(S. Undorf), WS 10/11 - Erasmus
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(S. Undorf), WS 10/11 - Erasmus
Erfahrungsbericht ERASMUS-Studienaufenthalt an der University of Glasgow, Schottland Sabine Undorf June 8, 2011 1 Vorbereitung Ich habe im dritten Semester, also relativ früh angefangen, mich über die Möglichkeit eines Auslandsaufenthalts mit Erasmus innerhalb meines Studiums zu informieren. Da der Bachelorstudiengang (Physik) sehr dicht gepackt ist und genau vorschreibt, welche Module belegt werden müssen, stellte es sich als schwierig heraus, während der ersten Studienjahre ein oder zwei Semester nicht in Bonn zu studieren, zumindest ohne Zeitverlust, da eine Gastuniversität gefunden werden müsste, die genau entsprechende Module anbietet (außerdem beruhen die Veranstaltungen weiterer Studienjahre auf denen der ersten Semester, so dass es vielleicht ohnehin sinnvoll ist, sicherzustellen, dass sehr ähnliche Inhalte auf mindestens ähnlichem Niveau erlernt werden). Ich wollte in ein englischsprachiges Land gehen, damit war die Entscheidung für Glasgow als einzige ERASMUS-Kooperation für meinem Fachbereich bereits gefallen. Dort ist das Universitätsjahr auch in zwei Semester aufgeteilt, allerdings sind die Semesterzeiten verschoben, insbesondere beginnt das Sommersemester im Januar, und das akademische Jahr inkl. Klausurenzeit endet Ende Mai. Dies ist nicht verträglich mit unseren Semesterzeiten; dennoch sollte es möglich sein, das sechste Semester der Bachelorarbeit über im Ausland zu sein - Ich habe mich aber stattdessen, unter anderem, weil ich gerne zwei statt ein Semester im Ausland studieren wollte, für das siebte und achte Semester, also das erste Jahr des Masterstudiums, entschieden. Die Bewerbung bei meinem Fachbereich erfolgte relativ problemlos, ebenso die Formalitäten für das International Office der Universität Bonn und die Bewerbung/Anmeldung bei der Gasthochschule, dabei ist nur darauf zu achten, alle Fristen einzuhalten. Etwas schwieriger gestaltete es sich, auf den Internetseiten der Gasthochschule die richtigen Informationen über die Studienmöglichkeiten einzuholen - dies geht auf der Internetplattform "moodle.gla.ac", auch nicht in Glasgow eingeschriebene Studierende haben als Gast dort Zugang zu den Kursinformationen, und auf der Seite der Fakultät gibt es Informationen über Studienkurse und -verlauf. Ich habe mich mit dem Studienberater meines Fachbereichs vor vorläufiger Festlegung der Kurse, die ich an meiner Gastuniversität belegen werde, getroffen um zu klären, welche Kurse für meinen Master anerkannt werden könnten; um ganz sicher zu gehen, dass alles wie gewünscht anerkannt wird und wenn die Kursauswahl schon feststeht, sollte man sich mit dem Prüfungsamt verständigen. 2 Unterkunft Die Universität Glasgow bietet universitäre Unterkünfte an, für die man sich bei Interesse rechtzeitig bewerben sollte. Allerdings sind diese nicht günstiger als private Unterkünfte und auch nicht besser gelegen, und außerdem hauptsächlich von Erstsemestern, die häufig gerade erst von Zuhause ausgezogen sind sowie anderen internationalen Studierenden bewohnt - daher habe ich mich mich gegen ein solches Wohnheim entschieden. Über ein Internetforum habe ich eine Wohngemeinschaft gefunden, die fünf Gehminuten von der Universität entfernt war und in der ich mich sehr wohl gefühlt habe. Ich habe mit sechs bis sieben MitbewohnerInnen zusammen