Beitrag_Grisold
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Andrea Grisold* Who’s Watching Whom? Konsumenteninteressen und die Regulation der Medien Abstract Märkte wurden und werden auf vielfältige Weise reguliert; die Art der Regulierung hat sich aber über die Jahrzehnte stark verändert. Neoliberale Regulation zielt darauf ab, Marktchancen zu erhöhen und– im Idealfall – über Konkurrenz zu einem „allgemeinen Besten“ zu führen. Es ist vor diesem Hintergrund nicht weiter verwunderlich, dass in den letzten Jahren (Jahrzehnten) die Zahl jener Regulierungsmaßnahmen, die explizit Konsumenteninteressen oder das „öffentliche Interesse“ zum Ziel haben, zunehmend rückläufig war; auch am Mediensektor. Das heißt, all die strukturellen Regulierungen, die unter anderem auch Medienunternehmen in ihrer Expansion limitierten, wurden sukzessive aufgehoben (wie z.B. Zugangsbeschränkungen, inhaltliche Auflagen, Konzentrationskontrollen). Tritt man allerdings jenen, in ihrer Verabsolutierung absurd anmutenden Positionen, wonach der Markt automatisch, quasi naturgesetzlich, die beste aller Welten schaffen würde, mit gebotener kritischer Distanz gegenüber, so wird zu konstatieren sein, dass parallel zu diesen Prozessen Konsumenteninteressen und öffentliche Interessen auf der Strecke geblieben sind. Dies ist die Geschichte eines durchaus erfolgversprechenden Versuches, der eben skizzierten Entwicklung gegenzusteuern. Und diese Geschichte spielt in den USA. Dort haben Public Interest Bewegungen in den letzten Jahren beachtliche medienpolitische Erfolge erzielt, anders als in der EU, die hier keine vergleichbaren nennenswerten Aktivitäten aufzuweisen hat. Ich werde in diesem Paper darstellen, wie diese Grassroot-Bewegung zustande kam, warum sie sich formierte, wie sie operiert und welche ihrer Erfahrungen für die konkrete europäische Situation relevant und auf diese anwendbar sind. Vorläufige Rohfassung, bitte nur mit Zustimmung der Autorin zitieren. 1 1. Einleitung Unter den weitgehend hegemonialen Vorgaben neoliberaler Paradigmen sind in den letzten Jahrzehnten Deregulierung und Wettbewerbsorientierung zu den bestimmenden Elementen der Wirtschaftspolitik geworden; dies gilt auch, vielleicht sogar in besonderem Maße, für den Mediensektor. Dem zugrunde liegen die Prämissen einer Markttheorie, die davon ausgeht, dass ein freies Spiel der Marktkräfte die beste Lösung auch für die Publikumsseite, für die „Konsumenten“ der Medien generiere, im Wege der viel beschworenen Konsumentensouveränität. In dieser Tradition ist beispielsweise die EU-Richtlinie zur „Liberalisierung“ des Fernsehsektors in Europa zu sehen, die Mitte der 80er Jahre eine Deregulierung der Rundfunkmärkte1 in Gang setzte. Eines der Hauptargumente für die Marktöffnung des Fernsehsektors war, dass mit dieser Liberalisierung des Fernsehens eine größere Vielfalt der Programme Hand in Hand ginge, ein größeres Angebot an TVStationen gleichsam eigenlogisch zu einer Vergrößerung des Angebots an Programmen führen werde. Mehr als zwei Jahrzehnte danach sind wir mit einem markanten quantitativen Anstieg der TVStationen konfrontiert, bedingt sowohl durch technologische Weiterentwicklungen als auch aufgrund der Deregulierungsprozesse. Aber ebenso beobachten wir oligopolistische Strukturen, mithin eine hohe Markt- als auch Machtkonzentration, und eine immer umfassendere Vereinheitlichung der Programmangebote. Dies gilt gleichermaßen für einen großen, homogenen Markt wie jenen der USA als auch für die wesentlich stärker fragmentierten Märkte innerhalb Europas. Wobei, wie am Beispiel etwa der österreichischen Medienlandschaft zu zeigen ist, mit der geringen Marktgröße die ökonomische Attraktivität, neue Medienunternehmen zu gründen, noch einmal geringer ausgeprägt ist. Harald Schmidts Diktum vom „Unterschichtenfernsehen“ hat vor einigen Jahren eine Diskussion ausgelöst, die das Dilemma der gegenwärtigen TV-Landschaft sinnfällig aufzuzeigen imstande ist: Eine stete Nivellierung nach unten, die an die negativen, kulturpessimistischen Visionen von Horkheimer und Adorno in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ gemahnt. Sollen wir uns davon verabschieden, an Fernsehprogramme Pluralitäts- oder gar Qualitätsansprüche zu stellen? Oder ist das Medium für einen resignativen Defaitismus doch zu prominent? Ist doch gleichzeitig auch in der Presselandschaft ein Trend zur Boulevardisierung zu diagnostizieren, während es für Qualitätszeitschriften immer schwieriger wird, tragfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln, um mit anhaltender Qualität am Markt bestehen zu können. Die horizontale wie vertikale Konzentration im Medienbereich lässt (durchaus berechtigte) Befürchtungen wachsen, das Machtpotenzial der Medienunternehmen könne sich jeglicher Kontrolle und Beschränkung entziehen und eine (wie immer auch widersprüchlich konstituierte) demokratisch verfasste bürgerliche Öffentlichkeit radikal in Frage stellen. Jedenfalls wird Medienpolitik international zunehmend zu einem Teil der Wirtschaftspolitik, ist ihr Handeln immer stärker von der 1 Unter Rundfunk ist sowohl Hörfunk als auch Fernsehen zu verstehen. Dies ist wichtig anzumerken, da der alltagssprachliche Gebrauch durchaus von dieser Definition abweichen kann. 2 (Medien-)Wirtschaft bestimmt. Ein publikumsorientierter Ansatz hingegen ist in der Medienpolitik nur sporadisch vorzufinden, d.h. es wird generell davon ausgegangen, dass das Angebot sozusagen selbstlaufend die ‚richtige‘ Mischung zur Erbauung (in ökonomischen Termini: Befriedigung) der Konsumenten findet und bereitstellt. Ebenso muss hier klargestellt werden, dass in der Medienpolitik die wirtschaftpolitische Komponente nicht zwangsläufig, keinesfalls eigengesetzlich, letztlich nur sporadisch und im Anormalitätsfall auch ident ist mit einer Publikums- oder Konsumentensicht. Gleichzeitig unterbinden die fortlaufenden Prozesse der Boulevardisierung der Medien zunehmend systematische oder gar kritische Information, bleiben sie, nicht zum Geringsten aus ökonomischen Gründen, Allerweltsgeschichten und personalisierten Individualisierungen verhaftet. In Anlehnung an Bourdieu könnte formuliert werden: Viel entscheidender ist, was in den Medien NICHT gesagt wird. Die Betitelung des vorliegenden Beitrages will noch erläutert werden: Wir verfügen über relativ präzise Informationen darüber, welche Zielgruppen von welchen Rundfunk-Programmen oder Printmedien erreicht werden; nicht zuletzt deshalb, weil dies für die werbende Wirtschaft benötigt wird. Der Titel des hier vorgeschlagenen Beitrages „Who’s Watching Whom?