kann etwa als theoretische Auswahl geschehen, nach dem von B. Glaser
und A. Strauss vorgeschlagenen Verfahren des theoretical sampling, bei dem es nicht um die
Abbildung einer Grundgesamtheit, sondern um das Entdecken theoretisch relevanter
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Dimensionen oder eine Typologieentwicklung geht. Dieses Auswahlverfahren wird auch
während des laufenden Forschungsprozesses so lange durchgeführt, bis eine theoretische
Sättigung eintritt (sukzessiver Aufbau der Stichprobe). Es werden also so lange neue Fälle –
in Bezug auf die theoretisch interessierende Frage – erhoben und miteinander verglichen, bis
sich keine Zusätze mehr zur bereits formulierten Theorie ergeben oder sich die beabsichtigte
Typologie, durch Hinzunahme neuer Fälle, nicht mehr verändert oder erweitert. Dieses in der
qualitativen Sozialforschung verwendete Verfahren kommt in der Forschungspraxis meist nur
in abgekürzter Form zum Einsatz, da es ziemlich arbeits- und zeitaufwendig ist (vrgl. Lexikon
zur Soziologie, S.74 f.). Bei der Fallauswahl nach dem theoretical sampling, wird also auf
einen vorab definierten Auswahlplan verzichtet. Die Auswahl der ersten Fälle, die in die
Untersuchung einbezogen werden, erfolgt sozusagen aufgrund von Vorkenntnissen und
Erfahrungen. Die weiteren Auswahlentscheidungen ereignen sich im Laufe der
Datenerhebung. Da anfangs auf keine empirisch begründete Theorie zurückgegriffen werden
kann, werden – anhand der Analyse der ersten Fälle – die weiteren Auswahlkriterien fest
gemacht und die Auswahl optimiert.
5. Die Organisation des Feldzugangs und die Kontaktaufnahme
Der Zugang ins Untersuchungsfeld bzw. zur Ziel-/Personengruppe, die untersucht werden
soll, kann sich unter Umständen als relativ schwierige Aufgabe darstellen. Es geht jedenfalls
um die Herstellung eines persönlichen Kontaktes zu potentiellen Interviewpartnern, die zu
jener Gruppe gehören, bezüglich derer die Studie durchgeführt werden soll (z.B. Obdachlose,
Arbeitslose, deviant agierende Jugendliche). Die entsprechenden Personen könnten hierbei
direkt angesprochen werden. Aber wie lässt sich eine bestimmte Zielgruppe finden und wie
lassen sich die passenden Personen hieraus rekrutieren? Hierzu könnte der/die Forschende auf
sein/ihr soziales Netzwerk zurückgreifen und die eigenen sozialen Kontakte nutzen. Weitere
Varianten könnten auch sein: Der Feldzugang durch einen »Pförtner« bzw. »Schleusenöffner«
(der sogenannte gate keeper), der den Weg ins Untersuchungsfeld/in die
Untersuchungsgruppe öffnet bzw. erleichtert. Anwenden ließe sich auch das
Schneeballsystem, als Verfahren der Kontaktaufnahme zu weiteren Personen, über die zuvor
Befragten bzw. bereits kontaktierten. Des Weiteren könnten Freiwillige (etwa über Annoncen,
Anzeigen, Aushänge und/oder Flyer) aufgefordert werden, sich selbst zu melden. Denkbar
wäre auch die Anbindung an eine quantitative Befragung (wie etwa in der Shell Jugendstudie
geschehen; vgl. Picot und Willert 2006). Letzten Endes wird die Auswahl jedoch von der
Zugänglichkeit bestimmt (vgl. Helfferich 2005, S.155). Wichtige Kriterien bezüglich der
Kontaktaufnahme für den Feldzugang bzw. den späteren Interview-Erfolg beziehen sich im
Grunde darauf, die möglichen Interviewpartner von der Teilnahme zu überzeugen, ihnen
genügend Informationen zu geben, deren Verständnis oder gar Interesse zu wecken und ein
gewisses Maß an Vertrautheit zueinander herzustellen. Es wäre angebracht, sich als
Interviewer persönlich vorzustellen (d.h. wer und für welche Institution tätig), das
Forschungsanliegen bzw. Untersuchungsthema näher darzulegen, den potentiellen
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Interviewpartner um die Teilnahme zu bitten und diesem Anonymität zuzusichern, aber
gleichzeitig auch dessen Angaben (Person, Funktion usw.) zu prüfen. Dennoch kann es
durchaus vorkommen bzw. kommt es vor, dass Personen die Teilnahme an einer Studie
verweigern. Den Ursachen einer solchen Ablehnung sollte durchaus nachgegangen werden,
um zu schauen, was dahinter steckt und die eigene Vorgehensweise eventuell zu überdenken.
Unter Umständen kann die Person, mit noch schlagkräftigeren Argumenten und in stets
freundlicher Form, doch noch zur Kooperation animiert werden. Lautet der Einwand des
Gegenübers, dass er/sie nun keine Zeit hat, so könnte ja ein anderer Termin vorgeschlagen
werden. Weist die Person darauf hin, dass sie kein Interesse an einer Teilnahme hat, so ließe
sich mit – die Teilnahme bedeutet einen Gewinn – gegenargumentieren. Es könnte auch
darauf hingewiesen werden, wie wichtig die jeweilige Person für den Erfolg der
Forschungsarbeit ist.
6. Die Leitfadenkonstruktion
Vor der Konstruktion des Leitfadens müssen die Voraussetzungen erfüllt sein, dass zunächst
die Forschungsfrage präzisiert, die Stichprobe eingegrenzt, eine Personenauswahl bestimmt,
der Feldzugang hergestellt und der persönliche Kontakt erfolgreich aufgenommen wurde.
Danach kann der Leitfaden entwickelt werden. Je nach Forschungsinteresse ist dieser mehr
oder weniger grob vorstrukturiert. Der Leitfaden soll als eine Art Gedächtnisstütze für den
Interviewer dienen und enthält eine schriftlich festgehaltene Fragenpalette. Generell gilt:
»Fragen sollten kurz, einfach und auf den Bezugsrahmen des Befragten bezogen sein.
Doppelte Negationen, unklare Wörter, verzerrte Formulierungen sind zu vermeiden, um eine
neutrale und gültige Antwort zu erhalten. Art der Frage und Frageformulierungen richten sich
nach dem Bezugsrahmen des Befragten. Ihre Ableitung hingegen erfolgt nach dem
Bezugsrahmen der Untersuchung, des Forschers« (Friedrichs 1990, S.205 f.). Der Leitfaden
sollte das Gespräch idealtypisch in einzelne thematische Blöcke und Hauptfragen
strukturieren und zur Orientierung dienen. Sein Aufbau- und Strukturprinzip ermöglichst eine
flexible Handhabung in Abhängigkeit vom Gesprächsverlauf. Er umfasst wenig Fragen von
unterschiedlichem Rang und enthält keine vorformulierten Antwort-Vorgaben. Überdies
gewährt der Leitfaden die Möglichkeit der Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen
Interviews. Der Leitfaden enthält im Grunde einige Leit-Fragen unterschiedlichen Typs. So
zählen zu den Fragearten zunächst sogenannte Einstiegsfragen (auch Warming-Up/Eisbrecherfragen genannt), die die Gesprächssituation vorbereiten sollen. Die befragte Person
kann sich quasi »warm reden« und das Eis zwischen Interviewer/-in und Befragten/Befragter
kann gebrochen werden. Daneben gibt es auch bestimmte Schlüssel- bzw. Hauptfragen, die
sehr wichtig für die Untersuchungsthematik sind und deshalb immer gestellt werden, während
sich eventuell ergebende Detailfragen nur in einigen Fällen gestellt werden (wenn z.B. eine
Aussage nicht deutlich genug ist und nachgehakt wird oder näheres zu einer Antwort erfragt
wird). Weiterhin ist es unter Umständen sogar notwendig Fragen zur Person zu stellen, weil
diese Angaben des/der Befragten noch fehlen bzw. benötigt werden. Geordnet werden können
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die Fragen nach einzelnen Themenblöcken bzw. thematischen Schwerpunkten, wobei die
Rangordnung der Fragetypen unterschiedlich ausfällt und einige Fragen zum festen
Bestandteil des Leitfadens zählen und andere nicht (weil variabel). Somit gliedert sich der
Leitfaden in einen Einstiegsteil mit Begrüßung und Eisbrecherfrage, einen Hauptteil mit
Haupt- und Unterfragen, sowie einen Abschlussteil mit abschließender Frage, Fazit und Dank.
Dabei sollte der Leitfaden stets »so offen und flexibel (...) wie möglich, so strukturiert wie
aufgrund des Forschungsinteresses notwendig« sein (Helfferich 2005, S.161). Helfferich
(2005) schlägt zur Leitfadenerstellung ein schrittweises Vorgehen – das sogenannte SPSSPrinzip – vor. Zunächst geht es um das Sammeln von vielen Fragen, in einem ganz offenen
Brainstorming zum Forschungsthema. Im nächsten Schritt folgt das Prüfen der gesammelten
Fragen auf deren Geeignetheit und das Streichen all jener Fragen, die nicht geeignet sind. In
einem dritten Schritt geht es um das inhaltliche Sortieren der verbleibenden Fragen und deren
Einteilung in offene Erzählaufforderungen, Aufrechterhaltungsfragen und konkreten
Nachfragen. Als Letztes kommt das Subsumieren der Fragentypen, d.h. nach deren Prüfung
und Sortierung werden diese in den Leitfaden subsumiert bzw. ein-/untergeordnet.
7. Die Leitfadenerprobung und -anpassung
Es sollte geprüft werden, ob mittels des Leitfadens dem Gesprächsverlauf ein Rahmen
gegeben werden kann. Da die Konzeption eines Leitfadens relativ gute Kenntnisse des
Forschungsgegenstandes voraussetzt, sollte sich der Forschende entsprechendes Vorwissen
aneignen, um die Themenblöcke präziser abgrenzen zu können. Obendrein sollte auch
überprüft werden, ob der Leitfaden nicht zu abstrakt oder zu lang und ob er übersichtlich
aufgebaut ist. Geachtet werden sollte unbedingt auch darauf, ob die Fragen offen und nicht
suggestiv gestaltet sind und zum Erzählen stimulieren. Offene Fragen enthalten keine
Antwort-Vorgaben und sollen zum selbständigen, ausführlichen Erzählen bestimmter
Sachverhalte animieren. »So liefert der Pretest hauptsächlich Aufschlüsse über die
Brauchbarkeit des Leitfadens, die Qualitäten der Interviewer und allgemeine Merkmale der
Befragtengruppe, sofern sie durch ähnliche Strukturen (z.B. Alter, Schicht) gekennzeichnet
sind« (Friedrichs 1990, S.235). Gegebenenfalls sind die Inhalte des Leitfadens zu
modifizieren, d.h. Fragen müssen unter Umständen verändert oder (weil unbrauchbar) ganz
weggelassen und vielleicht sogar neu angeordnet werden. Im entworfenen Leitfaden sollten
die Frageformulierungen überprüft und es sollte auf inhaltliche Wiederholungen geachtet
werden. Überdies sollte die Art der Fragestellung dem jeweils kulturellen Kontext angepasst
werden. Jedenfalls lassen sich Probleme der Verständigung in Pretests herausfinden.
Umgehen lassen sich mancherlei Verständigungsprobleme auch durch die Auswahl von mit
der jeweiligen Subkultur vertrauten Interviewern (vrgl. Diekmann 2008, S.442). Die mit dem
Interview verbundene Datenqualität hängt also maßgeblich von der Qualtät des eingesetzten
Leitfadens ab. Inzwischen gibt es zahlreiche Erkenntnisse über die Wirkung der
Fragenqualität auf das Antwortverhalten von Befragten. Auf diese Erkenntnisse kann bereits
vor dem Einsatz empirischer Pretestverfahren zurückgegriffen werden. Jedenfalls stellt beides
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die Grundlage dar, um die Mängel an Fragen zu erkennen und damit die Grundlage für eine
Optimierung zu schaffen. Die Verfahren zur Optimierung der Fragenqualität spielen eine
große Rolle bei der Minimierung des Umfragefehlers.
8. Die Interviewdurchführung
Was die Interviewdurchführung anbelangt, so sollte der zu interviewenden Person im
Vorhinein mitgeteilt werden, um was es im Interview gehen soll (Thema und Zweck der
Forschungsarbeit), was mit den gewonnenen Informationen bzw. Daten passiert und wer
hinter dem jeweiligen Forschungsprojekt steht (also den möglichen Auftraggeber oder die
Forschungseinrichtung vorstellen). Darüber hinaus sollte die Person auch darüber unterrichtet
sein, wie das Interview vonstatten gehen soll (wer der/die Interviewer/-in ist, wer noch
anwesend bzw. mit anwesend sein darf, wo bzw. an welchem Ort das Gespräch stattfinden
soll, wann bzw. zu welchem Datum/Zeitpunkt es stattfinden soll, wie lange es dauern wird
und ob bzw. welche Aufzeichnungsmedien eingesetzt werden). Wichtig ist hierbei, dass ein
gutes Interviewklima geschaffen werden sollte. Der Interviewer sollte möglichst entspannt
sein bzw. so wirken und auf seinen Interviewpartner eingehen (d.h. nicht nur die reine
»Information« aufnehmen, sondern auch die »Botschaft« verstehen). Überdies sollte dem
Gegenüber Raum geschaffen werden, damit sich die Person zeigen kann. Der Interviewer
sollte nicht versuchen, seine eigene Position darzustellen, vor allem nicht in
Übereinstimmung mit dem Gegenüber. Die interviewende Person sollte ein »unabhängiges«
Interesse haben, ganz gleich, was ihr Gegenüber äußert. Der zu befragenden Person sollte die
Möglichkeit gegeben werden, mehrere Aspekte von sich selbst zu zeigen. Dabei sollte der
Interviewer die befragte Person nicht vor etwas schonen, was ihr peinlich sein könnte,
sondern dieser – durch die eigene Haltung zeigen – , dass er die Wahrheit aushält. Die Fragen
des Interviewers sollten kurz und leicht verständlich sein und dem Gesprächspartner zu
weiteren Schilderungen von Details animieren. Es wäre außerdem ratsam, nicht nach
theoretischen Kategorien, sondern nach konkreten Dingen aus der Lebenswelt des
Interviewten zu fragen. Der Interviewer sollte mit seiner eigenen Sprache sprechen und keine
Milieusprache imitieren, wobei er jedoch durchaus die vom Interviewpartner benutzten
konkreten Namen und Begriffe verwenden sollte. Im Interview soll nicht versucht werden,
theoretische Begriffe zu entdecken, sondern die Lebenswelt des Interviewten. Es sollte auch
eine gewisse Naivität gezeigt werden und der Interviewer sollte sich Begriffe, Vorgänge als
auch Situationen vom Befragten erläutern lassen. Überdies sollte sich der Fragende nicht
blamiert vorkommen, wenn er nach Selbstverständlichkeiten fragt. Es sollte im Grunde der
Versuch gestartet werden, die Lebenswelt des Interviewpartners wirklich gut zu verstehen und
genau zu wissen, was in dieser geschieht (nach Hermanns 2000, S.367 f.).
Zu den möglichen bzw. bereits beobachteten Problemen bei der Durchführung qualitativer
(Leitfaden-)Interviews gehören z.B. die »Tendenz zu einem dominierenden
Kommunikationsstil«, d.h. der Einsatz von Suggestivfragen (etwa: »Sie sind doch auch der
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Meinung, dass...«), die dem Befragten eine bestimmte Antwort nahelegen und in der Regel
einen verzerrenden Einfluss auf dessen Antwort haben. In diese Kategorie fallen auch
unzulässige bewertende und kommentierende Aussagen seitens der interviewenden Person.
Des Weiteren fallen ebenso »Probleme mit den passiv-rezeptiven Anteilen des Interviewens«
auf. Dies bezieht sich auf bestimmte Schwierigkeiten und eine mangelnde Geduld beim
Zuhören sowie beim Erfassen von Anhaltspunkten zwecks der Stellung von Nachfragen.
Obendrein lässt sich »eine aus Angst und Unsicherheit resultierende Unfreiheit im Umgang
mit dem Frageleitfaden« feststellen, die sich mitunter durch penetrante und belehrende
Aussagen äußert. Solche ‘Kunstfehler’ ergeben sich unter anderem aus
‘Ausbildungsdefiziten’, die wohl durch eine verbesserte Ausbildungspraxis behoben werden
könnten (Hopf 2000, S.359).
9. Die Datenanalyse
Die mittels persönlich-mündlicher Befragung bzw. qualitativen Leitfadeninterviews – im
direkten Kontakt zu den Befragten (face-to-face) – erhobenen bzw. gewonnenen Daten,
müssen in weiteren Schritten aufbereitet und ausgewertet werden. Hierzu werden die auf
Tonband aufgenommenen Interviews (= Datenaufzeichnung) wörtlich transkribiert, um die
auf diese Weise gespeicherten Datensätze analysieren zu können. So werden die verbalen
Informationen, bei der Datenaufbereitung, in numerische oder alphabetische Symbole
übertragen (= Kodierung), die maschinell bzw. computergestützt bearbeitet werden können.
»Die Auswertung ist dabei nicht auf ein Verfahren festgelegt, jedoch erscheinen kodierende
Verfahren (...) besonders geeignet» (Flick 2006, S.125). Zur Verwertung des empirisch
gesammelten Materials bietet sich bei Leitfadeninterviews eine inhaltsanalytische
Datenauswertung bzw. Aussagenanalyse an. »Inhaltsanalysen eignen sich besonders gut zur
Erforschung sozialer und kultureller Werte und des Wandels von Werten im langfristigen
Zeitverlauf« (Diekmann 2008, S.584). Auf diese Weise wird die Erhebungsmethode
‘Leitfadeninterview’ mit der Analysemethode ‘Inhaltsanalyse’ kombiniert, wobei nicht
zahlenmäßig (mengenmäßig-quantitativ), sondern textbezogen (inhaltlich-qualitativ)
ausgewertet wird.
10. Probleme und Fazit
Als Nachteil könnte aufgefasst werden, dass durch den Leitfaden eine ständige Frage-Antwort-Situation geschaffen wird, die wenig förderlich zum Aufbau einer Vertrauenssituation
ist. Problematisch wird es dann, wenn der Leitfaden nicht dem Gesprächsverlauf angepasst
wird. Weitere Probleme können auch sein, dass der Interviewer plötzlich den Überblick über
das vom Interviewten bereits Gesagte oder gar die zentrale Fragestellung aus dem Auge verliert. Und obgleich sich der Interviewer an einem vorher vereinbarten Zeitplan orientieren
sollte, darf er den Interviewpartner nicht einfach so ‘abbremsen’, wenn dieser zu intensiv oder
zu lange erzählt (Zeitmanagement-Problem). Ein zusätzliches Manko stellt sich z.B. dar,
wenn der Leitfaden dazu benutzt wird, die einzelnen Fragen bzw. Themen nur der Reihe nach
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‘abzuhaken’ (Kleben bleiben am Leitfaden). Es besteht die Gefahr der »Leitfadenbürokratie«
(Hopf 1978) und damit ein Verlust an Offenheit und Kontextinformationen. Der Leitfaden ist
schließlich kein Fragebogen. Es geht vielmehr darum, offen für die Perspektiven bzw. den
Horizont des Interviewpartners und für neue Aspekte zu sein.
