Texte.

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Texte.
Texte des Literatur-Gottesdienstes zu Stephen King am Letzten Sonntag nach Epiphanias
(20. Jan. 2013) in St. Michael, Gera-Pforten.
Glocken
Musik zum Eingang
Votum und Begrüßung
Über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. (Jes 60, 2)
Eingangslied EG 74, 1-4 Du Morgenstern du Licht vom Licht
Psalm 104, 20-26. 29
Du machst Finsternis, dass es Nacht wird;
da regen sich alle wilden Tiere,
die jungen Löwen, die da brüllen nach Raub
und ihre Speise suchen von Gott.
Wenn aber die Sonne aufgeht, heben sie sich davon
und legen sich in ihre Höhlen.
So geht dann der Mensch aus an seine Arbeit
und an sein Werk bis an den Abend.
HERR, wie sind deine Werke so groß und viel!
Du hast sie alle weise geordnet,
und die Erde ist voll deiner Güter.
Da ist das Meer, das so groß und weit ist,
da wimmelt's ohne Zahl, große und kleine Tiere.
Dort ziehen Schiffe dahin;
da sind große Fische, die du gemacht hast, damit zu spielen.
Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie;
nimmst du weg ihren Odem,
so vergehen sie und werden wieder Staub.
Gloria Patri
Kyrie
Gloria
Glorialied EG 179, 2
Kollektengebet
Großer Gott,
du hast Himmel und Erde erschaffen;
deine Herrlichkeit erfüllt das Weltall.
Du bist unter uns gewesen in Gestalt eines Menschen,
du hast in deinem Sohn Jesus Christus
unser Leben und Sterben geteilt.
Dein Geist wohnt in uns und hält uns lebendig;
Deine Liebe, deine Freundlichkeit, dein Erbarmen
Umfängt unser Leben.
Wir loben und preisen dich,
den Dreieinigen,
jetzt und in Ewigkeit.
Amen.
Lied EG 370, 1, 2 Warum sollt‘ ich mich denn grämen
1. Warum sollt ich mich denn grämen?
Hab ich doch Christum noch;
wer will mir den nehmen?
Wer will mir den Himmel rauben,
den mir schon Gottes Sohn
beigelegt im Glauben?
2. Nichts hab ich hierher genommen,
da ich klein bin herein
in die Welt gekommen;
nichts wird einst auch mit mir ziehen,
wann ich werd von der Erd
wie ein Schatten fliehen.
Literarische Lesung Stephen King, Es, 1986, S. 86-89.
Tom Huggins schlich währenddessen barfuß auf dem dicken Teppich zu seinem Schrank.
Er beobachtete jede ihrer Bewegungen
- sie hatte immer noch die Zigarette zwischen den Lippen,
und dünne Rauchwolken stiegen auf.
Es hatte lange gedauert, bis sie jene erste Lektion vergessen hatte.
Seitdem hatte es weitere gegeben, sehr viele sogar,
und an manchen Tagen hatte sie langärmelige Blusen getragen,
Wollwesten an heißen Tagen, Sonnenbrillen an grauen, regnerischen Tagen.
Aber jene allererste Lektion war so spontan, so grundlegend wichtig gewesen...
Sie nun rauchen zu sehen, verwirrte ihn mehr als der Anruf.
Sie rauchen zu sehen bedeutete, dass etwas passiert war,
wodurch sie Tom Huggins zeitweilig vergessen hatte.
Was das war, spielte keine Rolle
(er nahm an, dass jemand in ihrer Familie,
von der sie nur sehr selten sprach, gestorben war oder im Sterben lag).
Solche Dinge durften in diesem Hause nicht vorkommen.
An einem der Haken auf der Innenseite der Schranktür hing ein Gürtel ohne Schnalle.
Die Schnalle hatte er vor langer Zeit abgemacht.
Es war einfach ein breiter schwarzer Lederriemen,
der an jenem Ende, wo die Schnalle gewesen war,
doppelt lag und eine Schlinge bildete, durch die Tom Huggins jetzt seine Hand schob.
Tom, du warst ungezogen,
hatte seine Mutter manchmal gesagt –
nun ja, ‚manchmal‘ war vielleicht nicht das richtige Wort,
‚oft‘ hätte vielleicht besser gepasst.
Komm her, Tommy. Ich muss dir eine Tracht Prügel verabreichen.
Im College, als er schließlich von Zuhause weg, als er endlich in Sicherheit war,
hatte er im Traum manchmal ihre Stimme gehört:
Komm her, Tommy, Ich muss dir eine Tracht Prügel verabreichen.
Muss dir eine Tracht Prügel verabreichen. Prügel... Prügel... Prügel...
Tom war das älteste von vier Kindern gewesen.
Drei Monate nach der Geburt seiner jüngsten Schwester Cory war Ralph Huggins
gestorben - na ja, auch ‚gestorben‘ war vielleicht nicht ganz das richtige Wort,
‚hatte Selbstmord begangen‘ wäre wohl der korrektere Ausdruck gewesen.
Jedenfalls hatte seine Mutter wieder angefangen zu arbeiten,
und Tom musste mit seinen elf Jahren auf seine Geschwister aufpassen.
Und wenn er irgendetwas falsch machte – wenn er vergaß,
Cory an der Ecke der Broad Street auf dem Weg zum Kinderhort zu bekreuzigen,
und diese neugierige Mrs. Gant sah es...
oder wenn er sich im Fernsehen ‚American Bandstand‘ anschaute,
und der siebenjährige Joey aus dem Fenster im ersten Stock aufs Verandadach kletterte,
und jene neugierige Mrs. Eggert sah es...
oder wenn er vergaß, darauf zu achten, dass Beryl ihre Vitaminpillen nahm
(sie versteckte sie manchmal unter ihrem Teller und erzählte ihm, sie hätte sie geschluckt),
und seine Mutter sie dann fand, wenn sie von der Fabrik heimkam,
wo sie in einem Nebengebäude Stoffreste und Ausschussware verkaufte...
Dann wurde der Rohrstock hervorgeholt, und sie rief die Einleitungsformel:
Komm her, Tommy, ich muss dir eine Tracht Prügel verabreichen...
Er erinnerte sich gern daran, wie er es Beverly abgewöhnt hatte,
in seiner Gegenwart zu rauchen,
aber diese andere Erinnerung war unangenehm und verwirrend.
