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Kapitel 1 Mein Leben - eine Erfolgsgeschichte? Als ich San Quentin zum ersten Mal betrat, war ich gerade 31 Jahre alt. Ich hatte die Kette von Ereignissen, die mich hierher geführt hatte, noch gar nicht verarbeitet, und so wollte ich nicht wahrhaben, dass dies hier von nun an mein Leben bestimmen würde. Ich weigerte mich, auch nur daran zu denken, wo ich mich befand und mit wem ich es in Zukunft zu tun haben würde – mit Abschaum und Schwerkriminellen! Diese Männer waren unter meiner Würde – und nun sollte ich einer von ihnen sein? Wie hatte es dazu kommen können? Wie hatte aus dem Goldjungen aus der Gegend um San Francisco plötzlich „Frischfleisch“ im Staatsgefängnis werden können („Frischfleisch“ werden die Neuen von den alten Hasen genannt)? Mein Leben war doch bisher eine einzige Erfolgsgeschichte gewesen. Nach meinem Universitätsabschluss, den ich mit Auszeichnung bestand, machte ich mich von Tennessee auf den Weg nach Kalifornien, wo ich den Immobilienhandel von der Pike auf lernte. Mitte der Achtziger tat ich mich mit Tony, meinem Geschäftspartner, zusammen. Wir waren wild entschlossen, die Metropolregion um die Bucht von San Francisco im Sturm zu erobern. Wir legten einen furiosen Start hin, tätigten Abschluss auf Abschluss und animierten Investoren, die von unserer Kreativität und Dreistigkeit angetan waren, uns mit Kapital zu versorgen. 21 Tony und ich waren bald als die Wunderknaben von der FriscoBay bekannt, und wir genossen diesen Ruf. Wir waren fest davon überzeugt, dass dies lediglich der Anfang einer steilen Karriere sei. Reichtum und Ruhm warteten auf uns. Ich war damals der stets gehetzte und getriebene Workoholic auf der Überholspur. Und wenn ich es ganz besonders eilig hatte, wäre ich am liebsten noch auf den Mittelstreifen ausgewichen und hätte das Grün dort platt gemacht. Ich war, wie ich dachte, zu Höherem geboren, und nichts schien mich davon abhalten zu können, das Leben zu leben, das ich als erstrebenswert ansah. Während ich einerseits viel Energie in mein Immobiliengeschäft investierte, arbeitete ich nebenbei noch als Dressman. Es gefiel mir, zusätzlich Geld zu verdienen, aber was mich noch mehr reizte, war die Aufmerksamkeit, die ich bekam. Außerdem war ich bald ein richtiger Modeexperte. Nachdem unser Immobiliengeschäft so richtig ins Rollen kam, kleidete ich mich nur noch in feinsten Zwirn. Ich glaubte fest an den Spruch, dass Kleider Leute machen. Für ein Großprojekt in der Innenstadt brauchten wir eine Menge Kapital. Ich musste mich also anstrengen, die richtigen Kontakte zu knüpfen, und dazu wollte ich unbedingt als erfolgreicher Geschäftsmann auftreten. Kein Maßanzug war mir zu teuer – Hugo Boss und Giorgio Armani waren meine Lieblingsmarken. Schnell noch in die italienischen Edeltreter geschlüpft, eine Designerkrawatte umgebunden, das Haar nach hinten gegelt – und schon war ich bereit für den Erfolg. Es war in der Tat ein Leben auf der Überholspur. Ich flirtete mit schönen Frauen, was das Zeug hielt – bei mir zu Hause, in Clubs und bei der Arbeit. Kokain war meine Lieblingsdroge, ständig traf man mich mit einem Cocktail in der Hand an. Ich liebte es, mit meinem schwarzen schnittigen BMW Sedan auf dem Weg zu Sitzungen die Straßen unsicher zu machen, und am Wochenende stieg ich auf meinen glänzenden dunklen Porsche um. Nachts war ich in weiblicher Begleitung auf den Flaniermeilen der Stadt unterwegs, auf der Suche nach dem nächsten Kick. Regelmäßig mietete ich für mich und meine Mädchen eine 22 Stretchlimousine, um uns von Club zu Club chauffieren zu lassen. Manchmal fuhren wir so lange vor einem begehrten Club auf und ab, bis sich endlich eine Warteschlange vor dem Eingang gebildet hatte. Dann erst ließen wir den Chauffeur halten und hatten unseren großen Auftritt auf dem roten Teppich. Aufsehen erregen, das war Tonys und mein Geschäft. Wir taten