Seminar Bindung im Jugend

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Seminar Bindung im Jugend
Universität Koblenz-Landau
Abt. Koblenz
Seminar
Bindung im Jugend- und
Erwachsenenalter
Wintersemester 2004/2005
Referentin: Prof. Dr. Elisabeth Sander
Vorgelegt von:
• Daniel Akkaya, 9. Semester Computervisualistik.
Mat. Nr: 200210923
• Jan Runge, 4. Semester Lehramt für Hauptschule.
Mat. Nr: 201210533
• Mohammed Douiri, 3.Semester Informatik,
Mat. Nr. 203210599
Inhalt
1. Einführung............................................................................................................... 3
2. John Bowlby .......................................................................................................... 5
3. Die Entstehung der Bindungstheorie ...................................................................... 7
4.Bowlby’sBindungstheorie......................................................................................... 9
5. Biographie von Mary Ainsworth ............................................................................ 12
6. Ontogenese der Bindung...................................................................................... 13
6.1. Prä-Attachment-Phase ...................................................................................... 14
6.2. Differenzierungsphase....................................................................................... 14
6.3. Kontaktaufnahme .............................................................................................. 15
6.4. Interaktionaphase.................................. ............................................................ 15
7. Feinfühligkeit ....................................................................................................... 16
8. Bindung als Sicherheit .......................................................................................... 17
8.1. Sicher gebundene Kinder .................................................................................. 17
8.2. Unsichergebundene Kinder ............................................................................... 18
8.3. Noch nicht gebundene Kinder ........................................................................... 18
9. Funktion der Bindung für die Entwicklung des Kindes .......................................... 18
10. Das Konzept des inneren Arbeitsmodells .......................................................... 20
11. Mary Ainsworth und die Bindungsqualität........................................................... 22
12. Die Fremde Situation.................................. ........................................................ 23
13. Ablauf der Laborbeobachtung ............................................................................ 24
13.1. Sicher gebundene Kinder ................................................................................ 26
13.2. Unsicher vermeidend gebundene Kinder......................................................... 27
13.3. Unsicher ambivalent gebundene Kinder .......................................................... 28
Literaturverzeichnis .................................................................................................. 30
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1. Einführung
Ich bin in meinem Leben unzähligen Menschen mit verschiedenem kulturellem,
sozialem und intellektuellem Hintergrund begegnet und durfte dabei lernen, dass
unabhängig von unserem Hintergrund, zwischenmenschliche Beziehungen in unserem
Leben eine wichtige Rolle spielen.
Einige von uns sind in der Lage die Verantwortung für die Beziehung zu
anderen zu übernehmen, offen mit anderen über ihre Bedürfnisse zu kommunizieren
und erfüllte Beziehungen zu führen.
Einige von uns neigen dazu, sich zurückzuziehen und die Verantwortung für
Unstimmigkeiten in Beziehungen auf andere zu schieben.
Einige von uns leben für die Bedürfnisse der anderen und machen für ihre
Unzufriedenheit in ihren Beziehungen grundsätzlich andere verantwortlich.
Es hat mich schon immer interessiert, was dem unterschiedlichen Umgang der
Menschen in Beziehungen zueinander zugrunde liegt.
Die Bindungstheorie befasste sich zunächst mit der Bindung zwischen
Kleinkindern und deren primärer Bezugsperson (in den meisten Fällen die Mutter).
Die Entdeckung unterschiedlicher Bindungen der Kinder schaffte eine Grundlage für
eine bedeutende Tradition in der Erforschung der Eltern-Kind-Beziehungen.
Inzwischen wurde auch die Bindung im Jugend- und Erwachsenenalter, sowie die
Partnerschaftsbindung untersucht.
Da Bindung die Grundlage enger emotionaler Beziehungen ist und somit die Basis des
gesellschaftlichen Zusammenlebens betrifft, findet die Bindungstheorie ihren Ansatz in
der
Entwicklungspsychologie,
Sozialpädagogik,
Familienforschung,
Familienrechtsprechung und zunehmend Beachtung in klinischer Psychologie und
Psychotherapie. Die bindungstheoretischen Konzepte und Forschungsergebnisse
werden in die praktische Arbeit von therapeutisch, erzieherisch und beratend tätigen
Personen einbezogen.
Der Mensch ist ein soziales Wesen und kann ohne zwischenmenschliche Kontakte nicht
leben. Solche Bindungen entstehen schon in der Schwangerschaft und werden hier
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durch die Gefühle der Mutter entscheidend geprägt. Die Einstellung der Mutter
gegenüber dem im Mutterleib heranwachsenden Kind ist ausschlaggebend für die
späteren Verhaltensweisen. Die Art und Weise der frühkindlichen emotional- affektiven
Erlebnisse entscheiden darüber, ob es bei einem Kind zur Ausprägung des
Urvertrauens oder Urmisstrauens kommt.1 Das Neugeborene kann seine Bezugsperson
nur über den Geruchs- und Tastsinn (Körperkontakt) wahrnehmen, also durch Riechen,
Schmecken und Fühlen. Die emotionale Zuwendung erzeugt beim Kind eine
Atmosphäre
der
Geborgenheit.
Diese
Atmosphäre
beinhaltet
das
erzeugte
Selbstvertrauen, das Vertrauen zu seinen Mitmenschen und zur Umwelt. Dieses ist
auch nötig, um Mut dafür aufzubringen, sich auf neue unbekannte Dinge einzulassen.
Das Urvertrauen ist also eine positive Einstellung zu sich selbst, basierend auf früheren
Erfahrungen - auch im Mutterleib – und sie ermöglicht es den Menschen, sich mit ihrer
Umwelt und sich selbst auseinander zu setzen. Nicht nur Umweltfaktoren sondern auch
genetische Einflüsse spielen eine große Rolle bei der Persönlichkeitsentwicklung des
Einzelnen. Der psychische Zustand eines Menschen ist stark davon abhängig,, wie
seine zwischenmenschlichen Beziehungen sind. Verlaufen sie harmonisch, so ist die
Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese Person ausgeglichen und glücklich ist und in der
Lage, mit auftretenden Problemen fertig zu werden.
Die emotionale Fundierung entsteht durch ausreichende emotionale Zuwendung. Durch
sie wird der soziale Lebensmut geprägt, der für die geistige, soziale und emotionale
Entwicklung des Kindes von hoher Bedeutung ist. Wenn man sich nicht auf seine
Bezugspersonen verlassen kann, wird der soziale Pessimismus erzeugt, der sich auf
die emotionale Entwicklung des Kindes hemmend auswirken kann. Ein Gegenstand der
Bindungsforschung ist der Aufbau und die Veränderung enger Beziehungen im Verlauf
des Lebens. In meiner Hausarbeit möchte ich auf die starke Bindung zwischen Mutter
und Kind eingehen und versuchen, das diese Bindung anhand der Bindungstheorie von
John Bowlby näher zu erläutern. Des weiteren möchte ich auf die emotionale
Kompetenz von Kindern eingehen, wo sie herkommt und was sie bewirkt. Es gibt
natürlich Unterschiede in der Art und Weise, wie sich solche Bindungen zwischen
Mutter und Kind entwickeln. Auf diese Unterschiede möchte ich im Folgenden eingehen
und diese anhand der Bindungstheorie erklären.
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2. John Bowlby
John Bowlby, geboren am 26. Februar 1907 in London, schrieb sich 1925 für
Medizin an der Universität vom Cambridge ein.
Sein neu entdecktes Interesse an entwicklungspsychologischen Themen veranlasste
ihn, zwei Jahre später, das Medizinstudium zu unterbrechen und eine ehrenamtliche
Tätigkeit in zwei psychoanalytisch orientierten Heimen für schwererziehbare Kinder und
Jugendliche aufzunehmen.
