Evangelische Zeitung für die Kirche in Norddeutschland
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Evangelische Zeitung für die Kirche in Norddeutschland
N R . 6 | 1 0 . F E B R U A R 2 0 12 | E S T O H I M I C 3 914 K E U R 1, 7 0 | d k r 15 , 0 0 Evangelische Zeitung FÜR DIE KIRCHE IN NORDDEUTSCHLAND Die EDG Ihre Kirchenbank. Ihr Partner und Berater: menschlich, engagiert, verlässlich. www.edg-kiel.de GL AUBE & GEMEINDE | SEITE 24 RENDSBURG/HANNOVER | SEITE 4 Die Welt steht Kopf Bibelauslegung zum Beginn der Passionszeit „Erhebliche Mehrkosten“ Neuer Rundfunkbeitrag: GEZ bittet Kitas zur Kasse |THEMA DER WOCHE | Fromm sein – wie geht das eigentlich? Plädoyer für eine vergessene Haltung T H E M E N & I N H A LT Runter vom Sofa Fastenaktion startet Sieben Wochen volles Risiko FRANKFURT – „Ris- kier was“, fordert die evangelische Kirche in ihrer diesjährigen Fasten-Kampagneauf. Das Motto der Aktion „Sieben Wochen ohne“ soll als Impuls verstanden werden, den eigenen Horizont zu erweitern“. Kommentar Seite 2, Bericht Seite 9 Neue Bäderregelung Kirche begrüßt Kompromiss Leere Kirchenbänke sind der Ausdruck für ein spirituell ungeübtes Christentum. Ein „Sofa-Christentum“ ohne geistliche Praxis sieche dahin und werde allein durch zahlreiche lebenserhaltende Maßnahmen vor dem Aussterben bewahrt, so die Kritik unserer Autorin. Von Sabine Bobert KIEL – Die ange- kündigte neue Bäderregelung für Sonntagsöffnung in Tourismusorten ist auf ein geteiltes Echo gestoßen. Wie Kirchen, Parteien und Gewerkschaften den in der vergangenen Woche erzielten Kompromiss beurteilen, lesen Sie auf Seite 16 Protest in Ahrensburg Gemeindehaus steht zum Verkauf AHRENSBURG – Neuer Ärger in Ahrensburg: Auf seiner jüngsten Sitzung beschloss der dortige Kirchengemeinderat, das Gemeindehaus und das Pastorat an der St. Johanneskirche zu verkaufen. Viele ehrenamtliche Gruppen, die das Gemeindehaus nutzen, fürchten nun, in Zukunft keinen Ort mehr zu haben. Seite 13 Leserreisen Wir bringen Sie an die schönsten und eindrucksvollsten Plätze dieser Welt Seite 8 T H E M A D E R WO C H E Fromm – aber nicht von gestern Von Carsten Splitt I Weniger Gottesdienste, konstant niedrige Besucherzahlen. Im Durchschnitt beteiligen sich an einem Sonntagsgottesdienst beispielsweise in SchleswigHolstein gerade einmal 38 Christinnen und Christen. Zu wenig, meint unsere Autorin Sabine Bobert und ruft zu einer aktiven Frömmigkeit auf. rgendetwas läuft schief. Während die christlichen Kirchen in unseren Breiten um Mitglieder ringen, wachsen die Pfingstkirchen weltweit unaufhörlich. Neuesten Schätzungen zufolge ist jeder vierte Christ einer evangelikalen Strömung zuzurechnen. Seit Montag beraten evangelische, katholische und orthodoxe Bischöfe gemeinsam, wie die etablierten Kirchen der frommen Bewegung begegnen können. Vielleicht könnte es da helfen, sich zunächst einmal der eigenen Frömmigkeit bewusst zu werden? Möglicherweise sind „die Frommen“ gar nicht die „anderen“? Wie wäre es, wenn wir in unseren Gemeinden eine Frömmigkeit entdeckten, die – jenseits verstaubter Klischees – nicht von gestern ist, sondern ins Morgen weist? Drei in diesem Sinn fromme Christinnen stellen wir Ihnen vor auf Seite 3 und 9. Weitere Beiträge zum Thema auf Seite 5, 6, 7 und 8 W as haben Kirche und Fitnessstudio gemeinsam? Reine Mitgliedschaft zahlt sich nicht aus. Man muss selber üben. Alles andere ist Selbstbetrug. „Frömmigkeit“ ist – wie „sportlich“ sein – mehr als eine Geisteshaltung. Sie hat sehr viel mit Üben, Einüben zu tun, klassisch gesagt