Auf Wiedersehen? - Schott Musikpädagogik

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Auf Wiedersehen? - Schott Musikpädagogik
10 PRAXIS
Auf Wiedersehen?
Drei Lieder zur Auseinandersetzung mit Tod und Sterben
matthias rheinländer
„Und dann singen wir zum Schluss noch
Sailing – die Segler-Hymne“, komplettierte ein
Pastor seine Liedauswahl für eine Konfirmation.
Sailing – das ist der unverwüstliche Hit, der untrennbar mit der Interpretation von Rod Stewart
verbunden ist. Der Hit hat sich als Hymne verselbstständigt, und dabei wird der Text nur ausschnittweise interpretiert, der Gesamttext rutscht
bei dieser Betrachtungsweise am Hörer vorbei. In
der Tat handelt der Song vordergründig von der
scheinbar grenzenlosen Freiheit auf dem Meer.
Die deutliche Aussage Gavin Sutherlands „I am
dying, forever trying to be near you, to be free“
hebt das Lied über die Suche nach der Freiheit
auf dem Wasser hinaus und verweist auf eine
„ewige Freiheit“.
Mit diesem Bild korrespondiert der Song mit der
ähnlichen Thematik in Robert Schumanns Lied
Mondnacht aus seinem Liederkreis op. 39.
Eichendorffs Gedicht steht jedoch im Konjunktiv
und führt damit in eine Traumwelt: Was wäre
wenn? Das Traumbild beschreibt zunächst die
ruhende Natur im nächtlichen Licht des Mondes,
die letzte Strophe schafft dann den Bezug zum
lyrischen Ich und stellt das Sterben als einen Flug
der Seele über die „stillen Lande“ dar.
Die Auseinandersetzung mit Tod und Sterben
steht manchmal auch im Zentrum von Liedern
bzw. Songs, z. B. bei The Sun Ain’t Gonna Shine
Anymore der Walker Brothers (1966), Udo Lindenbergs Jack (1975) und in Nur zu Besuch der Toten
Hosen von 2005. Alle genannten Titel waren oder
sind immer noch sehr erfolgreich und zeigen damit, wie stark das Interesse an diesem Thema ist.
Das halte ich nicht aus
Die Lieder schildern Grenzerfahrungen in der
Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben. Das
kann im Unterricht durchaus schwierig werden:
Eine Schülerin einer 10. Klasse konnte Schumanns
Lied nicht ertragen und bat darum hinausgehen
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zu dürfen. Sie war zu stark an das Erlebnis der
Beerdigung ihrer Großmutter erinnert, zu der sie
eine starke Bindung hatte. Das kann jederzeit
passieren und die Lehrkraft sollte darauf vorbereitet sein. In vielen Fällen ist es in einer derartigen Situation hilfreich, wenn der Schüler mit
seinen Gefühlen nicht allein bleiben muss und
ihn eine Freundin begleiten kann. Die Lehrkraft
muss in solchen Situationen entscheiden, wie sie
selbst auf die Situation eingehen kann.
„I am dying.“ Die letzte Strophe verallgemeinert
und ersetzt das Ich durch ein Wir. Erstaunlich:
Erst die allerletzte Zeile konzentriert sich auf eine
höhere Instanz: „Oh Lord, to be near you, to be
free.“ Wenn es anfänglich noch den Anschein
hat, dass der Segler nach Hause zu seiner/n
Liebsten möchte, wird hier deutlich, dass diese
Sehnsucht sich auf den ewigen Frieden richtet.
Erweiternd kann der Inhalt der Strophen zeichnerisch und / oder mit Fotos dargestellt werden,
z. B. als Wandzeitung (s. Arbeitsblatt „Sailing“,
Aufgabe 6).
UNTERRICHTSEINSTIEG UND
INTERPRETATION
DER FLUG DER SEELE
Die Unterrichtseinheit lässt sich sehr gut mit Sailing eröffnen. Der Song findet sich in vielen Liederbüchern und kann von der gesamten Lerngruppe gesungen, übersetzt und interpretiert
werden (s. Arbeitsblatt „Sailing“, Aufgaben 1-5).