Es stellt sich hiermit die Frage nach dem Sinn eines Interview-Leitfadens: Wozu überhaupt
einsetzen? Doch ein Leitfaden hat vielerlei Vorteile. Er vereinfacht z.B. die Gesprächsführung
und dient als roter Faden für den Gesprächsverlauf bzw. die logische Reihenfolge der
einzelnen Themenblöcke. Er gewährleistet überdies, dass alle forschungsrelevanten Themen
tatsächlich angesprochen werden. Die interviewende Person kann einzelne Gesprächsthemen
herausgreifen und vertiefend behandeln. Außerdem kann der vorgegebene Themenkatalog,
vom Interviewer, noch während des Gesprächs ergänzt werden. Positiv lässt sich zu einem
schriftlich-fixiertern Leitfaden sagen, dass dieser einfach Sicherheit in der Interviewsituation
gibt. Durch die Erstellung eines Leitfadens setzt sich der Interviewer mit der Formulierung
von forschungsrelevanten Fragen auseinander, über die es gut nachzudenken gilt. Davon abgesehen hilft ein Leitfaden beim Vergleichen verschiedener Interviews und vereinfacht deren
Auswertung. Durch die Fragestellungen gewinnen die Daten an Struktur. Es sind konkrete
Aussagen über einen Gegenstand möglich. Bei der Gestaltung des Interviews muss man nicht
an einer bestimmten Reihenfolge festhalten, da Fragen der Interviewsituation beliebig angepasst werden können. Der Leitfaden gilt überdies als eine Schutzfunktion für den Interviewer,
indem er ihm Orientierung bietet, um nicht vom Thema abzukommen.
11. Literaturverzeichnis
Diekmann, Andreas (2008): Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden,
Anwendungen. 19. Auflage. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag
(Rowohlts Enzyklopädie 55678), S.434-547, 576-622.
Flick, Uwe (2006): 8 Leitfaden-Interviews. In: Ders.: Qualitative Sozialforschung. Eine
Einführung. 4. Auflage. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, S.117-145.
Friedrichs, Jürgen (1990): Methoden empirischer Sozialforschung. 14. Auflage. Opladen:
Westdeutscher Verlag (WV studium Band 28), S.189-236.
Fuchs-Heinritz, Werner, Lautmann, Rüdiger, Rammstedt, Otthein, Wienold, Hanns, Hrsg.
(1995): Lexikon zur Soziologie. 3., völlig neu bearbeitete und erweiterete Auflage.
Opladen: Westdeutscher Verlag, S.73-75, 272 f., 299, 315 ff., 399 f., 649, 701
Helfferich, Cornelia (2005): Die Qualität qualitativer Daten. Manual für die Durchführung
qualitativer Interviews. 2. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften,
Kapitel 5: Interviewplanung und Intervieworganisation, S.147-173.
Hermanns, Harry (2000): 5.3 Interviewen als Tätigkeit. In: Flick/Kardorff/Steinke (Hrsg.):
Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch
Verlag, S.360-368.
Hopf, Christel (2000): 5.2 Qualitative Interviews – ein Überblick. In: Flick/Kardorff/Steinke
(Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek bei Hamburg, Rowohlt
Taschenbuch Verlag, S.349-359.
Seite | 34
Mayring, Philipp (2002): Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu
qualitativem Denken. 5. Auflage. Weinheim: Beltz Verlag, S.67-72.
Picot, Sibylle, Willert, Michaela (2006): Jugend in einer alternden Gesellschaft – Die
Qualitative Studie: Analyse und Portraits. In: Shell Deutschland Holding (Hrsg.): Jugend
2006. Eine pragmatische Generation unter Druck. Die 15. Shell Jugendstudie. Frankfurt
am Main: Fischer Taschenbuch Verlag (17213), Kapitel 7, S.241-442.
Internet-Quellen:
Behrmann, Laura C. (2009): Einen Leitfaden erstellen (Datei: Leitfaden.doc) &
Abschließende Sitzung: Qualitative Methoden (Datei: letzte Sitzung.pdf). In: Digicampus
Universität Augsburg, Plattform: StudIP, Kursverwaltung, Grundkurs: Angewandte
Methoden C (GK BA-Sozialwissenschaften, Wintersemester 2008/2009), Rubrik: Dateien
(http://digicampus.uni-augsburg.de/kursverwaltung/meine_seminare.php).
Ilmes – Internet Lexikon der Methoden der empirischen Sozialforschung (http://www.lrzmuenchen.de/~wlm/ein_voll.htm).
Seite | 35
Der Leitfaden: Zur Gefahr der „Leitfadenbürokratie“
Arbeitsblätter von Laura C. Behrmann
Beispiel 1:
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
I: Darf ich sie fragen ob Sie in der Gewerkschaft sind?
P: Gewesen
I: In der GEW vermutlich?
P. Ja 26 Jahre.
I: Und jetzt in der letzten Zeit ausgeschieden?
P: Ja, im Zuge des Theaters, wie sehr viele andere auch.
I: Meine Frage wäre jetzt folgender maßen: Wenn Sie die verschiedenen - es
ist ja für uns interessant zu gucken, welches die Kriterien sind, nach denen
Schulräte ausgewählt werden. Was meinen Sie, war ihrer Meinung nach bei
ihrer eigenen Ernennung der ausschlaggebende Gesichtspunkt?
P: Oh, da verlagen Sie zu viel von mir,
(Hopf 1993: 103)
1
2
3
4
Beispiel 2:
P: (erzählt über einen etwas längeren Abschnitt)
I. Wir kommen nachher noch mal darauf hin, im Zusammenhang unserer
historischen Fragen, die ich noch habe […]Wie ist es mit, wann sind Sie
jetzt Schulrat geworden?
(Hopf 1993: 104)
1
2
3
4
5
Beispiel 3:
P: (erzählt über einen etwas längeren Abschnitt)
I: Ich werde zur Organisationsveränderung der Schulaufsicht selber später
noch etwas fragen, ich – ich wollte jetzt noch ein anderes Thema
anschneiden. Ja, was mich interessiert, das sind die Richtlinie also die
Arbeitsanweisungen, die ja […]??
(Hopf 1993: 105)
Beispiele aus: Hopf, Christel; Weingarten, Elmar (Hg.) (1993): Qualitative Sozialforschung. 3. Auf. Stuttgart:
Klett-Cotta
Seite | 36
Mögliche Konstruktion eines Leitfadens:
Datum:
Alter:
Geschlecht:
Berufliche Tätigkeit:
Leitfrage/Stimuli/Erzählaufforderung:
Erinnerst du dich an deinen ersten Berufswunsch - und könntest du mir bitte
erzählen, welchen beruflichen Weg du von da an zurückgelegt hast.
Inhaltliche Aspekte
Aufrechterhaltungsfragen Nachfragen
subjektive Definition
normative Definition
Arbeitsplatzatmosphäre:
Kollegen
Abgrenzung:
Familie/Kinder/Elter
n
Freizeit
Individuelle Zukunft
Gesellschaftliche
Probleme
positive/negative
Aussagen
Fällt ihnen sonst noch was dazu Erzähl mal, was
machst du so, wenn
ein?
du freie Zeit hast?
Du hast doch sicherlich noch
Heute in 10 Jahren:
Erinnerungen an Erlebnisse,
Was denkst du wie
die du in den ersten
sieht dann dein
Arbeitstagen hattest? Erzähl
Leben aus?
mal.
Wenn jemand
anderes für einen
Tag deinen Job
übernehmen
würde, was
würdest du ihm mit
Erzähl mal, wie sieht so ein
Tag auf Arbeit aus, von dem du auf den Weg
geben?
sagst, es war ein guter Tag
Weißt du noch, als du dein
erstes selbstverdientes Geld in
der Hand hattest? Was hast du
damit gemacht?
Bsp. aus Laura Behrmann (2007): Der Wandel der Erwerbsarbeit. Saarbrücken.
Seite | 37
Seite | 38
Das narrative Interview
Denitsa Koleva, Vasilka Markova
Inhaltsverzeichnis:
1. Gliederung
2. Der Ablauf des narrativen Interviews
2.1. Erklärungsphase
2.2. Einleitungsphase( Erzählaufforderung)
2.3. Haupterzählung (Erzählphase)
2.3.1 Aufgaben des Forschers
2.3.2 Zwänge des Erzählens
2.3.3 Ende des Haupterzählung
2.4. Nachfragephase
2.5. Bilanzierungsphase
3. Auswertung der narrative Interviews
4. Literaturverzeichnis
Seite | 39
1. Vorgehen Das narrative Interview ist eine der qualitativen Methoden der Empirischen Sozialforschung.
Dieser stellt eine besondere Form des offenen Interviews dar und wurde 1977 von dem
deutschen Soziologen Fritz Schütze im Zusammenhang mit einer Studie über kommunale
Machstrukturen entwickelt. Dieser Methode hängt eng mit der Biographieforschung
zusammen und wird häufig im Zusammenhang mit lebensgeschichtlich bezogenen
Fragestellungen eingesetzt. Das wichtigste bei dieser Methode ist das Erzählen4, d.h. der
Interviewperson wird gebeten und unterstützt sein eigenes Erlebnis als Geschichte zu
erzählen. Dabei geht es in der Regel um lebensgeschichtliche, alltäglichen oder kollektivhistorischen Ereignisabläufen, in den der erzählenden Person selbst verwickelt war oder istz.B. Weltkriege oder Naturkatastrophen. Diese Ereignisabläufe sollen in eine so genannte
Stegreiferzählung wiedergegeben werden. Bei dieser Stegreiferzählung hat die potentielle
Interviewperson keine Möglichkeit vor dem Interviewgespräch sich systematisch
vorzubereiten. D.h. er kann seine Gedanken vor dem Interview, schriftlich nicht formulieren,
um sich für die Präsentation einzuüben. Die Stegreiferzählungen entstehen aus der Situation
heraus als etwas Neues.5
Das Ziel des narrativen Interviews ist durch Dynamik des Erzählvorganges retrospektiven
Vorstellungen des Erzählers im Gang zu setzen und ihm noch ein Mal in die damalige
Handlungs- und Erlebnissituation zu versetzen. Der Erzähler wird Schritt für Schritt seine
Erlebnisse wiederrufen und sie möglichst nah überbringen. Damit werden die
zurückliegenden Erlebnisse wie ein Film lebendig dargestellt und ausgemalt. Auf dieser
Weise werden komplexe kollektiv-historische und biografische Erfahrungszusammenhänge
über die Erinnerung der Erzähler wiederruft werden.6
Bei dem narrativen Interview werden alle Erzählungen mit Hilfe von Tonband
aufgezeichnet. Anschließend wird dann die Tonbandaufzeichnung verschriftet, d.h. sie wird
transkribiert.
2. Der Ablauf des narrativen Interviews
Der Ablauf des narrativen Interviews wird durch verschiedene Phasen umgesetzt.
Bevor die Forscher zu dem eigentlichen Verlauf der Methode kommen, müssen sie zuerst
geeignete Personen für den Interviewdurchführung finden. Das ist in der Regel öfter sehr
schwierig und zeitaufwendig.
Nachdem die geeignete Interviewpersonen gefunden sind und sich bereit gestellt haben
beginnt das Forscherteam mit dem narrative Interviews.
4
Nach Kahlmeyer und Schütze (1977) kann man zwischen den qualitativ unterschiedlichen Darstellungsformen
„Erzählen“, „Argumentieren“ und „Beschreiben“ unterschieden. Jene Darstellungen, die auf zurückliegende
singuläre Ereignisabfolgen referieren und in einer Beziehung zeitlich oder kausaler Abfolge zu einander stehen,
sind Erzählungen,
5
Glinka (1998)
Ebd. Glinka (1998) ,S.9
6
Seite | 40
2.1. Erklärungsphase Die Erste Phase des narrativen Interviews ist die Erklärungsphase, hier wird die Interviewter
zuerst über die Sinn und Zweck der Forschung und der Interview informiert. Zudem sollen
auch Vereinbarungen zum Datenschutz getroffen werden, wie Anonymität und eventuelle
Veröffentlichungen. Danach wird der Befragte über den Charakter eines solchen offenen
Interviews aufgeklärt. Viele Menschen haben schon einmal zum Beispiel mit standardisierten
Interviews Erfahrungen gemacht oder kennen aus dem Medien unterschiedliche Arten davon,
aber ein narrative Interview hat damit nur wenig zu tun.
In diese Phase wird auch über den Dauer des Interviews informiert und über den Verhalten
der Forscher. Die Erklärungsphase wird sehr oft noch bei dem Vorgespräch eines Interviews
geklärt.
2.2. Einleitungsphase( Erzählaufforderung) Nachdem alles geklärt ist gibt der Forscher dem Interviewter das Thema vor und setzt damit
ein Erzählstimulus7. Beispiel aus der Studie:
„Ich/wir möchte/n Sie bitten, mir/uns Ihre Familiengeschichte und Ihre eigene
Lebensgeschichte zu erzählen.“
„Erzählen Sie alles was Ihnen einfällt. Sie haben dazu so viel Zeit, wie Sie
möchten.“
„Wir/ich werde/n Ihnen keiner weitere Fragen stellen. Wir/ich mache/n mir/uns
nur einige Notizen zu Bereiche, zu denen wir/ich dann später – vielleicht auch in
einem zweiten Gespräch- noch einmal genauer nachfragen möchten“.8
Der Stimulus fokussiert das eigentliche sozialwissenschaftlich interessierende Ereignis Diese
Ereignis ist mehr oder weniger der größere Teilabschnitt eines Menschenlebens. Ebenso kann
der Forscher, wen nötig ist, den Befragte auch seine Erzählungen noch vor seine Geburt
einzusetzen.9
Die Erzählstimulus sind je nach Forschungskontext unterschiedlich, es ist von Bedeutung, ob
der einzelnen Biografien, der Geschichte eines ganzen Milieus oder eine Organisation von
Interesse ist.
Bei dieser Phase kommt es öfter zum Fehler. Sehr oft besteht bei der Befragten Zweifel, ob er
das Thema oder die Erzählaufforderung richtig verstanden hat oder die Formulierung des
Eingangsstimulus undeutlich wird. In solche Situationen soll alles noch ein Mal erklärt
werden.10
2.3. Haupterzählung (Erzählphase) Wenn der Befragte mit dem Erzählung schon begonnen hat wird nicht mehr von dem
Forscher unterbrochen. Es folgt eine lange Erzählphase, die oft über Stunden dauert.
Häufig beginnt die befragte Person mit dem erlebte Geschichte, alles bei seiner Erzählung
wird von ihm selber gestaltet.11
7
Ebd. Glinka;S.10
Rosenthal (1999)
9
Ebd. Glinka;S.10
10
Vgl. Rosenthal (2005)
11
Vgl. Ebd. Glinka
8
Seite | 41
2.3.1 Aufgaben des Forschers Während der Haupterzählung unterstützt der Forscher den Befragten durch sein
aufmerksames Zuhören und zeigt bei der Erzählung, dass ihm alles interessiert. Das Bedeutet,
dass der Forscher wehrend der Haupterzählung nicht untätig bleibt. Er bringt seine Arbeit des
Zuhörens durch entsprechenden Aufmerksamkeitsmarkierer zum Ausdruck. Diese Markierer
werden im einem face-to-face Kontakt zum Ausdruck gebracht. Markierer sind demnach die
Benutzung von Mimik oder kurze emotionale Rückmeldungen, wie Lachen, Atmen, Nicken
oder mitgehende Formulierungen, wie zum Beispiel: „ Das war ja wirklich hart“.12 Wichtig
ist, dass der Forscher aus sein Gesichtsausdrücke keine Bewertungen erkennen lässt, die der
Tendenzausrichtung der Erzählung beeinflussen können. Eine weitere Aufgabe der Forscher
ist die Erzähllücken zu identifizieren und sie in knappe Notizen(meisten nur Stichwörter) zu
den angesprochene Erlebnisse und Themen aufzuschreiben. Diese Notizen helfen bei
späteren Nachfragen.13
2.3.2 Zwänge des Erzählens Geling der Forscher ein Mal der Befragte zum erzählen zu motivieren, dann befindet sich der
Befragte in der Zugzwänge des Erzählens. Schütze geht davon aus, dass ein Erzählender
bestimmten Zwängen unterliegt: der Gestaltschließungszwang, der Kondensierungszwang
und der Detailierungszwang. Die Gestalt einer Geschichte ist zu schließen, also zu einem
Ende zu bringen (Gestaltschließungszwang), dabei ist eine Geschichte so zu erzählen, dass
die notwendigen Details mitzuteilen sind, die dem Zuhörer das Verständnis eröffnen
(Detailierungszwang). Zudem muss eine Geschichte schlüssig und sinnhaft konstruiert
werden (Kondensierungszwang).
2.3.3 Ende des Haupterzählung Der Befragte beendet seine Haupterzählung im meisten Fällen mit eine Koda( Erzählkoda),
dass ist eine Schlusssatz, in dem er das Ende seine Geschichte feststellt- „ Ja das war es
eigentlich“. Manchmal kann es auch vor kommen, dass so ein Schlusssatz mehrmals benutzt
wird und das befragte Person doch noch weiter erzählt, deshalb sollte der Forscher vorsichtig
sein und kein Fehler machen mit dem Nachfrageteil früh zu beginnen.14
2.4. Nachfragephase Nach Abschluss der Haupterzählung darf der Forscher thematisch aktiv werden und
Nachfragen stellen.15
Als erstes werden die aus der Haupterzählung notierten Stichpunkte in Reihenfolge nach und
nach eingegangen. Erst nachdem die notierten Stichpunkte abgearbeitet wurden, beginnt der
Forschermit dem externen Nachfragen über das interessierende Themenbereich, die bis
12
Ebd. Glinka;S.12
Vgl. Ebd. Glinka
14
Vgl. Rosenthal (2005)
15
Ebd. Glinka;S.15
13
Seite | 42
Dächer nicht erwähnt oder nicht auswendig detailiert wurde. Danach werden Fragen mit
narrativer Generierungskraft gestellt:
„ Vielleicht können Sie über Ihre Schulzeit noch mehr erzählen“. 16
Also Fragen die geeignet sind kleinere Geschichten oder Erzählungen in Gang zu setzen.
Meinungs- oder Begründungsfragen wie „ Wieso?“, „ Warum?“ und „Weshalb?“ sollen
vermeidet werden, weil sie mehr zu Argumentation führen.17
Manchmal besteht die Möglichkeit, dass die Interviewten Erinnerungsschwierigkeiten bei
manchen Teilen ihre Geschichten haben. Im solchen Fälle wird mit der Technik des „Szenen
Erinnerns“ gearbeitet. Mit dieser Technik hilft der Forscher sein Interviewpartner in
vergangene Szenen zurückzukehren und sie auszumahlen. Es werden Fragen wie- „ Was
sehen Sie?, „Was hören sie?, „ Mit wem stehen Sie zusammen?“ usw. gestellt. Mit Hilfe
dieser Technik gelingt der Befragte seine Erinnerungslücken zu bewältigen. 18
2.5. Bilanzierungsphase
Zum Schluss dieser Nachfrageteil wird alles bilanziert, d.h. die Befragte zieht eine
Schlussfolgerung über die erzählte Geschichte und wird kurz drauf angegangen wie den
gesamten Interviewablauf von den Interviewten empfunden wird.
„Wenn sie alles noch Mal zusammenfasen, wie sehen sie ihre Leben bis heute?19“
3. Auswertung der narrative Interviews
Bei der Auswertung des narrativen Interviews werden die Tonbandaufzeichnungen
transkribiert. Dieser Prozess kann sehr zeitauswendig werden.
Ein Transkriptionsprozess verläuft folgendermaßen, es werden die Teile des Textes
ausgesucht, die der Forscher für seine konkrete Fragestellung brauscht. Er soll auf der
Textgestaltung achten (zum Beispiel Dialekt und Pausen). Danach werden die eigenen
Namen der Befragten anonymisiert und durch Großbuchstaben ersetzt: „I“ für Interviewer
und „B“ für den Befragten. Weitere Eigennamen werden durch doppelte Klammern ersetzt:
„C“ (( Name des Freundes)).Alle Pausen werden mir Sekunden eingegeben: vier Sekunden=
(4).Alle Kommentare oder Betonungen werden in doppelte Klammern gesetzt: (( schnell
gesprochen, lachend, leise,…). Sprachliches Feedback des Befragten wird im fortlaufenden
Text in einfache Klammern gesetzt -(hm).Alle Zeilen werden nummeriert.
