ERASMUS Erfahrungsbericht für die Université Toulouse I

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ERASMUS Erfahrungsbericht für die Université Toulouse I
ERASMUS Erfahrungsbericht für die Université Toulouse I –
Capitole (2012/2013) – Max Wolf
1. Anreise und Wohnungssuche
Da Toulouse als die Stadt der « aéronautique » gilt, bietet es sich natürlich an, im Flugzeug auf
dem Flughafen des nahe gelegenen Blagnac anzukommen. Billigflüge landen z.T. auch im ca. eine
Stunde entfernten Carcassonne. Oder man macht es wie ich, und nimmt den Zug (über Paris oder
Marseille, auf voyages-sncf.fr schon ab 60€).
Eine Woche vor Vorlesungsbeginn – Ende August – angekommen, meldete ich mich auch direkt
im ERASMUS-Büro, bei Agnès Tersou in J104. Sie und ihr Team sind die Ansprechpartner
während des ganzen Studiums und in der Regel erhält man schon lange Zeit vorher erste E-Mails
mit Informationen z.B. zu den Wohnheimen. Das Glück (oder Unglück, wie man es nimmt), einen
Wohnheimplatz zu bekommen, hatte ich nicht. Wohnheime gibt es allerdings einige und die
meisten ERASMUS-Student*innen bekommen dort auch einen Platz. Diese sind quer über die Stadt
verteilt: von direkt neben der Universität (Arsenal), über per Fahrrad erreichbar mit Schwimmbad
(Chapou) bis Ende der Welt (Rangueil) ist alles dabei. Allerdings sind die Zimmer recht klein
(9m²), dafür jedoch auch günstig (150 – 250 €). Der Preisunterschied rechtfertigt sich nach der
Einteilung in « chambres traditionnelles » und « chambres renouvelées ». Während letztere über
eigene Bäder und teilweise sogar über eigene Küchen verfügen und in den letzten Jahren
modernisiert wurden, befinden sich die „traditionellen“ Zimmer noch im Urzustand der Siebziger,
mit Gemeinschaftsduschen und -toiletten oder gar ganz ohne Kochmöglichkeit.
Ich durfte mir wie gesagt selbst ein Zimmer suchen, was sich von Deutschland aus als quasi
unmöglich herausstellte. In Toulouse angekommen half man mir im ERASMUS-Büro aber weiter
und schließlich fand ich nach einer Woche und zahlreichen Besichtigungen eine kleine
Dachgeschosswohnung für 435 € kalt (für Toulouse recht günstig). Der Wohnungsmarkt in
Toulouse ist eben, gerade zu Semesterbeginn Anfang September, schwierig. Zudem hat man mit
französischen Vermietern das Gefühl, als würde man eine Bindung auf Lebenszeit eingehen. Ohne
französisches Bankkonto sind nur wenige bereit, eine Wohnung zu vermieten – welches man nur
durch Nachweis einer Wohnung bekommt; finde den Fehler. In der Regel wird zudem ein Bürge
verlangt, der in Frankreich Einkommensteuer zahlt. Um die Chancen zu erhöhen, sollte man daher
auf jeden Fall Bürgschaften der Eltern mitnehmen und am Besten noch Steuerbescheide oder
Gehaltsauszüge der letzten Jahre. Als Nachweise des Wohnsitzes werden in Frankreich in der
Regel Strom- oder Wasserrechnungen sowie in Ausnahmefällen Wohnungsversicherungen
akzeptiert. Da Banken letztere meist auch vertreiben, kommt man durch den Abschluss einer
solchen, meist auch zu einem Bankkonto. Besonders günstig sind LCL, Société Générale und BNP,
allerdings sollte man darauf achten, dass die Banken einem nicht noch irgendwelche
Versicherungen oder Ähnliches unterjubeln, die man gar nicht benötigt.
Doch es gibt auch Positives: die Caisse d‛Allocations Familiales (24 Rue Riquet) verteilt
unabhängig vom Einkommen der Eltern Wohngeld, die APL, an mittellose Studierende bis zu 200 €
im Monat. Dafür muss man nur ein Formular vom Vermieter ausfüllen lassen und einige
Nachweise einreichen, unter anderem eine Geburtsurkunde auf Französisch.
Als Wohngegenden empfiehlt sich alles in Innenstadtnähe, insbesondere um die Metrostationen
Jean-Jaurès, Capitole, Esquirol und Carmes. Toulouse ist aber sehr kompakt, sodass auch Marengo,
Saint-Cyprien, Saint-Michel / Jardin des Plantes und Jolimont sehr gut erreichbar sind. Mirail und
Empalot gelten als soziale Brennpunkte und sind daher mit Vorsicht zu genießen.
Ich selbst bin nach vier Monaten aus meinem Ein-Zimmer-Appartement in eine WG mit einem
französischen « coloc » in Jolimont gezogen. So etwas kann ich nur jedem empfehlen, da das für
mein Französisch wohl das Beste war, was mir passieren konnte. Zudem stehen die allermeisten
Franzosen der ERASMUS-Gemeinschaft sehr aufgeschlossen gegenüber und viele hatten sogar mal
Deutschunterricht an der Schule, auch wenn das Keiner zugeben will.
2. Studium an der UT1
Als ERASMUS-Student*in genießt man in Toulouse die volle Freiheit, was Kurswahl und
Ähnliches betrifft. Dabei spielt das im Voraus eingereichte Learning Agreement keine Rolle, dies
lässt sich noch bis zwei Wochen nach Vorlesungsbeginn überarbeiten. Die Universität selbst bietet
dabei Sprachkurse an, die allerdings 150 € kosten. In der Einführungswoche wird einem alles
erklärt und man kommt in Kontakt mit (viel zu vielen) anderen ERASMUS-Studierenden.