Der Gürtel hing jetzt von seiner geballten Faust herab wie eine tote Natter
und schwang sachte durch die Luft.
Und sein Kopfweh war wie durch ein Wunder verschwunden.
Sie hatte inzwischen ganz hinten in der Schublade gefunden, was sie noch gesucht hatte –
einen alten weißen Baumwoll-BH mit verstärkten Körbchen.
Ganz flüchtig war ihm der Gedanke durch den Kopf geschossen,
ob ihr nächtlicher Anruf nicht von einem Liebhaber sein könnte...
aber das war natürlich lächerlich.
So etwas würde sie niemals wagen.
Und außerdem packte eine Frau, die zu ihrem Liebhaber fahren will,
nicht gerade ihre älteste abgetragene Unterwäsche ein.
»Beverly«, sagte er leise, und sie zuckte zusammen, richtete sich sofort auf und
drehte sich nach ihm um, mit wehenden langen Haaren und weit aufgerissenen Augen.
Die Hand, die den Riemen hielt, zögerte... senkte sich etwas.
Er starrte sie an, und wieder stieg dieses leichte Unbehagen in ihm auf,
das fast schon an Furcht grenzte.
Ja, genauso hatte sie vor den großen Modenschauen ausgesehen,
und damals hatte er sich ihr lieber nicht in den Weg gestellt,
denn er begriff,
dass sie mit einer Mischung aus Angst und Aggressivität so angefüllt war,
dass ein falsches Wort oder eine falsche Bewegung auf sie die gleiche Wirkung haben
würde wie ein Funken in einem mit Leuchtgas gefüllten Raum;
sie würde einfach explodieren.
Sie hatte die Modenschauen nicht nur als Chance betrachtet,
sich von ‚Delia Fashions‘ lösen und ihren Lebensunterhalt
(oder vielleicht sogar ein Vermögen) selbständig verdienen zu können,
sondern als eine Art Oberexamen, das sie vor grimmigen Lehrern ablegen musste.
Wäre sie ein Rennpferd gewesen,
so wäre es für die Stallburschen fast unmöglich gewesen, sie in ihre Box zu bringen.
Und all das stand ihr auch jetzt im Gesicht geschrieben.
Nein, nicht nur im Gesicht.
Es war eine fast sichtbare Ausstrahlung um ihre ganze Gestalt, eine Hochspannung,
die sie plötzlich reizvoller und gefährlicher als seit Jahren auf ihn wirken ließ.
Er hatte vielleicht Angst, weil sie vor ihm stand, ihr eigentliches Ich,
das sich grundlegend von der Frau unterschied,
die Tom in ihr sehen wollte, zu der er sie gemacht hatte.
Sie sah geschockt und ängstlich aus.
Zugleich wirkte sie aber irrsinnig aufgekratzt.
Ihre Wangen glühten hektisch,
unter den Unterlidern hatte sie weiße Flecken,
die fast wie ein zweites Augenpaar aussahen,
und ihre glänzende Stirn reflektierte das Licht.
Sie hatte ihre Zähne so fest in den Zigarettenfilter gegraben,
als wollte sie ihn durchbeißen.
Die Zigarette. Diese verdammte Zigarette!
Allein dieser Anblick ließ die dumpfe Zorneswelle wieder in ihm hochsteigen. (…)
»Ich muss dir eine Tracht Prügel verabreichen«, sagte er. »Tut mir leid, Baby!«
Was hatte er vorhin gedacht?
Dass die Mischung aus Angst und Aggressivität
in ihr so leicht entflammbar war wie Leuchtgas?
Jetzt richtete sich ihre Aggressivität gegen ihn;
zum ersten Mal richtete sie sich jetzt gegen ihn.
»Leg den Gürtel hin«, sagte sie.
»Ich muss zum O'Hare-Flughafen.«
Kommentar
Stephen Kings Welt ist ein Gewaltzusammenhang.
Er zeigt die Welt, in der Gewalt Gewalt erzeugt,
in der Gewalt aber auch unterbrochen wird durch Mut.
Beverly wurde von ihrem Vater missbraucht und geschlagen, ihr Ehemann von seiner
Mutter auch, und dieser Gewaltzusammenhang setzt sich fort und fort.
(Auch Stephen King’s Vater starb früh und er musste auf seine Geschwister aufpassen.)
Beverly löst sich hier aus dem Ich der geprügelten Ehefra und wie mühelos fährt sie zur
zurück nach Derry, wo sie mit ihren Freunden das namenlose Grauen ES besiegen muss.
Diese Freundschaftsloyalität bricht ihr Selbstbild als Opfer.
Der "Club der Loser", sieben Kinder, aus sieben verschiedenen Gründen Außenseiter:
Stan, der jüdische Junge, Richie mit Brillengläsern dick wie Colaflaschen, Eddie, der
Asthmatiker, Bill der Stotterer, Ben der Fettkloß, Mike der Negerjunge und Beverly.
Der Roman spielt in der Kinderwelt mit ihren noch ungebändigten Ängsten. King
zeichnet sie mit der ihm eigenen Drastik. Keine Spuren von Idylle. Unterhalb der Sphäre
der Erwachsenenwelt tobt ein Überlebenskampf. Den Verfolgungen größerer Jungen und
dem lauernden "es" ausgesetzt, ist der Zusammenschluss des Clubs der Verlierer aus
purer Not geboren, ein Mittel, nicht allein unterzugehen. Der Ausschluss dieser Kinder
aus der Kommunikation der Gleichaltrigen hat ihre Kräfte der Phantasie geschult, ein
Kompensationsvorgang, den King mit psychologischem Realismus schildert. Die
Phantasie gefährdet die Kindergruppe, denn "es" ist ein Virtuose der Imagination. "Es"
spiegelt jedem Kind seine persönlichen Ängste. Der gesamte Mythenschatz des Bösen vom Werwolf bis zum Aussätzigen - nimmt vor den Kindern Realität an. Aber die sieben
Außenseiter sind erfahren in ihren Ängsten und deshalb erfahren in der
Angstbewältigung. Dieselbe Angstphantasie, die den Vampir erfand, heißt es im Roman,
erfand auch den Holzpfahl. Den Losern gelingt das Entkommen, weil sie den
Schreckbildern die letzte Realität absprechen, aber gleichzeitig mit aller Raffinesse ihre
Flucht ins Werk setzen. Auch das haben sie bei ihren Verfolgungen durch größere Kinder
gelernt. Die normalen Kinder Derrys glauben nicht an die Realität der Trugbilder und
fallen ihnen gerade deshalb zum Opfer, die Erwachsenen sehen keine Trugbilder und
erliegen deshalb den Schlichen von "es". Nur die angst- und fluchterfahrenen Außenseiter
widerstehen dem "Geist des Bösen".