Die Erfahrungen, die er dabei sammelte, waren bedeutend für seinen
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späteren Werdegang. Einen besonders nachhaltigen Eindruck hinterliess bei ihm das
Verhalten eines extrem distanzierten und eines extrem anhänglichen Kindes, in dem er
die Auswirkungen früher Trennungen von den Eltern, sowie anderer Störungen in ihrem
Familienleben erkannte.
1929 nahm er sein Medizinstudium in London wieder auf mit dem Ziel,
Kinderpsychiater und Psychoanalytiker zu werden und seine Ideen über
Familieneinflüsse auf die kindliche Entwicklung weiter zu verfolgen.
Zwischen 1933 und 1937 absolvierte er die psychoanalytische Ausbildung an
der Britischen Psychoanalytischen Gesellschaft. Seine Lehranalytikerin Joan Riviere
war stark beeinflusst von den Ideen der Melanie Klein, bei der er 1937/38 die
kinderanalytische Ausbildung absolvierte. Die beiden Ausbildungen sagten ihm nicht
besonders zu, denn im Gegensatz zu der Auffassung von Melanie Klein, war für ihn die
Rolle der Umwelt bei der Entstehung psychischer Störungen grundlegend.
1936 ging er an die Londoner Child Guidance Clinic, wo er mit zwei
psychoanalytisch ausgebildeten Sozialarbeiterinnen eng zusammenarbeitete, die
seine Ansichten über die Bedeutung der Familieneinflüsse für die
Persönlichkeitsentwicklung teilten und von denen er, seiner Meinung nach, mehr
gelernt hat, als von den Analytikern und Psychiatern, die ihn ausbildeten.
Im Laufe seiner Arbeit wurde ihm immer klarer, dass sich die Psychoanalyse
zu sehr mit dem kindlichen Phantasieleben beschäftigte, ohne die Wirkung von
tatsächlichen Familienereignissen zu berücksichtigen.
1940 brachte er diese Sichtweise in einem Artikel zum Ausdruck, welcher
bereits viele zentrale Ideen der Bindungstheorie beinhaltete. Er unterstrich dabei die
nachteiligen Auswirkungen früher Eltern-Kind-Trennungen und empfahl, den Müttern zu
erlauben, ihre kleinen Kinder im Krankenhaus zu besuchen.
Zusätzlich zeigte er auf, dass sich für Mütter, die mit der Kindererziehung
Schwierigkeiten hatten, wöchentliche Besprechungen, in denen ihre Probleme
analytisch angegangen und bis zu ihrer eigenen Kindheit zurückverfolgt wurden, als
sehr wirksam erwiesen:
“Wenn man einer Mutter helfen kann, Zugang zu den Gefühlen zu bekommen,
die sie als Kind hatte, und sie nun wieder zu erleben, und wenn sie dann entdeckt,
dass diese Gefühle mit Toleranz und Verständnis akzeptiert werden, kann sie
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zunehmend auch gegenüber ihrem Kind mitfühlend und tolerant reagieren, wenn es
ähnliche Gefühle zum Ausdruck bringt.“ (Bowlby,1940)
Dieses Zitat spricht auch dafür, dass sich John Bowlby schon am Anfang
seiner beruflichen Laufbahn mir der generationenübergreifenden Weitergabe von
Bindungsbeziehungen beschäftigten, die in der späteren Bindungsforschung bestätigt
wurde.
Der zweite Weltkrieg unterbrach zwar seine Laufbahn als Kinderpsychiater,
förderte aber seine Entwicklung als Forscher durch seine Tätigkeit in der Armee, wo er
sich mit umfassender Überprüfung von Auswahlverfahren für Offiziere mit Hilfe von
Fragebögen befasste. Außerdem bearbeitete er seine erste empirische Studie „Fortyfour juvenile thieves, their characters and home lives“, die 1944 erschien. In dieser
Studie, deren Schlussfolgerung nicht nur durch klinische
Fallbeschreibungen, die aus seiner Arbeit an der Child Guidance Clinic stammten,
sondern auch durch statistische Bewertungen begründet wurde, konnte er die
gefühllosen Persönlichkeiten einiger jugendlicher Diebe mit ihren früheren
Erfahrungen von mütterlicher Trennung und Ablehnung in Verbindung bringen.
Seine angehende Laufbahn als Kinderpsychiater, setzte er nach dem Krieg als
Leiter der Kinderabteilung an der Londoner Tavistock Clinic fort. Um die Bedeutung der
Eltern-Kind-Beziehung zu betonen, hat er die Kinderabteilung in „Abteilung für Eltern
und Kinder“ umbenannt. Im Gegensatz zu den meisten damaligen Psychoanalytikern
sowie seinen Mitarbeitern, die den Ideen von Melanie Klein folgten und sich deshalb
nicht für das aktuelle Familienleben interessierten, war John Bowlby sehr daran
interessiert die verschiedenen Muster der Familieninteraktionen zu entdecken, die einer
gesunden oder gestörten Entwicklung zugrunde liegen.
Um seine Forschungspläne umzusetzen, gründete er eine eigene
Forschungsgruppe, die sich mit der Trennung von Mutter und Kind befasste und in
der Mary Ainsworth 1950 seine Mitarbeiterin wurde.
3. Die Entstehung der Bindungstheorie
1948, als John Bowlby die ersten Forschungsgelder bekam, stellte er den
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psychiatrischen Sozialarbeiter und Psychoanalytiker James Robertson ein, der
ursprünglich als Hausmeister in Anna Freuds Kinderheim in Hampstead arbeitete, wo
auf Anweisung von Anna Freud alle Angestellten Kinderbeobachtungen machen und im
Detail protokollieren mussten.
James Robertsons Aufgabe war es, in Krankenhäusern und Heimen die
Kleinkinder, welche selten oder überhaupt nicht von den Eltern besucht werden
konnten, zu beobachten. Nachdem er zwei Jahre diese Tätigkeit ausübte, gab er die
Rolle des unbeteiligten Wissenschaftlers auf. Aus seinem Bedürfnis heraus, etwas
für diese Kinder zu tun, drehte er den Film „A two-year-old goes to hospital“, in dem die
Folgen
mehrtägiger
Mutter-Kind-Trennungen
bei
gleichzeitig
ungenügender
Ersatzbetreuung dokumentiert wurden. Dies bewirkte, dass die Eltern in Grossbritannien
und anderen westlichen Ländern ihre Kinder im Krankenhaus öfters besuchen oder
sogar bei ihnen schlafen durften.
Die gewonnenen Einsichten aus dem Film und Robertsons schriftlichen
Feldbeobachtungen, spielten eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der
Bindungstheorie.
Ein weiterer Impuls für die Entwicklung der Bindungstheorie kam durch den
Auftrag der Weltgesundheitsorganisation, einen Bericht über das Schicksal
heimatloser Kinder im Nachkriegs-Europa zu verfassen. In diesem Bericht, welcher
unter dem Titel „Maternal Care and Mental Health“ 1951 veröffentlicht wurde,
beschrieb John Bowlby die nachteiligen Folgen, die entstehen, wenn Kinder ohne
ihre Mutter in Institutionen aufwachsen, in denen ihre emotionalen und kognitiven
Bedürfnisse unzureichend befriedigt werden. Die grundlegende Einsicht dieses
Berichtes ist, dass die langandauernde Trennung des Kindes von der Mutter bei
ungenügendem Ersatz ein erstrangiger Risikofaktor für die weitere gesunde
seelische Entwicklung ist.