“ wurde nicht zuletzt deshalb gewählt, weil (insbesondere im Medienland USA) eine Beobachtung aber auch in die andere Richtung erfolgt: Die Entwicklung der Medien wird von Seiten des Publikums analysiert. Das explizite Ziel dieser grassroot-Bewegungen (auch public interest - Bewegungen genannt) ist es, Medienregulierung im Sinne der MedienkonsumentInnen zu initiieren. Vor dem Hintergrund der medienpolitischen Entwicklungen in Europa wird in diesem Beitrag ebendieses US-Beispiel auf seine Stärken ebenso wie seine Schwächen hin analysiert. Mein Vortrag baut auf einem Forschungsprojekt auf, das die jüngsten medienpolitischen Entwicklungen in den USA diskutiert, und anhand von Interviews mit ausgewiesenen Proponenten ebendiesen public interest-Organisationen die zentralen medienpolitischen Problemstellungen und Veränderungen systematisiert. An zentraler Stelle wird der Frage nachgegangen, wie die Interessen des Publikums artikuliert und durchgesetzt werden können. 2. Eine kurze Geschichte der amerikanischen Regulation und Konzentration am Mediensektor Wieso sind es gerade die USA, die für diese Untersuchung partizipativer Konsumentenbewegungen ausgewählt wurden? Dazu gibt es mehrere, und unterschiedlich gelagerte, Gründe: 1. Weil am Rundfunksektor die USA lange das signifikante und handlungsanleitende „Vorbild“ war, an dem Europa sich orientierte; d.h. in Europa die US-amerikanischen Entwicklungen nachvollzogen wurden; 2. weil sich in den USA eine sehr interessante, differenziert agierende grassroots-Bewegung herausgebildet hat als Antwort auf massive Medienkonzentrationen; 3. weil der US-Medienmarkt ein in qualitativer wie quantitativer Hinsicht bedeutender und früh entwickelter war; zunächst mit strikten medienpolitische Regulierungen, die in den letzten zwei Jahrzehnten sukzessive aufgehoben wurden. 3 Der amerikanische Fernsehmarkt ist hochkonzentriert, wird von einer Handvoll Medienkonglomeraten beherrscht; öffentlich rechtliches Fernsehen (in der Public Service Broadcasting Variante) ist von Spendengeldern abhängig (d.h. Personen zahlen individuell, um ebendiese Stationen zu unterstützen); in vielen Städten gibt es nur mehr eine Tageszeitung. Ein großes Unternehmen (Clear Channel, mit starken Verbindungen zur Republikanischen Partei) besitzt bis zu 1.200 Radiostationen in den USA, mit denen sie 2009 nach eigenen Angaben mehr als ein Drittel der amerikanischen Bevölkerung (110 Millionen US Bürger) pro Woche erreichen konnten (Clear Channel Homepage). 1983 befand sich der überwiegende Teil der Medien in der Hand von fünfzig, 1992 bereits weniger als zwei Dutzend marktbeherrschende Medienunternehmen (Bagdikian 1983, 1992).2 Der renommierte Medienwissenschafter prognostizierte zu Beginn der 1990er Jahre, dass es in einem Jahrzehnt nur mehr sechs große Medienunternehmen geben werde. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts waren es dann tatsächlich nur mehr fünf: AOL Time-Warner, Disney, General Electric, News Corporation und AT&T. Somit hat sich die Konzentration am Mediensektor besonders in den letzten 25 Jahren drastisch verschärft3 und in jüngster Zeit zunehmend auch auf den Internetmarkt ausgeweitet (beziehungsweise belegt Eli Noam (2009), dass der Telekommunikationsmarkt stärker konzentriert ist als der Medienmarkt). Große Kabel- und Telefongesellschaften sind es, die den Internetzugang in den USA dominieren, wo sich derzeit jeder vierte Internetnutzer ins Netz von AOLTime-Warner, dem größten Medienkonzern der Welt, einloggt. Kein Wunder auch, dass die Problematik des Open Access, d.h. die Frage, ob Internetprovider den Zugang zu Websites restringieren dürfen, in den USA von zentraler Wichtigkeit ist. Bis dato hat sich Obama stark für die Beibehaltung des Open Access ausgesprochen, während die Industrie dagegen opponiert (Grisold 2009). Desgleichen stellt sich am Zeitungsmarkt die Vielfalt in den USA als nur wenig ausgeprägt dar. In vielen amerikanischen Städten gibt es, wie bemerkt, nur mehr eine Tageszeitung, manchmal nicht einmal mehr diese.4 Eingesetzt hat diese Entwicklung bereits in den 80er Jahren, mit der Krise im Gefolge des Zusammenbruchs der Finanzmärkte 2008 ist sie noch einmal verschärft worden, denn 2 "In the United States, fewer than two dozen of these extraordinary creatures own and operate 90% of the mass media" (Bagdikian 1992). Sie kontrollierten damit Amerikas Zeitungen, Magazine, Fernseh- und Radiostationen, Bücher, Tonträger, Filme, Videos, Kommunikationsnetze und Fotoagenturen. 3 Es muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass die Konzentration stark von der Berechnungsmethode abhängt, mehr noch von der Definition dessen, was als relevanter Markt angesehen wird. Diese Tatsache hat zwischen der Consumer Union und der FCC (Federal Communication Commission, USRegulierungsbehörde für Kommunikationsindustrien) in den letzten Jahren immer wieder für Kontroversen gesorgt, da die FCC eine sehr breite Marktdefinition anlegt, damit verringert sich die Konzentrationsrate. Eli Noam bezeichnet die hohen Konzentrationszahlen als „munition“, dies nicht ganz ungerechtfertigt, denn genau begründet werden die Daten nur in den seltensten Fällen (Consumers Union 2001 und 2003 als wohltuende Ausnahme). Er selbst bedient sich aber solcher Daten, die die andere ideologische Seite „munitionieren“ (Noam 2009). 4 Hier sei noch ergänzt, dass die USA keine überregionalen bzw. nationalen Tageszeitungen aufzuweisen hat, mit der Ausnahme USA Today. 