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Tim Alfers
Ware Macht
Dicker, kalter Nebel – hatte sich
vor die Sonne geschoben und die
Spitzen der Skyscraper Manhattans
veschluckt. Vielleicht waren die obersten
Stockwerke in diesem Moment ja
tatsächlich
verschwunden,
dachte
er. Sie könnten längst nicht mehr
Teil dieser Welt sein, aber keiner der
winzigen unbedeutenden Menschen
hier unten in den Strassenschluchten
ahnte etwas davon, weil der Nebel so
gekonnt klammheimlich seine „Arbeit“
verrichtete. Bei diesem Gedanken
huschte ein flüchtiges, kühles Lächeln
über das glattrasierte Gesicht von
Lawrence Ellison. Er warf einen kurzen
Blick auf die Frau die ihm gegenüber
auf den Ledersitzen der Limousine saß.
Der Chaufffeur hielt den Wagen an und
drehte sich um. „Mr. Ellison, wir haben
das Kampinski erreicht. Ich wünsche
den Herrschaften einen angenehmen
Aufenthalt.“ Die Wagentür öffente sich
und ein junger Hotelportier empfing
sie in einer unangenehm aufgesetzten
Weise: „Herzlich Willkommen im
Kampinski, Mr. Ellison. Ich hoffe, unser
Service wird sie zufriedenstellen.“
Lawrence stieg mit einem dynamischen
Schwung aus der Limousine und
würdigte den Portier keines Blickes.
„Unprofessioneller Versager.“ dachte
er, während er die Eingangstreppe des
Hotels überwand und in die Lobby
eintrat. „Kümmer dich lieber um meine
Frau.“ Er kalibrierte seine Gesichtszüge
zu jenem sympathischen, souveränen
Ausdruck, der ihn unwiederstehlich für
die Frauen und seine Geschäftspartner
machte und trat an die Rezeption. „Guten
Abend Mr. Ellison!“ Ich sehe, sie sind mit
ihrer neuen Frau hier… Es ist uns wie
immer eine Ehre! Hier sind die Schlüssel
für ihr Zimmer. Die Herrschaften der
ATF-Society hoffen auf ihr Erscheinen in
der Lounge.“ Lawrence legte den Arm
um die Schultern seiner Frau, die neben
ihn getreten war und sich ein etwas
künstliches Lächeln abrang. „Sicher.
Wir werden jetzt gleich dort hingehen
und später erst das Zimmer beziehen.“
Er steckte den Schlüssel ein, ließ seine
Frau bei sich einhaken und schritt mit
ihr in die Lounge neben der Lobby.
„Ganz wie sie wünschen Mr. Ellison!“
rief der Mann von der Rezeption ihm
hinterher. Die Lounge war ein großer,
geschmackvoll eingerichteter Saal mit
einem glänzenden hellen Boden und
niedrigen Sitzgruppen aus dunklem
Tropenholz und edlem Leder. Derartiges
Ambiente war Lawrence mehr als
vertraut. Es waren Räume wie dieser, in
denen er häufig seine Geschäfte machte
und unschlagbar war. Er wusste jetzt
schon, wie der Abend verlaufen würde.
Sie würden teure Zigarren rauchen und
Champagner trinken. Die Männer würden
ihm endlose Komlimente machen, ihn
für seine wunderschöne neue Frau
beglückwünschen und ihn schliesslich
um Geld bitten. Sie würden ihn in einer
gerade
noch
gesellschaftsfähigen
Weise regelrecht anflehen, in ihre
Unternehmungen zu investieren. Männer
die viel älter waren als er. Früher, vor
langer Zeit, hatte ihn das noch gereitz.
Heute langweilte es ihn. Vielleicht würde
er ihnen Geld geben und sie damit von
ihm abhängig machen. Vielleicht würde
er es freundlich verweigern und den
Moment zerbrechender Hoffnung in
ihren Augen beobachten. Es war ihm
eigentlich egal…
Es war kurz vor 12. Die Tür zum Bad war
nur angelehnt und er konnte sie singen
hören. Es war ein Song, den er damals als
Student oft gehört hatte: Always look on
the bright side of life… Verdammt, wer
war diese Frau, dass sie sich herausnahm,
ihn mit diesem Scheiß zu quälen? Er
lockerte seine Krawatte, um besser
atmen zu können, setzte sich auf die
Kante des Doppelbetts und ließ seinen
Blick durch das Hotelzimmer wandern.
Das Zimmer war in das warme Licht der
Bettlampen getaucht und penetrant
unaufgeräumt. Sie hatte ihren Kram
gleich nachdem sie hereingekommen
waren überall verteilt und sich damit das
Zimmer völlig angeeignet. Herrgott, das
hier war doch ein Luxushotel! Warum
war das Zimmer eigentlich so beschissen
klein? Ihr Abendkleid lag zerknittert
auf dem Bett, auf der Strecke ins Bad
reihten sich hintereinander ihre nuttigen
Lackschuhe, ihre Strumpfhose und
ihr schmutziger Schlüpfer mit Spitze.
Eigentlich mochte er keine Spitze…
Über dem Spiegel hing ihr pinker BH.
Wozu braucht sie den überhaupt, fragte
er sich. Vor dem Spiegel befand sich ihre
goldene Handtasche. Sie war umgefallen
und unzählige Schminkutensilien waren
herausgequollen. Er betrachtete die
Farbe ihres Lippenstiftes: Pink. Er haßte
Pink. Was mochte eine Frau nur dazu
veranlassen, derart geschmacklose
Dinge zu tragen? Wer war sie eigentlich?
Was ging in ihrem Kopf vor? Er hatte
noch nie mit ihr intim gesprochen und
verdammt, er wollte es auch nicht!
Wenn er es tun würde, dann würde sie
sicher damit anfangen ihm Fragen über
seine Gefühle zu stellen. Dabei hatte er
keine. Schon lange nicht mehr. In diesem
Moment aber, in dieser unerträglichen
Dichte des Hotelzimmers, empfand er
endlich wieder etwas! Und er umarmte
dieses Gefühl, obwohl es so abstossend
war, dass ihm kalter Schweiss auf die
Stirn trat. Der schwere, süssliche Geruch
ihres Parfumes nahm ihm die Luft. Die
Wände des Raumes schienen sich auf
ihn zuzubewegen als wollten sie ihn
zwischen sich erdrücken. Das Chaos in
seinem Kopf pochte von innen gegen
seine Schläfen. Er hob den Schlüpfer
auf, vergrub sein Gesicht in ihm und
konzentrierte sich auf seine Empfindung.
Dann wusste er, was er fühlte. Das Chaos
war plötzlich verschwunden und ein
kalter, glasklarer Gedanke durchschoss
ihn: „Ich hasse diese Frau! Wenn sie nur
einfach tot umfallen und verschwinden
könnte!“ Sein Puls begann zu rasen. Er
sah Bilder von Blut auf weißen Fliesen
vor seinem inneren Auge aufblitzen.
Den angsterfüllten Blick seiner Frau
und dann… Aus dem Bad ertönte ein
kurzer, spitzer Schrei. Auf ihn folgte das
quietschende Gräusch von Haut, die
über nasses Emaille rutscht und dann: Ein
dupfer, ekelhafter Laut wie das Bersten
eines Schädelknochens auf Keramik
oder Goldarmaturen. Lawrence hielt den
Atem an. Das einzige was er hörte, war
das Pochen seines eigenen Herzschlags.
Etwas Unfaßbares war geschehn. Seine
Frau war verreckt, weil er es so wollte!
Unbezahlbare Erregung erfasste ihn.
„Scheisse, ich bin so verdammt mächtig,
dass jetzt wirklich passiert, was ich will!“
Er hatte sich selbst übertroffen. Er hatte
etwas geschafft, das noch kein Mann vor
ihm erreicht hatte. Er war Gott!
Er wusste schließlich, was er dort sehen
würde. Seine Frau lag mit gebrochenem
Schädel in einer grossen Blutlache auf
dem Boden.
Sukhjeet Bhuller
Es ist 18 Uhr. Die Galerie hat schon seit
einer Stunde geschlossen und es ist
endlich Zeit nach Hause zu gehen.
Normalerweise nimmt die junge
Galeristin ein Taxi nach Hause. Aber weil
der Abend heute so schön ist, beschließt
sie nach Hause zu laufen. Es ist ja auch
nicht so weit. Auf dem Weg durch die
Stadt kommt sie an einem Gebäude
vorbei, das sie vorher noch nie bemerkt
hat.
Sie verspürt den Drang hineinzugehen.
Sie drückt die Tür und tatsächlich, sie
geht auf.
Im Innern erkennt die junge Frau, dass
sie in der Lobby eines Hotels steht. Sie
wohnt in dieser Stadt schon seit Jahren,
aber sie wusste nie, dass hier ein Hotel
war.
Die Lobby ist noch voll eingerichtet,
aber die Möbel sind verstaubt und voll
mit Spinnenweben. Es scheint auch
so, als hätten sich die Ratten bei den
Möbeln ans Werk gemacht. Überall sieht
man schon das Polster rausquillen. Sie
läuft weiter in die Lobby und gelangt
schließlich in den Ballsaal. Wie der
Empfangsbereich ist auch dieser Saal
noch voll eingerichtet. Sie kann fühlen
wie es hier zugegangen ist. Sie spürt,
wie die Gäste hier zu Abend gegessen,
getanzt und wie sich die Frauen beim
Frühstück unterhalten haben.
Es scheint ein Hotel aus dem frühen 20.
Jahrhundert zu sein.
Sie schaut sich das ganze Hotel an, auch
die ganzen Suiten in den oberen Etagen.
Sie ist so verzaubert von diesem Ort. Hat
da jemand ihren Namen gerufen? Nein,
das hat sie sich nur eingebildet. Das kam
bestimmt von draußen.
Es wird Zeit nach Hause zu gehen. Es ist
bestimmt schon dunkel draußen.
Auf der Suche nach dem Treppenhaus
fragt sie sich, warum dieses Hotel
leer steht. Warum wurde es nicht
renoviert und neu eröffnet? Wieso hat
es überhaupt zu gemacht? Verdammt,
wo ist denn die Treppe? Es ist doch
eine perfekte Lage für ein Hotel und so
schön.
Das Hotel ist groß und die Türen sehen
alle gleich aus. Wahrscheinlich kann sie
deswegen die Treppen nicht finden.
Aber da ist ein Aufzug. Den hat sie unten
gar nicht gesehen. Das ist jetzt auch
egal, ihre Füße tun weh und ein Aufzug
ist genau das, was sie braucht. Sie ist
gespannt, ob der noch funktioniert. Sie
drückt auf dem Knopf mit dem Pfeil
nach unten und nach ein paar kurzen
Minuten ist der Aufzug schon da. Sie
steigt ein und drückt auf EG. Der Aufzug
fährt los, hält aber nicht im Erdgeschoss.
Er fährt weiter runter. Komisch, sie hat
nicht bemerkt, dass die Treppen auch
zu einem Keller führten. Wahrscheinlich
ist die Kellertreppe woanders. Sie kann
ja einfach im Keller raus und dann die
Treppe hoch laufen. Dieser Aufzug ist
wohl doch schon kaputt.
Der Aufzug ist endlich im Keller
angekommen. Die Türen gehen auf. Sie
trifft auf völlige Dunkelheit.
Und dann: ein Schrei.
Mateuz Broniarek
„Nach ihrem Treffen war alles anders“
„Es passierte letzte Woche. Ich lag in
meinem Ein-Zimmer-Appartement auf
der Couch, als jemand an meine Tür
klopfte und gleichzeitig einen Zettel
unter der Tür durchschob. Ich lass den
Zettel, und riss sofort die Tür auf um
nachzusehen wer ihn mir gebracht
hatte. Der Flur war leer. Ich schloss
die Tür wieder und betrachtete das
Stück Papier noch einmal genau. Der
Absender hatte sich noch nicht einmal
die Mühe gemacht einen ganzen Satz zu
formulieren:
Thomas, morgen 19:00 Uhr, Exquisite
Hotel, Zimmer 311.
Meine Neugier trieb mich dazu
diese Verabredung wahrzunehmen.
Außerdem war es eine gute Gelegenheit
solch ein nobles Hotel einmal von
innen zu betrachten. Und wenn
ich nobel sage dann meine ich ein
Reich aus purem Luxus. Schon die
Eingangstür war ein Traum. Über die
ganze Bürgersteigsbreite war ein
roter Teppich mit goldenen Franzen
ausgerollt. Überdacht war dieser mit
einem halbrunden Stoffdach, mit einer
goldenen „EXQUISITE“ - Aufschrift.
Vor der Tür standen zwei Männer mit
rot-goldenen Uniformen die mich
begrüßten und mir die Tür aufhielten.
So wie ich angezogen war habe ich
nicht mit einem so netten Empfang
nicht gerechnet. Überhaupt hat mich
in meinem Leben noch nie jemand so
nett behandelt. Nicht einmal mein Vater
hatte ein gutes Wort für mich übrig, der
kannte nur seinen Schnaps, und eine
Mutter besaß ich nie.
Das Foyer überstieg fast meine
Vorstellungskraft. Der ganze Raum war
aus Marmor mit goldenen Verzierungen
und war etwa so groß wie ein halbes
Fußballfeld. Es war so hell, dass man
meinte sein ganzes vorheriges Leben
in der Nacht verbracht zu haben. Jeder
Schritt den man tat hallte durch den
ganzen Raum. Daneben war ein warmes
Summen zu hören, zusammengesetzt
aus den Stimmen der Leute die sich in
dem Foyer aufhielten. In der Mitte stand
ein riesiger Brunnen, dahinter, an der
Wand, die Rezeption und überall im
Raum an den Säulen standen Pflanzen.
Alle sich dort befindlichen Menschen
hatten fröhliche Gesichter, ob Gast
oder Angestellter. So stellte ich mir das
Paradies vor. „Sie müssen Herr Buhler
sein. Herr Thomas Buhler.“ meinte eine
Stimme von hinten, die sich als die des
hiesigen Concierge herausstellte, und
fuhr fort, „Einen schönen Guten Abend
und willkommen in unserem Hotel.
