G-Style 07/2013 - Andreas Haderlein

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G-Style 07/2013 - Andreas Haderlein
G-Style
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Das GLAESER DESIGN-MAGAZIN für Möbel und Raum.
Fundamentaler
Paradigmawechsel
Handel vor Herausforderung
Die Live Finanz Lounge
VZ Vermögenszentrum Zürich
Thailand am
Hallwilersee
Resort & Spa Cocon Seerose
Ausgabe 7
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Future Shopping
Bricks & Clicks
Multi-Channelling und
die Auswirkungen
von Andreas Haderlein
Stores werden künftig immer stärker als
Der Handel steht vor einem fundamentalen Paradigmenwechsel: Künftig
analog-digitales Gesamtkunstwerk in-
reicht ihm rein betriebswirtschaftlich weniger Verkaufsfläche für die
szeniert werden müssen. Darin liegt die
Warendistribution. Davon betroffen sind nicht nur der Einzelhandel
Herausforderung und die Chance von
selbst und der Ladenbau als dessen zentraler Dienstleister, sondern
GLAESER WOGG AG mit einzigartigen
ebenso die Immobilienbranche, Städte und alle Akteure der Innenstadt-
Konzepten, wie sie seit Jahren für eine
entwicklung.
Kundschaft im In- und Ausland realisiert
werden.
Zweifelsohne müssen der Ladenbau, das Visual Merchandising und das PoS-Marketing auf eine
iPhone-erprobte Generation reagieren – allerdings ohne die Technologie zu hofieren, sondern um den
stationären Einkauf zu emotionalisieren. Der Beruf des Schaufensterdekorateurs ist deshalb im digitalen
Zeitalter mitnichten vom Aussterben bedroht. Allerdings reichen kunstvoll drapierte Auslagen auf
hochwertigem Dekor nicht mehr alleine aus.
Neue kreative Store-Formate
Bereits heute zeichnet sich ab, dass 1a-Lagen tendenziell mit kleineren Flächeneinheiten den Flagship
Stores und Showrooms vorbehalten bleiben, während verkehrsgünstig gelegene Filialen in Stadtteil- und
1b-Lagen stärker als Fulfillment-Center für Multi-Channel-Aktivitäten fungieren. Physische Marktplätze –
von der High Street bis zum Shopping-Center – werden aber nicht deshalb verschwinden, weil sich
Menschen immer mehr Waren direkt nach Hause schicken lassen. Das Zeitalter der „Bricks & Clicks“
bringt im Schumpeter’schen Sinne neue kreative Store-Formate und Marketingmethoden hervor, die auf
das veränderte Konsumentenverhalten Antworten finden.
Aufregende neue Flächenkonzepte
Jenseits des Discounts entstehen so aufregende neue Flächenkonzepte – von Convenience Stores über
Konzeptläden und Pop-up-Stores bis hin zu den ersten stationären Tuchfühlungen einstiger Online-PurePlayer. Das Web-2.0-Vorzeigeunternehmen myMuesli etwa eröffnete unlängst auf der Stuttgarter
Königstraße seinen vierten Store. Allerdings ist auch klar, für bestimmte Warenkategorien präferieren
Kunden – aus guten Gründen – künftig den Einkauf im Netz. Und so werden vor allem bei der Innenstadtentwicklung für Klein- und Mittelstände alle Register gezogen werden müssen, um beispielsweise
inhabergeführte Einzelhandelsfachgeschäfte vor Ort zu halten oder anzusiedeln.
Future Shopping
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Standard-Modelle
Wahl abholen. C&A und
entsprechende Information
Start-up ist damit der Bring-
der Zukunft
Karstadt betrachten diesen
bei allen im Online-Shop ge-
dienst der Omni-Channeling-
Service für Online-Kunden
listeten Produkten – vom
Ära und vermittelt auf der
Store-to-Web: Mit Online-­
auch als Frequenzbringer für
Staubsauger bis zur Musik-
­Insel mittlerweile 30.000
Bestellterminals wird das limi-
das stationäre Geschäft. Da-
CD. Der britische Vollsorti-
­Bestellungen am Tag. Binnen
tierte stationäre Sortiment um
neben hilft es Retourenkosten
menter Argos, der als Vorrei-
90 Minuten oder gar zum
das des E-Shops erweitert.
zu senken, weil Kunden Ware
ter in Sachen Multichannel-
Wunschtermin liefert Shutl
Die US-Kaufhauskette Macy’s
sofort bei Abholung anpro-
Marketing gilt, positioniert
online bestellte Ware an End-
hat mittlerweile 292 seiner
bieren oder testen und –
seine über 700 Geschäfte
kunden in Ballungsräumen
844 Stores mit derartigen
­ohne Beschädigung oder
heute schon mehr als Abhol-
aus. Unternehmen im Premi-
­E-Shop-in-Shops ausgerüs-
Wartezeiten am Paketschalter
zentren denn als Produkter-
um-Fashion-Segment, z.B.
tet. 500 Stores sollen künftig
– zurückgeben können.
fahrungsräume (www.argos.