alles, um in die Medien zu kommen und ließen uns gern mit den VIPs fotografieren. Schon bald bekam ich heraus, wie das politische System funktionierte, und ich begann, Beamte in wichtigen öffentlichen Positionen zu schmieren, damit sie unsere Immobilienprojekte befürworteten. Oft verlor ich dabei jedes Maß und gab weitaus mehr Geld aus, als ich auf legalem Weg spenden konnte. Doch ich fand immer wieder einen Weg, die Gesetze zu umgehen. Sie waren lediglich eine unwesentliche Beeinträchtigung auf meinem Weg nach ganz oben. Als wir so richtig in Fahrt kamen, war uns jedes Mittel recht, um unsere Möglichkeiten bis zum Anschlag auszureizen. Als wir für ein 100-Millionen-Projekt Bürgschaften vom Staat brauchten, kannten wir keine Skrupel mehr. Ich machte mich sogar an eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung heran, die zu den Entscheidungsträgern zählte. Ich füllte fleißig die Wahlkampfkassen der Stadträte, und Tony rekrutierte Strohmänner, die auf einer entscheidenden Sitzung des Stadtparlaments unser Projekt in den höchsten Tönen lobten. Die Zahl der scheinbaren „Anwohner“, die an der öffentlichen Sitzung teilnehmen wollten, um das Bauprojekt zu befürworten, war so groß, dass der Platz im Sitzungssaal nicht ausreichte. Der Stadtrat, beeindruckt durch die überwältigende Resonanz, stimmte zu unseren Gunsten. Bill Dallas, der Wunderknabe, hatte wieder einmal alles schlau eingefädelt. *** 23 Aber wie sich bald herausstellte, hatte ich dabei einiges nicht vorausgesehen. Dazu gehörte die Immobilienkrise Anfang der neunziger Jahre. Sie traf mich wie ein Keulenschlag. Viele wurden von den plötzlichen Entwicklungen in der Wirtschaft überrascht, ich aber wurde darüber hinaus zum Gefangenen meiner eigenen Geschäftsstrategie. Im Frühjahr 1991 war alles, was wir an finanziellen Mitteln besaßen, aufgebraucht – hineingeflossen in unsere Projekte, die es uns bis dahin ermöglicht hatten, auf großem Fuß zu leben. Unser außer Kontrolle geratenes Ausgabeverhalten, die mangelhafte Budgetplanung und der lahmende Immobilienmarkt – das war eine Kombination, die uns schlicht und ergreifend das Geld ausgehen ließ. Unsere Geldgeber, die zum Teil selbst in eine finanzielle Schieflage geraten waren, begannen sich nach ihren Investitionen zu erkundigen, hatte ich ihnen doch vollmundig erfreuliche Renditen versprochen. Sie wunderten sich, warum die Arbeiten an ihren Projekten eingestellt worden waren, und sie wollten von uns wissen, wie sie so die Finanzkrise überstehen sollten. Das war der Zeitpunkt, als wir plötzlich Gegenwind zu spüren bekamen. Unsere Geschäftsstrategie beruhte auf dem Prinzip: mehr Schein als Sein. Wir nahmen immer den kürzesten Weg, tricksten und manipulierten, um unsere Investoren kurzfristig mit beeindruckenden Renditen zu versorgen. Das aber bedeutete, dass auch wir dauerhaft in Geld schwimmen würden. Doch der Traum ging nicht in Erfüllung. Die Firma brach zusammen und mit ihr das Leben, das ich darum herum aufgebaut hatte. Unser Luxusbüro mit der Panoramaaussicht wurde geschlossen, die Telefone abgemeldet. Ich wurde aus meiner Penthousewohnung geworfen, und meine Spielzeuge – die privaten Immobilien und schicken Autos – wechselten den Besitzer. Meine Freunde suchten sich neue Gastgeber für ihre Partys und die Mädchen geeignetere Begleiter. Der Gefeierte von früher wurde auf einmal von der feinen Gesellschaft geschnitten wie ein Aussätziger. 