Daraus stellte sich für John Bowlby die Grundfrage: „Wenn die Unterbrechung
des Bandes zwischen Mutter und Kind durch Trennung oder Verlust so gravierende
Auswirkungen hat - was ist die Natur dieses Bandes?“ (Dornes,2000,S.21)
Als ihn 1951 ein Freund auf einen Artikel über Prägung von Konrad Lorenz
aufmerksam machte, und er vom Prozess der Prägung in einem Vorabdruck des
Buches „Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen“ von Konrad Lorenz
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noch mehr erfuhr, kam er einer Antwort auf seine Frage näher.
Im Gegensatz zu Annahmen von Sekundärtriebtheorien konnte der Prozess
der Prägung die Bildung enger sozialer Eltern-Kind-Beziehungen erklären, ohne dass
das Füttern dabei eine Rolle spielen musste. Dies veranlasste ihn, sich mit den
Grundsätzen der Ethologie vertraut zu machen, wodurch er ein tieferes Verständnis
von der Natur der Mutter-Kind-Bindung erhielt. Ausserdem fand er in diesem Buch
eine Übereinstimmung zwischen den ethologischen Feldbeobachtungen unter
Alltagsbedingungen und den Methoden, welche er schon in Zusammenarbeit mit
James Robertson entwickelt hatte.
Obwohl John Bowlby bereits 1953 den ersten theoretischen Aufsatz über die
Bindung veröffentlichte, der auf einige ethologische Begriffe aufbaute, wiesen die, mit
seiner Forschungsgruppe zur selben Zeit veröffentlichten Artikel über Trennung keine
Spuren seines neuen Denkens auf. Es gelang ihm nämlich nicht, seine Mitarbeiter von
der Bedeutung der Ethologie für die Mutter-Kind-Beziehung zu überzeugen.
Auch der Artikel über die Auswirkungen früher Sanatoriumserfahrungen, der
von Bowlby, Ainsworth, Boston und Rosenbluth 1956 veröffentlicht wurde,
beinhaltete keine ethologische Konzepte. Er enthielt aber bereits Klassifikationen
verschiedener Interaktionsmuster nach frühen und langdauernden Mutter-KindTrennungen, auf die Mary Ainsworth ursprünglich von James Robertson aufmerksam
gemacht wurde und die für ihre spätere Arbeit wichtig waren.
Ein geplantes Buch über die Befunde weiterer, von James Robertson gesammelten und
von
Mary
Ainsworth
ausgewerteten,
Beobachtungen
über
kindliche
Trennungserfahrungen wurde nie veröffentlicht. In dem unvollendeten Schlusskapitel
konnte John Bowlby jedoch seine Gedanken über die Bindungstheorie weiterentwickeln.
4. Bowlby’s Bindungstheorie
Anfang der 70er Jahre entwickelte Bowlby die Bindungstheorie.
Diese Theorie geht davon aus, dass jeder Mensch von Geburt bis zum Tod mit einem
aus der Evolution hervorgegangenen, als Bindungsverhalten (Attachment) bezeichneten
Verhaltenssystem ausgestattet ist.
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Er ging davon aus, dass Kleinkinder ab circa einem Jahr in neuen oder bedrohlichen
Situationen Verhaltensweisen wie z.B. weinen, rufen, anklammern oder nachfolgen
zeigen und darüber versuchen Nähe zu einer wichtigen Bezugsperson herzustellen. In
den meisten Fällen ist diese wichtige Bezugsperson die Mutter; aber auch Väter,
Großeltern oder andere Personen, die eine enge Beziehung zum Kind aufbauen,
kommen in Frage.
Ist die Hauptbindungsperson nicht erreichbar, so können auch andere Bezugspersonen
anstelle dieser ersatzweise aufgesucht werden. Neben der Mutter, die häufig die
Hauptbezugsperson ist, entwickelt ein Säugling weitere Bindungen, z. B. an den Vater,
Geschwister oder die Großeltern, die nach Bowlby unabhängig voneinander und
hierarchisch organisiert sind. In der Regel steht die Mutter an der Spitze dieser
Hierarchie. Darüber hinaus ist es auch natürlich möglich, dass die primäre
Bindungsfigur kein leiblicher Elternteil, sondern z. B. eine Pflegemutter oder ein Erzieher
ist.
Ein Szenarium, das eine alltägliche Situation verdeutlicht:
Paul ist zwei Jahre alt und soll heute Nacht bei Tante Birgit und Onkel Karsten
übernachten, denn seine Eltern möchten einen schönen Abend mit Freunden im Kino
verbringen.
Der
kleine
Paul
scheint
mit
der
ungewohnten
Situation
gut
zurechtzukommen: er spielt mit dem neuen Plüschbären, den er zum Geburtstag
bekommen hat, und lässt sich von Tante Birgit eine Geschichte vorlesen. Dann soll er
schlafen, und plötzlich überkommt ihn Heimweh; er fängt an zu weinen und ruft nach
seiner Mutter. Die Mutter, die Paul vorher noch nie bei der Tante gelassen hat, kann
sich auf den neuen Film mit Tom Cruise kaum konzentrieren; liebevoll und zugleich
besorgt denkt sie ununterbrochen darüber nach wie es ihrem Sohn geht.
Hauptfunktion der Bindungsperson ist es, den Säugling in Situationen von Bedrohungen
zu schützen und ihm Sicherheit zu geben. Für das unselbständige menschliche
Neugeborenen und Kleinkind ist die Schutzfunktion durch eine Bezugsperson von
lebenserhaltender Bedeutung
Entsprechend hat das Weinen eines kranken Kindes zum Ziel, dass die Mutter in seiner
Nähe bleibt und das Anklammern ans Hosenbein des Vaters unter fremden Menschen
gibt Sicherheit. Dieses Verhalten nannte Bowlby Bindungsverhalten. Er ging davon aus,
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dass Bindungsverhalten angeboren ist, da es für das Kleinkind in gefährlichen
Situationen Schutz durch vertraute Erwachsene bietet und damit wichtig für sein
Überleben ist.
Die Pflegeperson bietet als zuverlässige Bindungsperson in Gefahrensituation einen
„sicheren Hafen“. Dort hin kann sich der menschliche Säugling im Falle einer
Bedrohung retten und Schutz und Hilfe erwarten. Das Bindungssystem, das sich im
ersten Lebensjahr entwickelt, bleibt während des gesamten Lebens aktiv. Auch
Erwachsene suchen in ängstlichen Situationen die Nähe zu anderen Personen auf, von
denen sie sich Hilfe und Unterstützung erwarten.
Mit zunehmendem Alter nehmen jedoch die Häufigkeit und die Intensität der
Bindungsverhaltensweisen stetig ab. Dennoch bestehen sie als wichtige Bestandteile
des menschlichen Verhaltensrepetoires weiter, nehmen aber eher symbolische, kulturell
akzeptierte Formen an (z.B. Seufzen statt Weinen, Telefonieren statt Rufen, die
Erinnerung an gemeinsame Verabredungen statt Suchen, einem Kind das Weggehen
verbieten statt anklammern oder aber statt gegen Trennung zu protestieren
Schuldgefühle machen, wenn man allein gelassen wird.