Die erste Strophe geht von dem konkreten Bild
des Segelns über stürmische See aus. In der
zweiten Strophe löst sich das Bild vom Wasser
und überträgt das Segeln auf das Fliegen eines
Vogels, der an hohen Wolken vorbeikommt. Solche Wolken erstrecken sich in Höhen (zwischen 5
und 13 km), in die nur wenige Vögel vordringen.
Damit verlässt der Text die reale Ebene und gleitet
ins Spekulative. In der dritten Strophe heißt es
„Can you hear me thro‘ the dark night?“. Das
Sichtbare ist nun vollends verschwunden, das
lyrische Ich spricht von seinem eigenen Sterben:
In der Thematisierung von Robert Schumanns
Kunstlied Mondnacht geht es darum, Parallelen
zu Sutherlands Song aufzuzeigen, die den Lernenden auf den ersten Blick oft nicht direkt
erkennbar sind.
Die Auseinandersetzung kann mit dem Eichendorff-Text beginnen. Die Entwicklung im Gedicht
von der Naturbeschreibung hin zur Übertragung
auf den Flug der Seele als Sinnbild der Trennung
zwischen Seele und Körper im Moment des Sterbens kann über die im Text verwendeten Bilder
entwickelt werden. Hilfreich dazu ist es, die Strophen inhaltlich mit eigenen Worten wiederzugeben (s. Arbeitsblatt „Eichendorff / Schumann:
Mondnacht“).
Weitere Schritte des Unterrichtsverlaufs sind: Planung, partielle Ausarbeitung und Vorstellen eigener Konzeptionen für eine Vertonung (Aspekt:
formale Struktur, die die einzelnen Strophen in
einen Ablauf zusammen mit musikalischen
Einleitungen, Zwischenspielen und Nachspiel
bringt).
Anschließend rückt die Komposition Schumanns
ins Zentrum. Unterrichtsziel ist die Erarbeitung
des engen Zusammenhangs zwischen Text und
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Die behutsame Gegenüberstellung von Sailing, Mondnacht
und Nur zu Besuch im Musikunterricht kann das Thema „Tod
und Sterben“ von vielen Seiten beleuchten und es damit auf
eine Ebene heben, die von Jugendlichen nachvollziehbar ist.
zu Besuch eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit der Trauer. So wie Campino den Song
interpretiert, geht es darin um die therapeutische
Funktion des virtuellen Sprechens mit dem/r
Verstorbenen. Schumanns Eichendorff-Vertonung
hingegen nimmt den Moment des Sterbens in
den Fokus. Die Auseinandersetzung in der Schule
kann sicherlich nicht so tief wie in einem privaten Einzelgespräch gehen, sie kann jedoch eine
Thematik aufnehmen, die inzwischen zum
alltäglichen Medienerlebnis gehört. Und dabei
kann die Problematik zumindest ansatzweise in
die Lebenswelt der Lernenden gehoben werden.
Das mag nicht immer einfach sein, die dargestellten Möglichkeiten zur Auseinandersetzung
zeigen jedoch Wege auf, die es vielen Lernenden
erlauben, einen individuellen Weg zu dem Problemkreis zu finden.
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Arbeitsblätter
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ZU BESUCH –
AUF DEM FRIEDHOF
„Immer wenn ich dich besuch, fühl ich mich
grenzenlos. Alles andere ist von hier aus so weit
weg.“ Der Sänger findet einen eher allgemein
gehaltenen Einstieg zu seinem Besuch eines
Grabs und stellt diesen dann wie eine reale
Kommunikation zwischen zwei lebenden Menschen dar. Erst nach und nach wird klar, dass
dort ein Mensch vor einem Grab steht und in
einen fiktiven Dialog vertieft ist: „Ich spür dich
ganz nah hier bei mir, kann deine Stimme im
Wind hören und wenn es regnet, weiß ich, dass
du manchmal weinst, bis die Sonne scheint; bis
sie wieder scheint.“
Die unterrichtliche Behandlung geht von der
Beschäftigung mit dem Text aus und wendet sich
dann der musikalischen Darstellung zu (HB 1 und
Arbeitsblatt „Die Toten Hosen: Nur zu Besuch“).
