Evangelische Zeitung für die Kirche in Norddeutschland

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Evangelische Zeitung für die Kirche in Norddeutschland
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Evangelische Zeitung
FÜR DIE KIRCHE IN NORDDEUTSCHLAND
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GL AUBE & GEMEINDE | SEITE 24
RENDSBURG/HANNOVER | SEITE 4
Die Welt steht Kopf
Bibelauslegung zum
Beginn der Passionszeit
„Erhebliche Mehrkosten“
Neuer Rundfunkbeitrag:
GEZ bittet Kitas zur Kasse
|THEMA DER WOCHE | Fromm sein – wie geht das eigentlich? Plädoyer für eine vergessene Haltung
T H E M E N & I N H A LT
Runter vom Sofa
Fastenaktion startet
Sieben Wochen volles Risiko
FRANKFURT – „Ris-
kier was“, fordert
die evangelische
Kirche in ihrer
diesjährigen Fasten-Kampagneauf. Das Motto der
Aktion „Sieben Wochen ohne“ soll als Impuls
verstanden werden, den eigenen Horizont zu
erweitern“. Kommentar Seite 2, Bericht Seite 9
Neue Bäderregelung
Kirche begrüßt Kompromiss
Leere Kirchenbänke sind der Ausdruck für ein spirituell ungeübtes
Christentum. Ein
„Sofa-Christentum“ ohne geistliche Praxis sieche
dahin und werde
allein durch zahlreiche lebenserhaltende Maßnahmen
vor dem Aussterben bewahrt, so
die Kritik unserer
Autorin.
Von Sabine Bobert
KIEL – Die ange-
kündigte neue Bäderregelung für
Sonntagsöffnung
in Tourismusorten ist auf ein geteiltes Echo gestoßen. Wie Kirchen, Parteien und Gewerkschaften den in der vergangenen Woche erzielten
Kompromiss beurteilen, lesen Sie auf Seite 16
Protest in Ahrensburg
Gemeindehaus steht zum Verkauf
AHRENSBURG – Neuer Ärger in Ahrensburg:
Auf seiner jüngsten Sitzung beschloss der dortige Kirchengemeinderat, das Gemeindehaus
und das Pastorat an der St. Johanneskirche zu
verkaufen. Viele ehrenamtliche Gruppen, die
das Gemeindehaus nutzen, fürchten nun, in
Zukunft keinen Ort mehr zu haben. Seite 13
Leserreisen
Wir bringen Sie an die
schönsten und
eindrucksvollsten Plätze
dieser Welt
Seite 8
T H E M A D E R WO C H E
Fromm – aber nicht
von gestern
Von Carsten Splitt
I
Weniger Gottesdienste, konstant niedrige Besucherzahlen. Im Durchschnitt
beteiligen sich an einem Sonntagsgottesdienst beispielsweise in SchleswigHolstein gerade einmal 38 Christinnen
und Christen. Zu wenig, meint unsere
Autorin Sabine Bobert und ruft zu einer aktiven Frömmigkeit auf.
rgendetwas läuft schief. Während die
christlichen Kirchen in unseren Breiten
um Mitglieder ringen, wachsen die Pfingstkirchen weltweit unaufhörlich. Neuesten
Schätzungen zufolge ist jeder vierte Christ einer evangelikalen Strömung zuzurechnen.
Seit Montag beraten evangelische, katholische und orthodoxe Bischöfe gemeinsam,
wie die etablierten Kirchen der frommen Bewegung begegnen können. Vielleicht könnte
es da helfen, sich zunächst einmal der eigenen Frömmigkeit bewusst zu werden? Möglicherweise sind „die Frommen“ gar nicht die
„anderen“? Wie wäre es, wenn wir in unseren
Gemeinden eine Frömmigkeit entdeckten,
die – jenseits verstaubter Klischees – nicht
von gestern ist, sondern ins Morgen weist?
Drei in diesem Sinn fromme Christinnen
stellen wir Ihnen vor auf Seite 3 und 9. Weitere Beiträge zum Thema auf Seite 5, 6, 7 und 8
W
as haben Kirche und Fitnessstudio gemeinsam? Reine Mitgliedschaft zahlt sich nicht
aus. Man muss selber üben. Alles andere ist Selbstbetrug. „Frömmigkeit“ ist –
wie „sportlich“ sein – mehr als eine Geisteshaltung. Sie hat sehr viel mit Üben,
Einüben zu tun, klassisch gesagt mit Exerzitien. Es geht um das Einüben von
Konzentration auf Wesentliches, um das
Einüben von heilsamen Gefühlen und
um das Einüben der Kontrolle über eigene Willensimpulse.