Zusätzlich zum Bindungsverhalten nahm Bowlby an, dass es noch eine weitere Gruppe
von Verhaltensweisen gibt, die abwechselnd mit dem Bindungsverhalten auftreten und
von den Kindern dann gezeigt werden, wenn sie sich sicher fühlen. Dieses Verhalten
bezeichnete Bowlby als Explorationsverhalten und meinte damit das neugierige
Auskundschaften und Erkunden der Umgebung, eine wichtige Voraussetzung für das
Lernen und die Entwicklung des Kindes. Nach diesem Modell suchen Kinder immer
dann die Nähe zur Mutter, zum Vater oder zu einer anderen wichtigen Bezugsperson,
wenn sie unsicher sind oder sich unwohl fühlen. Wenn sie dagegen sicher sind und sich
wohl fühlen, bewegen sie sich weg und erkunden ihre Umgebung. Beide
Verhaltensweisen stehen im ständigen Wechsel, wobei die erwachsene Bezugsperson
als "sichere Basis" genutzt wird. Man kann sich dies ähnlich einer Wippe vorstellen: fühlt
sich das Kind sicher und vertraut, so steigt sein Explorationsverhalten an und das
Bindungsverhalten sinkt. Fühlt es sich unsicher oder ängstlich, so steigt sein
Bindungsverhalten, d.h. Nähe- und Kontaktsuchen an und das Explorationsverhalten
lässt nach
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Werden die Bindungsbedürfnisse nicht befriedigt oder missachtet oder nur in sehr
unzuverlässiger Weise beantwortet, so führt dies zu Wut und Enttäuschung, wie auch
zu zwiespältigen Gefühlen gegenüber der Bindungsperson.
5. Biographie von Mary Ainsworth
Mary Ainsworth wurde im Dezember 1913 in Glendale, Ohio geboren. Sie entstammt
aus einem bürgerlichen Elternhaus. Ihre Eltern legten den Erziehungsschwerpunkt auf
die Bildung der Kinder, was in den stetigen Familienausflügen in die Bibliothek ihren
Ausdruck fand. Somit war für Mary Ainsworth der Weg in die Universität schon
vorgezeichnet. Im Alter von 15 Jahren wurde der Grundstein für eine Kariere in der
Psychologie durch ein Buch von William Mc Dougall mit dem Titel „Character and the
Conduct of Life“ gelegt. Im Herbst 1929 ging sie dann auf die Universität in Toronto. In
der Universität machte sie dann ihren Master 1936 und promovierte 1939.
Nach dem Abschluss ihrer langjährigen Ausbildung, lehrte sie noch ein paar Jahre an
der Universität, bevor sie 1942 in die Kanadische Armee eintrat. In der Armee erreichte
sie den Rang eines Majors. Nach der Armee ging Mary Ainsworth zurück an die
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Universität von Toronto um dort zu unterrichten. 1950 heiratete Mary Ainsworth ihren
Mann Leonard Ainsworth und gemeinsam gingen sie nach
London. In London fand sie eine Anstellung in der Forschungsgruppe von John Bowlby.
Die Forschungsgruppe um John Bowlby untersuchte die Auswirkungen von MutterKind-Trennungen auf die Entwicklung von Kindern. Diese Forschungen erhielten dann
durch die Zusammenarbeit von John Bowlby und Mary Ainsworth eine Erweiterung, da
die beiden der Überzeugung waren, dass man die Persönlichkeitsentwicklung von
Kindern bei Mutter- Kind-Trennungen nur dann untersuchen kann, wenn die „normalen“
Mutter- Kind- Beziehungen untersucht werden.
1954 bekam Leonard Ainsworth eine Anstellung im East African Institute of Social
Research in Uganda. Seine Frau folgte ihm nach Uganda und begann dort ihre
Untersuchungen der Mutter-Kind- Beziehungen im freien Feld.
Nach zwei Jahren verließen das Ehepaar Ainsworth Uganda und zogen nach Baltimore,
wo Mary Ainsworth in der John Hopkins Universität lehrte.
1960 ließen sich Mary und Leonard Ainsworth scheiden. Zwei Jahre nach der
Scheidung, nahm sie erneut die Studien über die Mutter- Kind- Beziehung auf. Sie
beobachtete Mütter und ihre Kinder in natürlicher Umgebung. Dazu machte sie
regelmäßige Besuche bei den Familien zu Hause, um die Interaktion von Mutter und
Kind genau beobachten zu können. Sie sammelte somit 72 Stunden Datenmaterial.
Mary Ainsworth stirbt 1999 im Alter von 86 Jahren.
6. Ontogenese der Bindung
Die Ontogenese der Bindung stellt die Bindungsentwicklung von Kleinkindern dar. Sie
ergänzt somit die von Piaget aufgestellte kognitive Entwicklung von Kleinkindern.
In dem folgenden Abschnitt soll die kognitive Entwicklung in die Ontogenese die
Bindung mit einfließen, um eventuelle Parallelen zu zeigen. Beide Entwicklungstheorien
haben die zeitliche Dimension als Basis ihrer Aussagen.
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6.1.Prä- Attachment- Phase
Die Prä- Attachment- Phase verläuft von der Geburt an bis zum 2. bzw. 3. Monat. Das
Neugeborene kommt mit angeborenen Fähigkeiten auf die Welt, d.h. es besitzt ein
geringes Verhaltensrepertoire, welches dazu ausgelegt ist, Beziehungen zu anderen
Menschen in der unmittelbaren Umgebung herzustellen. Das Kleinkind gibt Signale an
die Menschen in der Umgebung, welche darauf reagieren. Das Kind reagiert im
Gegenzug auf die Menschen, ohne sie zu unterscheiden.
Die angeborenen Fähigkeiten sind auch Bestandteil der Entwicklungs-theorie von
Piaget, mit dem Unterschied, dass Piaget sein
Hauptaugenmerk auf die motorischen Fähigkeiten legt. So hat ein neugeborenes Kind
ein Repertoire von Greif- und Schluckreflexen. Die Parallelität der beiden Theorien ist im
Ziel und Motivation der Reflexe zu erkennen, nämlich dass die angeborenen
Fähigkeiten allein dem Überleben des Neugeborenen dienen.
Da das Kind nicht in der Lage ist, ohne Betreuung und Fürsorge zu
überleben, muss es eine Bindung zu anderen Personen herstellen. So wie das Kind
eine fürsorgliche Betreuung benötigt, so muss es die Fähigkeit haben, sich an der Brust
der Mutter zu nähren. Eine weitere Parallelität besteht in dem frühzeitigen lernen des
Kindes. Positive Resonanz motiviert das Kind dazu, seine Handlungen zu wiederholen.
6.2. Differenzierungsphase
Die Differenzierungsphase findet von 2./3. Monat bis zum 6. Monat statt. Das Kleinkind
verhält sich wie in der ersten Phase seines Lebens, d.h. es reagiert auf die Menschen in
seiner Umgebung und sendet Signale aus. Der Unterschied zur ersten Phase besteht in
der Differenzierung von vertrauten und nicht vertrauten Personen in der Umgebung.
Das Kind separiert sein Verhaltensrepertoire.
Piaget sieht in dieser Phase eine stärkere Hinwendung des Kindes zur
Außenwelt. Damit einhergehend ist ein anfänglich intentionales Verhalten zu sehen.
Diese ersten Anzeichen des intentionalen Verhaltens werden in der Ontogenese der
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Bindung
deutlich,
da
eine
Differenzierung
von
Personen
eine
intentionale
Differenzierung von Merkmalen einer Person bedeutet.
6.3. Kontaktaufnahme
Die Phase der Kontaktaufnahme findet vom 6. Monat bis zum 3.Lebensjahr statt. In
dieser Phase ist das Kind um die Aufrechterhaltung von Beziehungen zu einem kleinen
Kreis von Personen bemüht. Das Kind sucht den Kontakt und die Nähe zu den
Bezugspersonen. Fremde Personen werden dagegen abgelehnt, die Phase des
„Fremdeln“ setzt ein. Die kognitive Entwicklung ist soweit fortgeschritten, dass das Kind
um die Existenz der Personen und
Gegenstände weiß, obwohl sie nicht von ihm gesehen werden.
Diese kognitive Entwicklung findet sich auch bei Piaget wieder. Das
intentionale Handeln wird weiter ausgebaut. Das Kind unterscheidet in dieser Phase
nicht nur Personen, sondern hat ein inneres Bild von Gegenständen in seinem Kopf.