Die französischen Studierenden sind zu Beginn ihres Studiums sehr jung und die Jahrgänge in den
ersten Semestern umfassen mehrere Tausend Studienanfänger*innen. Darüber hinaus nehmen
viele Professoren das Wort „Vorlesung“ hier wörtlich – auch wenn diese Beschreibung wohl an
mangelnden Deutschkenntnissen scheitert – und besonders in den ersten Semestern trainieren die
Studierenden wohl eher nur ihre Zehn-Finger-Tipp-Fertigkeiten. Man sollte sich daher jede
Vorlesung anschauen, ob man mit dem Vortragsstil der Dozent*innen zurecht kommt. Die
Franzosen sind jedoch sehr solidarisch, sodass noch niemand « non » gesagt hat, wenn ich als
ERASMUS-Student nach den Notizen gefragt habe. Zudem gibt es zahlreiche Facebookgruppen, in
denen Notizen hochgeladen und ausgetauscht werden.
Das Jurastudium in Frankreich ist in Licence und Master eingeteilt und die Jahrgänge werden
demnach in L1 L2 L3 sowie M1 und M2 eingeteilt. Erfahrungsgemäß sind die Gruppen in den
späteren Semestern kleiner und die Vorlesungen besser. Neben den Vorlesungen gibt es noch
« Travaux Dirigés », die unseren Arbeitsgemeinschaften entsprechen und mehr auf Falllösung
abzielen. Hier gilt ebenfalls: ausprobieren! Besonders über deutsche Studierende würde sich
vermutlich M. Martin (Völkerrecht) freuen, da er liebend gerne deutsche Zitate verwendet und sie
dann übersetzen lässt (dieses Jahr von mir, da einziger Deutscher in seiner Vorlesung).
Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass die Rechtsvorlesungen in Toulouse viel mehr in die Tiefe
gehen, als das in Heidelberg oft der Fall ist. Dafür spielt Falllösung jedoch ausschließlich in den
TDs eine Rolle.
3. Erfahrungen außerhalb des Studiums
Toulouse ist die ideale Stadt für Studierende. Groß genug um alles bieten zu können, was man sich
vorstellen kann (Oper, Theater, Kinos, Unmengen an Cafés, Bars und Ähnlichem) und doch
kompakt, sodass nie weite Wege zurückzulegen sind. Wo die Garonne durch die Stadt fließt, ist
Platz für malerische Brücken und entspannte Wiesen am Ufer. Die roten Backsteinhäuser lassen
an Norddeutschland denken, doch « l'Espagne […]pousse un peu sa corne », wie Claude Nougaro,
berühmter Sohn der Stadt, schon sang. So hat man nie einen Zweifel, in Südfrankreich zu sein:
Man lebt auf der Straße oder in Cafés, lässt sich im Park von der Sonne bescheinen oder trinkt ein
Glas der fantastischen Weine, die in der Region wachsen. Der Toulouser Akzent – anscheinend
der Akzent « le plus sexy de la France » (zumindest laut Dépeche du Midi) – ist zunächst etwas
gewöhnungsbedürftig, aber durch seine überdeutliche Aussprache aller „e“s leicht zu verstehen.
Die Stadt quillt über vor Studierenden und jungen Airbus-Angestellten, sodass einem praktisch
nicht langweilig werden kann. Und selbst dann sind Atlantik und Mittelmeer nur jeweils zwei
Stunden und die Pyrenäen etwa eine Stunde von der « ville rose » entfernt. Ein eigenes Auto ist
dabei in der Stadt mit all ihren engen Gassen eher unnötig. Zugtickets sind dank « Carte Jeune »
meist günstig, und sonst gibt es noch drivy.fr (das mal voiturelib hieß), über das sich ganz leicht
und preiswert Autos von Privatleuten mieten lassen.
An der Universität gibt es ein reiches Sport- und Kulturangebot; nur muss man sich rechtzeitig
anmelden, da die Nachfrage sehr groß ist.
Monatskarten für den ÖPNV kosten für unter 25 Jährige mit der « carte pastel », die man mit
Passfoto und Ausweis bei « tisséo » z.B. bei Jean-Jaurès bekommt, 10 €, 10er Tickets 4 €. Für 20 €
bekommt man ein Jahresabonnement für Velôtoulouse, einem Fahrradverleihservice mit Stationen
an quasi jeder Ecke.
Meine Highlights: « chocolatines », das Café « Un bout du monde » (18 Rue des Pénitents Gris),
das « Orchestre du Capitole » die zahlreichen Bouquinistes und der Blick auf das beleuchtete
Riesenrad neben dem Pont Saint-Pierre.
Insgesamt habe ich aus meinen neun Monaten in Toulouse unglaublich viel mitgenommen und ich
kann nur ausdrücklich dazu raten, ein ganzes Jahr zu bleiben. Nicht nur sprachlich habe ich
dazugelernt und durch die große Freiheit habe ich auch fachlich viel mehr gelernt, als ich das
einem Jahr Jurastudium in Heidelberg gekonnt hätte. Dabei ist das alles aber wohl nicht
zwangsläufig prüfungsrelevant und hat auch nichts mit deutschem Recht zu tun. Wer nur aufs
Staatsexamen schielt, sollte daher von ERASMUS vermutlich besser die Finger lassen.
Ich jedenfalls, möchte dieses Jahr in Toulouse nicht missen.