gewohnt, die alle englische MuttersprachlerInnen sind und schon länger in Glasgow gewohnt hatten, was ich als sehr vorteilhaft für die Entwicklung meiner Sprachkenntnisse als auch für die Kontaktherstellung zu nicht-ERASMUS-Studierenden empfunden habe, außerdem hatten wir einen Garten und eine Katze. Die Universität befindet sich im Westend von Glasgow; weiter außerhalb des Westends und der Innenstadt sind Mieten deutlich niedriger, allerdings somit für Studierende auch weniger attraktiv, und mit weniger Infrastruktur ausgestattet. Wer ein hohes Sicherheitsbedürfnis 1 hat wird sich sicherlich im Westend, wo vorwiegend Studierende und finanziell besser gestellte Menschen wohnen, wohler fühlen. Über Internet (vor allem gumtree.co.uk) findet man relativ einfach eine Unterkunft, zumindest wenn man schon vor Ort ist. Es wird eine Wohnortsteuer (Council Tax ) erhoben, von denen Studierende befreit werden können, falls sie nicht mit ArbeitnehmerInnen zusammen wohnen, außerdem ist darauf zu achten, dass die betreffende Wohnung eine gültige HMO, eine Lizenz zur Vermietung einer Wohnung an mehrere, nicht-verwandte Personen besitzt. 3 Studium an der Gasthochschule Die Kursauswahl war für mich als Masterstudentin sehr eingeschränkt, weil ich den Stoff vieler Kurse schon in verschiedenen Veranstaltungen in meinem Bachelor abgedeckt hatte; Schwierigkeitsgrad und Umfang der Kurse in Schottland sind tendenziell niedriger als in Deutschland. In Schottland dauert ein Bachelor vier Jahre und ein Master ein Jahr, wobei man anstelle eines Masters auch direkt ein Promotionsstudium beginnen kann; ich hatte Kurs sowohl mit Vierjahres- als auch mit Fünftjahres-Studierenden, sowohl aus Physik als auch aus Astronomie. Das Physikstudium dort ist auch insofern anders, als dass alle Vorlesungen nur zweistündig sind mit zwei mal einer Vorlesungsstunde pro Woche, nicht regelmäßig Übungszettel gelöst werden müssen und es keine Tutorien wie bei uns gibt. Stattdessen wird jedeR Studierende in eine Kleingruppe eingeteilt, die sich regelmäßig mit einem Professor (Supervisor) trifft und Probleme sowie einige Übungsaufgaben aller Vorlesungen bespricht; damit besteht sehr viel engerer Kontakt zu den Lehrenden als es in Deutschland üblich ist. Ich habe alle Dozenten und Universitätsmitarbeiter als sehr freundlich und um die Studierenden bemüht erlebt. Die meisten Vorlesungen werden als PowerPoint gehalten und Handouts verteilt. In diesem Jahr waren alle Klausuren im Mai nach Ende des zweiten Semesters und einem Monat vorlesungsfreien Zeit, was ich als sehr anstrengend empfunden habe; zehn Klausuren in vier Wochen, teilweise an drei aufeinanderfolgenden Tagen! In den Klausuren wird mehr Wert als hier darauf gelegt, Kurzaufsätze schreiben zu können, dafür wird weniger eigenständiges Problemlösen verlangt; sämtliche Klausurfragen und die meisten -Lösungen der letzten Jahre sind auf der Lernplattform moodle veröffentlicht, und es wird erwartet, sich anhand derer auf die Klausuren vorzubereiten. Insgesamt denke ich, dass ich akademisch inhaltlich weniger gelernt habe, als ich es in zwei Semestern an meiner Heimuniversität getan hätte (dies wird aber ausgeglichen durch den kulturellen und sprachlichen Zugewinn). Die Astronomie-Kurse -Allgemeine Relativitätstheorie und Kosmologie- fand ich besonders interessant, weil ich bis dahin kaum Astronomie-Vorlesungen gehört hatte und die Astronomievorlesungen