Diese Tatsache macht es dem Kind möglich nach Gegenständen zu suchen. Des
Weiteren kann es Handlungen nachahmen, d.h. wenn das Kind das Schlafen nachahmt,
muss es eine innere Vorstellung vom Schlafen haben.
6.4. Interaktionsphase
Die Interaktionsphase beginnt mit dem 3. Lebensjahr.
Die Zielkorrigierte Partnerschaft löst die Zielorientierte Bindung ab. In den vorherigen
Phasen der Bindung war es das Ziel des Kindes, eine Bindung aufzubauen und sie zu
erhalten, um seine „angeborenen Ziele“ zu folgen.
Diese „angeborenen Ziele“ waren die des Schutzsuchens um zu überleben. Die
Zielkorrigierte Partnerschaft beinhaltet hingegen, dass das Kind die Wünsche der
Bindungsperson versteht und auch akzeptieren kann. Damit beginnt eine Phase, die für
die Sozialisation des Kindes einen Grundstein darstellt. Durch die Sprechentwicklung
des Kindes lernt es, seine Wünsche verbal vorzubringen und durch Argumente seine
Bezugsperson von seinen Zielen zu überzeugen. Die Realisierung der Wünsche und
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Motive der Bezugspersonen beinhalten einen emotionalen Ausgleich zwischen den
Wünschen und Interessen des Kindes und den Wünschen der Bezugsperson.
Das Kind relativiert sich dadurch und versucht eine Balance zwischen sich und seiner
Außenwelt herzustellen. Dieser Prozess ist insoweit wichtig, dass ein Misslingen dieser
Ausgleichsversuche zu schwachen Bindungen führen kann.
7. Feinfühligkeit
Der Begriff der Feinfühligkeit bezeichnet eine Verhaltensweise einer Bindungsperson
die in unmittelbarer Nähe zu einem Kind steht. Diese Bindungsperson ist vornehmlich
die Mutter, der Vater oder anderen Personen die dauerhaft und in unmittelbarer Nähe
mit dem Kind interagiert. Der Begriff Feinfühligkeit beschreibt die Art und Weise, wie
zwischen Kind und der Bindungsperson interagiert wird. Als Hilfestellung bei der
Beschreibung der Feinfühligkeit könnte eine Skala dienen, die als jeweilige Endpunkte
die Feinfühligkeit und die Nicht-Feinfühligkeit besitzt. In unmittelbaren Zusammenhang
mit der Feinfühligkeit steht der im vorherigen Abschnitt behandelte Punkt der PräAttachment- Phase und der Differenzierungsphase. Das Neugeborene sendet Signale
an die Bezugspersonen durch Schreien und Gestik und reagiert auf die Personen
selbst. Die Feinfühligkeit beschreibt die Stärke, wie auch die Art und Weise, wie die
Bindungsperson auf die Signale des Kindes reagiert. Wenn das Kind schreit, gibt es
dafür verschiedene Gründe.
Eine Mutter z.B. ist Feinfühlig, wenn sie den Grund des Schreien erkennt und so
handelt, dass die Bedürfnisse des Kindes befriedigt werden. Sie reagiert auf das Kind
und das Kind realisiert die gewonnene Aufmerksamkeit von der Mutter.
Würde die Mutter gar nicht auf das Kind reagieren, so könnte man von einer NichtFeinfühligkeit sprechen. Handelt die Mutter aber in der Weise, dass sie die Signale ihres
Kindes nicht richtig deutet, d.h. das Kind schreit weil es Hunger hat und die Mutter denkt
ihm ist kalt, so reagiert die Mutter zwar auf das Kind, aber in einer falschen Weise. Aus
diesem Handeln folgt natürlich dann auch eine Konsequenz für die Bindung zwischen
Mutter und Kind. Werden die Signale von dem Kind stetig falsch wahrgenommen, so
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folgt den Signalen des Kindes keine positive Resonanz und das Kind wird seine
Handlungen nicht verstärken können.
Dieses Phänomen ist z.B. in Waisenhäusern zu beobachten, wo die Kinder schreien,
aber keine Bezugsperson darauf reagieren kann, da es zu viele Kinder gibt die schreien.
Somit wird das Kind das schreien einstellen und somit kaum noch Signale an die
Außenwelt geben.
8. Bindung als Sicherheit
Wie im vorherigen Abschnitt behandelt wurde, ist die Feinfühligkeit der Mutter, bzw.
anderer Bindungspersonen ausschlaggebend für die Entwicklung des Kindes. Diese
Aussage muss in diesem Abschnitt bekräftigt werden, da eine wesentliche Konsequenz
aus der Feinfühligkeit die stärke der Bindung an sich ist. Die Intensität der Bindung ist
das Resultat der Feinfühligkeit.
Die Uganda Studien haben die erste Klassifikation der Bindung hervorgebracht.
8.1. sicher gebundene Kinder
Je nach dem wie stark die Feinfühligkeit der Mutter, bzw. einer anderen
Bindungsperson war, ist auch die Bindung unterschiedlich stark ausgeprägt. Sicher
gebundene Kinder sind sich der starken Bindung zu der Bindungsperson bewusst und
müssen auch keine zusätzlichen Anstrengungen auf sich nehmen, um sich der Bindung
rückfragend sicher zu sein. Die Bindung dient als Rückhalt, als „sicherer Hafen“. Diese
Kinder sind dann auch mehr und besser in der Lage Explorationsversuche zu
unternehmen. Sie erkunden ihr Umfeld mit der Gewissheit dass die Bindungsperson
ihnen Schutz und Sicherheit gewährt. Die Feinfühligkeit der Mutter ist in diesem Fall
hoch gewesen.
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8.2. unsicher gebundene Kinder
Bei den unsicher gebundenen Kindern ist diese gefühlte Sicherheit nicht gegeben. Sie
orientieren sich stets nach ihren Bindungspersonen, um sich ihrer Sicherheit bewusst zu
sein. Dadurch unternehmen diese Kinder auch weniger Explorationsversuche als sicher
gebundene Kinder, da sie sich nicht weit von ihren Eltern entfernen. Die Feinfühligkeit
ist in diesen Fall niedrig einzustufen.
8.3. noch nicht gebundene Kinder
In der Prä- Attachment- Phase reagieren die Kinder auf jede Person in der gleichen
Weise. Sie haben noch keine Differenzierung der Personen vorgenommen und somit
sind sie noch nicht gebunden.
9. Funktion der Bindung für die Entwicklung des
Kindes
Die Untersuchungen von Mary Ainsworth hatten zum Ziel, die Auswirkungen von der
Mutter- Kind- Bindung auf die Entwicklung des Kindes zu beschreiben. Als wichtigstes
Ergebnis kann man zu erst einmal festhalten, dass es einen unmittelbaren
Zusammenhang zwischen der Mutter- Kind- Bindung und der Entwicklung des Kindes
gibt. Die Entwicklung des Kindes teilt man in drei Bereiche, nämlich in die soziale
Verhaltensweise, die psychische Stabilität und dem explorativen Verhalten. Die soziale
Verhaltensweise ist eine schwer zu untersuchende Größe, da es eine langfristige
Beobachtung eines Kindes erfordert, um verwendbare Daten zu erhalten. Der Ausweg
kam mit einer Untersuchung mit dem Namen „Fremden-Situations-Test“, mit dem man
die sozialen Verhaltens-weisen des Kindes im kontrollierten Raum beobachten konnte.
Diese Testreihe wird in den späteren Abschnitten noch behandelt. Als Ergebnis der
Unter-suchungen kann man aber festhalten, dass Kinder mit einer sicheren Bindung ein
besseres soziales Verhalten zeigen, wie unsicher gebundene Kinder. Das liegt vor allem
daran, dass die unsicher gebundenen Kinder sich an ihrer Mutter orientieren und ihre
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Aufmerksamkeit auf sie richten. Fremde Personen werden als Bedrohung angesehen
und so zeigen die Kinder ein ablehnendes Verhalten diesen Personen gegenüber.