Luxudo.com oder Lodenfrey.
co.uk).
com, sind in Deutschland
diesen Service anbieten.
Vorreiter bei der Sofortliefe-
Check & Reserve: Die storeWeb-to-Store: Das Pendant
genaue Verfügbarkeitsabfrage
Same-Day Delivery: Shutl
rung und setzen dabei auf
zum Online-Kauf im stationä-
des stationären Warenbe-
bringt freie Kapazitäten von
den logistischen Partner
ren Shop heißt im Fachjargon
standes ist ein Schlüsselele-
Kurierdiensten mit den Be-
Tiramizoo (www.shutl.com,
„Click & Collect“: online be-
ment im Omni-Channeling.
stellungen bei (Online-)Händ-
www.tiramizoo.com).
stellte Ware im Geschäft der
Media Markt etwa liefert die
lern zusammen. Das britische
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Future Shopping
Illusionen, Träume und die
Lust an der Verführung
Multi-Channeling ist in aller Munde,
Omni-Channeling – mehr als ein Trendthema
doch der Begriff greift eigentlich zu
Unter Omni-Channeling versteht man die erfolgreiche Integration und das Zusammenspiel von Prozessen
kurz. Wer künftig wirklich nahe am Kun-
und Entscheidungen zugunsten eines bündigen Handelsmarkenauftritts in allen erdenklichen Prozess-
den sein will, lässt sich nicht nur auf
schritten der Kundeninteraktion – von der Pre-Sales-Phase bis zur Reklamation. Den durchlässiger
mehr Vertriebs- und Kommunikations-
werdenden Grenzen zwischen stationärem und Online-Verkauf, zwischen Kommunikation im Web und
wege ein, sondern weiß diese auch ad-
am Point-of-Sale begegnet der Handel deshalb in erster Linie mit der Zusammenführung vormals strikt
äquat zu orchestrieren.
getrennter Warenwirtschaftssysteme.
Dem „channel-hopping customer“ auf der Spur
Immer mehr fungiert das Smartphone als Scharnier der Kundenbeziehung. Denn mehr denn je ist die
Handelswelt von heute daten- und technologiegetrieben: mittels Social-Media-Monitoring, Mobile
Payment oder Geotargeting fließen Kundeninformationen in einem riesigen Datenpool zusammen, der
nur ein Ziel haben kann: den vernetzten und jederzeit absprungbereiten Kunden zu binden und neue
zu gewinnen. Der Shopper ist längst auf allen Kanälen zum Kauf unterwegs – vor Ort, social, mobile,
24 Stunden am Tag und immer in Echtzeit.
NuBON mit digitalem Kassenzettel
Das Unternehmen NuBON hat es hier verstanden, das für den Kunden wichtigste Element in den
Vordergrund einer digitalen Kundenbindungsarchitektur zu stellen: den digitalen Kassenzettel. Unter
dieser Prämisse werden Couponing, Kundenkarte, mobiles Bezahlen und Nutzerservices gleichermaßen
in einer App integriert und die Partner aus dem Einzelhandel mit soliden Analysedaten zu deren
Multi-Channel-Bemühungen versorgt (www.nubon.com).
Der Verkaufsraum als analog-digitales Gesamtkunstwerk
Dass das Internet, Smartphones und Tablets den Medienkonsum nachhaltig verändern hat die gesamte
Medien- und Unterhaltungsindustrie bereits leidvoll erfahren müssen. Der stationäre Handel spürt diesen
Druck etwa durch Preisvergleichsapplikationen am Point-of-Sale. Allzu schnell ist dann vom „Beratungsklau“ oder „Showrooming“ die Rede. Eine Reihe von Studien allerdings deutet darauf hin, das Smartphone-Nutzer auf der Fläche durchaus auch zu den konsumfreudigeren Shoppern zählen – wenn sie
sich denn richtig angesprochen fühlen.