.
Lied EG 370, 3, 4 Warum sollt‘ ich mich denn grämen
3. Gut und Blut, Leib, Seel und Leben
ist nicht mein; Gott allein
ist es, der's gegeben.
Will er's wieder zu sich kehren,
nehm er's hin; ich will ihn
dennoch fröhlich ehren.
4. Schickt er mir ein Kreuz zu tragen,
dringt herein Angst und Pein,
sollt ich drum verzagen?
Der es schickt, der wird es wenden;
er weiß wohl, wie er soll;
all mein Unglück enden.
Literarische Lesung Stephen King, Es, 1986, S. 13-19.
Im Bett sitzend, die Wangen immer noch vom Fieber gerötet (…),
hatte Bill das Boot gefaltet und dann zu George,
der schon danach greifen wollte gesagt:
»U-und jetzt h-h-hol mir das P-P-Paraffin.«
»Was ist das? Und wo ist es?«
»Es steht auf dem Regal im Keller«, hatte Bill gesagt.
»In einer Schachtel mit der A-Aufschrift G-G-G-Gulf.
Und bring auch ein Messer und eine Schüssel mit. Und Streichhölzer.«
George hatte sich auf den Weg gemacht, um diese Sachen zu holen.
Er hörte im oberen Stockwerk seine Mutter Klavier spielen,
während der Regen an diesem verhangenen Vormittag gegen die Fensterscheiben klopfte
- es waren beruhigende Geräusche.
Er ging nicht gern die schmale Kellertreppe hinunter,
weil er sich immer vorstellte, dass da unten im Dunkeln etwas lauerte.
Er öffnete nicht einmal gern die Tür, um das Licht einzuschalten,
weil er immer das Gefühl hatte –
er wusste, dass es dumm war -,
dass in dem Moment, in dem er seine Hand
nach dem Lichtschalter ausstreckte, etwas nach ihm greifen würde...
irgendeine schreckliche Tatze mit Klauen...
und ihn in die Dunkelheit hinab zerren würde.
Es war dumm, das wusste er; es gab nichts Derartiges –
Bill hatte ihm das versichert und Mom und Dad ebenfalls,
obwohl ihre Worte für ihn weniger Gewicht hatten -,
aber trotzdem wurde er die Vorstellung nicht los.
In jenen endlos scheinenden Sekunden,
wenn er nach dem Lichtschalter tastete,
glaubte er immer wieder, der Kellergeruch –
jener säuerlich-bittere Geruch von Lehmboden und verschimmeltem Gemüse –
sei der Eigengeruch des Ungeheuers,
irgendeiner unvorstellbaren Kreatur,
die dort unten im Dunkeln lauerte
und Appetit auf das Fleisch kleiner Jungen hatte.
An diesem Vormittag hatte er die Tür geöffnet, den Kellergeruch wahrgenommen
und wie immer nur einen Arm in die Dunkelheit hinein ausgestreckt,
um das Licht einzuschalten, während er mit fest zusammengekniffenen Augen,
verzerrtem Mund und heraushängender Zungenspitze vor der Türschwelle stand.
Komisch? Natürlich war es komisch.
Schau dich doch nur mal an, Georgie!
Georgie hat Angst vor der Dunkelheit!
Die Klänge des Klaviers aus dem Morgenzimmer - wie seine Mutter es nannte –
im ersten Stock schienen aus weiter Ferne zu kommen –
so wie das Stimmengewirr und Gelächter aus einem überfüllten Strand im Sommer
einem erschöpften Schwimmer, der verzweifelt gegen die Strömung ankämpft,
weit entfernt und völlig fremd und sinnlos vorkommen muss.
Seine Finger fanden den Schalter und knipsten ihn an.
Kein Licht.
O verdammt! Der Stromausfall!
George zog seinen Arm so schnell zurück, als hätte er in einen Korb gegriffen
und den glitschigen, geschmeidigen Körper einer Schlange unter seinen Fingern gespürt.
Er wich einige Schritte von der geöffneten Tür zurück
und blieb mit laut pochendem Herzen stehen.
Kein Strom. Was nun?
Sollte er Bill erklären, er könne das Paraffin nicht holen,
weil kein Licht da sei und er Angst habe,
dass etwas ihn auf der Kellertreppe schnappen könnte,
dass etwas ihn unter der Treppe hervor am Knöchel packen könnte?
Dass er Angst habe, in der Dunkelheit dort unten,
wo es nach altem Lehm und schimmligem Gemüse roch,
plötzlich gelbe Augen aufleuchten zu sehen?
Bill würde sagen:
»Führ dich nicht auf wie ein Baby, Georgie...
willst du nun dieses Boot haben oder nicht?«
Als hätte Bill seine Gedanken gelesen,
rief er genau in diesem Augenblick:
»B-B-Bist du da d-draußen g-g-gestorben, Georgie?«
»Nein, ich hol's gerade«, rief George zurück.
Er rieb sich die Arme und hoffte,
dass dadurch die Gänsehaut verschwinden würde.
»Ich hab' nur schnell einen Schluck Wasser getrunken.«
Und er ging die vier Stufen zum Kellerregal hinunter;
sein Herz war ein warmer, pochender Klumpen in seiner Kehle,
seine Nackenhaare sträubten sich,
seine Augen brannten, seine Hände waren eiskalt.
Er war überzeugt davon, dass die Kellertür gleich zufallen
und damit auch das Licht aus der Küche verschwinden würde
und dass er es dann hören würde,
etwas noch viel Schlimmeres als in hundert Horrorfilmen,
ein tiefes kehliges Knurren in den alptraumhaften Sekunden,
bevor es sich auf ihn stürzen und ihm die Gedärme aus dem Leib reißen würde.
Der Geruch war heute schlimmer denn je, wegen der Überschwemmung.