Sie werden bereits erwartet. Wenn Sie
bitte den Fahrstuhl nehmen würden“
Ich stieg in den Fahrstuhl, auf den der
Concierge zeigte, wunderte mich über
dessen Größe jedoch nicht mehr. Als
er Losfuhr ertönte eine leise, kaum
wahrnehmbare, Melodie. Es passte
einfach alles zusammen. Der Fahrstuhl
war ebenfalls mit Marmor ausgelegt,
wobei eine Seite ein Spiegel zierte. Ich
diesem erkannte ich mich jedoch nicht
richtig wieder. Ich sah anders aus. Wie
eine bessere Kopie von mir. Diese Kopie
zwinkerte mir zu. Und ich zwinkerte
zurück. Ein Guter Tag.
Die Tür des Fahrstuhls öffnete
sich wieder und ich sah einen
nicht endenden Flur der auf mich
zukam. Auch dieser war, wie
schon die Eingangssituation in rot
gehalten. Nebenbei bemerkt meine
Lieblingsfarbe. Rechts und links entlang
des Flurs erstreckten sich Türreihen. Ich
sah die Tür, mit drei goldenen Ziffern:
311. Ich Sah wie sie immer näher kam.
Dabei hörte ich mein Herz pochen wie
wild. Unregelmäßig. Was würde sich
hinter dieser Tür befinden. Ich hatte
ja nach wie vor keine Ahnung wer mir
die Nachricht übermittelt hatte. War es
klug überhaupt hierher zu kommen?
Hat mich mein Leben nicht Misstrauen
gelehrt? War das alles nicht zu hübsch
um wahr zu sein? Ich hielt eine Sekunde
lang inne. Dann fühlte ich dieses wohlig
warme Gefühl in meinen Adern. Das
konnte doch nicht schlecht sein. Wie
auch? Ich fühl mich doch so geborgen.
Ich wollte an die Tür klopfen, doch
sie ging auf, bevor ich sie berührte.
Ein von gleißendem licht überfluteter
Raum empfing mich. Das Licht war so
hell, dass ich kaum die Wände, oder
die Möblierung erkennen konnte. Und
mitten drin stand sie. Meine Mutter. Sie
zeigte mir ein zartes lächeln, und ich
war wieder ein Kind. Mit langsamen
Schritten ging ich auf sie zu. Nicht
ganz sicher, und doch ungeduldig. Mit
jedem Schritt den ich tat, vergaß ich ein
schmerzhaftes Kapitell meines Lebens.
Bei ihr angekommen war aller schmerz
vergessen. Ich fiel vor ihr auf die Knie.
Umarmte sie. Sie beugte sich zu mir
runter. Nahm mich in den Arm. Sagte
nichts. Brauchte sie nicht. Mein Herz
beruhigte sich. Wurde leiser…leiser…“.
Thomas schlief ein. Die Spritze aus
seinem Arm rollte auf den dreckigen
alten, knarrenden Holzboden und
wirbelte etwas staub auf. Die einst
hellen Wände waren schwarz, die
Tapeten zerrissen. Außer ihm war das
Zimmer leer und dunkel. Durch das
Fenster fiel rotes Neonlicht in welches
sein Gesicht getaucht wurde. Er würde
nicht mehr aufwachen.
Lena Deike
Es ist ein sonniger Samstagnachmittag
in New York. In der Honeymoon-Suite
des Plaza Hotels herrscht hektisches
Treiben. Victoria, Bridget und Anna
versuchen mit vereinten Kräften
Elizabeth ihr Brautkleid anzuziehen.
„Es ist wirklich ein Traum, dieses Kleid,
dieser Mann, diese Hochzeit. Du kannst
stolz auf dich sein, du heiratest heute
den begehrtesten Junggesellen ganz
New Yorks.“ „Ich weiß, ich kann es immer
noch nicht glauben, dass ich heute ein
neues Leben mit dem Mann meiner
Träume beginne.“
Elizabeth zupft am Ausschnitt ihres
schulterfreien, weißen Seidenkleids und
betrachtet sich verträumt im Spiegel.
„Habt ihr mal auf die Uhr geschaut?“
fragt Victoria. „Du willst doch nicht an
Deinem großen Tag zu spät kommen.
Da unten wartet die New Yorker High
Society auf das Ereignis des Jahres und
Du trödelst mal wieder! Auf jetzt, hier
ist Dein Brautstrauß, wir müssen los,
schnell!“
„Ja, Mami!“
lacht Elizabeth und streckt ihrer kleinen
Schwester die Zunge raus. „Bin schon
unterwegs!“
Die Mädchen verlassen kichernd die
Suite und hetzen den Flur entlang
zum Aufzug. Während sie warten, fällt
Elizabeth auf, dass sie ihre Ohrringe
vergessen hat.
„Sie sind Philips Hochzeitsgeschenk,
ich muss sie tragen. Geht schon mal
vor und beruhigt die Meute, ich komm
gleich nach.“
Sie gibt Bridget ihren Brautstrauß und
rennt zurück zur Suite.
„Typisch Lizzy! Immer auf die letzte
Minute!“
„Was dauert das denn so lange?“
Elizabeth wartet unruhig vor der
geschlossenen Tür, die Augen auf
den Zeiger gerichtet, der scheinbar
Ewigkeiten braucht, um die 7 zu
erreichen. Ein leiser Gong ertönt und die
Tür öffnet sich.
„Na endlich“ sagt Elizabeth leise vor sich
hin, „wenigstens ist hier ein Spiegel.“
Sie betritt den Aufzug und versucht
mit zittrigen Händen die Ohrringe
anzuziehen. Das erneute Erklingen des
Gongs lässt sie leicht zusammenzucken,
sie dreht sich zur Tür.
„Hallo.“
Ben steht Elizabeth direkt gegenüber
und sieht ihr in die Augen. Es durchfährt
sie wie ein Blitz. Ihr wird heiß und kalt
zugleich. Da steht er, der Mann ihrer
Träume. Sie dreht sich wieder zum
Spiegel und versucht ein zweites Mal
die Ohrringe anzuziehen, aber diesmal
zittern ihre Hände umso mehr. Elizabeth
betrachtet Bens Spiegelbild. „Er ist es!
Ich kenne ihn nicht, aber ich weiß, dass
der Mann, der vor dem Altar auf mich
wartet, nicht der richtige für mich ist.
Der richtige steht genau hinter mir!“ In
diesen Gedanken vertieft fällt Elizabeth
ein Ohrring aus der Hand und landet mit
einem leisen klirren auf dem Boden des
Aufzugs. Sie dreht sich erschreckt um
und steht Ben genau gegenüber. Er hebt
den Ohrring auf.
„Danke.“ Elizabeth dreht wieder zum
Spiegel, aber jetzt ist es endgültig
um sie geschehen. Ihre Hände sind
eiskalt und zittern wie Espenlaub. Ben
ergreift die Gelegenheit. Er befestigt
den Ohrring an ihrem rechten Ohr und
streicht ihr dabei sanft eine Haarsträhne,
die sich aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst
hat, von der Schulter. Elizabeth dreht
sich zu ihm. Sie spürt nur noch ihr Herz,
das wie wild klopft. Sein Kopf nähert
sich ihrem, sie kann seinen Atem spüren.
Es ertönt der Gong, die Aufzugtür öffnet
sich. Irritiert weichen Ben und Elizabeth
auseinander.
„Mein Taxi, ich“ stammelt Ben.
„Ja, ich muss auch“ erwidert Elizabeth
und verlässt den Aufzug Richtung
Ballsaal.
„Willst Du, Elizabeth Brooks, diesen hier
anwesenden Philip McKenzie zu Deinem
Mann nehmen, ihn lieben, achten und
ehren, in guten wie in schlechten Zeiten,
bis das der Tod euch scheidet, dann
antworte mit ja.“
Der Friedensrichter schaut Elizabeth
erwartungsvoll an. Sie dreht sich zu
Philip, der sie ebenso erwartungsvoll
anlächelt, dann sieht sie zu Boden.
„Ich kann das nicht tun! Es tut mir so
leid!“
Elizabeth lässt ihren Brautstrauß
fallen, rafft ihr Kleid und rennt den
Gang entlang hinaus aus dem Ballsaal.
Das Aufstöhnen der entsetzten
Hochzeitsgesellschaft nimmt sie nicht
mehr war, ihre Gedanken sind bei Ben.
Sie muss ihn finden. Wo ist er? Was hat
er gesagt? Taxi?
„Zum Flughafen, bitte.“ Ben schaut
aus dem Fenster des Taxis zurück auf
den Eingang des Plaza Hotels. Seine
Maschine zurück nach Hawaii startet
in zwei Stunden, es ist Rush Hour,
das wird knapp. Das Taxi bewegt
sich nur schleppend. Wer war diese
wunderschöne Frau in dem weißen
Kleid? Was hatte sie vor? Was musste
sie? Doch wohl hoffentlich nicht
heiraten! Und wenn, dann nur ihn! Die
Gedanken in Bens Kopf überschlagen
sich.
„Halten Sie an, sofort!“
Er stürzt aus dem Taxi und die Straße
zurück zum Plaza, an dem Pagen vorbei,
durch die Lobby, zum Ballsaal.
„Es ist nicht zu fassen! Lässt sie ihn
einfach stehen!“ Es herrscht immer noch
Verwirrung in der Hochzeitsgesellschaft.
Ben lässt den Blick durch den Saal
schweifen, sie ist nirgends zu erkennen.
Er dreht sich um und rennt zurück durch
die Lobby zur Rezeption.
Der Aufzug scheint noch langsamer zu
sein als sonst. Der Weg bis zum fünften
Stock kommt ihr vor wie eine Ewigkeit.
„Vielleicht hat er etwas vergessen und
musste zurück zu seinem Zimmer.
Er hatte ja schließlich keine Koffer
dabei. Hoffentlich wohnt er auch im
fünften Stock, hier ist er zumindest
eingestiegen. Egal! Ich werde ihn
finden!“
Elizabeth verlässt den Aufzug und irrt
durch den langen Flur. Sie kennt die
Zimmernummer nicht, aber das ist ihr
egal, sie klopft an jeder Tür.
Ben steht im Aufzug, Gedanken
schießen ihm durch den Kopf.
„Hoffentlich ist sie auf ihrem Zimmer.
Hoffentlich ist sie nicht einfach davon
gelaufen. Sie in der Stadt zu finden ist
schier unmöglich.“
An der Rezeption hat er erfahren, dass
die Honeymoon-Suite im siebten Stock
liegt. Sein Weg führt ihn direkt dorthin,
aber sein Klopfen bleibt unbeantwortet.
„Vielleicht sucht sie auch nach mir?
Ich bin im fünften Stock in den Aufzug
gestiegen.“
Ben zögert keine Sekunde, er rennt
zurück zum Aufzug.
Elizabeth hat kein Glück. Entweder
wird ihr nicht geöffnet oder keiner
hat einen Mann gesehen auf den ihre
Beschreibung von Ben passt. Sie läuft
den Flur entlang zurück zum Aufzug. In
ihrem Kopf herrscht nur ein Gedanke.
„Ich muss ihn wieder sehen!“
Elizabeth wartet unruhig vor der
geschlossenen Tür, die Augen auf
den Zeiger gerichtet, der scheinbar
Ewigkeiten braucht, um die 5 zu
erreichen. Ein leiser Gong ertönt und die
Tür öffnet sich.
„Hallo.“
Ben steht Elizabeth direkt gegenüber
und sieht ihr in die Augen. Es durchfährt
sie wie ein Blitz. Ihr wird heiß und kalt
zugleich. Da steht er, der Mann ihrer
Träume.
„Hallo!“
Fabio Fichter
„Hibakusha“
Das Hotel stand in Arizona; weiße
Flächen und Schwünge an einem
schroffen Hang. Die gelbe Sonne
brannte glühend heiß auf die staubige
Brachlandschaft. Die Trockenheit fraß
sich durch das Tal. Es lag ein Hauch
von nuklearer Detonation in der Luft.
Das Hotel hatte einmal Leben in sich.
Es war einmal landesbekannt und gut
besucht aber jetzt war es nur noch ein
Schatten seiner selbst, eine Erinnerung
an frühes, frisches Leben. Der leere
Swimmingpool gammelte hinter dem
Haus. Die Kellnerinnen schlichen ziellos
durch die Gänge und der Besitzer hatte
schon längst resigniert.
An der Theke saß ein alter Mann,
trotzig und roh; die Lucky Strike lässig
zwischen die Finger gesteckt; den
besten Scotch des Hauses zu Feier des
Tages. Im Fernseher nebenan warnte die
Regierung vor dem Angriff der Russen!
„Duck and Cover“
„Hätten wir es denen doch auch gleich
gegeben.“, murrte er.
Ein junges Mädchen betrat das Hotel.
Sie hatte feines schwarzes Haar, das
ihr lang über die Schultern fiel. Ihre
Haut schien unendlich dünn und
zerbrechlich. In ihrem blassen Gesicht
funkelten nur die dunklen Augen in
ihren tiefen Höhlen. Sie war benutzt
worden; ihr ganzes Leben lang.
Die zweite Person die das Hotel
betrat war ein Schatten, eingehüllt in
einen braunen Umhang, fast nicht zu
erkennen, aber mit einem unmenschlich
schlurfenden Gang, kraftlos und dünn.
Sie nahmen sich ein Zimmer. Niemand
nahm sich hier ein Zimmer. „Niemand
außer denen, die damals dabei waren.“,
dachte sich der alte Mann. Er war der
einzige der noch kommen würde an
diesem 6. August, das wusste er.
Das Mädchen kam zu ihm an die Bar.
Der Krüppel schleppte sich zu einem
Sessel.
Sie faszinierte den Alten, er strich sich
die Haare zurecht.