Der Grund für dieses Verhalten lässt sich in der Bindung zur Mutter finden. Die Bindung
zwischen Kind und Mutter ist dadurch geprägt, dass das Kind sich der Bindung zur
Mutter nicht sicher ist und es sich ständig rückversichern muss, ob die Bindung noch
besteht, d.h. kontrollieren, ob die Mutter noch da ist und sie noch Sicherheit gewährt.
Aufgrund der Tatsache, dass das Kind sich der Sicherheit durch seine Mutter nicht
bewusst ist, reagiert das Kind verängstigt und verstört auf fremde Personen.
Kinder mit einer sicheren Bindung zu ihrer Mutter reagieren im Gegensatz zu den
unsicher gebundenen Kindern, ruhig auf fremde Personen.
Die psychische Stabilität der Kinder wird durch das Selbstbewusstsein
bestimmt. Hat das Kind eine sichere Bindung zu seiner Mutter, so bedeutet dies, dass
die Mutter Feinfühlig ist und dem Kind Aufmerksamkeit schenkt und seine Bedürfnisse
befriedigt. Diese Verhaltenweise der Mutter führt zu einem sicheren Selbstbewusstsein
des Kindes. Das Selbstbewusstsein kann man unmittelbar auf die Pflege des Kindes
zurückführen, da das Kind dadurch seinen Wert sieht, welchen es für die Mutter hat.
Unsicher gebundene Kinder sehen diese Wertschätzung nicht und können dadurch
ihren eigenen Wert nicht deutlich erfassen. Das explorative Verhalten der Kinder hängt,
wie schon in den vorherigen
Abschnitten schon behandelt, von der Bindung zu der Mutter ab. Das
erkundende Verhalten stellt einen wichtigen Schritt zum sozialen Verhalten und der
psychischen Stabilität dar. Ist nämlich ein Kind bereit und in der Lage seine Umwelt auf
eigenen Füßen zu erkunden, dann ist dies ein wichtiger Lernschritt hin zur Sozialisation
des Kindes. Es lernt alleine neue Personen und Gegenstände kennen. Dieser
Lernerfolg stärkt die psychische Stabilität und hilft dem Kind mit anderen Personen zu
interagieren.
Mary Ainsworth schuf als Basis für eine gute und gesunde Entwicklung des Kindes den
Begriff der „sicheren Basis“. Die „secure Base“ fasst die Feinfühligkeit der Mutter aus
dem Blickwinkel des Kindes zusammen. Das die Entwicklung des Kindes, d.h. die
Entwicklung des explorativen – und sozialen Verhaltens wie die Entwicklung der
psychischen Stabilität dann sicher ist, wenn die Mutter eine sichere Basis für ihr Kind
schaffen kann. Dadurch wird das Kind seiner Mutter vertrauen und sich seiner
19
Sicherheit bewusst sein. Der Begriff der „sicheren Basis“ ist aber nicht nur in der
Bindungsforschung zu verwenden, sondern auch in der allgemeinen Psychologie. Ein
aktuelles Beispiel dafür ist die Traumatisierung der Kinder in Südasien. Das
Hauptproblem bei diesen Kindern ist, dass sie feststellen mussten, dass sie ihre Eltern
nicht vor der Flut beschützen konnten, dass die Eltern nicht genügend Kraft besaßen
um sie gegen die Wellen zu verteidigen. Dadurch fühlen die Kinder eine allgemeine
Unsicherheit.
10. Das Konzept des inneren Arbeitsmodells
Die Annahme der Bindungstheorie lautet, dass ein Kind gegen Ende des ersten
Lebensjahres ein beachtliches Wissen über sich und seine direkte Umgebung
gewonnen hat, und dass diese im Folgenden in Form innerer Arbeitsmodelle
organisiert wird. Also was ist eigentlich das innere Arbeitsmodell?
Bowlby (1976) beschreibt innere Arbeitsmodelle als individuelle, bewusste und
Unbewusste mentale Repräsentation des Selbst und der Welt, mit deren Hilfe
Geschehnisse wahrgenommen, die Zukunft antizipiert und Pläne konstruiert werden.
Das Kind entwickelt
aufgrund
bindungsrelevanter Erlebnisse mit seinen
Bezugspersonen, mentale Repräsentationen von Bindung, eine Art innere Landkarte
über sich. Das Arbeitsmodell einer konkreten Eltern-Kind Beziehung entwickelt sich
aus den Handlungen des Kindes, den Konsequenzen dieser Handlungen, sowie der
Eltern-Kind Interaktion. Also ein Kind, das über beide Eltern verfügt und auch die
Unterstützung von ihnen bekommt, ist von seinen Eltern zugänglich und hilfsbereit
und voll wert von den unterstützt zu werden.
Demnach entwickeln Kinder, deren Versuche, die Nähe der Bindungsperson zu
erreichen, beständig Erfolg haben, andere Arbeitsmodelle als Kinder, deren Versuche
zurückgewiesen werden oder unvorhersehbar akzeptiert werden. Wo die Annährung
beständig
abgeblockt
oder
unvorhersehbar
erlaubt
wird,
wird
eine
aktive
20
Reorganisation, Restriktion und/oder Neuorientierung der Aufmerksamkeit, des
Verhaltens und des emotionalen Ausdrucks erwartet. (vgl. Main in: Fremmer-Bombik,
1999)
Die inneren Arbeitsmodelle enthalten sowohl kognitive als auch emotionale
Komponenten und je nach dem, wie erfolgreich die kindlichen Versuche Nähe
herzustellen verlaufen, entwickeln sich qualitativ unterschiedliche Modelle. Die
grundlegende Funktion der internal working models ist Ereignisse in der Realität zu
simulieren, um dadurch Verhalten vorausschauend und einsichtig zu planen und eine
Orientierung in der Welt zu ermöglichen. (Bowlby, 2002) Also je adäquater die
Antizipation, desto besser angepasst wird das Verhalten sein.
Und Arbeitsmodelle hängen nicht nur von Ereignissen ab, die in Anwesenheit des
Partners erlebt werden. Weil die Definition von Erlebnisrepräsentationen, Versuche
und
Konsequenzen
Konsequenzen
auf
einschließt,
Bemühungen
umfasst
des
sie
Kindes,
notwendigerweise
die
Nähe
zur
auch
die
abwesenden
Bindungsfigur herzustellen. Also kann sich das Arbeitsmodell einer Bindung auch in
der Zeit verändern, in der ein Partner abwesend ist. (Main, 1985).
Einmal ausgebildet, existieren Arbeitsmodelle außerhalb des Bewusstseins und
neigen zu
Stabilität (Bowlby, 1969). In der Kindheit können Bindungsmodelle
wahrscheinlich nur durch andre konkrete Erfahrungen verändert werden.
Ist die
kognitive Stufe der formalen Operation erreicht, dann können früher entstandene
Modelle über bestimmte Bindungen bewusst verändert werden, weil das Individuum
dann in der Lage ist, über Gedanken nachzudenken, also aus dem Bindungssystem
gedanklich herauszutreten und seine Funktionsweise
quasi von
außen zu
betrachten (Piaget, 1972).
Arbeitsmodelle werden immer noch nicht als festgelegte Eigenschaft betrachtet,
sondern besser als strukturierte Prozesse, die dazu beitragen, Informationen zu
begrenzen oder zu erhalten. Und das obwohl sie eine starke Neigung zur Stabilität
haben.