4 mit sich drastisch reduzierenden (weil stark prozyklischen) Werbeeinnahmen stehen häufig selbst die monopolistischen Tageszeitungen vor dem Konkurs (Pérez-Pena 2009). Ein ebenso relevantes, für selbstverständlich erachtetes Charakteristikum des amerikanischen Marktes darf nicht unerwähnt bleiben: So gut wie alle US-Medien, die ein großes Publikum erreichen, sind in privatwirtschaftlicher Hand, der überwiegende Teil börsennotiert (Picard 1996: 335) und daher seinen Aktionären zu möglichst hoher Profitabilität verpflichtet.5 Die Prämisse des maximalen Profits verträgt sich mit seriösem Journalismus zusehends weniger, ist jener doch zeit- und rechercheaufwändig, und könnte zuweilen auch einflussreiche Geschäftspartner verärgern. Daraus und aus dieser hohen Konzentrationsrate am Mediensektor resultieren einige für die Verfasstheit der bürgerlichen demokratischen Öffentlichkeit höchst folgenreiche Problematiken, z.B. ein limitierter Zugang zu Informationen, Einseitigkeit der Berichterstattung, Beförderung einschlägiger Weltsichten, von denen Konsumerismus und Marktgläubigkeit nur Beispiele darstellen. Eine Option, die Einschränkung der publizierten Information und veröffentlichten Meinungen konkret nachweisen zu können, stellen quantitative Studien zur Frage dar, über wen wie oft berichtet wird und wer wie oft in den Medien zu Wort kommt. Eine Studie der public interest group FAIR aus dem Jahr 2001 (über die Nachrichtensendungen der großen Networks ABC, CBS, NBC) verweist auf die Stereotypie der Berichterstattung: 92% aller Interviewten sind Weiße, 85% männlich, UnternehmensvertreterInnen wurden 35 Mal öfter gezeigt als GewerkschaftsvertreterInnen, lediglich 15% aller zitierten Quellen beriefen sich auf Frauen, denen nur in den seltensten Fällen ein Expertenstatus zuerkannt wurde (Hart 2005: 52). Der Medienwissenschafter Robert Entman (2009) beantwortet die Frage, was sich in der Berichterstattung von US-Medien in den letzten Jahrzehnten verändert hat, mit dem Rückgang zweier Disziplinen: erstens jener des investigativen Journalismus, und zweitens einer differenzierte Auslandsberichterstattung. Eine den Medien zugeschriebene demokratische Funktion ist die des Watchdogs, die dazu notwendige Form des Journalismus der investigative: Jene beiden jungen Journalisten (Bob Woodward und Carl Bernstein), die 1974 die Watergate Affäre aufdeckten und somit den amtierenden Präsidenten Nixon zu Fall brachten, stehen prototypisch dafür. Mehr und mehr ist dieser investigative Journalismus aber eingeschränkt worden. Unter der Präsidentschaft W. Bush hat dies einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die unbewiesen gebliebene Behauptung der ‚weapons of mass destruction‘, wurde von Medienseite lange nicht in Frage gestellt, die Einschränkungen in der Berichterstattung über Ereignisse des Irak-Krieges akzeptiert (z.B. das Verbot der US-Regierung, Särge gefallener amerikanischer Soldaten in den Medien zu zeigen). So wird folgerichtig auch von der „chearleading news coverage of the war in Iraq“ (Newman/Scott 2005: 1) gesprochen. Aber auch Fälle von direkter Bestechung der Journalisten im Sinne einer regierungsfreundlichen Berichterstattung sind keine Seltenheit geblieben (Hart 2005). So ist es denn auch nicht verwunderlich, dass die republikanische Sichtweise in US-Medien im letzten Jahrzehnt zunehmend hegemoniale Dimensionen angenommen hat. Erst mit der aktuellen Weltwirtschaftskrise (2008 bis?) und dem darauf aufbauenden Obama-Wahlkampf hat sich diese Tendenz wieder verschoben. Wohl kaum verändern wird sich die mangelnde Auslandsberichterstattung (Entman 2004), impliziert dies nicht zuletzt doch auch eine ökonomische Komponente: In Auslandskorrespondenten wird nicht 5 Für detailliertere Informationen hierzu siehe: FAIR media watch group (www.fair.org). 5 länger investiert. Um internationale Nachrichten zu erhalten, müssen US-Bürger daher zunehmend auf ausländische Medien ausweichen. Einer der folgenschwersten Negativeffekte hochkonzentrierter Medienmärkte liegt in der Kontrolle von Information. Sie verläuft entlang unterschiedlicher Kanäle, führt aber immer dazu, dass der Öffentlichkeit Informationen nicht oder nur in bestimmte Richtungen gefiltert zur Verfügung stehen. Die Kontrolle kann sich im Wege der oben beschriebenen Konzentration der Eigentumsstrukturen von Medienunternehmen manifestieren, ebenso über die Konzentration vorgelagerter Bereiche (z.B. Nachrichtenagenturen); sie kann aber auch über falsche oder verzerrt wiedergegebene Informationen erfolgen. Die ungewünschten Effekte einer umfassenden Kontrolle von Information sehen politische ÖkonomInnen vorrangig in der Tatsache begründet, dass Information zur Ware geworden ist (Schiller 1988, 1999), wobei dieser Sachverhalt lediglich durch eine ‚Rückbesinnung‘ auf Information abseits ihres Warencharakters zu unterlaufen wäre (Schiller 1996). In einem trialen Mediensystem (inkludiert kommerzielle, öffentlich rechtliche und nichtkommerzielle Medien), kann dies im Wege der öffentlich rechtlichen Medien erfolgen oder über den Dritten Sektor der nichtkommerziellen Medien. Beide Medienformen werden von Public Interest Groups in den USA als Gegengewicht zur ‚corporate power‘ forciert und gefordert (McChesney/ Nichols 2002). 3. Herausbildung des „public interest movements“ für den Mediensektor Am Beispiel des US-amerikanischen public interest movement (Organisationen wie etwa freepress oder public knowledge seien hier stellvertretend genannt) kann gezeigt werden, dass konsumentenorientierte, der gängigen Medienpolitik gegenläufige Bottom-Up-Bewegungen durchaus beachtliches Mobilisierungspotenzial entfalten können. Sowohl was die Verbreitung von Informationen über die Einseitigkeit/Interessengleitetheit der Berichterstattung und über zu hohe, verdichtete Machtkonzentration am Mediensektor betrifft, als auch in den Bestrebungen um lokale, diversifizierte und vielfältigere Medien konnte so eine breite Öffentlichkeit erreicht und sensibilisiert werden. Nicht zuletzt aber ist als einer ihrer wesentlichen Erfolge vermerkt worden, dass gegenüber der dominanten Lobbyingaktivität der Industrie jene der KonsumentInnen an Gewicht und Stimme gewonnen hat. 3.1.Wieso