24 Und als wenn das alles nicht schon schlimm genug gewesen wäre, nun begann sich auch noch die Justiz mit mir zu beschäftigen. Eine gefährliche Kombination von Ignoranz und Ehrgeiz hatte mich nämlich dazu verleitet, die Gelder von Investoren nach eigenem Gutdünken einzusetzen. Tat sich irgendwo eine Finanzlücke auf, so investierten wir die Fremdmittel dort, ohne den Investor zu fragen. Zwar beabsichtigten mein Partner und ich, die Gelder ordnungsgemäß zurückzuzahlen, sobald das Projekt etwas abwarf, dennoch waren solche Machenschaften illegal. Und so begannen sowohl die Bundesbehörden als auch die Regierung von Kalifornien sich für mich zu interessieren und erhoben Anklage. Nun hatte ich ein langwieriges, teures Gerichtsverfahren am Hals. Ich war inzwischen bereit, jeden Job anzunehmen, den ich bekommen konnte, und so wurde ich Verkäufer bei Nordstrom, einem Warenhaus für Designerkleidung. Ich glaube, ich bekam die Stelle nur, weil ich so auffallend gut gekleidet war, aber es stellte sich bald heraus, dass ich nicht für den Einzelhandel geboren war. Mein Herz schlug nicht fürs Verkaufen. Eigentlich schlug mein Herz für gar nichts mehr. Ich war innerlich leer, wie betäubt, und es fehlte mir die Kraft zum Leben. In der Vergangenheit war es mir stets gelungen, dieses Gefühl der Leere mit neuen Spielzeugen, mit lauten Partys und mit Frauen zu betäuben. Aber jetzt, wo ich nichts mehr hatte, um mich abzulenken, musste ich mich der Erkenntnis stellen, dass ich mein Leben verabscheute – und damit mich selbst. Eines Abends zappte ich im Fernsehen durch die Kanäle und blieb bei einem Fernsehgottesdienst hängen. Der Prediger sprach über Erlösung und darüber, wie man mit Gott ins Reine kommt. Bis dahin hatte ich so gut wie gar nichts mit Religion und Glauben zu tun gehabt. Während ich aufwuchs, hatte ich hier und da mal ein paar flüchtige Begegnungen mit dem Christentum. Mein Vater ging nie zur Kirche, aber meine Mutter besuchte hin und wieder einen evangelischen Gottesdienst, zu dem parallel ein Kindergottesdienst angeboten wurde. Dadurch lernte ich die eine 25 oder andere biblische Geschichte und die Grundwerte des christlichen Glaubens kennen. Aber was es mit diesem Jesus Christus auf sich hatte, ist mir damals nie wirklich klar geworden. Mom und ich fanden die Leute in der Kirche sehr nett. Sie liebte das gemeinsame Essen nach dem Gottesdienst, zu dem jeder etwas mitbrachte, und die Veranstaltung zu besonderen Anlässen. Doch wir wurden nie zu aktiven Gemeindegliedern und verstanden auch nicht, was christlicher Glaube eigentlich bedeutete. Bis ich vierzehn war, spielte der Glaube kaum eine Rolle in meinem Leben. Da hielt eines Tages der Bruder meines besten Freundes aus dem Stegreif eine Bibelarbeit. Er sprach über unser Problem mit der Sünde, und darüber, dass Christus für uns am Kreuz gestorben sei, um die Strafe, die wir eigentlich verdienen, auf sich zu nehmen. Ich war entsetzt. Dieser Freund malte ein so drastisches Bild: Gott, opferbereit aus Liebe, erlöst mich durch den Mord an Jesus, und ich war die eigentliche Ursache mit meinem Eigensinn und meinem verdorbenen Wesen. Darauf musste ich doch reagieren! Nach diesem Abend begann ich, Gott permanent um Vergebung zu bitten. Mit „permanent“ meine ich zwei- bis dreihundert Mal am Tag. Es brachte mich an den Rand der Verzweiflung, dass ich ein gewohnheitsmäßiger Sünder war und es bis zu meinem Lebensende bleiben würde. Dabei hatte ich gar keine persönliche Beziehung zu Christus, sondern immer nur das ungute Gefühl, ein notorischer Schurke zu sein, dem unausweichlich die ewige Strafe drohte, wenn er es nicht irgendwie hinkriegen würde, sich zu ändern. Die Gemeinde, die mein Freund besuchte, war ausgesprochen gesetzlich, und jedes Mal, wenn wir zum Gottesdienst gingen, wurde uns eine Vielzahl von Gesetzen und Regeln auferlegt, die wir unbedingt zu halten hätten. Es war nicht zum Aushalten, aber zu Tode erschreckt durch die Lehren der Gemeinde über den Zorn Gottes und die Bosheit der Menschheit, sah ich keinen Ausweg, diesem System zu entkommen. Es blieb mir nichts weiter übrig, als mich um Besserung zu bemühen und fortwährend um 26 Vergebung zu bitten. Religion wurde für mich zur schwersten Bürde, die ich bis dahin auferlegt bekommen hatte. Was diese religiöse Gemeinschaft allerdings bot, waren klare Leitlinien und eine Art Stabilität für einen Jugendlichen, der in einem