4. Literaturverzeichnis
Glinka Hans-Jürgen,(1998):Das narrative Interview: Eine Einführung für Sozialpädagogen.
Hrsg.: Juventa
Rosenthal, Gabriele (1999): Der Holocaust im Leben von drei Generationen. 3., korrigierte
Aufl. Gießen: Psychosozial-Verl.
16
Rosenthal (1999)
Rosenthal (1999)
18
Rosenthal (1999)
17
Seite | 43
Rosenthal, Gabriele (2005): Interpretative Sozialforschung. Eine Einführung. Weinheim
[u.a.] ///, Weinheim: Juventa; Juventa-Verl. (Grundlagentexte Soziologie).
Seite | 44
Seite | 45
Einführung in die Methode des verstehenden Interviews nach JeanClaude Kaufmann
Katharina Störrle und Kristina Greißl
Die Methode des verstehenden Interviews nach Jean-Claude Kaufmann am Beispiel
seiner Untersuchung „Der Morgen danach. Wie eine Liebesgeschichte beginnt.“
1. Einleitung
2. Grundpfeiler der Methode
3. Vorüberlegungen und Vorbereitungen
3.1 Themeneinstieg
3.2 Explorative Phase
3.3 Forschungsinstrumente
4. Prämissen der Interviewführung
5. Die Konstruktion von Wirklichkeit
6. Theoriebildung
7. Die Arbeit beenden
Seite | 46
1. Einleitung
Der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann ist tätig an der Pariser Sorbonne und
beschäftigt sich seit Jahren mit Themen rund um die Paarbeziehung und das Alltagsleben.
Kaufmann ist überzeugter Anhänger der „Grounded Theory“, welche versucht, Theorien
Schritt für Schritt, ausgehend von konkreten empirischen Daten und Details zu formulieren
mit dem anspruchsvollen Ziel, das Material von sich aus sprechen zu lassen. Im Laufe der
Zeit verfeinerte Kaufmann diese Art der Datenerhebung, bei der die Theorie quasi aus den
Daten auftaucht und damit in den Tatsachen selbst wurzelt20, und entwickelte die Methode
des verstehenden Interviews, die er 1996 in einem gleichnamigen Sachbuch beschrieben hat.
Im Folgenden wird das Vorgehen der Methode geschildert, ihre Kernpunkte
zusammengefasst und alles so weit als möglich am Beispiel von Kaufmanns, im Jahre 2002
erschienener, Studie „Der Morgen danach. Wie eine Liebesgeschichte beginnt.“
veranschaulicht.
2. Grundpfeiler der Methode
Das Adjektiv „verstehend“ weist bereits auf die Intention des verstehenden Interviews hin. Es
geht um das Verstehen im Weberschen Sinne, welches „soziales Handeln deutend verstehen
und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.“21. Hauptziel
der Forschung ist die Theorieproduktion „als (das) Herausarbeiten einer möglichst feinen
Wechselwirkung zwischen Daten und Hypothesen“22, um so soziale Prozesse möglichst
facettenreich zu erfassen. Der agierende Wissenschaftler sollte sich im Idealfall als
„intellektueller Handwerker“ oder „Geistesarbeiter“23 sehen, der seine Theorie und Methode
möglichst unvoreingenommen rein auf Basis des jeweiligen Untersuchungsfeldes konstruiert
bzw. handhabt. Dass das verstehende Interview dennoch keine willkürlich einsetzbare
Methode ist, sondern sich an klaren Regeln orientiert, zeigen die anschließenden
Ausführungen.
3. Vorüberlegungen und Vorbereitungen
Als aller Erstes muss der Forscher geduldig und gewissenhaft eine Reihe von Vorarbeiten
leisten und sich dabei immer im Klaren sein, dass jede einzelne Stufe hin zur Theorie von
großer Wichtigkeit ist, scheint sie noch so banal zu sein.
3.1. Themeneinstieg Das ideale Thema sollte klar und motivierend sein, wobei prinzipiell jedes noch so
nebensächlich erscheinende Thema geeignet sein kann, solange der Forscher Lust hat, sich
damit zu beschäftigen und er spürt, dass es dort irgendetwas gibt, das man entdecken kann:
20
Kaufmann, Jean-Claude (2004): Der Morgen danach. Wie eine Liebesgeschichte beginnt. Konstanz: UVKVerl.-Ges. (Edition discours,36), vgl. S. 182f
21
Weber, Max (1922): Wirtschaft und Gesellschaft
22
Kaufmann,Jean-Claude (1999a): Das verstehende Interview. [Theorie und Praxis].Konstanz: UVK Univ.Verlag Konstanz (Edition discours), S.12
23
ebd.: S. 13 und S.19
Seite | 47
„Für mich ist das Banale wesentlich, es gibt keinen Gemeinplatz, der es nicht verdiente, sich
über ihn Gedanken zu machen. Das Besondere an der Banalität besteht darin, dass alle sie
kennen und gleichzeitig ignorieren, nur das darüber wissen wollen, was sie schon wissen,
also ziemlich wenig.“ 24
Für Kaufmann war die Funktionsweise von Liebe ein solches Phänomen, das seiner Meinung
nach einer genaueren Beleuchtung bedurfte. Dabei war es zunächst nötig, das Thema
einzugrenzen. Den „Morgen danach“ sah Kaufmann als besonders geeignet an, da hier die
verschiedenen konstitutiven Elemente der Liebe ins Spiel kommen. Trotz der Reichhaltigkeit
hatte dieser Gegenstand den Vorteil, dass er sich zeitlich und örtlich leicht abgrenzen ließ.
Außerdem bietet der „Morgen danach“ einen präzisen Kontext, der es der Untersuchung
erlaubte in die Tiefe zu dringen und gleichzeitig die Gefahr der Abschweifung und
Verzettelung umging.
Hinzu kommt nun das Finden der richtigen Ausgangsfragen. Hilfreich kann hier die Empirie
sein, was jedoch stets viel Erfahrung erfordert. Deshalb ist es besser, eine Idee im Kopf zu
haben, welche man dann als Leitlinie verwenden kann. Dabei benötigt das verstehende
Interview nicht allzu viele Ausgangsfragen, vielmehr entwickeln sie sich im
Forschungsprozess selbst.
3.2. Explorative Phase In der sich nun anschließenden explorativen Phase geht es erst einmal darum, sich
Hintergrundwissen anzulesen. Dabei kann man beispielsweise nach neuem Wissen suchen,
das so noch nicht behandelt wurde oder aus Analogien zu anderen Kontexten weitere
Forschungsanreize finden. Anzumerken sei hier, dass es Kaufmann wichtig ist, nicht zu viel
Zeit für die Lektüre zu verwenden, da sich eine klare Problemdefinition erst im
Forschungsprozess ergibt und es nur darum gehen sollte, auf dem aktuellen Wissensstand
bezüglich dieses Themas zu sein.
Für die Untersuchung „Der Morgen danach“ suchte Kaufmann beispielsweise in Literatur
und Film nach entsprechenden Schlüsselszenen. Er fand heraus, dass der „Morgen danach“
nur einen Nischenplatz in der Literatur einnimmt. Zudem verharrte die Kamera lange auf
dem Moment des Erwachens, der kurzen Verwirrung und dem improvisierten Frühstück.
Ausschlaggebend für diese Art der Darstellung ist die Tatsache, dass der „Morgen danach“
vor allem eine visuelle Sinneserfahrung ist.
Im Anschluss an das Einlesen und Einarbeiten in das Thema, kommt es zur Ausarbeitung der
Untersuchungsinstrumente und des Interviewleitfadens sowie einer vorläufigen Gliederung,
die im Laufe der Untersuchung immer wieder modifiziert wird.
24
Korsmeier,
Antje
(2007):
Der
Alltagsversteher.
Gefunden
im
world
wide
web:
www.taz.de/1/leben/alltag/artikel1/der-alltagsversteher/?src=SE&cHash=dc6be..., aufgerufen am 05.01.2009
Seite | 48
3.3. Forschungsinstrumente Den ersten Schritt in dieser Phase bildet die Stichprobenziehung, die Kaufmann als weniger
wichtiges technisches Instrument ansieht. Dabei ist nicht so sehr die Repräsentativität
entscheidend als vielmehr die korrekte Konstruktion des Forschungsgegenstandes, die
Geschichte des Individuums und eine gute Auswahl der Informanten. Unterschiede bezüglich
des Alters, oder auch der Herkunftsfamilien sollten eine Garantie für die Vielfältigkeit der
gesammelten Erfahrungen sein.
Das Instrument des Interviewleitfadens ist als flexible Orientierungshilfe gedacht, wobei man
sich im Vorfeld nur wenige, präzise Fragen überlegen sollte. Als besonders wichtig sieht
Kaufmann die erste Frage an, da diese für das weitere Gespräch tonangebend sein kann.
Diese kann durchaus zentral sein, da hier die anfängliche Offenheit ausgenutzt werden kann,
ehe sich der Befragte auf bestimmte Antworten festlegt. Im Idealfall entsteht eine
Gesprächsdynamik, welche den Leitfaden unnötig macht.
Kaufmann wählte bei seinen Befragungen zum „Morgen danach“ einen sehr frei gestalteten
Einstieg. Die Personen hatten die Möglichkeit, spontan von dem zu berichten, was ihnen als
erstes in den Sinn kam. Es folgten dann sehr präzise Fragen, um der Erinnerung dabei zu
helfen, Gestalt anzunehmen.
4. Prämissen der Interviewführung Die Interviewführung selbst ist eine Kunst, die zum einen auf handwerklichem Können, zum
anderen auf Spontaneität und Einfühlungsvermögen basiert. Erreicht werden soll ein
intensiver Austausch zwischen Interviewer und Befragtem, so dass die wesentlichen
Aussagen ans Tageslicht kommen. Im Idealfall ähnelt der Gesprächston einer Unterhaltung
zwischen zwei Gleichberechtigten, ohne dass jedoch der Forscher seine neutrale Position
verliert. Dabei muss dem Interviewer ein schwieriger Balanceakt gelingen, denn in der
Wahrnehmung des Gegenübers muss er Unbekannter und Vertrauensperson zugleich sein.
Durch die Garantie der sozialen Folgenlosigkeit der Angaben und die vertraute Nähe zu
jemandem, dem man alles sagen zu können glaubt, wächst die Chance tief in die Welt der
befragten Person, „mit ihrem Wertesystem, ihren Ordnungsschemata, ihren auffälligen
Besonderheiten, ihren Stärken und Schwächen“25 vorzudringen. Sowieso darf sich der
Fragende nie mit dem bloßen sammeln und zusammentragen von Daten zufrieden geben,
sondern muss stets versuchen zum „kognitiven Inneren“26 seines Gesprächspartners
durchzustoßen und dessen Motivationen und Einstellungen nachzuvollziehen - tief schürfen
lautet die Prämisse des Forschers. Genau aus diesem Grund ist das Finden der richtigen Frage
im passenden Moment von herausragender Bedeutung beim Gelingen eines guten Interviews.
Die ideale Frage aber findet der Interviewer nicht im aufgestellten Leitfaden, sondern er muss
sie aus dem eben Gehörten ableiten, eine Herausforderung, die nicht immer gelingt. Dann ist
Kaufmann,Jean-Claude (1999a): Das verstehende Interview. [Theorie und Praxis].Konstanz: UVK Univ.Verlag Konstanz (Edition discours), S.75
26
ebd.:. S.76
25
Seite | 49
es ratsam sich der Technik des Nachhakens zu bedienen oder sogar eine Pause einzulegen,
um Zeit zum Nachdenken zu bekommen. Kleinere Unterbrechungen während des Interviews
befürwortet Kaufmann ohnehin, da sie eine Möglichkeit darstellen, um zu prüfen, ob im
bisherigen Gespräch auch nichts Wichtiges vergessen wurde.
Im Übrigen lehnt er – im Gegensatz zu herkömmlichen Vorstellungen – die völlige
Neutralität des Fragenden ab. Zwar muss sich dieser jeglicher Moralvorstellungen und
Vorurteilen entledigen, aber es ist nicht wünschenswert, dass sich der Interviewer lediglich
auf das Fragen stellen beschränkt. Er soll ruhig auch einmal grinsen, lachen oder
Komplimente machen, denn „nur in dem Maße, in der er sich selbst einbringt, wird sich auch
der andere einbringen und sein tiefstes Wissen nach außen tragen“27.
5. Die Konstruktion von Wirklichkeit Wichtig zu wissen ist, dass der Soziologe im Gespräch mit dem Einzelnen nicht nur einen
Einblick in dessen individuelles Universum erhält, sondern dass sich ihm darüber hinaus ein
Blick auf das Gesellschaftliche auftut. Erklärbar ist dies mit der Konstruktion von
Wirklichkeit. Nach Norbert Elias ist das Individuum eine Art Konzentrat der
gesellschaftlichen Welt28, weil es über die Sozialisation wesentliche Gesellschaftselemente
verinnerlicht, die dann später in einzelnen Aussagen immer wieder durchscheinen. Ihnen gilt
es nachzuspüren und sie in Abschweifungen, Versprechern oder plötzlichem Abstreiten
aufzudecken.
6. Theoriebildung
Nachdem die Schritte der Vorbereitung und Interviewführung vom Forscher sorgfältig
ausgeführt wurden, kommt die Phase der Theoriebildung.
Diese besteht zunächst daraus, das gesammelte Material zu transkribieren und auszuwerten,
wobei Karteikarten als besonders hilfreich gelten, da man hier direkte Beobachtungen und
spontane Ideen augenblicklich festhalten kann. Der Forscher muss sich hierbei größte Mühe
geben zwischen den Zeilen zu lesen, praktisch auf jedes einzelne Wort zu achten, da gerade
vermeintliche Banalitäten und Wiederholungen äußerst aufschlussreich sein können. Zudem
müssen die Hypothesen ständig überarbeitet werden, wobei der Forscher sich der
permanenten Entdeckung verpflichten sollte. Es muss ebenfalls darauf geachtet werden, dass
der Forscher zwar in die Personen hinein fühlt, dabei aber seine eigenen Emotionen in den
Hintergrund stellt.
Im nächsten Schritt kommt es dann zur eigentlichen Theoriebildung. In einem ständigen Hin
und Her zwischen Fakten und Hypothesen und einer ständigen Konfrontation von lokalem
Wissen (direkte Beobachtungen) und globalem Wissen (allgemeine Interpretationsmodelle)
kommt es hierbei zu einer schrittweisen Ausarbeitung der Theorie. Diese entsteht aus dem
aktiven Willen des Forschers sowie aus seiner Passivität und toleranten Offenheit. Demnach
27
28
ebd.: S.77f
vgl. ebd.: S.87f
Seite | 50
besteht eine ideale Verknüpfung dann, wenn von einem beobachteten Tatbestand
ausgegangen wird und dieser mit einer zentralen Hypothese in Verbindung gebracht werden
kann.
Was nun folgt, ist die Interpretation. Sie basiert zunächst auf der Subjektivität des Forschers,
aber gleichzeitig hängt die Objektivität von dieser Subjektivität ab. Dies bedeutet, dass sich
das persönliche Empfinden des Forschers aus einem konkreten Analyseraster ableitet, auf
dessen Grundlage dann die objektive Konstruktion des soziologischen Gegenstandes erfolgt.
Kaufmann betont immer wieder, wie wichtig es ist die Dinge zu überdenken und zu
überprüfen, denn „bedauerlich ist nicht, irgendwann eine missbräuchliche Interpretation
geliefert zu haben, sondern sich mit ihr zufrieden gegeben und ohne weitere Prüfung an ihr
festgehalten zu haben.“29
7. Die Arbeit beenden
Das Ende der Arbeit kündigt sich dadurch an, dass dem Forscher nichts Neues mehr auffällt,
woraufhin das gesättigte Material überprüft werden muss und versucht wird, die Ereignisse
auf die Allgemeinheit anzuwenden. Es sei jedoch angemerkt, dass es zu jedem Zeitpunkt
dazu kommen kann, dass sich neue Aspekte eröffnen oder bisher Eindeutiges wieder
verworfen wird. Nach und nach muss sich der Forscher nun von seinem Gegenstand lösen, so
dass es zur Objektivierung kommen kann und der Gegenstand ganz für sich alleine steht und
spricht.
Die Niederschrift ist dann ein letzter Schritt beim Objektivierungsprozess. Dabei müssen die
innere Struktur und der innere Aufbau die Qualität des Verknüpfungen und
Argumentationslinien garantieren. Am Ende müssen die Konzepte geschlossen werden,
wodurch der Forscher die von ihm aufgestellten Hypothesen als „seine Wahrheit“ festsetzt,
die in dieser Form dann der Leserschaft präsentiert werden.
Literatur: Kaufmann, Jean-Claude (1999): Das verstehende Interview. [Theorie und Praxis].Konstanz:
UVK Univ.-Verlag Konstanz (Edition discours)
Kaufmann, Jean-Claude (2004): Der Morgen danach. Wie eine Liebesgeschichte beginnt.
Konstanz: UVK-Verl.-Ges. (Edition discours,36)
Korsmeier, Antje (2007): Der Alltagsversteher. Gefunden im world wide web:
www.taz.de/1/leben/alltag/artikel1/der-alltagsversteher/?src=SE&cHash=dc6be...,
aufgerufen
am
05.01.2009
29
vgl. ebd.: S.136
Seite | 51
Seite | 52
Das Experteninterview
Florian Bopp, Florian Steinbach
1. Das Experteninterview als eigenständige Methode Obwohl sich Experteninterviews hoher Beliebtheit erfreuen (vor allem aufgrund etlicher
forschungspraktischer Gründe) werden sie in vielen Lehrbüchern der qualitativen
Sozialforschung werden gar nicht oder nur kurz erwähnt, wodurch deutlich wird, dass das
Experteninterview als eine abgrenzbare und eigenständige Methode innerhalb des
qualitativen Paradigmas keineswegs allgemein anerkannt ist. Bogner/Menz nennen hierfür
drei Gründe: zum einen die „Tatsache, dass Experteninterviews den üblichen „qualitativen“
Anforderungen nach Offenheit und Nicht-Beeinflussung des Interviewpartners häufig nicht
entsprechen“ (Bogner/Menz 2005a, S.20). Des Weiteren ist festzuhalten, dass es das
Experteninterview aufgrund der Vielfalt dessen, was gewöhnlich unter dem Begriff
Experteninterview subsumiert wird, nicht gibt: „Das Spektrum reicht von quantitativ
orientierten Verfahren über Konzeptualisierungen des Experten als eine Art von
Informationslieferant bis hin zu dem theoretisch anspruchsvollen, dezidiert qualitativ
orientierten Ansatz von Meuser und Nagel“ (Bogner/Menz 2005a, S.20). Als dritten Grund
führen
die
Autoren
schließlich
die
„vergleichsweise
wenig
ausgeprägte
theoretischmethodologische Fundierung dieser Erhebungsform“ an, die besonders dadurch
deutlich wird, dass es kaum Versuche gibt, das Experteninterview zu begründen
(Bogner/Menz 2005a, S.20).
Um zu klären, wann überhaupt von Experteninterviews gesprochen werden kann, sind
folgende Fragen zu betrachten: Was ist ein Experte bzw. was zeichnet ihn aus? Was ist
Expertenwissen? Wie lässt sich das Experteninterview als eigenständige Interviewform
begründen, welche sich von anderen Formen des qualitativen Interviews abgrenzt? Zunächst
werden aber drei Formen des Experteninterviews vorgestellt.