sind PIGs so erfolgreich in den letzten Jahren? Die Public Interest Community war in den letzten Jahren in Medien- und Kommunikationsfragen erfolgreicher als früher und als andere PIG-Gruppen. Warum ist dies der Fall? Während ein Interviewpartner die lapidare Antwort gibt „Because Bush did not care“, sagt eine andere als spontane Antwort: „Weil es mehr Geld gibt“. Mit Geld ist Foundation Money gemeint, über die sich die PIGs nicht ausschließlich, aber vorrangig finanzieren. Im Allgemeinen aber dürfte – wie häufig in der Geschichte –eine Konstellation des Zusammentreffens und der Häufung von begünstigenden äußeren Umständen diese Entwicklung ermöglicht haben. Ben Scott beschreibt das folgendermaßen: 6 „We were formed in a really important policy moment, which helped catalyze our growth, which was in 2003 in March, when the war in Iraq began. And it is also when the federal communication commission decided to deregulate broadcasting ownership rules.” (Ben Scott, Free Press) Eine Bewegung, die der gegenwärtigen Politik der USA überaus kritisch gegenüberstand, formierte sich und nahm ihr Momentum auf vor dem Hintergrund weitergehender Liberalisierungstendenzen auf dem Gebiet der Medienkonzentration, wobei bereits davor erfolgten Deregulierungsschritte von vielen Menschen als überaus negativ wahrgenommen worden waren. So kann denn ein Grund für den Erfolg der PIGs im Medienbereich durchaus auf jene Kurzformel verdichtet werden, wie sie in der nächstfolgenden Kapitelüberschrift wiedergegeben ist: Wenn der Leidensdruck zu groß wird, oder: Die Bush-Regierung treibt’s schlimm Als Europäerin, und noch dazu mit Herkunft aus Österreich (mithin aus einem jener Länder mit historisch starkem öffentlich-rechtlichen Rundfunk), hat mich zunächst die Frage interessiert, welche Bedingungen gegeben sein müssen, um Menschen (Konsumenten, Rezipienten) zur Mitarbeit in PIGs und aktiver Mitwirkung an Medienpolitik zu mobilisieren. So gibt es in Österreich zwar eine Bewegung, die kommerziellen Rundfunk einforderte, wie auch eine andere, die sich für nichtkommerziellen Rundfunk stark machte, der selbst Inhalte –oftmals sonst nicht in die Öffentlichkeit dringende Inhalte – anzubieten imstande ist, aber keine größeren Bewegungen, die explizit die Gestaltung von Medienpolitik zu ihrer Agenda machten. Einer der Annahmen von meiner Seite war daher, die Politik der Bush-Regierung habe zu derart untragbaren Verhältnissen geführt, dass eine grassroots-Bewegung für Medienpolitik ebenso logisch wie notwendig erscheinen würde. Ein Kausalzusammenhang, dessen Plausibilität von der einschlägigen Forschungsliteratur bestätigt wird: Die Verflechtungen der US-Politik mit den großen US-Massenmedien führten zu einer qualitativ neuen Form von (Selbst-) Zensur in der Berichterstattung, die nachgerade erschreckende Ausmaße annehmen kann. In den von mir geführten Interviews wurde allerdings auch ein weiterer Grund für das Erstarken der PIGs während der Bush-Ära genannt, und der hieß: „Bush did not care“. Dem Präsidenten waren medienpolitische Fragestellungen kein Anliegen, sein FCC Chair Michael Powell (und später Kevin Martin) hatten außer „Vertrauen in den Markt“ nicht viel zu bieten, was weitere eklatante Verschlechterungen im ohnehin bereits hochkonzentrierten Mediensystem nach sich zog. Finanzierung: Mehr Geld = mehr Ressourcen Gigi Sohn, die bereits lange Jahre bei unterschiedlichen medienpolitischen PIGs gearbeitet hat, vermag sich noch gut jener Zeit zu entsinnen, da eine Finanzierung von Seiten der Foundations6 für Medienfragen kaum stattfand. So ließ der z.B. Telecommunication Act 1996 gegenüber der vorhergehenden Regulierung eine wesentlich höhere Medienkonzentration zu. Sohn erinnert sich: „I remember trying to explain to funders and others why this is going to be horrible, but they could not imagine“. Als Clear Channel dann tausende von Radiostationen aufkaufte, änderte sich das 6 Mit Foundations sind hier US-amerikanische Stiftungen gemeint, deren Ziele z.B. die Verbreitung der Demokratie, die Reduzierung der Armut etc. sind. Ein Beispiel ist die Ford Foundation, die für PIGs im Medienbereich ein wichtiger Geldgeber ist. 7 Imaginationspotential: „People said: oh my god, this is horrible“. Demgemäß fand Free Press, 2001 gegründet, bereits weitaus günstigere Konditionen vor und berichtet, dass die Lukrierung finanzieller Ressourcen von den Foundations relativ problemlos zu bewerkstelligen war. Die Finanzierung der PIGs ist, nach ihren eigenen Angaben, stark, aber keineswegs ausschließlich an Foundation Money gebunden (im Schnitt zu ca. 70 Prozent). Der Rest wird entweder über private Spenden von Einzelpersonen (höher bei solchen PIGs, die aus Unvereinbarkeitsgründen explizit keine Finanzierung von der Industrie annehmen), zuweilen aber auch von Organisationen wie Verizon, den Kabelgesellschaften, oder Google bereitgestellt. Bewusstmachung der Themenrelevanz, Technologie und Kommunikationskanäle Technologie Die Anwendungsoptionen der neuen Informations- und Kommunikationsmedien des Internets haben notwendigerweise auch für PIGs ein in seiner Relevanz markant erweitertes Spektrum der Informationsweitergabe eröffnet. „The technology itself has enabled the attitude more successful“, oder “We use technology to get the word out”. (VerteterIn von PIGs) Dieser an sich wenig überraschende Sachverhalt wird hier deshalb gesondert angeführt, da er, neben den pragmatischen Aspekten wie der Erleichterung und Verbilligung der Aussendungen auch auf ein ganz spezifisches machtpolitisches Moment verweist: Konnten die Informationen früher ausschließlich über Rundfunk und Presse veröffentlicht werden, so führte dies zwangsläufig zu Interessenskoalitionen und Informationsunterdrückung führen, waren doch ebendiese Unternehmen, Gegenstand der Kritik. Jetzt ist diese „Gatekeeper“ Funktion der Massenmedien weggefallen, das Internet stellt die technisch-materiellen Voraussetzungen für weitgehend unbehinderte Informationsverbreitung bereit. Generell kam es zu einer tendenziellen Erleichterung auch der demokratischen Partizipation, es ist einfacher geworden, Anfragen/ Kommentare (z.B. an die FCC) zu verfassen: Einer Email haftet eine niedrigere Hemmschwelle an als einem Brief. Genau das ist es auch, was der Vertreter der FCC tendenziell beklagt: „With the six major 2003 decisions, we had 2 million emails.