sich über beide Semester erstrecken und damit umfangreicher und etwas tiefergehend waren als die anderen Vorlesungen. Empfehlenswert ist meiner Meinung auch der Kurs "Energie und Umwelt", der sehr angewandt ist verglichen zu den Kursen, die ich bis dahin in Bonn gehört hatte, und eine Fallstudie sowie einen Ausflug zu einem Kernkraftwerk und einer Windfarm eingeschlossen hat. Ebenfalls angeboten werden ein "Allgemeiner Physik-Workshop" oder "Problem Solving Workshop", bei denen nichts Neues gelernt wird, sondern allgemeine Physik-Kenntnisse, einschließlich ihrer historischen und gesellschaftlichen Bedeutung sowie die Erläuterung und Anwendung grundlegender, simpler Konzepte abgefragt werden. Es werden nur sehr wenige Vorlesungen in Theoretischer Physik angeboten. Master-Studierende und BachelorStudierende in ihrem letzten Jahr der Universität Glasgow führen ein eigenständiges Projekt in einer Arbeitsgruppe über ein oder zwei Semester mit zwei Tagen Arbeitszeit pro Woche durch; ein Masterprojekt entspricht ungefähr der Bachelorarbeit in Bonn und ist wie diese eine Möglichkeit, universitäre Kontakte zu knüpfen, die Arbeitsgruppe und ihre Arbeitsweise und Forschungsarbeit der Gastuniversität kennenzulernen; da solch ein Projekt aber für meinen Studiengang nicht anerkannt wird, habe ich mein Projekt nicht zu Ende geführt, sondern mich auf die Klausurvorbereitung konzentriert. FortgeschrittenenPraktika wie in Bonn werden nicht angeboten in Glasgow. Da die Physik-Kurse in Glasgow weniger umfangreich sind (weniger ECTS-Punkte), ist die Anerkennung als gleichwertige Module für meinen Master in Bonn schwierig; vielleicht können zwei Vorlesungen von dort zusammengenommen als ein Modul hier gelten. Ich habe noch keine Rückmeldung über die Ergebnisse der Prüfungen in Glasgow erhalten, so dass ich de Anerkennung der an der Gasthochschule erbrachten Studienleistungen noch nicht endgültig regeln konnte. Ich werde auf jeden Fall ein Semester länger für mein Masterstudium brauchen, weil ich nicht genügend passende Veranstaltungen in Glasgow belegen konnte; Beurlaubung ist prinzipiell möglich während eines Auslandsaufenthalts, allerdings nicht für das erste Semester eines neuen Studiengangs (Master). Um nicht mehr Semester zu benötigen, wäre 2 eine andere Option, die Masterarbeit an einer ausländischen Universität zu schreiben. Die Bibliothek der Universität Glasgow bietet sehr gute Computerarbeitsplätze und Lernräume, allerdings ist die Verfügbarkeit von Fachbüchern im Bereich Physik und Astronomie deutlich schlechter als in Bonn - wenige sehr neue Bücher und kaum doppelte Exemplare wichtiger Bücher sowie kaum Theorie-Bücher; die Mahngebühren sind um ein Vielfaches studierendenfreundlicher als in Bonn. 4 Alltag und Freizeit Mein Alltag war in hohem Maße geprägt durch meine Wohngemeinschaft - wir haben an jedem Wochentag gemeinsam zu Abend gegessen und viel Zeit miteinander verbracht; meine MitbewohnerInnen sind zu guten FreundInnen geworden. Ich hatte verhältnismäßig wenig Kontakt zu anderen ERASMUSStudierenden, vor allem im zweiten Semester, nachdem viele internationale Studierende ihren nur einsemestrigen Aufenthalt beendet hatten. Ich fand es schwierig, KommilitonInnen aus meinen Vorlesungen kennen zu lernen, da Physik in Glasgow relativ klein ist und sich die schottischen Studierenden schon seit drei oder vier Jahre kannten und zudem sehr beschäftigt waren in ihrem