„Was macht denn so ein hübsches
Japsenmädel wie du hier?“ Sie schwieg
darauf, doch aus dem Sessel hörte
sie ein leises Knurren und Krächzen.
„Ich bin gekommen, um Sie zu
töten.“, antwortete sie schließlich in
gebrochenem Englisch. Ihre Stimme
klang fein und leise. Diesmal schwieg er.
In ihrer Hand blitzte eine Klinge. Sie
war hübsch und sie war schüchtern.
Er fragte sich wer sie war. „Ich bin eine
Hibakusha.“, antwortete sie. „Ihr habt sie
gezündet, ihr habt sie fallen gelassen.
Ihr verdient den Tod.“ Sie zitterte.
„Für Freiheit, Demokratie und
Vaterland.“, stammelte er. „Wir wussten
nicht…!“ Er brach ab.
Sie weinte leise.
Er kam um zu feiern, doch auch er
weinte. Wieder ertönte das Krächzen,
der Schatten stemmte sich hoch und sie
zuckte zusammen. Sie musste die Ehre
wieder herstellen und zückte ihr Messer.
Die Klinge strich an seinen Hals und
berührte seine Bartstoppeln. Geifernd
kam der Schatten näher und wollte Blut
sehen.
Der Alte wartete still. Doch sie konnte es
nicht. Sie tötete nicht ihn sondern sich
selbst bevor es der Krebs tun konnte.
Der Schatten hatte verloren; ihr Vater
war entehrt. Sie selbst starb friedlich.
Paulo Gotta
Noch nie hatte es in Cardenas in einem
Sommer so wenig geregnet. Über
mehrere Wochen hinweg sammelte sich
zäher Staub in der trockenen Luft, so
dass es kaum möglich war einen tiefen
Atemzug zu nehmen. Allan klammerte
sich fest an seinen schäbigen, alten
Koffer. Die Fahrt dauerte zu diesem
Zeitpunkt schon an die 2 Stunden. Im
schwachen Mondschein konnte er seinen Fahrer, der ihn von Cerritos mitgenommen hatte kaum erkennen. Sie
passierten ein Gebäude welches sich als
Hotel zu erkennen gab. Obwohl er nicht
vor hatte in diesem winzigen Ort zu
übernachten, brachte seine Müdigkeit
ihn dazu die Fahrt zu unterbrechen
und sich auf dem kleinen, staubigen
Parkplatz vor dem Gebäude absetzen
zu lassen.
verwundert, seine Augen flimmerten
jedoch so stark vor Müdigkeit, dass er
sich lieber darauf konzentrierte dem
Pagen zu folgen.
Es war ein kleines von der Zeit gezeichnetes Holzhaus. Mit seinem Koffer in
der Hand blickte er auf die kaum beleuchtete Eingangshalle. Als er ein
zweites Mal hinschaute, bemerkt er,
dass im gesamten Haus kein Licht
brannte. Dies hielt ihn jedoch nicht
davon ab in die Lobby einzutreten. Ein
übler Geruch von Moder stieg ihm in die
Nase. Allan ging auf die Rezeption
zu und bemerkte dass von den 38 Zimmerschlüsseln nur ein einziger fehlte.
Suchend schaute er sich nach dem
Pagen um. Dieser war nirgends aufzufinden.
Obwohl er genau unter einer Lampe
stand, warf sein Körper keinen Schatten. Allans Herz begann schneller zu
schlagen. Sein Atem wurde heftiger. Er
bemerkte den Schweiß auf seiner Stirn.
Die seltsamen Ereignisse seit dem er das
Hotel betreten hatte kamen ihm erneut
in den Sinn. Panisch suchte er nach
seinem Schatten. Allan drehte sich um,
starrte paralysiert in die Mündung einer
doppelläufigen Schrotflinte... gehalten
von seinem eigenen Schatten welcher in
diesem Moment abdrückte.
Ringgg, ringgg
Allan klingelte ungeduldig. Der Page
schreckte auf und schlug sich beim
hochkommen so heftig den Schädel,
dass er beinahe ohnmächtig wurde.
Nachdem er sich gesammelt hatte gab
der Page Allan ein Formular dass er
ausfüllen sollte, darauf hin überreichte
er ihm den Zimmerschlüssel. Allan griff
danach, doch es schien als würde ihm
jemand diesen Schlüssel aus der Hand
schlagen. Er musste sich bücken um den
Schlüssel vom Boden aufzuheben.
Ehe sich Allan versah , hatte sich der
Page bereits mit seinem Koffer in
Bewegung gesetzt. Allan folgte ihm auf
der knarrenden Holztreppe in den 1.
Stock. Sie betraten einen schmalen Flur.
Allans Füße versanken im
abgenutzten aber trotzdem flauschigen,
grüngemusterten Teppich.
Im schwachen Licht erblickte Allan eine
Person am Ende des Ganges. Seine
müden Augen erkannten, dass es sich
wohl um den einzigen Gast handelte, eine junge Frau die verzweifelt
versuchte Eis aus einem Getränkeautomaten zu bekommen. Bei ihr angekommen, lächelte er sie kurz an und
verpasste dem Automaten einen kräftigen Schlag. Doch schon bevor er traf,
schossen die Eiswürfel unkontrolliert
aus der Öffnung. Allan war darüber zwar
Am Zimmer angekommen, öffnete der
Page die Tür, stellte sein Gepäck ab und
hielt ihm demonstrativ die geöffnete
Hand hin. Allan wühlte in seinen
Taschen. Neben Zetteln, einem Hornkamm und benutzten Taschentüchern,
fand er nur einen Glückskeks, den er
einige Tage zuvor in einem chinesischen
Restaurant mitgenommen hatte. Er
drückte diesen dem Pagen verschämt
in die Hand und schaute auf den Boden.
Der Page verließ genervt den Raum,
ohne die Tür zu schließen. Allans Hand
zog den Schlüssel aus der Tür und
schloss diese von innen ab.
Matthias Hampe
„Stay“
Ein Zischen, Dampf, ein letztes Stöhnen
vom Motor. Dann war’s rum. Mitten in
der Einsamkeit, egal wo man hinschaut,
Staub und Wüste. Stue stieg aus, öffnete
die Motorhaube – keine Chance, der
Kühler war komplett durchgeraucht.
Scheiße. Aber war da nicht ein Schild
gewesen. Motel – 10 Meilen. Es dämmerte
bereits. Was soll’s, hier bleiben wäre auch
nicht toll. Stue nahm seine Tasche und
machte sich auf den Weg.
Es war ein heruntergekommenes Motel
mitten in der Einsamkeit. Das kitschig
einstmals wohl grell Neon leuchtende
Schild ragte wie ein Denkmal besserer
Zeiten in den abendlichen Himmel.
Ein Wrack von Truck stand auf dem
Vorplatz, gezeichnet von Wind und Rost.
Kein Anzeichen von Leben in dieser
gottverdammten Gegend, wäre da nicht
diese Musik vom Inneren des Motels.
Stue zögerte zunächst. - Ach was. Was
soll schon sein, morgen bin ich wieder
weg. – Er ging über den Vorplatz und
betrat mit einem gewissen Unbehagen
das, was wohl seine Bleibe für die Nacht
werden sollte. – Morgen bin ich ja wieder
weg.
Die Tür öffnete sich. Hinter der schäbigen
Fassade befand sich ein nicht weniger
grässliches
Schnellrestaurant.
Mit
verblasstem Kunstleder überzogene
Sitzbänke an Plastiktischen. Eine Theke,
wohinter sich wohl eine Küche bestehend
aus Friteuse und Mikrowelle befand,
ein Teil der Theke war zur Rezeption
umfunktioniert. Im Hintergrund erahnte
man den Aufgang zu den Zimmern.
Irgendwo spielte eine Juke-Box einen
alten Song. Eine Frau putzte gerade die
Tische, an denen scheinbar seit Jahren
niemand mehr gegessen hatte. Hinter
der Theke blickt ein Typ von seinem
Tresen auf, nur um den Blick kurz
darauf uninteressiert wieder zu senken.
– Psychopathen. Aber was will man auch
erwarten in dieser Einsamkeit. – Stue
schritt auf den Mann hinterm Tresen zu.
– „Ein Zimmer für die Nacht“ – „10$“- Stue
schob ihm das Geld über den Tresen.
Lachen schalte aus dem Hintergrund.
Erst leise, immer wahnsinniger werdend.
–
„für die Nacht. FÜR EINE
NACHT. DAS IST GUT. SEHR
GUT“
Stue blickte sich um. Im hinteren
Bereich. strähnige Haare. Unrasiert.
Runtergekommen wie der Rest. Whisky.
-
-
„ Was willst du denn!? Sauf
weiter Alter und lass mich in
Ruhe.“
„Keine Sorge. Ich werde dich
gleich in Ruhe lassen. Aber
komm mal her. Ich will mit dir
reden. Das schulde ich dir.“
Stue kam näher. Er hatte keine Ahnung
warum, aber tat es.
-
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-
„Du schuldest mir gar nichts.“
„Du weist ja gar nicht, was du
mir gegeben hast.“
„ Gegeben hast?“
„Freiheit, Man.“
„???“
„Hey, wie soll sich denn hier
ein Motel halten? Schon
mal drüber nachgedacht?
Hier, in so einer Einöde. Was
meinst du wie oft hier Leute
absteigen?“
„So gut wie gar nicht. Aber
was hat das mit deiner Freiheit
zu tun.“
„Na was würdest du denn
machen, wenn du Kunden
brauchst, und fast nie welche
hast?“
„Keine Ahnung“
„Stell dich nicht so dumm
an. Du musst sie länger hier
behalten. Ist doch klar.“
„???“
„Na ja, ich hab’s auch erst
nicht kapiert, aber du wirst
noch verstehen. Das braucht
immer seine Zeit. Als ich auf
meiner Tour mit dem Truck
hierher kam, da hab ich
den Alten auch für verrückt
gehalten. Er sagte mir das
gleiche, was ich dir jetzt sage.
DU WIRST HIERBLEIBEN. DU
BIST JETZT HIER DER GAST. BIS
DER NÄCHSTE IDIOT KOMMT.“
„Was erzählst du da. Ich bin
morgen wieder weg.“
„Nein. Das glaube ich
nicht. Du wirst meinen
Platz einnehmen. Hey, die
brauchen hier einen Gast
und ich war es lang genug.
Aber probier´s ruhig. Versuch
zu gehen. Ich hab’s versucht.
Wirst schon sehen. Du musst
warten müssen. 5 Jahre, 10
Jahre. Was auch immer.
Danke noch mal. Du hast was
gut bei mir. Schönes Leben
noch.“
Der Kerl kippt den Whisky runter, steht
auf und geht zur Tür. Die Tür fällt ins
Schloss. Die Juke-Box springt.
ENDE
Johanna Hardil
Es ist ein großes, schönes Hotel. Sein
Charme liegt in dem Reichtum vergangener Zeiten. Doch der gute Name ist
geblieben. Wo es sich befindet, spielt
keine Rolle.
Ein Mann betritt die Hotelaula. Er hat
nur ein kleines Gepäck, seinen Mantel
trägt er über dem Arm. Er ist allein. Es ist
Nebensaison, dieser Umstand lässt den
Unbekannten noch einsamer wirken.
Der Boden auf dem er sich zur Rezeption bewegt, ist glatt und die Ledersohlen
seiner Schuhe hinterlassen bei jedem
Schritt ein Geräusch, das sich die große
Treppe hinauf zu bewegen scheint.
So sieht ihn der Portier auf sich zukommen. Er erkennt ihn, lächelt ihm
freundlich entgegen.
Der unbekannte Mann erwidert die
Begrüßung. Es ist nicht nötig viel zu
sprechen. Man kennt sich, man kennt
die Gegebenheiten im Hotel.
Der Schlüssel schließt seit Jahren die Tür
zum selben Zimmer.
Der Mann betritt den gewohnten Raum.
Er legt kurz ab und sieht sich um. Alles
ist so wie er es jedes Mal vorfindet. Ein
Gefühl der inneren Beruhigung. Ein
Blick aus dem Fenster. Die Umgebung
ist in schwere Nebeldecken gehüllt. Der
Unbekannte beginnt die wichtigsten
Dinge an ihre Plätze im Raum zu verteilen. Liebevoll sorgfältig stellt er eine
Fotographie seiner Frau und sich auf
den Nachttisch. Seine Hand verdeckt dabei ihr Gesicht. Noch ist Zeit ein wenig
auszuruhen.
Es ist Abend geworden. Musik steigt
von der Aula hinauf, durch die Flure und
Türen in den Raum. Vorbereitet für den
Abend an der Bar folgt der Mann freudig
dieser Verlockung.
Das Hotel ist wie verwandelt. Schöne Menschen in Abendgarderobe.
Goldene Kronleuchter. Kellner nehmen
freundlich Bestellungen auf. Mit einer
Gruppe junger Mädchen, lachend und
schwatzend, stößt er am Fuß der Treppe
fast zusammen. Er schlägt die Richtung
der Bar ein. Sein Herz, sein Atem, alles
pulsiert vor fröhlicher Aufregung.
Die Bar ist bereits voll. Zigarrenrauch in
der Luft. Die Band feuert die Menge an,
die Gäste tanzen, lassen sich vom Feuer
erfassen.
Der Mann nimmt an der Bar Platz. Ein
gediegener Herr neben ihm verwickelt
ihn in ein Gespräch, bietet ihm Zigarren
an. Er bestellt einen Drink.
Sein Blick schweift zur Seite, die Bar
entlang. Da sieht er eine Frau. Sitzend
im Profil. Allein. Die Zigarette tanzt
zwischen ihren Fingern. Der Mann
entschuldigt sich, geht auf sie zu. Sie
scheint interessiert. Sie unterhalten
sich. Sie lacht. Drinks werden bestellt. Er
fordert sie auf zu tanzen. Sie bewegen
sich in die Menge, tanzen wild, lachen,
umarmen sich. Sie küsst in schnell in der
Bewegung ihres Tanzes. Später verabschiedet sich die Band, Musik erschallt
aus den Lautsprechern. Die ersten Gäste
verlassen die Bar, um auf ihre Zimmer
zu gehen.