1.1 Formen des Experteninterviews
In der Methodendebatte um das Experteninterview lassen sich drei Formen unterscheiden:
das explorative, das systematisierende und das theoriegenerierende Experteninterview (vgl.
Bogner/Menz 2005b, S.37ff).
Werden Experteninterviews zur Exploration durchgeführt, so dienen sie dazu, sich in einem
neuen Forschungsfeld einen ersten Überblick zu verschaffen. Dies gilt sowohl für quantitativ
als auch für qualitativ orientierte Forschungsvorhaben, wobei explorative Interviews helfen
sollen, das Untersuchungsgebiet zu strukturieren und Hypothesen zu generieren. Da der
Schwerpunkt eines explorativen Experteninterviews im Bereich der thematischen Sondierung
liegt, sollte das Gespräch vorab in einem Leitfaden strukturiert werden, um zu gewährleisten,
dass die interessierenden Themen auch angesprochen werden. Im Unterschied zu den beiden
anderen Formen wird beim explorativen Interview nicht auf Vergleichbarkeit,
Vollständigkeit und Standardisierbarkeit der Daten abgestellt.
Seite | 53
Das Ziel des systematisierenden Experteninterviews ist die systematische und lückenlose
Informationsgewinnung, wobei von besonderem Interesse „das aus der Praxis gewonnene,
reflexiv verfügbare und spontan kommunizierbare Handlungs- und Erfahrungswissen“ der
Experten ist (Bogner/Menz 2005b, S.37). Üblicherweise erfolgt die Erhebung mithilfe eines
ausdifferenzierten Leitfadens und die thematische Vergleichbarkeit der Daten steht im
Vordergrund. Festzuhalten ist an dieser Stelle auch, dass es sich bei systematisierenden
Experteninterviews nicht notwendigerweise um offene, qualitative Interviews handeln muss.
Als theoriegenerierend schließlich bezeichnen Bogner/Menz diejenige Form des
Experteninterviews, das von Meuser/Nagel begründet und entwickelt worden ist
(Bogner/Menz 2005b, S.38). Der Experte dient nun nicht mehr nur dazu, sachdienliche
Informationen zu gewinnen, sondern „das theoriegenerierende Interview zielt im
Wesentlichen auf die kommunikative Erschließung und analytische Rekonstruktion der
„subjektiven Dimension“ des Expertenwissens“ (Bogner/Menz 2005b, S.38). Die in einem
theoriegenerierenden Experteninterview erhobenen subjektiven Handlungsorientierungen und
Entscheidungsmaximen bilden den Ausgangspunkt der Theoriebildung, wobei „eine
theoretisch gehaltvolle Konzeptualisierung von (impliziten) Wissensbeständen, Weltbildern
und Routinen angestrebt wird“ (Bogner/Menz 2005b, S.38).
1.2 Der Begriff des Experten
Bogner/Menz identifizieren drei Zugänge zur Bestimmung des Experten, welche sie als
voluntaristischen, als konstruktivistischen und als wissenssoziologischen Expertenbegriff
bezeichnen (vgl. Bogner/Menz 2005b, S.40ff). Der voluntaristische Expertenbegriff zielt
darauf ab, dass jeder Mensch mit besonderen Informationen und Fähigkeiten, die er zur
Bewältigung seines Alltags benötigt, ausgestattet ist, so dass prinzipiell eigentlich alle
Menschen Experten wären, nämlich Experten ihres eigenen Lebens. An dieser Perspektive
wurde allerdings kritisiert, dass ein solches Alltagswissen auch durch narrative oder
problemzentrierte Interviews abgefragt werden kann.
Der konstruktivistische Expertenbegriff hebt hingegen auf die Mechanismen der
Zuschreibung der Expertenrolle ab, wobei ein methodisch-relationaler und ein sozialrepräsentationaler Ansatz unterschieden werden. Dem methodisch-relationalen Ansatz
zufolge ist jeder Experte das Konstrukt eines Forschungsinteresses, d.h. „der Expertenstatus
wird in gewisser Weise vom Forscher verliehen“ (Meuser/Nagel 2005, S.73). Als Experte
wird Meuser/Nagel zufolge angesprochen „wer in irgendeiner Weise Verantwortung trägt für
den Entwurf, die Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlösung oder wer über
einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen oder
Entscheidungsprozesse verfügt“ (Meuser/Nagel 2005, S.73). Für die Forschungspraxis ergibt
sich aus diesem Ansatz, dass Experten auch auf niederen Hierarchieebenen zu finden sind
und nicht immer die leitenden Personen einer Organisation auch die gesuchten Experten sein
müssen. In eine ähnliche Richtung wie Meuser/Nagel zielt auch Michaela Pfadenhauer,
indem sie in einer Zuspitzung der Definition von Meuser/Nagel diejenigen Personen als
Experten bezeichnet, „die über privilegierte Informationszugänge verfügen und – darüber
Seite | 54
hinaus – für den Entwurf, die Implementierung und/oder die Kontrolle von Problemlösungen
verantwortlich (zu machen) sind“ (Pfadenhauer 2005, S.117).
Dem sozial-repräsentationalen Ansatz zufolge ist diejenige Person ein Experte, die
gesellschaftlich zum Experten gemacht wird, also in der sozialen Realität als Experte
angesehen wird. Allerdings ist anzumerken, dass die Unterscheidung in einen methodischrelationalen und einen sozial-repräsentationalen Ansatz vor allem von analytischem Wert ist,
denn wer Experte ist, „definiert sich in der Forschungspraxis immer über das spezifische
Forschungsinteresse und die soziale Repräsentativität des Experten zugleich“ (Bogner/Menz
2005b, S.41).
Als besonders einflussreich in der Debatte um das Experteninterview gilt die
wissenssoziologische Definition des Experten. Zum einen wurde die Debatte schon früh von
Vertretern der Wissenssoziologie initiiert und geprägt und zum anderen ist dies der
„paradigmatischen Orientierung derjenigen geschuldet, die das theoriegenerierende
Experteninterview als eine besondere Form des qualitativen Interviews begründet haben“
(Bogner/Menz 2005b, S.41). Aber auch hier liegt kein einheitlicher Expertenbegriff vor,
wobei allerdings Einigkeit darüber besteht, dass sich ein Experte durch die spezifische
Struktur seines Wissens auszeichnet.
1.3 Das Expertenwissen
Bezüglich des Expertenwissens unterscheiden Bogner/Menz drei Dimensionen (technisches
Wissen, Prozesswissen und Deutungswissen), während Meuser/Nagel eine Abgrenzung
treffen zwischen Betriebs- und Kontextwissen.
Das technische Wissen, das sich z.B. durch fachspezifische Anwendungsroutinen
auszeichnet, ist der Wissensbereich, wo ein spezifischer Wissensvorsprung des Experten
vorliegt und besitzt den Charakter von Fachwissen in einem engeren Sinne. Das
Prozesswissen hingegen ist das praktische Erfahrungswissen aus dem Handlungsfeld des
Experten, dass dieser z.B. durch Informationen über Handlungsabläufe erwirbt, an denen er
direkt beteiligt ist oder über die er genauere Kenntnisse besitzt (Bogner/Menz 2005b, S.43).
Deutungswissen, welches im theoriegenerierenden Experteninterview erhoben werden soll,
beinhaltet die subjektiven Relevanzen, Sichtweisen, Interpretationen und Regeln des
Experten. Expertenwissen als Deutungswissen wird dabei durch die Datenerhebung und
Auswertungsprinzipien gewissermaßen hergestellt, so dass in einem solchen Sinn „das
Expertenwissen immer eine Abstraktions- und Systematisierungsleistung des Forschers, eine
„analytische Konstruktion“ ist“ (Bogner/Menz 2005b, S.44).
Die Unterscheidung in Betriebs- und Kontextwissen, die Meuser/Nagel treffen, ist
forschungslogisch motiviert, da Meuser/Nagel je nachdem, ob das Forschungsinteresse dem
Betriebs- oder dem Kontextwissen gilt, einen unterschiedlichen Aufwand bezüglich der
Auswertung betreiben (Meuser/Nagel 2005, S.74). Falls die Experten die Zielgruppe der
Untersuchung bilden und die Interviews darauf angelegt sind, dass die befragten Experten
Auskünfte über ihr eigenes Handlungsfeld geben, bezeichnen Meuser/Nagel dieses
Erfahrungswissen der Experten als Betriebswissen. Falls die Experten aber eine zur
Seite | 55
Zielgruppe komplementäre Handlungseinheit repräsentieren und die Gespräche somit die
Aufgabe haben, dem Forscher Informationen über die Handlungsbedingungen der Zielgruppe
zu liefern, so bezeichnen Meuser/Nagel dieses Erfahrungswissen der Experten als
Kontextwissen. Geht es um die Erhebung von Kontextwissen, so bilden Experteninterviews
nur eine Datenquelle neben anderen, z.B. neben Interviews mit der Zielgruppe
(Meuser/Nagel 2005, S.75)
1.4 Wie lässt sich das Experteninterview als eigenständige Methode begründen?
Wie bereits erwähnt ist das Experteninterview auch heute innerhalb des qualitativen
Paradigmas als eine abgrenzbare und eigenständige Erhebungsmethode keineswegs
allgemein anerkannt und daher werden nun kurz drei Argumentationen skizziert, warum es
sich beim Experteninterview durchaus um eine eigenständige Methode handelt.
Meuser/Nagel grenzen Experteninterviews dadurch von anderen qualitativen
Interviewformen ab, dass in Experteninterviews nicht die Gesamtperson den Gegenstand der
Analyse bildet, sondern ein spezifischer organisatorischer oder institutioneller
Zusammenhang, „der mit dem Lebenszusammenhang der darin agierenden Personen gerade
nicht identisch ist und in dem sie nur einen „Faktor“ darstellen“ (Meuser/Nagel 2005, S.73).
Für Pfadenhauer bietet sich, anknüpfend an ihre Definition des Experten (s. o.), das
Experteninterview vor allem dann als Instrument zur Datenerhebung an, „wenn die
exklusiven Wissensbestände von Experten im Kontext ihrer (letzt-)verantwortlichen
Zuständigkeit für den Entwurf, die Implementierung und die Kontrolle von Problemlösungen
Gegenstand des Forschungsinteresses sind“ (Pfadenhauer 2005, S.117). Pfadenhauer plädiert
dabei dafür „nur jene Gesprächsform als Experteninterview zu bezeichnen, die sich auf die
Kurzformel ´auf gleicher Augenhöhe reden´ bringen lässt“ (Pfadenhauer 2005, S.117). Dies
bedeutet, dass die Besonderheiten der Interaktionsverhältnisse im Experteninterview, welche
es vom Interviewer verlangen selbst zu einem Quasi-Experten zu werden, um ein
erfolgreiches Interview zu führen, das zentrale konstitutive Merkmal von Experteninterviews
darstellen.
Für Bogner/Menz ist der Experte aufgrund der Tatsache forschungsrelevant, dass er über die
Möglichkeit verfüge, seine besonderen Deutungen in der Praxis durchzusetzen, wodurch die
Handlungsbedingungen anderer Akteure mitstrukturiert werden und das Expertenwissen
insofern die Dimension sozialer Relevanz aufweist. Mit einer ausführlichen Definition30
machen Bogner/Menz deutlich, „dass das theoriegenerierende Experteninterview auf die
Rekonstruktion und Analyse einer spezifischen Wissenskonfiguration zielt“ und für die
Autoren daher auch methodisch nicht auf ein qualitatives Interview mit einer besonderen
sozialen Gruppe zu reduzieren ist (Bogner/Menz 2005b, S.46)
30
Siehe Anhang
Seite | 56
2. Interviewsetting31
Wie bereits angeführt, lässt sich das Experteninterview vor allem aufgrund der besonderen
Art der Gesprächsführung von anderen Interviewformen abgrenzen. Dabei soll die auch für
viele Experten ungewohnte Kommunikationssituation eines Interviews so normalisiert
werden, dass der Gesprächspartner in eine ihm möglichst vertraute Gesprächssituation
versetzt wird, so dass ein „quasi-normales“ Gespräch mit dem Experten geführt wird
(Pfadenhauer 2007, S.453).
Allgemein kann man festhalten, dass sich die Kommunikation unter Experten der gleichen
Fachrichtung durch Merkmale wie thematische Fokussierung oder den Gebrauch von
Fachbegriffen auszeichnet, so dass das Anliegen für Experteninterviews für Pfadenhauer
darin besteht – sofern das Erkenntnisinteresse den unter Experten als relevant geltenden
Sachverhalten gilt – ein Interviewsetting zu erzeugen, dass der unter Experten üblichen
Gesprächssituation möglichst nahe kommt (Pfadenhauer 2007, S.454). Um dies zu
gewährleisten, muss der Interviewer ebenfalls den Status eines Experten erlangen, indem er
vor dem Interview ein hohes Maß an thematischer Kompetenz erwirbt und sich möglichst
viel von dem Sonderwissen aneignet, das der Experte in einem langjährigen Prozess
erworben hat.
Bogner und Menz analysieren die besondere Interaktionsstruktur im Experteninterview unter
dem Aspekt der dem Interviewer zugeschriebenen Kompetenzen, wobei sie sechs Typen von
Zuschreibungen identifizieren32: der Interviewer kann als Co-Experte, als Experte einer
anderen Wissenskultur, als Laie, als Autorität, als Kritiker oder als Komplize wahrgenommen
werden.
Im Gegensatz zu Pfadenhauer kommen Bogner/Menz zu dem Schluss, dass es „nicht immer
die Selbstdarstellung als „Co-Experte“ sein wird, die gewöhnlich als die einzig ertragreiche
gilt“, sondern vielmehr können Kompetenzzuschreibungen gezielt provoziert und damit für
das eigene Untersuchungsinteresse strategisch genutzt werden (Bogner/Menz 2005b, S.61).
Bogner und Menz empfehlen sogar, dem Experten gewisse Anhaltspunkte zu bieten (z.B.
durch das Offenlegen der eigenen Position), damit der befragte Experte sich eine Meinung
über den Interviewer bilden kann. Das bei qualitativen Interviews vertretene Ideal des
neutralen Interviewers wird damit natürlich in Frage gestellt, wobei gerade in
Experteninterviews den befragten Personen in der Regel bewusst ist, dass sich der
Interviewer mit dem Thema der Untersuchung intensiv auseinandergesetzt hat und sich auch
eine eigene Meinung zum Thema gebildet hat, so dass Neutralität im Experteninterview für
Bogner/Menz letztlich unglaubwürdig bleibt (Bogner/Menz 2005b, S.64).
31
Auf die im Referat angesprochenen möglicherweise auftretenden Interaktionseffekte wird an dieser Stelle nicht
eingegangen, sondern auf das Handout zum Referat bzw. Vogel 1994, S. 79 – 82 verwiesen.
32
Ausführlich siehe Handout bzw. Folien zum Referat und Bogner/Menz 2005b, S. 50 – 60
Seite | 57
3. Das Experteninterview als leitfadengestütztes Interview33
Trotz allen Streits um das Experteninterview besteht in der Literatur doch ein Konsens darin,
dass unter einem Experteninterview ein Leitfadeninterview zu verstehen sei, wobei
insbesondere für rekonstruierende Untersuchungen Leitfadeninterviews als das am besten
geeignete Instrument gelten, da über den Leitfaden sichergestellt werden soll, dass alle für die
Rekonstruktion des Expertenwissens bzw. die Rekonstruktion eines sozialen Prozesses
benötigten Informationen erhoben werden (Gläser/Laudel 2006, S.112). Die
leitfadenorientierte Gesprächsführung wird dabei sowohl dem thematisch begrenzten
Interesse des Forschers am Experten als auch dem Expertenstatus des Befragten gerecht,
denn während der zur Konstruktion des Leitfadens notwendigen Vorarbeit erwirbt der
Interviewer eine thematische
Kompetenz, die es idealerweise ausschließt, dass er sich während des Gesprächs als ein
inkompetenter Gesprächspartner darstellt. Außerdem schließt eine Orientierung am Leitfaden
auch aus, dass sich das Interview in Themen verliert, die nichts mit der Sache zu tun haben.
Insofern gewährleistet gerade der Leitfaden die Offenheit des Gesprächs, da sich der Forscher
durch die Arbeit am Leitfaden mit den anzusprechenden Themen vertraut macht, was
wiederum die Voraussetzung für eine lockere und unbürokratische Interviewführung darstellt
(Meuser/Nagel 2005, S.78). Allerdings sollte der Leitfaden keineswegs als zwingendes
Ablaufmodell des Gesprächs, sondern flexibel gehandhabt werden.
4. Auswertung34
Da beim Experteninterview nicht der Einzelfall, sondern das gemeinsam geteilte Wissen der
Experten (also die fachübergreifenden Relevanzstrukturen der Experten) das Ziel der Analyse
sei, haben Meuser/Nagel anhand ihrer Forschungsarbeiten eine Auswertungsstrategie
entwickelt, deren Besonderheiten kurz dargestellt werden. Das Ziel bei der Auswertung von
Experteninterviews ist es – im Gegensatz zur Einzelfallanalyse – „im Vergleich mit anderen
ExpertInnentexten
das
Überindividuell-Gemeinsame
herauszuarbeiten,
Aussagen
Repräsentatives, über gemeinsam geteilte Wissensbestände, Relevanzstrukturen,
Wirklichkeitskonstruktionen, Interpretationen und Deutungsmuster zu treffen“
(Meuser/Nagel 2005, S.80). Mithilfe eines thematischen Vergleichs der Interviewtexte sollen
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Aussagen der Experten festgestellt werden,
welche dann durch typische Äußerungen dokumentiert werden. Die Auswertung von
Experteninterviews orientiert sich also an thematischen Einheiten, d.h. an inhaltlich
zusammengehörigen, über die unterschiedlichen Texte verstreuten Passagen. Die Aussagen
der Experten erhalten dabei ihre Bedeutung aus dem Kontext ihrer institutionellorganisatorischen Handlungsbedingungen und nicht von daher an welcher Stelle des
33
Eine ausführliche Darstellung zum Einsatz des Leitfadens in Experteninterviews und der damit verbundenen
Anforderungen (Konstruktion, Formulierung von Fragen, etc.) geben Gläser und Laudel (Gläser/Laudel 2006, S. 107ff)
34
Eine ausführliche Darstellung der von Meuser und Nagel entwickelten sechs Auswertungsschritte (Transkription,
Paraphrase, Überschriften, Thematischer Vergleich, Soziologische Konzeptualisierung, theoretische Generalisierung) siehe
Meuser/Nagel 2005, S. 83 – 91
Seite | 58
Interviews sie fallen, d.h. die Sequenzialität der Äußerungen im Interview spielt keine Rolle.
Die Vergleichbarkeit der Texte wird durch den gemeinsam geteilten institutionellorganisatorischen Kontext der befragten Experten sowie durch die leitfadenorientierte
Gesprächsführung gesichert (Meuser/Nagel 2005, S.81).
Anhang
Definition des Begriffes des Experten von Bogner/Menz:
„Der Experte verfügt über technisches, Prozess- und Deutungswissen, das sich auf
sein spezifisches professionelles oder berufliches Handlungsfeld bezieht. Insofern
besteht das Expertenwissen nicht allein aus systematisiertem, reflexiv
zugänglichen Fach- oder Sonderwissen, sondern es weist zu großen Teilen den
Charakter von Praxis- oder Handlungswissen auf, in das verschiedene und
durchaus disparate Handlungsmaximen und individuelle Entscheidungsregeln,
kollektive Orientierungen und soziale Deutungsmuster einfließen. Das Wissen des
Experten, seine Handlungsorientierungen, Relevanzen usw. weisen zudem – und
das ist entscheidend – die Chance auf, in der Praxis in einem bestimmten
organisationalen Funktionskontext hegemonial zu werden, d.h. der Experte besitzt
die Möglichkeit zur (zumindest partiellen) Durchsetzung seiner Orientierungen.