Es kann die Frage diskutiert werden, welche
Funktion dieses Gespräch hat. Argumente für
diese Diskussion können im Internet recherchiert
werden, wenn nach den Begriffen „Briefe an einen Toten“ gesucht wird. Man findet zwischen
skurrilen Geschichten auch psychologische Begründungen, weshalb solche Dialoge sinnvoll
sein können, obwohl sie oberflächlich betrachtet
eher merkwürdig wirken. Der Song eignet sich
auch zum Nachsingen. Eine stilgerechte Interpretation verlangt eine Gitarrenbegleitung, aber die
Atmosphäre ist auch mit Klavier darstellbar.
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Musik. So ist erstaunlich, dass Schumann zwischen erster und zweiter Strophe die musikalische
Einleitung als Zwischenspiel wiederholt, die
dritte Strophe jedoch unmittelbar auf die zweite
folgen lässt. Hiermit schafft er eine Straffung, die
zielgerichtet auf die Kernaussage hindeutet: Die
Seele löst sich vom Körper und beginnt zu fliegen. Dann folgt ein Nachspiel, das die melodische Gestalt des Vorspiels aufnimmt, nun jedoch
das harmonische Zentrum befestigt. Im Sterben
vollzieht sich der Übergang vom Leben zum Tod.
Das ist eine unumkehrbare Tatsache. Die Musik
deutet den Text aus und führt dessen Intention
weiter (zum Unterrichtsverlauf s. Arbeitsblatt „Eichendorff / Schumann: Mondnacht“).
Eine Querverbindung zur Bildenden Kunst kann
die Interpretation ergänzen. Viele Elemente des
Gedichts finden sich in einem der letzten Bilder
Vincent van Goghs (1853-1890), Kornfeld mit
Krähen (Juli 1890), wieder: Das Kornfeld wirkt in
der Beleuchtungssituation so düster, dass die
Atmosphäre mit der im Gedicht beschriebenen
Mondnacht vergleichbar wird – so wie die fliegenden Krähen mit der sich erhebenden Seele.
Diese Zusammenhänge können über die gleichzeitige Präsentation von Bild und einem Hörbeispiel des Lieds erarbeitet werden (s. Arbeitsblatt
„Mondnacht und Vincent van Gogh“).
Sailing – S. 12
Eichendorff / Schumann: Mondnacht –
S. 12
Mondnacht und Vincent van Gogh –
S. 13
Die Toten Hosen: Nur zu Besuch – S. 13
NICHT IMMER ALLES!
HB 1: Die Toten Hosen: Nur zu Besuch
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Noten: Robert Schumann: Mondnacht
Dateien – DVD
schott-musikpädagogik.de
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Die hier dargestellte Unterrichtseinheit ist sowohl
komplett als auch in einzelnen Abschnitten
durchführbar. Werden alle drei Songs einander
gegenübergestellt, sollte herausgearbeitet werden, dass die Aufnahme Rod Stewarts dazu
beigetragen hat, dass Sailing als Hymne wahrgenommen wurde und die textliche Aussage eher
in den Hintergrund trat. Dagegen ist der Song Nur
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Der dritte Song nähert sich auf ganz andere Art
dem Thema. Die Toten Hosen haben hier einen
Song geschrieben, der im Gegensatz zu ihren
bekannteren Songs auf akustischen Instrumenten
begleitet wird. Die Musik interpretiert den Text
nicht direkt, sondern schafft eine akustische
Atmosphäre, die die Erzählung von einem Besuch
auf dem Friedhof untermalt.
Beitrag als PDF-Datei
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Arnold Böcklin: Die Toteninsel
Hörbeispiele – CD
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Sucht in Liederbüchern nach dem Song Sailing.
Singt den Song gemeinsam und begleitet euch auf geeigneten Instrumenten.
Übersetzt den Text und erklärt, wie sich die Bilder von Strophe zu Strophe
verändern.
Überlegt, wer mit der Aussage „to be near you“ gemeint sein kann.
