43-47 Troedler

Transcrição

43-47 Troedler
Edler Schrott
Er mache Recycling der besonderen Art, sagt Andreas Gehrig,
der in Bern Sachen verkauft, die niemand wirklich braucht.
Das Geschäft läuft gut.
Text: Regula Tanner
Fotos: Hansueli Trachsel
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Andreas Gehrig
droht hinter alten Dingen
zu verschwinden.
E
ines Tages hiess es, am Berner
Jugendfest werde ein Flohmarkt
durchgeführt. Da wusste Gymnasiast Andreas Gehrig, dass
seine Stunde gekommen war. Das
Sammeln alter Dinge hatte es ihm angetan, er meldete sich als Verantwortlicher
und durfte fortan Sitzungen besuchen
anstatt Physikstunden – das war auch
nicht schlecht. Er gab Inserate auf, erfuhr von Brockenhäusern und Haushaltauflösungen und lernte Leute kennen,
die alte Dinge loswerden wollten. Mit
Freunden schleppte er Sofas über endlose Treppen, und zerrte sperrige Kommoden in den Lastwagen, den die Stadt
zu Verfügung stellte. Er schwitzte,
Andreas Gehrig hat den Teddy gestern
im Nidauer Brockenhaus gefunden. Bald
wird er ihn zu den anderen Bären setzen,
in die Welt der Perlenketten, Kerzenständer und Blumenvasen.
Eine Frau blättert in der Kiste mit
Ansichtskarten, zieht eine hervor «Oh,
c’est Saignelégier!» Sie tippt ihrem Mann
auf die Schulter. Der steht über eine alte
Waage gekrümmt, schiebt mit grossen
Fingern kleine Teile hin und her. «Combien?», fragt er, ohne seinen Blick vom
Entdeckten zu heben. «Trente», sagt
Andreas Gehrig. «Non, vingt-cinque.»
«Mais ce n’est pas cher, trente!» «Vingtcinque.» «D’accord.» Andreas Gehrig
wickelt die Waage in Zeitungspapier,
Im Grunde genommen unnütz: Teddybären für Liebhaber.
fluchte und verwünschte die Arbeit.
Doch dann, als die Antiquitäten erlesen
waren, drapiert und mit Preisen versehen, breitete sich in dem jungen Mann
ein Gefühl der Freude aus. Das war
1969.
Heute sitzt Andreas Gehrig, 54, in
einem Fauteuil. Zuhinterst in seinem
Brockenkeller droht er hinter Stapeln
alter Dinge fast zu verschwinden. Es ist
Mittwochnachmittag im Spätsommer.
Der Mann hinter den Stapeln lächelt,
hat wirres Haar, einen grossen Schnurrbart und blaue Augen. Aus einer seiner
Hosentasche lugt ein kleiner Bär, Knopf
im Ohr – Steiff-Marke – rot auf gelb.
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legt das Geld in die Kasse und wünscht
einen schönen Tag.
Viel Wertvolles auf dem Müll
Das Geschäft läuft, Gehrig ist zufrieden.
«Ich biete Ware an, die man nicht zum
Leben braucht», sagt er, «Sammlerstücke eben.» Und: «Würde ich einer
Familie einen Kinderhochstuhl für 50
Franken verkaufen, den ich selber für
5 erstanden habe, hätte ich ein schlechtes Gewissen.» Die Dinge in seinem
Keller hingegen seien im Grunde genommen unnütz, hätten aber Liebhaberwert. Und somit sei allen geholfen: «Die
Sammler freuen sich, wenn sie ein gutes
Stück gefunden haben, die Händler,
wenn sie das Gefundene teurer verkaufen können, und ich verdiene dabei
auf angenehme Weise Geld.»
Und dass er mit seiner Arbeit zum
Bewahren alter Dinge beiträgt, ist ihm
auch recht. «Recycling der besonderen
Art», sagt er. Doch leider werde, was alt
sei, von vielen Leuten weggeworfen.
Dass auf diese Weise eine Menge Wertvolles auf dem Müll und in Entsorgungsstellen lande, sei vielen nicht bewusst.
Dabei gebe es andere Möglichkeiten als
das Wegwerfen: «Eine Auktion, eine
soziale Institution oder der Antiquitätenhändler.»
Stöbert Andreas Gehrig in Brockenhäusern, sieht er, wie schnell Ware
abgestossen wird. Wie sich plötzlich
Chromstahlpfannen türmen, wenn es
bei einem Grossverteiler Pfannenmärkli
zu sammeln gibt. Doch was den einen
nicht mehr gut genug ist, reicht den
anderen noch längst. Er kaufe seine
Küchengegenstände fast ausschliesslich
in Brockenhäusern.