Indem das Wissen des Experten praxiswirksam wird, strukturiert es die
Handlungsbedingungen anderer Akteure in seinem Aktionsfeld in relevanter
Weise mit.“ (Bogner/Menz 2005b, S.46)
Literatur:
Bogner, Alexander/Menz, Wolfgang (2005a): Expertenwissen und die Forschungspraxis: die
modernisierungstheoretische und die methodische Debatte um die Experten. Zur
Einführung in ein unübersichtliches Problemfeld, in: Bogner, Alexander/Littig,
Beate/Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview, Theorie, Methode, Anwendung,
2. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Bogner, Alexander/Menz, Wolfgang (2005b): Das theoriegenerierende Experteninterview.
Erkenntnisinteresse, Wissensformen, Interaktion, in: Bogner, Alexander/Littig, Beate/
Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview, Theorie, Methode, Anwendung, 2.
Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Gläser, Jochen/Laudel, Grit (2006): Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse. Als
Instrumente rekonstruierender Untersuchungen, 2. durchgesehene Auflage, VS Verlag für
Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Meuser, Michael/Nagel, Ulrike (2005a): ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig
bedacht. Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion, in: Bogner, Alexander/Littig,
Beate/ Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview, Theorie, Methode, Anwendung,
2. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Pfadenhauer, Michaela (2005): Auf gleicher Augenhöhe reden. Das Experteninterview – ein
Gespräch zwischen Experte und Quasi-Experte, in: Bogner, Alexander/Littig, Beate/
Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview, Theorie, Methode, Anwendung, 2.
Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Pfadenhauer, Michaela (2007): Das Experteninterview. Ein Gespräch auf gleicher
Augenhöhe, in: Buber, Renate/Holzmüller, Hartmut (Hrsg.): Qualitative Marktforschung.
Konzepte, Methoden, Analysen, Gabler, Wiesbaden
Trinczek, Rainer (2005): Wie befrage ich Manager? Methodische und methodologisch
Aspekte des Experteninterviews als qualitativer Methode empirischer Sozialforschung, in:
Bogner, Alexander/Littig, Beate/ Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview,
Theorie, Methode, Anwendung, 2. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Seite | 59
Vogel, Berthold (1994): „Wenn der Eisberg zu schmelzen beginnt…“. Einige Reflexionen
über den Stellenwert und die Probleme des Experteninterviews in der Praxis der
empirischen Sozialforschung, in: Brinkmann, Christian/Deeke, Axel/Völkel, Brigitte
((Hrsg.): Experteninterviews in der Arbeitsmarktforschung. Diskussionsbeiträge zu
methodischen Fragen und praktischen Erfahrungen (Beiträge zur Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung (Bd. 191), Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der
Bundesanstalt
für
Arbeit,
Nürnberg.
Seite | 60
Seite | 61
Die Arbeit mit dem Gruppendiskussionsverfahren
Anika Hopf, Hanna Maria Steber, Christine Steigberger, Johannes Huyer
Inhaltsverzeichnis
1. Planung einer Gruppendiskussion
1.1. Allgemeine Planung der Gruppendiskussion
1.2. Rekrutierung
1.3. Voraussetzungen an den Moderator sowie weiteres Personal
2. Durchführung
2.1.
Allgemeines zum Verlauf
2.2.
Die sechs Phasen der Durchführung
3. Die Auswertung der Gruppendiskussion
3.1.
Die Transkription
3.2.
Ebene der formulierenden Interpretation
3.3.
Ebene der reflektierenden Interpretation
3.4.
Ebene der Rekonstruktion der Diskursorganisation
4. Resümee
5. Literaturverzeichnis
6. Anhang
Seite | 62
1 Planung einer Gruppendiskussion Die Gruppendiskussion ist eine Erhebungsmethode der empirischen Sozialforschung, bei der
zum Einen die thematischen Aussagen einer Gruppe erfasst werden können, zum Anderen
aber auch die Kommunikation innerhalb der Gruppe analysiert werden kann. Ziel dieses
Verfahrens ist es, Individual-, Gruppen- oder darüber hinaus auch öffentliche Meinungen zu
erfahren. Des Weiteren stehen Meinungsbildungsprozesse sowie Gruppendynamiken im
Fokus.35 Damit einhergehend sind auch soziales Handeln, soziale Milieus, deutungs- und
handlungsgenerierende Strukturen ein wichtiger zu beachtender Aspekt der
Gruppendiskussion.36
Die nun beschriebene Anwendung des Gruppendiskussionsverfahrens stellt einen
idealtypischen Verlauf dar, der so in der Realität nur selten verwirklicht werden kann.
1.1. Allgemeine Planung der Gruppendiskussion Zu Beginn der Planung stellt sich die Frage, ob die Gruppendiskussion überhaupt das
geeignete Verfahren zur Beantwortung der Forschungsfrage ist und ob diese Methode
vielleicht mit anderen Verfahren kombiniert werden sollte. Dazu muss man sich über die
Vorteile (wie beispielsweise die Vielfalt an Informationen, das Hervorrufen latenter
Meinungen oder die alltagsnahe Gesprächssituation) und Nachteile (wie die Probleme durch
das Abschweifen vom Thema oder der Umgang mit Vielrednern und Schweigern) im Klaren
sein.37 Ein weiterer Schritt ist die Abklärung personeller und finanzieller Ressourcen: Wie
viele Menschen sollen an der Diskussion mitarbeiten? Wie hoch ist das finanzielle Budget,
das für Räumlichkeiten, technische Ausstattung und Aufwandsentschädigung ausreichen
muss?38 Als nächsten Punkt sollte man sich auf ein Design für die Gruppendiskussion
festlegen. Dabei ist es wichtig zu klären, welche Diskussionsteilnehmer für die
Gruppendiskussion geeignet sind, das heißt es muss geklärt werden, welche Voraussetzungen
und welches Wissen sie haben sollten, um zum Gelingen der Diskussion beitragen zu können.
Nach der genauen Formulierung des Diskussionsthemas, der Themenbereiche und eventuell
eines Leitfadens, der als Orientierung für den Moderator dient, wird in den letzten Schritten
der allgemeinen Planung der theoretische Aufbau der Gruppendiskussion fertig gestellt. So
ist zu klären, wie viele Personen teilnehmen sollen, um eine gute und aussagekräftige
Diskussion sicherzustellen. Diese Größe schwankt in der Praxis meist zwischen drei und
zwanzig Teilnehmern, sowohl kleine als auch große Gruppen haben ihre Vor- und Nachteile.
Hierbei spielt auch die jedem Teilnehmer zugebilligte Redezeit eine wichtige Rolle. Darüber
hinaus soll hier nun auch die Entscheidung reifen, wie viele Gruppendiskussionen
durchgeführt werden, um das oben festgelegte Ziel zu erreichen. Schließlich werden noch die
35
Vgl. Lamnek (2005): S. 69-77
Vgl. Mruck/Mey (2005): S.8
37
Vgl. Lamnek (2005): S. 84/85
38
Vgl. Loos (2008/2007): S.128
36
Seite | 63
letzten Rahmenbedingungen definiert, darunter Ort, Zeit und Raum. Immer mit dem
Hintergedanken, eine möglichst angenehme Diskussionsatmosphäre zu schaffen.39
Beispiel zur Veranschaulichung des Forschungsprozesses: Das vorrangige Ziel
dieser exemplarischen Gruppendiskussion ist die Erfassung der
Gruppenmeinung und des Meinungsbildungsprozesses zum Thema Praktika und
Berufseinstieg. Die genaue Forschungsfrage lautet: „Erleichtern Praktika den
Berufseinstieg? Gibt es Unterschiede in der Wahrnehmung von Personen aus
verschiedenen Studiengängen?“
An dieser Erhebung sollen sechs ehemalige Hochschulabsolventen teilnehmen,
die bereits in die Berufswelt eingestiegen sind. Die Diskussion findet am
Samstag, den 28.02.2009, um 14:00 Uhr im Hotel Linde im Konferenzraum 1
statt.
Im Leitfaden werden nur die wichtigsten Themenblöcke und Themenbereiche,
die in der Diskussion vorkommen sollen, festgehalten. Dabei gibt es keine
vorgegebene Reihenfolge, damit die Diskussion möglichst natürlich und
selbstständig verlaufen kann. Ein Beispielthemenblock: Praktikum
(positiv/negativ, Anzahl, verschiedene Bereiche, ...).
1.2 Rekrutierung Nach der Phase der allgemeinen Planung beginnt nun die Rekrutierung. Hierbei geht es
darum, sich auf eine bestimmte Gruppenzusammensetzung festzulegen. Eine wichtige Rolle
spielt die Differenzierung von heterogenen und homogenen Gruppen: Unterscheiden oder
gleichen sich Gruppenmitglieder im Bezug auf ein oder mehrere relevante soziale Merkmale?
Unter Gruppendiskussionsforschern gibt es Anhänger beider Varianten. Die einen schwören
auf die Vielfalt und Lebhaftigkeit der Diskussionen heterogener Gruppen. Die anderen sehen
in einem ähnlichen Weltbild sowie stereotypen existentiellen Hintergründen und Erfahrungen
eine wichtige Voraussetzung für eine gute Diskussion. Wichtig ist in beiden Fällen, dass die
Teilnehmer einen gewissen Bezug zum Diskussionsthema haben, also in irgendeiner Art und
Weise „betroffen“ sind.40 Neben heterogenen und homogenen Gruppen gibt es auch noch die
Unterscheidung zwischen Realgruppen, die in der sozialen Wirklichkeit bereits als Gruppe
existieren, und den Ad- hoc Gruppen, die aufgrund gemeinsamer Merkmale für die
Untersuchung zusammengestellt werden. Nach der Festlegung der Auswahlkriterien werden
konkrete Personen ermittelt und per Einladung benachrichtigt.41
Da die Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung der Personen aus verschiedenen
Studiengängen im Forschungsinteresse liegt, wurde entschieden, ehemalige
Studenten der Geistes- und Wirtschaftswissenschaften an der Diskussion
teilnehmen zu lassen. Dabei stellt sich die Frage, ob sie getrennt in jeweils
homogenen Gruppen oder zusammen in einer heterogenen Gruppe diskutieren
sollen. Da das Forschungsinteresse in den eventuell unterschiedlichen
Gruppenmeinungen und den Meinungsbildungsprozessen liegt, wurde eine
heterogen zusammengesetzte Teilnehmerrunde ausgewählt.
39
Vgl. Loos (2008/2007): S. 93, 109-111, 113, 128
Ebd: S. 104- 107, 128
41
Ebd: S. 107- 109, 128
40
Seite | 64
Außerdem wird es sich um eine Ad-hoc-Gruppe handeln, da Teilnehmer aus
unterschiedlichen Unternehmen und Universitäten eingeladen sind, die sich zum
ersten Mal in der Diskussionsrunde treffen werden.
1.3 Voraussetzungen an den Moderator sowie anderes Personal Ein nächster entscheidender Schritt ist die Auswahl des Moderators oder der Moderatoren.
Hierfür sollte zunächst klar festgelegt werden, wie stark sich der Moderator in die Diskussion
einmischen darf und ob er sie strukturieren soll. Die Rolle des Moderators ist mit einer
Vielzahl von Herausforderungen verbunden. Er muss Gruppenprobleme vorhersehen und
verstehen können. Darüber hinaus sollten kommunikative Fähigkeiten vorhanden sein, dass
heißt er sollte klar und präzise formulieren und paraphrasieren können. Er sollte ergänzend
offen für alle möglichen Äußerungen, Einstellungen und Verhaltensweisen sein, sowie
Humor und Freundlichkeit besitzen. Des Weiteren ist geduldiges Zuhören, gerade bei
eventuell unsinnigen Kommentaren, zwingend von Nöten. Ebenso sollte der Moderator einen
kompetenten, aber nicht arroganten Eindruck vermitteln, um Chaos in der Diskussion zu
verhindern, diese aber gleichzeitig nicht zu sehr zu regulieren. Seine wichtigste Aufgabe
besteht darin eine sanktionsfreie und offene Atmosphäre zu schaffen, in der sich jeder
ungezwungen äußern kann und will. Dabei ist auch eine Sachkenntnis von Nöten, die im
Idealfall zwischen der eines Laien und der eines Experten liegen sollte.42 Auch gilt es nun,
einen passenden Assistenten43 zu finden, der - eventuell zusammen mit technischem Personal
- den Moderator unterstützt. Im letzten Schritt der Planung einer Gruppendiskussion werden
Analysepläne aufgestellt sowie Auswertungsgegenstände und Analysemethoden festgelegt.
Der Moderator soll sich nur bei dringendem Bedarf in die Diskussion
einmischen. Er hat sich umfassend über das Thema informiert, ist aber kein
Experte. Weiteres Personal ist ein Assistent, der den Moderator unterstützt,
jedoch haben wir, aufgrund der finanziellen Möglichkeiten, kein technisches
Personal.
2. Durchführung 2.1. Allgemeines zum Verlauf Die Dauer einer Diskussion bewegt sich zwischen einer und zwei Stunden. Wichtig bei der
Durchführung ist die Herstellung einer gewissen Selbstläufigkeit, dass heißt aufgrund einer
„natürlichen“ Gesprächsrunde bestimmen die Diskussionsteilnehmer den Diskurs selbst.
Fragen vom Moderator sollten immer nur an die Gruppe gerichtet werden, nicht an einzelne
Teilnehmer. Auch sollen Fragestellungen nicht zu präzise formuliert werden, um mit der
Unschärfe den Teilnehmern die Möglichkeit zu bieten, sich den Teil der Frage, an den sie
anknüpfen möchten, selbst auszuwählen.44
Die ehemaligen Geistes- und Wirtschaftswissenschaftler sollen jeweils
abwechselnd sitzen, der Moderator und der Assistent an den jeweiligen Enden
42
Vgl. Loos (2008/2007): S. 141- 145
Ebd: S. 157 - 159
44
Ebd: S. 130 - 134
43
Seite | 65
des offenen Sitzkreises. Alle Teilnehmer sowie der Moderator und der Assistent
müssen von den Kameras erfasst werden (siehe Grafik auf dem Deckblatt).
2.2 Die sechs Phasen der Durchführung Für den Verlauf der Diskussion werden sechs Phasen unterschieden.45 Zu Beginn einer
Diskussion herrscht meist eine Phase der Fremdheit vor. Die Teilnehmer kennen sich
untereinander nicht, auch der Moderator sowie die Örtlichkeiten samt technischem
Equipment sind ihnen fremd. Man spricht deshalb von einer doppelten Fremdheit. Zur
Überwindung dieser Unsicherheiten eröffnet der Moderator die Vorstellungsrunde.46 Dabei
sollte er seine Rolle klar aufzeigen. Als Diskussionsleiter nimmt er selbst nicht an der
Diskussion teil. Des Weiteren sollte er nun auf die Freiwilligkeit der Teilnahme und die
Anonymisierung der Daten hinweisen. Das Einverständnis der Teilnehmer ist Voraussetzung
für die Aufzeichnung der Diskussion die für die Auswertung elementar ist. Bevor es mit der
eigentlichen Diskussion losgeht, sollten noch Kommunikationsregeln festgelegt werden. Die
Gruppendiskussion selbst wird durch einen Grundreiz in Schwung gebracht.47 Dieser kann
beispielsweise aus einem provokanten oder umstrittenen Statement, einem Zeitungsausschnitt
oder Ähnlichem bestehen.
Die Kommunikationsregeln für die Diskussion: Die Teilnehmer siezen sich und
bei Redewunsch ist keine Meldung von Nöten, aber es soll darauf geachtet
werden, dass jeder ausreden kann.
Als Grundreiz wird auf der Leinwand ein kurzer Film abgespielt, der zwei
verschiedene Szenen zeigt: Einerseits einen Praktikanten, der ausgenutzt,
schlecht behandelt und schlecht bezahlt wird. Zum anderen ein intensives und
lehrreiches Praktikum bei einer Firma, bei der der Praktikant direkt nach dem
Ende seiner Praktikumszeit eine Führungsstellung ausfüllen darf. Im Anschluss
an den Film bittet der Moderator die Gruppe um Stellungnahme zum Thema.
Daran schließt sich nun die Orientierungsphase an. Die Gesprächsteilnehmer lernen sich mit
Hilfe sozialstruktureller Merkmale, Verhalten und Kleidung kennen und beginnen, sich
anhand erster Äußerungen einzuschätzen. Des Weiteren werden hier erste Positionen
deutlich. Die Diskussionsteilnehmer suchen und finden Gemeinsamkeiten. Innerhalb der
Diskussion sollte jeder zu Wort kommen können und seine Meinung äußern, Dominanz einer
einzelnen Person ist jedoch zu vermeiden. Die Gruppendiskussion sollte im Idealfall geordnet
verlaufen, ohne dabei an Dynamik zu verlieren. Es sollte konstruktiv diskutiert werden, um
am Ende ein eindeutig gewichtetes Meinungsbild oder gar einen Konsens zu erhalten.
Da es in der Gruppendiskussion zu unsachlichen Äußerungen gekommen ist,
musste der Moderator eingreifen und die Teilnehmer an das Thema und die
Regeln erinnern, sowie zum Thema zurückführen
Als drittes folgt die Phase der Anpassung, das heißt es entwickelt sich ein Bedürfnis nach
45
Vgl. Loos (2008/2007): S. 134 - 140
Ebd: S. 144 - 149
47
Ebd: S. 149 - 151
46
Seite | 66
Homogenität und Zusammengehörigkeit der Statements und Argumente. Es wird also
versucht, sich auf frühere Äußerungen zu beziehen und sich inhaltlich anzupassen. Eng damit
verknüpft ist die Phase der Vertrautheit. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte sich jeder an der
Diskussion beteiligt haben. Nach und nach entsteht eine einheitliche Gruppenmeinung, keiner
versucht mehr abzuweichen, um Sanktionen der Gruppe zu vermeiden. Diese fünfte Phase
wird auch als Konformität bezeichnet, die in der Realität jedoch nicht immer eintritt.
Die Gruppe kommt zu dem Schluss, dass Praktika bei positivem Verlauf hilfreich sein können,
aber nicht zwangsläufig den Berufseinstieg erleichtern.
Zum Schluss klingt die Diskussion ab und ihre Intensität lässt nach. Die Teilnehmer beginnen
sich zu langweilen und die Konzentration sowie das Zuhören fallen schwer. Dies wird auch
als das Abklingen der Diskussion bezeichnet. Spätestens hier sollte die Diskussion definitiv
abgebrochen werden.
3. Die Auswertung der Gruppendiskussion 3.1. Die Transkription Nach der durchgeführten Gruppendiskussion steht noch ein großer Teil der Arbeit bevor,
nämlich die Auswertung. Hierbei liegt in der Ausgangssituation meist Videomaterial vor. Um
nun vom „Ereignis Gruppendiskussion“ zum auswertbaren Text zu gelangen, ist eine Reihe
von Reduktionsschritten nötig. Der erste Schritt, die Transkription, wird auch als Nadelöhr
des Forschungsprozesses bezeichnet. Dieser Verschriftlichungsprozess ist der entscheidende
Eingriff, auf den sich später alle weiteren Arbeitsschritte beziehen. Hierfür wird meist nur
noch das Tondokument verwendet. Nichts desto trotz herrscht immer noch ein Überfluss an
Informationen. Eine Schwierigkeit beim Transkribieren einer Gruppendiskussion besteht in
der Unterscheidung der Teilnehmerstimmen, die sich gerade bei wichtigen Passagen der
Diskussion überlagern. Bei der Verschriftlichung selbst können nun verschiedene
Variationen verwendet werden. Je nach Bedarf kann das Detaillierungsniveau angepasst
werden.48
Mm:
?w:
Also mir hat des Praktikum überhaupt nix genutzt, äh, wie soll ich sagen @außer
Kaffee gekocht@, hab ich net viel gemacht.
|ja, aber das war jaaa wohl net das Einzige.