Er nimmt sie bei der Hand, zieht sie zu
sich, küsst sie lange. Die Musik versinkt,
wird ruhiger.
Sie flüstert im ins Ohr. Er nimmt ihre
Tasche und sie bei der Hand, die Treppe
hinauf, in sein Zimmer, das er so gut
kennt.
Der Mann nimmt die Frau in den Arm, er
berührt vorsichtig den weichen Hals.
Das Bett ist ganz nah, er setzt sich, blickt
auf die Fotographie auf dem Nachttisch.
Sie streicht ihm über den Kopf, scheint
das Bild gar nicht zu sehen. Nicht sehen
zu wollen? Sie ist verliebt in ihn. Sie verbringen die ganze Nacht miteinander.
Am morgen wacht er auf. Ein weißes
Licht im Zimmer, die Laken zuwühlt. Sie
ist nicht da.
Er steht auf. Wäscht sich. Zieht die
Vorhänge nicht auf. Packt seine Sachen
zusammen.
Er nimmt die Fotographie vom Nachttisch. Diesmal erkennt man das gesamte
Bild. Er lacht darauf. Hat seinen Arm
zärtlich um die Frau gelegt, die ihren
Kopf an seine Schulter gelehnt hat. Auch
sie lächelt glücklich in die Kamera. Es ist
die Frau von gestern Abend.
Der Unbekannte, den Koffer in der
Hand, den Mantel überm Arm, nähert
sich der Rezeption.
Die Aula ist leer. Der Boden glänzt. Es
scheint kein Mensch hier gewesen zu
sein. Der Portier lächelt. Hinter ihm das
Regal mit den Haken für die Zimmerschlüssel. Alle Schlüssel hängen an den
Nummern, es fehlt kein einziger. Bis auf
seinen. Er gibt den Schlüssel zurück. Der
freundliche Portier verabschiedet sich.
Er wird den Unbekannten bald wieder
sehen.
Daniel Dickel
Blaulicht, Regen und Dunkelheit. Es sind
zwei Wagen frontal zusammengestoflen
und eine Frau wird mit lebensgefährlichen Verletzungen in einem Krankenwagen behandelt. Der Unfallwagen
ist so katastrophal zerstört, dass die
auftretenden Lebenszeichen des Opfers
schon ein kleineres Wunder sind.
Völlig unerwartet bekomme ich einen
Anruf von der Polizei und erfahre von
einem schweren Verkehrsunfall, den
meine Frau hatte. Der Beamte erzählt
mir, dass wohl der Unfallverursacher die
Kontrolle ¸aber sein Fahrzeug bei regennasser Fahrbahn verlor und meiner Frau
frontal in das Auto gekracht ist.
Ich folge ihr sofort ins Krankenhaus
und sehe als erstes sie, eine Frau ohne
Lebensqualität, auf einem Bett der
Intensivstation liegen. Ich kann sie
zunächst gar nicht erkennen, weil sie
völlig mit Schläuchen ¸bersäht ist, an
einer Beatmungsmaschine hängt und
künstlich mit einer Sonde ernährt wird.
Angst kommt in mir auf, ich werde
zittrig, Schweiß durchnässt mein Hemd
und ich merke, dass sie um ihr Leben
kämpft. Tausend Gedanken schießen
mir in den Kopf“ der erste Kuss an der
Party von Thomas, die erste gemeinsame Wohnung in München und dann
unsere Hochzeit. Der Kampf um das
Leben scheint schon verloren.
Doch eines sonnigen Tages zeigen die
medizinischen Geräte die Wende hin
zum Guten an. Nur eines lässt mich in
Missmut verharren: sie antwortet nicht
auf meine Fragen und erkennt mich
nicht mehr. Ich atme nur sehr langsam
auf, da der Oberarzt mir, ihre schweren
Hirnschäden und den dadurch hervorgerufenen Gedächtnisverlust bestätigt.
Als meine Frau endlich aus dem
Krankenhaus entlassen wird, fliege
ich mit ihr sofort auf „unsere“ Insel in
der Karibik, um in einem Hotel einen
Urlaub zu verbringen. Seit dem Unfall
dachte ich darüber nach, mit ihr sofort
nach Kingstown zu reisen, um unsere
schönsten gemeinsamen Tage wieder
aufleben zu lassen; diese gemeinsamen
Flirtwochen waren wie ein Traum. Die
Ausblicke aus unserer Honeymoonsuite,
diese Romantik, der Strand, das Wetter
und das blaue Wasser werde ich nie
vergessen. Doch all diese Erinnerungen
kann sie leider nicht mit mir teilen. Meiner Frau kommt alles völlig neu vor.
Ich erzähle ihr immer wieder meine
Erinnerungen, die während unseres
Aufenthaltes aufkommen. Je mehr ich
meiner Frau beschrieb und in bildhafte Worte umsetzte, umso bekannter
wurden ihr die Details, wie das Bad, der
Ausblick, die Holzstaturen. Es scheint,
dass ihre Erinnerungen immer mehr zurückkommen und diese sich langsam als
ein „Lebenspuzzle“ in ihren Gedanken
zusammensetzen würden.
Es wird zwischen uns immer romantischer und die Liebe beginnt wieder
neu aufzuleben. Der Urlaub gleicht den
zweiten Flitterwochen. Nein, das Gefühl
war noch weit aus ¸berwältigender“
denn schließlich hatte nicht nur unserer
Liebe eine weitere Chance bekommen,
sondern das LEBEN.
Nach einem gemeinsamen Essen am
Strand bei Vollmond und vielen intensiven Gesprächen, gehen wir zwei ins Bett
und träumen von unserer gemeinsamen
Zukunft.
Plötzlich grell stechende Flammen,
knackend- knisterndes Holz und beißender Rauch wecken mich. Nachdem ich
mit aller Kraft um den letzten Sauerstoff
des Raumes rang, scheint mein Körper
so geschwächt und ich falle in einen
Schock. Dann stürzt das Holzgebäude
unter lautem Getose zusammen.
Einer Zeitungsheadline ist zu entnehmen, dass bei einem Hotelbrand in der
Karibik zwei Menschen starben.
Sebastian Kemper
„Das Stundenhotel“
Szene 1: Der Weg ist das Ziel
Der Weg nach Hause, er kannte ihn.
Jeden Tag, jeden Monat, seid Jahren fuhr
er ihn zur selben Zeit zusammen mit
tausend anderen kapitulationswilligen
Bürokratiehamstern die ihr alltägliches
Laufrad verließen. Die Frau, das
Kind und natürlich der lauwarme
Kartoffelbrei warteten schließlich
schon geduldig auf das jeweilige
Familienoberhaupt. Sie waren
Galeerensklaven. Alle gefangen
auf einem Geisterschiff das sich auf
seinen Weg aus der Großstadt in den
suburbanen Heimathafen machte. Der
pünktlich einsetzende Feierabendregen
lieferte die passende Begleitmusik.
Nein, heute nicht. Heute sollte es keinen
Kartoffelbrei geben; heute Steak,
mindestens 500 Gramm und bitte
schön saftig! Ein Hauch von Revolution
lag in der Luft. Er hatte es von
Kollegen gehört, das wiedereröffnete
Stundenhotel, ein halblegaler Puff am
Stadtrand, das sollte es heute sein. Zwei
Straßen anders als gewohnt, schon war
man da. Durchaus machbar, selbst für
ihn. Er setzte den Blinker.
Szene 2: Parkplatz der Perversitäten
Weder Regen noch Nebel konnten
das grell leuchtende Schild am Ende
der Sackgasse verhüllen: Hotel.
Ein verruchter roter Klecks Farbe
im grau-blauen Abendszenario.
Das Etablissement selbst war
sein architektonisches Ebenbild:
Mittelkaputt, mittelalt, und mittelmäßig,
nur das Schild stach heraus.
Auf dem Parkplatz herrschte reges
Treiben. Die Passanten starrten ihn
an und die Autos bewegten sich
rhythmisch. Wie pervers dachte er und
wurde nervös. Zuviel Revolution auf
einmal schien nicht gut für ihn zu sein.
Fremdgesteuert ging er zum Eingang.
Szene 3: Die Hölle, das sind die Anderen
Auf den ersten Blick schien das Innere
zu halten, was das Äußere versprach.
Das Ambiente hatte nicht viel zu tun
mit seinem kuscheligen Zuhause. Das
Gegenteil war der Fall. Die Tapeten
waren verblasst, die Couchgarnitur
irgendwie benutzt und das gedämpfte
Licht flackerte. Sein Blick wandte sich
Richtung Bar und er wurde schon
wieder nervös.
Die Frauen dort waren nämlich alles
andere als verblasst. Sie schienen
vielmehr einem seiner surrealen
Wunschträume entsprungen zu sein.
Lasziv räkelten sie sich in barocker
Vielfalt, die Fleisch gewordene Sünde,
ihre traurigen Opfer umgarnend.
Allesamt Medusen damit beschäftigt
die störenden Krümel von der Couch zu
entfernen, Krümel wie ihn.
Man tippte auf seine Schulter.
Frauenstimme: „Was kann ich für Dich
tun Kleiner?“
Seine Hände wurden nass, die kleine
Feierabendrevolution schien im Keim
erstickt.
Mann: „Ähm, nichts ich schau mich
eigentlich nur so mal um.“
Frauenstimme: „Verstehe, nichts, nur mal
umsehen. So läuft das hier aber nicht!
Das Übliche oder mal was anderes?“
Das war alles nicht seine Liga, zu hoch
für ihn. Weder Körper noch Geist
schienen dem gewachsen. Er würde
wieder die Socken anlassen und sich bis
auf die Knochen blamieren.
Frauenstimme: „ Kannst mir vertrauen.
Wir haben alle Männer wie Dich zu
Hause sitzen!“
Mann: „Ok also, hmm, dann würd´ ich
nur ein bisschen mit Dir reden wollen
und vielleicht dann später, naja.“
Frauenstimme: „Schon ok, kostet aber
dasselbe.“
Sie griff seine Hand und man ging
Richtung Treppe.
Szene 4: Der Beichtstuhl
Sie saßen sich gegenüber auf dem Bett,
seine Beichte begann.
Mann: „Ich weiß nicht wo ich anfangen
soll.“
Frau: „Am besten von vorne wenn ich Dir
denn helfen soll.“
Mann: „ Ok, also bin verheiratet, mit
Kind...“
Er heulte sich aus, über seine brave Frau,
sein verzogenes Kind, seinen banalen
Job und überhaupt die ganze Scheiße
die ihm anscheinend den Weg zu einem
höheren Sein versperrte. Es tat ihm
gut, denn sie schien zu verstehen. Der
gefallene Engel aus der Parallelwelt
kannte sein tristes Leben nur zu gut.
Die Zeit verging, die Revolution kehrte
zurück.
Mann: „So, und nun?“
Frau: „Konnt´ ich Dir helfen?“
Mann: „Ja, aber ich würd´ jetzt gern...“
Frau: „Du zahlst jetzt Kleiner, Deine Zeit
ist rum!“
Scheiß Emanzipation dachte er, aber
egal. Er zog sein Portemonnaie und
der Blick fiel auf das obligatorische
Familienfoto. Also doch Kartoffelbrei,
nun gut muß ja nicht schlecht sein.
Szene 5: Die Hölle, das sind die Anderen
Die Tür des Zimmers schloß sich hinter
ihm. Er stand allein auf dem Flur,
bloß raus hier! Plötzlich öffnete sich
die gegenüberliegende Zimmertüre
und ein anderer Hamster verließ den
Raum. Im Schlepptau eine Frau, stark
geschminkt, mit Strapsen; seine eigene
Frau, diabolisch grinsend. Frau: „Na
Schatz! Warte schon mal unten, ich
mach gleich Feierabend.“
Die Revolution war gescheitert!
Philipp Knierim
„Scarborough“
Schon wieder musste er raus aufs Land
zu einer dieser nie endenden Verhandlungen. Es war das vierte oder fünfte
Wochenende in Folge an dem Ryan
nicht zur Ruhe kam. Doch diesmal konnte er wenigstens am Strand spazieren
gehen, das „Clifton Bay“ lag ausgesprochen exklusif auf einer Klippe oberhalb
des Atlantiks. Außerdem liebte er die
kurvenreiche Küstenstrasse nach Scarborough, endlich konnte er seinen 64er
E-type mal ordentlich ausfahren.
„Eigentlich alles bestens“, sagte er zu
sich selbst, lächelte zufrieden, drückte
aufs Gas und genoss den Wind in seinen
Haaren. Doch er wußte ganz genau,
dass er sich damit belog. Um viertel
nach sechs erreichte Ryan das Hotel und
stellte seine beiden Keepalls auf den
Empfangstresen.
Als er seine Reservierung bestätigte,
konnte er den Namen einer Person
erkennen, die vor ihm eingecheckt war:
„Ann van Houten“.
Ryan stieg die lange Holztreppe nach
oben, wenn immer er hier war, pflegte
er im Eckzimmer des ersten Stockes zu
nächtigen. Es war das einzige Zimmer
mit Veranda. Er warf sein Sakko auf
das Bett und trat aus.
Ryan starrte hinaus auf den Horizont.
Die Sonne versank blutrot im Meer. Und
sofort liefen die alten Bilder in seinem
Kopf, wie glücklich er mit ihr gewesen
war, ihr makelloses Aussehen, ihr
anregender Duft, ihr immer freundliches
Lächeln. Doch hatte der Alltag beide
zerrissen. Und dann kam ihre Krankheit
hinzu. Ryan war nur schwer über ihre
Trennung hinweggekommen.
„Van Houten“, sagte er leise vor sich hin,
sie war noch nie ein Mädchen gewesen,
der es an viel fehlte.
Doch mußte sie ausgerechnet diesen
geleckten Princeton Affen heiraten? Sein
ewiger Rivale.