Abschlussjahr. Es gibt einen Internationalen Club an der Universität Glasgow, der wöchentliche Filmabende, Kneipenabende etc. veranstaltet und auch viele Wochenendtouren zu Zielen in Schottland, England und Nordirland anbietet. Diese Ausflüge sind allerdings relativ teuer und werden natürlich ausschließlich von internationalen Studierenden besucht, daher habe meine Reisen lieber selbst geplant. Glasgow ist eine internationale Stadt, fast zwangsläufig läuft man anderen Deutschen über den Weg, in meinem Fall kamen sogar drei der Dozenten aus Deutschland. Die Universität veranstaltet eine Einführungswoche für internationale Studierende vor Beginn des Semesters und es gibt eine Ersti-Woche mit Informationsveranstaltungen und vielen Partys, vor allem in den zwei konkurrierenden Unions, die Veranstaltungsräume und Essen anbieten, Schreibwarenladen, Bars und Billardtische beherbergen und Partys veranstalten, die von vielen Studierenden besucht werden; ich habe dort allerdings nicht sehr viel Zeit verbracht. Es gibt keine richtige Mensa; das Essen, das angeboten wird, ist nicht gut und verhältnismäßig teuer, auch daher ist es vorteilhaft, nicht zu weit entfernt vom Campus zu wohnen. Insgesamt ist das Leben in Glasgow deutlich teurer als in Bonn. Glasgow hat eine sehr lebendige Musik- und Kunstszene, es gibt unzählige Kneipen, die allerdings nach deutschen Maßstäben sehr früh schließen, dafür herrscht auch unter der Woche kein Mangel an Abendveranstaltungen. Es gibt unzählige studentische Initiativen und Clubs, die Sporteinrichtungen der Universität sind exzellent. Außerdem gibt es viele Gemeinschaftsprojekte sowie karitative Einrichtungen. Obwohl Glasgow sehr hügelig ist und AutofahrerInnen Fahrräder nicht sehr respektieren, hat es sich für mich gelohnt, mir ein günstiges Fahrrad anzuschaffen (z.B. vom Barras Markt). Glasgow ist umgeben von hügeliger, grüner Landschaft und nahe am schottischen Hochland und den schottischen Inseln, so dass es besonders für NaturliebhaberInnen attraktiv ist. Ich habe einen sehr kalten, verschneiten und vereisten Winter dort erlebt - die meisten Häuser sind unglaublich schlecht isoliert, und der Winterräumdienst funktioniert so schlecht, dass sogar die Universität für einige Tage geschlossen wurde. Der Monat vor den Klausuren war dafür sommerlich warm und sonnig. 5 Fazit Ich bin sehr froh, mit ERASMUS für ein Jahr in Glasgow studiert zu haben. Dieser Auslandsaufenthalt hat mir gezeigt, dass ich in der Lage bin, mich in einem anderen Land und Sprachraum zurechtzufinden und in meinem Leben einrichten. Ich habe mich sehr wohl gefühlt, großartige Freunde gefunden und viel Neues erlebt und ausprobiert. Wenn ich auch an manch einem verregneten und grauen Tag dachte, dass ich mich für einen südlicheren Studienort hätte entscheiden sollen, finde ich Glasgow als Stadt dennoch empfehlenswert. Ein wenig bedaure ich, bei der Wahl des Zielortes nicht mehr darauf geachtet zu haben, eine Universität zu finden, deren Studienangebot mich mehr reizt und deren Veranstaltungen vergleichbarer mit denen in Bonn sind, so dass mir mehr für meinen Studiengang in Deutschland angerechnet werden könnten. Obgleich die letzten Monate wegen vielen Klausuren in sehr kurzer Zeit sehr anstrengend waren, wird mir mein ERASMUS-Aufenthalt als eine wirklich tolle Zeit Erinnerung bleiben, ich mich mit Schottland verbinden fühlen und zu Besuch nach Glasgow zurückkehren. 3