Zur Vereinheitlichung gibt es hierfür so genannte Transkriptionsrichtlinien (siehe Anhang),
um gleichzeitiges Sprechen und Anderes allgemein gültig anzeigen zu können. Während der
Transkription findet auch die Anonymisierung der Personen und Ortsnamen oder Ähnlichem
statt. Im Anschluss daran stehen drei Interpretationsebenen an.
48
Vgl. Loos (2008/2007): S. 55 - 56
Seite | 67
3.2 Ebene der formulierenden Interpretation Angesprochene Themen werden in Überschriften zusammengefasst und Stellen mit hoher
interaktiver Dichte markiert. Diese thematische Feingliederung ist bereits eine Art
Interpretation, da hier beispielsweise die milieugebundene Sprache des Erforschten in die
milieugebundene Sprache des Forschers übersetzt wird. Auf dieser Ebene der thematischen
Interpretation wird zuerst nur auf den immanenten Sinngehalt geachtet, also auf die Dinge,
die direkt erfassbar sind, ohne Kenntnis über die Lebensumstände der Individuen zu haben.
3.3 Ebene der reflektierenden Interpretation Die zweite Ebene ist die der reflektierenden Interpretation. Hierbei geht es nun darum, wie
etwas gesagt wurde. Es kommen externe Vergleichshorizonte ins Spiel und Aussagen über
den dahinter stehenden Erfahrungsraum werden gemacht. Entscheidend ist nicht, wie
einzelne Gruppen ein bestimmtes Thema inhaltlich bewerten, sondern wie sie es behandeln.49
3.4 Ebene der Rekonstruktion der Diskursorganisation Als dritte Ebene wird die Rekonstruktion der Diskursorganisation bezeichnet. Hier wird nun
untersucht, inwieweit die Sprecher aufeinander Bezug nehmen. Es gibt verschiedene Rollen,
die innerhalb einer Gruppendiskussionsrunde eingenommen werden können, zum Beispiel
den Vortänzer oder den Resümierer. Dabei ist zu beachten, dass eine Gruppenmeinung auch
keine Summe von Einzelmeinungen ist, sondern das Produkt kollektiver Interaktionen. Die
einzelnen Sprecher haben also an ihrer Darstellung zwar in verschiedenem Umfang Anteil,
jedoch sind alle aneinander orientiert. Darüber hinaus wird hier zwischen der Ebene der
Kommunikation und der Ebene der Metakommunikation, also der Kommunikation über die
gerade stattfindende Kommunikation, unterschieden.50 Letztere zeigt sich zum Beispiel durch
Gestik oder Mimik.
Die Diskussionsteilnehmer spalten sich im Laufe der Diskussion deutlich
erkennbar nach ihrem ehemaligen Studienfach, es erfolgte also eine Trennung
von Geistes- und Wirtschaftswissenschaftler. Die beiden entstandenen Parteien
stellen sich in der Diskussion als jeweils „verschworener Haufen“ dar.
4. Resümee Nach der Beendigung eines Sozialwissenschaftlichen Verfahrens ist zu überlegen, inwiefern
die zu Beginn gesteckten Ziele erreicht werden konnten. Ebenso ist zu untersuchen, ob die
Vorteile des jeweiligen Verfahrens die vorhandenen Nachteile überwiegen konnten oder ob
ein anderes Verfahren ein besseres Ergebnis geliefert hätte.
49
50
Vgl. Loos (2008/2007): S. 63
Ebd: S. 64 - 66
Seite | 68
Literaturverzeichnis
Lamnek, Siegfried (2005): Gruppendiskussion. Theorie und Praxis. 2., überarb. u. erw. Aufl.
Weinheim, Basel/Stuttgart/Stuttgart: Beltz
Loos, Peter (2008/2007): Das Gruppendiskussionsverfahren. Theoretische Grundlagen und
empirische Anwendung. 2. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften
(Qualitative Sozialforschung, 5).
Mruck, Katja/Mey, Günter (2005): Qualitative Forschung. Eine Einführung in einen
prosperierenden
Wissenschaftszweig,
S.8
[http://hsr-trans.zhsf.unikoeln.de/hsrretro/docs/artikel/hsr/hsr2005_640.pdf zuletzt aufgerufen am 13.02.2009]
Anhang
Quelle: Loos (2008/2007): S. 57
Seite | 69
Entstehung der
Deutschland
Methode
der
Gruppendiskussion
(GD)
in
Arbeitsblätter von Sasa Bosancic
1. F. Pollock (1950): nicht-öffentliche Meinung
-
Frankfurter Schule / Kritische Theorie
-
Ausgangspunkt: Kritik an standardisierten Meinungsumfragen
-
Natürliche Gesprächssituation der GD lässt latente Meinungen aufkommen
2. Mangold (1960): informelle Gruppenmeinung
-
Frankfurter Schule, Sekundäranalyse zu Pollocks GD
-
Kritik: individuelle Meinungen können in GD nicht erfasst werden, sondern nur
Gruppenmeinung
3. Nießen (70er): situationsabhängige Gruppenmeinung
-
in Anlehnung an den Symbolischen Interaktionismus widerspricht er
Pollock und Mangold insofern er annimmt, dass die Gruppenmeinung in jeder
Handlungssituation neu ausgehandelt wird
50er bis 70er:
•
Emergenz-Paradigma
Ansicht, dass individuelle und kollektive Meinungen in Gruppendiskussionen
entstehen oder zum Vorschein kommen
ab den 80ern:
Repräsentanz-Paradigma
•
In GD kommen Einstellungen, Meinungen und Äußerungen zum Vorschein,
•
die Teil eines kollektiven Wissensvorrats sind
¾ Kollektive Orientierungsmuster (Bohnsack)
Seite | 70
Übersicht zur Gruppendiskussion
Gruppenprozesse
Informationsermittlung
Kollektive Deutungsmuster
Entstehungskontext
Sozialpsychologie,
Mikrosoziologie
Ab ~ 1930
Propaganda- und
Medienforschung
Ab ~ 1940
Interpretatives
Paradigma und
Wissenssoziologie
Ab ~1980
Vertreter
Lewin, Bales
Merton, Kendall
(focus groups)
Bohnsack, Loos, Schäffer
Ziele und
Merkmale
dynamische Gruppenprozesse
(Inhalt spielt keine Rolle)
Bspw. Meinungsführer,
Interaktionsprozessanalyse
- explorative Vorstudien für
quali. und quanti. Verfahren,
- Plausibilisierung von
Ergebnissen
- Produktevaluation
- milieuspezifisches Wissen
- konjunktiver Erfahrungsraum =
strukturidentische Erfahrungen
ÆRepräsentanz-Paradigma
Gruppen
homogen/heterogen
Æ (quasi-) experimentelle
Variation
Gruppen eher heterogen
(Meinungsvielfalt)
Gruppen eher homogen
Æ kollektive Orientierungsmuster
Anwendungsbereiche
Assesment-Center bei
Bewerbungen
Marktforschung
sozialwissenschaftliche Forschung
¾ Quelle: Eigene Darstellung nach Sasa Bosancic
Seite | 71
Die Inhaltsanalyse
Festlegung des Materials
Analyse der Entstehungssituation
Formale Charakteristika des Materials
Richtung der Analyse
Theoretische Differenzierung der Fragestellung
Bestimmung der Analysetechnik(en) und Festlegung des konkreten
Ablaufmodells
Definition der Analyseeinheiten
Analyseschritte mittels des Kategoriensystems
Zusammenfassung
Explikation
Strukturierung
Rücküberprüfung des Kategoriensystems an Theorie und Material
Interpretation der Ergebnisse in Richtung der Hauptfragestellung
Anwendung der inhaltsanalytischen Gütekriterien
Seite | 72
Die qualitative Inhaltsanalyse
Lydia Scharf, Dominik Wexenberger, Heike Frauenrath
Die qualitative Inhaltsanalyse Im folgenden Text wollen wir die Technik und Vorgehensweise der qualitativen
Inhaltsanalyse (IA) näher erläutern. Wir werden dies nicht theoretisch, sondern praktisch
exemplarisch an einem von uns gewählten Beispiel vornehmen. Natürlich wird unsere IA
nicht hundertprozentig genau und detailgetreu sein, da wir vor allem darauf bedacht sind ein
praktisches Beispiel zu schaffen, anhand man sich „langhangeln“ kann, wenn man eine
eigene IA machen muss. Wir werden bei unserem Beispiel die Strukturierung unseres
Thesenblattes von 16.01.2009 beibehalten, in dessen wir die theoretische Seite ausleuchten.
Über den Über den Zaun gestiegen
Von Oliver Hoischen
Auf Lampedusa sind die Flüchtlinge jetzt über den Zaun gestiegen. Und was machen die Insulaner? Die nehmen nicht Reißaus, wie
man hätte vermuten können, sondern
solidarisieren sich mit dem Zug der
Elenden, klatschen lauf Beifall. Und
Ministerpräsident Berlusconi? Der
verfällt in Zynismus, anstatt sich ein
Beispiel an seinen Landsleuten zu nehmen: Alles sei unter Kontrolle, die
See sei ja stürmisch, da könnten die
Flüchtlinge nicht weg. Vorsichtshalber haben die Behörden schon den Insel- Flughafen geschlossen – nicht auszudenken, wenn die Afrikaner auch
noch einen Flieger kaperten. So
schnell könnten die Gänse vor dem
Kapitol gar nicht schnattern. Aber im
Ernst: Die unhaltbaren Zustände auf
dem Lampedusa zeigen, dass die römische
Politik mit der Lage überfordert ist.
Innenminister Maroni von der Lega
Nord will die Flüchtlinge zwar stante
pede zurückschicken – doch gibt es
nur mit Ägypten ein entsprechendes
Abkommen. Langfristig bleibt nur
eins: Brüssel, bitte übernehmen Sie!51
1. Bestimmung des Ausgangsmaterials:
•
Festlegung des Materials
Wir
wollen
deutsche
Medienberichterstattung
(erschienen am 24. und 25. 01.2009) in Hinblick auf den
aktuellen Protest und Aufstand der Flüchtlinge und
Bevölkerung auf Lampedusa (Italien) untersuchen.
Hierfür wählen wir folgende Medien:
Wochenzeitung: Zeit, FAS, Bild am Sonntag
Tageszeitung: Süddeutsche, FAZ, Bild
Onlinemedien: heute.de, spiegel.de, stern.de
Unser Auswahlkriterium für die zu untersuchenden
Zeitungen sind: Auflagenstärke und Reichweite der
Medien in Deutschland (wir haben die drei führenden
Tageszeitungen, Wochenzeitungen und Onlinemedien
ausgewählt).
Es werden alle Materialien aus diesem Zeitraum
auswerten, d.h wir führten Vollerhebung durch
Für unser Beispiel haben wir einen Artikel aus der
FAS vom 25.01.2009 gewählt (siehe links).
•
Analyse der Entstehungssituation
Der Verfasser des Zeitungsartikels ist Oliver Hoischen und Mitarbeiter der FAS. Er ist vor
allem dafür zuständig die Geschehnisse in Osteuropa zu beobachten. 52
Die FAS möchte vor allem eine gebildete Leserschaft ansprechen. Die FAS beschreibt ihre
Leser selbst mit folgendem Slogan: „Gebildet, erfolgreich, einkommensstark.“53
51
Hoischen Oliver, in FAS vom 25.01.2009, Nr. 4
52
http://www.faz.net/s/RubD87FF48828064DAA974C2FF3CC5F6867/Doc~E2D108863ACEC4F31A56D5CF
8088EFBD7~ATpl~Ecommon~Scontent.html letzter Aufruf am 28.01.2009
Seite | 73
•
Formale Charakteristika des Materials
Der Zeitungsartikel ist am 25.01.09 in der FAS auf der Seite Meinungen erschienen. Auf
dieser Seite sind folgende Themen behandelt worden: Obama, Erbe Kaiser Willhelm der
Zweite, Rehabilitation der Piusbrüderschaft und eine neue Gesetzgebung in Bezug auf
Absprachen vor Gericht.
2. Fragestellung der Analyse •
Richtung der Analyse
Ziel der Analyse ist es etwas über den kognitiven Hintergrund des Kommunikators
herauszufinden, d.h. wir wollen etwas über den Bedeutungshorizont, Erwartungen, Interessen
und Einstellungen des Verfassers und vor allem der dahinter stehenden Zeitung heraus
finden. Da wir den Artikel in Zusammenhang eines Kommunikationsmodells deuten wollen,
ist es uns wichtig herauszufinden welche Wirkung der kognitive Hintergrund des
Kommunikators (Zeitung) auf den Empfänger (Leser) hat.
•
Theoriengeleitete Differenzierung der Fragestellung
Unser Beispielmaterial enthält einen Artikel über die Flüchtlinge auf Lampedusa. Es wäre
nun notwendig sich über den Flüchtlingskonflikt auf Lampedusa zu informieren. Weiterhin
würden wir empfehlen Studien über Meinungsbilder in Zeitungen über vergleichsweise
Konflikte und/oder über dieselben Akteure (Bsp. Studien über das Meinungsbild der
deutschen Medien von dem italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi) in die
Fragestellung einzubeziehen. Diese Vorgehensweise würde aber unseren Rahmen eines
exemplarischen Beispiels sprengen, weswegen wir an dieser Stelle darauf verzichten.
Fragestellung:
-
Wie wird die Flüchtlingspolitik in genauen Bezug auf den Protest der
Flüchtlinge am 24.01.09 von den Deutschen Medien beurteilt? (Hier in Bezug auf
Bsp. FAS)
-
Auf welche Art und Weise wird diese Meinung vermittelt
3. Festlegung eines konkreten Ablaufmodells Die Analyse wird in einzelne Interpretationsschritte zerlegt. Zunächst werden die
Analyseeinheiten festgelegt, dann folgt die Zusammenfassung des Textes in einer Tabelle. In
drei Reduktionsschritten (Paraphrase, Generalisierung und Reduktion) wird der Text in ein
Kategoriensystem abstrahiert. Innerhalb dieser Tabelle werden die Textstellen expliziert, die
durch die Zusammenfassung ihren Sinn verlieren würden und durch diese Methode nicht zu
fassen sind, zu erkennen ist der Satz an der rötlich unterlegten Zelle, alles was in der Tabelle
mit rot geschrieben ist (Generalisierung, Reduktion) ist an die die Explikation im folgenden
Teil anzuschließen und nur mit ihr zu verstehen. Nachdem wir unser Kategoriensystem
53
„Wo Werbung wirkt. Die Leserschaft der FAZ und Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. 2007/2008“
http://www.faz.net/dynamic/download/aboutus/Wo_Werbung_wirkt_2007_2008.pdf letzter Aufruf am
28.01.2009
Seite | 74
erstellt haben, werden wir eine Strukturierung vornehmen (Kategorien definieren und
Ankerbeispiele finden) und für sie jeweils ein Ankerbeispiel raus geschrieben. Zum Schluss
wird das herausgefilterte Kategoriensystem am Zeitungsartikel überprüft und bei Bestehen
auch an weiteren Zeitungsartikeln über die gleiche Thematik angewendet, um zu schauen
inwieweit das Kategoriensystem Allgemeingültigkeit besitzt.
• Analyseeinheiten
Unsere Kodiereinheit ist ein Satz des Zeitungsartikels. Unsere mögliche Kontexteinheit ist
der gesamte Artikel, jedoch wird wohl kaum Ergebnis der IA sein, dass wir nur eine
Kategorie für den gesamten Text ermitteln. Da es die Intention unsere IA ist, ein Beispiel zu
schaffen, haben wir den mittleren Teil des Zeitungsartikels herausgenommen und zwar
folgenden Anschnitt: „Vorsichtshalber…, da können die Flüchtlinge nicht weg“54 Dies
bedeutet, dass wir als Auswertungseinheiten, zunächst den ersten Abschnitt und dann den
zweiten Abschnitt auswerten werden.
4. Zusammenfassung Auf der folgenden Seite (Seite 4) wird mittels Zusammenfassung ein Kategoriensystem
gebildet. Zellen die bei der Generalisierung frei bleiben werden später bei der Explikation
analysiert.
Satz
Auf Lampedusa sind die
Flüchtlinge jetzt über den
Zaun gestiegen
Und was machen die
Insulaner?
Die
nehmen
nicht
Reißaus, wie man hätte
vermuten
können,
sondern
solidarisieren
sich mit dem Zug der
Elenden, klatschen laut
Beifall.
Und
Ministerpräsident
Berlusconi?
Der verfällt in Zynismus,
anstatt sich ein Beispiel
an seinen Landsleuten zu
nehmen:
Alles sei unter Kontrolle,
die See sei ja stürmisch,
da
könnten
die
Flüchtlinge nicht weg
Aber im Ernst: Die
unhaltbaren Zuständen
auf Lampedusa zeigen,
dass die römische Politik
54
Nr
.
1
Paraphrase
Generalisierung
Reduktion
Auf Lampedusa Flüchtlinge
jetzt über Zaun gestiegen
2
Und Insulaner?
Illegale
Flüchtlingsbewegung
auf Lampedusa
Rhetorische Frage
K1:
Situationsbeschreib
ung Flüchtlinge:
- illegale
Handlungen
3
Lampeduser nehmen nicht
Reißaus, sonder aktive
Solidarisierung durch
Demonstration mit
Flüchtlingen
Lampeduser
solidarisieren durch
Demonstrationen
aktiv mit
Flüchtlingen
Und Ministerpräsident
Berlusconi?
Der zerfällt in Zynismus,
anstatt Beispiel an Landsleuten
Rhetorische Frage
4
5
6
Alles sei unter Kontrolle, die
See stürmisch, Flüchtlinge
könnten nicht weg
7
Aber im Ernst: unhaltbare
Zustände auf Lampedusa
zeigen, römische Politik
überfordert
Zynismus Berlusconi
und keine
Solidarisierung mit
Flüchtlingen
Untätigkeit
italienische
Regierung unter
Begründung alles
unter Kontrolle zu
haben
Überforderung
italienischer
Regierung mit
unhaltbaren
K2:
Situationsbeschreib
ung
Lampeduser
- aktive
Solidarisierung
- Demonstrationen
K3:
Situationsbeschreib
ung italienische
Regierung
- Überforderung
- Zynismus
- Untätigkeit
- keine
Flüchtlingshilfe
K4:
Situationsbeschreib
ung
Allgemein
Hoischen Oliver, in FAS vom 25.01.2009
Seite | 75
mit der Lage überfordert
ist.
Innenminister
Maroni
von der Lega Nord will
Flüchtlinge zwar stante
pede zurückschicken –
doch gibt es nur mit
Ägypten
ein
entsprechendes
Abkommen.
Langfristig bleibt nur
eins:
Brüssel,
bitte
übernehmen Sie!
Umständen
8
9
Innenminister Maroni will
Flüchtlinge sofort
zurückschicken, doch nur mit
Ägypten Abkommen
Keine Möglichkeit
Flüchtlinge zurück zu
schicken, da keine
Abkommen mit
anderen Ländern
außer Ägypten
Langfristig nur eins: Brüssel
übernehmen Sie!
Handlungsübernahme
Europäische Union
- unhaltbare
Umstände
K5:
Handlungsmöglich
keiten italienische.
Regierung
- Zurückschicken
durch Abkommen
mit anderen
Ländern
- Europäische
Union
5. Explikation Exemplarisch haben wir den Satz 3: „Die nehmen nicht Reißaus, wie man hätte es vermuten
können, sondern solidarisieren sich mit dem Zug der Elenden, klatschen laut Beifall.“
gewählt. Dieser Satz wird bei einer Zusammenfassung zur Unkenntlichkeit abstrahiert,
sodass wir den Satz so umformen müssen, dass er seinen Sinn beibehält und dieser sich dann
weiter generalisieren und reduzieren lässt.