Van Houten hatte anfangs mit ihm
studiert, und obwohl sie beim Rugby zusammen große Erfolge gefeiert hatten,
hatte van Houten ihm nie verziehen,
dass er den Job als Junior Partner
bei GmK bekommen hatte.
Ryan stieg noch schnell in die Dusche,
schließlich wollte er noch bei einem
Drink an der Bar entspannen, da der
folgende Tag sicherlich anstrengend
werden würde. Wieder mußte er an Ann
denken. Er war schon seit Wochen
wegen dieses Termins ziemlich nervös
gewesen.
Seine Kanzlei hatte ausgerechnet ihn zu
der Besprechung mit dieser Reporterin
geschickt.
Um gut vorbereitet zu sein, hatte er
seine Sekretärin recherchieren lassen
und war darauf gestossen, dass es sich
um seine Verflossene handelte.
Ryan warf sich kurz einen dünnen
Pullover über und wollte die Treppe ins
Erdgeschoss hinunter gehen, als ihm
plötzlich wieder die alten Bilder durch
seinen Kopf schossen. Diesmal
wurden sie durch einen Geruch ausgelöst. Dieser süße, völlig das Hirn betörende Duft, Ryan erkannte und folgte
ihm bis zu der angelehnten Zimmertür,
er zögerte, doch er konnte nicht davon
ablassen und trat ein. Da saß sie, das
blonde Haar trug sie jetzt etwas kürzer. Aber sie sah immer noch bezaubernd aus.
„Ich hatte gehofft, dass du kommst, und
sie nicht einen deiner alten Kollegen
schicken!“ Sie hatte ihn also erwartet.
Aber wieso? Sie stand auf, strich ihm im
Vorbeigehen über die Wange und
bereitete zwei Scotch.
Sie redeten von vergangenen Zeiten.
Ryan fühlte sich nach anfänglicher Skepsis prächtig, schienen doch auch in ihr
die alten Gefühle aufzukeimen. In einem
wahren Gefühlsnebel leerte er sein Glas.
Und obwohl dieser Scotch nicht besonders prächtig schmeckte, bat er um
Nachschub. Sein zweites Glas trank er
bedachter, schließlich wusste er noch
nicht, wohin ihn dieser Abend noch
führen sollte, doch konnte er auch jetzt
den bitteren Beigeschmack noch deutlicher ausmachen und erkannte im
selben Moment, dass Ann`s Glas unangetastet auf dem Kaminsims stand.
Sie lächelte, wie sie es immer tat, Ryans
Augen wurden indes schwerer und
schwerer, er konnte sich nicht mehr
aufrecht halten und fiel vornüber auf
den Fußboden.
Im Augenwinkel konnte er noch einen
Mann erkennen, der hinter dem Vorhang hervortrat. Er war älter geworden,
doch er hatte sich nicht viel verändert.
Es war van Houten.
Thorsten Kraft
Es ist ein verregneter Abend.
Die Tür des abgewrackten „Hotel
Venedig“ öffnet sich.
Eine durchnässte, sehr übermüdet
wirkende Dame betritt das enge Foyer.
Am Empfang würdigt ihr der
ungepflegte Portier keines Blickes.
Stattdessen liest er ungeniert weiter in
seinen anstößigen Zeitschriften.
Die Dame tritt unsicher näher an die
Theke heran, Ihr Blick schweift über die
dreckigen Räumlichkeiten.
Der Portier riecht unangenehm nach
Schweiß, so dass der Dame davon übel
wird. Als Sie ansetzen will, eine Frage zu
stellen, stößt dieser heftig auf.
Unsicher und angeekelt fragt Sie, ob
dies das Hotel Venedig sei. Sie bekommt
nur ein mürrisches Grunzen zur
Antwort.
Die Dame bittet müde und genervt um
1 Zimmer für eine Nacht und unwirsch
antwortet Ihr der Portier, dass das
gesamte Hotel belegt sei.
Auf Ihre Nachfrage, ob sich da gar nichts
machen ließe, hebt der Portier seinen
Blick und lässt Ihn ohne jegliche Scham
an der Frau herunter gleiten.
Sein Interesse an der durchnässten, aber
durchaus attraktiven Frau ist geweckt.
Es sei absolut nichts frei, außer… Er hält
inne, wiederholt: Es ist nichts frei.
Die Frau, aufmerksam durch das Zögern
des Portiers geworden, hakt nach. Gar
nichts?
Auch nicht, wenn ich bereit wäre einen
Aufschlag zu zahlen? Ich brauche
unbedingt ein Zimmer.
Der Portier murmelt vor sich hin, schiebt
der Frau den Schlüssel Nr. 11 herüber
und fordert einen absolut überteuerten
Zuschlag, der sofort zu bezahlen sei.
Die Frau schluckt, ihre Nerven liegen
blank.
Widerwillig öffnet Sie Ihr Tasche. Der
Blick des Portiers folgt Ihrer Hand, als
Sie aus dieser ein Bündel Geldscheine
hervor holt und in Bar bezahlt.
Als die Frau die Treppe zu Ihrem
Zimmer hinaufsteigt, fühlt sie seinen
unangenehmen lüsternen Blick in Ihrem
Nacken.
In Ihrem schäbigen Zimmer
angekommen, entscheidet sich die
Frau, diese unangenehme Kälte, die
sie beschlichen hat, mit einer heißen
Dusche hinwegzuspülen. Noch immer
spürt Sie seinen Blick an Ihrem Körper.
Nach der Dusche will sich die Dame zum
Schlafen niederlegen.
Die Wände sind dünn, links neben
Ihr hört Sie dass Schnarchen
Ihres Zimmernachbarn, rechts
schweres atmen. Sie fühlt sich
weiterhin beobachtet und wird den
unangenehmen Geruch des Portiers
in Ihrer Nase nicht los. Sie zieht die
Gardinen zu, schließt ab und bereitet
mit letzter Kraft alles so vor, dass Sie
ungestört einschlafen kann.
Am nächsten Morgen verlässt die Dame
erholt und ausgeschlafen das Hotel.
Zur gleichen Zeit benachrichtigt die
Putzfrau die Polizei, welche dann kurze
Zeit später im Raum der Dame ein
Messer in der Wand steckend vorfinden
wird. Dieses ist bis zum Schaft durch die
Wand gestoßen.
Auf der anderen Seite der Wand lehnt
der Portier tot gegen dieselbe, mit
dem Auge durch das Messer an die
präparierte Wand fixiert.
Ines Lauer
Ich war hergekommen um allein zu sein.
Ich meine damit „frei von Personen die
ich kenne“. Ich wollte von niemandem
bemerkt werden, auf keinen Fall ein
Gespräch führen. Warum weiß ich auch
nicht genau und sehe auch keinen
Grund dieser Frage nachzugehen. Es
erleichterte mich eben.
Notwendigen Austausch von
Information mit dem Hotelpersonal
beschränkte ich auf Stichworte. Wenn
man ganze Sätze vermeidet, kann man
meiner Ansicht nach nicht von einer
„Unterhaltung“ sprechen.
Natürlich erregte es meinen tiefsten
Unmut in dieser Situation eine
Arbeitskollegin im Hotel zu treffen.
Ich hatte eigentlich nichts gegen sie.
Ich würde mich nur einfach mit ihr
unterhalten müssen. „So ein Zufall, dass
wir uns hier“ usw.
Drei Tage hintereinander hatte ich
sie nun beim Herunterkommen in
der Hotelhalle gesehen und war
jedes Mal sofort wieder im Aufzug
verschwunden. Heute war der vierte
Tag. Es war ein kleines Hotel. Die
Anstrengung ihr aus dem Weg zu
gehen machte meine Erleichterung fast
ebenso sehr zunichte wie ein Gespräch.
(Was für ein unverzeihlicher Fehler,
nicht ein größeres Hotel gewählt zu
haben, in dem man weniger auffällt,
verschwindet, untergeht.)
Ich blieb einen kurzen Moment hinter
einem Pfeiler stehen, um nachzudenken,
was zu tun sei. Da stand sie auf und
kam direkt auf mich zu. Ich resignierte
und setzte zu einem freundlichen Gruß
an. Da bemerkte ich, dass sie gar nicht
auf mich zusteuerte, sondern auf eine
Person hinter mir. Nicht, dass sie mich
gar nicht bemerkt hätte, schließlich
stand ich ihr genau im Weg und machte
ein Gesicht wie jemand, der einen im
nächsten Moment grüßen wird. Sie
nickte mir zu, wie jemandem, der einem
im Weg steht, zu dem man aber nicht
unhöflich sein möchte. Kein Zweifel „ sie
hatte mich nicht erkannt.
Das musste nun irgendeinen Grund
haben. Wir sprachen in der Firma täglich
miteinander, manchmal gingen wir
zusammen zum Mittagessen. Sie konnte
mich nicht einfach nicht erkennen. Ich
beschloss, der Sache nachzugehen.
Sie stand ein paar Schritte weiter
am Fenster und unterhielt sich mit
jemandem. Ich ging hin und tippte ihr
leicht auf die Schulter. Sie drehte sich
um und sah mich etwas erstaunt und
fragend an wie man einen Fremden
ansieht. Ich entschuldigte mich als habe
ich sie mit jemandem verwechselt,
drehte mich um und ging.
Nachdem ich mein Erstaunen
überwunden hatte, war ich begeistert.
Ich hatte wieder und wieder dieses
Phänomen auf die Probe gestellt,
hatte mich in der Hotelhalle neben
sie gesetzt, sie beim Frühstücksbüffet
scheinbar unabsichtlich mit dem
Ellenbogen berührt, nur um eine
kurze Entschuldigung auszusprechen.
Aber nicht nur, dass sie mich nicht als
ihren Kollegen erkannte, sie schien
sich auch nicht an unsere jeweils
vorangegangenen Begegnungen
im Hotel zu erinnern. Sie schien sich
nicht belästigt zu fühlen, noch war sie
neugierig, warum jemand ständig um
sie herum war. Ich versuchte es mit
anderen Personen. In einem kleinen
Ferienhotel wie diesem schien jeder zu
kurzen höflichen Gesprächen bereit zu
sein, ich setzte mich beim Frühstück zu
einer freundlichen älteren Dame und
unterhielt mich mit ihr, nur um beim
Mittagessen festzustellen, dass sie
keinerlei Erinnerung an mich hatte.
Ich fing ein kurzes Gespräch mit der
jungen Frau an der Rezeption an, nur
um mich zu vergewissern, dass sie sich
eine viertel Stunde später an nichts
davon erinnerte.
Ich hinterließ keinerlei Spuren. Ich
konnte machen was ich wollte.
Ich begann Räume zu betreten, an
denen „privat“ oder „nur Hotelpersonal“
stand. Ich bewegte mich in der Küche,
in den Umkleideräumen des Personals
oder folgte anderen Hotelgästen
in ihre Zimmer. Zu Beginn nickten
Hotelangestellte oder Gäste kurz wenn
ich ihnen beispielsweise in ihrem Bad
begegnete oder wenn ich sie direkt
ansah. Nach und nach schien mich aber
niemand mehr auch nur zu bemerken.
Ich kann anstarren, wen ich will, solange
ich niemandem in die Augen sehe.
Ich kann fremde Menschen berühren
ohne auch nur die geringste Reaktion
auszulösen. Dennoch rempelt mich
niemand an oder geht gar durch mich
hindurch wie durch ein Gespenst. Ich
bin nicht unsichtbar. Ich kann auch
durchaus Aufmerksamkeit auf mich
lenken: Wenn ich spreche, scheine ich
aus meiner absoluten Unauffälligkeit
herauszutreten.
So brauche ich beispielsweise nur das
Zimmermädchen um ihren Schlüssel
zu bitten, um mir Zugang zu einem
beliebigen Raum zu verschaffen. Wenn
ich ihn ihr kurz darauf zurückgebe
sieht sie mich nur kurz erstaunt an
und setzt ihre Arbeit fort. Ich gebe ihn
selbstverständlich immer zurück. Ich
habe nicht im Mindesten die Absicht die
Ordnung im Hotel in irgendeiner Weise
zu stören oder irgendwem Probleme
zu machen. Ich fühle mich einfach nur
frei. Irgendwie erleichtert. Und völlig
frei. Dabei vermeide ich es, das Hotel zu
verlassen, in der Befürchtung draußen
könnte dieser eigenartige Zustand
enden. Es gibt einfach nur noch ein
„Innen“. Das Außen verschwimmt. Die
Zeit vergeht. Ich wohne in beliebigen
Hotelzimmern, allein oder mit
anderen Gästen. Meine „ stets höflich
vorgebrachten „ Wünsche werden von
Personal und Gästen immer erfüllt, oft
mit leichtem Erstaunen aber immer
ohne Nachfrage.
Ich bin hier und warte ab, was geschieht.
Es geht mir gut. Ja, ich habe tatsächlich
noch nie eine so tiefe Zufriedenheit
empfunden. Vielleicht wird eines
Tages plötzlich alles wie früher: Ein
Hotelangestellter bittet mich höflich
aber bestimmt den Personalbereich
zu verlassen. Ich treffe einen alten
Bekannten und er läuft auf mich zu und
fragt mich wo ich so lange gewesen bin.
„Dass ich dich hier treffe““ usw.
Derweil lebe ich in dieser absoluten
Zufriedenheit. Wir werden sehen was
kommt.
Christine Pelzer
Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es
schon 12 war. Er musste sich beeilen.
Endlich hatte er seinen lang ersehnten
Urlaub, in dem er neue Ideen für einen
Roman sammeln wollte. In letzter Zeit
hatte nichts mehr geklappt, wie es
sollte. Die Koffer waren gepackt und ein
Buch für die Fahrt lag bereit. Es klingelte,
das musste schon das Taxi sein.
worden. Und seine Sachen waren immer
noch nicht vollständig eingetroffen.
Nach seiner erbosten Beschwerde,
dass er nicht mal seinen Agenten
anrufen durfte, hatten ihm ein paar
dieser penetranten Ärzte wieder ein
Medikament verabreicht und aufgeregt
gerufen, nun offensichtlich zu härteren
Mitteln greifen zu müssen.