mit Exerzitien. Es geht um das Einüben von Konzentration auf Wesentliches, um das Einüben von heilsamen Gefühlen und um das Einüben der Kontrolle über eigene Willensimpulse. Luthers Vorstellung vom „allgemeinen Priestertum“ wurde von der Liberalen Theologie im 19. Jahrhundert ins Gegenteil verkehrt. Als Luther die Klöster dichtmachte, wollte er kein übungsfreies Christentum, sondern er wollte die Illusion zerstören, dass man spirituelle Übungen an Andere delegieren könnte. Luther machte das Individuum für seine Gottesbeziehung verantwortlich und verwies dafür auf den Ernstfall: auf die eigene Sterbestunde. Keiner nimmt dem anderen das Sterben ab. Geistliche Übungen bereiten für die Ernstfälle des Lebens vor. Sie sind letztlich die „ars moriendi“, die Kunst des Sterbens. Gerade im Ernstfall soll die Christusbeziehung nicht abreißen. Wieweit kann ich in Krisen meinen Geist gelassen auf Christus richten? Luther war überzeugt: Ein krisenfestes und damit lebenstaugliches Foto: fotolia Christentum muss eintrainiert werden. Hierfür reichen weder Gottesdienstbesuch noch Predigthören. Das übungsfreie Couch-PotatoChristentum siecht derzeit dahin und wird durch allerlei lebenserhaltende Maßnahmen noch ein paar Jahre vor dem Exitus bewahrt. Derweil erörtern Neurowissenschaftler wie Ulrich Ott und Psychologen wie Renaud van Quekelberghe den Zusammenhang zwischen mentaler Fitness, körperlicher Gesundheit und spirituellen Übungen. Die von der akademischen Theologie kaum beachtete Meditationsforschung und neue psychotherapeutische Ansätze mit achtsamkeitsbasierten Therapien zeigen: Wer spirituelle Übungen macht, hat gesundheitlich viele Vorteile. So hat Professor Herbert Benson in seinem Buch „Heilung durch Glauben“ gezeigt: Wer mantrisch betet - wie etwa beim Herzensgebet – der steigt aus Stressschleifen aus, wird Schlafstörungen los und sogar von Depression und Bluthochdruck geheilt. Ein exerzitienfreies Christentum langweilt Zeitgenossen zunehmend. Viele sind längst zu Yoga, Tai Chi, buddhistischen Übungen und SufiMystik aus der Kirche ausgewandert. Luther übte lebenslang mit seinen Mönchsübungen weiter. In den alten Übungen der Mystiker liegt der Schlüssel, um wieder an die Mitte des Christentums heranzukommen. Nur von dieser Mitte her kann die Kirche reformiert werden. Die Mitte heißt: Aufmerksamkeit für die Gegenwart Jesu Christi in allen Dingen erlangen; Kein Gleichmacher-Amt Ulrich will als Landesbischof vor allem geistlich leiten Von Carsten Splitt HAMBURG/SCHWERIN – Mit einem Vortrag in Hamburg hat der Schleswiger Bischof Gerhard Ulrich seine Vorstellung als Kandidat für das Amt des Landesbischofs der Nordkirche abgeschlossen. In der Grundsatzrede zum Thema „Glaube und Toleranz“ unterstrich er sein pluralistisches Verständnis des Leitungsamtes: Zwar verkörpere das Amt des Landesbischofs das „Bedürfnis nach Klarheit und Einheitlichkeit.“ In Wahrheit aber sei es das „Amt der Einheit“, nicht der Einheitlichkeit. Es gehe nicht um „Hierarchie und Gleichmacherei“, bei der „einer etwas zu sagen hat“, sondern um geistliche Leitung, betonte Ulrich, der bei der Synodentagung am 21. Februar als einziger Kandidat antreten wird. Aufgabe eines Lan- desbischofs sei das „Zusammenhalten von spannungsvollen Zusammenhängen“ sowie die Bewahrung des vielgestaltigen Leibes Christi: „Einheit und Vielfalt schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander“, erinnerte Ulrich. Schleswiger Bischofsamt nach Ulrichs Wahl vakant Für einen Christen sei es aber auch notwendig, den eigenen Standpunkt