“ Einbinden von Regulatoren Vertreter von Free Press wissen zu berichten, dass die Regulatoren durchaus erfreut sind, nicht nur dem Lobbyismus der Industrie gegenüberzustehen, sondern auch anders geartete Argumente und Forderungen vorgetragen zu bekommen. ‚Die Regulatoren zu den Menschen bringen‘, ist ein Ziel, das besonders auch free press immer wieder artikuliert und erfolgreich verfolgt hat. Dem wachsenden Interesse an Medienfragen gemäß organisierten sie Diskussionsveranstaltungen, in denen die BürgerInnen auf FCC-VertreterInnen trafen, was letzteren die Möglichkeit bot, sowohl Ihren Standpunkt darzulegen, als mit den Anliegen der MedienkonsumentInnen konfrontiert zu werden; beiden Seiten haben diese Form des direkten Diskurses als sehr konstruktiv erlebt. 8 Bei aller grundsätzlichen Zustimmung zu Aktivitäten dieser Art sieht ein Vertreter der FCC den generellen Einfluss, den PIGs auf die Mediengesetzgebung zu nehmen imstande sind, jedoch durchaus nüchterner: „There are more groups and there is more participation, not necessarily more impact“. Ein wie auchimmer vermehrtes Diskurs- und Debattenangebot ändere nichts an der prinzipiellen Ungleichverteilung ökonomischer und kultureller Macht. Er formuliert es neutral und vorsichtig: „not all interested parties have the same financial background and possibilities“. Auch der sprunghafte Anstieg der Eingaben (siehe oben) hat die Regulation der FCC schwerfälliger werden lassen, da zur Bearbeitung viel mehr Zeit aufgewandt werden muss. Funktionsweise und workflow des FCC sieht der Vertreter der FCC durchaus pragmatisch: „it works well when powerful industries of both sides interact“. 3.2.Die alte und die neue Art, Konsumenteninteressen zu vertreten Eine historische Verortung der Entwicklung von public interest groups in den USA Blicken wir auf das Zeitalter des fordistischen Akkumulationsregimes zurück, so treffen wir in den USA (und keineswegs nur dort) auf wesentlich verdichtetere und kämpferische Regulationslage (auch) für den Kommunikations- und Medienbereich. Generell wurde zu dieser Zeit das öffentliche Interesse starker hervorgehoben, die Notwendigkeit der Regulierung im öffentlichen Interesse, für die Konsumentenseite klarer hervorgestrichen, daher die Medienindustrie stärker reglementiert7 (dies stellte keineswegs immer eine Beschränkung für die Industrie dar, wurde sie doch auch vor Konkurrenz geschützt). Im Gefolge der Bürgerrechtsbewegungen der 1960er Jahre tritt eine erste Tranche von Konsumentengruppen an die Öffentlichkeit, denen um die Artikulation traditioneller Konsumentenfragen zu tun ist (Ralf Nader ist hier an prominenter Stelle anzuführen). Sie stellten Fragen wie: Ist das ein fairer Preis? Gibt es Wettbewerb auf den Märkten? Etc.. Die ‚alte Schule‘ dieser Organisationen existiert immer noch, hat mehr als 40 Jahre überlebt, verfügt aber über keine breite Basis mehr, ihre knappen Ressourcen korrespondieren auch mit verminderter Energie. Auf der anderen Seite gab es die nicht nur, aber auch im akademischen Kontext geführte Debatte zur Ideologiefunktion der Massenmedien, die, im besonderen getragen von Noam Chomsky, aber auch von Edward Herman und Robert McChesney große Resonanz in den USA gefunden hat (so erlangte Chomsky/ Hermans 1988 erschienenes Buch „Manufacturing Consent: the Political Economy of the Mass Media“ Kultstatus und wurde zum Bestseller). Form und Inhalt der Berichterstattung, die Konzentrationstendenzen und die Informationseinseitigkeit in den Massenmedien werden nicht als Ergebnis von bewussten Akten, von „Verschwörungen“ erklärt, sondern als Produkt ökonomischer Zwänge begriffen. 7 Siehe dazu z.B. die Schriften von Nick Johnson (FCC commissioner, 1966-1973), der als Vorkämpfer der PIGs zu Medienfragen bezeichnet werden kann.“ Former FCC Commissioner Nicholas Johnson, whose How to Talk Back to Your Television Set helped spark a media reform movement,…” 9 Wie auch die Auseinandersetzung um das sogenannte Propagandamodell war der US-Diskurs über die Verbindung von politischer und medialer Macht, Medienkonzentration und die massenmediale Einseitigkeit längere Zeit auf eine akademische Debatte beschränkt, geführt von einigen wichtigen Exponenten der Politischen Ökonomie der Medien (McChesney an der University of Illinois, Edward S. Herman (Ökonom und Medienanalytiker, University of Pennsylvania). Gleichwohl erfasste dieser Diskurs sukkzessive auch eine außeruniversitäre Öffentlichkeit, und mit den Büchern und Vorlesungen von McChesney (so sein Schüler Ben Scott) konnte, „once we began to go around the country“, eine beachtliches Potential mobilisiert werden. Vor diesem Hintergrund brachte es Free Press im ersten Halbjahr seines Bestehens auf 50.000 Mitglieder, derzeit stehen sie bei 500.000 Mitgliedern8. Zu den Begriffen: Consumer groups or public interest groups Da sich mein Forschungsinteresse und Forschungsdesign auf die Stimme der Konsumenten in medienpolitischen Prozessen gerichtet habe, bin ich ursprünglich vom Terminus Consumer Groups ausgegangen für all jene Organisationen, die im Prozess der Medienpolitik Konsumenteninteressen verfolgen. Ich sollte diesbezüglich bald eines besseren belehrt werden. Denn mit der Ausnahme der Consumer’s Union, die zu Beginn der 2000er als einzige Gruppe öffentlich zugängliche Medienkonzentrationsdaten für die USA publizierte (mit dem Beginn der Reagan-Ära schränkte die FCC ihre eigenen Datenerhebungen zunehmend ein, griff vielmehr auf Daten der Medienindustrie, z.B. der Werbeindustrie zurück)9, gibt es keine Gruppierungen, denen diese Begrifflichkeit „zurecht“ zuzuordnen wäre. Historisch besehen haben sich die traditionellen Consumer Groups, wie bereits erwähnt, in den 60er Jahren konstituiert. Die eigentliche Differenz zu den PIGs bildete sich dann, laut Ben Scott, an einer Achse zwischen