Als er nach zwei Stunden endlich ankam
begab er sich sofort in sein Zimmer
und war froh, dass sein Agent sich
um das Einchecken und das Gepäck
kümmerte. Etwas überrascht ging er auf
die Gemeinschaftstoilette auf dem Flur.
Er machte sich nicht viel daraus, Luxus
konnte er auch zu Hause genießen.
Sie fesselten ihn ans Bett und er merkte,
wie seine Gedanken quer liefen, bevor
er das Bewusstsein verlor.
Das Zimmer gefiel ihm in seiner
Schlichtheit, er zog den bereitgelegten
Schlafanzug über und ging direkt
schlafen.
Am nächsten Morgen wurde er um
7 vom Zimmermädchen geweckt.
Das machte ihm nichts, da er hier
ja etwas schaffen wollte. Nach dem
Frühstück begab er sich auf Anraten
anderer Gäste in weißen Kitteln in den
hoteleigenen Garten um in der frischen
Luft Ideen zu sammeln. Er lauschte den
Lauten der Natur, hatte jedoch keine
herausragende Idee.
Am nächsten Tag ärgerte er sich ein
wenig über das Zimmermädchen, das
ihn wieder um sieben weckte, er hätte
nichts dagegen gehabt, auszuschlafen.
Aber wenn er schon mal wach war,
konnte er auch genauso gut etwas tun.
Ihm fiel auf, dass wieder viele Gäste
weiße Kittel trugen. In diesem Hotel
musste gleichzeitig ein Ärztekongress
stattfinden. Beim Mittagessen sprach er
seinen Tischnachbarn darauf an, doch
der schien etwas verwirrt zu sein und
gab keine vernünftigen Antworten.
Nach dieser Begegnung war nichts mehr
wie vorher, seine Motivation schwand
von Stunde zu Stunde und als sich in
den nächsten Tagen nichts änderte,
beschloss er das Hotel zu verlassen. Die
anderen Gäste hier sagten ihm nicht
zu, vor allem diese verrückten Ärzte
versuchten ständig ihm irgendwelche
innovativen hoch wirksamen neuen
Medikamente anzudrehen, von denen
er nichts wissen wollte. Außerdem
fühlte er sich hochgradig gekränkt, dass
man ihm Vorschriften über die Zu-BettGehens-Zeiten machen wollte. Er war
nachts schon immer kreativer gewesen.
Nach ein paar Tagen packte er
schließlich seine Sachen. Er hatte
ein Bild seines Lieblingskünstlers in
seinem Zimmer aufgehängt und es
war kommentarlos einfach entfernt
Er wacht auf, weil eine junge Frau seine
Hand berührt. Nach einem Moment
der Verwirrung stellt er fest, dass sie ihn
von einem Bett losbindet. In seinem
Mund schmeckt er die Bitterkeit von
Medikamenten. Wo ist er? Warum
befindet er sich nicht in seinem Büro,
um Versicherungsanträge abzulehnen?
Bilder tauchen in seinem Kopf auf und
er glaubt geträumt zu haben, doch sie
lassen ihn nicht los.
Er weiß nur noch, dass er hier nicht
hingehört, er muss sich in einem
Alptraum befinden. Er sieht nur eine
einzige Möglichkeit, dem zu entfliehen.
Als die Frau nicht hinguckt, springt er
auf und stürzt sich aus dem Fenster.
Als er auf dem Boden liegt, richtet sich
sein letzter Blick nach oben auf ein
Messingschild, das in der Morgensonne
glänzt:
PSYCHATRISCHE KLINIK FÜR
SCHIZOPHRENIE
Er schließt die Augen.
Andreas Pilot
Eine europäische Großstadt bei
Nacht. Die Kamera schwenkt aus dem
Nachthimmel in die Straßenschluchten,
diffus ist im Hintergrund etwas wie
der Eifelturm zu erkennen, man sieht
Autos mit französischen Kennzeichen.
Die Kamera fährt auf eine historische
Fassade zu, auf ein Fenster und mit
einem Mal ist der Betrachter in einer
noblen Hotelsuite, man sieht in
Nachaufnahme, wie sich eine Frau einen
Ohrring anlegt, ein Mann kommt aus
dem Bad, man sieht keine Gesichter,
dafür aber jede Handbewegung in
Nahaufnahme. Der Zuschauer kann
erkennen, dass es sich um ein Paar
handelt und dass Sie sehr glücklich
miteinander sind. Fröhlich verlassen
beide das Hotelzimmer.
Nun sieht der Zuschauer den Hotelflur,
allerdings aus der Sicht und in der
Qualität einer Überwachungskamera.
Das turtelnde Pärchen betritt den
Fahrstuhl. Nun sieht man beide von
oben, sie schmusen, noch bevor der
Aufzug im Erdgeschoss ankommt,
holt sie sich ein Taschentuch aus ihrer
Tasche, dabei fällt etwas heraus. Als
beide den Aufzug verlassen zoomt die
Kamera auf diesen Gegenstand, es ist
ein Schwangerschaftstest, der positiv
ausgefallen ist. Im Moment wird dem
Zuschauer klar, dass beide so verzückt
sind, weil sie ein gemeinsames Kind
bekommen. Gleichzeitig sieht man
eine Hand, die den Test aufhebt und
die Stimmung wandelt sich von wohlig,
angenehm, ruhig, harmonisch zu kalt,
hart, schnell.
Von nun an sind zwei Handlungsstränge
im Wechsel zu sehen. Im Aufzug hört
man nun eine Stimme, die sich über
Funk unterhält. Das Bild wechselt
zum Pärchen zurück, es betritt das
Restaurant des Hotels und wird zu
einem etwas abgelegenen Tisch
geführt. Noch immer kann man die
Gesichter nicht erkennen. Als sich beide
küssen fährt die Kamera im Close-Up
mit den sich nähernden Mündern mit,
jedoch weiter auf die Wand zu und
durch die Wand durch, in dem Moment
verstummen alle Geräusche, hinter
der Wand ein kalter Technikgang, in
dem zwei Sicherheitsleute entlang
hasten, ein Telefonat wird auf englisch
geführt, die Kamera verfolgt die beiden
kurz, das Bild wechselt wieder zum
glücklichen Pärchen, das bereits das
Essen bekommt. Die Kamera fährt auf
das Essen der beiden zu, durch den
Teller und Tisch hindurch an den sich
berührenden Füssen vorbei durch die
Decke in die Tiefgarage, man sieht
einen schwarzen Wagen von oben, eine
schwarz gekleidete Person steigt aus,
Autotüren klappen.
Die letzte Einstellung ist wieder eine
Sicht durch eine Überwachungskamera:
Man sieht eine Drehtür des Ritz Paris,
eingeblendet sind der 30.08.1997 und
die Uhrzeit 21.50 und 35 Sekunden,
durch die Türen kommt erst Diana
Frances Spencer, ihr folgt Dodi AlFajet.
Maria Rangou
Man hört Wasser. Die Dusche im
Bad läuft. Aufgrund der hohen
Luftfeuchtigkeit ist der ganze Raum in
Nebel eingetaucht.
Man hört eine Männerstimme ein Lied
singen…whoa-oa-oa! I feel good, I knew
that I would, now… Er stellt die Dusche
ab und greift nach einem Handtuch.
Aus der engen Dusche heraus in das
enge Bad wischt dieser Mann, der
ende dreißig ist, den Spiegel frei und
betrachtet sich. Gutgelaunt, das Lied
„I feel good..“ summend, läuft er seine
Haare mit einem Handtuch abtrocknend
zum Bett. Ein Bett, das einem
Krankhausbett ähnelt. Metallene Stäbe
und eine durchgelegene alte Matratze.
Er setzt sich hin und schaut auf den
Fernseher der läuft. Über diesem tickt
leise eine Uhr. Es ist kurz vor 23h, der
4.Dez.
Eine Dokumentation über die
Geschichte eines Steaks, von der Kuh
bis zum Teller, widert ihn an. Er möchte
umschalten. Findet die Fernbedienung
auf dem Nachttisch. Beim Versuch
umzuschalten fallen die Batterien aus
der Fernbedienung und kullern unters
Bett. Kopfüber schaut er unters Bett mit
einem suchenden Blick. Dabei bemerkt
er eine Aktentasche, die an der Wand
unterm Bett lehnt. Neugierig holt er
diese hervor.
Nach ein paar Schwierigkeiten öffnet
sie sich. Ein Haufen Fotos kommt ihm
entgegen. Eins davon fällt runter. Er
hebt es auf und schaut es sich an. Eine
Frau und ein kleines Mädchen sind
darauf abgebildet. Verstört schaut er
sich dieses Bild eine Weile lang an. Er
kniet sich vor die Aktentasche und greift
in die Sammlung der Fotos. Immer
wieder sieht man die Frau mit dem
kleinen Mädchen darauf abgebildet.
Wie von einer Tarantel gestochen schaut
er sich jedes Bild an und kann nicht
glauben was er da sieht.
Es klopft an der Tür. Zuerst hört er das
Klopfen nicht. Erschrocken schaut er zur
Tür. Schnell packt er alle Fotos wieder
in die Aktentasche und schiebt sie
unters Bett. Das Klopfen wird immer
ungeduldiger.
Sich am Bett abstützend steht er auf.
Immer noch mit dem Handtuch um die
Hüften öffnet er die Tür. Ein Mann mit
einem langen Mantel, der vor Wasser
trieft, steht ihm gegenüber. Seine
Kapuze und die Dunkelheit verbergen
sein Gesicht.
Der Mann im Mantel: Hallo Bob.
Bob wird die Situation unheimlich. Er
bereut die Tür aufgemacht zu haben.
Als er die Tür schließen will, stellt der
Mann im Mantel seinen Fuß dazwischen.
Er nimmt seine Kapuze runter. Bob tritt
erschrocken zurück. Bis auf die Narbe
am rechten Nasenflügel sieht dieser
Mann genauso aus wie er. Dieselben
Augen, buschigen Augenbrauen, das
Grübchen am Kinn und seine markanten
Wangenknochen. Es ist so, als würde er
in einen Spiegel schauen.
Der Mann im Mantel: „Du hattest lange
genug ein angenehmes Leben.
Jetzt bin ich an der Reihe. Mich hat
man in ein Kinderheim gegeben und
du kamst in ein behütetes warmes zu
Hause. Lange habe ich dich gesucht und
nun endlich gefunden.
Ganz genau, ich möchte dein Leben und
du sollst meins haben.“
Man sieht vom Flur aus die Tür zufallen.
Im nächsten Bild sieht man einen Mann
mit einem Aktenkoffer von hinten.
Eine Frau und eine kleines Mädchen
kommen auf ihn zu und begrüßen ihn
herzlich. Ein Blick nach hinten verrät,
dass es der Mann mit der Narbe auf der
Nase ist.
Max Richter
Jemand bekommt einen maschinell
erstellten Brief, dass er ein Wochenende
in einem Luxushotel gewonnen hat.
Er kommt im Hotel an und es
funktioniert rein automatisch, es
gibt keinerlei Personal. Er wird durch
aufleuchtende Hinweise und sich
automatisch öffnende Türen zu seinem
Zimmer geleitet.
Alles funktioniert von selbst und
perfekt, zuerst auch zu seiner vollen
Zufriedenheit. Erst als er zum ersten Mal
versucht, das System zu beeinflussen,
merkt er, dass es dafür keinerlei
Vorrichtungen gibt.
Auch eine Abreise ist im System
offensichtlich nicht vorgesehen…
Rike Ruppenthal
„Das Wiedersehen“
Sie kann es nicht glauben, sie weiß nicht
was sie denken soll. Das Seminar in dem
Hotel war eigentlich nichts Besonderes
gewesen, sie hatte tausende davon
besucht oder geleitet, es war ein immer
gleicher Trott. Tag für Tag ging sie zur
Arbeit mit dem Gedanken „das Leben
geht irgendwie weiter“. Seit dem Vorfall
ging alles einfach irgendwie weiter. Sie
war nicht darauf vorbereitet gewesen,
auf diesen Schock, der sie traf, als sie
ihn sah. Ihn! In dem Moment als sie ihn
erblickte blieb alles stehen.
Sie war unfähig zu atmen, sich zu
bewegen, zu denken. Die Zeit blieb
stehen.
Seit ihrer Begegnung in dem Hotel war
nichts mehr wie es war.
Ihre Gedanken spielen verrückt, immer
und immer wieder sieht sie sich in den
Speisesaal des Hotels laufen, sie holt
sich einen Kaffee, sie geht zu dem Tisch,
an dem schon eine paar Kollegen sitzen.
Sie will sich setzten und da sieht sie ihn.
Er hat sitzt am Tisch nebenan, bei ihm
sitzen eine Frau und zwei kleine Kinder.
Eine glückliche kleine Familie. Und es
trifft sie jedes Mal aufs Neue wie ein
Schlag.
Er ist älter geworden. Aber er ist es. Oder
etwa doch nicht?
Er ist es. Er hat gezuckt als er sie
erblickte, sie ist sich ganz sicher. Aber
als sie aus dem Speisesaal rannte, als sie
die Straße vor dem Hotel entlang rannte
kam er ihr nicht hinterher.
War er es etwa doch nicht? Doch er war
es. Sie ist sich sicher.
Als sie zum Hotel zurückkehrt ist
er nirgends zu sehen. Sie ist sich
nicht sicher was sie tun soll. Sie will
nachfragen, aber sie traut sich nicht. Sie
hat Angst vor der Antwort. Es würde
ihre gesamte Ordnung durcheinander
werfen, die Ordnung, die sie so lange
und mühsam erarbeitet hatte, seit dem
Vorfall.
Der Tag geht irgendwie vorbei. Sie kann
sich nicht mehr daran erinnern. Nur
noch an die Gefühle, die sie hatte, als sie
zum Abendessen in den Speisesaal ging.
Aber er war nicht da.