Ihr Haus stand ziemlich weit oben an der Witcham Street,
und deshalb waren sie verhältnismäßig gut davongekommen,
aber durch die alten Steinfundamente war Wasser in den Keller gesickert
und hatte sich mit dem Dreck vermischt.
Der Gestank war so unangenehm,
dass George versuchte, möglichst flach zu atmen.
Er stöberte in dem Zeug auf dem Regal herum –
alte Dosen, Schuhcreme und Schuhputzlumpen, eine zerbrochene Petroleumlampe,
eine Menge leerer ‚Windex‘-Flaschen, ein alter Behälter Autowachs.
Und da war sie schließlich – die Schachtel mit der Aufschrift ‚Gulf‘.
George packte sie und rannte so schnell er konnte die Treppe hinauf.
Ihm war plötzlich eingefallen, dass sein Hemdzipfel heraushing,
und er war überzeugt davon, dass ihm das zum Verhängnis werden würde:
das Wesen im Keller würde ihn daran packen,
wenn er schon fast draußen war, es würde ihn zurückzerren und...
Er warf die Tür hinter sich zu
und lehnte sich mit geschlossenen Augen dagegen,
die Paraffinschachtel mit der Hand umklammernd,
Stirn und Unterarme schweißbedeckt.
Das Klavier verstummte, und die Stimme seiner Mutter ertönte von oben:
»Georgie, kannst du die Tür nicht noch etwas lauter zuschlagen?
Vielleicht schaffst du es, im Esszimmer einige Teller zu zerbrechen.«
»Entschuldige, Mom«, rief George.
(…)
George hatte seinen Regenmantel und seine Überschuhe angezogen –
und hier war er nun und folgte auf der rechten Seite der Witcham Street seinem Boot.
Er rannte schnell, aber das Wasser floss noch schneller,
und sein Boot gewann einen Vorsprung.
Er hörte, wie das Plätschern des Wassers in ein leichtes Brausen überging,
und plötzlich sah er, dass das Wasser im Rinnstein,
das jetzt zu einem schmalen Sturzbach geworden war,
auf dem sein Boot tanzte und vorwärtsschnellte,
etwa 50 Yards hügelabwärts einen Strudel bildete und in einen Gully hineinströmte.
Gerade verschwand ein ziemlich großer Ast mit nasser schwarzer, glänzender Rinde im
Rachen dieses Gullys.
»Oh, so 'ne Scheiße!« schrie er aufgeregt.
Er rannte noch schneller, und um ein Haar hätte er das Boot eingeholt.
Aber dann glitt er aus und fiel hin;
er schürfte sich ein Knie auf und schrie kurz vor Schmerz.
Aus seiner neuen Perspektive – auf dem Pflaster liegend - sah er,
wie sein Boot in einen Strudel geriet,
sich zweimal um die eigene Achse drehte
und im Gully verschwand.
»Verdammte Scheiße!« schrie er und schlug mit der Faust aufs Pflaster.
Auch das tat weh, und er weinte leise vor sich hin.
Wie dumm von ihm, das Boot auf diese Weise zu verlieren!
Er stand auf, ging zum Gully,
kniete sich hin und blickte in das dunkle hohe Loch im Rinnstein hinab.
Das Wasser stürzte mit einem dumpfen Geräusch in jene Dunkelheit hinunter,
einem irgendwie unheimlichen Geräusch und...
»Huh!« entfuhr es ihm plötzlich, und er wich zurück,
wie von einer Tarantel gestochen.
Dort drinnen waren gelbe Augen:
Augen wie jene, vor denen er sich im Keller immer gefürchtet,
die er in Wirklichkeit aber nie gesehen hatte.
Ein Tier, schoß es ihm völlig zusammenhanglos durch den Kopf,
es ist nur irgendein Tier, das dort unten gefangen ist,
weiter nichts, vielleicht die Katze der Symes...
Er wollte wegrennen - in ein-zwei Sekunden, sobald sein Gehirn
den plötzlichen Schock dieser gelben leuchtenden Augen verarbeitet hatte,
würde er wegrennen.
Er spürte den groben Schotterbelag unter seinen Fingern und die Kälte des Wassers.
Er wollte gerade aufstehen und weggehen,
als eine Stimme,
eine ganz vernünftige und sehr angenehme Stimme,
ihn aus dem Gully anrief.
»Hallo, Georgie«, sagte diese Stimme.
George zwinkerte mit den Augen und schaute dann wieder hin.
Er konnte zuerst nicht so recht glauben, was er sah;
es war wie im Märchen oder wie in Filmen,
wo Tiere reden und tanzen konnten.
Wäre er zehn Jahre älter gewesen,
so hätte er es auf keinen Fall geglaubt,
aber er war nicht sechzehn; er war erst sechs.
In dem dunklen Loch nur schlecht erkennbar,
war es doch ohne jeden Zweifel ein Clown, den er dort unten sah.
Er hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Bozo,
der bis vor einem Jahr im Fernsehen aufgetreten war;
sein Gesicht war weiß,
auf beiden Seiten seines kahlen Schädels standen lustige rote Haarbüschel ab,
und über seinen Mund war ein breites Clown-Grinsen gemalt.
In einer Hand hielt er eine Traube Luftballons wie prächtiges reifes Obst.
In der anderen Hand hatte er Georgies Boot.
»Möchtest du dein Boot wiederhaben, Georgie?« fragte der Clown und lächelte.
George erwiderte das Lächeln.
Er konnte einfach nicht anders;
es war unwiderstehlich.
»O ja«, rief er.
Der Clown lachte.
»Und wie war's mit einem Ballon?«
Auch George lachte.
»Na ja... das war schon toll.«
Er streckte die Hand aus,
zog sie aber rasch wieder zurück.
»Ich soll von Fremden nichts annehmen«,
erklärte er. »Das sagt mein Dad immer.«
»Sehr vernünftig«, lobte der Clown im Gully lächelnd.
Wie konnte ich nur glauben, daß seine Augen gelb sind? fragte sich George.
Sie sind doch strahlend blau, wie Moms Augen... und Bills.
»Wirklich sehr vernünftig.
Ich stelle mich also vor: Bob Gray, auch bekannt als Pennywise, der tanzende Clown.
Und du bist George Denbrough.
So, jetzt kennen wir einander.