schwer gestörten Familiensystem aufgewachsen war. Als mein Vater starb, wurde ich, ohne es zu wollen, der Herr im Haus. Das aber war viel zu viel Verantwortung für mich, und der Erwartungsdruck, den ich sowohl von Gott als auch von der Familie her spürte, überforderte mich bald. Ich war dem Zusammenbruch nah. Und die Religion verstärkte bei mir nur die Gefühle von Schuld und Scham. So sehr ich mich auch anstrengte – es reichte nicht. Ich war mir sicher, dass ich Gottes Ansprüchen an mich nie und nimmer genügen könnte. Später kam ich in Kontakt mit Young Life, einer gemeinnützigen, überkonfessionellen christlichen Jugendorganisation. Hier begegnete ich einer ausgewogeneren Theologie, in der mehr die Gnade Gottes als Antwort auf mein sündhaftes Verhalten betont wurde. Aber so sehr mich dieser Ansatz zunächst beruhigte, so verunsicherte er mich auch. War Gott nun ein Gott der Vollkommenheit, Heiligkeit und der hohen Erwartungen, oder war er ein Gott der Liebe, der Vergebung und der Barmherzigkeit? An Letzteren wollte ich gern glauben, aber ich fürchtete, Ersterer könne der Richtige sein. Als ich dann auf die Highschool ging, kam das Aus. Ich sah keine Möglichkeit mehr, die sich widersprechenden Standpunkte unter einen Hut zu bringen und dem – wie ich glaubte – übertriebenen Gottes je gerecht zu werden. Ich musste das alles hinter mir lassen. Ich kniete mich hin und betete zu Gott, er möge mir vergeben, wenn ich nun das Kapitel Glauben für mich endgültig abschlösse. Täte ich dies nämlich nicht, so sagte ich Gott, würde ich sicherlich den Verstand verlieren. Die komplizierten Antworten auf meine Fragen und der Glaube an sich waren mir zu einer so großen seelischen Last geworden, dass ich meinem Instinkt folgte, mich entschuldigte und das Weite suchte. Für die nächsten dreizehn Jahre spielte Gott und der Glaube 27 keine Rolle mehr für mich. Von diesem Teil meiner Lebenserfahrungen schottete ich mich ab, und ich begnügte mich damit, einigen wenigen moralischen Werten zu genügen, die ich bis dahin kennengelernt hatte. Und nun lauschte ich diesem Fernsehprediger an einem einsamen Abend im Juli 1991. Ich meine, damals einen faszinierenden Spruch von Blaise Pascal gehört zu haben, dem zufolge jeder von uns ein Loch im Herzen trage, das so geformt sei, dass nur Gott hineinpasse. Das ergab für mich plötzlich einen Sinn. Ich hatte schon alles ausprobiert – Geld, Drogen, Sex, Alkohol, Reisen, Kleider, politische Macht, Autos und schöne Häuser – und dennoch konnte mich nichts füllen und wirklich glücklich machen. Die Leere in mir hatte bereits solche Ausmaße angenommen, dass nur etwas Übermenschliches, Übernatürliches weit jenseits meiner eigenen Anstrengungen sie ausfüllen konnte. Da ich nichts mehr zu verlieren hatte und alles gewinnen konnte, fiel ich am 11. Juli 1991 auf die Knie und lud Jesus in mein Herz ein. Ich konnte damals nicht ahnen, dass mein Rechtsanwalt mich eines Tages mit einem Jesuswort vor Gericht verteidigen würde: „Denn was gewinnt ein Mensch, wenn ihm die ganze Welt zufällt, er selbst aber dabei Schaden nimmt? Er kann sein Leben ja nicht wieder zurückkaufen!“ (Matthäus 16,26). Bei dem Wenigen, was mir damals mein Leben noch bedeutete – mein Job als Verkäufer trug kaum dazu bei, meine Lebensgeister zu wecken –, war der christliche Glaube plötzlich faszinierend für mich. Ich verschlang die biblischen Geschichten und lernte Unmengen von Bibelversen auswendig. Ich habe schon immer ein gutes Gedächtnis gehabt, und weil es für Christen einen so hohen Wert darzustellen schien, Schriftstellen auswendig zu kennen, hatte ich eine Möglichkeit gefunden, mich zugehörig zu fühlen. Schließlich nahm ich mir sogar vor, das Neue Testament fast ganz auswendig zu lernen. Das war wieder typisch für mich: Mit Feuereifer über die Stränge schlagen. Natürlich wäre es sinnvoller gewesen, mich damit zu beschäftigen, wie man eine Beziehung zu Christus