Auch am nächsten Morgen, als sie nach
einer schlaflosen Nacht, in der sie noch
mal alles durchging, in den Speisesaal
kommt ist er nicht da.
Sie muss nachfragen, sie braucht die
Gewissheit. Er ist sei vorherigen Tag
nach dem Frühstück abgereist, sagt man
ihr an der Rezeption. Er und seine Frau.
Sie wollten eigentlich noch eine ganze
Woche bleiben, aber ihm sei etwas
dazwischengekommen.
Sie läuft wie in Trance einfach los. Er
war es. Warum sonst ist er abgereist?
Er muss es gewesen sein. Sie ist nicht
verrückt, auch wenn sich einige Leute
damals nach dem Vorfall Sorgen um
sie gemacht hatten, wegen ihrem
Verhalten. Aber sie brauchte die
Medikamente schon lange nicht mehr.
Er war es, auch er war
zusammengezuckt.
Er war es, sie sieht ihn vor sich, wie
er zur Haustür rausgeht und sich wie
jeden Morgen mit einem Kuss von ihr
verabschiedet. Sie schaut ihm nach,
wie er davon fährt, mit dem Auto, das
dann später nicht mehr als solches zu
erkennen war, nach dem Unfall. Sie sieht
die Polizisten vor sich, die ihr abends an
der Tür die Nachricht überbringen.
Sie sieht ihn vor sich, nach 7 Jahren, wir
er an der Tisch neben ihr sitzt, mit seiner
Frau und seinen Kindern. Und sie schaut
auf ihre Hand wo sie nach all den Jahren
noch immer ihren Ehering trägt.
Edin Saronjic
Extraterrestrial
Szene_1: Mr. X sitzt in der Bar des Extraterrestrial und trinkt ein Vitamingetränk.
Es ist sein Stammplatz den er jeden Tag
um 07:30, 12:30, und 18:00 jeweils nach
dem täglichen Training besucht, um
seine Mahlzeiten zusammen mit einem
Vitamingetränk zu sich zu nehmen.
Mr. X ist ein gern gesehener Gast des
Raumschiffhotels. Unauffällig und
Introvertiert. Auf seinem Platz sitzt er
gewöhnlich alleine 18-20 Minuten nach
dem er auf sein Zimmer geht.
Szene_2: Ein lauter Knall reißt Mr.X unsanft aus dem schlaf. Sein Herz schlägt
schnell und laut. Mr.X schaut sich um.
„Meine Damen und Herren, Hotelbesucher, aufgrund eines Schadens, und dadurch Verursachten Sauerstoffmangels,
sind wir gezwungen einen Planeten anzufliegen, bitte bewahren sie die Ruhe
und bleiben Sie aus Sicherheitsgründen
auf Ihren Zimmern, wir werden in Kürze
auf dem Planeten Erde landen.“
Mr.X richtet sich auf und schaltet die
Große Fernseherwand an. Dort wird die
Durchsage von einer Frau mit sanfter
Stimme wiederholt.
Mr.X schaltet um und beobachtet
neugierig den Anflug auf diesen längst
vergessenen Planeten.
„Was für eine Ironie! Eine Ewigkeit
her haben wir den Planeten aufgrund
schwerer Naturkatastrophen und Umweltverschmutzung panisch verlassen,
und nun ist der Planet unsere einzige
Rettung.“, denkt sich Mr.X, steht auf und
läuft zum Bildschirm.
„Meine Damen und Herren, wir sind soeben auf der Erde gelandet. Das verlassen
des Hotels ist aus Sicherheitsgründen
strengst untersagt.“ Die Durchsage mit
der sanften Frauenstimme wiederholt
sich immer wieder.
Mr.X steht vor dem Bildschirm und
schaut sich die Bilder von der Erde an.
Das Bunte, Emotionsgeladene ist alles
andere als das was er von seiner Welt
kennt. Er ist von den Farben, Menschen,
Geräuschen dieser Großstadt fasziniert………
Szene_3: Mr.X steht mitten auf der
Strasse, Menschenmassen laufen an Ihn
vorbei.
„Hallo Süßer, wer bist du denn?“, Mr.X
wird von einer attraktiven jungen Frau
angesprochen
„Ich, äh, ich bin Mr.X und komme aus
dem Hotel das vorhin drüben gelandet
ist.“, antwortet Mr.X leise und schüchtern.
„Gelandet, hahaha, du hast Humor! Ich
bin mit meinen Freundinnen unterwegs, du kannst mitkommen wenn du
möchtest.“
Mr.X geht mit. Die Gruppe geht von
Party zu Party. Mr.X trinkt zum ersten
Mal in seinem Leben Alkohol. Er Raucht.
Er hat Gefühle die Ihm bisher ganz
fremd waren.
Sein Leben war bisher gut geplant, alles
war wohl durchdacht und abgestimmt,
jeder Weg hatte ein Ziel. Wer hätte
gedacht, dass das Nichtstun solche
Emotionen verursachen kann. Die Zeit
war so kostbar, und jetzt kann er sie zum
ersten Mal vergessen.
Mr.X befindet sich auf der Tanzfläche in
einer Bar. Er ist schon lange nicht mehr
Herr seiner Sinne. Er schwingt seine
Arme, hüpft zur Musik und dreht sich.
Mr.X greift sich an den Kopf und bricht
zusammen.
Szene_4: Aufgewacht! Ein Lauter
Peep-Ton geht Durch den Kopf. Diese
Schmerzen.
Mr.X liegt in einer dunklen Seitenstrasse
im Dreck. Er blutet aus einer Wunde
auf dem Kopf. Er ist kaum zu erkennen.
Ein unordentlicher Bart und Haare
bedecken sein Gesicht. Seine Klamotten
sind Dreckig.
Er schaut sich an und kriegt einen
Schock. Die Kopfschmerzen werden
stärker, Mr.X schreit und fängt an in
Hotelrichtung zu rennen.
Er rennt wie wildgeworden durch die
Menschenmasse. Zum Glück hat er sich
den Weg zum Landeplatz gut gemerkt.
Er will nur weg hier. Weg von diesem
Dreck, Gestank und Schmerzen.
Mr.X kommt zu der Landestelle. Auf dem
freien zurückgezogenen Feld ist aber
nichts von dem Hotel zu sehen. Mr.X
fällt auf die Knie und schreit weinend:
„Nimmt mich mit, nimmt mich mit.“
Eine Gruppe von Obdachlosen lacht und
Wiederholt:
„Nimmt mich mit, nimmt mich mit.“
Mr.X fällt zu Boden und bleibt regungslos im Dreck liegen.
Tillmann Sick
„money makes the world go round…“
Es ist irgendwie langweilig, wenn einem
immer alle zustimmen, man Unsinn
von sich geben kann und alle halten es
für brillant. Aber es war wieder einmal
so. Die Firma, die er eben im Begriff
war zu kaufen, würde in kürzester Zeit
zerschlagen, die Fragmente verkauft
und mit dem Geld würde er wieder auf
Beutezug gehen.
Es ließ sich gut leben so, immer unterwegs, zwar nirgends zuhause, aber
immer alles auf hohem Niveau. Er hatte
nie viel darüber nachgedacht, was der
Sinn darin war. Es war eben sein Leben.
Es war an einem Tag wie jedem
anderen… er war mit seinem Privatjet
angereist um Geschäfte zu machen. Auf
der Fahrt in der Limousine zum Hotel
sah er aus dem Fester die Stadt an sich
vorbeiziehen. Es kam ihm irgendwie vertraut und doch so fremd vor. Er dachte
nicht weiter darüber nach. Am Abend
stand ein Geschäftsessen auf dem Plan.
Die Limousine hatte das Hotel erreicht,
5 Sterne, wie immer, man gönnt sich ja
sonst nichts. Der Chauffeur hielt ihm
die Tür auf, es war ein trüber Tag, der
Concierge wartete schon am Eingang.
Er ging festen Schrittes auf den Eingang
zu, als ihn eine Hand unsanft zurückhält. Ein zahnloses Gesicht blitze ihm
entgegen. Angewidert versuchte er sich
aus dem Griff zu winden und im selben
Moment ahnte er, was dieser Mann
von ihm wollte. Er tastete nach seinem
Portemonnaie, öffnete es und wollte
dem Fremden einen Schein in die Hand
drücken, dass dieser wieder von ihm ablasse. Als er ihn wieder ansah bemerkte
er jedoch ein freundliches und zutiefst
ehrliches Lächeln in seinem Gesicht.
Er spürte einen Händedruck und dann
wandte sich der Penner von ihm ab.
Irritiert sah er nach seiner Hand… der
Fremde hatte ihm Geld in die Hand gedrückt. Wie sollte er das nun verstehen?
Äußerlich unbeeindruckt setzte er
seinen Weg fort ins Hotel.
Auf seinem Zimmer angekommen,
überkam ihn ein Gefühl, das er nicht
einordnen konnte. Was war nur aus ihm
geworden. Er legte seine Wertsachen
fein säuberlich auf den Tisch. Zog seine
1000$-schuhe aus und spürte den
Boden unter den Füßen, was ein Lächeln
auf sein Gesicht zauberte. Muskeln
regten sich, von denen er gar nicht
wusste, dass er sie hatte…
Plötzlich, als ob ihm ein Licht aufgegangen wäre stand er auf, ging eiligen
Schrittes zum Aufzug und zurück in
die Lobby. Laut lachend verließ er das
Hotel, sah einen neuen Gast ankommen, drückte diesem mit einem breiten
Grinsen den Schein, den er immer noch
fest umklammert hielt in die Hand und
ließ ihn mit seinem verdutzten neuen
Besitzer zurück.
Aus sicherer Entfernung beobachtete er,
wie der Neue ebenfalls kurze Zeit später
aus dem Etablissement gestürmt kam.
„pete…PETE“
was war denn das nun wieder? Keine
Menschenseele weit und breit.
Noch mal
„Hey, PETE“
etwas rüttelte an ihm. Er blinzelte… eine
wahrhaft unangenehme Gestalt blickte
ihn aus maximal 10cm Entfernung an.
Wo kam der denn jetzt her? Und wer
war Pete? Er blickte ihn fragend an.
„sag mal alles ok bei dir?“ hörte er ihn
sagen. Er verstand immer noch nicht,
dann sah an sich selbst herab. Er war
gekleidet wie ein Penner… und er fühlte
sich wie ein Penner… er… brauchte das
gar nicht zu Ende denken. Die Realität
hatte ihn eingeholt. Der Mann vor ihm
war Karl, ein dümmlicher, aber durchaus
liebenswerter Zeitgenosse. „Karl,“ sagte
er. „…gib mir mal n Dollar!“ „was?“ entgegnete der. „wieso das denn?“ „komm
schon Karl, gib mir n Dollar, ich muss
zum Hotel…“
Frauke Wassum
Nach dieser Begegnung...
Es regnete in Strömen und langsam
begann es zu dämmern. Er fuhr nun seit
geraumer Zeit durch diese Gegend und
wusste nicht wirklich wo er sich befand.
Nach dem Instinkt fahren nannte er das.
Seine Frau wurde immer wahnsinnig,
wenn er davon sprach.
Heute Morgen hatten sie besprochen,
sie würde vor fahren, schon mal nach
dem Rechten sehen und sich um die
Gäste kümmern. Er sollte ruhig nachkommen.
- Fünfundzwanzig Jahre waren sie nun
verheiratet, eine halbe Ewigkeit, er
seufzte, warum musste man das so groß
feiern? So viel Trubel war ihm gar nicht
Recht, dennoch es hatte große Diskussionen gegeben und letztendlich hatte er
mit Murren zugesagt. Er wollte sie nicht
verärgern.
Da, von weitem erkannte er es, das
Hotel, so hatte er es von der Abbildung
der Buchungsbestätigung im Kopf.
Er fuhr die letzten Meter zügig, er war
spät dran. Hoffentlich gab es keinen
Ärger, schließlich konnte er nichts dafür,
dass die heutige Besprechung kein Ende
fand und er mitten in den Berufsverkehr
geraten war.
Er setzte den Blinker und bog auf den
Parkplatz ab, brachte den Wagen zum
Stehen, schaltete den Motor aus und
zog die Handbremse fest.
Er vergewisserte sich noch einmal. Doch
das Gebäude kam ihm bekannt vor.
Er öffnete das Handschuhfach und
schob seine Hand hinein. ‚Mist’ er konnte
die Papiere nicht finden, die ihm seine
Frau heute Morgen mitgegeben hatte.
Und er war sich so sicher gewesen, dass
er sie eingesteckt hatte. Wahrscheinlich hatte er sie in der Eile auf seinem
Schreibtisch liegengelassen.
‚Schnell’ dachte er, ‚Sie warteten sicherlich schon auf mich.’ Energisch öffnete er
die Autotür, stieg aus und lief schnellen
Schrittes, gebückt zum Schutz vor dem
nicht enden wollenden Regen zum Kofferraum des Autos. ‚Seltsam’ murmelte
er, hatte er nicht noch heute Morgen
seinen Regenschirm eingepackt er hätte
es schwören können? Na wenigstens
war sein Gepäck noch da.
Den Weg vom Auto zur Eingangstür
des Hotels nahm er in Riesenschritten,
den Kragen seines Jackets aufgestellt,
die Schultern hochgezogen. ‚Sauwetter’
dachte er bei sich, ‚Mich bewegt heute
nichts mehr raus!’
Die Eingangshalle des Hotels war größer, als er erwartet hatte. Eine monströs
ausladende Treppe führte an der Rezeption vorbei in die höheren Stockwerke.
Er konnte niemanden sehen. Jeder
seiner Schritte hallte endlos nach, sonst
umgab in nur Stille. Doch da plötzlich
ertönte das Tackern eines Faxgerätes
und er sah jemanden an der Rezeption
auftauchen.
‚Guten Abend, meine Frau hat vermutlich schon eingecheckt. Heute Abend
soll hier die Feier zu unserer Silberhochzeit stattfinden.’