Ich bin für dich kein Fremder mehr,
und du bist für mich kein Fremder mehr.
Stimmt's oder hab' ich recht?«
George kicherte. »Ich glaube schon.«
Er streckte wieder die Hand aus...
und zog sie wieder zurück.
»Wie bist du denn dort runtergekommen?«
»Der Sturm hat mich einfach weggeblasen«,
sagte Pennywise, der tanzende Clown.
»Er hat den ganzen Zirkus weggeblasen.
Kannst du den Zirkus riechen, Georgie?«
George beugte sich etwas vor.
Ein Geruch nach Erdnüssen, heißen gerösteten Erdnüssen stieg ihm in die Nase –
und nach Essig von der weißen Sorte,
wie man ihn durch ein Loch im Deckel über die Pommes Frites gießt.
Er nahm den Duft von Zuckerwatte
und den schwachen, aber durchdringenden Gestank vom Kot wilder Tiere wahr.
Doch durch all diese verschiedenen Gerüche
drang dennoch der Gestank der Wasserfluten
und des Gullys: naß und modrig,
so. als ob dort unten in der Dunkelheit irgendetwas verweste.
Es roch wie in ihrem Keller.
Trotzdem übten die Zirkusgerüche auf George eine unwiderstehliche Anziehungskraft
aus.
»Ja«, sagte er. »Ich kann ihn riechen.«
»Willst du dein Boot, Georgie?«
flüsterte Pennywise und hielt es lächelnd hoch.
Er trug ein bauschiges Seidenkostüm mit großen dicken orangefarbenen Knöpfen
und große weiße weite Handschuhe.
»Na klar«, sagte George und blickte in den Gully hinab.
»Willst du einen Ballon?
Ich habe rote und grüne und gelbe und blaue...«
»Fliegen sie?«
»Fliegen, o ja, sie fliegen, sie schweben... und es gibt Zuckerwatte...«
Georgie streckte seinen Arm aus.
Der Clown packte ihn am Arm.
Und George sah, wie das Gesicht des Clowns sich veränderte.
Was er sah, war so fürchterlich, dass seine schlimmsten Fantasievorstellungen
von dem Wesen im Keller dagegen nur süße Träume waren;
was er sah, brachte ihn schlagartig um den Verstand.
»Sie schweben«, kreischte das Etwas im Gully mit kichernder Stimme.
Es hielt Georges Arm fest,
und George wurde in Richtung jener schrecklichen Dunkelheit gezogen,
wo das Wasser schäumte und toste und heulte,
und er begann irre in den weißen Herbsthimmel empor zu brüllen.
Er schrie in den Regen hinein,
und überall auf der Witcham Street stürzten die Leute ans Fenster oder auf ihre
Terrassen.
»Sie fliegen, sie schweben, Georgie, und du wirst hier unten mit mir schweben, wir
werden zusammen schweben...«
Georges Schulter prallte gegen den zementierten Bordstein,
und Dave Gardener,
der an diesem Tag wegen der Überschwemmung nicht zur Arbeit gegangen war,
sah nur einen kleinen Jungen in gelbem Regenmantel,
der schreiend und zuckend im Rinnstein lag;
das schmutzige Wasser überflutete sein Gesicht
und dämpfte seine Schreie etwas.
Georgie schrie und schrie.
Seine Hand umklammerte plötzlich etwas,
das eine lustige Gumminase,
aber ebenso gut auch etwas unvergleichlich Schlimmeres sein konnte.
. »Alles schwebt hier unten«, flüsterte die kichernde modrige Stimme,
und plötzlich war da ein rasender Schmerz –
und dann wusste George nichts mehr.
Als Dave Gardener, der in Keys Schuhgeschäft in der Innenstadt arbeitete
(das Schuhgeschäft war wie alle übrigen Läden in der Merit Street überschwemmt
worden),
bei dem kleinen schlaffen Körper im Rinnstein anlangte, war George schon tot.
Gardener packte ihn hinten am Regenmantel und zog ihn auf die Straße,
drehte ihn um...
und dann begann er selbst laut zu schreien.
Die linke Seite von Georgies gelbem Regenmantel war jetzt grellrot.
Dünne Blutfäden flössen die Witcham Street hinab.
Georgies linker Arm war nicht mehr da.
Ein fürchterlich helles Knochenstück
ragte an der Schulter zwischen den zerrissenen blutigen Fetzen des Regenmantels hervor.
Kommentar
Die Gerüche gelten als die niedrigsten Sinneswahrnehmungen. Sie sind mit Sexualität
(starke körperliche Anziehung) und Ekel (starke körperliche Abstoßung) verknüpft,
funktionieren überhaupt ganz gut auf der bloßen Körperebene und spielen hier eine
große Rolle. Stephen King schreibt eine Literatur der „starken Reize“. Hochkultur ist das
Gegenteil, sie sublimiert und destilliert alles Körperliche und hebt es auf die geistige
Ebene.
In der romantischen Literatur hat die Schauergeschichte eine große Rolle gespielt, aber
die starken Reize mussten gerade vermieden werden: "... dem ungeachtet kann aus dieser
Idee ein Stoff hervorgehen, der von einem fantasiereichen Dichter, dem poetischer Takt
nicht fehlt, behandelt, die tiefen Schauer jenes geheimnisvollen Grauens erregt, das in
unserer eigenen Brust wohnt und berührt von den elektrischen Schlägen einer dunklen
Geisterwelt den Sinn erschüttert, ohne ihn zu verstören. Eben der richtige poetische Takt
des Dichters wird es hindern, das das Grauenhafte nicht ausarte ins Widerwärtige und
Ekelhafte ..." Dieser Satz stammt von einem Meister der unheimlichen Literatur: E.T.A.
Hoffmann. Der deutsche romantische Dichter lässt in seinem Erzählwerk "Die
Serapionsbrüder" vier Dichter über die Möglichkeiten und Grenzen des Genres
räsonieren. Seine Sorge, dass das "Grauenhafte nicht ausarte ins Widerwärtige und
Ekelhafte" wird der Meister der heutigen Horrorliteratur - Stephen King - nicht teilen.
Sein Vorsatz: "Ich schreibe so lange, bis der Leser überzeugt ist, in der Hand eines
erstklassigen Wahnsinnigen zu sein." Und die Zahl der Leserinnen und Leser, die sich
gern in seine Hand begeben, ist Legion. Sein Hauptwerk "Es" sieht aus wie ein großer
roter Ziegelstein, und in Bahnhofsbuchhandlungen werden damit Mauern gestapelt.