Future Shopping7
Andreas Haderlein
Wirtschaftspublizist
und selbstständiger
Unternehmensberater
Über den Autor:
Andreas Haderlein, Jg.
1973, ist Wirtschaftspublizist und selbstständiger
Unternehmensberater. Von
2002 bis 2011 arbeitete
er für das renommierte Zukunftsinstitut von Matthias
Horx, wo er u.a. die
Weiterbildungseinrichtung
„Zukunftsakademie“ leitete.
Grenzen zwischen physisch und virtuell aufgehoben
Als Trend- und Zukunfts-
Eines der ambitioniertesten Store-Konzepte in Europa ist sicherlich das Burberry Flagship in der
forscher veröffentlichte er
Londoner Regent Street. Hier werden die Grenzen zwischen physischem und virtuellem Store-Erlebnis
zahlreiche Studien und
aufgehoben und dennoch fühlt sich der Besucher des gediegenen Altbaus nicht wie in einem Maschi-
Trenddossiers, darunter
nenraum. Klassischer Ladenbau korrespondiert hier harmonisch mit Dutzenden teils interaktiven
u.a. „Future Shopping“
Screens und Displays. RFID-Chips, die in Bildspiegeln Zusatzinformationen zu Produkten aufrufen
(2009), „Sales Design –
fehlen ebenso wenig wie die smarten Verkaufshilfen in den Armen des Personals. Die neuen Stores der
vom Point-of-Sale zum
Adidas-Lifestyle-Marke NEO sind bereits standardmäßig mit einem „Social Mirror“ ausgestattet, über
Point-of-Interest“ (2009)
den das Kauferlebnis der jungen Zielgruppe im Freundesnetzwerk Facebook geteilt werden kann.
und „Die Netzgesellschaft
– Schlüsseltrends des digi-
Von Branchenfremden lernen
talen Wandels“ (2011). Im
Im gegenwärtigen Wandel ist deutlich, dass wirkliche Innovationen im stationären Handel vor allem von
September 2012 erschien
Branchenfremden angestoßen werden: Drive-in-Supermärkte sind einem Verkaufskonzept der System-
sein viel beachtetes Buch
gastronomie entlehnt. Dem Convenience Store hat ein Unternehmensberater mit dem mehrfach
„Die digitale Zukunft des
ausgezeichneten „Kochhaus“-Konzept des begehbaren Kochbuchs neues Leben eingehaucht, indem
stationären Handels“, in
er die althergebrachte Store-Ordnung nach Warengruppen zugunsten von Themenkörben bzw.
dem er sich mit Multikanal-
Rezepten auflöste. Der QR-Code ist ursprünglich eine Erfindung aus der Produktionslogistik der
Strategien im Einzelhandel
Automobilindustrie – heute fehlt er auf keiner Umverpackung und ist ein zentrales Element etwa bei
auseinander setzt. Aktuell
der mobilen Zahlungsabwicklung.
beschäftigt sich der studierte Kulturanthropologe
Beratung bleibt entscheidend
intensiv mit den Themen
Ausgerechnet Online-Pure-Player wie der US-amerikanische Herrenausstatter Bonobos mit seinen
Innenstadtverödung, City-
stationären „Guide Shops“ zeigen Brick-and-Mortar-Händlern, mit welchem neuen Service-Ansatz man
Management und Einzel-
auf der (kleinen) Fläche reüssieren kann. Bonobos eröffnete bereits sechs Shops dieses Formats. In
handelsförderung. Andreas
ihnen können sich Kunden von engagierten Mitarbeitern zur aktuellen Kollektion, zu Passform, Stil und
Haderlein ist gefragter
Farbe sehr persönlich beraten lassen. Die Modeberater nehmen sich für jeden Kunden 45 Minuten Zeit.
Redner auf internationalen
Das Visual Merchandising steht unter dem Diktat der schnellen Auswahl. Ein freier Termin-Slot wird über
Kongressen und leitet re-
die Website gebucht. 9 von 10 Kunden, die zu einer solchen intimen Shop-Verabredung kommen,
gelmäßig Business-Work-
kaufen tatsächlich auch Ware ein. Und – wie sollte es anders sein – diese wird auch kostenfrei nach
shops. Er lebt mit seiner
Hause geliefert (www.bonobos.com/guideshop).
Frau und zwei Kindern in
Frankfurt am Main
(www.sales-design.de).