Ökonomie und Politik aus: Consumer Groups blieben stärker an unmittelbaren Konsumentenfragen orientiert, während PIGs ihr Betätigungsfeld darüber hinaus auf Fragen des Politischen, etwa im Kontext der Demokratiedebatte, ausdehnten. Der Begriff „Consumer Groups“ habe eine sozusagen passive Konnotation, bezeichne im Amerikanischen “consumer” doch jemand Passiven, der lediglich etwas erhält, aber nicht selbst agiert. So jedenfalls stellt sich die Problematik für Andy Schwartzmann, Chefjurist von Media Access Project), dar. Eine Sichtweise, die in der ökonomischen Theorie nicht haltbar ist, denn hier gibt es eben die unterschiedlichen Akteure, die (je nach unterschiedlicher Schule und Lehrmeinung durchaus mit unterschiedlicher Macht ausgestattet) doch eben alle agieren, nicht bloß reagieren. Trotzdem ist Schwartzmann‘s Ansatz insofern interessant, als er auf unmittelbar aus seiner alltäglichen Praxis hergeleitete Erfahrungen verweist und in genau diesem Zusammenhang den Terminus Public Interest Group oder Citizens Group adäquater erscheinen lässt für die Benennung von Grassroot Organisationen, die über eine Mitgliederstruktur verfügen und explizit im Konsumenteninteresse agieren. Davon grundsätzlich und ganz zentral zu unterscheiden sind laut Schwartzmann Astroturfs10, 8 Unter Mitglieder werden Personen verstanden, die sich eintragen, um von Ihnen Informationen zu erhalten. Andy Schwartzmann nennt das Beispiel Clear Channel: ja, sie haben einige Radiostationen veräußert, aber nur die kleineren. Daher ist die Anzahl der Stationen, die sie besitzen, zurückgegangen, aber sie sind immer noch Major Player im Top 50-Markt, und der macht drei Viertel des Marktes aus. 9 10 Slang-Ausdruck 10 also artifizielle Organisationen, die sich den Namen „Konsumentengruppe“ geben, aber nicht im Interesse der Konsumenten agieren (er nennt die Beispiele: Center for Consumer Rights, Phoenix Center – die zum Beispiel als Sprecher der Telefongesellschaften agieren).11 4. Was tun, wie agieren und was bewirken PIGs? Von den hier zur Debatte stehenden Public Interest Groups für den Medien- und Kommunikationsbereich ist Free Press die größte Organisation, gefolgt von Public Knowledge als die zweitgrößte. Das Media Access Projekt ist eine NGO und eine Anwaltskanzlei in Washington, die PIGs rechtlich vertritt. Weiters ist in diesem Zusammenhang FAIR zu erwähnen, die ebenfalls keine PIG im klassischen Sinne darstellt, dennoch aber ähnliche Aufgaben verfolgt.12 Erwähnenswert ist ferner der durchaus entwickelte Vernetzungs- und Kooperationsgrad der thematisch einschlägigen PIGs. Den hier untersuchten PIGs ist gemeinsam, dass sie Non-Profit-Organisationen sind, in hohem Ausmaß auf freiwillige Mitarbeit aufbauende Organisationen, die sich für eine alternative, im öffentlichen Interesse stehende Medien- und Kommunikationspolitik einsetzen. Ohne auch nur im Geringsten auf alle Arbeitsfelder der medienpolitisch agierenden PIGs eingehen zu können, seien hier im folgenden einige herausgegriffen13: Medien und Telekommunikation werden im Sinne von Infrastruktur und nicht als rein ökonomisches Gut verstanden; ein freier Zugang (Open Access) zu Informationen auf allen Ebenen, auf der inhaltlichen, der infrastrukturellen und der Anwendungsebene ist als klare Zielvorstellung definiert. Sie verstehen sich als demokratisches Gegengewicht zu den Lobbyisten aus der Industrie. Für den Rundfunkbereich wird die Forderung nach einem stärkeren Engagement für den öffentlichen Rundfunk erhoben: „We invest about 1 dollar per person nationally in Public Broadcasting and in Great Britain it is about 80 dollars. You get what you pay for” (Ben Scott), wie auch Bestrebungen zu einer Änderung der restringierenden Copyrightregelungen zu finden sind: “Copyright is used by large media companies to limit criticism” (Gigi Sohn). Strategien für einen unabhängigen Rundfunk werden debattiert, und non-profit Informationsquellen eingefordert. Der dokumentarisch fundierte Nachweis über Einseitigkeiten in der Berichterstattung und – damit in logischem Zusammenhang – jede Form von Zensur ist zentrale Komponente der Arbeitsbereiche der PIGs, ebenso wie die Erstellung von Vorschlägen zur Schaffung von qualitativ hochwertigen journalistischen Arbeitsmöglichkeiten. Diesem breiten Agendenspektrum grundgelegt ist ein medienpolitisches Verständnis, das auf die Funktionen der öffentlichen Güter verweist, die eben nicht rein privatwirtschaftlich zu einem demokratischen Besten gehandhabt werden können. 11 Auf ebendiese Gruppen geht auch Barbara Espin, frühere FCC-Mitarbeiterin, ein, wenn sie von „aufgesetzten“, nicht realen Konsumentenwünschen spricht, die über solche Consumer Groups vertreten werden. Sie nennt als Beispiel das Family Research Center, das vorgibt, im Interesse von Familien zu agieren und sich für das Verbot bestimmter (sexuell konnotierter) Sprache stark macht. Mit diesen Astroturfs beschäftige ich mich in diesem Artikel nicht. 12 “FAIR, the national media watch group, has been offering well-documented criticism of media bias and censorship since 1986. … As a progressive group, FAIR believes that structural reform is ultimately needed to break up the dominant media conglomerates, establish independent public broadcasting and promote strong non-profit sources of information.” (http://www.fair.org) 13 Siehe dazu auch: free press 2009 11 Die Arbeitsbereiche gruppieren sich um zwei Schwerpunkte: “advocacy and education”. Konkret agiert wird im Rahmen der advocacy mit der Regulierungsbehörde FCC, der Federal Trade Commission, dem Copyright Office und im Kongress, in dem Abgeordnete desselben mit Informationen versorgt werden. Die alltägliche Routine zentriert sich im Wesentlichen um drei Bereiche: Eingaben (legal filings) Gespräche mit Regulatoren Öffentliche Information: blogs, Vorträge, Presseaussendungen Es ist auffallend (und wurde an früherer stelle bereits erwähnt), dass von Seiten der Interviewten vermehrt auf die Funktion des Internets als Arbeitserleichterung hingewiesen wird. Die Arbeitsorganisation ist effizienter geworden, billiger und einfacher. Dies gilt auf unterschiedlichsten Ebenen: In der internen Arbeitsorganisation (so braucht es jetzt viel weniger Zeit und Ressourcen, ein Meeting einzuberufen, als früher), desgleichen können Eingaben (z.B. an die Regulierungsbehörde FCC) nun elektronisch vorgenommen werden, und ebenso werden die Informationen an eine interessierte Öffentlichkeit (Bildungsfunktion) über Websites, blogs etc. billiger und effizienter verbreitet. Gemäß den zentralen Vorgaben der advocacy und education versuchenPIGs einerseits die Regulierungsaktivitäten am Medien- und Kommunikationssektor zu beeinflussen, andererseits sind sie in komtinuierlicher Interaktion mit der Basis bemüht, eine möglichst große Zahl an Menschen für einzelne Agenda zu mobilisieren. „We feel like shaping public opinion. And we are.