"Horror vom Feinsten" versprechen die Buchrücken und Edgar Allen Poe wird als
Vergleichsautor herangezogen. Der literarische Kenner Muss da die Stirn runzeln, denn
Stephen King strapaziert seine Leser nicht bloß durch lustvoll ausgemalte
Gewaltszenarios, sondern auch durch einen routinierten, oft banalen Erzählstil, der
keinen Effekt auslässt, um Spannung und Schrecken auszulösen. Die formale
Komplexität einiger seiner Romane, der Wechsel der Erzählperspektiven, die
Unterbrechung des Erzählflusses durch Gedankenstimmen, die Vor- und Rückblenden
stehen im Dienste des Suspense. Gegen diesen Stil hätte E.T.A. Hoffmann Einiges
einzuwenden. Der poetische Takt fehlt nämlich, und Hoffmann glaubt, ohne ihn sei die
Stimmung des Unheimlichen nicht zu erzeugen. Wenn das Grauenhafte ins Widerwärtige
und Ekelhafte absinkt, erscheine es meistenteils zugleich aberwitzig genug, um auch die
leiseste Wirkung auf unser Gemüt zu verfehlen. An diesem Satz lernt man zu zweifeln,
wenn man sich auf die Lektüre von Kings Büchern einlässt. Ist die Erzeugung des
Grauens wirklich an den sublimen Stil gebunden? Muss der Leser seinen eigenen
Erfahrungen misstrauen, wenn er sich durch Kings Bücher ebenso erschüttert fühlt, wie
es E.T.A. Hoffmann beschreibt? Wenn das Grauen, das in seiner eigenen Brust wohnt
durch die Lektüre evoziert wird und die Sinne erschüttert? Oder anders gefragt: Ist
Horror vordergründig? - Der rote Ziegelstein "Es" - das möchte ich zeigen - lässt sich
jedenfalls nicht nur als Trivialroman lesen. Hinter dem reißerischen Stil zeichnet sich eine
Konstruktion der Wirklichkeit ab, die auf dem Hintergrund der populären Literatur
gelesen, überrascht.
Eine Frage der Orientierung in der Welt: Wann sind die Ängste realistisch?
Lied EG 370, 5, 6 Warum sollt‘ ich mich denn grämen
5. Gott hat mich in guten Tagen
oft ergötzt; sollt ich jetzt
nicht auch etwas tragen?
Fromm ist Gott und schärft mit Maßen
sein Gericht, kann mich nicht
ganz und gar verlassen.
6. 6. Satan, Welt und ihre Rotten
können mir nichts mehr hier
tun, als meiner spotten.
Lass sie spotten, lass sie lachen!
Gott, mein Heil, wird in Eil
sie zuschanden machen.
Biblische Lesung Hebr 11, 1-6
Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft,
und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.
Durch diesen Glauben haben die Vorfahren Gottes Zeugnis empfangen.
Durch den Glauben erkennen wir,
dass die Welt durch Gottes Wort geschaffen ist, sodass alles, was man sieht,
aus nichts geworden ist.
Durch den Glauben hat Abel Gott ein besseres Opfer dargebracht als Kain;
deshalb wurde ihm bezeugt, dass er gerecht sei,
da Gott selbst es über seinen Gaben bezeugte;
und durch den Glauben redet er noch, obwohl er gestorben ist.
Durch den Glauben wurde Henoch entrückt, damit er den Tod nicht sehe,
und wurde nicht mehr gefunden, weil Gott ihn entrückt hatte;
denn vor seiner Entrückung ist ihm bezeugt worden, dass er Gott gefallen habe.
Aber ohne Glauben ist's unmöglich, Gott zu gefallen;
denn wer zu Gott kommen will,
der muss glauben, dass er ist und dass er denen,
die ihn suchen, ihren Lohn gibt.
Lied EG 370, 7, 8 Warum sollt‘ ich mich denn grämen
7. Unverzagt und ohne Grauen
soll ein Christ, wo er ist,
stets sich lassen schauen.
Wollt ihn auch der Tod aufreiben,
soll der Mut dennoch gut
und fein stille bleiben.
8. Kann uns doch kein Tod nicht töten,
sondern reißt unsern Geist
aus viel tausend Nöten,
schließt das Tor der bittern Leiden
und macht Bahn, da man kann
gehn zu Himmelsfreuden.
Literarische Lesung Stephen King, Shining, 1977, 312-326.
Hinter ihm schlug etwas leise auf.
Er drehte sich um und schaute zum Hotel hinauf.
Aber schon bevor er hinsah,
(Siehst du die Indianer auf dem Bild?)
wusste er, was er sehen würde, denn er kannte dieses Geräusch.
So hörte es sich an, wenn eine Lawine vom Hoteldach krachte.
(Siehst du - ?)
Ja. Er sah es.
Der Schnee war vom Heckenhund herabgefallen.
Als Danny herunterkam,
war der Hund nur ein harmloser Schneehaufen vor dem Spielplatz gewesen.
Jetzt hatte er die Schneedecke abgeworfen und
war ein störender grüner Fleck in all dem Weiß.
Er hatte sich auf den Hinterpfoten aufgerichtet, als ob er um einen Bissen bettelte.
Aber diesmal wollte Danny sich nicht verrückt machen lassen.
Er würde die Ruhe bewahren.
Denn jetzt steckte er wenigstens nicht in irgendeinem dunklen Loch.
Er war in der Sonne.
Und es war nur ein Hund.
Es ist ziemlich warm heute, dachte er voll Hoffnung.
Vielleicht hatte die Sonne ganz einfach
soviel Schnee von dem alten Hund abgetaut,
dass der Rest in einem Stück hinuntergefallen war.
Mehr war vielleicht gar nicht geschehen.
(Geh nicht dort hin ... halt dich da weg.)
Die Bindungen seiner Schneeschuhe waren so fest angezogen wie es nur ging. (…)
Ganz fest klammerte er sich an die Wirklichkeit.
Er musste hier raus.
Darauf musste er sich konzentrieren.
Ganz ruhig bleiben.
Wie der Geheimagent.