Bis zum Herzinfarkt
Früher unterrichtete Andreas Gehrig an
einer Berner Sekundarschule. Dann
spielte er für eine Saison Strassentheater
und verkaufte nebenbei Antikes auf
Gassenmärkten. Man schrieb die frühen
Achtziger, als ihm sein Onkel einen
Keller in der Altstadt anbot; der Raum
hatte als Lager für Onkels Zoogeschäft
gedient. Wo einst Vogelkäfige aufgesta-
Porträt GESELLSCHAFT
vorgenommen, das wissen die Händler.
Sie warten und räumen den Astra gleich
selber aus: heben Kistendeckel, durchstöbern Körbe, wühlen in Eingepacktem. «Das gehört in diesem Geschäft
dazu», sagt Andreas Gehrig, «wer etwas
ergattern will, muss früh zur Stelle sein.»
Auch auf Flohmärkten. Jeder wolle
der Erste sein, derjenige, der die besten
Stücke bekomme. Da habe es schon
Herzinfarkte gegeben. «Bei mir ist das
so: Wenn ich ein Schnäppchen mache,
ist das in Ordnung – wenn nicht, dann
geht die Welt auch nicht unter.» Das
Geschäft geht trotzdem weiter. Das
Leben auch. Er freue sich jeweils auf
Mittwoch, doch für ihn gebe es auch
pelt waren, richtete sich Andreas Gehrig
seinen Brockenkeller ein. Lampen,
Knöpfe, Teekannen. Koffer, Silberlöffel,
Porzellanpuppen. Öffnungszeit: Mittwoch, schulfreier Nachmittag. So würde
er, dachte Andreas Gehrig, sein Brot mit
Stellvertretungen verdienen können.
Heute, mehr als 20 Jahre später, ist der
Keller immer noch am Mittwochnachmittag offen – also wird er in Bern
«Midwuchslädeli» genannt. Andreas
Gehrig kann davon leben – ohne Stellvertretungen. Das habe drei Gründe,
sagt er: «Das Geschäft läuft nicht
schlecht, die Hausbesitzerin überlässt
mir den Keller zu einem günstigen Zins,
und ich führe ein bescheidenes Leben.»
Schon früh erkannte Gehrig den
Wert alter und besonderer Dinge. Im
Kindergarten bastelte der Bub eine
Skulptur aus leeren Filmdosen, erntete
das Lob der Kindergärtnerin, trug das
Kunstwerk heim und nahm es auf der
Stelle auseinander. Denn ihn freute die
Zahl der speziellen Filmdosen mehr
als der Anblick der Skulptur. Später,
er ging bereits zur Schule, entdeckte er
auf einem Flohmarkt ein Grammophon,
eilte heim, erbettelte sich die 5 Franken,
die es kostete. Er kaufte das Stück, lud
es aufs Trottinett, zerlegte es zuhause
und baute den Motor als Antrieb in seine
Schwebebahn ein.
Jeden Mittwoch um halb acht Uhr
fährt Andreas Gehrig mit seinem Opel
Astra vor, schliesst den Keller auf, klappt
die Türflügel zur Seite, stellt ein Schild
auf die Treppe, «Offen ab 13 Uhr». Jeden
Mittwoch ein Auto voll, das hat er sich
pen, dahinter ein Stapel Suppenteller
mit Blumenrand, obendrauf ein Frisierkopf, schmal und rot seine Lippen. Von
der Wand grinst eine Maske, weiter
hinten harrt Napoleon, klein und golden, an der Decke hängt ein Alphorn.
Ein brasilianisches Paar durchforstet
die Vitrine mit Zinn und Silber, ein
Amerikaner beugt sich über eine Schublade alter Militärmesser. Der Herr des
Kellers kommt mit Dame und PicknickKorb zurück, der Brasilianer, nun an
jedem Finger seiner Hand einen Fingerhut, trommelt auf einen Stuhl, hält
Andreas Gehrig die Hand vors Gesicht,
fragend sein Blick. «vier Franken», sagt
Andreas Gehrig. «Gut, ich nehme sie.»
80 Prozent der «Midwuchslädeli»-Besucher sind Stammkunden.
anderes. Das Wohnen zum Beispiel. In
einem Mehrfamilienhaus in Nidau bei
Biel, wo er gemeinsam mit den Hausbewohnern kocht. Oder die Genossenschaft Kreuz, auch in Nidau, bei deren
Gründung er dabei gewesen war. Ein
Begegnungsort für Kulinarisches und
Kultur.
«Wie viel kostet der Korb mit dem
Picknick-Geschirr?» ruft eine Dame
von der Treppe her. Andreas Gehrig
steht auf, windet sich durch den schmalen Pfad dem Ausgang zu, vorbei an
Filmrollen, Schallplatten und Schaukelpferd. Zur Linken 2 Schaufensterpup-
Sympathische Sucht
Die Kundschaft sei durchmischt, sagt
Andreas Gehrig, mehrheitlich älter als
vierzig, davon achtzig Prozent Stammkunden. Viele von ihnen Sammler, die
ihrer Leidenschaft frönten, den Keller
regelmässig nach Bestimmtem absuchten: Nach Feuerzeugen, Messern und
Blechdosen, nach Bildern, Uhren und
Ansichtskarten. Viele kennt Andreas
Gehrig seit Jahren, einige kommen jeden
Mittwoch, andere einmal pro Monat.