Sprecht darüber, welches der drei Bilder die Gesamtaussage am ehesten trifft,
und begründet eure Aussage.
Erstellt eine Wandzeitung, auf der ihr die einzelnen Strophen mit Zeichnungen
oder Fotos illustriert.
Tipp: Es gibt mittlerweile viele Bilddatenbanken im Internet, deren Bilder und
Grafiken ihr kostenlos nutzen könnt. Eine große Auswahl von Bilddatenbanken
findet ihr hier: www.lorm.de/2008/01/02/102-quellen-fuer-kostenlose-fotos
Eichendorff / Schumann: Mondnacht
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Das Gedicht:
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Der Dichter Joseph von Eichendorff, 1832
Es war, als hätt‘ der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis‘ die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
Joseph Freiherr von Eichendorff, 1835
Beschreibt mit eigenen Worten die Bilder, die Eichendorff in den einzelnen
Strophen skizziert.
Überlegt, wie man sich die Situation vorstellen soll, dass „der Himmel die Erde
küsst“.
Denkt über die Bedeutung der letzten Zeilen nach: „Flog durch die stillen Lande /
als flöge sie nach Haus.“
Überlegt, wie ihr das Gedicht vertonen würdet, und legt fest, welche Formteile
(Vorspiel, Zwischenspiele, Nachspiel, Strophen) ihr verwenden möchtet.
Komponiert die Musik für einzelne Abschnitte und stellt sie euch gegenseitig vor.
Erläutert den Zusammenhang zwischen dem Text und euren Ideen.
Die Vertonung:
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Lest euch den Notentext durch und markiert Besonderheiten. Wo findet ihr wiederkehrende
Abschnitte? Wie ist die Melodie gestaltet? Vergleicht dazu den Text.
Sprecht in der Gruppe über diese Besonderheiten und versucht sie im Zusammenhang
mit dem Text zu erklären.
Legt fest, wie schnell und wie laut ihr das
Stück spielen bzw. singen würdet.
Hört das Lied und vergleicht das Ergebnis mit
euren Erwartungen.
Legt den Formablauf fest und markiert die
verschiedenen Abschnitte farbig.
(Musikalisch gleiche Abschnitte erhalten die
gleiche Farbe.)
Sucht die Zusammenhänge zwischen dem
Text und der Musik und beschreibt diese.
Schumann schließt das Lied mit einem
Nachspiel. Versucht seine Bedeutung zu
beschreiben.
Der Komponist Robert Schumann, 1839
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© imago / BildFunkMV
Sailing
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Mondnacht und Vincent van Gogh
Vincent van Gogh: Kornfeld mit Krähen
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Hört Schumanns Mondnacht und betrachtet zugleich van Goghs Bild Kornfeld mit Krähen.
Tauscht euch über die Wirkung aus. Welche „Gemeinsamkeiten“ gibt es zwischen Musik und Bild?
Tragt Informationen zur Biografie Vincent van Goghs zusammen. In welchem Lebenszusammenhang hat er das Bild gemalt?
© imago / Viennareport
Die Toten Hosen: Nur zu Besuch
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Recherchiert im Internet nach dem Gesangstext und lest ihn euch laut vor.
(www.dietotenhosen.de > Diskographie > 2002 > Auswärtsspiel > Nur zu Besuch)
Beschreibt, wie ihr euch die Situation vorstellt.
Wo findet der Besuch statt?
Wie viele Gesprächspartner gibt es?
Welche Erkenntnisse über die Gesprächspartner könnt ihr sicher aus dem Gespräch
herausziehen?
Sprecht über die Unterschiede eines Besuchs auf dem Friedhof und einem unter
Lebenden.
Hört den Song und achtet darauf, wie der Sänger – Campino – den Songtext
vorträgt.
Überlegt, wie ihr den Song illustrieren könnt.
(mögliche Mittel: Zeichnung, Foto-Collage, Folienpräsentation, Video-Clip)
Singt den Song und begleitet euch auf geeigneten Instrumenten selbst.
Der Sänger Campino
von den Toten Hosen
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