Zu einem muss deutlich werden wer mit „Die“ gemeint ist: Aus dem Zusammenhang des
Artikels lässt sich auf die Lampeduser schließen. Als nächstes „der Zug der Elenden“, hiermit
sind die Flüchtlinge gemeint. Bei „klatschen laut Beifall“ schließen wir unter Einbezug von
weiteren Informationsquellen (Heute- Nachrichten) auf eine aktive Solidarisierung und
Protestbewegung der Bevölkerung auf Lampeduser. Aus diesen Veränderungen ergibt sich
nun folgender Satz:
Lampeduser nehmen nicht Reißaus, wie man hätte vermuten können, sondern
solidarisieren sich durch Demonstrationen aktiv mit den Flüchtlingen.
Weitere Schritte (Generalisierung, Reduktion) folgen nun in der Tabelle (siehe oben kursive
unterlegte Schrift)
6. Strukturierung K1: Situationsbeschreibung Flüchtlinge
Definition: Unter „Situationsbeschreibung eines Flüchtlings“ fassen wir jegliche Handlung,
Widrigkeit und Umstand, die dem Handeln und Verhalten der Flüchtlinge auf Lampeduser
zugeschrieben wird.
Ankerbeispiel: „[..] über den Zaun gestiegen“
K2: Situationsbeschreibung Bewohner Lampeduser
Definition: Unter die „Situationsbeschreibung der Bewohner auf Lampeduser“ fassen wir
jegliche Handlung, Widrigkeit und Umstand, die den Bewohnern zugeschrieben wird.
Ankerbeispiel: „[…], sondern solidarisieren sich […]“
K3: Situationsbeschreibung italienische Regierung
Definition: Unter „Situationsbeschreibung der italienischen Regierung“ gehört jeglicher
Umstand und Verhaltensweise, die der Regierung aktiv oder passiv zugeschrieben wird.
Ankerbeispiel: „[…] die römische Politik mit der Lage überfordert ist.“
Seite | 76
K4: Situationsbeschreibung Allgemein:
Definition: Unter die Kategorie „Situationsbeschreibung Allgemein“ fällt jegliche Handlung,
Widrigkeit und Umstand, die nicht im speziellen auf K1, K2 und K3 zutrifft. Sie fasst die
Flüchtlingsproblematik im übergreifenden Kontext und betrifft mind. zwei Parteien.
Ankerbeispiel: „Die unhaltbaren Umstände auf Lampedusa […]“
K5: Handlungsmöglichkeiten italienische Regierung
Definition: Die Kategorie „Handlungsmöglichkeiten der italienischen Regierung“ bezeichnet
die aktiven Tätigkeiten, die der Regierung zur Lösung der Flüchtlingsproblematik
zugeschrieben werden, so auch zukünftige Handlungsmöglichkeiten und von dritten (auch
außen stehenden Parteien) vorgeschlagene.
Ankerbeispiel: „Langfristig bleibt nur eins: Brüssel, bitte übernehmen Sie!“
7. Ausblick Der Zeitungsartikel ist mit Ironie, Anspielungen und Metaphern durchzogen, wodurch diese
herkömmliche IA nicht ausreicht, um den vollen Inhalt des Artikels zu erfassen. Wir würden
für das weitere Vorgehen zusätzliche Verfahren empfehlen. Zum Beispiel eine
Stilmittelanalyse (rhetorische Fragen „Und Ministerpräsident Berlusconi?“) und/ oder
Metapheranalyse55 („Zu der Elenden“). Zusätzliche Notwendigkeit von anderen Verfahren ist
nicht auszuschließen.
Hat man nun alle Analyseschritte durchlaufen und sein Kategoriensystem aufgestellt, so muss
dieses an dem Artikel nochmalig überprüfen und nachdem dies erfolgreich abgeschlossen
wurde, kann das Kategoriensystem an weiteren Artikeln angewendet werden - dabei wird es
stets überprüft, erweitert und ausgebaut. Wichtig zu beachten ist, dass das Kategoriensystem
zu jeder Zeit am Material überprüft und diesem angepasst werden muss. In einer
inhaltsanalytischen Arbeit sind diese Arbeitsschritte nachvollziehbar offen zu legen.
Verwendete Literatur: Hoischen Oliver, in FAS vom 25.01.2009 Nr. 4
Mayring, Phillip (2007): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 9. Aufl. Weinheim,
Basel
„Wo Werbung wirkt. Die Leserschaft der FAZ und Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
2007/2008“ http://www.faz.net/dynamic/download/aboutus/Wo_Werbung_wirkt_2007_2008.pdf
Weiterführende Literatur: Flick, Uwe; von Kardorff, Ernst; Keupp, Heiner; von Rosenstiel, Lutz; Wolff, Stephan (1991):
Handbuch qualitativer Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen.
Psychologie Verlags Union. München
Flick, Uwe (2002): Handbuch Qualitativer Sozialforschung. Eine Einführung. Rowohlt Taschenbuch
Verlag GmbH, Hamburg
Lammnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung, BeltzPVU, 2005
55
zur Metaphernanalyse - die sich ideal mit der Inhaltsanalyse kombinieren lässt: Schmieder, Christian: Die
Spermien und das Meer: Metaphernanalyse als qualitative Methode., Jg. 2007. Online verfügbar unter
http://www.metaphorik.de/aufsaetze/schmieder-spermienundmeer.pdf. [Abruf: 02.02.2009]
Seite | 77
Seite | 78
Kodieren nach der GTM (grounded theory methodology)
Autoren: Daniel Hauber, Jochen Karnetzky, Jan Üblacker
Kodieren ist eine zentrale Analysemethode der Grounded Theory Methodologie (GTM), nach
Anselm L. Strauss und Barney Glaser. Die Methode meint das Zuweisen von Schlüsselwörtern,
auch Codes oder Kategorien genannt, zu einzelnen Textstellen. Kodiert werden können fast alle
Daten die in Textform vorliegen, beispielsweise narrative Interviews, Beobachtungsprotokolle
oder Buchrezessionen. Bevor wir jedoch detailliert auf die Methode des Kodierens eingehen,
muss der Begriff der GTM erläutert werden, da sie die Grundlage darstellt.
Eine treffende Definition der GTM zu erstellen ist jedoch alles andere als leicht, da die Ansichten
der Gründer Anselms L. Strauss und Barney Glaser mit der Zeit auseinander gingen, wobei
natürlich jeder für sich in Anspruch nimmt die bessere Weiterentwicklung entworfen zu haben.
GTM zu übersetzen stellt sich als schwierig heraus, in der Literatur findet sich aber häufiger die
Übersetzungen als „begründete Theorie“, „in empirischen Daten gegründete Theorie“ oder
„gegenstandsbezogene Theorie“
Bezeichnend für die GTM als qualitative Methode ist der zeitgleiche Ablauf von Datenerhebung,
Datenanalyse und Theoriebildung, die drei Arbeitsschritte sind nicht wie im klassischen Ansatz
zeitlich voneinander getrennt, sondern bilden ein Geflecht der gegenseitigen Beeinflussung und
Abhängigkeit. Die Entwicklung einer Theorie bedarf der ständigen Auseinandersetzung mit den
Daten und muss mehrmals neu überdacht und umgeschrieben werden.
Gleiches gilt für die Datengewinnung. Hier kommt es darauf an, im Sinne des Theoretischen
Samplings, die Datenerhebung nicht vorab nach einem bestimmten Prinzip festzulegen, sondern
an den allgemeinen Stand der Theoriebildung anzugleichen. Ob zum Beispiel die nächste
Datenerhebung nach maximaler oder minimaler Kontrastierung abläuft muss der Forscher selbst
entschiden und anhand seiner bisherigen Daten begründen. Starre Vorgaben zur Datenerhebung
im Sinne einer echten Zufallsstichprobe sind bei der GTM undenkbar. Abgeschlossen ist der
Prozess des theoretischen Samplings wenn die theoretische Sättigung eintritt. Theoretische
Sättigung bezeichnet den Punkt an dem durch weitere Datenerhebung keine weiteren
Erkenntnisse mehr erbracht werde. Die Entscheidung die Datenerhebung abzubrechen ist
selbstverständlich äußerst subjektiv und muss gut begründet werden
Im Sinne der interpretativen Sozialforschung sehen Strauss und Glaser den Forscher als
subjektiven Interpretierenden und nicht ls objektiven (bzw. intersubjektiv nachvollziehbaren)
Beobachter. Sie betonen die Wechselwirkung zwischen Forscher und Daten und die subjektiven
Einflüsse weshalb von Anhängern nomologisch‐deduktiver Forschungsansätze häufig das
wissenschaftliche Kriterium der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit der Forschung in Fage
gestellt wird.
Seite | 79
Während Datenerhebung‐ und analyse den Anschein erwecken keinen festen Regeln zu folgen,
legen Strauss und Glaser großen Wert auf das Schreiben von Memos. Memos dienen als
Erinnerungshilfe und sind jegliche Form von Gedanken, Hypothesen, Theorieansätzen,
Diskussionen, weiterführenden Gedanken oder Kommentaren zum Text, die der Forscher notiert.
Memos dienen zum Beispiel dazu die Nachvollziehbarkeit der Forschung zu gewährleisten, da
der Denkprozess des Forschers rekonstruiert werden kann. Besondere Beachtung verdient das
Schreiben von Theorie‐Memos. Jegliche Ideen bezüglich einer Theorie, die sich später eventuell
noch als brauchbar herausstellen könnten werden notiert und im Verlauf der Forschung
weiterentwickel, angeglichen, umgebaut, verworfen etc. Dieser Prozess ist handfester Bestandteil
der Theoriebildung. Es ist wichtig, dass der Forscher schnell die Angst oder Abneigung verliert
jeden seiner Gedanken, und seien es noch so kleine Details, zu notieren und später noch einmal
zu begutachten. Da der Forscher beim Kodieren meist in Gruppen arbeitet dienen Memos gerade
hier auch zur Gewährleistung der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit und zur Koordination
innerhalb der Gruppe. Ergebnisse von Gruppensitzungen sollten auch in Memos festgehalten
werden. Man kann sagen, dass Memos im Laufe der Forschung immer spezieller werden.
Anfangs macht sich der Forscher grobe Gedanken über den Forschungsgegenstand, im späteren
Verlauf kommen dann konkrete Gedanken zu Kategorien, später zum axialen oder selektiven
Kodieren (dazu mehr im Hauptteil).
Wie bereits oben angesprochen hat sich ein Bruch zwischen den Entwicklern der GTM Anselm
L. Strauss und Barney Glaser ergeben. Während die Beiden 1967 noch gemeinsam das Werk
„The Discovery of Grounded Theory“ veröffentlichten, entwickelten sie bald darauf eigene
Varianten der GTM. Strauss argumentierte in erster Linie in der qualitativ‐interpretativen
Tradition der Chicago School, während Glaser, Schüler der Columbia School, eher
kritisch‐rationalistisch und quantifizierend argumentierte.
Sichtbar werden die Unterschiede besonders im Umgang mit Kodes. Hier steht der Entwurf des
Kodierparadigmas von Strauss gegen den Entwurf der Kodierfamilien von Glaser. Wichtig bei
der Entscheidung für einen Entwurf ist die Frage nach dem Umgang mit Vorwissen. Glaser
kritisiert, dass Strauss' Kodierparadigma dazu führt, dass der Forscher sich auf seine
„Lieblingskategorie“ beschränkt und eventuell wichtige Nebenkategorien übersieht.
Strauss' Entwurf stellt eine Handlungsanweisung dar und dreht sich um das „Phänomen“, dass in
der Mitte steht, dann wird dieses Phänomen anhand von W‐Fragen zu Ursachen, Strategien,
Konsequenzen, Bedingungen und Kontext untersucht.
Dem steht Glasers Entwurf der Kodierfamilien gegenüber. Er nennt zahlreiche theoretische
Konzepte derer sich der Forscher beim Kodieren bedienen soll:
C‐Familien: Ursachen, Konsequenzen, Korrelationen, Bedingungen
Prozess‐Familien: Ausmaß, Grad, Intensivität, Niveau, Grenzwert, kritischer Wert
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Typen‐Familien: Typen, Klassen, Genres, Klassifikationen
Strategie‐Familien: Strategie, Taktik, Techniken, Mechanismen, Management
Interaktions‐Familien: Beziehungen, Wechselwirkungen, Symmetrie, Rituale
Identitäts‐Familien: Identität, Selbstkonzept, Identitätswandel, Fremdbilder
Kultur‐Familien: Nomen, Werte, sozial geteilte Einstellungen
Konsens‐Familien: Kontrakt, Übereinstimmung, Situationsdefinition, Konformität, Homogenität
Mainlinie‐Familien:
soziale
Kontrolle,
Übereinstimmung,
Sozialisation,
Organisation,
Institution. Zu Recht haben diese vorgegebenen Kategorien den Anschein eines bereits
konstruierten Gerüstes, was nach Glaser jedoch einen großen Vorteil seines Ansatzes darstellt.
Der Prozess des Kodierens
Nachfolgend werden wir das eigentliche Vorgehen beim Kodieren näher beschreiben. Da wir der
Meinung sind das es genug komplizierte Literatur zum Thema bereits gibt, haben wir uns dazu
entschieden das ganze anhand von Beispielen zu erklären. Dabei gehen wir zwar in einer
gewissen Reihenfolge vor, d. h. zuerst das offene Kodieren, dann das axiale Kodiere und zuletzt
das selektive Kodieren, jedoch muss auch hier gesagt werden, dass man diese Vorgänge nicht
klar voneinander trennen kann und auch nicht sollte! Im Anhang ist der gesamte Text zu finden,
aus dem wir die nachfolgenden Beispiele entnommen haben.
Offenes Kodieren
Beim offenen Kodieren wird der Text nach und nach „aufgebrochen“, sozusagen Wort für Wort
und Zeile für Zeile analysiert. Das Ziel ist es hier Kategorien im Text zu finden, dabei sollte man
nicht zögerlich vorgehen, da man Kategorien die sich im Nachhinein als weniger nützlich im
Sinne der Forschung erweisen ganz einfach wieder entfernt bzw vernachlässigt werden können.
Folgendes Beispiel soll das Vorgehen des Forschers exemplarisch beschreiben.
„Ich habe das Buch aus Spaß geschenkt bekommen, denn nie im Leben hätte ich
Geld dafür ausgegeben.“
„Ich“ beschreibt den Selbstbezug, es handelt sich zweifelsfrei um eine Rezension und die
Meinung des Autors ist dafür von Bedeutung. „aus Spaß“ ist ein erster wichtiger Anhaltspunkt.
Es verweist darauf, dass man dem Autor so ein Buch scheinbar nicht „im Ernsten“ schenken
kann. Es muss sich um einen Scherz seitens des Schenkenden handeln. Vielleicht versucht sich
der Autor dadurch etwas von dem Buch zu distanzieren? Immerhin hat er es auch nur „geschenkt
bekommen“, wie er betont. Ist die Art des Erwerbs dieses Buches für eine Rezension wirklich von
Bedeutung? Und wenn ihm jemand so etwas aus Spaß schenkt, dann muss dieser jemand doch
eigentlich auch vermuten, dass der Autor Spaß daran hätte, in welcher Weise auch immer. So
lässt sich hier vermutlich die Kategorie „Spaß/Unterhaltung“ errichten. Weiterhin betont er, dass
er „nie im Leben“ etwas dafür bezahlen würde, womit auch wieder Distanz zum Titel aufgebaut
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wird, sogar in besonders extremer Art und Weise. Wie man sieht wiederholen sich hier bereits die
Verhaltensstrategien des Autors, womit man auch schon eine Kategorie eröffnen kann, nämlich
die der „Distanzierung“, unter dieser könnte man diese beiden Phänomene „aus Spaß“ und „nie
im Leben“ zusammenfassen. Wie man nun sieht kann ein Phänomen auch unter mehre
Kategorien fallen, solche Phänomene bieten oft einen besonders guten Ansatz für das axiale
Kodieren. Im weiteren Verlauf des Textes versucht der Forscher nun diese Kategorie mit
Phänomenen aus dem Text zu sättigen und wenn nötig, auch in Subkategorien aufzugliedern.
Beispielsweise, wenn sich der Autor der Rezension nicht nur von dem Buch an sich distanziert,
sondern auch von dem Autor dieses Buches oder Ähnlichem.
Nach diesem Vorgehensschema wird nun jeder Satz des Textes analysiert und der Forscher
versucht Kategorien aus den gefunden Phänomenen zu generieren. Diese lassen sich durch die
Anwendung des Kodierparadigmas bzw. der Kodierfamilien noch zunehmend strukturieren. Wie
man bereits bei dem Beispiel gemerkt hat ist es kaum möglich die Kategorien bei näherer
Betrachtung genau von einander zu distanzieren, dies ist auch gar nicht gewollt, denn genau
dieser Zusammenhang bringt den Forscher zum axialen Kodieren.
Axiales Kodieren
Beim axialen Kodieren wird vermehrt mit den im offenen Kodieren erzeugten Kategorien
gearbeitet. Es wird nun versucht diese zueinander in Verbindung zu setzen und somit ein
engmaschiges Netz zu erzeugen. Die Analyse dreht sich sozusagen um die Achse der jeweiligen
Kategorie. Das Ziel des axialen Kodierens ist die Erzeugung einer Schlüsselkategorie. Um es
etwas verbildlicht auszudrücken könnte man, das die Schlüsselkategorie diejenige Kategorie ist,
die in dem engmaschigen Netz an Kategorien die meisten Verbindungsstellen aufweist. Auch
diese Phase wollen wir wieder mit einem Beispiel aus dem Text untermauern.
„Zumindest, wenn man sich immer vor Augen führt, dass Bushido nicht der
Ghetto‐Typ ist, für den er sich ausgibt. Damit sind die Geschichten schon super
lustig.“
In diesem Teil des Textes entdeckt man sofort wieder die Kategorie „Spaß/Unterhaltung“ durch
die Phrase „schon super lustig“. Im Laufe der fortschreitenden Analyse wurde im Text noch die
Kategorie „Wahrheitsgehalt“ generiert. Phänomene wie „für den er sich ausgibt“ oder die
Verwendung des Wortes „Geschichten“ im Kontext einer Biografie lassen darauf schließen. Dies
sind die beiden Kategorien mit denen man jetzt anfängt axial zu kodieren. Man versucht sie also
in Verbindung zueinander zu setzen. Die Textstelle bietet hierfür einen besonders guten
Ansatzpunkt. „Damit“ verweist auf eine Bedingung, man könnte hier auch ein „dadurch“ oder
ein „deswegen“ einsetzen und hätte dieselbe Bedeutung. In Einbezug des ganzen Satzes stellt sich
somit eine Kausalbeziehung zwischen dem „Wahrheitsgehalt“ dessen für was Bushido sich
ausgibt und dem „Unterhaltungswert“, den der Rezensionsautor dem Buch abgewinnen kann,
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her. Im weiteren Verlauf könnte man am Text untersuchen inwiefern es sich hierbei um einen
positiven oder negativen Zusammenhang hadelt, also ob man sagen kann „je weniger Wahrheit,
desto mehr Unterhaltung“ oder „je mehr Wahrheit, desto mehr Unterhaltung“. Ein weiteres
Beispiel für axiales Kodieren liefert der folgende Satz aus dem Fazit des Autors:
„Mit einer gewissen Distanz lesen und bloß nicht alles glauben.“
Hier benutzt der Autor selbst das Wort „Distanz“, wieder ein Verweis auf die gleichnamige
Kategorie. Gleichzeitig verweist der Autor im Imperativ mit „bloß nicht alles glauben“ auf den
mangelnden Wahrheitsgehalt, ebenfalls eine bereits benannte Kategorie. Hier kann man jetzt
axial Kodieren in dem man die Hypothese aufstellt, dass es dem Autor leichter fällt, sich von den
Ereignissen im Buch, oder dem Buch als Gesamten zu distanzieren, wenn der Wahrheitsgehalt
eher mangelhaft ist. Das würde also bedeuten: „Je weniger Wahrheit, desto mehr Distanz“.