Was er auch schon beobachtet hat: Dass
Sammeln zu einem suchtähnlichen Zustand werden kann. Man wolle immer
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Glaskunst im Bad fürs
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Porträt GESELLSCHAFT
Melkerstuhl, auf einem Tablar thront
eine Offiziersmütze, gegenüber eine
Ente, ausgestopft. Der Mann, ein Sammler, kauft. 3 Fotoapparate. Andreas
Gehrig kassiert, dankt, wickelt ein.
Der Traum
vom leeren Raum
In der Schweiz sei es trendiger, Ware aus Billig-Möbelhäusern zu kaufen.
mehr, noch dies, noch jenes, etwas zu erstehen, könne zum Zwang werden. Das
Interessante an dieser Sucht: Sie sei nicht
verpönt, nein, sie werde von der Gesellschaft akzeptiert, gelte als etwas Sympathisches, habe etwas Leichtes, Spielerisches an sich.
Manchmal ist Andreas Gehrig selber
der Suchende, schlendert durch Brockenhäuser und über Flohmärkte, hält
nach Ware für seinen Keller Ausschau.
Und hat gelernt, dabei mit den Augen
seiner Kunden zu blicken. Dem einen
könnte dieser Kristallleuchter gefallen,
der andere würde vielleicht diese Vase
aus Muranoglas kaufen. Doch bei alldem
ist er sich bewusst: Der Handel mit
Antiquitäten wird zunehmend schwieri-
ger. «In der Schweiz», sagt er, «ist es
momentan trendiger, entweder ein
Designerstück zu kaufen oder dann
Ware aus Billigmöbelhäusern.» Grossmutters Kommode sei weniger gefragt.
In Italien, Frankreich und Portugal sei
das anders, dort würden Antiquitäten
noch mehr geschätzt, das Geschäft mit
Touristen aus diesen Ländern laufe deshalb nicht schlecht.
Jetzt steigt ein Mann die Treppe hinunter, blickt nach links und rechts,
schiebt sich weiter, findet endlich, was
er sucht, ganz hinten im Gewölbe, Fotoapparate. Bald hat er 3 nebeneinander
gelegt, vergleicht, drückt Auslöser,
schraubt Objektive ab. Von der Diele
baumeln Spazierstöcke, dazwischen ein
Manchmal begegnet Andreas Gehrig
den Dingen wieder, die er verkauft, Jahre
später. Wie jenem Leuchter, den er einst
in einem kleinen Laden im Seeland erstanden hatte, ihn an einen Händler
weiterverkaufte und schliesslich im
selben Seeländer Laden wiederentdeckte. Er kaufte ihn – zu einem günstigeren Preis als beim erstenmal. Den
Thuner Keramikteller aber, den er einmal in Frankreich ergattert hatte, einem
Spanier verkaufte und nach Jahren in
einem Antiquitätenladen im Berner
Oberland zu einem horrenden Preis
wiederfand, liess er stehen.
«Man lernt mit der Zeit, wann und
wo es sich lohnt, zuzugreifen», sagt
Andreas Gehrig. Manchmal sei es auch
ein zur richtigen Zeit am richtigen Ort
sein. Wie damals, als eine Kleiderfirma
liquidiert wurde, und er das gesamte
Knopflager übernehmen konnte, einige
hundert Kilo. Oder als er vernahm,
dass ein ehemaliger Bahnhofsvorstand
einer Schule sein Hab und Gut vermacht
hatte.
Eine Frau fragt nach alten Kleiderhaken. Andreas Gehrig, keinen Moment
um eine Antwort verlegen, steigt über
Schichten alter Zeitschriften, schiebt
Kisten beiseite, hebt ein Tuch und greift
in eine Schachtel. «Das ist alles, was
ich im Moment habe», sagt er, zeigt
eine Handvoll Goldenes. Und spätestens
jetzt weiss der Besucher: Der Brockenkeller ist zum Bersten voll, scheint
unübersichtlich und wirr. Andreas
Gehrig aber wird den Überblick nicht
verlieren. «Doch eigentlich», sagt er,
«eigentlich gibt es für mich nichts
Schöneres als einen leeren Raum.» Und
das meint er durchaus ernst.
■
Brockenkeller
Andreas Gehrig
Rathausgasse 49, 3011 Bern
Öffnungszeiten: Mittwoch 13 bis 18.30 Uhr,
während der Schulferien geschlossen
Telefon 032 331 09 16
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