Würde Patrick McGoohan vielleicht heulen
und sich in die Hosen pinkeln wie ein kleines Baby?
Würde Daddy das tun?
Er beruhigte sich ein wenig.
Hinter sich hörte er wieder das leise Geräusch fallenden Schnees.
Er drehte sich um und sah, dass der Kopf eines der Heckenlöwen
aus dem Schnee herausschaute und ihn böse anknurrte.
Er war viel näher, als er hätte sein dürfen.
Er stand fast an der Pforte zum Spielplatz.
Entsetzen stieg in ihm auf,
aber er kämpfte dagegen an.
Er war der Geheimagent, und er würde entkommen.
Er verließ den Spielplatz
und machte den gleichen Umweg,
den sein Vater gemacht hatte,
als der erste Schnee gefallen war.
Er konzentrierte sich auf seine Lauftechnik.
Langsame, flache Schritte.
Die Füße nicht zu sehr anheben,
sonst verliert man die Balance.
Die Fußgelenke drehen und den Schnee von der Bindung schütteln.
Es schien so langsam.
Er erreichte die Ecke des Spielplatzes.
Hier lag der Schnee hoch aufgeweht,
so dass er den Zaun überqueren konnte.
Er war schon halb drüber,
als er mit einem Schneeschuh hängenblieb
und fast gestürzt wäre.
Seine Arme wirbelten wie Windmühlenflügel,
und er konnte eben noch die Balance halten.
Er wusste, wie schwer es war, wieder aufzustehen, wenn man erst einmal lag.
Von rechts wieder das Geräusch fallender Schneeklumpen.
Er schaute hinüber und sah die beiden anderen Löwen
bis an die Vorderpfoten aus dem Schnee herausragen.
Sie standen nebeneinander und waren sechzig Schritte entfernt.
Die grünen Einschnitte, die ihre Augen darstellten, fixierten ihn.
Der Hund hatte ihm den Kopf zugewandt.
(Es passiert nur, wenn man nicht hinsieht.)
»Oh! Heh -« Seine Schneeschuhe hatten sich verhakt,
und trotz seiner wilden Handbewegungen
stürzte er nach vorn in den Schnee.
Er bekam noch mehr Schnee in den Kragen und oben in seine Stiefel.
Er kämpfte sich aus dem Schnee heraus und versuchte,
sich wieder auf seine Schneeschuhe zu stellen.
Sein Herz hämmerte wie verrückt.
(Geheimagent. Mann, vergiss nicht, dass du Geheimagent bist.)
Er kippte hintenüber.
Einen Augenblick lag er da,
schaute zum Himmel auf und dachte,
es sei leichter, einfach aufzugeben.
Dann dachte er an das Ding in der Betonröhre
und wusste, dass er nicht aufgeben durfte.
Er kam wieder auf die Füße
und starrte zum Kunstgarten hinüber.
Die drei Löwen hatten sich,
keine vierzig Schritte entfernt, zusammengedrängt.
Der Hund war nach rechts ausgeschert,
wie um Danny den Rückzug abzuschneiden.
Jetzt lag kein Schnee mehr auf den Tieren.
Nur um Hals und Maul trugen sie noch eine Manschette aus Pulverschnee.
Sie starrten ihn an.
Sein Atem raste jetzt,
und die Panik saß ihm wie eine große,
sich windende und nagende Ratte hinter der Stirn.
Er kämpfte gegen die Panik,
und er kämpfte mit seinen Schneeschuhen.
(Daddys Stimme: Nein, kämpf nicht mit ihnen, Doc.
Geh auf ihnen wie auf deinen eigenen Füßen.
Geh mit ihnen.)
(Ja, Daddy.)
Er lief wieder und versuchte,
den leichten Rhythmus wiederaufzunehmen,
den er mit seinem Daddy geübt hatte.
Ganz allmählich schaffte er es,
aber mit dem Rhythmus kam auch die Erkenntnis,
wie müde er jetzt war,
wie sehr ihn die Angst erschöpft hatte.
Die Sehnen seiner Schenkel und Waden
fühlten sich heiß an und zitterten.
Vor sich sah er das Overlook in höhnischer Entfernung.
Es schien ihn aus seinen vielen Fenstern anzustarren,
als ob es sich um eine Art Wettstreit handle,
an dem es beiläufig interessiert war.
Danny schaute über die Schulter zurück
und hielt einen Augenblick den Atem an,
um dann nur noch gehetzter zu keuchen.
Der erste Löwe war nur noch zwanzig Schritte entfernt
und arbeitete sich durch den Schnee wie ein Hund, der durch einen Teich schwimmt.
Die beiden anderen flankierten ihn und waren fast gleichauf.
Sie waren wie ein Armeestoßtrupp,
wobei der Hund,
der sich links von den Löwen ein wenig abseits hielt, der Späher war.
Der erste Löwe hielt den Kopf gesenkt
und zeigte seine mächtigen Schultern.
Er hatte den Schwanz hochgestellt,
als ob er gerade die Luft damit gepeitscht hätte.
Danny fand, dass er aussah wie eine riesige Hauskatze,
die vergnügt mit der Maus spielt, bevor sie sie tötet.
(-fallen-)
Nein, wenn er jetzt hinfiel, war er tot.
Sie würden ihn nie wieder aufstehen lassen.
Sie würden sich auf ihn stürzen.
Er wedelte wie wild mit den Armen und rannte vorwärts,
ständig in Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren.
Gehetzt warf er immer wieder einen Blick über die Schulter zurück.
Pfeifend ging der Atem durch seine ausgedörrte Kehle.
Die Welt bestand nur noch aus glitzerndem Schnee, den grünen Hecken und dem
flüsternden Geräusch seiner Schneeschuhe.
Und da war noch etwas anderes.
Ein leises, gedämpftes, trampelndes Geräusch.
Er versuchte, schneller zu laufen,
aber es gelang nicht.
Er lief jetzt über die im Schnee begrabene Auffahrt,
ein kleiner Junge,
dessen Gesicht im Schatten seiner Parka-Kapuze kaum zu sehen war.
Der Nachmittag war ruhig und hell.
Als er sich wieder umschaute,
war der erste Löwe nur fünf Schritte hinter ihm.
Er grinste. Sein Maul war aufgerissen,
seine Lenden wie eine Feder gespannt.