“ Die erfolgreiche Anfechung des FCC-Entscheids zur weiteren Medienkonzentration im Jahre 2005 (MAP agierte im Auftrag von free press) markiert zweifelsfrei einen Meilenstein in der Geschichte der PIGs. Zugleich aber zeigte sie sinnfällig auch die eher engen Grenzen auf, die dieser grassroot Bewegung gesteckt sind. Es fällt leichter, eine die Konsumenten benachteiligende Gesetzgebung zu verhindern, als affirmative Schritte zu setzen. In anderen Worten: Abwehr (ungünstiger Gesetzgebung) ist möglich, ein Neugestalten aber kaum. So formuliert es den auch Gigi Sohn von public knowledge: „to get the FCC to pass a legislation is very difficult“. In ebendiese Richtung zielt Ben Scott, der zum Entscheid, den legislativen Rahmen für Konzentrationsprozesse im Eigentum an Medienunternehmen nicht weiter lockern zu dürfen, sagt: „So we won that fight, but winning meant no change. It remained the status quo” (Ben Scott, Free Press). Die Erkenntnis daraus ist für free press, dass in mature markets systematischen Veränderungen nicht mehr vorgenommen werden können. Die Industrie ist etabliert, hat eine entsprechend starke Vertretung, Tatsachen sind geschaffen. Ein Potential für qualitative Änderungen ist kaum mehr gegeben; vielleicht ein paar zusätzliche Stunden Kinderprogramm, vielleicht ein wenig mehr Lokalnachrichten, aber das ist eher unter der Rubrik Kosmetik denn unter folgemächtigen Regulierungsaktivitäten zu subsumieren. Durch historisch-analytische Studien untermauert, kam free 12 press zu dem Schluss, dass Restrukturierungen nur dann durchzuführen sind (auf politischer Regulationsebene), wenn ein „paradime shift“ vorliegt, wenn ein massiver Technologieschub eine andere ablöst (Radio-Fernsehen; Kabelfernsehen statt Antenne), wenn es einen großen Technologieschub neuartige Märkte schafft (wie derzeit für das Internet). Kurz, nur in sich neu etablierenden Märkten kann ein öffentliches Interesse über Politikvorgaben umgesetzt und durchgesetzt werden. In anderen Worten optiert Gigi Sohn für eine Politik der kleinen Schritte: „I am an incrementalist“14, denn ein revolutionäres „Alles Wollen“ führe sich selbst ad absurdum und dazu, dass gar nichts erreicht wird. 5. Kritik an PIGs Selbstverständlich wird auch Kritik an der Arbeit der PIGs geübt, wobei diese oft um die Frage zentriert ist, wer denn KonsumentInnen eigentlich vertreten könne bzw. die Definitionsmacht über public interest habe, also der Frage nach der Legitimation als Public Interest Groups aufgeworfen wird. Die einzelnen hier bereits erwähnten PIG-Organisationen verfügen über keine Mitgliederstruktur im klassischen Sinn, vielmehr gilt: “we do have people” (Gigi Sohn), also Personen, die sich registrieren, um solcherart die Informationen der jeweiligen PIG zu erhalten, die contributions (Spenden) zahlen; aber PIGs sind keine Mitgliederorganisationen im klassischen Sinne. Die Frage nach den Wünschen, Interessen und Intentionen der Konsumenten spiegelt einen wesentlichen Aspekt der Problematik wider, mit der sich PIGs – und generell Konsumenteninteressen vertretende Gruppen – stets konfrontiert sehen: Wie Barbara Espin, frühere FCC-Mitarbeiterin, formulierte: Wer sagt mir, dass diese Gruppen im Konsumenteninteresse agieren? Wer ermächtigt sie dazu? Woher wissen diese Gruppen, was die Konsumenten wollen? Ihr konservativerer Kollege Adam Thierer (bei der Progress and Freedom Foundation) hat die Antwort sofort zur Hand: Es sei der Markt, der Konsumenteninteressen doch bestens regele, mehr brauche es nicht. Das simple Faktum, dass im Gegensatz zu denKonsumenten jenen Industrie ihre Interessen auf marktlichem Weg entsprechend weniger durchsetzen könne und vertreten weiß. Die PIGs beziehen hier eine weitaus pragmatischere Position. „This is sometimes a no-brianer“, so Gigi Sohn, und nennt als Beispiele schlicht niedrigere Preise, mehr Freiheit, Regierungseingriffe gegen Marktversagen, mehr Wettbewerb. Gleichwohl ist die Frage, was denn die weit gefasste und für Interpretationen offene Begrifflichkeit public interest nunmehr genau bedeute, in der Diskussion um die Legitimität der Interessensvertretung von Relevanz. Selbst von Seiten der PIGs wird eingeräumt, dies sei (besonders auch bei der FCC) unklar formuliert, daher abhängig von den handelnden, definitionsmächtigen Personen, im Falls der FCC insbesondere dem FCC Chair. 14 Incrementalism = schrittweises Herantasten 13 6. Neoliberalismus und Regulation - Ein metatheoretischer Ansatz zu PIGs Die Notwendigkeit vermehrter Bürgerarbeit ist nachgerade ein Wesensmerkmal des Neoliberalismus, werden doch von Seiten der Politik Regulierungsaktivitäten nicht länger wahrgenommen. Diese Bürgerarbeit gestaltet sich aber sehr aufwändig; dies zuallererst einmal für die tätig gewordenen BürgerInnen, in weiterer Folge aber durchaus auch für die Politik (siehe Interview FCC-Bediensteter). Aus regulationstheoretischer Sicht ist in den letzten Jahrzehnten bei Regulationsfragen eine zunehmend geringere Berücksichtigung, ein zunehmender Bedeutungsverlust des Konsenses, des Ausgleichs der Interessen zwischen den unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessensgruppen zu konstatieren, was seinerseits besagten Mehraufwand an „Arbeit“ von Seiten der Konsumenten/Rezipienten nach sich zieht. Dieser Tatbestand