‚Guten Abend, dürfte ich ihre Buchungsbestätigung und ihren Personalausweis
sehen?’
‚Natürlich, einen Moment, bitte! -Ach,
da fällt mir ein, ich habe leider meine
Papiere im Büro liegen gelassen, aber
das lässt sich doch sicherlich auch ohne
klären.’
‚Wie war noch mal ihr Name?’
‚Paulsen.’
‚Gut, Herr Paulsen, einen Augenblick.’
Er legte seine Hände auf den Mamortresen, doch im selben Moment zog er sie
mit blitzartiger Geschwindigkeit wieder
zurück, die Kälte durchzog seinen
ganzen Körper.
Er hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen und sehnte sich nach einer warmen Mahlzeit mit einem schönen Glas
Rotwein. Die vom Regen noch feuchten
Klamotten klebten an ihm, wie eine
zweite Haut. Jetzt spürte er auch die Kälte von seinen Füssen her aufsteigen. Er
fragte sich, wie lange er hier wohl noch
stehen und warten würde.
‚Herr Paulsen? -Wie ich sehe haben sie
bereits eingecheckt. Die Papiere sind
alle von ihnen unterzeichnet und der
Schlüssel wurde an sie ausgegeben. Den
Angaben nach, wurde auch ihr Gepäck
bereits auf ihr Zimmer gebracht.
Sein Blick fiel auf seinen grau, ledernen
Koffer, den er handbreit neben seinen
Füssen abgestellt hatte. Auch seine tiefschwarz, glänzende Aktentasche stand
noch am selben Platz.
‚Einen Moment...’ stammelte er, und
kramte in seiner Brieftasche. Wo war
nur sein verflixter Personalausweis, den
hatte er doch wirklich immer dabei.
‚Ähm, das muss ein Missverständnis
sein, ich.....’
Weiter kam er nicht, seine Augen hatten
genau in diesem Moment eine Bewegung am oberen Ende der Treppe wahrgenommen. Zwei Personen kamen langsam herunter gestiegen. Noch lagen die
Gesichter im Schatten. Doch an der Art,
wie die eine Person lief, konnte er seine
Frau erkennen. Er war erleichtert, jetzt
würde sich alles aufklären. Und er würde
endlich ein warmes Essen bekommen.
Er winkte ihr zu, doch er erhielt keine
Reaktion. ‚Seltsam!’, dachte er –‚Sie hatte
ihn doch angeschaut.’
Sein Blick wanderte zur zweiten Person,
die die Treppe herunterkam. Der Mann
kam ihm sehr bekannt vor. Im ersten
Moment wusste er gar nicht, wo er das
ihm vertraute Gesicht einordnen sollte.
Irgendwoher kannte er ihn.
Dann durchzuckte es ihn plötzlich, wie
durch einen Blitz getraoffen, er war wie
gelähmt, sackte in sich zusammen und
bekam nur noch schwer Luft.
Es war nicht irgendein Mann der da die
Treppe neben seiner Frau herunterstieg,
es war niemand anders, als er selbst.
Ein Schauer lief über seinen Rücken. Wie
war das möglich? Er begann zu zittern.
Träumte er? Halluzinierte er? –Er kniff
sich in den Arm. Nichts geschah.
Er versuchte ein weiteres Mal seiner
Frau zu zuwinken, diesmal energisch mit
ausgestrecktem Arm, doch ohne ihn zu
beachten, lief sie mit ihrer Begleitung
an ihm vorbei und verschwand in der
Tür zum Restaurant. Als ob er unsichtbar
wäre.
Er drehte sich Hilfe suchend um, doch
an der Rezeption war niemand mehr.
Das Faxgerät hatte aufgehört zu tackern
und das Reservierungsbuch war verschwunden.
Er wankte von der Kälte ganz steif
geworden, den Weg zur Tür. Er war wie
benebelt. Er öffnete die schwere Holztür
und stand mit einem Mal wieder auf
der Strasse. Er quälte sich die Stufen
herunter und musste aufpassen, dass er
nicht ausglitt. Es hatte noch immer nicht
aufgehört zu regnen. Und das Wasser
stand in Pfützen auf dem Parkplatz.
Da, in der einen lag etwas, es glänzte.
Er näherte sich dem Ding und hob es
auf. –Sein Personalausweis; das Bild
erkannte er sofort. Doch nun stutzte
er schon wieder, Hermann Lüders’ -So
hieß er doch gar nicht, das war gar nicht
sein Name. Doch so stand es dort unter
seinem Bild. Wie konnte das sein?
Also war er gar nicht Herr Paulsen? Wer
war er dann? Und wer zum Teufel saß
da drinnen mit seiner Frau und feierte?
–Ihm wurde schwindelig. Hatte er etwa
einen Doppelgänger? Und niemand
hatte etwas bemerkt. -War das möglich? Und wie kam er zu seiner neuen
Identiät? -Wo wohnte er eigentlich, als
Hermann Lüders? –Er blickte auf seinen
Ausweis, doch die Adresse war nicht zu
erkennen.
Er schleppte sich zu seinem Auto öffnete
die Fahrertür, lies sich auf den Sitz fallen,
schloss die Tür und sank mit dem Kopf
auf das Lenkrad. ‚Was ein Tag!’ seufzte er.
Nadine Werner
„le douleur exquise“
Es sind jetzt 12 Stunden und 35 Minuten
seit alles vorbei ist. Ich habe seit dem
das Hotelzimmer nicht mehr verlassen.
Ich war hier her gekommen, um ihn
zu treffen. Nach drei Monaten der
Trennung sollten wir uns hier endlich
wieder sehen. Ich war Studentin
und hatte ein Stipendium für Japan
bekommen. Er wollte nicht, dass ich
ging. Er sagte er wisse nicht, ob er mir
treu sein könnte, aber ich ging trotzdem.
Ich ließ ihn zurück um mich selbst zu
behaupten, niemals wollte ich ihm
zeigen, wie sehr ich unter der Trennung
litt. ich wollte stark sein, mich von seiner
Drohung nicht einschüchtern lassen.
Doch ich litt. Ich zählte die Stunden bis
zum nächsten Telefonat, bis zu unserer
Wiedervereinigung. Immer wieder sagte
er mir, wie sehr er mich vermisse, das
er mit mir und nur mit mir zusammen
sein wollte. Er schlug mir vor, sich am
Ende meines Studienaufenthaltes zu
treffen und einen Urlaub zu verbringen.
Er traf alle Vorbereitungen, bestimmte
den Tag, buchte Flug und Hotel,
inszenierte unser Wiedersehen. Ich
traf einige Stunden vor ihm in Hotel
ein. Ein wunderschönes Gebäude mit
wohliger Atmosphäre, genau sein Stiel.
Ich ließ mir den Zimmerschlüssel geben
und beschloss ersteinmal zu duschen.
Eingehüllt in einen Bademantel ging
ich zurück ins Zimmer um das perfekte
Outfit zu finden. Schön wollte ich sein
und begehrenswert. Ich wollte ihn
erneut becicen und voll und ganz für
mich einnehmen. Cool wollte ich sein,
erst seine Reaktion abwarten, doch als
es dann an der Tür klopfte flogen all
diese guten Vorsätze über Bord und ich
stürmte auf ihn zu. Wir umarmten und
küssten unsEndlich allein, endlich die
Nähe die wir solange vermisst hatten.
Wir sahen uns an, berührten uns. Erst
zögerlich, vorsichtig, als könne alles
zerplatzen wie eine Seifenblase. Doch
dann liessen ich mich vom Gefühl des
Glückes völlig verschlucken. Ich saugte
seine Nähe auf wie ein Schwamm. Doch
dann traf es mich wie ein Schlag, er
erwiederte meine Freude nicht,wandte
sich ab. „Was ist los?“ fragte ich. Er wisse
es nicht sagte er zuerst, doch schon
gleich sprudelte es aus ihn heraus. Es
habe jemand anderen kennengelernt,
es sei etwas ernstes. Ich stand wie im
Schock. Was sagte er da? Wie konnte
das sein, nach all den sehnsüchtigen
Telefonaten, dem Warten. Er hatte
doch unser Wiedersehen arrangiert.
Und nun das. Mehr könne er mir auch
nicht sagen, dann ließ er mich einfach
stehen. Als die Tür hinter ihm zuschlug
war es als bliebe die Zeit stehen. Ich
setzte mich auf mein Bett,ließ mich
nach hinten fallen. Der Raum erschien
mir plötzlich kalt und abweisend. Nie
hatte ich mich so allein gefühlt. Wie
konnte das alles sein, wie war es nur
dazu gekommen? Hatte ich es kommen
sehen müssen? alles begann sich zu
drehen, schneller und immer schneller,
wie die Gedanken und Fragen in
meinem Kopf.Wie konnte er das nur
tun? Es war doch so perfekt geesen.
Sah er das denn nicht? Wer war die
andere? WIe einglühender Pfeil traf
mich die Eifersucht. Wie nur konnte sie
meinen Platz einnehmen? Hatte er mich
schon vergessen? Wie konnte er nur
glauben, dass sie mich ersetzen kann?
Wusste er denn nicht, was er an mir
hatte? Ich war allein. Die Aussenwelt
war verschwunden, es gab nur noch
mich und diesen unglaublichen
Schmerz. Warum? Was war denn nur
schiefgegangen? War es mein Fehler?
Ich hätte nicht gehen sollen? Ich hatte
alles zerstört. Er hatte nicht gewollt das
ich gehe, er hatte mich sogar gewarnt.
Und nun? Alles kaputt, zunichte
gemacht. Aber hatte er denn nicht
warten können, schließlich waren es ja
nur drei Monate gewesen. Immer wieder
hatten wir telefoniert, uns versichert,
das wir zusammengehörten. Wann war
die andere aufgetaucht? Wann hatte das
zwischen ihnen angefangen? War sie da
gewesen, wenn wir telefonierten und
unser Wiedersehen besprachen? Hatte
sie davon gewusst? Wieso passierte das
mir? Was hatte ich denn nur getan um
so bestraft zu werden? Wieso war ich
an so ein Arschloch geraten? Ich fing an
mich aufzurappeln und im Zimmer auf
und ab zu gehen. Wie konnte er nur? So
kurz war ich weg und er sah sich gleich
anderweitich um. Plötzlich konnte ich
den ewigen Kreis der Fragen in meinem
Kopf durchbrechen, die Verzweiflung
schlug in pure Wut um. Wie konnte er
mich nur der Art abservieren? Mich
einfach ohne Erklärung stehen lassen.
War ich ihmdenn so wenig Wert
gewesen? Ich atmete, tief, einmal,
zweimal. Die blekemmende Enge und
Agressivität, die der Raum in den letzten
Stunden angenommen hatte schien
immer mehr abzuflachen, es war als
würden die Wände vor meiner Wut
zurückweichen. Nicht ich hatte etwas
falsch gemacht, er hatte mich verloren
und jede Möglichkeit die wir einst
gehabt hatten. Ich öffnete die Tür und
verließ das Zimmer.
Eva Zellmann
Seit ihrem Treffen in diesem Hotel, war
nichts mehr wie vorher. Nie hätte Robert
sich träumen lassen, einer so unglaublichen Frau einmal so nah zu sein. Und
jetzt hatte er das Gefühl, dass er keinen
Augenblick mehr in seinem Leben
ohne sie würde sein können. Tag für
Tag verbrachten sie zusammen – nichts
zwang sie vorwärts. Und dann dieser
Ort – so ruhig.
Was für ein Glück, dass man ihn ausgerechnet in dieses Hotel gebracht hatte.
Nachdem der Abflug nach Berlin wegen
Nebels auf unbestimmte Zeit verschoben worden war, hatte man die Gäste in
den unterschiedlichsten Hotels Londons
untergebracht. Robert war sich sicher,
dass es ihn am besten getroffen hatte.
Das Personal, immer in reinstem weiß
gekleidet, behandelte ihn als sei er ein
Ölscheich und diese Frau - wie eine Fata
Morgana. Am zweiten Abend in dem
Hotel hatte er sie durch den Nebel im
heißen Dampfbad entdeckt. Er war sich
gar nicht sicher, ob sie wirklich da war.
Doch am nächsten Morgen erschien
sie wieder beim Frühstück, im weißen
Gewand – ein leichter Morgenmantel,
der ihrem Gang etwas schwebendes
verlieh. Sie bewegte sich direkt auf ihn
zu, ließ sich neben ihm am Tisch nieder,
sagte nichts – und jetzt hielt Robert es
nicht mehr aus und fragte nach ihrem
Namen – „Anna“ – es klang so weich und
anmutig. Sie lernten sich näher kennen
und er spürte, dass auch sie sich zu ihm
hingezogen fühlte.
Als zwei Tage später sein Freund
Christoph aus dem Büro anrief, um zu
fragen, warum er noch immer nicht
zurück war, wurden Robert und Anna
aus ihrer trauten Zweisamkeit im
Kaminzimmer des Hotels gerissen. Er
spürte Zorn in sich aufsteigen. Was
sollte denn eigentlich dieser ständige
Druck - „warum lasst ihr euch alle zum
Affen machen? Ich habe keine Ahnung
wann ich zurückkomme!“ Im Kamin die
Flammen schienen so aufgebracht wie
er selbst. Und ohne sich dessen bewusst
zu sein fuchtelte er wild mit dem Eisen,
an dessen unteres Ende eine sich um ein
Herz windende Schlange gearbeitet war.
Über seine eigene Unbeherrschtheit
erschrocken stellte er das Eisen zurück
neben den Kamin und setzte sich wieder neben sie. Sie blickte ihn ruhig an
und streckte ihm ein Glas mit nebliger
Flüssigkeit entgegen: „Sei ganz ruhig.“
Inzwischen war es Herbst geworden.
Seine Weihung stand bevor. Anna würde
mit Herbert, Peter und Gabriel auch
dabei sein. Robert hatte sich für das
Brandmal die Stelle an seiner Brust ausgesucht, auf die Anna ihn damals zum
ersten Mal ihre Lippen gepresst hatte.

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