Luthers Vorstellung vom „allgemeinen Priestertum“ wurde von der Liberalen Theologie im 19. Jahrhundert ins
Gegenteil verkehrt. Als Luther die Klöster dichtmachte, wollte er kein übungsfreies Christentum, sondern er wollte
die Illusion zerstören, dass man spirituelle Übungen an Andere delegieren
könnte. Luther machte das Individuum für seine Gottesbeziehung verantwortlich und verwies dafür auf den
Ernstfall: auf die eigene Sterbestunde.
Keiner nimmt dem anderen das Sterben ab. Geistliche Übungen bereiten
für die Ernstfälle des Lebens vor. Sie
sind letztlich die „ars moriendi“, die
Kunst des Sterbens. Gerade im Ernstfall soll die Christusbeziehung nicht
abreißen. Wieweit kann ich in Krisen
meinen Geist gelassen auf Christus
richten? Luther war überzeugt: Ein krisenfestes und damit lebenstaugliches
Foto: fotolia
Christentum muss eintrainiert werden.
Hierfür reichen weder Gottesdienstbesuch noch Predigthören.
Das übungsfreie Couch-PotatoChristentum siecht derzeit dahin und
wird durch allerlei lebenserhaltende
Maßnahmen noch ein paar Jahre vor
dem Exitus bewahrt. Derweil erörtern
Neurowissenschaftler wie Ulrich Ott
und Psychologen wie Renaud van Quekelberghe den Zusammenhang zwischen mentaler Fitness, körperlicher
Gesundheit und spirituellen Übungen.
Die von der akademischen Theologie
kaum beachtete Meditationsforschung
und neue psychotherapeutische Ansätze mit achtsamkeitsbasierten Therapien zeigen: Wer spirituelle Übungen
macht, hat gesundheitlich viele Vorteile. So hat Professor Herbert Benson in
seinem Buch „Heilung durch Glauben“
gezeigt: Wer mantrisch betet - wie etwa
beim Herzensgebet – der steigt aus
Stressschleifen aus, wird Schlafstörungen los und sogar von Depression und
Bluthochdruck geheilt.
Ein exerzitienfreies Christentum
langweilt Zeitgenossen zunehmend.
Viele sind längst zu Yoga, Tai Chi,
buddhistischen Übungen und SufiMystik aus der Kirche ausgewandert.
Luther übte lebenslang mit seinen
Mönchsübungen weiter. In den alten
Übungen der Mystiker liegt der
Schlüssel, um wieder an die Mitte des
Christentums heranzukommen. Nur
von dieser Mitte her kann die Kirche
reformiert werden. Die Mitte heißt:
Aufmerksamkeit für die Gegenwart
Jesu Christi in allen Dingen erlangen;
Kein Gleichmacher-Amt
Ulrich will als Landesbischof vor allem geistlich leiten
Von Carsten Splitt
HAMBURG/SCHWERIN – Mit
einem Vortrag in Hamburg hat
der Schleswiger Bischof Gerhard Ulrich seine Vorstellung
als Kandidat für das Amt des
Landesbischofs der Nordkirche abgeschlossen. In der
Grundsatzrede zum Thema
„Glaube und Toleranz“ unterstrich er sein pluralistisches
Verständnis des Leitungsamtes: Zwar verkörpere das Amt
des Landesbischofs das „Bedürfnis nach Klarheit und Einheitlichkeit.“ In Wahrheit aber
sei es das „Amt der Einheit“,
nicht der Einheitlichkeit. Es
gehe nicht um „Hierarchie und
Gleichmacherei“, bei der „einer etwas zu sagen hat“, sondern um geistliche Leitung,
betonte Ulrich, der bei der
Synodentagung am 21. Februar als einziger Kandidat antreten wird. Aufgabe eines Lan-
desbischofs sei das „Zusammenhalten von spannungsvollen Zusammenhängen“ sowie
die Bewahrung des vielgestaltigen Leibes Christi: „Einheit
und Vielfalt schließen sich
nicht aus, sondern bedingen
einander“, erinnerte Ulrich.