aufbaut und sie nährt, 28 sodass sie wachsen kann. Aber ich hatte damals einfach noch nicht begriffen, dass es beim christlichen Glauben nicht um Leistung geht, sondern um eine Freundschaft mit Gott und darum, durch die Nähe zu ihm die eigene Persönlichkeit zu entfalten. Ich wusste nicht, dass mein größtes Problem mein oberflächlicher Charakter war, und dass es dagegen nur ein Heilmittel gab: mich Gott anzuvertrauen und ihm zu erlauben, mich zu verändern. Stattdessen tat ich, was ich immer am besten gekonnt hatte: analysieren, verstehen, handeln. Der Entschluss, Christ zu werden, war bei mir einzig und allein vom Verstand beeinflusst. Das war typisch für mich: Ich glaubte, alles begriffen zu haben, und hielt es nicht für nötig, das Ganze auch zu einem Herzensanliegen zu machen. Während die Juristen noch über mein Schicksal stritten, hatte ich Zeit genug, um mich christlich zu engagieren. Ich glaubte, dass es mir Spaß machen würde, jungen Leuten zu helfen, die noch auf der Suche nach ihrem persönlichen Glauben an Christus waren. So begann ich, als Ehrenamtlicher bei den örtlichen Programmen von „Young Life“ mitzuarbeiten. Dort lernte ich einige bemerkenswerte Menschen kennen, die sich mit viel Engagement für die Jugendlichen einsetzten. Doch trotz meines geistlichen Höhenfluges gelang es mir nicht, die Schlinge abzustreifen, die Justitia mir um den Hals gelegt hatte und die sich allmählich immer fester zog. Nach anderthalb Jahren kostspieligen und nervenaufreibenden Ringens musste ich schließlich den Tatsachen ins Auge sehen: Ich wurde wegen einem besonders schweren Fall von Veruntreuung zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Ich war wie vor den Kopf geschlagen, als ich das hörte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten mich die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft eher kaltgelassen. Ich rechnete fest damit, dass meine Anwälte mir schon aus der Patsche helfen würden. Obwohl ich inzwischen Christ geworden war, lebte ich immer noch so realitätsfern, dass ich alles Lästige verdrängte und unbekümmert in den Tag hinein träumte. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich gezwungen, mich mit 29 den Konsequenzen meines Handelns auseinanderzusetzen. Meine Verbrechen galten vor dem Gesetz schon als schwerwiegend, ähnlich wie Mord oder Vergewaltigung. Ich hatte nicht nur eine ziemlich lange Haftstrafe abzusitzen, sondern verlor noch manche meiner Bürgerrechte. Ich durfte bis auf Weiteres nicht mehr wählen, kein Geschworener werden und keine Waffen erwerben. Und selbst wenn man mich vorzeitig aus der Haft entließe, musste ich damit rechnen, dies nur mit Auflagen bewilligt zu bekommen. Die Bedingungen einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe sind in Amerika streng. Drei Jahre würde ich keinen Tropfen Alkohol trinken dürfen, und mein Bewährungshelfer konnte mich nach Gutdünken zum Drogentest schicken. Das Immobiliengeschäft würde mir versperrt sein – jede Betätigung also, die irgendetwas mit meiner Straftat zu tun hätte. Zu Tony, meinem früheren Partner, der ebenfalls verurteilt worden war, durfte ich keinen Kontakt mehr aufnehmen. Und jeden Arbeitgeber musste ich über meine Vorstrafen sofort beim Bewerbungsgespräch informieren. Außerdem durfte ich mich nicht selbständig machen. Erschwerend kamen, sobald man mich entließe, noch verschiedene Verbindlichkeiten hinzu: Geldstrafen, Steuerschulden und andere Forderungen. Eine der Geldstrafen allein betrug schon 750.000 Dollar. Regelmäßig würde ich mich bei meinem Bewährungshelfer melden müssen, ohne dessen Erlaubnis ich die Gegend nicht verlassen oder reisen durfte. Aber ich greife der Geschichte vor. Bevor an die wenigen Annehmlichkeiten einer Bewährung zu denken war, musste ich ja erst einmal meine Haft hinter mich bringen. Ich ahnte es damals noch nicht, aber diese Haft sollte mein Leben verändern, und zwar drastisch. 30