Hinter ihm und den anderen konnte er das Kaninchen sehen,
das seinen hellgrünen Kopf jetzt aus dem Schnee herausgesteckt hatte,
als ob es ihm sein scheußliches, leeres Gesicht zugewandt hatte,
um das Ende der Jagd zu beobachten.
Jetzt, auf dem Rasen vor dem Overlook,
zwischen der gewundenen Auffahrt und der Eingangshalle,
ließ er seiner Panik freien Lauf und rannte unbeholfen auf seinen Schneeschuhen weiter.
Er wagte es nicht mehr, sich umzuschauen
und neigte sich immer weiter vor,
wobei er die Arme ausstreckte wie ein Blinder,
der nach Hindernissen tastet.
Die Kapuze glitt ihm vom Kopf
und gab sein schreckensbleiches Gesicht frei,
in dem jetzt hektische rote Flecken erschienen.
Vor Entsetzen quollen ihm die Augen aus den Höhlen.
Die Eingangshalle war jetzt ganz nahe.
Hinter sich hörte er das Knirschen des Schnees.
Lautlos schreiend stürzte er auf die Stufen
und kroch auf Händen und Knien die Treppe hoch,
während seine Schneeschuhe hinter ihm klapperten.
Er hörte ein reißendes Geräusch und spürte einen plötzlichen Schmerz am Bein.
Stoff zerriss.
Und noch etwas anderes zerriss - vielleicht in seinem Verstand?
Wütendes Gebrüll.
Geruch von Blut und Immergrün.
Er stürzte der Länge nach zu Boden und schluchzte heiser,
im Mund einen vollen, metallischen Geschmack wie nach Kupfer.
Donnernd schlug ihm das Herz in der Brust.
Blut tröpfelte ihm aus der Nase.
Er hatte keine Ahnung, wie lange er so gelegen hatte,
als die Tür zum Foyer aufgerissen wurde und Jack herausstürzte,
der nur Jeans und ein paar Hausschuhe trug.
Wendy stand hinter ihm.
»Dannyl« schrie sie.
»Doc! Danny, um Gottes Willen! Was ist los? Was ist passiert?«
Daddy half ihm auf.
Unter dem Knie war seine Schneehose aufgerissen,
und auch die Wollsocke darunter war aufgerissen.
An seiner Wade hatte er einen leichten Kratzer . . .
als hätte er sich durch eine dichte Hecke von Immergrün gezwängt
und sei in den Zweigen hängengeblieben.
Wieder schaute er über die Schulter zurück.
Weit unten auf dem Rasen waren im Schnee vage eine Anzahl Höcker zu sehen.
Die Heckentiere.
Zwischen ihnen und dem Spielplatz.
Zwischen ihnen und dem Weg.
Seine Beine gaben nach.
Jack fing ihn auf. Danny begann zu weinen.
Lied EG 370, 9, 10 Warum sollt‘ ich mich denn grämen
9. Allda will in süßen Schätzen
ich mein Herz auf den Schmerz
ewiglich ergötzen.
Hier ist kein recht Gut zu finden;
was die Welt in sich hält,
muss im Nu verschwinden.
10. Was sind dieses Lebens Güter?
Eine Hand voller Sand,
Kummer der Gemüter.
Dort, dort sind die edlen Gaben,
da mein Hirt Christus wird
mich ohn Ende laben.
Biblische Lesung 1. Joh 4, 18 – 5, 4
Furcht ist nicht in der Liebe,
sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus;
denn die Furcht rechnet mit Strafe.
Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.
Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.
Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott,
und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner.
Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht,
der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht.
Und dies Gebot haben wir von ihm, dass,
wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.
Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist,
der ist von Gott geboren;
und wer den liebt, der ihn geboren hat,
der liebt auch den, der von ihm geboren ist.
Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben,
wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten.
Denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten;
und seine Gebote sind nicht schwer.
Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt;
und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.
Lied EG 370, 11, 12 Warum sollt‘ ich mich denn grämen
11. Herr mein Hirt,
Brunn aller Freuden,
du bist mein, ich bin dein,
niemand kann uns scheiden.
Ich bin dein, weil du dein Leben
und dein Blut mir zugut
in den Tod gegeben;
12. Du bist mein, weil ich dich fasse
und dich nicht, o mein Licht,
aus dem Herzen lasse.
Lass mich, lass mich hingelangen,
da du mich und ich dich
leiblich werd umfangen.
Predigt
„Es gibt eine Rubrik in unserem Gesangbuch, die heißt: „Angst und Vertrauen“.
Das ist ein zentrales Thema des Glaubens!
Von Furcht, Liebe und Glaube handelt das Stück des Johannesbriefes.
Glaube untergräbt das Gefühl des Horrors.
Die Bodenlosigkeit, die der Horror anstrebt,
ist durch das Grundgefühl des Glaubens, nicht mehr möglich.
Es öffnet sich keine Tür in den Abgrund mehr.
Glaube lässt recht sehen.
Lied EG 376, 1-3 So nimm denn meine Hände
Fürbittengebet
Gott des Himmels und der Erde,
wir leben unser Leben,
hoch erhoben, wenn es uns gut geht,
ganz am Boden, wenn es uns schlecht geht.
Herr, du schaust Niedrige an
und auch die, die
Himmel hoch jauchzen.
Wo wir auch sind,
sei du unser Halt,
lass uns in dir leben
lebe du in uns!
Wir rufen zu dir: H<err, erbarme dich.
Gott des Himmels und der Erde,
wir leben unser Leben,
mit dem Gesicht in der Sonne
einig mit dir und der Natur
und anderntags fröstelnd
äußerlich und innerlich allein.
Sei du unser Halt,
lass uns in dir leben
lebe du in uns!
Wir rufen zu dir: Herr, erbarme dich.
Herr, wir leben unser Leben,
mit der Gewissheit, dass alles gut geht,
die Bremse wird nicht versagen,
der Stein, auf den wir treten,
hält unser Gewicht.
Dann wieder:
die Sorge um jeden Schritt.
Wo wir auch sind,
sei du unser Halt,
lass uns in dir leben
lebe du in uns!
Wir rufen zu dir: Herr, erbarme dich.
Vater Unser
Schlusslied EG 266, 1-5 Der Tag, mein Gott, ist nun vergangen
Sendung & Segen
Musik zum Ausgang

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