Schleswiger Bischofsamt
nach Ulrichs Wahl vakant
Für einen Christen sei es aber
auch notwendig, den eigenen
Standpunkt in die öffentlichen Debatten einzubringen,
so Ulrich. Wer an die eigene
Wahrheit glaube, könne nicht
mit faulen Kompromissformeln leben. Mit seinen Ecken
und Kanten stifte ein Christ
keinen Unfrieden, sondern
fördere als echter Gesprächspartner eine bunte und dialogfreudige
Gesellschaft.
„Christen, die mit ganzer Seele an ihrem Gott hängen, müssen damit rechnen, dass Gott
sie durch einen anderen Menschen auffordert, den eigenen
Standpunkt zu verlassen“, erläuterte er sein Verständnis
von Toleranz.
Ulrich nimmt derzeit als
Vorsitzender der Vorläufigen
Kirchenleitung kommissarisch die Aufgaben eines Landesbischofs wahr. Er wurde
2008 zum Bischof für den
Sprengel Schleswig und Holstein gewählt. Dort vertritt ihn
derzeit der Bischofsbevollmächtigte Gothart Magaard.
Mit der Wahl des Landesbischofs läuft sein Mandat jedoch aus. Nach einer Wahl Ulrichs zum Landesbischof wäre
das Schleswiger Bischofsamt
somit zunächst vakant. Ob die
Vakanz bis zur Wahl eines neuen Amtsinhabers andauert
oder übergangsweise das
Mandat des Bischofsbevollmächtigten verlängert wird, ist
derzeit noch unklar.
eine Aufmerksamkeit, die auch im Alltag nicht abreißt. Solche Konzentration zu erlernen, ist das Gegenteil von
Werkgerechtigkeit oder „Selbsterlösung“.
Eine einübend wiederentdeckte
christliche Mystik steht den Angeboten
anderer Religionen in nichts nach. Ihre
verwandelnde Kraft wird noch im 19.
Jahrhundert in Büchern wie den „Aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers“ bezeugt. Aus meiner
Sicht kann nur die übende Kirche zeigen, wie attraktiv das Christentum ist.
Bobert ist Professorin für Prakti– Sabine
sche Theologie an der Uni Kiel.
ist Autorin von „Mystik und
– SieCoaching“
(Vier Türme Verlag 2011)
und leitet gleichnamige Seminare.
Gestern Kirche,
morgen Moschee
Präzedenzfall in Hamburg stößt auf Kritik
HAMBURG – Die geplante Nut-
zung einer ehemaligen Hamburger Kirche als Moschee ist
in der Evangelischen Kirche in
Deutschland (EKD) auf Kritik
gestoßen: „Die Umwandlung
einer Kirche in eine Moschee
erscheint uns kein angezeigter
Weg zu sein“, betonte der Präsident des EKD-Kirchenamts
Hans Ulrich Anke. „Die Kirche
ist der Ort, an dem das Evangelium von Jesus Christus gepredigt und gelebt wird.“ Das
könne man nicht „einfach abschalten“ und den Raum fürs
Predigen anderer Gottesbilder
zur Verfügung stellen.
Hintergrund ist die Ankündigung des islamischen Zentrums Al-Nour in Hamburg,
die ehemalige evangelische
Kapernaum-Kirche in Hamburg-Horn in eine Moschee
umbauen zu wollen. Der Kauf
des bereits 2002 entwidmeten
Gotteshauses sei bereits Ende
2012 erfolgt, bestätigte der
Vorstandsvorsitzende Daniel
Abdin.
„Menschen, die hier jahrelang Gottesdienste erlebt haben, die hier getauft, konfirmiert und getraut wurden, verbinden auch mit dem Gebäude
eine sehr persönliche Geschichte“, sagte Anke. Wenn es
bei ehemaligen Kirchen zu einer Umnutzung komme, müsse diese dem ursprünglichen
Charakter des Gebäudes Rechnung tragen, so Anke.
Auch die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs sieht die
Umnutzung mit gemischten
Gefühlen: „Es hat mich sehr
bewegt, dass ein ehemaliges
Kirchengebäude in eine Moschee umgewandelt werden
soll.“ Sie setze aber auf das
gute interreligiöse Miteinander in Hamburg (csp) Seite 15
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