21
Ist in den ersten beiden Lebensjahren das Wissen über Bindungsbeziehungen noch
sensumotorisch/inaktiv kodiert, existieren ab dem 2. Lebensjahr bereits symbolisch
begriffliche Kodierungen für Handlungen und Ereignisse. In der Bindungstheorie geht
man davon aus, das Kinder bereits ab dem Alter von zwei bis drei Jahren mentale
Repräsentationen ihrer Interaktionserfahrungen mit den wichtigen Bezugspersonen
(in der Regel sind
das die Eltern), als mehr oder weniger integrierte Modelle
aufbauen, um auf dieser Grundlage Vorhersagen über das Verhalten an derer treffen
zu können. (Gloger Tippelt, 1999) Im Erwachsenalt er lässt sich in der Art und Weise,
wie
sich
Individuen
an
Ihre
Bindungserfahrungen
erinnern
und
über
bindungsrelevante Themen sprechen, ihr Arbeitsmodell erkennen. Es lassen sich also
Analogien des kindlichen Verhaltensmusters auf sprachlicher Ebene feststellen.
Bowlby sprach in diesem Zusammenhang von ,,alten“ und ,,neuen“ Internahlen
Arbeitsmodellen.
11. Mary Ainsworth und die Bindungsqualität:
Mary Ainsworth, geb Salter, ist 1913 in Kanada geboren, sie wurde während ihres
Psychologiestudiums stark von William Blatz und der von ihm vertretenen
Sicherheitstheorie beeinflusst. Sie machte grundsätzlich die Thesen
empirischen Untersuchung zugänglich
und
einer
richtete ihre Aufmerksamkeit auf die
individuellen Unterschiede in der Bindungs-organisation. 1939 wies sie in ihrer
Dissertation hin, dass Kleinkinder erst Sicherheit und Vertrauen
in ihre Eltern
entwickeln müssen, bevor sie sich in unbekannte Situationen begeben, in denen sie
gezwungen sind alleine zurechtzukommen.
1950 heiratete sie und zog mit Ihrem Mann nach England wo sie eine Anstellung in
Bowlbys Forschungsgruppe fand, dieser Kontakt zu Bowlby wird unterbrochen wegen
Ihrer Teilnahme an einem Forschungsprojekt in Uganda. Über neun Monate besuchte
sie Mutter-Kind-Paare alle zwei Wochen und beobachtete die Interaktion unter
22
natürlichen Bedingungen, um etwas über die Entwicklung der Mutter-Kind-Beziehung
im ersten Lebensjahr zu erfahren.
In den 60 Jahren hat sie wieder Kontakt mit Bowlby aufgenommen und haben sich in
ihrer arbeit gegenseitig bereichert. Von den Ergebnissen der Uganda-Studie waren
insbesondere die entwickelten Skalen zur Messung mütterlicher Feinfühligkeit und die
erste Klassifizierung in sicher, unsicher und noch nicht gebundene Kinder für die
weitere Entwicklung der Bindungstheorie bedeutsam.
Direkt nach der erneuten Zusammenarbeit mit Bowlby begann Ainsworth die
Baltimore-Studie. 27 Eltern-Kind-Paare wurden über ein Jahr regelmäßig zuhause in
ihrer natürlichen Umgebung beobachtet, für diversen Verhaltensweisen. Gleichzeitig
konnte Ainsworth die formen der Klassifizierung
kindlichen und mütterlichen
Verhaltens verbessern und komplexe Verhaltensmuster
differenzieren. Eine
wesentliche Ergänzung erfuhren die Beobachtungen durch eine von Ainsworth und
Wittig 1969 entwickelte halbstandardisierte Laborbeobachtungsmethode:
12. Die Fremde Situation (Strange-Situation-Test):
Diese Methode wurde ursprünglich entwickelt, um das Erkundungsverhalten von
Kindern im Alter von 12-24 Monaten unter verschiedenen (Belastungs-) Bedingungen
(An- und Abwesenheit der Mutter, Anwesenheit einer Fremden) zu analysieren. Man
ging
davon
aus
dass
sich
das
Zusammenspiel
von
Bindungs-
und
Erkundungsverhalten in einer nicht-vertrauten Umgebung erfolgreicher untersuchen
lässt. Das Kind kommt hier i ein standardisiertes räumliches Arrangement und wird in
einzelnen Versuchsabschnitten mit zunehmendem Stress konfrontiert. Dazu führen
die fremde Umgebung, die Interaktion mit einer fremden Erwachsenen, die Trennung
von der Mutter und das Alleingelassenwerden.
23
13. Ablauf der Laborbeobachtung
Beobachtung sozialer Gehemmtheit (nach Asendorpf, 1989)
Mutter und Kind sind zusammen im Labor.
Fremde Versuchsleiterin betritt den Raum.
Wie reagiert das Kund auf fremde Person?
Modifizierter Fremde-Situations-Test (Version von Cassidy & Marvin, 1988)
Mutter verlässt für 20 Minuten den Raum.
Während dieser Zeit bleibt das Kind mit einer fremden
Versuchsleiterin allein.
Wiedervereinigung: Wenn die Mutter zurückkommt,
wird das Verhalten des Kindes für 3 Minuten beobachtet.
Diese Abbildung zeigt die räumliche Anordnung der Fremde Situation:
24
Tab.1: Ablauf des Strange-Situation-Tests (nach Schmidt-Denter, 1996)
Mary Ainsworth war besonders fasziniert von der unerwarteten Verhaltensvielfalt der
Kinder in den Wiedervereinigungssituationen. Das unterschiedliche Verhalten der
Kinder konnte nach Auswertung der
Hausbeobachtungen mit deren Ergebnissen in Übereinstimmung gebracht
werden. Seither gilt die Fremde Situation als bevorzugte Methode zur Erfassung der
Bindungsqualität bei Kindern Zwischen 12 und 24 Monaten. Das Kindliche
Ausdrucks- und Verhaltensmuster in dieser Situation reflektiert, wie seine Gefühle
und sein Verhalten organisiert sind. Man kann Die Erwartungen des Kindes an die
Bindungsperson als Sicherheitsbasis gut beobachten. Darauf baut das berühmte
Klassifikationssystem auf, welches die Unterscheidung eines sicheren und zweier
unsicherer Bindungsmuster ermöglicht:
•
Sicher gebundene Kinder (B-Gruppe)
•
Unsicher-vermeidend gebundene Kinder (A-Gruppe)
•
Unsicher-ambivalent gebundene Kinder (C-Gruppe)
25
13.1. Sicher gebundene Kinder:
Die Kinder zeigen während des ganzen Ablaufs ein positives Verhalten gegenüber
der Mutter. Während ihrer Anwesenheit fühlen sie sich sicher und explorieren mutig
die Umgebung. In Abwesenheit der Mutter sind sie in der Lage ihre emotionale
Betroffenheit offen auszudrücken. Bei ihrer Rückkehr zeigen sie großes Interesse,
begrüßen sie freudig und entspannen sich in ihren Armen schnell, wenn sie zuvor
geweint haben. Sie können daraufhin ihre Erkundungen fortsetzen.
Das sicher gebundene Kind hat in diesem Fall die so genannte sichere Basis (
Secure Base), und die ihr ermöglicht, mutig sein Umfeld zu explorieren, und bei ihrer
Abwesenheit kann es auf die Rückkehr vertrauen. Diese Kinder entwickeln ein Gefühl
der Selbstbestimmung, weil sowohl ihre Bindungswünsche verstanden als auch
Erkundungen unterstützt werden. Und
in diesem Fall arbeitet das innere
Arbeitsmodell eine große Rolle, denn Im Ganzen gelingt es sicher Gebundenen
negative Gefühle, wie z.B. bei einer kurzfristigen Trennung, mit Hilfe ihres inneren
Arbeitsmodells in eine insgesamt positive gefühlsmäßige Erwartung über einen guten
Ausgang der Situation
zu integrieren, sprich es wird ein Bindungsverhalten
ausgelöst, das die Beendigung des Leids verspricht (Fremmer-Bombik,2002).