kann in Zeiten des Neoliberalismus auf unterschiedlichsten Ebenen konstatiert und analysiert werden, er ist daher auch auf dem Markt für Medien- und Telekommunikations-Regulierung wirkungsmächtig. Damit tritt ein weiteres, den Neoliberalismus kennzeichnendes Bestimmungsmoment zutage: Konkurrenz. In diesem Fall ist aber nicht Konkurrenz zwischen Unternehmen, die über die positiven Marktkräfte ja den optimalen Marktpreis zu bestimmen hat, gemeint, sondern Konkurrenz der Themenbereiche, denen die Konsumentenseite einen Teil ihrer (bislang freien) Zeit, ihrer Aufmerksamkeit und ihres (ehrenamtlichen) Arbeitseinsatzes zu widmen habe. Nick Johnsons „Your Second Priority“(2008) (was immer Eure erste Priorität im Leben ist, die zweite sollte eine Medienreform sein) kommt hier zum Tragen). Aus eben diesem Grund der Hierarchisierung von Priorität braucht es üblicherweise eingängige, unter die Haut gehende, ja skandalöse Ereignisse, damit KonsumentInnen sich einer PIG anschließen, sie unterstützen, mitarbeiten. „Who’s Watching Whom?“ hat sich in diesem Kontext als passender Titel erwiesen. Die Aufgabe, die Medien zu beobachten, die zivilgesellschaftliche und demokratiepolitische Bedeutung der Beobachtung auch an die Öffentlichkeit zu vermitteln, konnte von den PIGs in den letzten Jahren gut und durchaus mit Erfolg bewerkstelligt werden. Eine gestaltende, auf medienpolitische Veränderung zielende Rolle hingegen kam ihnen kaum zu, affirmative regulatorische Eingriffe in etablierte Märkte blieben ihnen verwehrt. Somit ist der kritische Blick auf die Aktivitäten und shortfalls der Medien breiter gestreut worden; an sich bereits ein nicht zu vernachlässigender Erfolg. Die positive Beeinflussung der Regulation im Sinne des öffentlichen Interesses, der Rezipienten hingegen vollzieht sich langsamer, widersprüchlicher. Derzeit ist es gerade en vogue, in den Neuen Medien das Heilmittel für die Defizite des traditionellen Mediensektors, darunter Informationsselektion und Konzentrationsprozesse, zu proklamieren. Dieses Forschungsprojekt wirkt hier relativierend. Gegebene Hegemonien in der Mediengesellschaft werden auch durch Neue Medien nicht (und keineswegs automatisch) aufzubrechen sein; sehr wohl kann aber eine „Gegenkultur der Medienpolitik“, die diese Hegemoniekonstellation zumindest partiell unterläuft, über Neue Medien- und Kommunikationsformen leichter und effektiver organisiert werden. Gerade aus Anlass der Wahlkampagne und des Wahlsieges Obamas ist die Rolle des Internets prominenter Topos in Forschung und Berichterstattung geworden. Zweifelsohne: Das Internet war von herausragender Bedeutung für Obamas Wahlsieg. Nicht so sehr, was die Wahlfinanzierung 14 betrifft (hier waren in quantitativer Hinsicht die Donations von Seiten der Industrie weitaus gewichtiger), aber Organisation und Mobilisierung der Menschen (und ein wenig Geld für die Wahlkampagne) liefen in bislang ungekannter Weise über das Netz. Wie sehr allerdings das Internet Meinungsbildung gleichsam aus sich selbst generiere, also klassische Massenmedien wie Zeitungen oder Rundfunk ersetzen kann, wird von den PIGs differenziert und durchaus kritisch debattiert. Generell teilt man Positionen, wie sie erst kürzlich eine Studie aus Deutschland subsumiert hat: „Klassische Medienunternehmen wiederverwerten Ihre Inhalte im Internet, daher „können sie ihr ohnehin bestehendes Meinungsbeeinflussungspotential noch deutlich stärken“ (Neuberger und Lobigs, aus „Funkkorrespondenz 30.2010). Der „Vielfaltsluxus“, die Tatsache, dass Inhalte im Netz kostenlos verfügbar sind, gerät zum Boomerang und gefährdet künftige Vielfalt, umso mehr, als die Erlösstrukturen für klassische Medienunternehmen zunehmend einbrechen.15 7. Was können wir in Europa daraus lernen? Während Europa das Modell umfassender und zunehmender Kommerzialisierung von den USA übernimmt, fordern PIGs, die sich mit dem Content-Bereich von Massenmedien oder mit der Infrastruktur-Ebene der Telekommunikation beschäftigen, eine stärkere Orientierung der USA an europäischen Praxen, d.h. eine stärkere öffentlich-rechtliche Orientierung bzw. Regulation: Auf dem Rundfunksektor mehr an öffentlichen Geldern für Public Broadcasting Services, Ausbau des Broadband-Netzes und Open Access-Politik am Telekommunikationssektor. Ohne hier auf die Unterschiedlichkeit der politischen Systeme zwischen der EU und den USA eingehen zu können, sei doch ein entscheidender Unterschied zwischen den USA und einem traditionell wohlfahrtsstaatlichen Kernland, Österreich, angesprochen: In Österreich sind es die gesetzlichen bzw. sozialpartnerschaftlichen Interessensvertretungen, die für die Begutachtung von Gesetzesentwürfen zuständig sind. Diese sind am Medienthema nicht speziell „interessiert“ (für Telekommunikation ist dies anders gelagert). Gleichzeitig, und vielleicht (zumindest hierzulande) genau dieser Problematik auch geschuldet, sind zivilgesellschaftliche Gruppen zu Medien/ demokratischer Information schon im Kleinstaat Österreich, vielmehr aber noch innerhalb der EU viel partikularer, zersplitterter. Abschließend seien einige Thesen zur Diskussion angeführt: Für eine demokratische Mediengesellschaft ist es notwendig, die Medienindustrie selbst und ihre (von neoliberalen Dogmen angeleiteten) Logiken kritisch zu hinterfragen. 15 Und hier wird noch nicht darauf eingegangen, dass Neue Informations- und Kommunikationstechnologien nicht Massenmedien per se darstellen. 15 Digitalisierung und Neue Medien: Das Internet schafft nicht per se neue demokratische Qualitätsmedien, sondern schafft die Möglichkeit, die Stimme der KonsumentInnen (des Publikums) besser, schneller, einheitlicher zu artikulieren und zu systematisieren. Eine starke Gegenbewegung/Lobbying-Gruppe ist unabdingbare Voraussetzung, um Konsumenteninteressen verfolgen zu können. Das amerikanische Beispiel hat erwiesen, dass Ministerialbürokratien und Regulierungsbehörden, eine gut informierte Gegenstimme zu den dominanten Industrielobbyisten durchaus zu schätzen und zu instrumentalisieren wissen. 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