in die öffentlichen Debatten einzubringen, so Ulrich. Wer an die eigene Wahrheit glaube, könne nicht mit faulen Kompromissformeln leben. Mit seinen Ecken und Kanten stifte ein Christ keinen Unfrieden, sondern fördere als echter Gesprächspartner eine bunte und dialogfreudige Gesellschaft. „Christen, die mit ganzer Seele an ihrem Gott hängen, müssen damit rechnen, dass Gott sie durch einen anderen Menschen auffordert, den eigenen Standpunkt zu verlassen“, erläuterte er sein Verständnis von Toleranz. Ulrich nimmt derzeit als Vorsitzender der Vorläufigen Kirchenleitung kommissarisch die Aufgaben eines Landesbischofs wahr. Er wurde 2008 zum Bischof für den Sprengel Schleswig und Holstein gewählt. Dort vertritt ihn derzeit der Bischofsbevollmächtigte Gothart Magaard. Mit der Wahl des Landesbischofs läuft sein Mandat jedoch aus. Nach einer Wahl Ulrichs zum Landesbischof wäre das Schleswiger Bischofsamt somit zunächst vakant. Ob die Vakanz bis zur Wahl eines neuen Amtsinhabers andauert oder übergangsweise das Mandat des Bischofsbevollmächtigten verlängert wird, ist derzeit noch unklar. eine Aufmerksamkeit, die auch im Alltag nicht abreißt. Solche Konzentration zu erlernen, ist das Gegenteil von Werkgerechtigkeit oder „Selbsterlösung“. Eine einübend wiederentdeckte christliche Mystik steht den Angeboten anderer Religionen in nichts nach. Ihre verwandelnde Kraft wird noch im 19. Jahrhundert in Büchern wie den „Aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers“ bezeugt. Aus meiner Sicht kann nur die übende Kirche zeigen, wie attraktiv das Christentum ist. Bobert ist Professorin für Prakti– Sabine sche Theologie an der Uni Kiel. ist Autorin von „Mystik und – SieCoaching“ (Vier Türme Verlag 2011) und leitet gleichnamige Seminare. Gestern Kirche, morgen Moschee Präzedenzfall in Hamburg stößt auf Kritik HAMBURG – Die geplante Nut- zung einer ehemaligen Hamburger Kirche als Moschee ist in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auf Kritik gestoßen: „Die Umwandlung einer Kirche in eine Moschee erscheint uns kein angezeigter Weg zu sein“, betonte der Präsident des EKD-Kirchenamts Hans Ulrich Anke. „Die Kirche ist der Ort, an dem das Evangelium von Jesus Christus gepredigt und gelebt wird.“ Das könne man nicht „einfach abschalten“ und den Raum fürs Predigen anderer Gottesbilder zur Verfügung stellen. Hintergrund ist die Ankündigung des islamischen Zentrums Al-Nour in Hamburg, die ehemalige evangelische Kapernaum-Kirche in Hamburg-Horn in eine Moschee umbauen zu wollen. Der Kauf des bereits 2002 entwidmeten Gotteshauses sei bereits Ende 2012 erfolgt, bestätigte der Vorstandsvorsitzende Daniel Abdin. „Menschen, die hier jahrelang Gottesdienste erlebt haben, die hier getauft, konfirmiert und getraut wurden, verbinden auch mit dem Gebäude eine sehr persönliche Geschichte“, sagte Anke. Wenn es bei ehemaligen Kirchen zu einer Umnutzung komme, müsse diese dem ursprünglichen Charakter des Gebäudes Rechnung tragen, so Anke. Auch die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs sieht die Umnutzung mit gemischten Gefühlen: „Es hat mich sehr bewegt, dass ein ehemaliges Kirchengebäude in eine Moschee umgewandelt werden soll.“ Sie setze aber auf das gute interreligiöse Miteinander in Hamburg (csp) Seite 15 S i e e r r e i c h e n d i e R e d a k t i o n : G a r t e n s t r a ß e 2 0 , 2 410 3 K i e l , T e l . 0 4 31 / 5 5 7 7 9 - 2 41, F a x 0 4 31 / 5 5 7 7 9 - 2 9 7, w w w . d i e e v a n g e l i s c h e . d e , r e d a k t i o n @ e v a n g e l i s c h e - z e i t u n g . d e