Die Untersuchungen von Ainsworth wiesen außerdem nach, dass sicher gebundene
Kinder ausgeglichener sind, seltener weinen, ein gutes Verhältnis zwischen
selbständigem Spiel und Kontakt mit der Mutter zeigen, weniger aggressiv und
ängstlich sind und bereitwilliger auf Ge- und Verbote reagieren. Sie konnte auch
durch Auswertung der Daten aus den Hausbesuchen nachweisen, dass eine sichere
Bindung der Kinder einhergeht mit einem Elternverhalten, dass geprägt ist von
Feinfühligkeit bei der Reaktion auf die Signale des Kindes, Verfügbarkeit und
bereitwilligem Eingehen auf das Kind, wenn es Schutz, Trotz oder Hilfe sucht.
26
Zusammenfassung:
Eigenschaften der sicher gebundenen Kinder:
1. Offener Ausdruck emotionaler Betroffenheit
2. Nähe oder Kommunikation mit Bezugsperson suchen
3. Rasche Beruhigung.
13.2. Unsicher-vermeidend gebundene Kinder:
Diese Kinder zeigen insgesamt ein Kontaktvermeidendes Verhalten gegenüber der
Mutter. Besonders deutlich wird dies bei der Wiedervereinigung, wo sie sich häufig
von ihr wegdrehen oder wegschauen. Doch auch in den Spielphasen beobachtet man
kaum Mutter-Kind-Interaktion oder eine vom Kind ausgehende Kontaktaufnahme.
Während der Trennungsphase zeigen die A-Kinder nach außen hin den geringsten
Kummer.
Diese Kinder konnten kein Vertrauen in die Unterstützung durch ihre Mutter
entwickeln und scheinen von ihr eher Zurückweisung zu erwarten. Sie erleben, dass
sie mit ihren Gefühlen von Kummer oder Ärger keinen Platz in der Beziehung haben.
So versuchen sie Situationen oder Aufgaben, mit denen sie konfrontiert werden, ohne
Unterstützung anderer zu bewältigen und zeigen ihre Verunsicherung möglicht nicht.
Also der Ärger, der sich in diesen Kindern anstaut, aber in Trennungssituationen nicht
gezeigt wird, bricht jedoch zuweilen unvermittelt in der sicheren häuslichen
Umgebung aus. Da keine positive Erwartungshaltung aufgebaut wurde, können
negative Gefühle nicht auf ein positives Ziel hin integriert werden.
Die A-Kinder haben eine vermeidende Verhaltensstrategie entwickelt, die das Risiko
erneuter Zurückweisung und damit erneuter Verletzung der kindlichen Gefühle
minimiert, und das ist Folge dazu, dass ihre Eltern beim Versorgen der Kinder häufig
ungeduldig, ärgerlich oder grob sind.
27
Zusammenfassung:
Eigenschaften der Unsicher-Vermeidend gebundenen Kinder:
1. Eingeschränkter Emotionsausdruck
2. Nähe vermeiden
3. Höchste Explorationsneigung
13.3. Unsicher-ambivalent gebundene Kinder:
Diese Art von Kindern kleben von Anfang an an ihrer Mutter und sind kaum zur
Exploration der Umgebung und des vorhandenen Spielzeugs in der Lage. Während
der Trennung geben sie ihrem Kummer lautstark Ausdruck. Bei der Rückkehr der
Mutter zeigen sie allerdings
Ein äußert ambivalentes Verhalten, d.h. sie suchen zwar die Nähe und den Kontakt
zur Mutter, jedoch begleitet von wütendem oder widerstrebendem Verhalten. Diese
Art von Kinder sind ganz schwer zu beruhigen und die Stimmung die herrscht ist
insgesamt unzufrieden und quengelig.
Laut Bowlby, Diese Kinder sind gezeichnet von der Unsicherheit über die
Verfügbarkeit ihrer Mutter, daher neigen sie zu Trennungsangst, Anklammern und
Ängstlichkeit bei der Erkundung der Umwelt. Also
Kinder,
die
ihre
Bindungsperson
als
gelegentlich
zugewandt,
gelegentlich
zurückweisend, ignorierend oder feindselig erleben und daher die Erfahrung
unvorhersehbarer elterlicher Verhaltensweisen machen, deren Bindungs-personen
sich also in Belastungssituationen in einer für das Kind wechsel-haften und wenig
nachvollziehbaren Weise verhalten, entwickeln für gewöhnlich eine unsicherambivalente oder kontrollierende Bindung.
In diesem Fall ist die Bindungsfigur für das Kind und seine Bedürfnisse in manchen
Situationen zugänglich, in anderen jedoch nicht. Hier werden die eigenen Launen und
28
Stimmungen über die Bedürfnisse des Babys gestellt. Oft sind diese Mütter mit
anderen aufgaben beschäftigt und widmen sich dem Kind nur gelegentlich.
Anderseits kommt es vor, dass sie die Neugierimpulse ihres Kinde nicht tolerieren, es
bei Autonomiestrebungen entmutigen und immer wieder in sein freies Spiel
eingreifen. Ein häufig festgestelltes Muster ist auch die Drohung das Kind zu
verlassen, wenn es Beispielweise nicht gehorsam ist.
Zusammenfassung:
Eigenschaften der unsicher-ambivalent gebundenen Kinder:
1. Starke emotionale Betroffenheit
2. Mischung aus Nähe suchen und ärgerlichem Kontaktvermeiden
3. Passiv bei Suche nach Mutter
4. Keine oder wenig Exploration
5. Keine oder kaum Beruhigung bei Wiedervereinigung
Die Untersuchung der Kinder hat ergeben dass ca. 50-50% sicher gebunden sind, 3040% unsicher-vermeidend und 10-20% unsicher-ambivalent. Dabei kann ein Kind an
unterschiedliche Bindungspersonen auch unterschiedlich gebunden sein, d.h. zum
Beispiel eine sichere Bindung an den Vater und eine unsicher-ambivalente Bindung
zur Mutter haben.
Für jede der Bindungssrategien A, B, C existieren noch Untergruppen, um auch noch
feinere Differenzen erfassen zu können. A1, A2, B1, B2, B3, B4, C1, C2. Dies
entspricht in einer Idealtypychen Modellvorstellung einer Rangreihe, in der von A1
nach C2 das Bindungsverhalten zu und das Explorationsverhalten abnimmt.
29
Literaturverzeichnis
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Verlag Hans Huber Bern, 2000
Bierhoff Hans W. und Grau Ina, Romantische Beziehungen, Bindung, Liebe,
Partnerschaft, Verlag Hans Huber Bern, 1999
Endres Manfred und Hauser Susanne (Hrsg.) Bindungstheorie in der Psychotherapie,
Ernst Reinhard Verlag München, 2000
Gloger-Tippelt Gabriele (Hrsg.) Bindung im Erwachsenenalter, Ein Handbuch für
Forschung und Praxis, Verlag Hans Huber Bern, 2001
Spangler Gottfried und Zimmermann Peter(Hrsg.) Die Bindungstheorie, Grundlagen,
Forschung und Anwendung, Klett-Cotta Stuttgart 1999
Ainsworth Mary, Patterns of Attachment
Hrsg. Lawrence Erlbaum, 1978
Bowlby John, Frühe Bindung und kindliche Entwicklung,
Hrsg. Ernst Heinrich Verlag München Basel, 2001
Diplomarbeit: Bindungssicherheit und Elterlicher Erziehungsstil bei Scheidungskindern
und Kindern aus Vollfamilien, Simone Kirst. 2004
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