So werden alle beim offenen Kodieren gefunden Kategorien durchgearbeitet bis man eine
gewisse Sättigung erreicht hat. Die Kategorie die sich anschließend als zentral herausstellt ist die
Schlüsselkategorie, wie genau man erkennt welche Kategorie das ist kann unterschiedlich sein.
Unter Anderem ist sie auszumachen über die Anzahl der Phänomene im Text, die dieser
Kategorie zugeordnet werden können oder über die Art und Stärke der Zusammenhänge mit
anderen Kategorien. Natürlich kann es ebenso sein, dass mehre Kategorien zusammengefasst die
Schlüsselkategorie ergeben. Als Schlüsselkategorie im Beispieltext, der auch im Anhang zu
finden ist, stellte sich die Kategorie „Spaß/Unterhaltungswert“ heraus. Sie tritt relativ oft im Text
auf und lässt sich auch durchgehend mit anderen Kategorien in Verbindung bringen, was auch
schon stark dem Vorgehen beim selektiven Kodieren entspricht.
Selektives Kodieren
Beim selektiven Kodieren wird die gefundene Schlüsselkategorie systematisch mit allen anderen
Kategorien in Verbindung gesetzt. Man stellt stärkere Bezüge her und entfernt sich so langsam
weiter vom Text. Außerdem wird, im Bezug auf die gesamte Methode der grouded theory, auch
das theoretical sampling und die Datenerhebung an die Schlüsselkategorie angepasst. Beim
selektiven Kodieren kann man auch kaum noch mit textnahen Beispielen arbeiten, da es einzig
und allein darum geht die eigens generierten Kategorien mit der Schlüsselkategorie sinnvoll in
Verbindung zu setzn. Hierzu sollte man auch die Memos heranziehen die man bisher angefertigt
hat, da sie oft Ideen enthalten die zur Theoriegenese beitragen können. Immer im Hinterkopf
sollte man auch die Forschungsfrage bzw. das Forschungsinteresse haben, da dieses bei der
Entscheidung, welche Kategorie als zentral zu bewerten ist, weiter helfen kann.
Bei unserem Beispieltext ging es um die Frage „Welche Einstellung hat der Autor der Rezension
zu dem gelesenen Buch?“ Wir kamen zudem Entschluss, dass das zentrale Motiv des Autors der
Unterhaltungswert war, den das Buch ihm bot.
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Tipps
Wir möchten hier noch die Möglichkeit nutzen Tipps zum Kodieren zu geben. Sie sind entweder
beim Lesen der Literatur zu finden, stützen sich aber größtenteils auch auf unsere eigene
Erfahrung.
1.
Das Arbeiten im Team ist fast unumgänglich, da die intersubjektive Nachvollziehbarkeit sonst
unter Umständen zu kurz kommt. Im Team ist es nicht nur unterhaltsamer, man kann auch
voneinander lernen.
2.
Habt keine Angst davor, eine neue Kategorie aufzumachen! Erweist sich die Kategorie als
unbrauchbar oder redundant kann sie immer noch gelöscht, verändert oder in eine bestehende
Kategorie integriert werden.
3.
Bei beiden Ansätzen kann es vorkommen, dass man sich zu weit von den Vorgaben entfernt. Man
sollte sich also immer wieder die Kodierfamilien beziehungsweise das Kodierparadigma ins
Bewusstsein rufen.
4.
Der Übergang vom offenen ins axiale Kodieren verläuft meist fließend. Man darf auf keinen Fall
auf eine zeitliche Trennung bestehen, fällt einem bereits zu Beginn eine axiale Verwebung
auf, sollte man sich die Zeit nehmen und ein Memo verfassen.
5.
Keine Angst vor natürlichen Kodes! Sie erleichtern die Nachvollziehbarkeit, später können
immer noch „elegantere“ Bezeichnungen gefunden werden. Unnötiges Verkomplizieren bringt
nichts!
6.
Es sollte möglichst eine übersichtliche Struktur beim Kodieren eingehalten werden. Überlegt
euch wo ihr neue Kodes notiert, benutzt vielleicht für jeden Kode eine neue Farbe oder
ähnliches. Kodieren kann schnell ausarten und es ist von großem Vorteil wenn man die
Gedankengänge auch Tage später noch nachvollziehen kann!
7.
Prinzipiell kann man über alles ein Memo schreiben. Schreckt nicht davor zurück auch Gedanken
zu notieren, die über den Text hinausgehen oder auf den ersten Blick unwichtig erscheinen.
Wenn man sich über etwas Gedanken macht, dann nicht ohne Grund.
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Anhang Rezension über „Bushido Biografie“ Ich habe das Buch aus Spaß geschenkt bekommen, denn nie im Leben hätte ich Geld dafür
ausgegeben. Da ich aber eine gewisse Affinität zu Trash habe, habe ich mir die Biografie natürlich
durchgelesen. Denn Bushido hat ‐ wie alle diese Gangster‐Rapper ‐ einen großen Unterhaltungswert.
Ob nun durch die Musik oder wie in diesem Fall durch das Buch.
Schon zu Beginn des Buches wird eigentlich deutlich, was für eine Einstellung Bushido zu seinem
Beruf und seiner Figur hat. Er sagt, dass es völlig egal ist, was er auf der Bühne treibt, seine Fans
finden alles geil. Dessen ist er sich vollkommen bewusst und deswegen kann er in dem gesamten
Buch auch eigentlich schreiben was er möchte. Die die ihn mögen, finden es immer gut.
Welche seiner Geschichten tatsächlich stimmen, ob seine Sichtweisen der Dinge immer die einzige
Wahrheit ist und was er alles unter den Tisch fallen lässt, kann ich nicht beurteilen. Ist im Prinzip
auch egal. Zumindest wenn man sich immer vor Augen führt, dass Bushido nicht der Ghetto‐Typ ist,
für den er sich ausgibt. Damit sind die Geschichten schon super lustig.
Natürlich lässt sich darüber diskutieren, ob es nicht frauenfeindlich und homophob ist, was er so von
sich gibt. Wahrscheinlich ist es das. Aber er ruft ja niemanden dazu auf, sich genauso zu verhalten
wie er. Im Gegenteil: Er appelliert an seine Rezipienten, dass er diesbezüglich definitiv kein Ideal
darstellt.
Fazit: Nicht zu ernst nehmen, wie alles was Bushido macht. Mit einer gewissen Distanz lesen und
bloß nicht alles glauben. Erst recht nicht, wenn er einmal mehr versucht, aus Berlin ein Ghetto zu
machen und die Stadt mit irgendwelchen US‐Ghettos vergleicht. Dann ist es sehr leichte, stumpfe
Unterhaltung für Leute, denen so etwas Spaß macht. Wie mir.
Schematische Abbildung des Kodierparadigmas nach Strauss Quelle: http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/images/qualitative‐122_1.jpg
Literatur Strauss, Anselm L. (1991): Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Datenanalyse und
Theoriebildung in der empirischen soziologischen Forschung. München: Fink
Strübing, Jörg (2004): Grounded Theory. Zur sozialtheoretischen und epistemologischen
Fundierung des Verfahrens der empirsch begründeten Theoriebildung. Wiesbaden: VS.
Verlag für Sozialwissenschaften
Seite | 85
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der Geschichte finden. Über die Kodierverfahren der Grounded‐Theory‐Methodologie.
http://www.qualitative‐research.net/index.php/fqs/article/view/417/905 [14.01.2009].
Seite | 86
Seite | 87
Der Abschluss über die Typenbildung
Alexander Rauschnick
Inhaltsverzeichnis: 1. Typus – Definition und Arten
2. Zum Prozess der Typenbildung
3. Schritt 1: Die Erarbeitung relevanter Vergleichsdimensionen
4. Schritt 2: Die Gruppierung der Fälle und die Analyse empirischer
Regelmäßigkeiten
5. Schritt 3: Die Analyse der inhaltlichen Sinnzusammenhänge und die Typenbildung
6. Schritt 4: Die Charakterisierung der gebildeten Typen
Literaturverzeichnis und Internetquellen
1. Typus - Definition und Arten
In der qualitativen Sozialforschung werden Typen meist gebildet, um komplexe
Sinnzusammenhänge erfassen und erklären zu können. Hierbei zeichnet sich jeder Typus
durch die ihm zu eigene Kombination von Merkmalen aus (vgl. Kluge 2000: S. 1). "Typus"
ist hierbei definiert als die "Klassifikation eines Objektbereiches nach bestimmten
Merkmalen", es handelt sich um eine "gedankliche Konstruktion, (ein) wichtiges Hilfsmittel
in der empirischen Sozialforschung" (Reinhold 1997: S. 683). An Typen unterschieden
werden Extremtypen (reale Extrema einer Stichprobe), Idealtypen (in der Urdefinition von
Weber von Ablenkungen befreite Konstrukte, die soziologische Kausuistik erlauben, indem
man den Abstand der Realtypen von den Extremtypen betrachtet (vgl. Weber/Ulfig 2005: S.
4f & 14f)), Prototypen (reale Fälle, die das Charakteristische eines Typus am besten
repräsentieren) sowie Realtypen (in der Realität vorfindbare Typen).
2. Zum Prozess der Typenbildung
Der Prozess der Typenbildung zerfällt generell in vier Teilschritte: 1. Die Erarbeitung
relevanter Vergleichsdimensionen, 2. die Gruppierung der Fälle und die Analyse empirischer
Regelmäßigkeiten, 3. die Analyse inhaltlicher Sinnzusammenhänge und die Typenbildung,
sowie 4. die Charakterisierung der gebildeten Typen. Obwohl die einzelnen Schritte logisch
aufeinander aufbauen, handelt es sich hierbei nicht um ein lineares Auswertungsschema. Es
ist vielmehr durchaus möglich, dass sich beispielsweise bei der Analyse der inhaltlichen
Sinnzusammenhänge (Schritt 3) weitere relevante Vergleichsdimensionen (Schritt 1)
ergeben, wodurch sich auch die Gruppierung der Fälle (Schritt 2) verändert, und eine erneute
inhaltliche Analyse (Schritt 3) vonnöten wird; es also nötig ist, die ersten drei Schritte
mehrmals zu durchlaufen.
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3. Schritt 1: Die Erarbeitung relevanter Vergleichsdimensionen
Um Typen über die Kombination von Merkmalen definieren zu können, müssen zunächst die
relevanten Merkmale und damit Vergleichsdimensionen identifiziert werden; dies schließt
ebenfalls die Bestimmung der Subkategorien bzw. Merkmalsausprägungen mit ein. Gerade in
der qualitativen Forschung ist es üblich, diese Identifizierung im Laufe des
Auswertungsprozesses am Material vorzunehmen. Dennoch ist es durchaus möglich, die
(vorläufigen) Vergleichsdimensionen aufgrund der Forschungsfrage beziehungsweise des
vorhandenen theoretischen Vorwissens festzulegen. Gleichwohl ist es ebenso möglich, die
Vergleichsdimension anhand der Interviewthemen im Interviewleitfaden zu erarbeiten.
Gleichsam ist es denkbar, das Datenmaterial mithilfe eines Kordierschemas zu kodieren und
daraufhin dieses Kodierschema zu dimensionalisieren. Hierbei kann es sich sowohl um
abstrakte Konzepte wie "Aspirationen im Leben" oder "Bilanzierungen im Leben" als auch
um Alltagskonzepte wie "Lebenssituation beim Kennenlernen des Partners" handeln (vgl.
Kluge/Kelle 1999: S. 84). Ein Beispiel für eine anhand eines Kodierschemas erarbeitete
Kategorie wäre "Heiratsgründe"; eine Subkategorie wäre "Lebensoptimierer". Als weitere
Option schlägt wiederum Kuckartz vor, das Material zu kodieren und Variablen zu
definieren, anhand denen die Untersuchungspersonen verglichen und typische
Merkmalskonstellationen gefunden werden können. Kuckartz nutzt hierbei computergestützte
Gruppierungsverfahren wie die Clusteranalyse. Die Quantifizierung der verbalen Daten, also
die Bildung von Variablen, die für dieses Verfahren nötig ist, reduziert jedoch das
Datenmaterial, was nicht ausschließlich positiv zu bewerten ist, da dies auch einen
Informationsverlust bedeutet. Auch besteht die Gefahr, dass Merkmale nur aufgrund
fehlender Werte ausgeschlossen werden, obwohl sie eigentlich von großer Bedeutung für die
Typenbildung wären bzw. sind (vgl. Kluge/Kelle 1999: S. 86).
4. Schritt 2: Die Gruppierung der Fälle und die Analyse empirischer
Regelmäßigkeiten
Sind die Vergleichsdimensionen und deren Ausprägungen festgelegt, können die empirisch
erfassten Fälle gruppiert werden und die Gruppen bezüglich empirischer Regelmäßigkeiten
untersucht werden (vgl. Kluge 2000: S. 4). Da sich ein Typus durch die spezifische
Kombination von Merkmalen auszeichnet, lassen sich mithilfe von einer Mehrfeldtafel alle
theoretisch möglichen Kombinationen, und damit der Merkmalsraum darstellen. Für diese
Rekonstruktion des Merkmalsraums ist allerdings eine präzise Definition der Kategorien
bzw. Merkmale und ihren Ausprägungen erforderlich. Die einem Typus zugeordneten Fälle
müssen sich hierbei nicht exakt gleichen, vielmehr wird eine Gruppenbildung und
Reduzierung auf die relevanten Typen sogar empfohlen (vgl. Kluge 2000: S. 2). Angestrebt
werden soll jedoch Ähnlichkeit, also maximale Homogenität innerhalb eines Typus und
maximale Heterogenität zwischen den Typen. Anhand der grafischen Darstellung durch eine
Mehrfeldtafel bzw. Kreuztabelle lässt sich oft bereits erkennen, welche
Merkmalskombinationen praktisch unmöglich sind und daher nicht erfasst werden müssen.
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Als Beispiel lässt sich die Untersuchung des Delinquenzverhaltens Jugendlicher anführen:
Hierbei wurde sowohl die Stärke der Belastung mit Delinquenz sowie die zeitliche
Entwicklung erfasst. Bei den als nicht delinquent eingestuften Jugendlichen macht die
Unterscheidung zwischen durchgehender und episodenhafter Delinquenz logischerweise
keinen Sinn, daher wurden die beiden Gruppen in diesem Fall zusammengefasst. Auf diese
Weise lässt sich der Merkmalsraum also reduzieren. Ein weiterer Vorteil der Rekonstruktion
des Merkmalsraums ist, dass sich mithilfe von Kreuztabellen die empirisch vorgefundenen
Fälle einordnen lassen. Dies erlaubt nicht nur einen Vergleich zwischen den theoretisch
möglichen und empirisch vorfindbaren Kombinationen sowie weitere vergleichende
Analysen, sondern man erhält zudem einen Überblick über das Fallmaterial. Da sich die
quantitative Merkmalsverteilung ebenso ablesen lässt, erhält man dadurch zudem Hinweise
auf potentielle Zusammenhänge zwischen den Merkmalen. Im Falle sehr großer
Datenmengen ist hierbei erneut der Einsatz rechengestützter Verfahren denkbar, da sich die
manuelle Suche nach empirischen Regelmäßigkeiten in diesem Fall als sehr unübersichtlich
erweisen kann (siehe hierzu Punkt 3 nach Kuckartz).
5. Schritt 3: Die Analyse inhaltlicher Sinnzusammenhänge und die Typenbildung
Zurückgehend auf Max Weber ist der Anspruch, nicht nur empirische Regelmäßigkeiten und
Korrelationen zu erfassen, sondern ebenso nach Sinnzusammenhängen zu suchen. Nur so ist
es möglich, zu "soziologischen Regeln" (Weber 1972/1921: S. 5f, zitiert nach Kluge 2000: S.
3) zu gelangen. Hier sieht Weber die Konstruktion von (künstlichen) Idealtypen vor, die rein
zweckrational orientiert sind; allerdings gibt es auch davon abweichende Meinungen. In
jedem Fall müssen gewisse Vorannahmen (eben etwa bezüglich der Zweckrationalität des
Handelns der Akteure) getroffen werden, um sinnvolle und verständliche Handlungstypen
bilden zu können (vgl. Kluge/Kelle 1999: S. 92). Für die Analyse inhaltlicher
Sinnzusammenhänge ist es zudem erforderlich, verschiedene Fälle zu vergleichen und zu
kontrastieren - sowohl innerhalb einzelner Gruppen als auch zwischen den Gruppen. Dies
kann dazu führen, dass Fälle anschließend anderen Gruppen, denen sie ähnlicher sind,
zugeordnet werden. Ebenso ist es möglich, dass abweichende Fälle aus ihren Gruppen gelöst
und anschließend separat analysiert werden. Ähnliche Gruppen wiederum können
zusammengefasst, und einzelne Gruppen im Falle starker interner Unterschiede weiter
differenziert werden. All dies führt dazu, dass der Merkmalsraum reduziert wird und die
Anzahl der Gruppen auf wenige(r) Typen verringert wird. Gleichwohl ist es jedoch ebenso
nötig, nach weiteren Merkmalen zu suchen, bezüglich denen sich die Gruppen unterscheiden.
Dies ergibt sowohl weitere Unterschiede zwischen den Gruppen als auch weitere
Ähnlichkeiten innerhalb der Gruppen; der Merkmalsraum wird demzufolge wiederum
ergänzt. Die sich daraus ergebenden Gruppierungen müssen schließlich erneut hinsichtlich
empirischer Regelmäßigkeiten und inhaltlicher Sinnzusammenhänge untersucht werden.
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6. Schritt 4: Die Charakterisierung der gebildeten Typen
Schließlich werden anhand der rekonstruierten Sinnzusammenhänge sowie identifizierten
Vergleichsdimensionen die gebildeten Typen charakterisiert sowie Kurzbezeichnungen für
die Typen gesucht. Ob für die Darstellung des Gemeinsamen zwischen allen Fällen eines
Typus reale Prototypen oder künstliche Idealtypen herangezogen werden sollen, lässt sich
nicht pauschal sagen.
Im Falle sehr heterogener Typen ist es jedoch recht problematisch, auf Prototypen
zurückzugreifen, da ein einzelner Fall den gesamten Typus kaum mehr ausreichend zu
charakterisieren vermag.
Idealtypen wiederum können einerseits nach dem Vorschlag Kuckartz aus mehreren
prototypischen Fällen in Form eines idealtypischen Konstruktes "komponiert" werden (vgl.
Kluge/Kelle 1999: S. 95); Gerhardt schlägt andererseits vor, zunächst einen möglichst
optimalen Fall zu suchen und anschließend einzelne Charakteristika dessen zuzuspitzen,
damit dieser seinem idealen Charakter möglichst optimal entspricht. Diese Idealtypen sind
aufgrund ihres künstlichen Charakters keine Darstellung der Wirklichkeit sondern dienen
vielmehr zur "Verdeutlichung der Wirklichkeitsstruktur" (Gerhard 1991: S. 437, zitiert nach:
Kluge/Kelle 1999: S. 96). Die starke Zuspitzung bei der Konstruktion von Idealtypen nach
Gerhardt hat allerdings zur Folge, dass innerhalb eines Typus eher die Unterschiede und
weniger die Gemeinsamkeiten betont werden, zudem repräsentiert ein Idealtypus das
Typische einer Gruppe in seiner Künstlichkeit nur bedingt. Eine Patentlösung gibt es also
nicht.
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Abgerufen
unter:
http://www.qualitativeresearch.net/index.php/fqs/article/download/1124/2498 (Letzter Zugriff: 28.2.2009).
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